ISBN 978-3-86191-172-2

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Inhalt

Einführung

I.

Die historischen Wurzeln

II.

Meditation und Gebet

III.

Die innere Wandlung

IV.

Der Christus-Geist

V.

Äußere Bedingungen

VI.

Das Herzensgebet

Das Herzensgebet im Leben der Kirchenväter

Das Herzensgebet in der Gegenwart

VII.

Das Göttliche Licht

Anmerkungen

»Du aber, wenn du betest, gehe in deine

Kammer und schließe deine Türe zu und bete

zu deinem Vater im Verborgenen;

und dein Vater, der ins Verborgene sieht,

wird dir vergelten.«

– Matthäus-Evangelium 6,6 –

Einführung

»Wenn du das Jesusgebet systematisch

praktizierst, dann ist das, als trügst du

beim Gang durch eine Stadt mit starker

Luftverschmutzung eine Sauerstoffmaske über

dem Gesicht. Nichts kann dir etwas anhaben.«

– Vater Maximos –

Einer der besten Kenner des Herzensgebetes im Westen, Siegfried Scharf, führt in seinen beiden Büchern »Das große Buch der Herzensmeditation« und »Auf dass Christus lebe in mir« zwei Zeugen aus einer anderen Tradition an, um die immense gesellschaftliche Bedeutung einer Neubelebung der Innenwelt des Menschen hervorzuheben.

»Das Wohl der Menschen und Nationen hängt von der Wahrung einer natürlichen Harmonie von Körper, Intellekt und Geist ab. Die heutige Menschheit krankt daran, dass sie die Leistungen des Intellekts überbewertet und dabei die geistigen Werte vernachlässigt. Die Quellen des Geistes sind im Versiegen, während die Errungenschaften des Intellektes ein alarmierendes Ausmaß angenommen haben. Wir glauben, Erde und Himmel zu beherrschen und die Atome und die Sterne ergründet zu haben. Und doch fürchten wir uns. Etwas ist uns verloren gegangen.«1

Diese mahnenden Worte von Sarvepalli Radhakrishnan (1888-1975), dem ehemaligen indischen Staatspräsidenten (1962-1967) und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels (1961), wurden vor über fünfzig Jahren gesprochen. Verglichen mit der hektischen Epoche des Internet-Zeitalters waren diese Jahre gleichsam Perioden der Ruhe und des allmählichen Umbruches. Wie dringend ist der Ruf nach Stille und Einkehr erst heute, in einer Zeit, in der die seelisch-geistige Verarmung weiter Kreise mit Händen zu greifen ist. Wofür stehen moderne Zivilisationskrankheiten wie »Chronische Erschöpfung« oder »Burn-Out« – wenn nicht für eine schreckliche innere Leere?

Auch die zweite Aussage, die Scharf heranzieht, liegt über ein halbes Jahrhundert zurück, ohne etwas von ihrer Aktualität eingebüßt zu haben. »Unter allen meinen Patienten jenseits der Lebensmitte … ist nicht ein Einziger, dessen endgültiges Problem nicht das der religiösen Einstellung wäre. Ja, jeder krankt in letzter Linie daran, dass er das verloren hat, was lebendige Religionen ihren Gläubigen zu allen Zeiten gegeben haben, und keiner ist wirklich geheilt, der seine religiöse Einstellung nicht wieder erreicht, was mit Konfession und Zugehörigkeit zu einer Kirche natürlich nichts zu tun hat.«2

Diese Worte zählen zu den bekanntesten von C.G. Jung – und zu den unvergänglichsten. Bis heute hat sich an der Wahrheit dieser Feststellung nichts geändert; und in einer die Technik in erheblichem Maße ›vergöttlichenden‹ Welt ist seine Mahnung dringlicher denn je.

Die innere Leere und die Entfremdung zahlloser Menschen von einer spirituellen Mitte, die sie hält und durch unvermeidliche Lebenskrisen hindurch trägt, ruft fast zwangsläufig nach einer Gegenbewegung. Einer Gegenbewegung, die weg vom Äußeren und hin zu einer neuen Innerlichkeit führt. Die Rufe nach Stille, nach einer Wiederentdeckung von Gebet und Meditation, werden immer lauter. Auch das wachsende Interesse an Yoga oder Zen, wo es über das rein körperliche Moment hinausreicht, ist ein Indiz für die wachsende Sehnsucht nach inneren Erfahrungen. Erfahrungen, die eine innerseelische Kraftquelle erschließen, die wirklich stärkt und mit dem »Wasser des Lebens« beschenkt.

Eines der beeindruckendsten Werke über die Spiritualität der Ostkirche, in der das »Herzensgebet« ursprünglich beheimatet ist, ist das Buch »Der Berg des Schweigens«, in welchem der amerikanische Soziologe Kyriacos C. Markides seine Begegnung mit einem »Meister« vom Berg Athos schildert. Jener weise Mönch macht dem intellektuellen Professor gleich am Anfang ihrer Begegnung klar, dass »Gotteserkenntnis nicht durch Bücher über Theologie und Dogmen zu erlangen ist. Gotteserkenntnis erlangt man nur durch lange und beschwerliche geistliche Übungen.«3

Vater Maximos sieht in diesem Prozess der Sinnentleerung auch die Kirchen in der Pflicht, deren »Sündenfall« in der Umwandlung der Religion von einer »Erfahrung zur Theologie« bestand. Dadurch veränderten sie sich von Verkünderinnen einer »lebendigen Realität« zu Hüterinnen von »moralischen Prinzipien, guten Werten und hohen Idealen«. Als das geschehen war, wurden ihre Repräsentanten wie »Blechdosen ohne Inhalt«.4

Markides schildert in seinem Buch, mit welcher Leidenschaft Vater Maximos die Notwendigkeit einer echten Spiritualität verteidigte. »Ich erinnere mich an einen Vorfall, bei dem er im Spaß eine Gruppe junger Theologen zurechtwies, die sich als »Theologen« vorgestellt hatten. »Wenn ihr euch Theologen nennt«, so zog er sie auf, »heißt das, dass ihr die Gnade der Gotteserkenntnis erfahren habt, wie etwa der Apostel Johannes der Theologe oder Basilios der Große. Habt ihr das? Könnt ihr euch wirklich Theologen nennen, bloß weil ihr ein paar Bücher gelesen und einen Abschluss in der sogenannten ›Theologie‹ erworben habt? Meint ihr nicht, dass ihr damit reichlich überheblich seid?« An jenem Tag erteilte ihnen Vater Maximos eine Lektion über den Unterschied zwischen der Kenntnis Gottes durch das Studium der Theologie und der Gotteserkenntnis des Herzens. Er sagte ihnen, ein armer und bescheidener Bauer könne durch anstrengende geistliche Übungen und immerwährendes Gebet ein Heiliger werden und daher Gotteserkenntnis erlangen, wohingegen ein Wissenschaftler, der Theologiebuch um Theologiebuch veröffentlicht, aber stolz ist auf seine weltlichen Errungenschaften, in völliger Unkenntnis Gottes verharren mag.«5

Der Weg des Herzensgebetes, wie sich im Folgenden zeigen wird, ist ein Weg der Demut und Hingabe. Er hat viel mit »Gnade« zu tun6 und mit innerer Reinigung. Was er sicher nicht ist, ist ein »Abkürzungsweg im geistlichen Leben«.7 Er ist auch kein Versenkungsweg im Sinn der östlichen Traditionen, sondern eher ein Weg des spirituellen Dialoges im Sinne Martin Bubers, in dem es um das Zwiegespräch mit der göttlichen Gegenwart in der Stille geht sowie um die Begegnung mit der göttlichen Gegenwart im Du. Der betende und suchende Mensch weiß um seinen »inneren Gottesfunken«; doch zugleich weiß er auch, dass er noch in einem »dunklen Tal« wandert und sehnsuchtsvoll nach dem LICHT Ausschau hält.

I.
Die historischen Wurzeln

»Christus, du großer Heiler,

du nimmst alles auf, was uns belastet!«

– Gebet aus Taizé –