von
Friedrich Ludwig B. von Medem
aufbereitet für die heutige Leserwelt
von Claudine Hirschmann
Edition gerik CHIRLEK
2021
Original: Natur und Alterthum in Thüringen. Reiseerinnerungen aus den Jahren 1836 – 1841 –1842 von Fr. L. B. v. Medem. Halle, gedruckt bei W. Plötz, 1843.
Brigitte Hirschmann (geb. Groth) wurde in den Kriegsjahren geboren
und wuchs in Lützen auf. Früh zeigten sich verschiedene Begabungen,
spielte sie unter anderen mehrere Instrumente, doch galt ihr
hauptsächliches Interesse der Literatur sowie Leipziger
Stadtgeschichte. Als geschätzte Lehrerin und herzensgute Mutter
vermittelte sie stets, den ideellen Wert in den Dingen zu sehen und
zu schätzen. So setzte sie sich leidenschaftlich für die Bewahrung
historischer Zeitzeugnisse ein und war maßgeblich am Entstehen der
Buchreihe »Auf historischen Spuren« beteiligt.
In Wertschätzung, Dankbarkeit und Liebe setzen ihre Kinder die
Reihe fort, um die ihnen geschenkte Liebe zu Büchern und zur Stadt
Leipzig weiterzutragen und ihr Wirken über heutige Generationen
hinaus lebendig zu halten.
Brigitte Hirschmann lebte viele Jahre in ihrer geliebten Stadt Leipzig, die sie für ihre Kinder mit ihnen verließ und bis zum letzten Tag auf eine gemeinsame Rückkehr hoffte. Leider war ihr das zu Lebzeiten nicht gegönnt. Ihre letzte Ruhestätte fand sie im Familiengrab auf dem Friedhof in Leipzig-Gohlis.
Mit der Reihe »Auf historischen Spuren« hat sich die Autorin zur Aufgabe gemacht, Literatur vergangener Jahrhunderte für heutige Leser aufzubereiten und wieder zur Verfügung zu stellen.
Dabei wird der Schreibstil des Verfassers möglichst unverändert übernommen, um den Sprachgebrauch der damaligen Zeit zu erhalten. Gleichwohl werden Änderungen, die sich beispielsweise aus der Überprüfung historischer Fakten ergeben, schonend eingearbeitet.
Das vorliegende Buch enthält gegenüber vorangegangenen Ausgaben unter anderen Berichtigungen kleinerer Irrtümer.
Leipzig, den 25.01.2021
Claudine Hirschmann
Thüringen mit seinen in immergrünem Waldesschmuck prangenden Gebirgen, seinen malerischen Tälern, belebt durch heitere, blühende Ortschaften, mit seinen gemütlichen, kunstsinnigen Bewohnern… Wie es den Blick an die gewinnende Gegenwart so innig fesselt, führt es ihn auch in die Vorzeit des unvergleichlichen Landes. Der landschaftliche Schmuck, der die Reste des Altertums, die Ruinen und Trümmer berühmter Klöster und Burgen hier umgibt, verbindet diese unzertrennlich mit einer schönen Natur und lässt die Beschauer beides mit gleicher Liebe umfassen.
Um den Ernst der Vorzeit spielt hier die Anmut der Gegenwart, doch was jene dadurch an Reiz gewinnt, vergilt sie dieser an sinnvoller Bedeutung. Oder wäre es nicht ein noch tieferer Inhalt, den das einzige Paulin–Zelle in seinem schweigenden Schoß birgt, als jener Magus, der zum Anstaunen und Bewundern des ehrwürdigen Baudenkmals antreibt?
Jene Wechselwirkung, die Leben gibt, um es reicher wieder zurück zu empfangen, begleitet uns in Thüringen überall; Natur und Geschichte bleiben hier unsere treuen Gefährten, wohin wir uns auch wenden.
In diesem Sinne ist in nachfolgender Schilderung den geschichtlichen Altertümern Thüringens ein Interesse zuzuwenden gestrebt und die so anziehende Eigentümlichkeit des Landes in einem treuen Bild festzuhalten versucht worden.
Aus der Fülle zu wählen war dabei nicht schwer, wo so viel des Schönen sich beisammen findet, hat jede Wahl ihren Lohn. Wir beginnen mit Rudolstadt.
Die anmutige Natur des thüringischen Landes entfaltet hier ihren lieblichsten Schmuck, zum vollen Ganzen vereinigend, was in anderen Gegenden für sich allein schon entzückt.
In der fruchtbaren Talebene gelegen, welche die südlich der Weißenburg sich freier öffnenden Gebirge der Saale begrenzen, zwischen diesem Strom und der mächtig anstrebenden Bergeswand am linken Ufer desselben, bildet es nach zwei Seiten hin den Eingang zu einer überaus schönen Landschaft. Diese hat ihren Charakter auf die Hauptstadt des Schwarzburger Landes übertragen. Dichter zusammentretende Häuserreihen, von keinem Tor geschirmt, umgeben von Gärten und reizend gelegenen Landsitzen, stellt sich die anmutige, heitere Residenz wie ein landschaftliches Bild anspruchslos vor unser Auge.
Über der Stadt thront in stolzer Höhe das majestätische Schloss der schwarzburgischen Fürsten, in einfachen großartigen Verhältnissen. Bequem angebrachte Stiegen, von gehauenen Steinen, leiten zu demselben hinauf und in den schattigen Garten, der es umgibt. Dem Bergabhang abgewonnen, auf welchem das Schloss sich erhebt, gewährt er durch die sorgfältige Benutzung des beschränkten Raums eine Abwechslung, der es nirgend an Geschmack gebricht, und ladet an den freigelassenen Punkten, wo die schönste Aussicht sich darbietet, zu hohem Genuss ein. Über das regelmäßig gebaute, freundliche Rudolstadt schweift das Auge nach dem jenseitigen Saaleufer hin, wo das idyllische Kumbeck mit seinen Gartenanlagen, Gewächshäusern und stattlichen Bäumen erfreut, und die unserem fürstlichen Lustschloss mit ihren Laubengängen winkende Schillers–Höhe sich zeigt, die zum bleibenden Andenken an den großen Dichter, der hier manche Mußestunde feierte, seinen Namen führt.
Weithin folgt der Blick dem Lauf der Saale, die nördlich von der Stadt der herrlich gelegenen Weißenburg zueilt, in mannigfachen Windungen sich durch Wiesen schlingend. Dunkle Gebirgszüge schließen in blauer Ferne den Horizont, der fast rings von ihnen begrenzt wird, doch so, dass er nach Süden die weiteste Aussicht gestattet.
Etwa eine Meile von Rudolstadt liegen in dieser Richtung die Ruinen der Blankenburg, zu welchen man auf einem dem Gebirgszug folgenden Pfad gelangt. Kräftiges Laubholz hat die Überreste der umfangreichen Burg überwuchert, sodass es dadurch unmöglich geworden ist, auch nur einen kleinen Teil derselben zu überblicken. Der um die Burg sich windende schmale Fahrweg machte sie früher für Reiter und Wagen zugänglich. Vorhanden ist nur wenig von dem alten Mauerwerk. Ein Teil desselben, in neuer Zeit mit einem Dach versehen und bewohnbar gemacht, wird in baulichem Stand erhalten. Dieses Gemach öffnet sich jedoch nur den fürstlichen Personen. Gewöhnlich ist es verschlossen.
Martinis Ansicht von Blankenburg zeigt mehr von der alten Veste, als jetzt davon sich dem Auge von irgendeinem Standpunkt darbietet, was der wackere Künstler so erklärt, dass zurzeit, als er seine sehr korrekte Zeichnung entwarf, das hier üppig wuchernde Laubholz noch nicht so hochgewachsen war. Eine Geschichte der Blankenburg verdanken wir dem kundigen Forscher, Herrn Hofrat Dr. Hesse in Rudolstadt.
Der gegen Norden vortretende Gebirgsrücken entzieht für jetzt Rudolstadt unserem Blick, wofür die Aussicht auf die herrliche Talebene, worin das betriebsame Volkstedt, mit seiner Porzellan-Manufaktur und seinem Schillerhaus, Schwarza und weiter östlich Saalfeld liegen, uns jedoch entschädigt. Welchen Zauber die dunkeln Gebirgswände gegen Abend hin einschließen, ahnt der Beschauer noch nicht.