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© dieser Auflage: Oktober 2019
Coverbild: Wormhole or blackhole, funnel-shaped tunnel that can connect one universe with anotherm © Peter Jurik AdobeStock 118498208
Layout: Sina Blackwood
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Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783750445031
Schon seit Tagen herrschte auf dem Anwesen Professor Doktor John Helmbrechts erhöhte Alarmbereitschaft. Wie zuletzt vor über 20 Jahren.
Damals hatte sich in seinem Vorgarten unvermutet ein Zeitportal geöffnet, welches ein Blockhaus mitsamt den beiden Bewohnern genau in der Mitte des akkurat gekürzten englischen Rasens erscheinen ließ.
Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei dem Mann um den verschollenen Botaniker Andreas Winkler aus Deutschland handelte. Seine Gefährtin Kara hingegen stammte aus einer rund 15000 Jahre entfernten Vergangenheit, in die es Andreas Winkler bei Katalogisierungsarbeiten auf seltsame Weise verschlagen hatte.
Der bekannte Anthropologe Prof. Dr. John Helmbrecht hatte die beiden kurzerhand bei sich behalten und Kara die Identität seiner verstorbenen Enkelin verschafft.
Kaum war Kara im Besitz rechtsgültiger Papiere, nutzte Andreas die Gunst der Stunde, heiratete sie und beide Paare lebten seitdem mit ihren Kindern fast unbehelligt auf dem großen Landsitz.
In den letzten Monaten traten immer wieder Zeit- und Raumanomalien auf, welche die beiden Wissenschaftler mit Sorge zur Kenntnis nahmen. Auch in der direkten Umgebung von Stonehenge, das nur wenige Kilometer entfernt lag, beobachteten Ufo-Freaks seltsame Lichterscheinungen.
Die Kinder hatten von klein auf strikte Order, die direkte Umgebung des Blockhauses zu meiden. Woran sie sich auch stets gehalten hatten. Kara machte seit jeher einen Riesenbogen um dieses Areal, weil sie keinesfalls wieder in ihre alte Zeit zurückwollte.
Das neue Leben in der modernen Welt war manchmal schwierig, aber immer noch leichter und sicherer, als sich jeden Tag neu erkämpfen zu müssen, indem man genügend Nahrung sammelte.
Thomas Winkler und Amy Helmbrecht, nur wenige Monate nacheinander geboren, wuchsen fast wie Geschwister auf. Wo die eine steckte, war der andere garantiert nicht fern. Sie vertrauten sich blind und die zierliche Amy konnte sich felsenfest auf Thomas’ starken Arm verlassen.
Die Väter hatten sich stets abgewechselt, die beiden in die Schule zu bringen und nach dem Unterricht wieder abzuholen. Der Weg war weit und man befürchtete, sie könnten entführt werden, wie es einst mit Kara geschehen war.
Seitdem war das Landgut abgesichert worden, wie eine Festung, zumal sich hier auch hochbrisantes Forschungsmaterial in den Laboratorien im Kellergeschoss befand.
Als Knirps von sieben Jahren hatte Thomas Kung-Fu für sich entdeckt, was allgemein freudig begrüßt wurde. Andreas nahm es seitdem auf sich, ihn zwei Mal pro Woche zum Kampfsportunterricht zu begleiten.
Mit 16 Jahren waren die Kinder in die Geheimnisse um Kara eingeweiht worden. Thomas war sofort im Bilde, warum man seinem Schutz ebenfalls erhöhte Aufmerksamkeit widmete. Schließlich trug er einen interessanten Genpool in sich.
Es wunderte sich also auch keiner, wie rasch sich beide Kinder den Naturwissenschaften zuwandten. Immer öfter halfen sie im Labor und es bestand nie ein Zweifel daran, dass sie die Forschungen ihrer Väter fortführen wollten.
Von Bruno Camarque, dem Entführer Karas und ehemaligem Assistenten Johns, hatte man erst an jenem Tag wieder gehört, als er aus dem Gefängnis entlassen worden war. Danach aber nie wieder.
Das Schicksal seines Mittäters blieb weiterhin im Dunkeln. Der war seit der Flucht nach Spanien verschollen. Camarque hatte damals erklärt, sie seien in verschiedene Richtungen geflohen, als der Camaro mit Motorschaden liegen geblieben war.
Die plötzlichen seltsamen Phänomene um Stonehenge und im eigenen Garten ließen die Erinnerungen bei allen wieder hochkochen.
Ganz Helmbrecht-Cottage wurde in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Andreas installierte zusätzliche Kameras zur Außenüberwachung, John verschärfte die allgemeinen Sicherheitsvorschriften.
Kara ging so weit, nur noch in voller Bewaffnung, sprich mit Machete, Pfeil und Bogen, im Garten zu arbeiten. Wobei sie zusätzlich noch einen beidseitig geschliffenen Dolch in einer Lederscheide am Gürtel trug.
Emilia, Johns Ehefrau, war dafür äußerst dankbar. Sie hätte weder kämpfen noch sich anderweitig verteidigen können. Karas Mut und Können gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit.
Die Wissenschaftler trugen kleine Elektroschocker in der Hosentasche. Thomas verließ sich auf seine Kampfkünste und Amy sich auf ihn.
Bisher hatte es auch keine größeren Zwischenfälle gegeben. So patrouillierten die jungen Leute hin und wieder recht entspannt um das ganze Grundstück, um ungebetene Gäste der pflanzlichen Art aufzuspüren.
Die Aliens, wie man seit vielen Jahren eingewanderte fremdländische Tier- und Pflanzenarten nannte, konnten durchaus die Forschungsarbeiten in den Gewächshäusern gefährden. Das Saatgut, welches Andreas und Kara aus der Steinzeit mitgebracht hatten, musste unter allen Umständen sortenrein bleiben.
Heute war wieder einer jener Tage, an dem Thomas und Amy auf Erkundung gewesen waren. Sie hatten die weiße Villa schon vor Augen und freuten sich auf das gemeinsame Abendbrot beider Familien.
Amy erschrak fürchterlich, als ein Rabe genau neben ihr böse krächzte, weil sie ihn bei seinem Festmahl überrascht hatte. Der tote Dachs, an welchem er herumhackte, war für den Vogel zu groß, um ihn wegtragen zu können, also fraß er sich an Ort und Stelle den Bauch voll.
Thomas war weit davon entfernt, seine Freundin deswegen auszulachen. Er zog sie an der Hand aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. „Sie mögen es nicht, beim Fressen gestört zu werden.“
Amy nickte. Sie hatte einfach nur nach der Ursache des penetranten Gestanks am Teich suchen wollen und keinesfalls mit diesem Anblick gerechnet.
„Woran mag er gestorben sein?“, fragte sie schließlich.
„Das ist die eine Frage“, entgegnete Thomas. „Die andere wäre: Wie kommt er überhaupt hierher? Hier hat es noch nie Dachse gegeben. Wir sollten meinen Vater bitten, eine Analyse zu machen.“
„Falls dann noch was übrig ist.“ Amy zeigte in den Himmel, wo mindestens drei weitere Raben kreisten.
Thomas seufzte. „Dann werde ich mich wohl oder übel, mit dem schwarzen Kerl anlegen müssen, ehe die anderen landen. Bleib hier, im Schutz der Bäume, stehen.“ Thomas zog ein Paar Gummihandschuhe aus der Hosentasche.
Sekunden später tobte das Chaos. Der Rabe, nicht willens, sich seine Beute wegnehmen zu lassen, ging zum Angriff über. Thomas versuchte mühsam, seine Augen vor den gezielten Schnabelhieben zu schützen. Amy riss einen dünnen Ast vom erstbesten Baum und eilte Thomas zu Hilfe. Ihr gelang es tatsächlich, den Raben zu vertreiben.
„Das war knapp“, gab Thomas zu. „Heißen Dank, für deine Hilfe.“
Er packte den stinkenden Kadaver und trug ihn an den Rand der Wiese. Amy rief inzwischen im Labor an, um Thomas’ Vater Bescheid zu geben. Der nahte ein paar Minuten später mit einem großen Plastikbehälter, in welchem der Dachs untergebracht wurde.
Als der Deckel drauf war, atmete Amy tief durch. „Puh, mir ist schon schlecht von dem Geruch.“
„Glaube ich dir gerne“, schmunzelte Doktor Winkler. „Habt ihr sonst noch ungewöhnliche Dinge hier beobachtet?“
Beide schüttelten die Köpfe.
„Nur den Raben“, murmelte Amy. „Und der war wirklich unheimlich.“
Winkler schaute sich um. „Seid bitte so lieb, beobachtet die gesamte Umgebung des Blockhauses, ohne sie zu betreten.“
„Versprechen wir“, sagte Thomas sofort und sein Vater wusste, dass er sich darauf verlassen konnte.
„Er meint, dass sich das Portal geöffnet haben könne?“, mutmaßte Amy.
Thomas nickte stumm.
Abends saßen beide Familien auf der Terrasse und grillten. John, inzwischen 87 Jahre alt, wurde von den drei Frauen besonders verwöhnt, obwohl er recht fit war und man ihn noch immer locker 20 Jahre jünger schätzen konnte.
Amy hing sehr an ihm, denn er hatte ihr stets jeden noch so skurrilen Wunsch erfüllt. Dabei war sie weit davon entfernt, eine verwöhnte Göre zu sein.
Sie studierte emsig, um einmal in seine Fußstapfen treten zu können, während sich Thomas zur Zoologie hingezogen fühlte, nebenbei aber eifrig botanisch tätig war wie sein Vater.
Die Mütter wunderten sich nicht, wenn die Kinder stundenlang mit im Labor hockten und grandiose Dinge erforschten. Die Väter integrierten die beiden schon jetzt fest in ihre Forschungsprogramme.
Auf irgendeine Weise waren Thomas und Amy auch unzertrennlich, ohne stets auf einem gemeinsamen Fleck zu hocken. So auch jetzt. Amy verließ kurz den Grillplatz, um zur Toilette zu gehen, Thomas holte Getränkenachschub aus dem Keller. In der großen Halle der Villa trafen sie aufeinander. Thomas setzte den Kasten ab.
Amy strich mit dem Zeigefinger über Thomas’ Arm. „Ich hatte heute wahnsinnige Angst um dich.“
„Es war in der Tat haarscharf“, gab er zu. „Ohne dich hätte ich echt alt ausgesehen.“
„Bin gespannt, wie du mich wieder besänftigen willst“, seufzte Amy.
„Ich habe eine Idee, die ich sofort in die Tat umsetzen werde, selbst wenn du mir dafür eine runterhaust.“ Er umfasste mit beiden Händen ihren knackigen Hintern, zog sie einfach an seine Brust und küsste sie.
Der erschreckten, aber halbherzigen Abwehrbewegung folgten ein hingebungsvolles Ankuscheln und die Erwiderung der heißen Offerte.
Sie merkten es nicht einmal, dass Thomas’ Vater hereinkam, erstaunt stehen blieb und beinahe auf Zehenspitzen wieder davonschlich. Die anderen schauten ihn fragend an, als er ohne die jungen Leute und ohne Getränke zurückkam.
„Pssst“, machte er. „Sie sind so miteinander beschäftigt, dass ich fluchtartig das Weite gesucht habe.“
„Wie?“, fragte Emilia verblüfft. „Bisher wären sie mit ihrem ganzen Verhalten glatt als Geschwister durchgegangen.“
„Bis der Blitz wohl gerade eben aus heiterem Himmel zugeschlagen hat“, schmunzelte Kara.
John hob die Schultern. „Ich hab nichts dagegen. Ich werde es Amy auch nicht ausreden, wenn sie auf noch engere Tuchfühlung gehen möchte. Ich bin glücklich, wenn die beiden zusammen Spaß haben.“
„Das sehe ich genau so“, blinzelte Andreas. „Deshalb bin ich sofort ungesehen verschwunden. Die beiden sind 20 und damit wahrlich alt genug, um zu wissen, was sie tun.“
Da nahten Amy und Thomas auch schon, mit unübersehbarem Glanz in den Augen.
„Ging nicht eher“, schmunzelte Thomas, die Flaschen auf den Tisch stellend. „Mir ist eine unaufschiebbare Sache mit höchster Dringlichkeitsstufe dazwischengekommen.“
„Und um diplomatische Verwicklungen zu verhindern, hat er sich entschlossen, die Getränkelieferung geringfügig später einzutakten.“ Amy sortierte das Leergut in den freien Kasten.
„Ah, ja!“ Die beiden Elternpaare warfen sich amüsierte Blicke zu.
„Zu meiner Zeit nannte man das noch erste Romanze“, schmunzelte John. „Und wenn es der Geldbeutel hergab, war ein Blumenstrauß fällig.“
Amy warf Thomas einen irritierten Blick zu. Woher wusste ihr Vater nur, was gerade geschehen war?
Doch Thomas tat, als bemerke er das nicht. Er pflückte eine Rose, ging vor Amy auf die Knie und reichte sie ihr mit den theatralischen Worten: „Holde Maid, nimm die Rose zum Zeichen meiner Liebe und schenke mir deine Gunst.“
Amys Augen blitzten, als sie die Rose entgegennahm. „Erhebe dich edler Recke und gewähre mir Schutz und Wärme unter deinem Umhang. Oder war’s die Bettdecke? Na egal. Ach, jetzt ist der Text wieder da! In deinen Armen.“
Die letzten Worte gingen im Gelächter der anderen unter.
„Klare Ansage“, kicherte Emilia.
Kara wischte sich Tränen aus den Augen.
Thomas grinste breit. „Ich fange am besten mit den Armen an, steigere mich bis zum Umhang, um dann ganz eindeutig die Bettdecke anzuvisieren.“
Amy fiel in das allgemeine Gekicher ein. Die Katze war aus dem Sack und niemand hob mahnend den Zeigefinger. Auch, als sie sich etwas später auf der Bank an Thomas kuschelte, schaute niemand pikiert.
„Wir begrüßen es voll und ganz“, verriet Kara. „Inzwischen ist es ja allgemein bekannt, dass ich nicht wirklich mit John verwandt bin und er mich als Enkelin adoptiert hat. Euch stehen also alle Wege offen.“
„Apropos alle Wege offen – gibt es schon Daten über den Dachs?“, hakte Amy sofort ein.
Andreas Winkler nickte. „Ich will aber morgen noch mehr Tests machen, um ganz sicher zu sein. Der Erste besagte, dass das Tier tatsächlich aus einer anderen Zeit stammt.“
„Oh, Shit!“ Thomas wurde blass. „Dann könnte theoretisch hier noch anderes Viehzeug aufkreuzen oder sogar schon herumlaufen.“
„Das befürchte ich auch“, murmelte Vater Winkler.
Thomas nahm Amys Hand. „Auf diesem Stück Land, außerhalb des Hauses, keinen Schritt mehr ohne mich! Falls wieder eine Zeitverschiebung eintritt, wie sie mein Vater erlebt hat, dann will ich wenigstens an deiner Seite sein.“
„Ich schwöre es“, hauchte Amy etwas ängstlich, wobei sie beinahe unbewusst Thomas’ ziemlich ausgeprägtes Sixpack streichelte. Er wäre ganz sicher in der Lage, sie vor allem Möglichen zu beschützen.
Immerhin hatte er erst kürzlich bei den Jugendlandesmeisterschaften im Kung-Fu den vierten Platz von fast 200 Teilnehmern belegt. Den Kraftraum im Keller, sehr zutreffend Folterkammer genannt, nutzte er mehrmals die Woche zusätzlich.
Zudem war er handwerklich genau so begabt wie sein Vater und machte aus den unmöglichsten Abfällen nützliche Dinge.
„Das trifft übrigens auch auf alle anderen zu“, präzisierte Vater Winkler. „Ab sofort gehen bitte alle nur zu zweit aus dem Haus.“
Karas Blick trübte sich. „Ich will nicht mehr in die alte Welt zurück.“
Andreas nahm sie tröstend in den Arm. John zog sein Handy aus der Tasche, schaute ihn fest an und wählte eine Nummer. Nach dem vierten Rufton meldete sich jemand.
„Grüß dich, Riley. Hier brennt die Luft. Wenn du es einrichten kannst, dann bring mir gleich morgen früh deinen Prototyp rüber. Ja, ja, ich kenne die Risiken. Aber lieber die, als das, was jetzt passieren könnte. Klappt? Na bestens! Bis morgen.“
Unglauben in Andreas’ Gesicht, Fragen bei den anderen.
„Es handelt sich um den voll funktionsfähigen Erstling eines Gerätes, mit dem Zeitverschiebungen kompensiert, aber auch simuliert werden können“, erklärte Andreas schließlich, weil John keine Anstalten dazu machte.
„Ein transportables Portal, wenn ich das jetzt richtig interpretiere“, sagte Thomas mehr zu sich selbst.
John nickte. „Das ist korrekt.“
„Und das soll wirklich funktionieren?“, flüsterte Amy mit großen Augen.
„Bei 95 Prozent der bisher getesteten Fälle hat es genau das getan, was es sollte“, ließ sich John vernehmen.
„Und die restlichen fünf Prozent?“
„Sind unkalkulierbares Risiko.“
Thomas schnaufte. „Ich weiß echt nicht, ob ich nun lachen oder heulen soll.“
„Wir auch nicht“, gab Andreas zu, nachdem er mit John einen kurzen Blick gewechselt hatte.
„Seit wann arbeitet ihr daran?“
„Seit über 20 Jahren. Der Durchbruch kam vor drei Jahren, als wir das erste Mal ein Zeitfenster öffnen und mehrere Insekten hierher holen konnten.“
Thomas schüttelte erstaunt den Kopf. „Woher?“
John atmete tief ein. „Aus einer ziemlich weit entfernten Zukunft.“
„Wo habt ihr die?“, fragte Amy sofort.
„Nicht im Institut“, entgegnete John ausweichend.
Amy sprang auf. „Die sind doch nicht etwa hier im Haus???“
Ihr Vater nickte sehr vorsichtig.
„Ich will sie sehen!“
„Ich auch!“, rief Thomas sofort.
„Wir wollen auch mit!“ Kara zeigte auf Emilia und sich.
Andreas seufzte. „Dann bleibt uns ja nichts anderes übrig, als euch die Krabbler zu zeigen. Morgen, bevor Riley kommt.“
Aufgrund der vorgerückten Stunde beendeten die beiden Familien den Grillabend. Thomas und Amy brachten den Servierwagen und die Getränkekiste ins Haus.
Thomas zog, kaum dass sich die Küchentür geschlossen hatte, Amy an sich. „Ich hab verdammte Lust auf andere Sachen, als jetzt ganz brav allein ins Bett zu gehen.“ Seine Hände glitten unter ihren Pullover und modellierten die festen Brüste nach.
„Ich hätte auch nichts gegen eine andere Nachtgestaltung“, flüsterte sie.
Kara klopfte vorsichtshalber an, ehe sie hereinkam. Lächelnd hielt sie einen Moment inne. „Lasst euch nicht stören.“
Die jungen Leute schmunzelten.
„Das ist eine echte Option“, meinte Thomas. „Ich bin morgen pünktlich zum Frühstück am Tisch.“
Kara lachte fröhlich. „Okay. Dann weiß ich zumindest, dass ich keine Vermisstenmeldung aufgeben muss, wenn dein Zimmer heute leer bleibt.“ Sie blinzelte beiden zu und verschwand.
Emilia sah Thomas mit zur Tür hereinkommen und war ebenfalls sofort im Bilde. Unwahrscheinlich, dass die beiden jetzt noch Musik hören wollten.
Sie brauchte sich also nicht zu wundern, wenn morgens plötzlich Handtücher im Gästebad auftauchten. Amy zog Thomas in ihr Schlafzimmer und schloss ab.
„Ich habe keinen Gummi dabei“, gestand Thomas.
Amy kicherte. „Wäre ja auch nicht normal.“
„Stimmt. Der ganze Abend ist alles andere als gewöhnlich“, gab Thomas zu. „Ich kann nur nicht garantieren, dass ich mich wirklich im Griff behalte und wenn, dass nicht trotzdem was passiert.“
„Eigentlich sollten die fruchtbaren Tage noch nicht eingesetzt haben“, erklärte Amy, genießend, wie er ihr Pullover und Jeans abstreifte.
„Und uneigentlich?“
„Werden wir es merken.“
„Tolle Aussichten.“ Thomas schlüpfte aus seiner Kleidung, ohne jedoch die Pants abzulegen.
Amy öffnete ihren BH-Verschluss und fasste nach dem Slip.
„Der bleibt an“, forderte Thomas.
Sie schluckte. „Meinst du das ernst?“
„Todernst, auch wenn ich mich am liebsten völlig zügellos auf dich stürzen würde.“
Amy nahm sein Gesicht in beide Hände. „Selbst, wenn wir noch drei Tage als Sicherheit drauf rechnen, kann nichts passieren. So lange bleibt kein Spermium befruchtungsfähig.“
Dann ließ sie ihre Fingerspitzen langsam über seinen Rücken gleiten, erwischte den Bund der Hose und zog sie ihm einfach aus.
An diesem Punkt übernahm Thomas die Initiative. Er zündete die drei kleinen Kerzen auf dem Tischchen an, löschte die Nachttischlampe und begann genüsslich, Zentimeter für Zentimeter Amys Körper zu erkunden. Wann und wodurch ihr Slip abhandengekommen war, konnten sich beide kurz darauf nicht mehr erinnern.
„Jetzt kann ich endlich den Fressrausch der Haie verstehen“, flüsterte ihr Thomas ins Ohr, weit davon entfernt, seine Position zwischen ihren Schenkeln aufgeben zu wollen.
Amy begann, amüsiert zu kichern. „Guter Vergleich, die haben auch sehr kräftige Schwänze.“
„Ich liebe Komplimente“, schmunzelte Thomas.
„Dann mach mir noch einmal den Hai.“ Amy zog ihn fest an sich und er erfüllte die Bitte nur zu gern.
Kurz vor dem Morgengrauen hauchte er ihr einen Abschiedskuss auf die Lippen. Beinahe lautlos öffnete und schloss er die Türen, als er in seine Zimmer schlich, um noch eine halbe Stunde Schlaf nachzuholen, ehe der Wecker klingeln werde.
„Was? Schon wach?“, staunte Andreas, als er etwas später Thomas den Tisch decken sah. „Oder hast du gleich durchgemacht?“
„Schon wach“, entgegnete Thomas lächelnd. „Du weißt ja, dass ich durchaus zwei, drei Tage ohne, oder mit sehr wenig Schlaf auskomme.“
Amy hingegen wurde erst beim Duschen munter. Dann saß sie so verträumt und selig lächelnd am Tisch, dass sich John und Emilia amüsierte Blicke zuwarfen. Thomas schien mit sehr überzeugenden körperlichen Argumenten aufgewartet zu haben. Seine absolut durchtrainierten Muskeln waren da sicher nur Nebensache gewesen.
„Vaters Erbteil“, witzelte John, der sich lebhaft erinnerte, dass Kara nie ein Geheimnis darum gemacht hatte, warum Andreas für sie der Mann überhaupt war.
Amy grinste breit und hüllte sich in Schweigen, das beinahe noch mehr sagte, als viele Worte. Dann hob sie den Kopf. „Äh, Daddy, hast du einen heißen Verhütungstipp für uns?“
John lachte. „Sicher hab ich das. Inzwischen gibt es eine Pille, die praktisch keine Nebenwirkungen hat. Nicht ganz preiswert, aber echt genial.“
„Interessant!“, rief Amy. „Kommst du ran?“
„Na logisch!“ John zückte das Handy. „Grüß dich, Riley! Bring dann bitte zwei Packungen Xaron 4000 mit! Auf Privatrechnung! Okay! Danke!“
„Und wie hoch ist die?“, fragte Amy vorsichtig.
„2.500“, entgegnete ihr Vater, sich noch ein Sandwich nehmend.
„Heiliger Strohsack!“
John schaute die vergnügt lächelnde Emilia an, zuckte mit den Schultern, dann aß er seelenruhig weiter.
Amy beeilte sich nach dem Frühstück, das Geschirr in die Küche zu tragen, um anschließend ganz pünktlich mit allen anderen hinunter ins Labor zu gehen.
Andreas öffnete ihnen die Tür zum Hochsicherheitsraum. Sie passierten die Luftschleuse und blieben erschüttert stehen.
„Oh, mein Gott“, hauchte Kara.
Amy klammerte sich ängstlich an Thomas. Emilia machte einen Satz zurück und wäre am liebsten geflohen. Mit dem Rücken an der Tür blieb sie wie erstarrt stehen und beobachtete aus unnatürlich großen Augen das, was John und Andreas als Insekten bezeichnet hatten. Alle hatten mit irgendwelchen maikäfergroßen Tieren gerechnet, aber keinesfalls mit dem, was sich hier hinter Panzerglas bewegte.
„Wie groß sind die?“, fragte Thomas schließlich.
„Der Größte und Aggressivste ist über einen halben Meter lang“, antwortete John. „Er hat sich sofort auf seine Artgenossen gestürzt, sodass wir ihn separieren mussten.“
„Falls es wirklich Artgenossen sind“, warf John ein. „Sie sehen zwar alle fast gleich aus, aber das will nichts heißen.“
„Und die sind wirklich aus der Zukunft?“ Amy trat näher an das Terrarium heran. Sofort versammelten sich die metallisch grün glänzenden Monster an genau dieser Stelle. Amy schüttelte sich angewidert. „Ich fühle mich beobachtet.“
Andreas nickte. „Das tun sie in der Tat. Für einen Happen in deiner Größe brauchen sie übrigens nur wenige Minuten.“
Kara lief ein eisiger Schauer über den Rücken und sie zog es vor, sich zu Emilia an die Tür zu flüchten.
„Hat die Größe eine natürliche Ursache?“, hakte Thomas ein und taxierte den Käfer genau vor sich, der aufgeregt mit seinen Mundwerkzeugen zuckte.
John atmete durch. „Definitiv nicht. Diese acht Exemplare sind atomar verseucht, wenn auch nur äußerst gering und gerade noch messbar.“
„Ich möchte raus“, bat Emilia und Kara nickte heftig.
Andreas öffnete ihnen die Schleuse. Beide Frauen atmeten erst auf, als sie den Labortrakt verlassen hatten.
„Ab sofort stecke ich mein großes Messer auch im Haus ein“, schwor Kara. „Das sind gefräßige Ungeheuer! Dabei erinnern sie mich irgendwie an die Minzekäfer, die ich früher immer ins Feuer geworfen habe. Aber die waren nur so klein“, deutete sie mit zwei Fingern an.
Die Türklingel riss sie aus ihren Gedanken und Emilia beeilte sich, Riley hereinzulassen.
„Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen“, schmunzelte der.
„Schlimmer! Wir haben die Käfer gesehen!“, rief Kara.
„Na gut, das kommt tatsächlich fast auf das Gleiche raus.“
Riley machte sich grinsend auf den Weg ins Labor. Amy und Thomas starrten noch immer völlig fasziniert in das Terrarium der Riesenkäfer.
Riley begrüßte alle mit Handschlag, setzte seinen Koffer ab und fragte: „Habt ihr sie schon gefüttert?“
„Wir bereiten es gerade vor“, erwiderte Andreas, eine Hammelkeule aus dem Transportbehälter hievend. Mit einem Elektromesser trennte er ein Drittel ab.
„So viel kriegen die Viecher?“, staunte Amy.
„Falsch“, erwiderte John. „Sie bekommen alles. Das kleine Stück ist für den Monsterkäfer bestimmt.“
„Oh, ha!“ Thomas kratzte sich am Ohr. „Und wie lange sind sie dann satt?“
Andreas zuckte mit den Schultern. „Das ist die Frage. Bei uns bekommen sie einmal pro Woche eine solche Ration. Ob sie satt sind oder auf Sparflamme leben, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.
Irgendwo geht der Spaß ja auch ins Geld. Irgendeinen praktischen Nutzen kann ich zudem nicht absehen, was die Forschung an den netten Tierchen betrifft. Es ist besser, wenn keiner weiß, was wir hier versteckt halten.“
„Das ist wohl wahr!“, pflichtete Riley bei. „Ich plädiere nach wie vor dafür, die Käfer wieder zurückzuschicken.“