Cover


© Sebastian Fuchs

Die Autorin

TALA MOHAJERI ist ausgebildete Heilpraktikerin und Expertin für Pflanzenheilkunde. Sie lebt in einem Waldhaus südlich von Hamburg und betreibt dort eine Praxis für schamanisches Heilwissen. In ihren Seminaren und Workshops stehen die Themen Spiritualität und Natur im Vordergrund, in ihrer Schwitzhütte im Wald leitet sie regelmäßig Rituale. Die Schwerpunkte ihrer praktischen Arbeit dort liegen auf Körperarbeit/Massage und Pflanzenheilkunde. »Körperflüstern« ist nach »Die Wildnis in dir« ihr zweites Buch im Irisiana Verlag.

Für alle roten Zungen & Steffi Habersaat


Seinen Körper zu lieben, ist hohe Kunst.
Versöhnlich mit ihm zu sein, ist der Weg.

Tala Mohajeri

KÖRPERFLÜSTERN

DER HEILSAME DIALOG MIT DEINEM KÖRPER

ISBN 978-3-641-24630-3
V001

© 2020 by Irisiana Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81637 München

Die Informationen in diesem Buch sind von Autorin und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Projektleitung: Hannes Frisch

Lektorat: Martin Stiefenhofer

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

Korrektorat: Susanne Schneider

Layout und Herstellung: Angelika Tröger

Bildredaktion: Sabine Kestler

Bildnachweis: Alle Bilder: Sebastian Fuchs, Hamburg

Umschlaggestaltung: Geviert Grafik & Typografie
unter Verwendung eines Motivs von Arcangel/Joana Kruse

Litho: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

INHALT

VORWORT KÖRPERFLÜSTERN – EIN WEG ZU MEHR SELBSTWAHRNEHMUNG

Der menschliche Körper – ein kreatives Wunderwerk

EINFÜHRUNG DIE EINHEIT VON KÖRPER UND SEELE

Die Gesamtheit betrachten

Entscheidend ist die Wahrnehmung

KAPITEL 1: KÖRPEREMPFINDEN – DIE VIELFALT VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT

Wie dein Körper sich Gehör verschafft

Gesundheit und Krankheit – eine Spurensuche

Über die Chance von Krisenzeiten

KAPITEL 2: KÖRPERERLEBEN – DIE VERSCHIEDENEN EBENEN DER WAHRNEHMUNG

Gedanken regieren das Handeln

Drei Wahrnehmungskanäle

KAPITEL 3: EIN SCHLÜSSEL FÜR MEHR KÖRPEREMPFINDEN – DIE BERÜHRUNG

Berührungen formen und verändern

Selbstliebe – die wichtigste Basis

KAPITEL 4: WICHTIGES WISSEN ÜBER DEINEN KÖRPER – ZU VERBUNDENHEIT, ERNÄHRUNG UND BEWEGUNG

Besinnung auf das Selbst

Verletzlichkeit und Heilung

Nahrungsmittel als Heilmittel?

Bewegung ist alles

KAPITEL 5: EMOTIONALE KÖRPERLANDSCHAFTEN – DER EINFLUSS DER GEFÜHLE AUF DEINEN KÖRPER

Gefühle leben

Gefühle und Emotionen

KAPITEL 6: DIE LEBENSKRAFT – DER PULS DES LEBENS

Der ständige Fluss der Energie

KAPITEL 7: KÖRPERVERTRAUEN – MEIN BEDINGUNGSLOSES JA ZU MIR

Auf den eigenen Körper zählen

KAPITEL 8: WARUM DAS ENTSPANNEN SO SCHWIERIG IST – NERVENKITZEL ÜBERALL

Spannende Anreize und schädlicher Dauerstress

KAPITEL 9: KÖRPERWAHRNEHMUNG IM ALTER

Älterwerden heute

Das Heilpotenzial des Älterwerdens

Leben und Tod

KAPITEL 10: HEILUNG KOMMT VON INNEN

In uns ist alles angelegt

DANK

ÜBUNGSVERZEICHNIS

Ein Körper besteht aus Klang.
Manche Kompositionen bringen dich zum Tanzen und andere zum Schreien.
Mach dich vertraut mit deinem Takt.

VORWORT

KÖRPERFLÜSTERN –
EIN WEG ZU MEHR SELBSTWAHRNEHMUNG

Solange unser Herz schlägt, haben wir einen lebendigen Körper. Einen einzigartigen Körper, der uns unser ganzes Leben lang in allen Situationen begleitet. Sich mit seinem Körper verbunden zu fühlen, ist ein wichtiger Aspekt, den wir in unserer so schnelllebigen Zeit voller Sinneseindrücke nicht vernachlässigen dürfen. Wir setzen unseren Körper einer großen Informationsvielfalt, komplexen Anforderungen und raschen Veränderungen aus. Wie gut aber kennen wir unseren eigenen Körper überhaupt und wie gut wissen wir um seine Bedürfnisse? Verlieren wir nicht schon beim Versuch, mit der beschleunigten Taktung des heutigen Lebens mitzuhalten, oft den Kontakt zu uns selbst?

Die Stimme unserer Körperseele ist dann nur noch ein zartes Flüstern. Wir müssen schon sehr aufmerksam zuhören, um die Weisheit des Körpers zu verstehen und seine Bedürfnisse wahrzunehmen. Bei vielen Menschen schwindet im »Alltagsgezwitscher« die bewusste Wahrnehmung dafür, dass wir körperliche Individuen sind.

Wie präsent empfindest du dich in deinem Körper? Jetzt! Atmest du gerade flach oder ist dir nach einem tiefen Atemzug? Nimmst du deine Körperempfindungen wahr, die groben wie die feinen? Wie körperlich ist dein Leben gestaltet? Fühlst du dich vital in deinem Körper, oder ist dir mehr danach, Gras auszureißen anstatt ganzer Bäume? Läufst du durch die Straßen mit halb leerer oder mit voller Batterie? Fühlst du deinen Körper nur, wenn du verspannt oder krank bist? Worin besteht für dich der Unterschied zwischen Verspannung und Anspannung in der Muskulatur? Wie gehst du mir dir um, wenn Krankheiten deinen Körper verändert haben? Behältst du einen liebevollen Blick auf dich, wenn dein Körper geschwächt ist und nicht so funktioniert, wie du es dir wünschst? Können Körperbeschwerden eventuell auch Botschaften vermitteln, die dir auf den ersten Blick nicht bewusst sind? Wie gesund kann ein Körper sein angesichts der Umweltbelastung, die uns tagtäglich umgibt?

Seit Langem beschäftigen sich die Menschen mit Fragen des Körperempfindens und der Gesundheit. Ist der Körper ein Wesen mit eigenem Willen, Agieren und Ausdruck? Wie sehr wirkt die Seele auf den Körper ein?

Ich will versuchen, in diesem Buch Antworten auf all diese Fragen zu finden.

DER MENSCHLICHE KÖRPER – EIN KREATIVES WUNDERWERK

Unser Körpergedächtnis funktioniert wie eine Enzyklopädie, keine Erfahrung geht verloren. Wir können in einen Dialog mit unserem Körper treten und ihn fragen, wie es um unser Wohlbefinden bestellt ist. Er ist außerdem ein wundervoller Geschichtenerzähler. Es lohnt sich, in ihn hineinzuhorchen, auch wenn wir nicht immer gerne hören, was er zu vermitteln versucht. Viele Geschichten beginnen mit Leere, Trauer, Scham, Wut oder Angst, aber sie sind auch immer wieder durchdrungen von Mut, Hoffnung, Ausdauer und der Entdeckung der Überlebensfähigkeit.

Manchmal ist der Körper auch tückisch: Wir haben unser Bestes gegeben, ihn mit Komplimenten und gesundem Essen versorgt, ihm jede erdenkliche Beachtung geschenkt, wir sind sportlich – und trotzdem will er nicht so, wie wir eigentlich wollen. Dann gilt es, sich zu erinnern, dass die Gesetze des Lebens nicht immer dem Prinzip von Ursache und Wirkung folgen, sondern auch ein großes Geheimnis in sich bergen. Das Leben lässt sich nicht kontrollieren.

Die Ursachenfindung einer Krankheit ist ein sehr komplexes Thema und kann eine lange Reihe von Fragen und Antworten nach sich ziehen – oder bleibt manchmal auch ein ungelöstes Rätsel. Wir sind umgeben von einer Fülle von Behauptungen, Zuschreibungen, Fantasien, Interpretationen und Statistiken, wenn es um den menschlichen Körper geht. Sich auf die Spurensuche von Fragen und Antworten zu machen und darüber mit dem eigenen Körper in Verbindung zu sein und Erkenntnisse zu sammeln, bereichert die Lebendigkeit sehr.

Dieses Buch soll dir Mut machen, liebe Leserin und lieber Leser, denn der Körper kann auf Überforderung, Lärm, Sinnesbeeinträchtigungen, Stress, Umweltbelastung, Lieblosigkeit, Süchte und vieles mehr sehr unterschiedlich reagieren. Egal, wie sehr wir an Störungen des Wohlbefindens und chronischen Erkrankungen leiden, unser Körper ist anpassungsfähiger, erfinderischer und viel robuster, als wir manchmal denken.

Ich begegne sowohl in meiner Praxis als Heilpraktikerin als auch im privaten Umfeld, im Freundes- und Familienkreis kranken Menschen, die oftmals von Schicksalsschlägen gezeichnet sind und vielleicht im klassischen medizinischen Sinne nicht als gesund gelten. Dennoch sind sie emotional und körperlich an ihrer Erkrankung »gereift« und haben dadurch Heilung erfahren. Doch wie kann das funktionieren? Die Geschichten aller dieser Menschen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind mit ihrem Körper und ihrer Seele in den Dialog gegangen und waren bereit, Körperbeschwerden als einen inneren Reifungsprozess zu begreifen. Ihre Körpersymptomatik war ihnen eine Stütze, dem Mysterium des Lebens näherzukommen.

Unserer Lebensgeschichten sind dynamisch und vielfältig. Jede Körperlandschaft ist einzigartig und zu jedem Körper gehören Narben und Blessuren ebenso wie Erinnerungen an die freudigen und festlichen Ereignisse, die uns bereichert haben. Jeder Körper fühlt sich anders an. Alles, was wir im Laufe unseres Lebens erfahren oder entbehrt haben, prägt uns. Wir sind, was wir essen. Wir sind unsere Beweglichkeit. Wir sind die genetische Konstitution, die unsere Vorfahren uns mitgegeben haben – und wir sind noch vieles mehr.

Unser Körper ist ein offener Kelch, der gefüllt wird von den Eindrücken, denen er von uns ausgesetzt wird.

Alle diese Eindrücke und Informationen formen uns und drücken sich durch innere und äußere Haltungsmuster aus. Unser Handeln und unsere Bewegungsabläufe werden dadurch gesteuert.

Wer seinem Körperflüstern lauschen möchte, braucht Achtsamkeit, denn leise, zart, verhalten ist die Sprache des Körpers. Das Körperflüstern wahrzunehmen, eröffnet Heilräume, die fernab vom Lärm deines Verstandes oder von den Geräuschen der Welt auf dich warten.

Wohlbefinden und Harmonie haben verschiedene Facetten und können genauso in einem geschwächten Körper zu finden sein wie in einem gesunden. Manchmal meldet sich der Körper mit heftigen Krankheitsprozessen und fordert deutlich Aufmerksamkeit ein. Vielfach erlebe ich bei meinen Patienten, dass sämtliches Wohlwollen und jeder Respekt gegenüber der eigenen Körperlichkeit verschwinden. Die Wahrnehmung des Schmerzkörpers dominiert. Vertrauen und Geduld sind dann wichtige Wegbegleiter durch diese Art des Körperempfindens. Ein (chronisch) kranker Körper lehrt uns viel über Demut und Bescheidenheit.

Im Krankheitsfall oder im Lärm des Alltags wird selten ein liebevoller Blick auf den Körper gewahrt. Wir befinden uns im Hamsterrad der Wertung und des Vergleichens: jung gegen alt, dick gegen schlank, gesund gegen krank, erschöpft gegen vital. Dabei vergessen wir, dass wir alle schon vollkommen gemacht sind. In uns ist eine ganze Bibliothek an Wissen gespeichert, die Inhalte sind uns vertraut, nur neigen wir dazu, diese Weisheit nicht zu nutzen oder zu vergessen. Es liegt an uns, den Körper in seinem Ausdruck zu verstehen und der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Jede liebevolle Auseinandersetzung mit deiner Körperlichkeit lohnt sich, denn es bleibt die beste und wichtigste aller Altersvorsorgen.

In meinem ersten Buch Die Wildnis in dir war es mir wichtig zu vermitteln, dass der Mensch an die Gesetzmäßigkeiten der Natur angeschlossen und mit ihr verbunden ist. Das Wissen, das ich in diesem Buch vermitteln möchte, ist jenes, dass wir unserer Körperweisheit vertrauen können. Auf seinen Körper zu hören und ihm liebevolle Achtsamkeit zu schenken, erscheint uns vielleicht fern. Im Alltag unserer modernen westlichen Welt verlangen wir von unserem Körper, dass er wie eine Maschine einwandfrei funktioniert. Fraglos, klaglos und selbstverständlich bis ins hohe Alter. Darüber vergessen wir, dass unser Körper seine eigenen Ansprüche hat, auf seine eigene Weise reagiert und sich ausdrückt.

Als Heilpraktikerin mit den Arbeitsschwerpunkten Pflanzenheilkunde und Körperarbeit komme ich täglich mit den unterschiedlichsten Menschen in Berührung. Über die Jahre habe ich gelernt, dass ich mich auf die Körperweisheit meiner Patienten verlassen kann. Die Ausdrucksfähigkeit des Körpers ist der rote Faden meiner praktischen Arbeit, denn der Körper ist immer ehrlich. Er ist wahrhaftig und verdient in jedem Fall, betrachtet und berührt zu werden. Auf den Körper zu hören, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit. Je besser wir unsere Körperbedürfnisse verstehen, umso leichter fällt es uns, ihn liebevoll und verantwortlich zu behandeln. Wir haben die Macht, unseren Genesungsweg aktiv mitzugestalten.

Das Ziel dieses Buches ist es, dass du deinen Körper besser kennenlernst und die Liebe zu dir selbst dadurch stärkst. Dass du deinen Körper durch alle Lebensstürme hindurch als einen guten Freund, als gute Freundin betrachtest und nicht als einen Unbekannten, der neben dir herläuft, oder gar als Feind. Dein Körper gehört zu dir, egal, welcher Mangel oder welche Fülle ihn auszeichnet.

Je besser wir uns auf der seelischen und körperlichen Ebene kennenlernen, umso mehr wächst das Bewusstsein dafür, warum Disbalancen sich im Körper manifestieren können. Keine heilsamen Worte und Gesten zu finden, wenn wir uns geschwächt fühlen, ist ein großer Mangel in unserer leistungsorientierten Gesellschaft.

Diesem Mangel möchte ich mit diesem Buch begegnen. Ich hoffe, dass deine Neugier geweckt ist.

Lass deine Füße den Boden bereisen.
Bete für dein Gedeihen.
Staune über dein Wachstum.

EINFÜHRUNG

DIE EINHEIT VON KÖRPER UND SEELE

Eine kleine Geschichte zum Einfühlen in dieses Kapitel …

Vor langer Zeit lebte ein Mann namens Luc in einem kleinen Dorf in der Nähe großer Berge. Luc, der Fleißige – so wurde er von allen im Ort genannt. Luc war nicht nur groß und gut aussehend, er war vor allem eines: sehr geschäftstüchtig. Er war stets bemüht, die besten Ergebnisse zu erzielen. Seine Kinder und seine Frau liebten ihn. Ihm war es wichtig, alle Menschen in seiner Umgebung zufriedenzustellen. Er verbrachte viel Zeit mit Arbeit. Eigentlich war er zufrieden, doch es gab da immer häufiger dieses komische Gefühl in seinem Magen. Egal, wie tatkräftig er eine Aufgabe anging, sein Magen rebellierte. Weder Ärzte noch Freunde wussten Rat. Das komische Gefühl in seinem Magen meldete sich eines Tages auch nachts. Das hatte zur Folge, dass das Leuchten um seine Augen mehr und mehr abnahm. Eine Trauer machte sich in ihm breit und beschwerte sein Gemüt. Sein sonst so kräftiger Körper wurde immer müder und müder. Eines Tages bat ihn seine Frau, nun endlich die Dorfälteste aufzusuchen. Vielen hatte sie bereits geholfen, vielleicht kannte sie eine Antwort auf sein Problem. Luc folgte dem Rat seiner Frau.

Als er vor der Ältesten stand, bekam er folgenden Hinweis von ihr: »Du musst dich auf die Suche nach deiner Seele machen, nur dann wirst du wissen, was dein Magen von dir will!«

»Seine Seele suchen, ach, das wird einfach sein«, dachte sich Luc. Er fing an, mit vollem Eifer und aller Kraft zu suchen. Keine Fußmatte im Dorf war mehr sicher vor ihm, unter jedem Stein schaute er nach. Schnell merkte Luc, dass im eigenen Dorf seine Seele nicht zu finden war, und er ging auf Reisen. Er überquerte Flüsse, Wüsten, wanderte umher, und als er sich eines Tages völlig erschöpft vor einem großen Berg niedersetzte, dachte er sich, es werde niemandem schaden, sich am Fuß dieses Berges auszuruhen. Er schlief sofort ein. Er schlief und schlief, es vergingen einige Tage und Nächte, er schlief immer noch. Am Morgen des siebten Tages öffnete er langsam seine Augen, das Sonnenlicht blendete ihn. Um ihn herum war vollkommene Ruhe. Nur ganz aus der Ferne hörte er leise immer wieder folgenden Satz: »Nun warte doch auf mich – nun warte doch auf mich.« Luc tat nichts, blieb geduldig liegen, und plötzlich stand seine Seele vor ihm und sagte hechelnd: »Nun warte doch auf mich, nun warte doch, du bist mir zu schnell.« Verblüfft schaute er auf seinen Bauch und stellte fest, dass er das komische Gefühl im Bauch schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Der Glanz um seine Augen kehrte zurück, als er herzhaft über sich selbst zu lachen begann.

Die Geschichte von Luc kommt sicher vielen von uns bekannt vor: Symptome melden sich und fordern so lange unsere Aufmerksamkeit, bis wir bereit sind, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Dabei ist es gar nicht so leicht herauszufinden, ob die Seele die treibende Kraft ist oder der Körper Bedürfnisse hat, die wir nicht wahrgenommen haben. Ist es überhaupt zu unterscheiden, welche Medizin der Körper braucht und welche Medizin die Seele? Ist die Seele vom Körper überhaupt zu trennen? Betrachte ich Körper und Seele als Einheit, dann gilt für Heilung folgender Satz:

Heile ich meinen Körper, dann heile ich meine Seele – und umgekehrt.

Fakt ist, dass für mich als spiritueller Mensch die Seele existiert. Es gibt viele Definitionen des Begriffs »Seele« und ich möchte in diesem Buch keine weitere hinzufügen. Der Einfachheit halber werde ich auch keine Unterscheidung zum Begriff der Psyche machen. Für mich beinhaltet der Begriff der Psyche die Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Empfindens, Denkens und ist gleichzeitig verbunden mit dem Spirituell-Geistlichen.

DIE GESAMTHEIT BETRACHTEN

Ich habe Respekt vor allen Religionen, Weisheitslehren und dem psychologischen Wissen. Für mich ist die menschliche Seele eingebettet in ein größeres Ganzes und gleichzeitig auch Teil eines universellen Geistes. Dieser Geist ist ebenso Teil des Körpers wie der Seele. Körper, Geist und Seele bilden eine untrennbare Einheit. Darauf fußt alles, worüber ich in diesem Buch schreiben werde. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Das eine unterstützt und festigt das andere und umgekehrt.

Viele Menschen glauben unabhängig von ihrer religiösen Ausrichtung an ihre Seele, obwohl eine Seele weder greifbar, sichtbar noch irgendwie messbar ist.

Schon sehr lange gilt der rationale Verstand als Maßstab aller Dinge, und in vielen spirituellen Praktiken misst man dem Körper einen »niedrigeren« Wert als der Seele bei, da der Körper der Vergänglichkeit unterliegt. Zum Glück beobachten wir seit einigen Jahren dazu eine Kehrtwende im allgemeinen Bewusstsein. Man stellt fest, dass ein Körper keine Maschine ist. Manchmal können wir ihn vielleicht einfach »reparieren« lassen oder jahrelang Symptome mit Hilfsmitteln gut kompensieren, aber irgendwann macht der Körper sich als fühlendes Wesen bemerkbar. Die Suche nach Alternativen, nach ganzheitlicher, holistischer, Medizin nimmt immer mehr zu. Unter dieser Perspektive wird der Mensch wieder als Teil des Kosmos betrachtet, der sich seine Gesundheit erhalten kann, wenn er mit dem Kosmos und der Natur im Gleichgewicht ist. Körper, Geist und Seele werden nicht länger getrennt voneinander wahrgenommen, sondern als eine verbundene Einheit. Das eine kann ohne das andere nicht existieren.

In meinem Leben gab es zwei sehr prägende Eindrücke, die mich nie mehr daran zweifeln lassen, dass unser Körper von Geist und Seele durchdrungen ist. Einmal durfte ich eine Freundin bei der Geburt ihres Sohnes begleiten. Als ich diesen kleinen, zarten Körper in meinen Händen hielt, wusste ich, dass er schon ein vollkommenes, fertiges Wunderwerk war. Ich fühlte, dass er eine weite Reise hinter sich hatte und mit welchen Wesenszügen er bereits ausgezeichnet war. Er strotzte vor Kraft und war voller Neugier.

Viele Eltern, egal wo auf dieser Welt, werden bestätigen, dass ihr Kind schon gleich nach der Geburt seelische Wesenszüge hatte; die Psychologen würden sagen, dass es Charaktereigenschaften mitgebracht hat. Der Fotograf Walter Schels hat mehr als 50 Babys in der ersten Lebensminute fotografiert. Beim Betrachten seiner Fotos erblickte er etwas für ihn Unerwartetes: »Nicht ein geschichtsloses Neugeborenes schaut mich da an, sondern ein Gesicht mit Vergangenheit. Wissend. Uralt.«*

* Quelle: Andere Zeiten Kalender 2018, Hrsg.: Andere Zeiten e. V.

Der zweite sehr nachhaltige Eindruck war für mich die Aussage einer Palliativärztin, die meinte, je länger ich bei meiner Freundin, die zuvor gestorben war, sitzen bliebe, umso klarer könne ich sehen und fühlen, dass die Seele aus ihrem Körper schwindet. So war es! Ihr Körper wurde von Stunde zu Stunde friedlicher. Als ob er sich vom Lebenskampf der letzten Wochen nun endlich verabschieden könnte. So seltsam es klingen mag, aber das Licht im Raum veränderte sich, obwohl die Vorhänge geschlossen waren und von draußen keine Helligkeit hereindringen konnte.

ENTSCHEIDEND IST DIE WAHRNEHMUNG

Ich mache in meiner Praxis täglich die folgende Erfahrung: Berühre ich einen Körper, dann ertaste ich die Einheit von Körper und Seele. Beides gehört zusammen, sämtlicher Dualismus fällt beim Fühlen weg. Körper und Seele sind im stetigen Dialog miteinander und werden genährt durch unsere Aufmerksamkeit. Wir haben nur verlernt, diese Formen von Kommunikation zu verstehen oder ihnen zu vertrauen! Aber die Wahrnehmungsfähigkeit dafür können wir wieder erlernen.

Jeder Mensch hat seinen ureigenen Zugang, was diese Wahrnehmung betrifft. Manche hören oder riechen, wenn der Körper versucht, ihnen etwas zu vermitteln. Oder sie haben eine andere »Antenne« dafür. Ähnlich wie beim Sättigungsgefühl, wenn wir wahrnehmen, dass es genug ist.

Mein persönlicher Zugang besteht darin, dass ich das Körperempfinden bei anderen Menschen am besten durch meinen eigenen Körper wahrnehme. Mein Körper fungiert dann wie ein Resonanzkörper. Klagt eine Patientin zum Beispiel über starke Schulterschmerzen, so kann es sein, dass ich selbst, sobald ich die Hände auf den Körper der Patientin gelegt habe, mein Knie oder einen anderen Bereich meines Körpers deutlicher fühle. Manchmal meldet sich auch eine Emotion wie Traurigkeit oder Angst. Das alles sind für mich Indikatoren dafür, wo ich noch zu schauen und wonach ich noch zu fragen habe, um auf die tatsächliche Ursache des Symptoms bei einem Patienten zu kommen.

Für solch eine Form der Wahrnehmung gibt es kaum eine wissenschaftliche Erklärung, allenfalls die, dass meine Spiegelneuronen gut ausgebildet sind. Jegliche Form von Wahrnehmungsfähigkeit kann wie ein Muskel trainiert werden und sie bildet sich stärker aus, je häufiger wir sie benutzen. Meine Hände sind durch die vielen Jahre praktischer Erfahrung wissend geworden und ich kann mich auf sie verlassen. Jeder unserer Sinne lässt sich trainieren, wenn wir bereit sind, ihn zu schulen. Ein blinder Freund von mir hat die Fähigkeit, unglaublich gut tasten und hören zu können. Er sagt, er höre allein am Klang der Stimme, wie es um das Wohlbefinden eines Menschen bestellt sei. Ein einfaches »Hallo« genüge und er könne mir sagen, wie es mir emotional und körperlich gehe.

Tibetischen Ärzten hilft die Pulsdiagnostik. Unterschiedliche Pulsarten und Pulsfrequenzen – wie beispielsweise ein tiefer, langsamer, schneller oder breiter Puls, der je nach Form und Länge des Pulsschlages an verschiedenen Positionen der beiden Handgelenke differenziert wahrgenommen wird – geben Aufschluss über die Konstitution eines Patienten, über den Zustand und die Funktionsfähigkeit der einzelnen Organe. Auch diverse andere Achtsamkeitslehren zeigen auf, wie wichtig es ist, dass wir heilendes Bewusstsein entwickeln und unsere Wahrnehmungsfähigkeit schulen.

Es gilt, hinderliche Verhaltensmuster zu erkennen, und es braucht einen wertschätzenden Umgang mit dem, was sich aufzeigt. Besteht keine Harmonie zwischen Körper und Seele, können sich Störungen entwickeln und diese wiederum zu Krankheitsprozessen führen.

Bei einigen Krankheits- und Leidenswegen ist die Seele die treibende Kraft der Veränderung und formt unsere Körperbedürfnisse. Wenn wir zum Beispiel einen Mangel an empathischer Berührung in unserer Kindheit erfahren haben, kann ein erwachsener Körper den Wunsch verspüren, so lange achtsam berührt zu werden, bis seine Seele gesättigt beziehungsweise nachgenährt ist und er keinen Mangel mehr auf dieser Ebene wahrnimmt. Und es kommt vor, dass bei der Ursachenforschung von Körpersymptomatik die Grenzen zwischen der körperlichen Wahrnehmung und den seelischen Eindrücken verschwimmen. Die Betrachtung der Psychosomatik ist ein sehr wichtiger Faktor, wenn es um die Körperwahrnehmung und die Entstehung von Krankheiten geht. Im Kapitel »Emotionale Körperlandschaften – der Einfluss der Gefühle auf deinen Körper« werde ich näher darauf eingehen.

Wichtig ist mir zu erwähnen, dass ich hier meine ganz persönliche Sichtweise auf den Körper und die Seele wiedergebe. Sie ist gewachsen aus eigenen Erfahrungen, jahrelangen Ausbildungen und wurde immer wieder inspiriert durch die Begegnungen mit spirituellen Lehrerinnen. Ganz grundsätzlich ist sie durch meine tiefe Naturverbundenheit geprägt.

Dieses Buch richtet sich an alle, die neugierig sind auf ihren Körper und Lust haben, etwas für ihr Wohlgefühl zu tun. Ich werde nicht auf einzelne organische Krankheitsbilder eingehen – das ist nicht der Zweck dieses Buches. Um beiden Geschlechtern gerecht zu werden, benutze ich im Wechsel die weibliche und die männliche Form. Ich werde dich duzen, da dies mir und meiner praktischen Arbeit entspricht.

Die Namen in den persönlichen Berichten habe ich geändert und einige Geschichten verfremdet, um die Privatsphäre der Menschen, die ich begleiten durfte, zu schützen.

In diesem Buch werde ich dir eine Vielzahl von Übungen und Meditationen vorschlagen, die du jederzeit anwenden kannst. Sie sind Hilfe zur Selbsthilfe. Die Übungen beziehen sich auf den Bewegungsapparat (Muskeln und Knochen) und das allgemeine Körperempfinden. Sie dienen hauptsächlich der Prävention.

Eine einfache Übung, die du jetzt gleich machen kannst, wenn du magst: Sitzt oder liegst du bequem beim Lesen? Fühlt sich dein Körper dabei entspannt an? Hast du deine Beine übereinandergeschlagen? Wenn ja, warum?

Stell dir vor, du würdest dich aus einer Distanz von zwei Metern beobachten. Würdest du sagen: »So fühlt sich ein Körper wohl beim Lesen«? Wenn nein, dann mach es dir und deinem Körper so bequem wie nur möglich. Atme. Sei einfach da. Auch dieser Moment ist ein Teil deines Lebens.

Es ist wichtig, dass wir Verantwortung für unseren Körper übernehmen. Darum ist es gut, sich so umfassend wie möglich über die eigenen Krankheiten zu informieren, gegebenenfalls eine zweite Meinung einzuholen, auch alternative Medizinsysteme in Betracht zu ziehen. Darum meine Bitte: Wenn du Symptome bemerkst, die einem akuten Notfall entsprechen oder nicht erklärbar sind, hol dir Hilfe und lass die Probleme von einem fachkundigen Menschen aus der Alternativ- und/oder Schulmedizin abklären. Einer der wichtigsten Schlüssel für Heilung ist, dass Menschen andere Menschen brauchen, um zu gesunden. Also hab keine Scheu, deine Empfindungen mitzuteilen.

Am Ende jedes Kapitels findest du jeweils Affirmationen, also aufbauende, positive Bekräftigungssätze. Sprich diese Sätze laut aus, wenn die Affirmation dich dazu anregt. Die Energie folgt der Aufmerksamkeit, daher ist es hilfreich, diese Sätze so häufig wie möglich zu wiederholen und sich dabei leicht auf die Thymusdrüse zu klopfen (diese befindet sich hinter dem Brustbein).

Affirmation

Ich vertraue meinem Körper. Ich tue alles für meinen Körper, damit es ihm gut geht, mein Körper tut alles dafür, dass es mir gut geht. Ich liebe jede Zelle meines Körpers. Ich danke meinem Körper.

Interessante Informationen über deinen Körper findest du in der »Kleinen Körperkunde« am Ende jedes Kapitels. Zum Beispiel:

Kleine Körperkunde

Das Herz ist nicht links, sondern liegt ungefähr in der Mitte der Brust.

KAPITEL 1:

KÖRPEREMPFINDEN – DIE VIELFALT VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT



Leitgedanken für mehr Wohlbefinden

Je langsamer wir werden, umso genauer sind wir.

Vor allem: Geh langsam.

Lüge dich nicht selbst an.

Übe dich in Wahrhaftigkeit.

Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.

Sei großzügig mit dir.

Jeder Tag ist eine Reise.

Lerne, dich zu fokussieren.

Bleib neugierig.

Setze Grenzen.

Achte auf Kleinigkeiten.

Wenn du nicht mehr weiterweißt, halte an.

Gönne dir Pausen.

Bemühe dich um allumfassendes Wissen.

Sei geduldig mit dir.

Übe dich in Dankbarkeit.

Vertraue dem Prozess.

Lerne still zu sitzen und tiefer zu atmen.

Ehre die Gegenwart.