Table of Contents

Titel

Impressum

Vorwort

1.) Schönhausen – ein Dorf in der Altmark

2.) Juni 2013 – Eine neue Flut kommt

3.) Die Nacht der Evakuierung, morgens gegen 2.00 Uhr, Montag, 10. Juni 2013

4. ) Dienstag, 11. Juni 2013

5.) Mittwoch, 12. Juni 2013

6. ) Donnerstag, 13. Juni 2013

7.) Freitag, 14. Juni 2013

8.) Samstag, 15. Juni 2013

9.) Sonntag, 16. Juni 2013

10.) Montag, 17. Juni 2013

11.) Dienstag, 18. Juni 2013

12.) Mittwoch, 19. Juni 2013

13.) Donnerstag, 20. Juni 2013

14.) Freitag, den 21. Juni 2013

15.) Samstag, 22. Juni 2013

16.) Sonntag, 23. Juni 2013

Schlusswort

Bildmaterial

 

 

Elke Martina Hermann

 

Als das Hochwasser kam

 

Tagebuch einer Evakuierten aus Schönhausen/Elbe

 

 

DeBehr

 

Copyright by Elke Martina Hermann

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2013

ISBN: 9783957530059

 

Vorwort

Ich sitze als Evakuierte in Stendal – kein Einzelschicksal in diesen Tagen. Ich teile es mit Tausenden Menschen aus dem Elb-Havel-Winkel, die aufgrund des Hochwassers ihre Häuser und Wohnungen verlassen mussten.

Der Deich bei Fischbeck brach – und damit stürmte ein unvorstellbares Leid auf viele Menschen ein.

Unvorstellbar war aber auch die Welle der Hilfsbereitschaft der Menschen im ganzen Land. Dass es Tage gibt, die ein ganzes Leben verändern können, habe nun auch ich hautnah erlebt. Und wie unterschiedlich Menschen bei solchen Naturkatastrophen reagieren, wie es ist, so viele Tage in Ungewissheit zu verbringen – all das möchte ich in diesem Buch schildern. Es handelt von Schicksalen, die berühren und von Menschen, die handeln …

Vielleicht kann dieses kleine Buch erinnern und für einige Menschen ein Innehalten im Alltag und ein Besinnen auf die Werte, die wirklich wichtig sind im Leben, bedeuten.

 

1.) Schönhausen – ein Dorf in der Altmark

Schönhausen ist ein Dorf mit Geschichte – nicht zuletzt geprägt von der Geburt und Taufe des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck.

Im Jahre 1212 wurde die Kirche erbaut, Gehöfte siedelten in deren Nähe an. Schönhausen und Fischbeck gehörten damals zum Kloster Jerichow, welches heute eine der ältesten Backsteinkirchen im Norden Deutschlands beherbergt und sehr sehenswert ist.

Die Holländer, die hier siedelten, erkannten bald, dass es nötig war, das Dorf vor Hochwasser zu schützen. Es liegt zwar einige Kilometer von der Elbe entfernt, doch Hochwasser gab es schon damals. Und so begann man mit dem Deichbau, der sich jedoch über 200 Jahre hinzog – denn nur mit Schubkarren und Schaufeln errichtet, war dieser Bau ein Werk von Generationen von Menschen.

Später wurden zu Zeiten des Hochwassers auch Deichwachen eingesetzt, die den Deich beobachteten und beschützten.

In der Kirche Schönhausens wurde der am 01. April 1915 geborene Fürst Otto von Bismarck getauft, er verbrachte hier einige Jahre seiner Kindheit. Früh ging er dann nach Berlin, um dort politische Ämter zu bekleiden. Später kam er nochmals für eine kurze Zeit nach Schönhausen zurück und übte dann hier die Funktion des ›Deichhauptmannes‹ aus. Ich sehe da ein Bild vor mir, welches ihn hoch zu Ross mit Hunden an der Seite auf einem Deichritt zeigt.

In den vielen Jahrzehnten danach gab es immer wieder Deichbeauftragte im Ort, die mit Leib und Seele und ohne Bezahlung dieses Amt ausübten. Sie taten es mit Herzblut, weil sie wussten, wie wichtig diese Tätigkeit für alle war.

Ich bin schon als kleines Mädchen oft mit meinem Großvater, der dieses Amt innehatte, hinausgefahren zur Elbe.

Wie oft stand ich sonntags, gleich nach dem Mittagessen, mit meinem Fahrrad bei meinen Großeltern auf dem Hof: »Opa Hermann, können wir nicht los zur Elbe? Es ist so schön, den Deich entlang zu radeln.« Meist half mein Bitten auch.

Mein Großvater kam verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg zurück – einen Arm hatte er an der Ostfront verloren –, die Arbeiten des Deichbeauftragten von Schönhausen konnte er auch mit ›links‹ erledigen. So begann er 1947 diese Tätigkeit. Dieses Amt war auch ganz wichtig für ihn, denn das ging auch als Versehrter gut: Fahrrad fahren, beobachten, analysieren und berichten …

Sonntags war es also immer ein fester Bestandteil des Tagesablaufes – mit dem Rad zur Elbe fahren, nach dem Rechten sehen, Veränderungen beobachten und vermerken. Dies wurde dann dem Bürgermeister gemeldet und der hat dann die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet.

Als mein Großvater dann wegen seines Alters diese Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte, übernahm 1964 sein Sohn, mein Vater, das Amt des Deichbeauftragten und führte es weiter. Er kümmerte sich auch um die Gräben und Siele und vieles mehr. Das Wissen über die Elbe, angrenzende Gewässer und Gräben wurde so über Generationen weitergegeben.

In all den Jahren war es den Bewohnern des Elb-Havel-Winkels ein besonderes Anliegen, die Natur und ihre Dörfer zu bewahren und zu schützen. So führte man bereits seit den 60er Jahren halbjährliche Deichschauen durch, in denen Vertreter der Unteren Wasserbehörde, Bürgermeister der Orte und die Deichbeauftragten den Deich abschritten und alle Vorkommnisse dokumentierten. Auch die Presse war dann stets vor Ort, um die Bürger darüber zu informieren.

Im Jahre 2002 aber kam die Jahrhundertflut, die uns alle sehr in Atem hielt.

Komisch, ich erinnere mich bei der Erwähnung dieser Flut immer als Erstes an ein Bild aus einem Fernsehbericht: Aus den Toren des Dresdner Hauptbahnhofes schoss das Wasser heraus! Das war einfach so völlig unvorstellbar für mich. Und da waren wir hier im Norden alle ziemlich angespannt, sahen diese Bilder mit Entsetzen. Männer fuhren mit Rädern durchs Dorf und riefen den Anwesenden zu: »Kommt alle mit, Sandsäcke befüllen!« Natürlich fuhr auch ich zum Gemeindeplatz und schippte Sand. Viele Einwohner fanden sich hier zusammen, und so wurde es eine riesige Aktion, die über mehrere Tage ging. Als dann jede Menge gefüllte Sandsäcke vorhanden waren, wurden sie verladen, und alle fuhren in Richtung Deich. Dort gab es bereits einige Sickerstellen an den Seitenflächen des Deiches und die Sandsäcke wurden dort aufgestapelt. Es war spät am Abend, es dunkelte bereits. Wir bildeten eine lange Kette aus Menschen – bestehend aus Feuerwehrleuten, Bundeswehrangehörigen und den Bürgern des Dorfes.

So wurden die Säcke von Hand zu Hand gereicht und kamen schließlich dort an, wo sie hin sollten. Mein Vater war damals 66 Jahre alt, Mitglied im Krisenstab – und auch er stand bis zu den Knien im Wasser. Endlich war das Werk vollbracht – und nun konnten wir nur noch hoffen …

Unsere damalige Bürgermeisterin und der Leiter der Feuerwehr leiteten die ganze Aktion, befanden sich mit dem gesamten Krisenstab stets an den Brennpunkten, und auch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr klappte gut.

Nun saßen wir in den Häusern, sahen die Nachrichten und hofften, dass unser Deich den Wassermassen standhalten würde. Und dann kam es – das große Aufatmen: Die Flut war durch, bewegte sich weiter gen Norden. Wie wir uns alle freuten, dass es gelungen war, Schaden vom Dorf abzuwenden! Der damalige Landrat ließ Ehrenmedaillen für die Fluthelfer herstellen …

Neben Hunderten anderer Einwohner besitzen auch mein Vater und ich eine solche. Das ist meine Erinnerung an 2002.

 

2.) Juni 2013 – Eine neue Flut kommt

Es ist Samstag, der 08. Juni 2013. Das jetzige Hochwasser richtete im Süden des Landes bereits enorme Schäden an … Die Pegel sind dieses Mal sogar oft noch höher als im Jahre 2002. Wir sehen die Bilder der Woche, sehen die Bilder der Schäden in Passau, Deggendorf, Meissen, Pirna, Dresden, Bitterfeld, Aken, Groß Rosenburg, Schönebeck, Magdeburg – und oft waren es größere Wassermassen als 2002, welche überall große Zerstörungen anrichteten.

»Wo kommt bloß das viele Wasser her?«, fragten sich die Menschen. »Magdeburg-Rothensee unter Wasser – da war doch 2002 nicht so viel? Was soll das noch werden? So weit hat es das Wasser ja jetzt nicht mehr bis zu uns …«

In Schönhausen wurden die Deiche nach 2002 gründlich saniert, aber wie war das in unseren Nachbarorten? Hatte man da gut vorgesorgt? Ist damals in Fischbeck etwas geschehen – da gab es schon immer eine Schwachstelle …

So um die Mittagszeit, werde ich sehr ungeduldig und rufe das Bürgertelefon in Stendal an. Ich frage nach, wie es mit Schönhausen bestellt wäre, wie man die Gefahr hier einschätzen würde. Und die freundliche Frau am Telefon sagt: »Da brauchen Sie sich nicht sorgen; Schönhausen ist sicher. Aber in Fischbeck gibt es Probleme. Die Feuerwehr und viele Helfer arbeiten mit Nachdruck, und auch die Bundeswehr wird mit Hubschraubern eintreffen und die Stelle mit Big Packs abdichten. Also, das kriegen wir in den Griff.«

Na ja, war das nun Verbreitung von Optimismus? Ich muss sagen, beruhigt bin ich eigentlich nicht.

Ich setze mich aufs Fahrrad und fahre durch den Ort. Diese Stille hier. Kein Mensch auf der Straße, und aus der Ferne der Klang der Sirenen …

Die Tiere verhalten sich schon seit Tagen so merkwürdig; die Vögel singen weniger und die Katzen meiner Eltern blicken so traurig drein und gehen auf Abstand – als fürchteten sie sich. Ich sehe ihre Augen – und mich beschleicht immer mehr die Angst, dass es diesmal wohl doch nicht gut ausgehen wird.

Also am Sonntag dann – Hoffen und Bangen um den Deich bei Fischbeck. Unsere Feuerwehr und die der Nachbarorte, freiwillige Helfer und die Bundeswehr – alle sind im pausenlosen Einsatz im Kampf gegen die Flut, zur Rettung dieses Deichabschnitts. Das ist nun mein freies Wochenende – ich bin als Schichtlaborantin tätig –; es vergeht, irgendwie. Und am Abend sehe ich mir die Spendensammlung für Flutopfer im MDR-Fernsehen an – voller Bangen und Hoffen, dass es bei uns gut ausgehen möge.

 

3.) Die Nacht der Evakuierung, morgens gegen 2.00 Uhr, Montag, 10. Juni 2013

Diese Nacht der Evakuierung (es gab keine Vorwarnung) wird wohl so schnell in Schönhausen niemand vergessen – und Tausende aus dem Elb-Havel-Winkel wird es ebenso ergehen.

Ich gehe Sonntagabend nach der MDR-Sendung gegen 23.00 Uhr ins Bett. Ich schlafe sehr unruhig und da schrillt gegen 01.45 Uhr das Telefon. Meine Mutti ist dran und sagt: »Elke, wir müssen hier raus. Die Polizei fährt schon überall durchs Dorf und fordert zur Evakuierung auf!«