Paul Verlaine: Gedichte

 

Verfasser: Paul Verlaine 


Herausgeber: Gabriel Arch

Wundersame Dämmerung


Erinnerung in Dämmerlicht verglühend
Zittert und loht am fernen Himmelsrand
Der Hoffnung, die geheimnisvoll bald fliehend
Bald wachsend flammt, wie eine Scheidewand.
Wie mancher Blume farbenbunt Gewand,
Wie Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,
Ein Gitter rings umrankend und umziehend
Mit gift'gem Hauch, der all mein Wesen bannt;
Voll schweren Wohlgeruchs, der zu mir fand,
Aus Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,
Ertränkend Seele, Sinne und Verstand,
Bis mich mit schwerer Ohnmacht übermannt
Erinnerung in Dämmerlicht verglühend.

Abendsonnen


Blass giesst im Verrinnen
Auf Felder und Rain
Schwermütiges Sinnen
Der scheidende Schein.
Schwermütiges Sinnen
Wiegt flüsternd mich ein,
Mein Herz zu umspinnen
Im scheidenden Schein.

Und fremde Träume
Ziehn sonnengleich
Über Heiden und Bäume,
Rotflimmernd und weich,
Endlos durch die Räume
Ziehn sonnengleich
Sie über das Reich
Der Heiden und Bäume.

Herbstlied


Den Herbst durchzieht
Das Sehnsuchtslied
Der Geigen
Und zwingt mein Herz
In bangem Schmerz
Zu schweigen.


Bleich und voll Leid,
Dass die letzte Zeit
Erscheine,
Gedenk' ich zurück
An fernes Glück,
Und ich weine.


Und so muss ich gehn
Im Herbsteswehn
Und Wetter,
Bald hier, bald dort,
Verweht und verdorrt
Wie die Blätter.




Am graubedeckten Horizont erhebt
Sich rot der Mond, vom Nebeltanz getragen.
Das Feld schläft dampfend ein, die Frösche klagen
Im grünen Schilf, durch das ein Frösteln bebt.


Den Kelch verschliesst die Wasserblume wieder,
Starr und gedrängt in weiter Ferne reihn
Sich Pappeln auf in ungewissem Schein,
Leuchtkäfer irren zu den Büschen nieder.


Der Eulen lautlos finstre Schar erwacht,
Die Luft mit schwerem Fluge zu durchsteuern,
Der Äther füllt sich mit gedämpften Feuern,
Venus taucht bleich hervor: das ist die Nacht.

Nachtigall


Es senkt wie ein Schwarm von Vögeln sich
All mein Erinnern hernieder auf mich,
Hernieder durchs gelbe Laub von den Zweigen,
Und gebeugt ist mein Herz, wie Erlen sich neigen,
Die sich spiegeln, wo das Wasser der Reue
Schwermütig gleitet in tiefer Bläue.
Sie senken sich, bis im wachsenden Wehen
Des Winds ihre bösen Stimmen vergehen,
Im Baume verklingen mit sterbendem Laut,
Dass Stille rings von den Zweigen taut.
Nur die Stimme, die sie, die fern ist, in Tränen
Verherrlicht, tönt, nur die Stimme voll Sehnen
Des Vögleins, das erste Liebe mir war,
Das heute noch singt, wie vor manchem Jahr.
Und in dem trauernden Mondenscheine,
Der bleich und feierlich strahlt, wiegt eine
Schwermütige Nacht der Sommerszeit
Voll tiefer Sehnsucht und Dunkelheit
Im Himmel in flüsternden Windesschauern
Das Zittern des Baums und des Vogels Trauern.

Frau und Katze


Sie spielte mit ihrem Kätzchen,
Und reizend waren zu schau'n
Die weissen Hände und Tätzchen
Beim Tändeln im Abendgrau'n.


Versteckt hielt voll lustiger Mätzchen
Im Handschuh, o Tücke der Frau'n,
Die spitzigen Nägel mein Schätzchen,
Die scharf wie Messer, traun.


Auch die andere wollte gefallen
Und versteckt ihre grausamen Krallen,
Doch währt ihre Sanftmut nicht lang ...


Und im Zimmer, in Dämm'rung versunken,
Wo ihr silbernes Lachen erklang,
Erglänzten vier Phosphorfunken.

Herr Prudhomme


Der hohe Kragen schluckt sein Ohr, man sieht es kaum,
Die Äuglein schwimmen sorglos wie in sel'gem Traum,
Sein buntgestickter Schuh, wie farbenfreudig gleisst er.


Nicht der Gestirne Gold und nicht die Lauben preist er,
Wo süss der Vogel singt, und nicht den Himmelsraum.
Was kümmert ihn die Flur, der Wiesen grüner Saum?
Auf seiner Tochter Heirat richtet seinen Geist er.


Herr Dingsda ist's, der ihm als Schwiegersohn gefällt.
Er ist Botaniker, ist dick, hat ziemlich Geld –
Mög' ihn der Himmel vor dem Dichterpack behüten!


So schlecht gekämmtes Volk hat ihm noch nie gepasst.
Mehr als sein ew'ger Schnupfen ist es ihm verhasst.
Auf seinen Morgenschuh'n, da prangt der Lenz in Blüten.

Initium


Ich sah sie auf dem Ball im Wirbeltanz der Paare,
Der Geigen Lachen einte sich dem Flötenklang,
Hold spielten um ihr Ohr die feinen, blonden Haare,
Ihr Ohr, zu dem mein Wunsch gleich einem Kuss sich schwang,
Als spräch' er gern und wäre doch zu reden bang.


Und die Mazurka trug in schwebend-stillem Tanze
Mild tönend wie ein Lied sie weiter durch die Reih'n,
Ein Reim von süssem Klang, ein Bild von lichtem Glanze,
Und ihre Kinderseele strahlte hell und rein
Durch ihrer grauen Augen sinnlich weichen Schein.


Und unbewegt seit diesem Augenblicke bete
Ich ihre Schönheit an, der sich mein Herz geweiht,
So schreitet bang, als ob in Tempels Nacht sie träte,
In die Erinnerung der Liebe Herrlichkeit.


Und hier, ich fühl' es wohl, ach hier beginnt mein Leid.

Serenade


Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.


O öffne Seele und Ohr, den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.


Ich singe dein Auge voll goldenen Glücks,
Das schattenlos klare,
Dann den Lethe deiner Brust, dann den Styx
Deiner dunklen Haare.


Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.


Und das Lob meines Sanges preist und erhebt
Den Leib, den geweihten,
Dessen süsser Duft zur Nacht mich umwebt
In schlaflosen Zeiten.


Und ich singe die Küsse von rotem Mund,
Dass dein Preis ohne Mängel,
Deine Süsse, die mich gerichtet zugrund,
Meine Dirne, mein Engel!


O öffne Seele und Ohr, auf den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.

Nevermore


Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse,
Neu baue im Triumph dein buntes Siegestor,
Von falschem Goldaltar steig' Weihrauchduft empor,
Gib, dass an Abgrundshang der Flor der Blumen sprosse,
Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse.


Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang,
Lass, heis're Orgel, das Tedeum mächtig tönen,
Die frühen Runzeln schmink', dein Antlitz zu verschönen,
Häng' rote Teppiche die morsche Wand entlang,
Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang.


Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!

Mein weltentrückter Traum ward Wahrheit, es umschlingt
Mein froher Arm das Glück, den Fremdling, leicht beschwingt,
Der schüchtern flieht beim Nah'n der Menschen, die ihn locken.
Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!


Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück;
Das Leben, mitleidlos, entschreitet ohne Säumen,
Der Wurm ist in der Frucht, Erwachen ist im Träumen,
Die Reu' ist in der Lieb', so zwingt uns das Geschick.
Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück.

Pariser Notturno


Ja rolle, rolle, Seine, deine trägen Wogen,
Durch deine giftumhauchten, finstern Brückenbogen
Schwamm mancher Leichnam schon entstellt, verwesend, fort,