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Das Schweigen der Hämmer

Alexandra Peiper, Jahrgang 1971, ist Journalistin beim WDR Fernsehen. Mit ihrem Mann und ihren Söhnen lebt sie im Ruhrgebiet in ihrem Traumhaus, dessen Umbau sie wertvolle Lebenszeit und viele Nerven gekostet hat. Immerhin ist sie nun Expertin im Lesen von Immobilienanzeigen und kann die Vorzüge aller erdenklichen Arten von Wasserhähnen und Badezimmerfliesen im Schlaf aufzählen. Ihr Fazit lautet: Jede Erfahrung ist für irgendetwas gut!

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Alexandra Peiper

DAS SCHWEIGEN
DER HÄMMER

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Redaktion: Birthe Vogelmann
Satz: GGP Media GmbH, Pößneck
E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-26122-1
V001
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Inhalt

Vorwort

1. »Traumhaus für Altbaufans …!«

2. Lage, Lage, Lage!

3. »Das ist es!«

4. Kauf per Handschlag

5. Darauf einen »Godfather«

6. Wer kennt die schlimmste Baugeschichte?

7. Abrakadabra!

8. Boom-Shaka-Laka

9. »Gute Bausubstanz!«

10. Bauen 2.0

11. Schönreden und Schönrechnen

12. »Wir schaffen das schon!«

12 a. Das unbekannte Unbekannte

13. Das »Nötigste«

14. »Wenn wir schon mal dabei sind«

15. Baumeister gesucht

16. Willkommen im Reich der HOAI

17. Handwerker-Casting

18. »Watt fott es, es fott«

19. Bauen als Paar

20. In der Entscheidungshölle

21. Baustopp I

22. Murphys Gesetz

23. Worte sind Schall und Rauch

24. Bergfest …?

25. Baustopp II

26. Schlimmer geht immer

27. Tideli-tideli…-Töööö!

28. Zurück auf Los I

29. Stockholm-Syndrom

30. Bitte nicht nach Waterloo

31. Schlechte Nachrichten

32. »Bauherr« kommt von »Herrscher«

33. Schlechter Rat ist teuer

34. Zurück auf Los II

35. Ghostbusters!

36. Zurück auf Los III

37. »Egal, ich lass das jetzt so«

38. Ein »Jaro«

39. Anfängerfehler: Begeisterung zeigen

40. Jetzt bloß die Nerven behalten!

41. Landnahme

42. Da kommt noch was

43. Happy End

Danksagung – Zu irgendwas ist alles gut!

Quellen

Diese Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Darüber hinaus ist jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sowie realen Geschehnissen und Dialogen rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Für meinen Mann und Waffenbruder.

O wie glücklich ist der,
dem Vater und Mutter das Haus schon
wohlbestellt übergeben.

Goethe

Vorwort

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Liebe Leserin, lieber Leser!

Wenn jemand ein Buch schreibt, dann gibt es dafür meist zwei denkbare Gründe. Entweder man hat etwas außergewöhnlich Tolles erlebt oder getan – oder etwas äußerst Unerfreuliches.

Bei der ersten Variante wäre man als Leser oft selbst gern dabei gewesen, über die zweite liest man lieber nur. Es ist nämlich oft spannend, wie andere Leute so durchs Leben stolpern, manchmal sehr lustig und mitunter auch noch lehrreich. »Teufel auch!«, habe ich selbst auch schon oft vom Sofa aus gedacht: »Was manche Menschen so alles erleben …!«

Trotzdem hielt ich es erst für einen Scherz, als mein Mann Max vor ein paar Jahren in einer lauschigen Sommernacht plötzlich die fixe Idee hatte, dass ich ein Buch über unser Baudesaster schreiben könnte.

»Ha!«, rief ich – »Da würden mir auch gleich auf Anhieb ein paar passende Titel einfallen! Wie wäre es mit diesem: Wie Sie ein Haus bauen und dabei im Nullkommanichts Ihr Leben ruinieren – 100 Tipps von der Expertin! Oder wie wäre es mit: Wenn der Bauherr zweimal klingelt …? Ein furioser Racheroman! Oder … ich hab’s, halt dich fest: Das Schweigen der Hämmer! Das würde schön bedrohlich klingen, jedenfalls in Bauherrenohren …«

»Nein, echt jetzt«, meinte mein Mann, »das ist doch eine unglaubliche Geschichte!«

»In der Tat«, entgegnete ich, »aber wenn sich die Katastrophen so dermaßen häufen, dann wirkt es leider gelogen, wenn man das liest. Sogar ich selbst kann es kaum glauben, dabei war ich ja täglich dabei! Im schlimmsten Fall halten uns die Leser auch noch für komplette Vollpfosten, was ich sogar gut verstehen könnte. Dann benutzen sie das Buch aber höchstens, um es unter eine wacklige Fensterbank zu klemmen oder eine kleine Lücke im Mauerwerk zu schließen. Oder um es nach ihren Handwerkern zu werfen.«

Mein Mann zuckte mit den Achseln. »Sie halten uns nur so lange für Vollpfosten, bis sie selber bauen. Allein die Sache mit dem Architekten …!«

»Oh Gott … bitte nicht weiterreden, sonst bekomme ich sofort wieder Schüttelfrost. Ich habe ein Trauma! Sag den Namen des Architekten, und ich fange augenblicklich wieder an zu heulen. Ich dachte, er wäre unsere Rettung – und nicht der Zementschuh, mit dem wir in die Ruhr geworfen werden! Brrrr! Ehrlich gesagt wundert mich auch ein bisschen, dass du so große Lust hast, nach diesen ganzen Katastrophen auch noch als Bauhonk in die Literaturgeschichte einzugehen. Oder dachtest du an eine Geschichte unter Pseudonym? Ein Buch mit einem Foto von uns hinten auf dem Umschlag, mit dicken schwarzen Balken vor den Augen – was natürlich ziemlich gut zur Geschichte passen würde – und darunter: M. und A. Honk, Bauopfer, Name geändert?«

»Nee«, sagte mein Mann und nippte nachdenklich an seinem Weinglas. »Es müsste darüber hinausgehen. Ein Buch, das wir selber auch gern gelesen hätten: spannend, witzig und lehrreich.«

Und – zack – hatten wir ein neues Projekt, bei dem ich die ganze Arbeit machte und abends meinen Mann fragte, ob sie brauchbar sei. So war das bei der Haussanierung nämlich auch gewesen. Aber gut.

Hier ist es also, das Buch: für Sie! Eine Baugeschichte für Tragödienliebhaber, Komödienfans, Katastrophenvoyeure, für meine Freunde der Bauherrenselbsthilfegruppe Ruhrgebiet i. G. und alle anderen Bauopfer da draußen, für die Baufachleute, die auf der Gegenseite spionieren wollen, und alle, denen es ein Trost sein mag, dass es bei ihnen selbst vielleicht doch nicht ganz so schlimm war, und – last, not least: all die mutigen Paare, die heutzutage noch bauen wollen!

Weil Sie keine Geduld haben, auf das günstige, katastrophenfreie Haus aus dem 3-D-Drucker zu warten. Oder weil Kinder unterwegs sind, oder die Gelegenheit günstig, oder weil es halt einfach genau jetzt sein muss.

Jetzt, wo Sie gerade so glücklich sind. Denn das ist doch sicher ein guter Zeitpunkt, noch schnell Ihr Vermögen zu versenken, solange es dafür, wenn schon keine ordentlichen Häuser, dann doch wenigstens noch ordentliche Abenteuer gibt. Das verstehe ich nämlich sehr gut.

Wenn Sie zu diesen Paaren gehören, dann bügeln Sie jetzt mal zügig die Falten aus ihren Superman- und Superwoman-Kostümen, konzentrieren Sie sich und legen Sie Ihre Notizzettel bereit. Man lernt nämlich nicht nur aus eigenen Fehlern, sondern auch aus denen anderer Leute. Jeder, der unsere Geschichte gelesen hat, wird es deshalb schon beinahe zwangsläufig besser machen als wir. Und das ist wirklich schon mal ein ziemlich guter Anfang.

Jetzt geht es aber los. Schnallen Sie sich an und genießen Sie die Reise. Es geht ja nicht um Sie!

Noch nicht.

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Kennen Sie diese herzerwärmenden Phasen im Leben, in denen alles irgendwie gut ist? Ich meine diese goldenen, kleinen Flow-Phasen. In denen man nichts will, was man gerade nicht hat – und auch nichts hat, was man gerade nicht will. Wo’s halt einfach mal läuft. Und man sich fast gar nicht traut zu atmen, weil ja solche Momente der stillen Balance eher scheu sind und bei der kleinsten Situationsveränderung im Unterholz verschwinden, als wären sie nie da gewesen.

Ich weiß nicht, ob es ein Naturgesetz ist, aber sobald sich mein Leben mal anschickt, eine Weile derart geschmeidig vor sich hin zu tuckern, springt es auch schon wieder aus dem Gleis. Wann immer ich auch nur ganz heimlich etwas denke wie: »Ach – so kann es jetzt mal eine Weile weitergehen«, kotzt wenig später der Hund auf den Teppich, eines unserer Kinder steht fieberrot im Türrahmen, ich bekomme einen Hexenschuss oder das Auto geht kaputt – irgendwas in dieser Richtung.

Deshalb hätte ich vielleicht gewarnt sein können, als mein Mann und ich eines Abends nach einem sehr gefügigen Tag beisammensaßen und er plötzlich rief: »Das ist es!«

Mein Mann hatte bis zu diesem Moment still und friedlich auf seinem Tablet vor sich hin getippt, während ich mich auf die heute-show freute. Die Aussichten für das Wochenende waren bestens: Es war nichts liegen geblieben, was erledigt werden musste, und wenn vielleicht doch (bestimmt!) – dann jedenfalls nicht dringend. Unsere beiden Söhne waren entspannt, zufrieden und ohne plötzliche Krankheitssymptome eingeschlafen. Es war nichts absehbar, was uns die bevorstehenden Tage versauen könnte, und ich zermarterte mir auch über nichts den Kopf, was ja bei vielen Frauen, jedenfalls bei mir, nicht so oft vorkommt.

Solche Momente des inneren und äußeren Friedens sind kostbar und selten, das weiß jeder, der schon eine Weile gelebt hat. Meistens sind sie auch schnell vorbei. Umso schneller, wenn Überraschungen und Irritationen zum Alltag gehören, wenn man also zum Beispiel in einem Notfallberuf arbeitet oder in der Beschwerdestelle eines Callcenters oder, was aus meiner Erfahrung ähnlich gelagert ist: Kinder hat, einen sturen Hund, eine freilaufende Katze und einen Ehemann, der abends noch ein bisschen im Internet surft und von der Sofaecke aus – Heureka! – neue Kontinente entdeckt. Vielleicht auch nur ein neues Rasenmäher-Roboter-Modell oder eine zündende Inspiration für den nächsten Urlaub, was etwas wahrscheinlicher war.

»Hm …?«, machte ich.

»Ich habe unser Haus gefunden!«, sagte mein Mann.

Tschaka – das meine ich mit Naturgesetz! Meine magische Flow-Phase verschwand grußlos, um lieber eine andere Familie glücklich zu machen, und an ihrer Stelle stand bei uns ein hässlicher, alter Unruhestifter im Raum, den ich für längst überwunden, begraben und vergessen gehalten hatte: der Hauswunsch. Ein schlimmer Gespräche-an-sich-Reißer, ein Wochenende-Ruinierer, ein Kostbare-Lebenszeit-Vernichter, ein übler Anlass für demütigende Bankberatungsgespräche, lästiger als ein Tinnitus immerzu rufend: »Mensch – hast du in deinem halben Arbeitsleben mit seinen unzähligen Fünfzig-Stunden-Wochen wirklich noch nicht einmal genug Geld zusammengespart, um dir dein eigenes kleines Dach leisten zu können, unter dem dich niemand so leicht hervorziehen und auf die Straße werfen kann?«

»Oh nein!«, wisperte ich. »Bitte nicht!« Aber mein Mann drehte mir bereits schwungvoll seinen Bildschirm zu. Darauf war in fetten Buchstaben zu lesen: Traumhaus für Altbaufans …!

»Um Got-tes will-len! ›Für Altbaufans‹? Und auch noch mit drei Pünktchen und Ausrufezeichen dahinter? – Auf keinen Fall!«, rief ich und wandte mich wieder dem Fernseher zu.

»Ich les nur mal vor, ja? «, beharrte mein Mann.

»Danke, nicht nötig! Ich sehe es klar und deutlich vor mir.«

Ich warf einen befremdeten Seitenblick auf meinen Mann, der weiter konzentriert auf seinen Bildschirm sah. Grundsätzlich finde ich es sehr schön, wenn ich dann und wann noch gänzlich unbekannte Seiten an ihm entdecke, obwohl wir uns schon so lange kennen. Aber dieses Feld war wirklich abgearbeitet. Dachte ich jedenfalls.

Nachdem mein Mann drei Jahre zuvor eine neue Stelle im Ruhrgebiet angenommen hatte, hatten wir nämlich geschlagene zwei Jahre lang gemeinsam den Immobilienmarkt der gesamten Region durchkämmt, um ein Haus zu kaufen. Die Idee war uns anfangs ganz naheliegend erschienen, denn wir hatten ein bisschen Geld gespart und wollten mehr Platz und einen Garten – und außerdem die historisch niedrigen Zinsen nutzen. Genau wie all die anderen Menschen, die zur gleichen Zeit ein Haus kaufen wollten. Weil auch sie wahrscheinlich zu wenig Platz hatten, ein bisschen Geld gespart hatten, und einen Garten wollten. Und natürlich die historisch niedrigen Zinsen nutzen.

Aber wenn viele Menschen zur gleichen Zeit das Gleiche wollen, dann wird typischerweise das Angebot irgendwann knapp – und das ist auf dem Immobilienmarkt bekanntermaßen schon länger der Fall. Besonders natürlich in Städten wie München, Hamburg und Berlin, aber eigentlich auch sonst überall, wenn man sich nicht gerade – aufgrund welcher Umstände auch immer – in Vorpommern oder der Region Anhalt-Bitterfeld niederlassen will. Obwohl es da auch sehr schön sein soll. In allen anderen Gegenden aber, sogar im eher mäßig beliebten Ruhrgebiet, ist der Hauswunsch für eine Durchschnittsfamilie seit geraumer Zeit so leicht umzusetzen wie der Kinderwunsch für Paare, die die Vierzig schon ein bisschen hinter sich gelassen haben. Übrigens auch mit ähnlichen Folgen. Man setzt mit zunehmender Verzweiflung nämlich alles daran, es gegen jede Wahrscheinlichkeit doch noch irgendwie zu schaffen.

Entsprechend aufwendig hatte sich unser Haussuchprojekt gestaltet.

Wir hatten erst gedacht, dass wir eben einfach deutlich schneller als all die anderen sein müssten, um bei der Haussuche doch noch zum Zuge zu kommen. Ein Ansatz, der aber lediglich zur Folge gehabt hatte, dass wir in dieser Zeit zu regelrechten Immobilienplattform-Junkies mutiert waren, und die täglichen Bewegungen auf dem Immobilienmarkt verfolgten wie andere Leute ihre Börsenkurse. Wir wurden im Erkennen und Zuordnen von Dächern und Bauformen nach Luftbildern auf Google Earth so gut, dass wir die angebotenen Objekte blitzschnell identifizieren und von außen ansehen konnten, ohne den Anbieter überhaupt erst anrufen zu müssen. Wir hatten Anzeigen aufgegeben (»Familie sucht …«, »Nette Familie sucht …«), Anzeigen von Maklern aufgeben lassen (»Arztfamilie sucht …«, »Professor sucht …«) und ein Netzwerk von Freunden und Kollegen für das Projekt eingespannt: ohne Erfolg.

Wir hatten unser Budget sukzessive um eine sechsstellige Summe erhöht, waren dem örtlichen Heimatverein beigetreten, hatten den Suchradius um zehn Kilometer und Problemlagen erweitert, Grundstücke zum Bauen mit einbezogen und unsere Ansprüche vom Traumhaus zum Nur-Haus zum Auch-okay-Haus zum Es-muss-ja-nicht-für-immer-sein-Haus bis zur Schmerzgrenze gesenkt: vergebens.

Was der Markt noch hergab, war schlichtweg der Rest, den niemand haben wollte. Leider auch wir nicht. Die angebotenen Häuser waren kleiner als die Vierzimmerwohnung, die wir damals bewohnten, oder so groß, dass man die Personalkosten zur Bewirtschaftung des Ganzen am besten gleich mit einkalkulierte. Sie waren so hässlich, dass wir schon bei der Besichtigung Depressionen bekamen, oder so teuer, dass wir schon vor der Besichtigung nicht mehr schlafen konnten. Oder sie waren »für Altbaufans«.

Wer eine Weile auf dem Immobilienmarkt unterwegs ist, der weiß, was das bedeutet. Es ist nämlich so, dass man Immobilienanzeigen lesen und verstehen muss, wie man auch Reisekataloge oder Arbeitszeugnisse lesen und verstehen muss.

Wenn in einer Immobilienanzeige beispielsweise die »sehr zentrale Lage« des Objekts hervorgehoben wird, dann heißt das im Klartext, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit vor oder hinter dem Haus eine Hauptverkehrsstraße verläuft. »Gut angebunden« heißt, dass sich vor dem Haus mindestens eine Straßenbahnhaltestelle befindet – denkbar ist aber auch ein Flughafen. Bei dem Zusatz »Für junge Leute« gibt es im Nebenhaus ganz bestimmt einen angesagten Club oder eine Szenekneipe, und wenn schon in der Überschrift das »gute Viertel« hervorgehoben ist, in dem das Haus steht, darf man getrost davon ausgehen, dass das angebotene Objekt der einzige Schandfleck dieses Viertels ist.

Mein Mann und ich hatten auch einmal eine »ländliche Idylle« besichtigt, deren Zuweg über die letzten drei Kilometer (!) bei Regen nur mit Vierradantrieb befahrbar war und bei Schnee gar nicht. Das nächste Haus war gefühlt fünf Stunden Fußweg entfernt. Trotzdem hatte in der Anzeige nichts Falsches gestanden, denn ländlich und idyllisch fühlte es sich wirklich an.

Der Zusatz »für Altbaufans« wiederum liegt im Immobilienanzeigen-Vokabular höchstens eine Handbreit über dem Zusatz »für Handwerker«. Der Klartext lautet: »Sieht an vielen Stellen wirklich übel aus, was nur mit sehr viel Geld oder gar nicht zu ändern ist. ›Altbaufans‹ zahlen dafür vielleicht trotzdem noch die geforderte halbe Million.« Die wenigen Häuser, die »für Altbaufans« oder ähnlich angepriesen worden waren und die wir trotzdem besucht hatten, aus Angst, vielleicht sonst doch etwas zu verpassen, waren jedenfalls optisch und baulich totale Sanierungsfälle.

Der krasseste Fall war unter dem Titel »Träumendes Dornröschen …!« inseriert gewesen. (Bitte beachten Sie auch hier wieder die verräterischen drei Pünktchen plus Ausrufezeichen!) Der Makler hatte sich wahrscheinlich deshalb in die Märchenwelt geflüchtet, um potenziellen Käufern überhaupt noch irgendeine positive Perspektive aufzeigen zu können. Der Unterschied zur Märchenfigur bestand allerdings darin, dass die Schönheit des Bauobjekts während seines jahrelangen Tiefschlafs keineswegs konserviert worden war. Die meisten Interessenten nahmen schnell wieder Abstand. Wir auch, und zwar, als wir das obere Stockwerk besichtigten und von dort durch ein meteoritengroßes Loch im Boden ins Erdgeschoss schauen konnten. An diesem Punkt war es selbst dem Makler schwergefallen, die Herausforderung rhetorisch überschaubar zu halten – was ihm bei der Feuchtigkeit im Keller (»in dieser Gegend normal«), möglicher Feuchtigkeit in den Außenwänden (»Ausschachten und abdichten – Routinearbeit bei der Altbausanierung«) und dem unvollständigen Parkett (»ja, eine Schande, dass sich hier jemand bedient hat – aber wer kreativ ist, findet hier eine Lösung«) noch gelungen war.

Vor dem Flatterband im ersten Stock war er nur kurz stehen geblieben und hatte das Kinn ein bisschen vorgereckt wie eine Schildkröte, die im Nacken unter dem Panzer irgendwas kribbelt. Er hatte noch etwas gesagt wie: »Die gute Nachricht an dieser Stelle ist: Die Statik ist im Wesentlichen unbeeinträchtigt. Das ist nicht die Regel, wenn ein solches Loch in einer Geschossdecke klafft, aber wir haben das prüfen lassen. Das entsprechende Gutachten ist dem Exposé beigefügt.« Dann hatte er seine Brille zurechtgerückt und uns anschließend aufmunternd zugenickt: »Weiter?«

»Ja, gern, aber nur noch aus Neugier«, hatte ich gesagt. Wir waren ja nicht blind.

»Mein Gott, wer kauft denn so was?«, hatten wir uns nach der Besichtigung gefragt. Wir jedenfalls nicht! Wir hatten nämlich nicht vor, unsere kostbare Lebenszeit mithilfe einer Dauerbaustelle zu verbrennen – und unendlich viel Geld hatten wir auch nicht. Letzteres ist natürlich immer sehr relativ, aber für Liebhaberei war bei uns jedenfalls noch nie Spielraum. Häuser, die mit dem Zusatz »für Handwerker« inseriert wurden  ahnen Sie jetzt schon, was da dahintersteckt? –, sahen wir uns deshalb gar nicht erst an. Erstens sind wir beide keine Handwerker, und zweitens heißen solche Inserate im Klartext: »Achtung: Wirtschaftlicher Totalschaden – aber wenn sich einer findet, der aus der Branche kommt und fünfzig Jahre Zeit hat, dann rechnet es sich vielleicht doch noch.«

Haha, nicht mit uns!

Ja, es gibt schon drollige Geschichten, die man bei der Haussuche erleben kann. Aber nach zwei Jahren war unser Sinn für Humor in etwa so überschaubar geworden wie das magere Angebot an bezahlbaren Häusern im Umkreis von zwanzig Kilometern.

»Ich will unser altes Leben wiederhaben«, hatte ich deshalb vor ziemlich genau einem Jahr abends zu meinem Mann gesagt, »das von vor der Haussuche. Die Art Leben, bei der man am Wochenende mit seinen Kindern Fußball spielt. Ein Leben ohne Immobilienscout und Immowelt. Sogar, wenn das bedeutet, dass wir nie in einem eigenen Haus wohnen und keinen Garten haben und als einzige Menschen in Deutschland nicht von den historisch niedrigen Zinsen profitieren. Diese ganze verrückte, demütigende Sucherei hat nämlich nur einen Effekt: Den, dass wir uns jedes Wochenende mit unseren bedauernswerten Kindern und den immer gleichen, verzweifelten Konkurrenzfamilien durch zu kleine, zu große, zu hässliche und immer unverschämt teure Häuser schieben und dabei auch noch versuchen, bella figura zu machen.«

Und weil das Schicksal oft einfach nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, war uns just in diesem Moment ein Haus angeboten worden. Zur Miete. Aber es war ein prächtiges, großes, altes Haus – und es hatte sogar einen Garten! Zeit für eine völlig neue Betrachtung der Lage!

»Eigentum hat ja nicht nur Vorteile«, hatte mein Mann da plötzlich zu bedenken gegeben, »ein eigenes Haus macht ja auch sehr viel Arbeit.« Und: »Es ist ja vielleicht auch viel klüger, sich hier keine Immobilie ans Bein zu binden.«

Ich hatte erleichtert zugestimmt: »Genau. Man sollte lieber immer schön flexibel bleiben. Außerdem ist Kaufen ja oft auch gar nicht wirklich günstiger als Mieten!«

In diesem Punkt hatte mir ausgerechnet unser netter Bankberater beigepflichtet, der uns zu jener Zeit zum Thema Hauskauf beriet. Herr Felsen hatte unsere Ambitionen auf dem Immobilienmarkt schon einige Jahre verfolgt und in mehreren Fällen abschlägig geprüft. »Das altbekannte Totschlagargument der eigenen ›Rente in Stein‹ und so, das ist ja eine Art Immobilien-Stammtischparole«, sagte Herr Felsen nun angesichts unseres plötzlichen Sinneswandels. Klar – es gebe dieses Argument, dass die Miete eben einfach weg sei, während das Geld, das man ins eigene Haus investiere, das eigene Vermögen wachsen lasse. »Aaaaaber …!«, fügte er hinzu und klopfte dabei mit dem Kugelschreiber nachdrücklich auf den Tisch, »… für Letzteres braucht man ja zumindest schon mal ein Haus, das in seinem Wert perspektivisch eher steigt.« Die Hoffnung auf eine positive Wertentwicklung bestätige sich daher in der Praxis leider viel seltener, als man denken würde. Und wenn, dann wiederum eher in Lagen und bei Häusern, die wir uns wegen des überhitzten Marktes schon jetzt nur unter den größten Anstrengungen würden leisten können. »Quasi mit ziemlich viel Luftanhalten – wenn Sie wissen, was ich meine.« Zur Illustration holte er tief Luft und hielt sie dann an, bis sein Gesicht ganz rot wurde. Darüber ließ er uns dann kurz nachdenken und fügte dann noch etwas unmissverständlicher hinzu: »Es ist ja immer auch die Frage, was einem mehr wert ist: Ein eigenes Haus – oder wie man drin lebt.«

Deutlicher wurde er höflicherweise nicht, aber es war klar, dass wir aus seiner Sicht ein Haus mit viel Wertentwicklungspotenzial und unseren bisherigen Lebensstil bei der derzeitigen Marktlage wohl nie geschmeidig würden kombinieren können. Weshalb sogar mein Mann schließlich sagte: »Ach komm, dann mieten wir eben. Wir brauchen ja auch gar kein eigenes Haus! Wir brauchen ja nur mehr Platz und einen Garten!«

Wir mieteten das angebotene Haus und zogen ein. Und das war gerade erst ein Jahr her.

Eine Kaufanzeige »für Altbaufans…!« war deshalb nicht annähernd das richtige Thema, um mich aus meiner Sofaecke zu heben. Ich wollte die heute-show weitergucken. In dem schönen Haus, das wir – glücklicherweise! – als Mieter bewohnten. Zumal wir in den letzten Monaten noch mal viel praktische Erfahrung darin gesammelt hatten, was einen Altbau so ausmacht. Gerade erst letzte Woche war das Tief »Xaver« durch die Dachpfannen unseres stolzen Gründerzeithauses gefegt, als wären es Dominosteine, und außerdem war ein nasser Fleck an der Wohnzimmerdecke aufgetaucht, um dessen Herkunft sich die Vermieter nächste Woche kümmern mussten.

»Egal, was du gefunden hast, ich bin dagegen«, bekräftigte ich deshalb vorsichtshalber noch einmal, »wir haben jetzt ein Haus und wohnen darin, und das ist völlig in Ordnung.«

Mein Mann sagte: »Guck mal – nur die Bilder!«

»Nein, daaaanke …«, sagte ich mit der Stimme, mit der ich auch unsere Kinder an den Süßigkeitenregalen vor der Supermarktkasse vorbeischleuse: freundlich, aber bestimmt.

Der fremde Mann auf dem Sofa sagte nichts.

»Echt jetzt … wir haben das Thema doch entschieden! Oder nicht?!«

»Hm?«

»Aus meiner Favoritenliste sind alle Immobilienseiten gelöscht! Und ich habe gedacht: für immer!«

»Na ja, für immer …«, sagte er und tippte sich allein durch die Fotogalerie.

Tipp. Tipp.

»Außerdem finde ich unser jetziges Haus auch völlig in Ordnung!«, fügte ich hinzu.

»Ach ja?«, fragte er. »Auch den Schattengarten?«

Ah! Ich hatte in diesem Sommer ein- oder zweimal gesagt, dass ich – »für den Fall, dass wir – irgendwann – noch mal vor der Frage stehen würden, irgendwo ein Haus zu kaufen« – ganz sicher darauf achten würde, ob der Garten in der richtigen Himmelsrichtung läge. Es war nämlich tatsächlich ziemlich ärgerlich, dass wir zwar einen großen Garten hatten, aber leider ohne Sonne. Nur direkt am Zaun zum Nachbarn rieselte durch die dürren Zweige einer riesigen Forsythie manchmal vormittags etwas Sonnenlicht auf unseren dunklen Rasen. Dahin hatte ich ein paarmal einen Küchenstuhl gestellt oder das Schwimmbecken unseres dreijährigen Sohnes Anton. Aber im Grunde war so ein Garten im nördlichen Europa nicht nutzbar, jedenfalls nicht, wenn wir trotz Klimawandels weiter die üblichen Sommer hatten, in denen man sich über jeden einzelnen Sonnenstrahl freute, der sich nur irgend erhaschen ließ. Der Garten war mein wunder Punkt.

»Nee, stimmt«, räumte ich ein, »aber ich habe nicht gesagt, dass ich deshalb jetzt wieder umziehen will. Und erst recht nicht in eine Bastelbude!«

»Das verlangt doch auch keiner«, entgegnete mein Mann.

Tipp.

Ich riskierte einen vorsichtigen Blick. Das Foto auf dem Bildschirm war etwas unterbelichtet und zeigte ein fensterloses Badezimmer mit welligem PVC-Fußboden. Oh Gott.

»Ha! Da hast du es!«, rief ich. »Sieh dir das bitte gut an! – Also, was mich betrifft, habe ich in den letzten Monaten viel über das Thema ›Altbau‹ dazugelernt! Vor allem darüber, was an einem alten Haus so alles kaputt ist. Wir wohnen erst ein Jahr hier – und es ist in den letzten Monaten ständig was kaputtgegangen. Zum Beispiel der Heizkessel – da hast du dich doch ziemlich gefreut, dass wir nur Mieter sind, oder? Erinnerst du dich? Du hast gesagt: ›Wie gut, dass das nicht unser Haus ist!‹ Und ich habe mich, ehrlich gesagt, ziemlich gefreut, dass ich nur die Vermieterin anrufen musste. Wenn wir uns selbst hätten kümmern müssen, dann würden wir wahrscheinlich jetzt noch mit Mützen auf dem Sofa sitzen! Außerdem ist keine Reparatur glatt durchgelaufen, und alle paar Monate ist irgendwas Neues zu beheben: Feuchtigkeit im Eingang, verstopfte Regenrinnen, verzogene Türen, kaputte Heizung, undichte Fenster, lockere Gesimssteine – sonst noch was? Ach ja: das Dach! Nee … ich BIN gar kein Altbaufan mehr – schon gar nicht als potenzielle Eigentümerin, die selbst die Handwerker rufen muss.«

»Hm-hm«, sagte mein Mann. »Aber sieh dir mal das an …«

»Schluss! Geh wech!!!«, rief ich und drohte ihm mit einem Sofakissen.

»Tut mir leid, aber das ist unser Haus«, sagte er und tockte mit dem Finger auf das Foto, das nun auf dem Bildschirm zu sehen war. »Wirklich jetzt. Das ist genau das, was wir immer wollten.«

Er meinte es ernst. Ich linste erneut auf seinen Bildschirm. Wie die meisten Menschen kann ich mich Worten und Texten problemlos verweigern, wenn ich will. Bei Bildern funktioniert das fast nie. Das Bild, das auf dem Tablet zu sehen war, war von der Gartenseite aufgenommen und zeigte eine hübsche, etwas mitgenommene zweistöckige alte Villa mit einem Dach wie ein Seppelhut, aus dem statt Gamsbart ein Schornstein ragte. Mein Mann hatte recht: Ein Haus wie dieses hatten wir immer vergeblich gesucht.

»Awwww … nee jetzt, oder?!«, jaulte ich und ließ mich rücklings aufs Sofa fallen.

»Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm«, sagte mein Mann, »lass es uns einfach nur mal ansehen.«

Ich konnte quasi hören, wie sich mit diesem Satz unsere Anspruchsschraube nach einem Jahr Enthaltsamkeit noch einmal quietschend um eine weitere, entscheidende Etage senkte. War ein eigenes Haus nicht doch etwas ganz anderes? Schließlich hatten selbst Nomaden ein eigenes Zelt.

»Wie scheiße ist das denn jetzt bitte??«, stöhnte ich und fixierte die Zimmerdecke. Vor nicht einmal zwei Monaten hatte ich die letzten Umzugskartons ausgepackt und entsorgt. (Verschenkt! Hatte ich die Nummer des Abholers eigentlich gespeichert?) Ich war auch echt stolz gewesen, dass nicht noch in fünf Jahren volle Kartons im Keller stehen würden, was bei uns durchaus schon vorgekommen war. »Kennst du diese Momente im Leben, in denen man das unbestimmte Gefühl hat, höhere Mächte wollten sich über einen lustig machen?«, fragte ich.

»Nur noch dieser eine Versuch, ja …?«, sagte mein Mann zärtlich.

»Aber echt das allerletzte Mal!!«

»Versprochen«, nickte mein Mann und klickte beschwingt auf die Option »Anbieter kontaktieren«.

Wir rückten im Immobilien-Monopoly also wieder zurück auf »Los«. Denn wie heißt es so schön: »Ein jegliches hat seine Zeit«, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

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Das Phänomen der Hausmiete, das wir in den vergangenen Monaten in den höchsten Tönen gelobt hatten, weil es so praktisch, bequem, risikofrei und flexibel war, schien vor allem meinem Mann plötzlich wieder ein Zustand zu sein, der auf keinen Fall von Dauer sein konnte – ein misslicher, den Umständen geschuldeter Übergangszustand, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Vielleicht hat der Hauswunsch doch mit dem Y-Chromosom zu tun, Sie wissen schon: Haus bauen, Sohn zeugen, Baum pflanzen. Die Idee, dass das Haus auf dem Bild unser Haus werden könnte, beflügelte meinen Mann jedenfalls dermaßen, dass er am nächsten Tag sofort bei der Maklerin anrief.

Wie erwartet, war die Nummer ständig besetzt. Als er sie endlich erreichte, war sie schwer genervt: »So was habe ich überhaupt noch nicht erlebt«, hörte ich mit. »Mindestens hundert Anrufe« habe sie schon bekommen – »und das am Wochenende!«, klagte die Maklerin. Ihre Mailbox sei schon seit Stunden voll, aber zum Abhören komme sie fast gar nicht, weil es ja ständig klingeln würde. Sowieso hätten viele Anrufer ja sogar mehrfach angerufen – es sei ein geradezu »aggressives Interesse« zu bemerken. »Als sei das Haus quasi umsonst!«

Auch mein Mann war einer dieser aggressiven Mehrfachanrufer gewesen, und das Haus war gemessen an den hiesigen Grundstückspreisen tatsächlich fast umsonst. Aber das sagte mein Mann der Maklerin am Telefon natürlich nicht. Eigentlich musste sie das ja auch wissen. Mein Mann entschuldigte sich erst mal so grundsympathisch für die Störung, dass ich kurz darüber nachdachte, ob wir vielleicht längst Hauseigentümer wären, wenn mein Mann die Anrufe bei den Maklern schon früher übernommen hätte. Angerufen hatte bei unserer zweijährigen Haussuche nämlich immer ich.

Er erfuhr auch immerhin bereits am Telefon, dass es einen »gewissen Sanierungsstau« gebe, und das Haus zudem seit drei Jahren leer stehe. »Es gab da eine etwas kompliziertere Erbschaftsauseinandersetzung«, deutete die Maklerin an. Weiteres werde sie gern beim Besichtigungstermin erläutern. Montag werde sie das Haus dem ersten Schwung ernsthafter Interessenten präsentieren. Und dazu dürfe sie uns wohl zählen, nicht wahr?

Aber sicher.

Das gab uns Zeit, unsere Hausaufgaben zu machen. Denn eines ist ja wohl klar: Glückliche Leute ziehen nicht um. Zumindest nicht, wenn sie nicht müssen und genug Platz und einen Garten haben. Und schon gar nicht, wenn sie gegen einen Hauskauf noch vor Kurzem sehr gute Argumente hatten, wie wir. Deshalb hatte ich bereits die erste schlaflose Nacht absolviert, bevor wir unser (?!) Haus überhaupt nur gesehen hatten.

»Wenn wir so schnell bereit sind, angesichts einer einzigen Anzeige alles über den Haufen zu werfen und wieder umzuziehen, dann haben wir beim letzten Umzug einen dicken Fehler gemacht«, sagte ich nach dem Frühstück.

»Was meinst du?«, fragte mein Mann.

»Na ja, ich dachte heute Nacht an die Weinzierls. Wir sind nicht viel besser, wenn wir jetzt wieder ausziehen wollen, oder?«

Die Weinzierls waren ehemalige Nachbarn von uns, über die wir vor nicht allzu langer Zeit noch den Kopf geschüttelt hatten. Sie waren nämlich nach einem Jahr wieder aus ihrem neuen Haus ausgezogen. Einem Haus, für das sie sich Jahre lang durch Behörden- und Genehmigungswahnsinn gekämpft hatten und das sie selber gebaut hatten. Und das außerdem traumhaft war.

Als sie zur Besichtigung eingeladen hatten, war das neue Zuhause völlig zu Recht von allen Besuchern mit vielen »Ahs« und »Ohs« bewundert worden. Es war eines der schönsten Häuser, die ich je gesehen hatte. Man konnte darin überall sehen und fühlen, dass die Bauherren hier einen Traum verwirklicht hatten. Direkt an das Grundstück grenzte ein Naturschutzgebiet mit einem kleinen See, an dem in der Dämmerung Kraniche landeten. Als wir das von der Terrasse aus hatten beobachten dürfen, ein halbes Jahr nach dem Einzug der Weinzierls, hatte ich überwältigt bemerkt: »Unglaublich! So nah an der Stadt – und doch wie im Urlaub!« Die Hausherrin hatte darauf allerdings nur stumm genickt und sich Weißwein nachgegossen.

Warum sie bei der Einweihungsfeier so verhalten gewesen war, das hatten wir erst später gehört. Das Problem war hier nicht das Haus. Sondern die Lage. Während Frau Weinzierl fünfzehn Jahre lang mit dem Fahrrad zum Einkaufen gefahren war, war ihr nach dem Einzug plötzlich klar geworden, was es bedeutete, wenn man für jede Milchtüte ins Auto steigen musste. Das Haus lag nicht wirklich einsam – aber es gab keinen Supermarkt, keinen Kiosk und auch keine Tankstelle in der Nähe. Die Kinder mussten seit dem Umzug mit dem Bus in die Schule fahren, und ein Bummel im nächstgelegenen Ort war halt nur noch mit Anfahrt möglich. Also selten. Das muss man wollen. Leider hatte darüber aber niemand vorher richtig nachgedacht. Ergebnis: Obwohl die Weinzierls de facto nur zwanzig Minuten von ihrem bisherigen Wohnort entfernt lebten, kamen sie sich im neuen Haus plötzlich vor wie im Exil. Das Haus war fantastisch, aber die arme Gastgeberin musste sich Haus und Garten leider schon bei der Einweihungsparty schöntrinken.

Es war deshalb zwar ungewöhnlich, aber konsequent, dass die Weinzierls kurze Zeit später Hals über Kopf wieder verkauften, als plötzlich ein Haus in ihrer alten Nachbarschaft frei wurde – und dann mit wehenden Fahnen wieder zurückzogen. Das neue Haus war lange nicht so atemberaubend wie das, das sie verlassen hatten. Was auch nur schwer möglich war. Aber für die Familie war die Welt wieder im Lot. Alle fuhren wieder mit dem Fahrrad, und abends gingen sie mit dem Hund im Ort spazieren. Ihr »Traumhaus«, die Idylle und die Kraniche vermissten sie nicht einen Tag.

»Na ja, ich habe gehört, die beiden haben einen ganz guten Schnitt gemacht mit dem Verkauf ihres Hauses«, meinte mein Mann.

»Das glaube ich sofort«, sagte ich. »Aber sie haben fast vier Jahre gebraucht, bis es fertig war. Stell dir mal vor, wie das ist, wenn du erst im Haus feststellst, dass der ganze Stress für die Tonne war … und dass du wieder verkaufen willst! Wenn du nur darauf guckst, wie gut sie ihr Haus losgeworden sind, dann ist das, als würdest du eine gescheiterte Ehe nur danach bewerten, ob die Beteiligten geschmeidig aus der Sache rausgekommen sind. Aber der geplatzte Traum und alles – darum geht es ja eigentlich. Davon abgesehen haben wir viel weniger Geld als die Weinzierls. Wenn wir ein Haus kaufen, in dem wir dann unglücklich sind, können wir nur die Schönredemaschine anwerfen und Geld für das nächste Leben sparen.«

»Okay«, sagte mein Mann und ließ seine Zeitung sinken. »Wenn ich dich richtig verstehe, dann machst du dir Sorgen, ob wir das richtige Haus kaufen, oder?«

»Genau, habe ich doch gesagt«, sagte ich beleidigt.

»Es ist das richtige Haus«, konstatierte mein Mann.

»Aber das haben wir bei diesem Haus auch gedacht, deshalb finde ich, dass wir diesmal besser nachdenken sollten«, erwiderte ich.

»Habe ich schon. Wir machen diesmal einfach alles genau umgekehrt«, sagte mein Mann.

»Wie jetzt?«

»Wir wollten nie in diesem Viertel wohnen, wir wollten eigentlich nicht mieten, wir wollten keinen Schattengarten, wir fanden die Bundesstraße zu nah und die direkten Nachbarn von Anfang an nicht besonders sympathisch. Fazit: Das Haus ist schön – alles andere ist falsch gewesen. Gerade nicht so falsch, dass wir richtig unglücklich wären, aber auf jeden Fall so falsch, dass wir dieses Haus nie kaufen würden, oder? Und bei dem Haus aus der Anzeige ist es wahrscheinlich andersrum: das richtige Viertel, Sonnengarten, kleine Straße und die direkten Nachbarn hoffentlich sympathisch – aber dafür ist das Haus eben total rott …«

Ich sah ihn entgeistert an.

»War ein Sche-herz!«, rief er lachend, als er meinen Blick sah.

»Was? Welches Haus ist total rott?«, hörte ich aus dem Flur. Unser dreizehnjähriger Sohn Patrick streckte seinen Kopf durch die Tür: »Das neue?«

»Ja, das neue«, sagte mein Mann.

»Echt jetzt?«

Anders als erwartet waren Patrick und sein kleiner Bruder Anton von der neuen Hausperspektive – Jaaa! Ein Haus, das uns wirklich gehört! – beim Frühstück ganz begeistert gewesen, obwohl ja auch sie gerade erst umgezogen waren. Wenn man gar nicht erst wartet, bis sich die Kinder eingelebt haben, zieht es sich offenbar deutlich entspannter noch mal um, hatte ich erleichtert gedacht. Der Zeitpunkt hatte also auch Vorteile.

»Das neue Haus ist rott?«, fragte Patrick jetzt allerdings noch einmal und blickte skeptisch von einem zum anderen.

»Sche-herz«, wiederholte mein Mann. »Wir wissen es noch nicht, wir sehen es uns ja erst noch an.«

»Und wenn es wirklich total schlimm ist, was machen wir denn dann?«, fragte ich, »sanieren wir dann etwa?«

»Warte doch erst mal ab«, entgegnete mein Mann, »außerdem: Wenn der Zustand zu schlimm ist, dann reißen wir es ab und bauen einfach ein Fertighaus. So schön es auf den ersten Blick aussieht – es ist wirtschaftlich vor allem deshalb interessant, weil es ein großes Grundstück ist, verhältnismäßig günstig und genau da, wo wir immer wohnen wollten. Du weißt doch: Lage, Lage, Lage! – Die drei Kriterien für einen guten Immobilienkauf.«

Stimmt, das hatten wir uns während der Haussuche immer wieder gesagt. Seltsam genug, dass wir das nicht mehr beachtet hatten, als es darum ging, ein Haus zu mieten. Da waren wir dann ohne zu zögern in ein Viertel gezogen, das wir bei unserer Kaufsuche kategorisch ausgeschlossen hatten. Wir hatten uns einfach gesagt: »Das Viertel ist eines der beliebtesten der Stadt«, und: »Wir mieten ja nur.« Was beides richtig war. Aber die Sache eigentlich nicht besser machte. Wer im Urlaub gern am Strand liegt, der wird ja auch nicht plötzlich in den Bergen glücklich, nur, weil andere so gern hinfahren und das Angebot so günstig ist.

Das Ergebnis war, dass wir jetzt gern wieder weiterziehen wollten. Wie die Weinzierls.

Während ich die Spülmaschine einräumte, dachte ich an Tucholsky. (Ja, so was passiert einem manchmal beim Haushaltmachen. Man kann überall an Tucholsky denken, auch an der Spülmaschine.) Von Tucholsky also stammt der Satz: »Leben ist aussuchen. Man suche sich nur aus, was einem adäquat und erreichbar ist, und an allem anderen gehe man vorüber!«

Ein weiser Rat – aber in der Praxis leider nur in den seltenen und eindeutigen Fällen brauchbar, in denen man schon weiß, was adäquat ist, bevor man es erreicht – und viel wichtiger noch: was nicht.

»Weißt du, womit der Weg in die Hölle gepflastert ist?«, fragte ich, als ich wieder ins Wohnzimmer ging.

Mein Mann blickte von seiner Zeitung auf. »Mit guten Vorsätzen?«

»Und Interpretationsspielraum!«, ergänzte ich.

»Aha?«, fragte mein Mann verwundert.

»Bitte versprich mir: Wenn es auch nur den kleinsten Grund gibt, das Haus als nicht passend für uns anzusehen, dann bleiben wir, wo wir sind. Es muss wirklich der perfekte Ort für die nächsten fünfzig Jahre sein, okay?«

»Ja, was denn sonst?«, erwiderte mein Mann.

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»Hoffentlich ist nicht wieder diese sympathische Familie mit den drei hübschen, blonden Kindern bei der Besichtigung«, sagte ich, als ich zwei Tage später zu meinem Mann und Anton ins Auto stieg.

In den zwei Jahren unserer offiziellen Haussuche hatten sich unsere Wege immer wieder mit denen derselben Familien gekreuzt. Wahrscheinlich hätten wir alle ein schönes Fest zusammen feiern können, wenn wir nicht zufällig erbitterte Konkurrenten bei der Haussuche gewesen wären. Wir hatten nämlich offenbar alle einen ähnlichen Geschmack, einen ähnlichen Platzbedarf und ein ähnlich begrenztes Budget. Wegen dieses unglücklichen Umstands hielt sich die tatsächliche Kontaktaufnahme in überschaubaren Grenzen.

»Diese Familie mit den drei Kindern ist bei Besichtigungen immer meine Angstfamilie gewesen. Ich habe jedes Mal gedacht: Wenn wir ein Haus wollen, das diese Familie auch kaufen will, dann kriegen wir es nicht. Schon allein, weil wir ein Kind weniger haben«, sagte ich.

»Vielleicht ist das ein Vorteil – womöglich kriegen wir es gerade, weil wir nur zwei Kinder haben. Und wir können noch einen Hund und einen Kater vorweisen.«

»Bloß nicht, Max! Kein Wort über den Kater! – Weißt du noch, was für eine Hölle bei Birgit und Gianni losgebrochen ist, als den Nachbarn plötzlich klar wurde, dass sie einen Katzenzaun bauen wollen?«

Unsere Freunde Birgit und Gianni hatten vor einem Jahr ein Haus kaufen wollen und hätten es auch bekommen, wenn Birgit nicht bei einem harmlosen Kennenlernplausch mit den Beinahenachbarn erwähnt hätte, dass sie einen alten, halb blinden Kater besaßen, zu dessen Sicherheit sie den Garten einzäunen würden, wegen der benachbarten großen Straße. Die Nachbarn hatten dem Verkäufer daraufhin Fotos von Katzenzäunen aus dem Internet geschickt, die nahelegten, dass das Grundstück ungefähr so aussehen würde wie die Freianlage eines Hochsicherheitsknasts, wenn dieser Zaun errichtet würde. »Wollen Sie uns das zumuten?«, hatten sie geschrieben. Und das war’s dann gewesen mit dem neuen Haus.

»Ach ja, stimmt«, sagte mein Mann: »Hund und Kater lassen wir lieber außen vor. Oh Gott – guter Hinweis. Aber jetzt: Augen auf! Wir sind gleich da.«

Die Straße zum »Traumhaus für Altbaufans« führte einen recht steilen Hügel hinauf. Hanglage – das hätte ganz zu Beginn unserer Suche vor drei Jahren in meiner persönlichen Hausbewertung sofort einen Minuspunkt gegeben. Zum einen aus genetischen Gründen, denn einige meiner Vorfahren kommen aus Holland, zum anderen, weil mein Fahrrad keine Gangschaltung hat. So streng war ich aber längst nicht mehr, denn im südlichen Ruhrgebiet geht es ständig auf und ab, als hätte jemand die Landschaft schon mal zerknüllt und dann wieder ein bisschen glatt gestrichen. Der Vorteil der hiesigen Hanglagen ist zudem, dass sich von oben sehr oft ein hinreißender Ausblick ins Ruhrtal bietet: eine hübsche Komposition aus erstaunlich grünen Hügeln und Tälern, kleinen Ortschaften und einem unaufgeregt vor sich hin strömenden Fluss. So auch hier. Was den Ausblick betraf, stand unser erstes Urteil deshalb schon beim Einparken fest. Lage: zwölf Punkte. Und zwar von zwölf!

Die Häuser entlang der Straße stammten samt und sonders aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts. Hübsche, zweigeschossige »Kaffeemühlen« mit quadratischen Grundrissen und Satteldach, gebaut auf luftigen Grundstücken mit kleinen Vorgärten, in denen Bergenien und Rosen blühten und die von kleinen Mauern aus dem hiesigen Ruhrsandstein umgrenzt waren. Verzückt liefen wir die Straße hinunter, in der spätestens vor fünfzig Jahren die Zeit stehen geblieben zu sein schien. So unwahrscheinlich das nach all unserer Sucherei auch war – in diesem Eckchen unseres bevorzugten Viertels waren wir tatsächlich noch nie vorher gewesen. Entweder war hier in den letzten drei Jahren noch nie ein Haus verkauft worden oder es war »unter der Hand« geschehen. Jetzt wurde es langsam wirklich interessant.

Leider läuft man auf abschüssigen Straßen aber auch zu fast allen Jahreszeiten Gefahr, sich den Hals zu brechen. Vor allem natürlich im Winter, bei Schnee und Eis, aber auch sonst, wenn ein paar Blätter auf dem Gehsteig zu lang nass geregnet werden – also eigentlich immer, wenn zum Abschüssigen das Rutschige noch dazukommt.

Wenige Meter vor dem Haus glitt mir deshalb plötzlich dermaßen unglücklich der Boden unter den Füßen weg, dass ich rücklings hingeschlagen wäre, wenn nicht der Arm meines Mannes in letzter Sekunde zwischen mich und den Gehweg geschnellt wäre.

Ich bin etwas abergläubisch, wie die meisten Frauen in meiner Familie. Wenn ich kann, vermeide ich es, unter Leitern hindurchzugehen. Ich würde mir keine schwarze Katze kaufen – unser Kater ist getigert. Ich weiß, dass das albern ist, aber ich kann nichts dagegen tun. Es ist vererbt. Wenn meine Mutter auf dem Weg zu einem neuen Haus beinahe gestürzt wäre, hätte sie in diesem Moment auf dem Absatz kehrtgemacht und sich geweigert, das Haus je zu betreten, geschweige denn zu kaufen. So weit würde ich nie gehen. Aber ignorieren kann ich solche Zwischenfälle leider auch nicht.

»Oh Gott…«, dachte ich, »das ist aber jetzt kein gutes Zeichen, wenn du dir schon auf dem ersten Weg zum Haus fast den Hals brichst.«