Wie auf Erden so im Himmel

Wie das Leben als Mensch das Leben im Jenseits bestimmt

Beat Imhof


ISBN: 978-3-96861-005-4
1. Auflage 2020
© 2013 Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing, www.aquamarin-verlag.de

Umschlaggestaltung: Annette Wagner

Inhalt

Meiner Frau Nelly in Dankbarkeit gewidmet.

Sie hat das Entstehen dieses Buches mit ihrer Hilfe während Jahren treu begleitet.

Die am weitesten verbreitete Annahme ist, dass keiner wirklich Bescheid weiß, was passiert, nachdem wir gestorben sind.

DEEPAK CHOPRA

 

Zweitausend Jahre lang hat man uns dazu gedrängt, an die jenseitigen Dingen zu glauben. Für mich ist es nicht mehr eine Sache des Glaubens, sondern eine Sache des Wissens.

ELISABETH KÜBLER-ROSS

 

Alle großen Religionen haben das Leben nach dem Tode unmissverständlich bejaht.

CARL GUSTAV JUNG

 

Was die heutige Ansicht der Theologen über das Jenseits betrifft, ist es wie mit einem Zimmer, auf dessen Türe geschrieben steht: „Wegen Renovierungsarbeiten geschlossen!“

HANS-URS VON BALTHASAR

Vorwort

An der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich hat am 31. März 1966 der Göttinger Universitäts-Professor Dr. Dr. h.c. Walther Hinz einen vielbeachteten Vortrag gehalten zum Thema „Jenseitskunde – ein Forschungsgebiet von morgen“. In seinen einleitenden Worten sah er voraus: „In hundert Jahren wird man sich keine Universität mehr vorstellen können ohne einen Lehrstuhl für die Wissenschaft von der geistigen Welt.“

Heute, ein halbes Jahrhundert danach, sind zahlreiche Jenseitsforscher seinem Aufruf gefolgt und haben die Jenseitskunde zu einer ernst zu nehmenden Wissenschaft ausgebaut. An mehreren Hochschulen in Europa und in Amerika ist die Jenseitswissenschaft zu einem anerkannten Lehrfach geworden. Im Jahr 1973 schrieb Prof. Paul A. Keller in der Zeitschrift „Esotera“ (Nr. 4, S. 293): „Wenn die Anzeichen nicht trügen, gehen wir einer Welle wissenschaftlicher Jenseitsforschung entgegen.“ Tatsächlich ist die Zahl der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten ins Unübersehbare gestiegen.

Weder die Verhaltenspsychologie noch die Tiefenpsychologie äußert sich zu einem Jenseits der Seele. Es sind dies reine Diesseits-Wissenschaften. Was noch fehlt, ist eine Psychologie des Jenseits. Diese handelt vom Leben der Seele in der nachtodlichen Welt, in die wir alle einmal eingehen werden. Dabei ist es notwendig, bei dem Begriff Seele klar zwischen der belebenden Vitalseele und der präexistenten Geistseele zu unterscheiden.

Die Human-Psychologie beschäftigt sich mit dem Diesseits der menschlicher Seelenkräfte, die Jenseits-Psychologie befasst sich mit der Frage, was mit der Seele nach dem Tod geschieht und wie es in der anderen Welt mit ihr weitergeht. Da der Mensch seinem Wesen nach sowohl an einem diesseitigen als auch an einem jenseitigen Dasein teilnimmt, kann man ihn als Bürger zweier Welten oder als Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits bezeichnen. Heute gehört es nicht mehr zum guten Ton, eine jenseitige Welt zu leugnen. Das Interesse an Jenseitsfragen nimmt in breiten Bevölkerungskreisen deutlich zu.

 

Um zur modernen Jenseitsforschung einen Beitrag zu leisten, habe ich versucht, aus der reichhaltigen deutschsprachigen Jenseitsliteratur zahlreiche Aussagen miteinander zu vergleichen und kritisch zu prüfen, um deren gemeinsamen Wahrheitsgehalt aufzuzeigen. Es ist so, als ob wir verschiedene Reiseberichte über ein bisher unbekanntes Land einander gegenüberstellen und das Übereinstimmende festhalten. Es geht mir nicht in erster Linie darum, paranormale Phänomene zu beschreiben, was in letzter Zeit zur Genüge geschehen ist, sondern um ein Grundlagenwissen, welches diese wissenschaftlich zu erklären vermag.

 

Das vorliegende Buch kann all jenen eine spirituelle Lebenshilfe bieten, die sich ernsthaft fragen, ob und wie es nach dem Tode mit uns weitergeht.

I. Die andere Wirklichkeit

 

Die den Zugang erkunden

Und die Schwelle erkämpfen,

Die verwandelt das Licht,

Dass ihr Schlaf wird zum Wachen,

Und ihr Traum wird zum Wirken

Und zur Gnade die Pflicht.

Wie der Erde sie dienen,

Sind sie Priester im Jenseits

Auf dem Berg ihrer Sicht.

 

Ephides

Einleitung

Als die kleine Sasha ihren Vater Barack Obama, den Präsidenten der Vereinigen Staaten von Amerika, fragte: „Was passiert, wenn wir sterben?“, da antwortete der „mächtigste Mann der Welt“ ausweichend: „Du hast noch sehr viel Zeit vor dir, darüber brauchst du dir noch keine Gedanken zu machen.“ Später erinnerte er sich: „Ich fragte mich, ob ich ihr die Wahrheit hätte sagen sollen: Ich weiß nicht, was passiert, wenn wir sterben, genauso wenig wie ich weiß, wo die Seele sitzt oder was vor dem Urknall war.“(1)

Ob es ein Jenseits gibt, wird für uns alle früher oder später zur Überlebensfrage, von der sowohl unser diesseitiges Wohl als auch unser jenseitiges Schicksal abhängt. Im Hinblick auf diese wohl älteste Frage der Menschheit bestehen noch heute große Unklarheit und Unwissenheit. In zahlreichen Gesprächen habe ich erfahren, dass erstaunlich viele Menschen dieses Thema möglichst mit der Ausrede verdrängen: „Niemand weiß es“ oder „Es ist noch keiner zurückgekommen“. Für die meisten ist dies bis heute ein unlösbares Rätsel geblieben. Als der todkranke frühere französische Staatspräsident François Mitterand von Journalisten gefragt wurde, ob er Angst habe vor dem Sterben, antwortete dieser etwas unwirsch: „Nein, ich habe keine Angst; was mich aber nervt, ist die Tatsache, dass ich nicht weiß, wie es nachher weitergeht.“

Wenn wir Menschen fragen, wo ihre verstorbenen Vorfahren und Angehörigen jetzt sind, bekommen wir als Antwort zumeist ein verlegenes Achselzucken, einen ungläubigen Blick, eine abwehrende Handbewegung oder ein müdes Lächeln zu sehen. Fast alle blenden dieses Thema aus, weil sie nicht an ihre eigene Sterblichkeit erinnert werden wollen. Damit liefern sie sich einer beängstigenden Ungewissheit aus. Es geht also letzten Endes um die Sinnfragen: Was ist das Leben? Was ist der Tod? Woher kommen wir, wozu leben wir und wohin gehen wir?(2)

Dass es nach dem Tod irgendwie und irgendwo mit uns weitergeht, halten etwa 50% der Menschen für denkbar und möglich. Doch klare Vorstellungen hierüber hat kaum einer. Die einen halten sich an anerzogene Glaubensvorstellungen, andere lassen die Frage offen und lassen sich dereinst überraschen.

Vor Jahren habe ich mich wiederholt mit einem krebskranken Mann über das Leben nach dem Tod unterhalten, um ihn gleichsam auf seine bevorstehende „große Reise“ vorzubereiten. Ich schilderte ihm das Jenseits als eine Welt, in der wir weiterleben und erfahren, wer wir eigentlich sind, und wo wir nach unseren Verdiensten ernten werden, was wir im Leben gesät haben. Immer wieder unterbrach mich der kranke Freund mit den Worten: „Ich kann‘s mir nicht vorstellen.“ Und dies, obwohl er jeden Sonntag in die Kirche ging!

Viele glauben, nach dem Tod folge ein „ewiger Friede“, ein „Ruhe sanft“, ein Dauerschlaf, ein seliges Nichtstun oder ein fortwährendes Halleluja-Singen. Nichts von alledem trifft zu. Andere halten das Jenseits für eine Illusion oder für eine tröstende Täuschung. Viele in unserer heutigen Plausch- und Spaßgesellschaft sind davon überzeugt, mit dem Tod sei alles aus. Für die Zweifler ist das Jenseits ein unbekanntes, wegloses Land, sogar ein Niemandsland, oder wie Shakespeare seinen „Hamlet“ beteuern lässt: „… das unenteckte Land, aus dessen Gebiet kein Reisender zurückkehrt.“(3. Akt. 1. Szene)

Wer so redet, ist einfach nicht informiert. Tatsache ist, dass schon viele zurückgekehrt sind, um uns zu berichten, was uns nach unserem Übergang erwartet, wie es in dieser Welt aussieht und wie es dort zugeht. Freilich ist so manches anders, als man uns gelehrt hat. Dies zeigt folgende symbolische Legende: Der berühmte Kirchenlehrer und Philosoph Thomas von Aquin soll mit einem seiner Klosterbrüder vereinbart haben: Wer von uns beiden zuerst stirbt, der kommt zurück, um dem anderen mitzuteilen, wie es im Jenseits wirklich ist. Als dieser Mitbruder starb, erschien er bald darauf dem hl. Thomas. Dieser fragte den Verstorbenen in der damals geläufigen lateinischen Gelehrtensprache: „Qualiter? – Wie ist es?“ Jener soll geantwortet haben: „Totaliter aliter! – Ganz anders!“

Wer heutzutage ein fremdes Land besuchen will, tut gut daran, mittels Reisebeschreibungen und einem Reiseführer sich vorerst mit diesem etwas vertraut zu machen, um nicht unangenehme Überraschungen zu erfahren. Mit der Jenseitsforschung ist es so, wie wenn Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen ein fremdes, unbekanntes Land erkunden. Wenn sie dann ein bestimmtes Forschungsgebiet auf die gleiche oder ähnliche Weise beschreiben, dürfen wir annehmen, dass deren Aussagen zutreffend sind. Ebenso verhält es sich, wenn wir von mehreren Bewohnern der jenseitigen Welten auf medialem Weg übereinstimmende Schilderungen erhalten über Gegebenheiten und Verhältnisse in der geistigen Welt.

Ist es nicht erstaunlich, wie wenige Menschen jenes jenseitige Land rechtzeitig kennenlernen wollen, in das sie früher oder später mit Sicherheit auswandern werden? Der große Psychologe C. G. Jung empfiehlt daher in seinen Lebenserinnerungen: „Der Mensch muss sich darüber ausweisen können, dass er sein Möglichstes getan hat, seine Auffassung über das Leben nach dem Tode zu bilden. Wer das nicht tut, hat etwas verloren; denn was als Fragendes an ihn herantritt, ist uraltes Erbgut der Menscheit, ein Archetypus, reich an geheimem Leben, das sich dem unsrigen hinzufügen möchte, um es ganz zu machen.“(3)

Freilich begegnen wir hierzu unterschiedlichen Beschreibungen. Diese müssen nicht falsch sein, denn sie können aus verschiedenen Stufen und Jenseitsebenen stammen. Der erfahrene Geistforscher Frederik Sculthorp erklärt hierzu: „Manche Frage über die Verhältnisse im Jenseits muss mit ‚Ja‘ und ‚Nein‘ beantwortet werden. Die richtige Antwort hängt von der Sphäre ab, um die es sich handelt. Sowohl das Ja als auch das Nein kann für einen bestimmten Zustand richtig sein.“(4)

Der Jenseitsforschung wird oft vorgeworfen, es handele sich bei jenen Phänomenen, die auf eine jenseitige Wirklichkeit hinweisen würden, weitgehend um Täuschung, Betrug oder Einbildung. Dies versucht beispielsweise der brasilianische Arzt Antonio da Silva Mello in seinem Buch „Die Frage nach dem Jenseits“(5) zu belegen. Zugegeben, es ist so manches anfechtbar, was auf einem Neuland des Wissens behauptet wird. Doch in welchem Forschungsbereich wäre dies nicht der Fall? Selbst auf dem Gebiet der exakten Wissenschaften ist etliches fragwürdig. Doch der Fortschritt bringt neue Erkenntnisse. Die Träume von gestern sind die Erfahrungen von morgen.

Eine weitere Schwierigkeit dürfen wir nicht außer acht lassen, auf die der Psychologe Alfred Dalliard hinweist: Er meint, dass so manche Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit der jenseitigen Welt zu unserer irdischen Welt dadurch ausgelöst wird, „dass nur unsere irdischen Begriffe zur Verfügung stehen. Dadurch reduziert sich die jenseitige Vielfalt auf unsere Erfahrungswelt mit ihren Begriffen.“(6)

Es ist erstaunlich, dass eine große Zahl der heutigen Menschen sich um die jenseitige Welt keine Gedanken macht oder hierüber falsche Vorstellungen hegt. Als der chilenische Diplomat Miguel Serrano im Frühjahr 1959 bei Hermann Hesse zu Besuch im Tessiner Dorf Montagnola war, fragte er den 82-jährigen Dichter: „Ist es überhaupt wichtig zu wissen, ob jenseits des Lebens noch etwas existiert?“ „Nein, es ist gar nicht wichtig“, antwortete dieser. „Das Sterben ist ein Hineinfallen in das kollektive Unbewusste, wie Jung es nennt. Und von dort kehrt man als Form, als reine Form zurück.“(7)

Trotz all der genannten Bedenken dürfen wir annehmen, dass unser persönliches Bewusstsein mit dem Tod nicht aufhört, sondern dass noch eine große Zukunft vor uns liegt, die uns in ungeahnte Welten führen wird. Daher fordert Hildegard Schäfer: „Wir müssen überzeugt sein, dass unser Erdenleben nur ein kleiner Ausschnitt unserer Existenz ist, und dass wir, wenn wir den großen Wechsel, den wir Tod nennen, überwunden haben, in einer anderen, feinstofflichen Welt weiterleben. Um dieses Wissen müssen wir uns bemühen und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns diese Gewissheit verschaffen.“(8) Verschieben wir dieses Erfahrungswissen nicht auf morgen oder übermorgen; dann könnte es zu spät sein. Der jenseitige Dichter Ephides (9) fragt daher:

 

Warum erst dann und einst – warum nicht jetzt?

Das Jenseits ist nur jenseits deiner Sinne.

Du selbst hast deine Grenze dir gesetzt,

und wirst du heute deiner Freiheit inne,

verwandelt heute sich für dich die Welt.

 


 

1.Obama, Barack: Hoffnung wagen. Riemann Verlag, München, 5. Auflage, 2008, S. 290.

2.Jerrentrup, Christa: Die Menschheit. Woher – Wohin. Ansgar Verlag, Köln 1971.

3.Jaffé, Aniela: Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung. Rascher Verlag, Zürich 1963, S. 305.

4.Sculthorp, Frederick: Meine Wanderung in der Geisterwelt. H. Bauer Verlag, Freiburg i. Br. 1962, S. 28.

5.Da Silva Mello, Anthonio: Die Frage nach dem Jenseits. H. Scheffler Verlag, Frankfurt a. M. 1963, S. 314 f.

6.Dalliard, Alfred: Jenseitskunde. Medium Nr. 49, 2007, S. 189.

7.Serrano, Miguel: Meine Begegnungen mit C. G. Jung und Hermann Hesse. Rascher Verlag, Zürich, Stuttgart 1968, S. 26.

8.Schäfer, Hildegard: Wo Schatten ist, ist auch Licht. Verlag „Die Silberschnur“, Melsbach/ Neuwied 1988, S. 160.

9.Zahrada, Hella: Ephides-Gedichte. Verlag Geistige Loge Zürich, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 7.

1. Die Wissenschaft vom Jenseits

Das Wissen um das Jenseits ist heute nicht mehr nur eine Angelegenheit des Glaubens, sondern auch der wissenschaftlichen Forschung. Glauben und Wissenschaft können und sollen sich gegenseitig ergänzen, gemäß einem Wort von Albert Einstein: „Glaube ohne Wissenschaft ist blind; Wissenschaft ohne Glaube ist lahm.“

1.1 Vom Wesen einer Wissenschaft

Zum Wesen einer Wissenschaft gehört, dass sie ein klar abgegrenztes Forschungsgebiet mit geeigneten Methoden bearbeitet. Sie besitzt ihr eigenes Material- und Formalobjekt. Unter Materialobjekt verstehen wir den Gegenstand, mit dem sie sich befasst. Das Formalobjekt ist der besondere Gesichtspunkt, unter dem sie ihr Forschungsobjekt betrachtet.(1) Im Fall unserer Jenseitswissenschaft ist das Materialobjekt die menschliche Seele. Zu ihrem Formalobjekt gehören die Phänomene, welche in den Bereich psychischer Grenzerfahrungen und spiritueller Jenseitserlebnisse gehören und die Frage aufwerfen, ob diese auf ein Weiterleben der Seele nach dem Tode hinweisen. Bis ins 19. Jahrhundert war dies ein Interessensgebiet der philosophischen Psychologie und Theologie. Im Zuge der europäischen Aufklärung machte sich dieser Wissenszweig in zunehmendem Maße frei von Doktrinen, Dogmen und religiösen Traditionen. Nicht mehr der Glaube galt als Quelle der Wahrheit, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese sind vor rund 150 Jahren unter der Bezeichnung Parapsychologie zu einer eigenständigen Wissenschaft geworden.

1.2 Die wissenschaftliche Parapsychologie

Das Wort Parapsychologie wird durch die griechischen Wörter para (über, hinaus, neben), psyche (Seele) und logos (Lehre) gebildet. Parapsychologie ist demnach die Lehre von der Seele, die sich mit Phänomenen außerhalb der psychologischen Erklärungsmöglichkeiten befasst. Sie erforscht also seelische Erlebnisse, die in den Umkreis von Grenzerfahrungen gehören. Es handelt sich um Geschehnisse, die nicht als normale Sinneserfahrungen zu erklären sind, nämlich Hellsehen, Wahrträume, Telepathie und Telekinese. Diese werden unter den Begriff „Außersinnliche Wahrnehmungen“ (ASW) zusammengefasst. Außerdem handelt es sich um Ereignisse, die als Einwirkungen außerirdischer und überirdischer Intelligenzen gedeutet werden, etwa mediale Botschaften aus dem Jenseits, Materialisationen oder das Erscheinen von Verstorbenen. Mit diesem Wissensgebiet befasst sich die heutige Jenseitspsychologie.

1.3 Das animistische und das spiritistische Erklärungsmodell

Um derartige außerordentliche Erscheinungen wissenschaftlich zu erforschen, bieten sich uns zwei unterschiedliche Erklärungsmodelle an: Der Animismus (lat. anima Seele, seelische Energie) und der Spiritismus, oft auch Spiritualismus genannt (lat. spiritus Geist). Der animistische Erklärungsversuch deutet parapsychische Vorkommnisse als Wirkungen aus dem Unbewussten der Seele. Ein Vertreter diese Auffassung war in seinen früheren Jahren C. G. Jung. Für ihn waren Geistererscheinungen zunächst rein psychische Äußerungen, die ihre Begründung im Unbewussten haben. So schrieb er aufgrund seiner Erfahrungen mit seinen psychotischen Patienten: „Sogar die Geister sind zunächst psychische Phänomene, die ihre Begründung im Unbewussten haben.“(2) Demgegenüber versucht der Spiritismus, außergewöhnliche und übernatürliche Vorfälle jenseitigen Verursachern zuzuschreiben. Heute bezeichnet man den Spiritismus als jenen Bereich der Jenseitskunde, der sich mit dem persönlichen Weiterleben des Menschen nach dem Tod, mit der Erforschung jenseitiger Zustände und mit der Kontaktnahme mit jenseitigen Wesenheiten befasst. Während jahrzehntelang das animistische Erklärungsmodell unter dem Einfluss einer materialistischen Weltanschauung im Vordergrund stand, weil deren Verfechter ein persönliches Weiterleben nach dem Tod für zweifelhaft oder gar undenkbar hielten, gewinnt heute das spiritistische Deutungsmodell unter dem Einfluss des spiritualistischen Welt- und Menschenbildes immer mehr an Zustimmung.(3)

1.4 Das Prinzip der Einfachheit

Nach dem Einfachheitsprinzip soll das Unbekannte soweit als möglich auf bekannte Tatsachen zurückgeführt werden. Hierzu ein Beispiel: In einer herrschaftlichen Villa versammelten sich nach dem Übergang einer betagten Frau, die zur Familie gehörte, die Angehörigen, um an der Beerdigung teilzunehmen. Während diese ungeduldig und angespannt auf die Autos warteten, ereignete sich plötzlich in dem schwarzlackierten Flügel, der im Salon stand, ein heftiger Knall. Die Jüngeren der Wartenden versuchten, den Grund hierfür im Inneren des Instrumentes zu suchen, so etwa in Materialspannungen, verursacht durch Temperaturschwankungen im Raum, ausgelöst durch die Unruhe der anwesenden Personen. Sie vertraten also die animistische Erklärungsweise und hielten das Ereignis für ein typisches Exteriorisationsphänomen. Da meldete sich eine ältere Dame zu Wort. Sie gab sich als Schwester der Verstorbenen zu erkennen, mit der sie jahrelang in Unfrieden gelebt hatte, weil beide dieses Musikinstrument aus dem Erbgut ihrer Eltern beanspruchten. Sie deutete das fragliche Geräusch als Signal ihrer Schwester aus dem Jenseits, die ihr sagen wollte: „Behalte jetzt dieses Möbel; ich benötige es hier nicht mehr!“

Hier kommt nun das Prinzip der Einfachheit zur Anwendung, das vom englischen Theologen Wilhelm von Ockham (1285-1349) in die philosophische Denkmethode eingeführt wurde. Sein Grundsatz lautetet: „Eine Begründung darf nicht über das notwendige Maß hinaus erweitert werden.“ Oder: „Erklärungen sollen nicht ohne Notwendigkeit ausgeweitet werden.“ Oder: „Was als natürlich verstanden werden kann, bedarf keiner übernatürlichen Erklärung.“ Auf unser Beispiel angewandt, müsste dies heißen: Die animistische Annahme hat so lange zu gelten, als diese genügt, um das erwähnte Ereignis natürlich zu erklären. Erst wenn diese nicht mehr befriedigt, kann eine erweiterte spiritistische Deutung hinzugezogen werden. Im Einzelfall dürfte es oft schwierig sein, sich ausschließlich für die eine oder andere Möglichkeit zu entscheiden.

Die animistische Hypothese ist vorzuziehen bei jenen Vorgängen, die mit Hellsehen, Wahrträumen, Telepathie und Telekinese zu tun haben. Dagegen gewinnt bei medialen Jenseitsbotschaften, bei Erscheinungen von Verstorbenen und bei echten Visionen und Materialisationen die spiritistische Begründung an Bedeutung.

1.5 Methoden der Jenseitsforschung

Der Weg (gr. methodos), auf dem eine Wissenschaft zu ihren Forschungsergebnissen kommt, nennen wir Methode. Diesem gezielten Vorgehen dient ein zweifacher Pfad: Der deduktive und der induktive. Auf dem deduktiven Weg (lat. deducere ableiten) wird das Einzelne vom Allgemeinen abgeleitet, nämlich von Begriffen, Ideen und Gesetzmäßigkeiten, wie dies bei den Geisteswissenschaften üblich ist. Dabei besteht die Gefahr, dass man wichtige Einzelheiten übersieht oder vernachlässigt und dabei am Leben vorbei spekuliert. Daher lässt Goethe in seinem „Faust“ den Mephistopheles spotten: „Ein Kerl, der spekuliert, / Ist wie ein Tier auf dürrer Heide. / Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, / Und rings umher liegt schöne grüne Weide.“

Der induktive Weg (lat. inducere hinführen) leitet uns vom Einzelfall auf das Allgemeine hin. So lässt sich aus der Tatsache, dass erfahrungsgemäß alle Gegenstände zur Erde und nicht gegen den Himmel fallen, auf eine allgemeine Gesetzmäßigkeit schließen, welche die Naturwissenschaften Schwerkraft oder Gravitation nennen. Das Gefährliche bei diesem Vorgehen ist, dass wir am Ende den Teil für das Ganze halten und so vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Dieses spezialisierende Denken verhöhnte der Schweizer Astronom Fritz Zwicky mit den Worten: „Ein Spezialist ist ein Mensch, der von immer weniger immer mehr und vom Ganzen nichts versteht.“(4)

Was nun die parapsychologische Forschung betrifft, hat auch sie ihre eigene Methode. Diese entspricht grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Vorgehensweise, nämlich der Selbst- und Fremdbeobachtung, der Befragung von Einzelpersonen, der statistischen Sammlung von Einzelerfahrungen und der kontrollierbaren Versuchsanordnungen im Experiment. Es geht dabei um die Sichtung von Spontanberichten paranormaler Erlebnisse und um außersinnliche Wahrnehmungen. In der Jenseitsforschung handelt es sich vor allem um spiritistische Phänomene wie Nahtoderfahrungen, außerkörperliche Zustände, Geistererscheinungen und Jenseitsbotschaften. Eine spezielle Methode ist die Vergleichende Jenseitsforschung. Zu diesem Zweck werden zahlreiche Jenseitsbeschreibungen aus unterschiedlichen Quellen miteinander verglichen, ähnlich wie Geographen ihre Landkarten aufgrund von verschiedenen Reiseberichten erstellen.

Eine weitere wichtige Methode der Jenseitserforschung ist die Arbeit mit Medien. Als Medium bezeichnen wir eine Person, die aufgrund einer speziellen Veranlagung oft schon in früher Kindheit zu paranormalen Erlebnissen neigt. Durch mediale Schulung kann diese Begabung bei entsprechender Selbstkontrolle gefördert werden. Medien sind zu vergleichen mit einem Radio- oder Fernsehempfänger, welcher hochfrequente Botschaften in sicht- und hörbare Informationen umsetzt. Animistische Medien sind Sensitive, die zu außersinnlichen Wahrnehmungen fähig sind. Dem gegenüber sind spiritistische Medien in der Lage, im Zustand der Trance einen Teil ihrer Lebensenergie jenseitigen Wesenheiten zur Verfügung zu stellen, damit sich diese für kurze Zeit in unserer Diesseitswelt durch direkte Stimme, durch direkte Schrift, durch Fernbewegungen oder sogar durch Teil- und Vollmaterialisationen kundtun können.(5) Berühmte Trance-Medien, welche vor allem im 19. und 20. Jahrhundert die wissenschaftliche Jenseitsforschung ermöglichten, waren der Schotte Daniel Douglas Home (1833-1886), die Italienerin Eusepia Paladino (1854-1918), die beiden Engländerinnen Elisabeth Espérance (1855-1919) und Florence Cook (1856-1904), die Amerikanerin Leonore Evelina S. Piper (1859-1950) oder die Gebrüder Willi Schneider (1903-1971) und Rudi Schneider (1908-1957) aus Österreich. Arthur Ford (1896-1971) war wohl das bekannteste Medium der Gegenwart.(6)

Echte Medien zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich selbstlos in den Dienst ihrer Mitmenschen stellen, eine religiöse Haltung und Gesinnung haben, sich bescheiden und ehrlich verhalten und zur Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Jenseitsforschern bereit sind, die sie oft rigorosen Kontrollen unterziehen. Arthur Brunner, der während dreißig Jahren die medialen Gottesdienste mit seiner Frau Beatrice als Trance-Medium in der Geistigen Loge Zürich organisierte, schreibt hierzu: „Jede Berührung mit dem Übersinnlichen bedarf eines klaren Kopfes; alle, die nicht im Gleichgewicht ihrer Geistkräfte sind, sollten die Hände davon lassen. Denn dazu braucht es Bescheidenheit und eine gesunde Kritik, frei von aller Überschwänglichkeit… Vor allem muss das eigene Ich zurückgestellt werden.“(7)

Die Tatsache, dass die meisten der medial empfangenen Jenseitskundgaben aus niederen Sphären stammen und daher wenig aussagekräftig sind, hängt einerseits mit dem geistigen Niveau des Mediums zusammen und andererseits mit dem niederen Entwicklungsstand der jenseitigen Berichterstatter. Außerdem besteht bei medialen Jenseitskontakten die Gefahr von Betrug und Schwindel entweder durch ein unfähiges Medium selbst oder durch dämonische Lug- und Truggeister aus der jenseitigen Welt. Auf der Astralebene sind auch Wesen am Werk, die es darauf abgesehen haben, die Menschen in die Irre zu führen. Daher erfordert die Arbeit mit Medien eine strenge Kontrolle und eine harmonische Einstimmung der Sitzungsteilnehmer durch Gebet und Gesang.(8)

Aus eigener Erfahrung warnt das Medium Jane Sherwood vor zweierlei Gefahren. „Zum einen gibt es erdgebundene Geister, die auf Unheil sinnen, Kontakte mit den Jenseitigen stören wollen und alles daransetzen, die Menschen irrezuführen und Mitteilungen zu verfälschen. Die zweite Gefahr kommt von innen, nämlich aus dem Unbewussten des Mediums selbst, das sich unkontrolliert den eigenen Erwartungen, Gefühlen und Ängsten ausliefert.“(9)

Eva Herrmann, die als Medium oft diktierte Botschaften von niederen Geistwesen empfing, bekennt: „Sehr bald aber musste ich entdecken, dass es Lügen waren, die ich bebenden Herzens Tag und Nacht zu Papier brachte. Und nicht nur das! Die mich nach einer so vernichtenden Entdeckung mit liebevollen Worten zu trösten versuchten, brachen plötzlich in ein höllisches Hohngelächter aus und entpuppten sich ebenfalls als Dämonen.“(10)

 


 

1.Kälin, Bernard: Logik und Methaphysik. Verlag des Benediktinerkollegiums, Sarnen 1940, S. 71 f.

2.Jung, Carl Gustav: Psychologie und Spiritismus. In : Das symbolische Leben. Walter Verlag, Olten, Freiburg i. Br., 1. Halbband, 1981, S. 338.

3.Eisenbeiss, Wolfgang: Zur Überwindung eines einseitigen Animismus. In: Parapsychika, Nr. 5, 1975, S. 1-8.

4.Zwicky, Fritz: Jeder ein Genie. Buchclub Ex Libris, Zürich 1972, S. 116.

5.Barbanell, Maurice: Was ist Spiritismus? Verlag „Die Silberschnur“, Melsbach/ Neuwied 1987, S. 83, 121.

6.Bonin, Werner: Lexikon der Parapsychologie. Scherz Verlag, Bern, München 1976, S. 111 f., 232-234, 376, 396, 442 f.

7.Brunner, Arthur: Über die Ausübung der Medialität. In: Geistige Welt. Nr. 37/38, 1976, S. 297 f..

8.Aivanhov, Omraam M.: Der Tod und das Leben im Jenseits. Prosveta Verlag, Fréjus 1988, S. 9 f.

9.Sherwood, Jane: Das jenseitige Land. Die Brücke zu höheren Welten. Ansata Verlag, Interlaken 1991, S. 8-10.

10.Herrmann, Eva: Von drüben, Band 1. Otto Reichl Verlag, 1976, S. 20.