Steffany Barton

Das Jenseits ist kein dunkler Ort

Der Weg der Seele nach dem Suizid

Heilender Trost für die Hinterbliebenen

Aus dem Amerikanischen
von Elisabeth Liebl

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© für die Originalausgabe und das eBook:

2016 nymphenburger in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Satz und eBook-Produktion:

Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

www.Buch-Werkstatt.de

ISBN 978-3-485-06136-0

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Der Tag, an dem wir Julie verloren

1 Das Ende ist der Anfang

2 Wach und lebendig

3 Alles schon gesehen, alles schon erlebt

4 In der anderen Welt

5 Mit neuen Augen

6 Vom Dunkel ins Licht

7 Weshalb tut jemand so etwas?

8 Ohne Fehl und Tadel

9 Vergeben, um nicht zu vergessen

10 Schwimmende Schifflein und Treibholz

11 Die Brücke über den Abgrund

12 Nach dem Regen

Für meinen Mann David:

Du lehrtest mich, den leisen, sanften Stimmen zu trauen und der Stille hinter den Worten zu lauschen.

Ich liebe dich.

Vorwort

Ich bin Mutter, diplomierte Krankenschwester und Ehefrau. Ich halte Vorträge. Ich bin eine Tochter, die ihre Mutter verloren hat, und eine trauernde Freundin. Ich bin ein Mensch, der nicht viel anders ist als die Menschen, die diese Zeilen lesen. Ein Mensch, der versucht, das Beste aus dem zu machen, was er hat.

In meinem Fall ist das ein tiefes Mitempfinden mit allen, die einen Menschen verloren haben. Ich kann sehr gut nachvollziehen, welche emotionalen Auswirkungen der Tod eines Menschen auf uns haben kann. Es ist mein tief empfundener Wunsch, den unausgesprochenen Emotionen Ausdruck zu verleihen, die jene quälen können, die auf tragische Weise eine nahestehende Person durch Selbstmord verloren haben.

Über mein Diplom und meine Collegeausbildung hinaus bin ich außerdem eine spirituell Suchende und Lehrende. Ich weiß, dass wir mehr sind als nur eine Anhäufung von Atomen und Molekülen. Wir sind fließende Energie, Licht, das sich frei ausdrückt. Da Energie nicht zerstört, sondern nur umgewandelt werden kann, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass beim körperlichen Tod die Energie, die im Körper gebunden ist, einfach nur umgewandelt wird. Sie geht nicht verloren.

Menschen, die sich das Leben genommen haben, haben einen Geist, Energie, die sich immer noch irgendwo in irgendeiner Form ausdrückt. Und auch wenn ich diese Energie spüren kann, wie ein Weinverkoster all die subtilen Geschmacksnoten eines edlen Weins schmecken kann, so schreibe ich dieses Buch doch in dem Wunsch, damit die Lebenden zu erreichen, oder richtiger, all jene, die mit dem Schmerz und dem nicht enden wollenden Kummer nach einem Selbstmord weiterleben, hadern und kämpfen.

Ich glaube nicht, dass Selbstmord ein unvermeidliches, ein über einen Menschen quasi verhängtes Schicksal ist. Noch glaube ich, dass wir nichts tun können, wenn ein Mensch Selbstmordabsichten äußert. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen und seinen Lauf ändern können. Selbst wenn wir einen Menschen durch Selbstmord verloren haben, oder vielleicht gerade dann, können wir, wenn wir es wirklich wollen und dafür offen sind, wieder zu einer positiven Haltung dem Leben gegenüber finden, unser verwundetes Herz auf liebevolle Weise heilen und Frieden erfahren.

Selbstmord ist ein Akt der Gewalt, der auch die Hinterbliebenen trifft. Wir schieben die Beschäftigung mit dem Thema Tod gern beiseite, weil es uns Unbehagen bereitet. Über einen Selbstmord zu sprechen ist mehr oder weniger tabu. Doch was die Hinterbliebenen im Falle eines Selbstmords brauchen, ist unsere Akzeptanz, unsere Bereitschaft zuzuhören und unser Verständnis. Nur so können wir ein Klima schaffen, in dem sich Selbstmorde künftig wirksam verhindern lassen.

Selbstmord ist zu einer verschwiegenen Seuche geworden, zu einem Schandfleck für unsere Gesellschaft. In Deutschland nehmen sich Jahr für Jahr 10 000 Menschen das Leben. Das heißt, es sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle. Diese Zahl ist hoch – viel zu hoch. Irgendetwas stimmt hier nicht. Trotz aller Lippenbekenntnisse zu mehr Selbstmordprävention, trotz Therapieangeboten und Notfallintervention steigen die Selbstmordraten. Lässt sich Selbstmord überhaupt wirksam verhindern?

Ja.

Und nein.

Selbstmordprävention beginnt bei der Geburt. Damit, dass wir alle Kinder als Geschenk auf unserem Planeten begrüßen, als willkommene Gäste in unserem Leben. Üben wir uns in Rücksicht auf unsere Mutter Erde. Üben wir uns in Geduld mit uns und unseren Mitmenschen. Lehren wir unsere Kinder, dass das Leben eine Reise ist, ein gewaltiges Vorhaben, eine heroische Aufgabe, die wir nur bewältigen können, wenn wir einen Schritt nach dem anderen machen. Lassen Sie uns die Stille schätzen, weil Stille kostbar ist. Den Rhythmus der Tage und Jahreszeiten, denn in den Zyklen der Natur liegt die Weisheit der ewig währenden Wandlung. Nehmen wir unsere Zerbrechlichkeit ebenso an wie unsere Stärke, unsere Triumphe ebenso wie unsere Verletzlichkeit. Zeigen wir unseren Kindern, dass Probleme zu haben etwas ganz Gewöhnliches ist, sie zu überwinden aber außergewöhnlich. Lachen wir, wenn uns danach ist, und weinen wir, um loszulassen. Lehren wir sie diese Dinge, weil wir so leben möchten, wie unsere innere Wahrheit es verlangt. Wenn wir uns selbst annehmen, wenn wir dieses Leben mit der Bereitschaft antreten, allen Stürmen zu trotzen, wenn wir durch das Dunkel auf den neuen Morgen schauen, haben wir auch die Macht, den tödlichen Trend, der immer mehr Menschen Hand an sich legen lässt, umzukehren.

Dennoch glaube ich, dass jeder, der mit dem Tod konfrontiert wird, dadurch etwas über das Leben lernen kann. Der Tod gemahnt uns, dass nichts im Leben sicher ist. Der Tod gibt uns Gelegenheit, Bestandsaufnahme in unserem Leben zu machen, uns aufrichtig Rechenschaft darüber abzulegen, an welchem Punkt unserer Reise wir stehen, unsere Ziele neu zu bestimmen und unsere Prioritäten neu zu setzen, damit wir gemäß unserer inneren Wahrheit leben können.

Wer einen Menschen durch Selbstmord verloren hat, muss sehr viel Mut und Glauben aufbringen, während er die Tatsache anzunehmen lernt, dass er nicht schuld ist an diesem Selbstmord, nicht verantwortlich für den Tod eines anderen. Viele Hinterbliebene finden durch den Tod eines lieben Menschen zu einer spirituelleren Einstellung gegenüber dem Leben und zu der Bereitschaft, den Blick hinter die Welt der harten Fakten auf das Reich der Empfindungen, der Seele und des Geistes zu richten.

Gibt es Fälle, in denen Selbstmord trotzdem nicht zu verhindern ist? Ja, immer dann, wenn jemand seine Absicht bereits wahr gemacht hat. Es ist mir sehr wichtig, eines vollkommen klarzumachen: Nichts und niemand hätte einen Menschen, der Hand an sich gelegt hat, aufhalten können. Sonst würde er noch leben.

Ein ausgeführter Selbstmord ist ein Selbstmord, der nicht zu verhindern war. Wenn Sie das akzeptieren, werden alle Schuldgefühle von Ihnen abfallen, und die Fesseln der Scham, die die Hinterbliebenen einengen, werden sich lösen.

Verspüren Selbstmörder, wenn sie auf die andere Seite gegangen sind, so etwas wie Enttäuschung? Nein, das ist nicht möglich. Doch empfinden diese Seelen in der Rückschau so etwas wie Unzufriedenheit mit dem Leben, das sie verlassen haben, und hungern, begierig nach mehr, nach einer zweiten Chance.

Dennoch glaube ich – und werde dies im Laufe dieses Buchs zeigen –, dass in diesen Seelen ein Heilungsprozess einsetzen kann und sie Frieden finden werden, wenn die Hinterbliebenen sie als das annehmen, was sie in Wahrheit sind.

Es wäre nun aber falsch, sich jene, die durch Selbstmord auf die andere Seite gegangen sind, als engelsgleiche Wesen vorzustellen. Genauso sinnlos wäre es aber, sie negativ zu sehen. In den folgenden Kapiteln wird uns auch die Erkenntnis beschäftigen, dass es immer Gut und Böse, Liebe und Furcht, Siege und Niederlagen, Höhen und Tiefen gibt, durch die wir alle gehen müssen, dass kein Leben »perfekt« ist und wir ständig dazulernen, wachsen und uns wandeln müssen. Wir dürfen getrost Gefühle der Schuld, der Scham, der Todesangst ablegen und eine Haltung einnehmen, die uns freudvoll zurück ins Leben bringt.

Mein Ziel ist es, allen Leidtragenden und Trauernden zu helfen, ihren Schmerz zu artikulieren und Wege der Heilung zu erkunden, die auf dem Verständnis der Gesetze des Daseins beruhen. Das bedeutet, dass wir unsere Gefühle annehmen, dass wir uns aktiv und selbstverantwortlich um unser spirituelles Wachstum kümmern, dass wir lernen, achtsam zu sein und liebevoll mit uns selbst umzugehen.

Selbstmord ist kein unausweichliches Schicksal. Aber hat sich ein Mensch das Leben genommen, gibt es für seine Angehörigen und Freunde dennoch Wege, wieder Hoffnung zu fassen und Freude im Leben zu erfahren.

Dieses Buch zeigt den Weg zu solch einem neuen Leben auf. Der Weg dorthin mag nicht immer eben, die Wasser, die es zu überqueren gilt, mögen nicht immer ungetrübt sein. Die Antworten, nach denen wir suchen, werden uns nicht immer gebrauchsfertig auf dem Silbertablett präsentiert. Doch diese Reise ist die Strapazen wert. Das Leben ist ein Geschenk – ein starker und doch zerbrechlicher Schatz. Wir müssen das Leben in jeder Form, alles und jeden auf dieser Welt, mit zärtlicher Liebe und größter Behutsamkeit behandeln.

Wir werden uns gemeinsam der Finsternis stellen und gemeinsam das Licht finden.

Wenn Sie sich mit Selbstmordabsichten tragen oder mit Depressionen kämpfen, mag die Aussicht auf ein ewiges Paradies etwas Verlockendes haben. Die Vorstellung von Frieden und tiefer innerer Ruhe mag verführerisch klingen. Wenn der Schmerz zu groß, die Trauer zu tief ist, wenn es so aussieht, als wäre der einzige Weg, diese schmerzlichen Empfindungen abzustellen, allem ein Ende zu machen, dann mag der Tod als akzeptable Lösung, vielleicht sogar als der einzige Weg erscheinen.

Doch dies ist keine Selbstmordfibel, sondern ein Buch darüber, wie wir unser Leben leben können.

Wenn Sie erwägen, Selbstmord zu begehen, denken Sie doch einmal über eine Alternative nach: Kuchen.

Denn sehen Sie: Wir Menschen wünschen uns bei all unseren Schwächen, bei all der Hektik, die wir entfalten, nur eines: das Gefühl innerer Zufriedenheit. Wir möchten das Gefühl haben, dass wir etwas geleistet haben. Wir möchten stolz sein auf uns selbst. Wir wollen von uns sagen können, dass wir – im Großen oder im Kleinen – für einen anderen Menschen, ein anderes Wesen, wichtig waren und in dessen Leben etwas Gutes bewirkt haben.

Nehmen wir den Kuchen als Beispiel. Wenn Sie ein paar Cents für das tiefe Zen der Kuchenerfahrung lockermachen können, spendieren Sie sich dazu noch etwas Zuckerguss oder Glasur, ein Häubchen Schlagsahne, einen Löffel Kirschen oder frische Erdbeeren. Oder Sie probieren es gleich mit einem Kuchen, der gerade frisch aus dem Ofen kommt.

Aber wenn Sie den Kuchen nun zu früh aus dem Rohr holen, wird er spintig. Das ist vielleicht gut genug, wenn Sie Ihre Zuckerreserven schnell auffüllen müssen, doch Kuchen fürs Kuchen-Zen sieht anders aus. Dann sind Sie enttäuscht und unzufrieden mit sich selbst.

Lassen Sie sich aber etwas Zeit und malen sich währenddessen aus, was Sie da nachher Feines aus dem Backrohr holen werden … lecker! Wenn alle Zutaten sich zu einer überwältigenden Geschmackssymphonie verbunden haben, welche Gaumenfreuden erwarten Sie da. Das himmlische Aroma, der herrliche Anblick, der luftige Schmelz des weichen, warmen Backwerks schenkt der Seele Frieden und entschädigt für das Warten. Die tiefe Zufriedenheit, die uns ein frischer, selbst gebackener Kuchen schenkt, ist erhaben, ja geradezu göttlich!

Unser Leben kann manchmal ziemlich in Unordnung geraten, und wie bei den schmutzigen Teigschüsseln in unserer Küche heißt es dann: sauber machen.

Unser Leben kann langweilig, beschwerlich und hart werden. Doch anders als für Kuchen gibt es für die harten Zeiten im Leben keine erprobten Rezepte. Keine Gebrauchsanweisung, kein Rezept, das man für eine spätere Verwendung aufbewahren könnte.

Trotzdem haben Sie alles, was Sie für solche Zeiten brauchen, schon zur Hand oder zumindest im Herzen. Vielleicht müssen Sie zuerst ein bisschen rumprobieren, eine kleine Pause einlegen. Vielleicht möchten Sie zwischendurch den ganzen Krempel einfach hinschmeißen … doch die Reise ist lohnend. Und unendlich köstlich ist, was am Ziel auf uns wartet.

Wenn Sie an Selbstmord denken, bedenken Sie bitte eines:

Sie können etwas bewirken. Sie können dafür sorgen, dass Sie sich wieder besser fühlen. Sie können für sich etwas zum Besseren verändern. Vielleicht sehen Sie sich nicht so, aber Sie sind intelligent. Möglicherweise fühlen Sie sich nicht so, aber Sie sind stark. Unter Umständen glauben Sie es nicht, aber Sie sind nicht hier, um zu leiden, verletzt zu werden und nur zu bekommen, was Sie nicht haben wollen.

Sie sind hier, um wirkliche Befriedigung zu erfahren. Sie sind hier, um Ihre Aufgabe zu finden. Sie sind um des Lebens selbst willen hierhergekommen!

Wenn Sie sich mit Selbstmordgedanken tragen: Bitte suchen Sie sich professionelle Hilfe. Finden Sie jemanden, mit dem Sie arbeiten können. In allen akuten Krisen wenden Sie sich bitte an den psychiatrischen Bereitschaftsdienst (Deutschland: bundesweite Telefonnummer 11 61 17; Österreich 01-313 30) oder an die Telefonseelsorge (Deutschland: Tel. 0800-111 01 11 oder 0800-111 02 22; Österreich: Tel. 142; Schweiz: Tel. 143). Holen Sie sich Hilfe, bitten Sie um Unterstützung, reden Sie.

Wenn Sie sich mit Selbstmordgedanken tragen: Bitte bedenken Sie, dass der Tod Ihnen im Augenblick als sinnvoller Ausweg erscheinen mag. Doch der Tod wird Ihrer Seele nicht den Frieden schenken, den sie eigentlich sucht. Sie sind nicht hierhergekommen, um sich in ein Nichtsein hinüberzuquälen, um zu verkümmern und zu sterben. Sie sind hier, um zu leben und wahre Zufriedenheit zu erfahren.

Dies ist ein Buch über das Leben und dieses Buch ist für SIE.