Blutiger Wahn. Ostfrieslandkrimi

Ostfrieslandkrimi

Dörte Jensen


ISBN: 978-3-95573-975-1
1. Auflage 2019, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2019 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de und www.ostfrieslandkrimi.de

Titelbild: Umschlagsgestaltung Klarant Verlag unter Verwendung von shutterstock Bildern.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von dem Autor nicht beabsichtigt.

Inhalt

Romeo und Julia

 

Oldenburgisches Staatstheater

 

Julia Capulet küsste den Leichnam. Vereinzelte Tränen rollten über die Wangen der Zuschauer, als sie sich kurz darauf theatralisch erstach. Wenig später brach das Publikum in frenetischen Jubel aus.

Die junge Schauspielerin Henrike Lammers spielte die Rolle der Julia in dem Drama von William Shakespeare mit einer Intensität, die kaum einen Besucher des Oldenburgischen Staatstheaters kaltließ. Mit Steffen Döpker als Romeo Montague hatte der Regisseur die perfekte Besetzung für das Stück gefunden. Dass die Schauspieler die unglückliche Liebe der beiden Figuren so lebensnah darstellten, lag bestimmt daran, dass sie auch im wirklichen Leben ein Paar waren.

Nachdem der Vorhang ein drittes Mal gefallen war, gingen sie gemeinsam mit ihren Kollegen von der Bühne. Auf dem Weg zu den Garderoben ergriff Steffen Henrikes Hand und zog sie zu sich.

»Sehen wir uns gleich bei mir?«

Henrike sah kurz zu Boden. »Heute ist Mädelsabend. Ich habe Ricarda versprochen, direkt nach der Vorstellung in unsere gemeinsame Wohnung zu kommen. In den letzten Tagen haben wir uns kaum gesehen.«

»Betrachtest du eure Wohngemeinschaft denn wirklich als dein Zuhause?« Steffen dehnte den Begriff wie Kaugummi und betrachtete Henrike mit einem derart stechenden Blick, dass sie eine Gänsehaut bekam.

»Ricarda ist meine beste Freundin«, antwortete die norddeutsche Schauspielerin ausweichend, weil sie ahnte, worauf seine Frage hinauslief. Nach der Vorstellung hatte sie aber keine Lust auf eine weitere Diskussion. »Wir haben länger nicht mehr gequatscht. In den letzten Wochen war sie wegen einer Fotoreportage über Ostfriesland viel unterwegs.«

»Worüber redet ihr denn die ganze Zeit?«

»Frauenkram. Du würdest dich dabei bestimmt nur langweilen.«

»Kannst du nicht später noch zu mir kommen?«

Steffen drückte ihre Hand so fest, dass es schmerzte. Im ersten Augenblick wollte Henrike nachgeben, wie sie es in den letzten Wochen immer wieder getan hatte. Dann aber schüttelte sie den Kopf. »Heute nicht. Ich rufe dich an.«

»Du kannst mich doch nicht mit einem Telefonat abspeisen.« Steffen sah sie entrüstet an.

»Henrike!« Jürgen Bittker, der in dem Bühnenstück die Rolle des Bruder John spielte, nickte ihr anerkennend zu. »Du bist heute wieder einmal ganz wundervoll gestorben. Trinkst du in der Theaterkantine noch ein Glas Wein mit uns?«

Henrike schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht. Ich bin vollkommen erledigt.«

»Wie du willst. Dann sehen wir uns bei der nächsten Probe.« Er drehte sich um und ging Richtung Kantine.

»Der Kerl behandelt mich wie Luft!« Steffen sah seinem Kollegen entrüstet nach.

»Der ist bestimmt noch sauer, weil du ihn vor der Aufführung angeschrien hast. Deine Reaktion war vollkommen überzogen, ihm ist doch nur etwas runtergefallen.«

»Eigentlich dürfte der Stümper nicht mal mit mir auf der Bühne stehen«, grummelte Steffen. Dann zog er Henrike zu sich. »Was ist eigentlich mit dir los? Du bist in letzter Zeit so abweisend.«

»Nichts.« Sie versuchte ihrer Stimme einen unbeschwerten Klang zu geben. Aber es gelang ihr nicht.

»Wir sollten uns endlich nach einer gemeinsamen Wohnung umsehen. Unser Baby muss doch bei seinen Eltern aufwachsen.«

»Das wird es auch.«

»Dann verstehe ich nicht, warum du nicht mit mir kommen willst.«

»Weil ich jetzt nicht bei dir sein will! Ist das denn so schwer zu verstehen?«

Steffen sah Henrike so entgeistert an, als hätte sie ihm bei jedem Wort eine schallende Ohrfeige verpasst.

»So war das nicht gemeint«, beschwichtigte sie ihn. »Ich will doch nur …«

»… nichts mehr mit mir zu tun haben.«

»Das habe ich nicht gesagt. Ricarda …«

»Ist dir deine Freundin wichtiger als unsere kleine Familie?«, unterbrach er sie.

»Wir kennen uns seit der Schulzeit. Sie ist ein ganz besonderer Mensch für mich. Ich möchte jetzt nicht schon wieder mit dir streiten.« Henrike sah Steffen einen Moment lang an, als wollte sie noch etwas sagen. Dann ließ sie ihn einfach stehen und ging in die Garderobe. Nachdem Henrike sich dort abgeschminkt und umgezogen hatte, eilte sie zum Fahrradständer hinter dem Theater. Dort warf sie ihre Tasche in den verbogenen Korb des alten Fahrrades mit dem klappernden Schutzblech und fuhr zu ihrer Wohnung im Ziegelhofviertel.

 

***

 

»Wie war deine Aufführung?«, wollte Ricarda Albers wissen, als Henrike die Tür der Altbauwohnung aufschloss und in den Flur trat. »Wegen eines Staus auf der Autobahn habe ich es leider nicht mehr rechtzeitig ins Theater geschafft. Ich bin selbst erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen.«

»Das Publikum war begeistert.«

»Ah ja. Deinem Gesichtsausdruck nach scheinen sie dich eher mit faulen Tomaten beworfen zu haben. Was ist denn los? Fahren die Hormone mit dir wieder einmal Achterbahn?«

Seufzend ließ Henrike ihre Tasche auf die Kommode fallen. »Steffen will unbedingt mit mir zusammenziehen.«

»Darüber reden wir gleich. Setz dich erst mal, ich bringe dir ein Glas Sekt. Der wird dich wieder in Stimmung bringen.« Schon war Ricarda auf dem Weg in die Gemeinschaftsküche, doch Henrike hielt sie zurück.

»Nein, Ricarda. Während der Schwangerschaft werde ich keinen Tropfen Alkohol anrühren.«

»Darum habe ich beim letzten Einkauf Kindersekt besorgt.« Triumphierend hielt ihre Mitbewohnerin zwei bunt bedruckte Flaschen hoch. »Willst du lieber Erdbeer- oder Maracujageschmack?«

»Die süße Plörre schmeckt doch grauenvoll.«

»Du wirst dich in den restlichen sieben Monaten wohl oder übel daran gewöhnen müssen.«

»Da hast du auch wieder recht. Ich nehme dann den Erdbeersekt.«

»Kommt sofort!«

Während Ricarda in der Küche verschwand, zog sich Henrike die Jacke aus, schlüpfte aus den Schuhen und setzte sich an den Esstisch. Wenig später stellte Ricarda zwei Sektgläser auf den Tisch, die mit einer knallroten Flüssigkeit gefüllt waren. Henrike betrachtete den Inhalt so skeptisch, als sollte sie damit vergiftet werden.

»Wenn ich das Zeug während der Schwangerschaft öfter trinke, werde ich bestimmt kein Baby, sondern ein rotes Gummibärchen zur Welt bringen«, stellte sie fest.

»Nebenwirkungen gibt es leider immer.« Ricarda hob ihr Glas und prostete Henrike zu. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund. »So, und nun erzähl. Was ist los? Ist Steffen in den letzten Tagen wieder ausgerastet?«

»Das nicht, aber … er ist …«

»Besitzergreifend?«, schlug Ricarda vor und nahm einen weiteren Schluck.

»Irgendwie schon. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er mich nicht als Partnerin, sondern eher als sein persönliches Eigentum betrachtet.«

»Hast du mit ihm darüber gesprochen?«

»Ich habe es versucht. Aber auf dem Ohr ist er taub.«

»Liebst du ihn?«

Henrike sah ihre Freundin überrascht an. »Ich erwarte ein Kind von ihm.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich heirate meine Kerle schließlich auch nicht gleich.« Ricarda grinste. Dann stimmte sie die Melodie eines alten Schlagers von Roberto Blanco an und sang aus voller Kehle: »Ein bisschen Spaß muss sein! Dann ist die Welt voll Sonnenschein …«

»Aufhören!« Henrike hielt sich lachend die Ohren zu. »Dein Gekrächze hält doch kein Mensch aus.«

Ricarda verstummte und sah ihre Freundin verschmitzt an. »Mit einem Lächeln auf den Lippen gefällst du mir schon viel besser.«

»Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde. Bei dir kann ich einfach keine schlechte Laune haben.«

»Ich möchte, dass du niemals schlechte Laune hast.« Ricarda sah Henrike ernst an. »Wenn Steffen dich nicht zum Lachen bringt, solltest du die Beziehung besser beenden. Du liebst ihn doch nicht einmal.«

»Das habe ich nie gesagt.«

»Das ist auch unnötig. Wenn er dir wirklich etwas bedeuten würde, hättest du meine Frage, ob du ihn liebst, sofort bejaht.«

»Es ist … kompliziert.«

»Ist es das nicht immer?«

»Eigentlich nicht. Wenn ich einen Menschen liebe, muss ich mich in seiner Nähe wohlfühlen und keine …« Henrike verstummte, als suchte sie nach den richtigen Worten, bevor sie den Satz mit einem geflüsterten »… Angst haben …« beendete.

»Ist es so schlimm?« Ricarda legte ihre Hand auf den Unterarm ihrer Freundin, als könnte sie ihr mit dieser Geste Trost spenden.

»Nicht immer«, antwortete Henrike leise. »Steffen ist eigentlich kein schlechter Kerl. Manchmal ist er nur … Ich kann es schwer beschreiben. Können wir bitte über etwas anderes reden?« Flehentlich sah sie Ricarda an.

»Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen. Wenn du dir deiner Gefühle nicht sicher bist, solltest du auf keinen Fall mit ihm zusammenziehen.«

»Das Kind braucht aber einen Vater.«

»Zunächst einmal braucht die Mutter einen liebevollen Partner. Wir können das Baby doch erst mal im Gästezimmer unterbringen. Ich werde ihm auch jeden Abend ein Schlaflied vorsingen.«

»Bei deinen Gesangskünsten ist das keine gute Idee. Was hältst du davon, wenn du für das Windelwechseln zuständig bist?«

»Das könnte dir so passen!«

In den nächsten Stunden richteten sie in ihrer Wohnung gedanklich ein Kinderzimmer ein und teilten die mit einem Baby verbundenen Aufgaben untereinander auf. Dabei redeten und lachten sie so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Als Henrike an diesem Abend ins Bett ging, hatte sie Ricardas Frage, ob sie Steffen wirklich liebte, für sich beantwortet.

 

***

 

»Ich muss mit dir reden!«

Drei Tage später ging Henrike nach der Probe im Theater zu Steffen, der sich gerade von zwei Schauspielern verabschiedete.

»Das trifft sich gut. Ich habe für heute Abend um sieben Uhr einen Tisch bei unserem Lieblingsitaliener reserviert.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Es sollte auch eine Überraschung sein.«

Als Henrike ihm in die Augen sah, konnte sie einfach nicht ablehnen. Vielleicht wäre ein öffentlicher Ort ohnehin besser geeignet … »Okay. Dann sehen wir uns in zwei Stunden dort.«

»Wollen wir es uns bis dahin nicht noch bei mir gemütlich machen?«

Bei der Frage zwinkerte er ihr zu. Henrike, die genau wusste, dass es sich gemütlich machen ein Synonym für Sex war, schüttelte den Kopf. »Heute nicht. Wir sehen uns zum Essen.«

Sie wollte sich gerade wieder abwenden, da legte sich seine Hand wie eine Stahlfessel um ihren Unterarm. »Was ist denn mit dir los?«, fragte er leise. »Seit der letzten Aufführung habe ich dich nicht mehr gesehen. Du reagierst weder auf meine Nachrichten noch auf meine Anrufe. Hörst du deine Mailbox denn nie ab?«

»Lass mich los.« Henrikes Stimme war schärfer als beabsichtigt. Als Steffen seine Hand überrascht zurückzog, drehte sie sich auf dem Absatz um und lief durch den Hinterausgang des Gebäudes zum Fahrradstand. Auf dem Heimweg trat sie so fest in die Pedale, als wollte sie vor ihm fliehen.

Da Ricarda an diesem Tag wieder als Fotografin an der Nordseeküste unterwegs war, ging Henrike direkt in ihr Zimmer. Dort ließ sie sich auf das Bett fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Aber an diesem späten Nachmittag konnte sie keine Ruhe finden. Ihr Gefühlsleben war wie das sturmgepeitschte Meer. Sie durfte keinesfalls darin untergehen!

Eine halbe Stunde vor dem Treffen mit Steffen zog sie sich an und legte etwas Make-up auf. Nachdem sie die halblangen rotblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, strich sie sich vor dem Spiegel mit den Händen über den Bauch. Bisher sah man ihr die Schwangerschaft noch nicht an. Bald würde sie es im Theater bekanntgeben, schließlich musste ihre Rolle neu besetzt werden. Bei dem Gedanken an eine hochschwangere Julia Capulet huschte ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht, aber nur Sekundenbruchteile später verschwand es so plötzlich wie die Sonne, vor die sich eine dunkle Wolke schiebt. Ohne dass es ihr bewusst war, kniff sie die Lippen so fest zusammen, als wollte sie die Worte, die sie an diesem Abend würde sagen müssen, in sich einsperren. Sekunden später nickte Henrike ihrem Spiegelbild entschlossen zu. Dann machte sie sich auf den Weg.

 

***

 

»Wo warst du denn?« Steffen sah seine Freundin tadelnd an. »Du kommst fast zwanzig Minuten zu spät.«

»Tut mir leid«, murmelte Henrike und setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. Zu Anfang ihrer Beziehung hatte sie die kleinen Zweiertische und die im Kerzenschein funkelnden Gläser noch romantisch gefunden. Jetzt wirkten sie wie eine unpassende Filmkulisse. Sie würde ihm nicht verraten, dass sie eine Viertelstunde unschlüssig vor dem Restaurant gestanden hatte und am liebsten wieder nach Hause gefahren wäre, um sich unter der Bettdecke zu verkriechen. Aber damit würde sie ihr Problem keinesfalls lösen. Als ihr aufgefallen war, dass sie Steffen nicht mehr als ihren Partner, sondern als Problem betrachtete, hatte sie sich einen Ruck gegeben und das Restaurant betreten. Es wurde Zeit, die Beziehung zu beenden.

»Schon gut«, meinte er gönnerhaft und reichte ihr eine der Speisekarten.

Henrike nahm diese entgegen, auch wenn sie an diesem Abend bestimmt keinen Bissen herunterbekommen würde. Nachdem sie ihr Essen ausgesucht und bestellt hatten, trat ein Kellner mit einer Flasche Sekt und zwei Gläsern an ihren Tisch. Verwundert sah Henrike ihm beim Öffnen der Flasche zu. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Steffen den Sekt bestellt hatte. »Was soll das?« Sie sah Steffen fragend an. »Wenn du die Flasche bestellt hast, wirst du den Sekt allein trinken müssen. Du weißt doch, dass ich schwanger bin.«

»Heute solltest du eine Ausnahme machen. In den letzten Tagen habe ich viel über unsere Beziehung nachgedacht. Bevor wir uns eine eigene Wohnung nehmen, möchte ich …« Er verstummte. Dann griff er in die Tasche seiner über der Stuhllehne hängenden Jacke und nahm ein weißes Kästchen heraus. Einen Moment lang sah Steffen sie an, als wüsste er nicht, was er nun sagen sollte. Dann öffnete er die kleine Schachtel und legte sie vor Henrike auf den Tisch. Ein Ring funkelte im Schein der Kerze, die in der Mitte des Tisches stand.

»Henrike Lammers. Willst du mich heiraten?«

Plötzlich schien alles um Henrike herum zu erstarren, als hätte jemand die Zeit angehalten. Entgeistert sah sie auf das Schmuck­stück. Für einige Sekunden fühlte sie sich wie die Figur in einem Theaterstück, die ihren Text nicht gelernt hatte und daher keine Ahnung hatte, was sie nun sagen sollte.

»Ich will …«, flüsterte sie kaum hörbar.

Lächelnd legte er seine Hand auf ihre. Die Berührung riss sie aus ihrer Erstarrung.

»… dich verlassen.«

Hastig griff sie nach ihrer Handtasche und stand so abrupt auf, dass der Stuhl krachend zu Boden fiel. Die anderen Gäste unterbrachen ihre Gespräche und sahen sie irritiert an. Ohne sich um den umgefallenen Stuhl zu kümmern, stürmte Henrike aus dem Restaurant und lief durch die Fußgängerzone Richtung Schlosspark. Tränen rannen über ihr Gesicht.

Sie bemerkte nicht einmal, dass sie ihre Jacke nicht mitgenommen hatte. In der Nähe des Schlossgartenteichs ließ sie sich auf eine Bank fallen und starrte gedankenverloren auf das sich in einem leichten Wind kräuselnde Wasser. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, stand sie auf und ging zum Schlossplatz. Dort nahm sie sich ein Taxi, das sie zu ihrer Wohnung brachte. Das Fahrrad würde sie morgen holen.

Vor dem Altbau nahm sie die Geldbörse aus der Handtasche und drückte dem Fahrer einen Schein in die Hand. Dann stieg sie aus, drückte die tagsüber nicht verschlossene Eingangstür des Mehrfamilienhauses auf und sprintete die steinernen Treppenstufen hinauf bis zu ihrer Wohnung im zweiten Stock. Hoffentlich war Ricarda inzwischen wieder nach Hause gekommen! Sie wollte jetzt keinesfalls allein sein und …

Abrupt kam sie auf der letzten Stufe zum Stehen und sah entgeistert zu ihrer Wohnungstür.

»Was willst … du … hier?«, keuchte sie atemlos.

»Ich werde dich zur Vernunft bringen!«, erwiderte Steffen und trat auf sie zu. »Was fällt dir ein, mich in aller Öffentlichkeit zu demütigen?«

»Das wollte ich nicht. Bitte geh jetzt!«

»So einfach wirst du mich nicht los!« Er griff nach ihrer Hand.

»Lass das!«, rief Henrike und versuchte sich aus seinem Klammergriff zu befreien. »Du tust mir weh!«

»Du gehörst mir, Henrike. Hast du das verstanden?« Sein Atem strich heiß über ihre Wange.

»Niemals!«, schrie sie ihn an.

»Was ist denn hier los?«

Überrascht sah Steffen zu Ricarda, die gerade die Wohnungstür geöffnet hatte. Henrike nutzte den Moment und riss sich los, doch dabei verlor sie das Gleichgewicht, machte einen Schritt nach hinten und trat plötzlich ins Leere. Mit einem Aufschrei fiel sie polternd über die Stufen. Als sie auf dem nächsten Treppenabsatz liegen blieb, war … Stille.