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Geheimdienste haben ein schillerndes Image: Es changiert zwischen dem ­Glamour von James Bond, der Verruchtheit von Mata Hari und der Skrupellosigkeit des Mossad. Spione und ihre Organisationen entfalten ihre Macht vor allem im Verborgenen und agieren nicht selten an der Grenze der Legalität. Doch wie gehen Geheimdienste wirklich vor? Wie einflussreich war die Arbeit einzelner Agenten, und wie wandelten sich ihre Methoden mit der Zeit? SPIEGEL-Autoren und Geheimdienstexperten enthüllen in diesem Buch die Geschichte der Geheimdienste von 1500 bis zum Cyberwar der Zukunft. Sie erzählen von spektakulären und gescheiterten Missionen, stellen die berühmtesten Schattenmänner und -frauen vor und zeigen dabei, wie ihre Organisationen seit dem 20. Jahrhundert so mächtig werden konnten wie niemals zuvor.

Uwe Klußmann, geboren 1961, ist seit 1990 Redakteur des SPIEGEL. Von 1999 bis 2009 lebte er als Korrespondent in Moskau. Zu den Schwerpunkten des Historikers gehören die deutsche, russische und sowjetische Geschichte. Bei DVA hat er unter anderem die SPIEGEL-Bücher »Die Hohenzollern« (2011), »Die Herrschaft der Zaren« (2012) und »Die Weimarer Republik« (2015) herausgegeben.

Eva-Maria Schnurr, geboren 1974, ist seit 2013 Redakteurin beim SPIEGEL und verantwortet seit 2017 die Heftreihe SPIEGEL Geschichte. Zuvor arbeitete die promovierte Historikerin als freie Journalistin, unter anderem für »Zeit« und »Stern«. Sie ist Herausgeberin zahlreicher SPIEGEL-Bücher. Zuletzt erschienen »Englands Krone« (2014), »Das Christentum« (2018) und »Als Deutschland sich neu erfand« (2019).

Uwe Klußmann & Eva-Maria Schnurr (Hg.)

DIE MACHT
DER GEHEIMDIENSTE

Agenten, Spione und Spitzel
vom Mittelalter bis zum Cyberwar

Mit Beiträgen von
Cord Aschenbrenner, Georg Bönisch, Sebastian Borger, Simon Garschhammer, Christoph Gunkel, Ruth Hoffmann, Katja Iken, Nils Klawitter, Uwe Klußmann, Torben Müller, Frank Patalong, Marcel Rosenbach, Johannes Saltzwedel, Eva-Maria Schnurr, Michael Sontheimer

Deutsche Verlags-Anstalt

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Die Texte dieses Buches sind erstmals in dem Magazin »Geheimdienste. Von 1500 bis heute: Die Schattenwelt der Spionage« (Heft 5 / 2019) aus der Reihe SPIEGEL Geschichte erschienen.





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Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München
Umschlagmotiv: ©ullstein bild / TopFoto
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
Gesetzt aus der Garamond

ISBN 978-3-641-26154-2
V001


www.dva.de

Inhalt

Vorwort

Wissen ist Macht

Lieber zu viel Furcht als zu wenig

Buchstabendreher

In äußerst heiklen Angelegenheiten

So gut wie 20 000 Soldaten

Die Schöne und das »Fräulein Doktor«

Die Hauptdarsteller

»Verschlissener Raubritter«

Flucht im Postsack

Die Bombe

Der Schattenmann

Rechtsabbieger

Gewaltlabor am Hindukusch

Das Versteckspiel

»In allen Parteien gut vertreten«

Gänseblümchens Tod

Schiffbruch

»Das Orakel von Delphi«

Überwachte Überwacher

Anhang

Buchempfehlungen

Autorenverzeichnis

Dank

Personenregister

Vorwort

Die Arbeit von Geheimdiensten ist geheimnisumwittert, ihr Image changiert zwischen Skandalen und Glamour, dramatischen Morden und spektakulärem Verrat. Fiktionen wie die Figur des James Bond, erfunden vom britischen Ex-Spion Ian Fleming (»Liebesgrüsse aus Moskau«) oder die Romane des einstigen MI6-Agenten John le Carré (»Der Spion, der aus der Kälte kam«) prägen das öffentliche Bild der Auslandsdienste. Darin geht es vor allem um weltläufiges Leben und Abenteuer der Schattenmänner – die tatsächliche Arbeit der Agenten bleibt blass.

Genau in diesem Bereich jedoch stellen sich die aus historischer Sicht spannendsten Fragen: Wie genau gingen die Dienste vor? Welche Methoden nutzten sie? Welchen Beitrag lieferten sie etwa beim Sieg der Alliierten gegen Hitler? Wie wirkmächtig konnte die Arbeit eines einzelnen Spions werden? Und welche Rolle spielten die Nachrichtendienste in den Stellvertreterkriegen des Kalten Krieges?

Antworten geben die Texte in diesem Buch. SPIEGEL-Autoren schildern die geheimdienstliche Arbeit von Spähern und Agenten seit 1500, erzählen von berühmten Spioninnen und Spionen und von spektakulären Aktionen und Fehlern ebenso wie vom analytischen Vorgehen bei der Aufklärung.

Die Spionage gilt als das älteste Gewerbe der Welt. Agenten, Geheimcodes und Lauschangriffe gab es wohl spätestens seit der Antike. Doch erst mit Beginn der Neuzeit ließen Fürsten ihre geheimen Diplomaten systematischer für sich schnüffeln. Die britische Königin Elisabeth I., Zar Peter I. und der preußische König Friedrich II. entsandten professionelle Agenten, die in die Machtapparate ausländischer Monarchen eindrangen. Dem Preußenkönig war die strategische Bedeutung des erschlichenen Wissens klar: »Wüsste man die Absichten des Feindes stets voraus, so wäre man ihm auch mit einer schwächeren Armee überlegen«, schrieb Friedrich II. in seinen »Militärischen Schriften«.

Als die Politik und auch die internationalen Konflikte im 19. und 20. Jahrhundert immer komplexer wurden, wuchsen auch die Nachrichtendienste zu mächtigen Institutionen mit Tausenden von Mitarbeitern. Sie ergänzten Militär und Diplomatie als zunehmend wichtiger Zweig staatlicher Macht. Doch sie konnten nie besser sein als die politische Führung, der sie dienten, erläutert der Potsdamer Historiker und Geheimdienstexperte Sönke Neitzel in einem Gespräch.

Die technischen Methoden der Geheimdienste wandelten sich immer wieder grundlegend. Auf menschliche Schwächen hingegen konnten Spione zu allen Zeiten zählen. So nutzte der deutsche Militärgeheimdienst im Ersten Weltkrieg die holländische Nackttänzerin Mata Hari als Späherin. Sie agierte indes weit weniger erfolgreich, als ihr oft nachgesagt wird, viel geschickter war ihre Führungsoffizierin.

Die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), der Auslandsgeheimdienst der DDR, ließ gezielt attraktive junge Männer die Mitarbeiterinnen bundesdeutscher Ministerien aushorchen. Über die Arbeit der HVA, die mit »Kundschaftern« in der Bundesrepublik »in allen Parteien gut vertreten« war, spricht deren letzter Leiter Werner Großmann in einem Interview.

Obwohl Spione auftragsgemäß im Verborgenen agieren, gelangten einige von ihnen zu Berühmtheit. Unter ihnen ist etwa die Französin Marie-Madelaine Fourcade, die während des Zweiten Weltkriegs für die französische Resistance ein Agentennetzwerk führte und später für den britischen Geheimdienst im von Deutschen besetzten Frankreich tätig war.

Ein anderes Beispiel ist der Deutsch-Russe Richard Sorge, den die Sowjets 1933 nach Japan schickten. Getarnt als Korrespondent der »Frankfurter Zeitung« bekam er in der deutschen Botschaft in Tokio Zugang zu geheimen Informationen über die Kriegspläne der Nazis. Dokumente aus sowjetischen Archiven geben neue Einblicke in seinen Weg vom kommunistischen Agitator zu Stalins Spitzenspion.

Ihre Hochzeit erlebten die Geheimdienste in der Zeit des Kalten Krieges zwischen den USA und dem sowjetischen Block. Auf beiden Seiten heiligte der Zweck damals die Mittel. Im Afghanistan-Krieg trafen amerikanische und sowjetische Dienste direkt aufeinander, die amerikanische CIA kooperierte auch mit Islamisten wie Osama Bin Laden, der später zum weltweit agierenden Terroristen wurde. Und in der Iran-Contra-Affäre schreckte der amerikanische Dienst nicht vor schmutzigen Drogengeschäften zurück, um seine Ziele zu erreichen.

Doch trotz solcher Skandale, zu denen in jüngerer Zeit auch die vom Whistleblower Edward Snowden öffentlich gemachten Abhöraktionen der amerikanischen NSA gehörten, ist die moderne Welt ohne Geheimdienste kaum denkbar. Dabei ist die Digitalisierung für die Geheimdienste Fluch und Segen zugleich: Sie bringt ihnen bisher ungeahnte Möglichkeiten, macht sie aber auch angreifbarer denn je.

Die Geschichte der Geheimdienste zeigt, dass Informationen, Daten und Wissen immer schon Macht bedeuteten. Für die Gegenwart und die Zukunft bleibt aktuell: Am Ende kommt es darauf an, wie ein Staat Wissensvorsprünge nutzt und einsetzt.

Wir wünschen eine spannende Lektüre

Uwe Klußmann und Eva-Maria Schnurr

Wissen ist Macht

Die ersten Agenten haben nur wenige Spuren hinterlassen. Ziemlich sicher aber ist: Spioniert wurde schon sehr früh – auch mit Methoden, die heute noch gängig sind.

Von Georg Bönisch

Über diesen Mann ist nur ganz wenig bekannt. Niemand weiß genau, wann und wo er lebte in China, ob er verheiratet war und Kinder hatte. Sein Beruf: Offizier, letzter Dienstgrad: General. Letzter Job: Oberkommandierender im Heer des Königs von Wu, irgendwann zwischen 550 und 220 vor Christi Geburt.

Und doch: Sun Tsu, der auch Sunzi oder Sun Tzu genannt wird, ist bis heute den Militärs in aller Welt ein Begriff. Er gilt als Autor des schmalen, ursprünglich in Bambus geritzten Werkes »Die Kunst des Krieges«, dem wohl ältesten Lehrfaden für Taktik – und für eine ganz neue Methode: die intensive Feindaufklärung. Weil nämlich, so führte der Generalissimus aus, »durch Kenntnis der Stärken und Schwächen des Feindes der Angriff deiner Armee wie der Schlag eines Mühlsteines gegen ein Ei ist«.

Spionage also. Militärspionage. Sun Tsus Idee war die eines – fast – immateriellen Krieges. Er wollte so wenig Menschenleben wie möglich riskieren, auf teure Waffen verzichten, Geld sparen. »Der Gipfel der Geschicklichkeit« sei es, notierte er, »ohne jeden Kampf einen Feind zu unterwerfen«. Für eine solche Strategie sei eines unabdingbar nötig – »Vorauswissen«. Dies könne »weder von Geistern noch von Göttern erfahren« werden, »noch durch Berechnungen«. Nur von Menschen, die »die Feindlage gut kennen«: Geheimagenten.

Mehrere Agententypen zählt er auf: eigene Leute, Doppelagenten, Überläufer, solche, die beim Gegner für Verwirrung sorgen sollen. Es sind Charaktere, die auch weit über zwei Jahrtausende später im angeblich zweitältesten Gewerbe noch unterwegs sind. Und die, je nach Auftrag, auch heute noch Sun Tsus Tricks und Finten nutzen: Täuschung, Tarnung, Ablenkung, Desinformation, denn: »Die ganze Kriegskunst basiert auf List und Tücke.«

Wenn es sein muss, auch auf Mord. Attentate gehörten für Sun Tsu wie selbstverständlich auf die Liste der Spionageaktivitäten. »Modern gesprochen«, sagt Wolfgang Krieger, Doyen unter jenen deutschen Historikern, die sich mit der Geschichte der Geheimdienste befassen, habe er damit Nachrichtenbeschaffung und »verdeckte Aktionen« vermischt – »ganz so, wie es bei den heutigen Großmächten der Fall ist«.

Sun Tsu ist einer der Ersten, dessen Überlegungen zum Agentenwesen überliefert sind. Doch Spionage gibt es vermutlich, seit politische Systeme aufeinanderprallen. Francis Bacon (1561 bis 1626), der Philosoph und Staatsmann aus London, erklärte, warum: »Wissen ist Macht.«

Informationen bringen und brachten Vorteile, im Wehrwesen ebenso wie in Wirtschaft oder Handel. Eine neu gezeichnete, geheim gehaltene Weltkarte abzukupfern konnte genauso entscheidend sein, wie in Zeiten knappen Wassers zu erfahren, wo die beste Pumpe stand – um dann deren Fördersystem auszuspionieren.

Die Prinzipien der Ausforschung, der Sammlung und der anschließenden Bewertung geheimer Informationen sind von alters her fast die gleichen. Erste Nachrichten übers Agentenwesen kommen als Anekdoten daher, in erzählerischer Form. Um 2000 v. Chr. soll in Ägypten ein Kundschafter seinem Herrscher merkwürdige Feuerzeichen eines entlegenen Volkes gemeldet haben – wichtig sei, dass deren Bedeutung aufgeklärt werde. Moses, so verkündet es das Alte Testament, habe im Auftrag Gottes zwölf Männern befohlen, das Land Kanaan zu erkunden, der Spionageauftrag war präzise: »Seht, wie (es) beschaffen ist und ob das Volk, das darin wohnt, stark oder schwach ist … Wie die Städte angelegt sind, in denen es wohnt, ob sie offen oder befestigt sind und ob das Land fett oder mager ist.«

Moses’ Agenten sickerten einzeln ein ins Feindesland, nach 40 Tagen kehrten sie zurück. »Es ist wirklich ein Land, in dem Milch und Honig fließen«, berichtete einer, die Gegner seien freilich weit überlegen: »Wir können nichts gegen dieses Volk ausrichten. Es ist stärker als wir.«

Diese Bibelepisode endet aus nachrichtendienstlicher Sicht positiv – Ziel aufgeklärt, Entscheidung gefallen: kein Zugriff vorerst. Keine Aufklärung zu betreiben oder die Lage nur halbherzig zu erkunden konnte ein schwerer Fehler sein, wie das Beispiel Alexanders des Großen zeigt.

Im November 333 v. Chr. sollte es bei Issos zur großen Schlacht mit den Persern kommen. Alexanders Kundschafter, »Vorläufer« (»Prodromoi«) genannt und in einer Sondereinheit organisiert, berichteten ihm über Tage immer wieder detailliert, dass die gegnerischen Truppen noch weit entfernt seien. In Wirklichkeit jedoch waren beide Heere, ohne es zu wissen, längst aneinander vorbeigezogen. Die Perser standen jetzt in Alexanders Rücken – mit der Konsequenz, dass beide Armeen in verkehrter Schlachtordnung kämpfen mussten. Alexander siegte. Doch im Falle einer Niederlage wäre ihm der Rückzug abgeschnitten gewesen.

Ein anderes frühes Beispiel für die Bedeutung der Aufklärung ist P. Quinctilius Varus. Roms Statthalter und Oberbefehlshaber in Germanien hatte wenige Jahre nach der Zeitenwende die Order, aus den germanischen Landen zwischen Rhein und Elbe eine römische Provinz zu formen. Zu Varus’ Politik gehörte es, Adelssöhne aus diesen Gegenden ins Militär aufzunehmen, ein Integrationsprojekt, welches gleichermaßen besänftigend und versöhnend wirken sollte.

Einer von ihnen war der Cherusker Arminius. Er war bei den Römern als Anführer germanischer Hilfstruppen recht beliebt, und vielleicht deshalb bemerkte niemand, dass er eine Verschwörung plante. Unbemerkt blieb auch, dass es Arminius gelungen war, zuvor verfeindete Stämme zu einen. Spätestens als der Sippenchef Segestes die Römer vor ihm warnte, hätte ordentlich aufgeklärt werden müssen. Doch es geschah: nichts. Im Sommer des Jahres 9 n. Chr. metzelten die Germanen drei römische Legionen nieder, Varus stürzte sich ins Schwert. Die Schlacht im Teutoburger Wald beendete die römischen Expansionsgelüste östlich des Rheins.

Doch nicht nur die Überwachung des Feindes, auch jene des eigenen Volkes gehörte zur gängigen Praxis vieler Staaten seit antiken Zeiten. Vom Untertan schien für die Herrschenden eine latente Gefahr auszugehen, ohne Kontrolle hielten sie eine stabile politische Ordnung für undenkbar.

Der Kalif Harun ar-Raschid soll in Bagdad 1700 alte Frauen beschäftigt haben, die über ihre Familien Bericht erstatteten – gegen Honorar. Im griechischen Syrakus hießen die Spitzel »Otakusten«, Horcher. Alexander der Große setzte auf Briefkontrolle, um die innere Opposition im Griff zu behalten. Wer als Querulant auffiel, sei kurzerhand »in ein Strafbataillon« gesteckt und zu »Himmelfahrtskommandos« geschickt worden, schreibt der Althistoriker Jakob Seibert. In Indien, am Hofe des Königs Chandragupta, gebe es »die sogenannten Aufseher«, notierte um 300 v. Chr. der griechische Gesandte Megasthenes. Sie beobachteten, »was im Lande und in den Städten geschieht, und meldeten dies dem König«. Dessen Minister Kautilya hielt den Monarchen immer wieder an, er müsse sich intensiv um den Geheimdienst kümmern – »tagtäglich«.

Im Riesenreich Karls des Großen war es Aufgabe von »Königsboten«, einerseits als Kundschafter aus allen Ecken Nachrichten zu beschaffen, andererseits die Arbeit der regionalen Geschäftsträger der Krone zu überwachen – als »Augen und Ohren des Herrschers vor Ort«, so formuliert es der Publizist Bernd Ingmar Gutberlet in seinem Buch »Spione überall«. Ähnlich operierte der Mongole Dschingis Khan, dessen Imperium noch um ein Vielfaches größer war, 33 Millionen Quadratkilometer, das Dreifache der USA. Als Informationsquelle nutzten seine Leute vor allem die Händler der Seidenstraße.

Im vergleichsweise winzigen Gallien mussten sich alle Reisenden eingehenden Befragungen unterziehen. Caesar schreibt im »Gallischen Krieg«, es gebe gar »die gesetzliche Verordnung, dass jeder sofort der Obrigkeit meldet, was er über Staatsangelegenheiten von den Grenznachbarn« gehört habe – und wenn es nur Gerüchte waren.

Wichtig war es nicht nur, die Informationen zu erlangen, sondern sie auch sicher und möglichst verborgen an die entscheidenden Personen zu bringen. Codierungen von Texten zählten neben Verwirrspielen aller Art zu den ältesten Techniken der Geheimhaltung, Caesar selbst entwickelte ein System, um Nachrichten zu verschlüsseln. Er ersetzte jeden Buchstaben eines Textes durch den dritten danach. Sein Adoptivsohn und Nachfolger Augustus machte es ähnlich, er wählte den jeweils nächsten. Daher, so der Augsburger Geschichtsforscher Wolfgang Kuhoff, leite sich, dem lateinischen Alphabet folgend, diese Redewendung ab: Jemandem ein X für ein U vormachen.

Früh schon wurde mit unsichtbarer Tinte oder Zitronensaft geschrieben, erst durch Erwärmen kam der Text zum Vorschein. Die Spartaner benutzten Stöcke (»Skytale«), um die spiralförmig ein Lederstreifen gewickelt und dann beschriftet wurde. Abgewickelt produzierte der Streifen Buchstabensalat, ein Empfänger musste beim Wiederaufrollen die exakte Dicke des Stocks kennen. Es kam auch vor, dass Botschaften auf kahl geschorene Schädel von Sklaven geschrieben wurden. Sobald die Haare nachgewachsen waren, traten die Männer an zum Einsatz – um am Zielort wieder rasiert zu werden.

Erst im Byzantinischen Reich, das von etwa 320 an über ein Jahrtausend bestehen sollte, entwickelten sich Strukturen, die einem »modernen Geheimdienst«, meint Gutberlet, »noch am nächsten« kämen. Es gab sehr früh schon »Agentes in rebus«, die einen soldatenähnlichen Status hatten und für Spezialaufträge, etwa Observationen, zur Verfügung standen. Später entstand dann das »Amt für barbarische Angelegenheiten«, eine Art Ausländerpolizei, dessen Mitarbeiter alle nicht christlichen Bürger fest im Blick haben mussten. Ihr Chef, ein Spitzenbeamter (»Logothetes«), trug jeden Morgen dem Kaiser die Lage vor – derlei Briefings sind heute in allen Staaten gang und gäbe.

Es gab in Byzanz auch bezahlte Informanten, die sich als Pilger oder Händler kaschierten – »Kryptoi philoi«, »geheime Freunde«. Delegationen aus anderen Ländern oder Städten durften sich im Land nur unter Aufsicht einer »Ehrengarde« bewegen – zu groß war die Sorge, sie könnten herumschnüffeln. Dies war, nach heutiger Definition, ein Akt der Spionageabwehr.

Für die byzantinischen Herrscher schien eine Intensivierung nachrichtendienstlicher Arbeit schon deshalb nötig, weil Diplomatie nun einen immer höheren Stellenwert bekam. Byzanz schickte Gesandte nicht nur an etliche auswärtige Höfe, um Verträge abzuschließen oder zu erneuern. Sie sollten dort auch Informationen sammeln. Die Höfe ihrerseits entsandten Vertreter nach Byzanz. Der Geheimdiensthistoriker Krieger sagt, anhand der überlieferten Akten sei »die enge Verzahnung von Diplomatie mit geheimdienstlichen Aktivitäten klar erkennbar«.

Dies gilt, spätestens seit dem 14. Jahrhundert, genauso für die Kurie in Rom. Nirgendwo sonst ballten sich Nachrichten und Gerüchte auf engstem Raum, nirgendwo sonst war die Wissensgier größer. Ein Jahrhundert danach begann sich die Praxis gegenseitiger Botschafter auch in den oberitalienischen Stadtstaaten und Savoyen durchzusetzen. In Mailand akzeptierte noch 1455 der Condottiere Francesco Sforza wohlwissend keinen Gesandten Frankreichs – aus Furcht vor Spionage. In Turin empfahl der Diplomat, Ökonom (und Priester) Giovanni Botero, ein Zeitgenosse und Gegenspieler Machiavellis, seinem Fürsten den Aufbau einer Informantenszene – bestehend aus Menschen, die viel reisten: Händlern zum Beispiel oder Botschaftern. Auf diese Weise könne er »unendlich viele notwendige Dinge« erfahren.

Überdies entwickelten die italienischen Republikführer eine neue Spielart des Kundschaftens, die im 16. und 17. Jahrhundert europaweit üblich wurde: Wirtschaftsspionage. Venedig schickte einen Büchsenmacher nach England, sein Auftrag war es, auszubaldowern, wie das Gießen von Geschützen vereinfacht werden konnte. Im Auftrag des florentinischen Medici-Herrschers Cosimo III. reiste der Techniker und Zeichner Pietro Guerrini, »ein gebildeter und äußerst fähiger Untertan«, ab 1682 vier Jahre lang durch Deutschland, die Niederlande, England und Frankreich, um in den »am weitesten entwickelten Provinzen Europas« (so die Instruktion Cosimos) nach lohnenden Neuerungen zu forschen.

Er tat es mit großem Fleiß: Fast 190 Briefe und knapp 150 Skizzen schickte er von unterwegs aus in die Toskana. Als Guerrini in Konstanz die Festungsanlage zu genau inspizierte, wurde er festgenommen – und nach einer halben Stunde wieder freigelassen. Der Mann konnte sich rausreden.

Die Motive derer, sich als Informationsbeschaffer anheuern lassen, ähneln sich über die Epochen hinweg: Sie spitzeln aus Überzeugung, aus Liebe – oder schlicht wegen des Geldes. »Sine pecunia nihil possumus«, erklärte ein in der Schweiz operierender Mailänder Agent im 16. Jahrhundert seinem Landesherrn, ohne Geld können wir nichts. Der englische Gouverneur von Calais konnte sich nach dem Hundertjährigen Krieg gegen die Franzosen (1347 bis 1453) bei Bedarf eines Sonderfonds bedienen, dem »spyall money«. Und er machte offenbar reichlich Gebrauch davon.

Der Ruf von Spionen schwankte stark, auch von Land zu Land. Der französische Schriftsteller und Staatsrechtler Montesquieu erklärte Anfang des 18. Jahrhunderts, nur »wahre Gentlemen« dürften sich in dieses Metier begeben.

Es seien Existenzen, die man »braucht, aber nicht schätzt«, urteilte hingegen zur gleichen Zeit der Alte Fritz, Preußens König Friedrich II. Für manche sind Agenten die Schmuddelkinder der Diplomatie. Andere, wie die Briten, blicken eher mit Respekt auf MI 6, den Auslandsgeheimdienst.

Viele Deutsche indes betrachten heute den Bundesnachrichtendienst voller Skepsis, nicht zuletzt wegen dessen historischer Erblast: Reichssicherheitshauptamt, Gestapo, im Osten die Stasi, im Westen Behörden, bei denen ohne große Bedenken alte Nazis beschäftigt wurden. »Bei uns«, sagt Krieger, »bleibt das Bild: antidemokratisch, ungesetzlich.«

Der Blick in die Geschichte aber zeigt: Spionage gehört zu Staaten dazu, egal, ob groß oder klein, diktatorisch, monarchisch oder demokratisch, im Krieg wie im Frieden. Selbst so offensichtlich friedliche Länder wie Dänemark oder die Schweiz haben Auslandsgeheimdienste, und sogar das Großherzogtum Luxemburg leistet sich einen Nachrichtendienst. Verschwiegen ist das Gewerbe bis heute und nicht selten auch gefährlich – daran hat sich im Lauf der Zeit wenig geändert.

Im 18. Jahrhundert machte in Deutschland das erste Lexikon die Begriffe der Agentenwelt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. In Band 15, erschienen 1737, beschäftigt sich das voluminöse »Universal-Lexikon« des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler mit dem Stichwort »Kundschafft« – was »heißet in dem Kriege eingezogene Nachricht von dem Zustande des Feindes«. Dies geschehe »entweder öffentlich durch ausgeschickte Parteyen …, oder heimlich, oder durch Waghälse, die sich verstelleter Weise in feindliche Orte begeben«.

Und in Band 39, gedruckt 1744, ist unter »Spion, Ausspäher, Kundschaffter« vermerkt: insbesondere »derjenige, der heimliche Kundschafft von dem Feinde einbringt, oder dem Feinde verräth. Die doppelten Spionen … sind die ärgsten«. Werde ein Spion »abgefangen«, dann war eines klar: »Der Galgen ist sein nächster Lohn.«