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Autor

Der New-York-Times-Bestsellerautor James Rollins hat einen Doktorgrad in Tiermedizin. Als begeisterter Höhlenforscher und ebenso eifriger Taucher ist er häufig unter Wasser oder unter der Erde anzutreffen. Er wohnt in den Bergen der Sierra Nevada in Kalifornien, USA.

Von James Rollins bei Blanvalet erschienen:

Sigma-Force:

Der Genesis-Plan, Feuermönche, Sandsturm, Der Judas-Code, Das Messias-Gen, Feuerflut, Mission Ewigkeit, Das Auge Gottes

Die Tucker-Wayne-Romane:

Killercode

Die Bruderschaft der Christuskrieger:

Das Evangelium des Blutes, Das Blut des Verräters, Die Apokalypse des Blutes

Außerdem:

Sub Terra, Im Dreieck des Drachen, Das Flammenzeichen, Operation Amazonas, Das Blut des Teufels

Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels (37092)

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James Rollins

Grant Blackwood

Killercode

Roman

Aus dem Englischen
von Norbert Stöbe

Die englische Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Kill Switch« bei William Morrow, New York.

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1. Auflage

Copyright der Originalausgabe © 2014 by Jim Czajkowski & Grant Blackwood

Published in agreement with the author, c/o Baror International, Inc. Armonk, New York, U.S.A.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -abbildung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

Redaktion: text in form / Gerhard Seidl

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-19515-1
V001

www.blanvalet.de

Für alle vierbeinigen Krieger dort draußen …
Und für die, welche an ihrer Seite dienen.

Frühling 1900
Betschuanaland, Afrika

Doktor Paulos de Klerk verstaute die letzten medizinischen Vorräte und schloss die drei Messingschließen der Holztruhe, wobei er vor sich hin murmelte: »Amat … victoria … curam.« Wie ein Mantra.

Der Sieg liebt die Vorbereitung.

Es war eine Art Gebet.

»Nun, mein lieber Doktor, was machen die Vorbereitungen?«, dröhnte General Manie Roosas Stimme vom Wachturm des Forts herab.

De Klerk schirmte die Augen gegen die blendende Sonne ab und schaute zu dem bärtigen Mann hoch, der sich mit breitem Grinsen übers Geländer lehnte. Roosa war keine sonderlich imposante Erscheinung, wirkte aufgrund seiner Ausstrahlung aber über zwei Meter groß. Seine Größe lag im Blick des Betrachters. Der General machte den Eindruck, er sei jederzeit bereit zum Kampf.

Wenn die Nachrichten aus dem Norden stimmten, würde es bald dazu kommen.

»Sind wir bereit?«, setzte Roosa nach.

De Klerk wandte seine Aufmerksamkeit den anderen Truhen, Kisten und Jutesäcken zu. Zwar hatte die Bemerkung des Generals wie eine Frage geklungen, doch er wusste, dass sie nicht so gemeint war. Ihr Anführer hatte die »Frage« an diesem Tag schon mehrfach an nahezu jeden Burensoldaten gestellt, der seinem Befehl unterstand. Sie alle wuselten geschäftig um das Plateau mit dem Fort herum, reinigten Waffen, zählten Munition und bereiteten sich ganz allgemein auf den bevorstehenden Marsch vor.

Mit einem übertriebenen Seufzer antwortete de Klerk: »Wie immer werde ich fünf Minuten vor Ihnen zum Aufbruch bereit sein, mein General.«

Roosa lachte dröhnend und klatschte die Hand aufs Holzgeländer. »Sie machen mir Spaß, Doktor. Wären Sie nicht so tüchtig, wäre ich versucht, Sie hier in der Sicherheit des Forts zurückzulassen.«

De Klerk schaute sich im geschäftigen Fort um. Er ging nur ungern von hier fort, doch er wusste, wo er am dringendsten gebraucht wurde. So primitiv die Anlage auch war, hatte sie mit ihren Palisaden und Blockhäusern doch zahllosen Angriffen der Briten widerstanden und war den Burenkämpfern eine Zuflucht gewesen. Dass sie die schützenden Mauern verlassen mussten, bedeutete vermutlich, dass er und seine Helfer in den kommenden Tagen eine Menge zu tun bekommen würden.

Nicht dass er an die Gräuel des Kriegs nicht gewöhnt gewesen wäre.

De Klerk war erst zweiunddreißig, doch dies war für ihn bereits das fünfte Kriegsjahr binnen einer Dekade. Der erste Krieg, der Vryheidsoorloë oder Befreiungskrieg, war 1880 ausgetragen worden, hatte gnädigerweise nur ein Jahr gedauert und war für die Boers – wie man die Farmer auf Holländisch und Afrikaans nannte – gut ausgegangen, denn sie hatten sich von der britischen Herrschaft in Transvaal befreit. Acht Jahre später begann der zweite Vryheidsoorloë, der auch auf den angrenzenden Oranjefreistaat übergriff.

Gleicher Anlass, mehr Soldaten, dachte er mürrisch.

Die Briten wollten die Buren wieder ihrem Kolonialregime einverleiben, doch das gefiel denen gar nicht. De Klerks Vorfahren waren in die Savannen und Berge Afrikas ausgewandert, um frei zu sein, und jetzt wollten ihnen die Engelse das wegnehmen. Anders als im ersten Vryheidsoorloë zog sich dieser Krieg hin, und die Briten verfolgten eine Politik der verbrannten Erde. Wenngleich weder de Klerk noch seine Kameraden es aussprachen, wussten sie, dass ihre Niederlage unausweichlich war. Der Einzige, der sich gegen diese Einsicht sträubte, war General Roosa; wenn es um Kriegsführung ging, war der Mann ein unverbesserlicher Optimist.

Roosa drückte sich vom Geländer ab, stieg die primitive Holzleiter herunter und ging zu de Klerk hinüber. Der General straffte seine Kakiuniform mit ein paar eingeübten Handgriffen. Er war etwa so groß wie der Arzt, jedoch stämmiger gebaut und hatte einen buschigen Bart. Aus Hygienegründen rasierte de Klerk sich regelmäßig und verlangte dies auch von seinen Hilfskräften.

»Wie ich sehe, packen Sie eine Menge Verbandszeug ein«, sagte Roosa. »Haben Sie so wenig Vertrauen in meine Führungsqualitäten, Doktor? Oder haben Sie eine zu hohe Meinung von den Engelse-Soldaten?«

»Letzteres gewiss nicht, mein General. Aber ich weiß, dass ich schon bald zahlreiche gegnerische Gefangene mit Schussverletzungen werde behandeln müssen.«

Roosa runzelte die Stirn und strich sich den Bart. »Also, was das betrifft, Doktor … Beistand für den Gegner, meine ich …«

Darüber waren sie sich uneins, doch de Klerk weigerte sich nachzugeben. »Wir sind Christen, oder etwa nicht? Es ist unsere Pflicht, Menschen in Not zu helfen. Aber mir ist auch klar, dass unsere Leute Vorrang haben. Ich werde den britischen Soldaten gerade so viel Hilfe zukommen lassen, dass sie so lange überleben, bis sich ihre eigenen Ärzte ihrer annehmen können. Wenn wir das nicht tun, sind wir nicht besser als der Gegner.«

Roosa klopfte ihm auf die Schulter. Er war zwar nicht seiner Meinung, respektierte aber seine Einstellung.

Aus Gründen, die er nicht ganz nachvollziehen konnte, hatte Roosa ihn zu seinem Vertrauten auserkoren. Der Kommandant besprach häufig Dinge mit de Klerk, die nichts mit seinen medizinischen Aufgaben zu tun hatten – ganz so, als betrachte der General ihn als sein Gewissen.

Doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb Roosa ein so großes Interesse an seinen Vorbereitungen zeigte. Die dem General unterstehenden Männer waren seine Familie, ein Ersatz für seine Frau, seine drei Töchter und zwei Söhne, die zwei Jahre zuvor den Pocken erlegen waren. Dieser Verlust hatte Roosa beinahe zerstört und dauerhafte Narben in ihm hinterlassen. Wenn es um Schuss- oder Bajonettverletzungen ging, war der General phlegmatisch und optimistisch; bei Krankheiten zeigte er sich überängstlich.

Roosa wechselte das heikle Thema und deutete auf das ledergebundene Tagebuch, das sich stets in de Klerks Nähe befand. »Wie ich sehe, haben Sie vor, weitere Pflanzen zu katalogisieren.«

Liebevoll und beschützend berührte der Mediziner den abgenutzten Einband. »Ja, so die Vorsehung es zulässt. Wenn wir in die Richtung ziehen, die ich vermute, werde ich auf viele unbekannte Arten stoßen.«

»Wir ziehen in der Tat nach Norden, in die Karasberge. Die Kundschafter haben gemeldet, eine Brigade feindlicher Soldaten halte sich westlich von Kimberley auf, befehligt von einem neuen Kommandanten – einem Colonel, der erst kürzlich aus London eingetroffen ist.«

»Und der es gar nicht erwarten kann, sich zu beweisen.«

»Wollen wir das nicht alle? Wenn wir morgen aufbrechen, werden uns ihre Voraustrupps bis zum frühen Abend entdeckt haben.«

Dann wäre die Jagd eröffnet. De Klerk war zwar kein Militärstratege, begleitete General Roosa aber schon so lange, dass er dessen Lieblingstaktik kannte: Er wollte sich von den britischen Kundschaftern entdecken lassen und den Gegner dann in die Karasberge und in einen Hinterhalt locken.

Die Briten kämpften lieber in der Savanne, wo ihre überlegene Feuerkraft zum Tragen kam. Die gegnerischen Kommandanten mochten die Hügel, Berge und Schluchten nicht, und es störte sie gewaltig, dass Roosa und dessen hinterwäldlerische Farmer sich weigerten, zu ihren Bedingungen zu kämpfen. Mit dieser Strategie hatte Roosa die Briten schon häufig in arge Bedrängnis gebracht. Trotzdem lernte der Gegner nicht hinzu.

Wie lange aber würde diese Überheblichkeit Bestand haben?

Ein kalter Schauder durchrieselte de Klerk, als er sein Reisetagebuch einpackte.

Die Soldaten standen vor Morgengrauen auf und brachen unbehelligt in nördlicher Richtung auf. Gegen Mittag traf auf einem schweißnassen, schnaufenden Pferd ein Kundschafter aus dem Süden ein. Er trabte an die Spitze der Kolonne zu Roosa.

De Klerk konnte sich denken, was er zu berichten hatte: Der Gegner hatte sie entdeckt.

Als der Kundschafter davonritt, ließ sich der General zum Sanitätswagen zurückfallen. »Die Briten werden bald die Verfolgung aufnehmen, Doktor. Es könnte sein, dass Ihr bequemer Wagen ein paar Erschütterungen abbekommt.«

»Ich mache mir weniger Sorgen um den Wagen als um meine empfindlichen inneren Organe. Wie immer werde ich’s wohl überleben.«

»Sie sind ein Mann von echtem Schrot und Korn, Doktor.«

Die Minuten dehnten sich zu Stunden, während der General ihre Einheit nach Norden zum Karasgebirge führte, dessen vorgelagerte Hügel bereits am Horizont sichtbar wurden, flirrend in der heißen Luft, die von der Savanne aufstieg.

Zwei Stunden vor der Abenddämmerung tauchte ein weiterer Kundschafter auf. Als er an de Klerk vorbeiritt, entnahm der Arzt seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck, dass etwas schiefgegangen war. Nach kurzer Unterredung verschwand der Kundschafter wieder.

Roosa wendete sein Pferd und rief den Offizieren zu: »Wagen bereit machen für schnelle Fahrt! In fünf Minuten!« Dann ritt er zu de Klerk zurück. »Der neue Colonel der Engelse ist ein scharfer Hund. Er hat die Größe seiner Brigade verborgen, indem er sie geteilt hat – die eine Hälfte ist der Hammer, die andere der Amboss.«

»Und wir sind das Roheisen in der Mitte.«

»Das hoffen sie jedenfalls«, erwiderte Roosa und grinste breit. »Aber Hoffnung verblasst bei Tageslicht. Zumal wenn wir sie vorher ins Karasgebirge locken.« Er winkte schneidig, riss sein Pferd herum und ritt davon.

Ein paar Minuten später dröhnte die Stimme des Generals über die Burenformation hinweg. »Eilfahrt … los!«

De Klerks Kutscher klatschte mit den Zügeln und rief: »Hüh … hüh!«

Die Pferde bockten, dann galoppierten sie los. De Klerk hielt sich am Bord fest, den Blick auf die fernen Groot Karasberge gerichtet.

Zu weit, dachte er grimmig. Die Entfernung ist zu groß, und wir haben zu wenig Zeit.

Eine Stunde später bewahrheiteten sich seine Befürchtungen.

Eine Staubwolke kündigte die Rückkehr der beiden Reiter an, die Roosa vorausgeschickt hatte, doch als der Staub sich legte, stellte sich heraus, dass nur ein Reiter zurückgekehrt war. Er hing schief im Sattel und kippte vom Pferd, als er die Kolonne erreichte, denn er hatte zwei Schussverletzungen davongetragen.

Roosa ließ den Trupp anhalten, dann winkte er de Klerk zu sich. Mit der Medizintasche eilte er zu dem gestürzten Mann und kniete neben ihm nieder. Beide Kugeln hatten lebenswichtige Organe verletzt und waren an der Brust des jungen Mannes ausgetreten.

»Kollabierte Lunge«, sagte er zu Roosa, der den Kopf des Mannes stützte.

Der achtzehnjährige Kundschafter hieß Meer. Er krampfte die Hand um Roosas Ärmel und versuchte zu sprechen, hustete aber erst einmal blutigen Schaum.

»Mein General«, krächzte der Junge, »ein Engelse-Bataillon … nördlich von uns. Schwere Kavallerie … mit Kanonen auf schnellen Munitionswagen.«

»Wie weit entfernt, mein Sohn?«

»Zwölf Kilometer.«

Meer hustete schwer. Ein Blutschwall kam aus seinem Mund. Er krümmte sich, wehrte sich gegen das Unvermeidliche und erschlaffte.

De Klerk untersuchte ihn rasch, dann schüttelte er den Kopf.

Roosa schloss dem Jungen die Augen und streichelte ihm übers Haar, dann richtete er sich auf. Zwei Soldaten schleppten Meers Leichnam fort.

De Klerk ging zum Kommandanten.

»Mein ganzes Gerede über den Hochmut der Engelse … ich war überheblich. Der neue britische Colonel versucht, uns vor Erreichen des Gebirges zu stoppen. Wenn sie uns hier auf offenem Gelände stellen … also, mein lieber Doktor, dann werden Sie mehr Arbeit bekommen, als Sie in Ihrem ganzen Leben bewältigen können.«

Er gab keine Antwort, doch Roosa bemerkte, dass er blass geworden war.

Der General packte de Klerk bei der Schulter. »Der Engelse-Colonel ist schlau, aber seine Zange ist so weit gespreizt, dass wir entkommen können. Bald wird uns die Nacht verschlucken.«

Eine Stunde später beobachtete de Klerk von der Rückseite des schaukelnden Wagens aus, wie die Sonne hinter dem Horizont versank. Es war fast schon Nacht, doch im Osten nahm eine rotgolden leuchtende Staubwolke ein Viertel des Himmels ein. Er versuchte, die Zahl der Pferde zu schätzen, die nötig waren, um so viel Staub aufzuwirbeln.

Zweihundert Reiter mindestens.

Und hinter ihnen Plan- und Munitionswagen mit Kanonen.

Gott steh uns bei …!

Wenigstens hatten sie unbehelligt das Vorgebirge erreicht und waren dem Zangengriff des Gegners vorerst entwischt. Der Wagen rumpelte in eine dunkle Schlucht hinein, die Staubwolke verschwand.

Er drehte sich um und musterte die unwirtliche Umgebung, ein Labyrinth von Hügeln, ausgetrockneten Wasserrinnen und Höhlen. Roosa hatte schon mehrfach die »Taschenforts« in den Bergen gerühmt, Befestigungen der Buren, in denen sie die britische Belagerung würden aussitzen können.

Jedenfalls hofften sie das.

Die Zeit wurde langsam unter den Wagenrädern und den Pferdehufen zermahlen. Schließlich kehrte einer der Kundschaftertrupps zurück, die Roosa nach Süden geschickt hatte. Nach kurzer Unterredung ritten die Männer wieder davon, und Roosa befahl, langsamer weiterzufahren.

Der General ritt zu de Klerks Wagen.

»Wir haben uns ein wenig Zeit erkauft, Doktor. Aber der Colonel ist nicht nur auf Zack, sondern auch stur. Seine Leute setzen die Verfolgung fort.«

»Was heißt das für uns?«

Roosa seufzte. Er zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich den Staub aus dem Gesicht. »Um Shakespeares Falstaff zu zitieren: Der Klügere gibt nach. Es wird Zeit, dass wir uns einigeln. Eins unserer Taschenforts liegt ganz in der Nähe. Gut versteckt, aber leicht zu verteidigen. Dorthin ziehen wir uns zurück, warten ab, bis die Engelse des Karasgebirges überdrüssig sind, und wenn sie abziehen, greifen wir sie von hinten an. Sie leiden doch nicht etwa an … wie nennt man das noch gleich? Angst vor engen Orten?«

»Klaustrophobie. Nein, daran leide ich nicht.«

»Freut mich zu hören, Doktor. Hoffentlich sind die anderen ebenso tapfer wie Sie.«

Eine halbe Stunde lang führte Roosa sie noch tiefer ins Gebirge hinein, dann bog er in eine schmale Schlucht ab und hielt vor einem großen Höhleneingang an.

An der Höhlenmündung gesellte de Klerk sich zu Roosa. »Was ist mit den Pferden und den Wagen?«

»Die nehmen wir mit in die Höhle. Wir müssen die Wagen teilweise auseinandernehmen, aber der Platz reicht aus für eine kleine Pferdekoppel.«

»Und die Vorräte?«

Roosa lächelte zuversichtlich. »Ich habe die Vorräte in der Höhle vor einiger Zeit aufgestockt, Doktor, außerdem habe ich noch ein paar Asse im Ärmel. Wenn der Colonel nicht monatelang im Gebirge verweilen will, haben wir nichts zu befürchten. Und jetzt, Doktor, sollten Sie sich zwei Männer nehmen und Ihre Sachen in die Höhle bringen lassen. Ich möchte, dass wir in einer Stunde fertig sind.«

Wie gewöhnlich bekam Roosa seinen Willen. Während die letzten Vorräte im flackernden Laternenschein in die Höhle getragen wurden, beaufsichtigte der General die Männer, welche die Schwarzpulverladungen am Höhleneingang anbrachten. De Klerk, der in einer Nebenhöhle eine Sanitätsstation eingerichtet hatte, ging zu ihnen und schaute zu.

»Gut, gut!«, rief Roosa einem der Pioniere zu. »Bring die Ladung links einen Meter höher an. Ja, genau da!« Der General wandte sich zum Arzt um. »Ah, Doktor, haben Sie sich eingerichtet?«

»Ja, General. Aber dürfte ich mich erkundigen … ist das klug? Uns hier drinnen einzusperren?«

»Es wäre sogar ausgesprochen unklug, Doktor, wenn dies der einzige Zugang wäre. Aber das ist ein ausgedehntes Höhlensystem mit vielen kleinen, gut versteckten Ausgängen. Ich habe mir das Vorgehen gut überlegt.«

»Das sehe ich.«

Vor dem Eingang ertönte Hufgetrappel. Nacheinander kamen die Scharfschützen, die den Auftrag gehabt hatten, die Briten zu drangsalieren, in die Höhle; jeder führte ein schnaufendes Pferd am Zügel mit sich. Der letzte Reiter hielt bei Roosa an.

»Wir haben ihren Vormarsch beträchtlich verlangsamt, General, aber ihre Kundschafter sind weniger als eine Stunde hinter uns. Ich schätze die gegnerischen Kräfte auf dreihundert Berittene, zweihundert Fußsoldaten und vierzig Zwölf-Pfund-Kanonen.«

Roosa rieb sich nachdenklich das Kinn. »Eine beeindruckende Streitmacht. Offenbar haben die Briten ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Nun, selbst wenn sie uns aufspüren, werden wir zu unseren eigenen Bedingungen kämpfen. Und dann, Kameraden, werden wir sehen, wie gut sich die Engelse auf das Ausheben von Gräbern verstehen.«

Nachdem der Höhleneingang gesprengt worden war, verstrich die Nacht ereignislos – ebenso der nächste Tag und die darauffolgenden sechs Tage. Die meisten Buren richteten sich in ihrer neuen Festung ein und machten sich daran, das Höhlensystem ein wenig behaglicher zu gestalten und für die Verteidigung vorzubereiten.

Währenddessen schlüpften Roosas Kundschafter im Schutz der Dunkelheit durch die geheimen Ausgänge nach draußen und kehrten stets mit dem gleichen Bericht zurück: Die britischen Bataillone waren in der Nähe und suchten anscheinend angestrengt, hatten die verborgene Festung aber noch nicht gefunden.

Nach einer Woche kehrte im Morgengrauen ein einzelner Kundschafter zurück. Der General saß gerade in der Offiziersmesse, einer kleinen Höhle, in der man aus einem zerlegten Wagen einen Tisch mit Bänken angefertigt hatte. Roosa und de Klerk hockten an dem einen Tischende und gingen im Schein der von der Decke hängenden Laterne den Krankenbericht durch.

Der erschöpfte, verdreckte Kundschafter trat vor Roosa hin. Der General erhob sich, rief nach einem Wasserschlauch, drückte den Kundschafter auf die Bank und wartete, während der Mann seinen Durst löschte.

»Hunde«, sagte der Kundschafter. »Bluthunde. Sie sind hierher unterwegs.«

»Sind Sie sicher?«, fragte Roosa.

»Ja, mein General. Ich habe ihr Gebell gehört, keine zwei Meilen entfernt. Ich glaube, sie nähern sich unserem Versteck.«

»Könnte es sich nicht um Schakale gehandelt haben?«, meinte de Klerk. »Oder um Wildhunde?«

»Nein, Doktor. Mein Vater hatte Bluthunde, als ich noch ein Kind war. Ich weiß, wie sie sich anhören. Ich habe keine Ahnung, wie sie …«

»Sie haben drei unserer Leute gefangen genommen«, erklärte Roosa, als hätte er mit dieser Nachricht gerechnet. »An denen haben sie Witterung aufgenommen. Und da wir in dieser verdammten Höhle festsitzen, werden sie uns auch finden …« Der General verstummte. Er musterte die besorgten Gesichter seiner Truppführer. »Meine Herren, wir sollten die Befestigungen bemannen, insofern man davon überhaupt sprechen kann. Offenbar werden die Engelse zum Tee hier sein.«

Der erste Geheimeingang, den die Briten entdeckten, lag an der Südseite des Höhlensystems – ein Loch, das hinter einem Felswirrwarr verborgen war.

Und so fing es an.

De Klerk traf Roosa vor einer Sandsackbarriere kniend an, zusammen mit einem seiner Truppführer, einem Mann namens Vos. Hinter den Sandsäcken senkte sich die Höhlendecke auf Schulterhöhe ab; an der anderen Seite, etwa fünfzehn Meter entfernt, führte ein horizontaler Schacht zum Geheimausgang. Ein Dutzend Soldaten waren am Höhlenboden postiert; sie knieten hinter Stalagmiten, das Gewehr in der Hand.

Während sie warteten, blickte de Klerk nach oben. Fingerbreite Risse durchzogen die Höhlendecke, und helle Sonnenstrahlen fielen auf den Boden.

Roosa drehte sich um, legte den Zeigefinger an die Lippen und deutete auf sein Ohr.

De Klerk nickte und schwieg. In der Stille der Höhle spitzte er die Ohren. In der Ferne vernahm er das leise Gebell der Bluthunde. Nach einigen Minuten verstummte es.

Alle hielten den Atem an. Ein Soldat hinter einem der vorderen Stalagmiten machte ein Zeichen.

Roosa nickte. »Er hört Stimmen. Mehrere Männer nähern sich durch den Schacht. Vos, Sie wissen, was zu tun ist.«

»Ja, mein General.«

Vos kratzte mit dem Bajonett über den Felsboden, worauf die Männer hinter den Stalagmiten sich zu ihm umdrehten. Vos machte ihnen Handzeichen. De Klerk wusste, was bevorstand, und fürchtete sich davor.

Der erste britische Soldat tauchte mit einer Laterne im Schacht auf. Er kroch heraus, dann trat er nach links, um dem nachfolgenden Platz zu machen. Insgesamt sechs britische Kundschafter krochen nacheinander aus dem Tunnel und hockten sich an der anderen Seite der Höhle nieder. Sie leuchteten Wände, Decke und Stalagmiten ab.

De Klerk beobachtete sie mit angehaltenem Atem.

Da sie glaubten, die Höhle sei leer, befestigten die Eindringlinge ihre Laternen am Gürtel und rückten mit angelegtem Gewehr vor.

Vos ließ sie bis auf sieben Meter herankommen – dann rammte er zwei Mal das Bajonett auf den Boden. Seine Männer sprangen aus ihrem Versteck hervor und eröffneten das Feuer. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann waren die britischen Kundschafter bis auf einen tot. Stöhnend kroch der Verletzte zum Schacht und ließ eine Blutspur hinter sich zurück.

De Klerk packte seine Medizintasche und richtete sich auf. Roosa fasste ihn beim Unterarm und schüttelte den Kopf.

»Aber General, er ist …«

»Ich sage nein, Doktor. Je furchterregender wir auf die Engelse wirken, desto eher kommen wir hier weg. Vos, übernehmen Sie das.«

Vos setzte über die Sandsäcke hinweg, zog das Messer und ging zu dem verwundeten Soldaten. Er kniete nieder und schnitt ihm die Kehle durch.

»Es tut mir leid, Doktor«, sagte Roosa. »Ich gebe einen solchen Befehl nur ungern, aber wenn wir überleben wollen, müssen wir brutal vorgehen.«

Das Abschlachten des Soldaten lag de Klerk wie ein kalter Stein in der Brust. Er wandte sich beklommen ab. Eines war sicher: Dem strafenden Blick des Herrn entging keine Sünde.

Die Tage verstrichen, und die Briten griffen unermüdlich an. Inzwischen kannte der Gegner alle Nebeneingänge bis auf einen. An den Befestigungen, wie Roosa die Eingänge nannte, fanden kleine, aber heftige Gefechte statt. Der britische Colonel war nicht nur entschlossen, seine Leute in Roosas Fleischwolf hineinzuschicken, sondern nahm auch furchtbare Opferzahlen in Kauf – fünf, sechs oder sieben seiner Soldaten für jeden verwundeten oder getöteten Buren.

De Klerk bemühte sich nach Kräften, den Verletzten und Sterbenden beizustehen, doch als die Tage sich zu Wochen dehnten, stiegen die Opferzahlen – zunächst aufgrund der britischen Kugeln, dann wegen Krankheit. Der erste kranke Soldat, der die Sanitätsstation aufsuchte, klagte über heftige Magenkrämpfe. Die Sanitäter behandelten ihn mit Kräutern, doch nach einigen Stunden bekam der Mann Fieber und krümmte sich vor Schmerzen. Am nächsten Tag tauchten zwei weitere Männer mit den gleichen Symptomen auf; am darauffolgenden Tag waren es vier.

Die Krankenstation verwandelte sich in ein Irrenhaus mit schreienden, sich krümmenden Patienten. Am vierundzwanzigsten Tag der Belagerung kam Roosa, um wie jeden Morgen nach den Verwundeten zu sehen. De Klerk schilderte ihm die ernste Lage.

Als er geendet hatte, runzelte Roosa die Stirn. »Zeigen Sie’s mir.«

De Klerk nahm eine Laterne und führte Roosa in den Winkel der Höhle, wo abgesondert die Kranken lagen. Sie knieten neben dem ersten Patienten mit den charakteristischen Symptomen nieder, einem blonden jungen Mann namens Linden. Er warf sich auf der Pritsche hin und her und war leichenblass. Die Arme hatte man ihm mit Lederriemen festgebunden.

»Ist das wirklich nötig?«, fragte Roosa.

»Ein neues Symptom«, antwortete de Klerk und zeigte dem General, was er meinte.

Er zog das dünne Baumwollhemd hoch und entblößte den Oberkörper des Mannes. Sein Bauch war mit warzenartigen Knoten bedeckt, doch es hatte den Anschein, als wären sie von innen nach außen gewachsen.

»Mein Gott. Was ist das?«

De Klerk schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, General. Ohne die Fesseln hätte er sich den Bauch längst aufgekratzt. Schauen Sie.«

Sie beugten sich über den Körper des Jungen. Mit der Spitze eines Skalpells deutete der Arzt auf einen erbsengroßen Knoten. »Sehen Sie die milchig-grüne Verfärbung unter der Haut?«

»Ich sehe sie. Als ob etwas in ihm wachsen würde.«

»Nicht als ob, General. Da wächst tatsächlich etwas. In allen. Und was immer das ist, es will heraus. Alle Kranken haben dieses Symptom. Schauen Sie!«

Roosa zog eine Laterne heran. Der erbsengroße Knoten wand sich unter der Haut wie ein Wurm. Vor ihren Augen entwickelte sich am Rand des Knotens eine rote Blase, die rasch auf die Größe einer reifen Pflaume anschwoll.

»Was zum Teufel …?«, flüsterte Roosa.

»Treten Sie zurück.«

Der Arzt schnappte sich ein Tuch und legte es auf den Knoten. Das Tuch beulte sich einen Moment lang aus – dann ploppte es vernehmlich. Ein rötlicher Fleck mit gelbem Rand breitete sich auf dem Tuch aus. Der Patient bäumte sich auf, die Pritschenbeine knallten auf den Boden.

Einer der Sanitäter eilte herbei und drückte Linden aufs Lager nieder. Der Junge bäumte sich noch immer auf, den Kopf ins Kissen gedrückt. Plötzlich bildeten sich am Hals und auf dem Bauch des Kranken Dutzende Knoten, und die Blasen schwollen zusehends an.

»Zurück, zurück!«, rief de Klerk, worauf er, der General und der Sanitäter sich von der Pritsche entfernten.

Entsetzt beobachteten sie, wie die Blasen eine nach der anderen platzten. Im flackernden Laternenschein zeichnete sich ein gelblicher Nebel ab, der sich langsam auf den Körper des Jungen absenkte.

Mit leerem Blick bäumte Linden sich ein letztes Mal auf, sodass er nur noch mit Fersen und Hinterkopf die Pritsche berührte, dann erschlaffte er und rührte sich nicht mehr.

De Klerk verzichtete auf eine nähere Untersuchung, und Roosa stellte auch keine Fragen. Linden war tot. Der Sanitäter deckte den Leichnam zu.

»Wie viele sind bislang erkrankt?«, fragte Roosa mit brüchiger Stimme.

»Sieben.«

»Und wie lautet die Prognose?«

»Wenn ich die Ursache nicht herausbekomme und kein Gegenmittel finde, werden alle sterben, fürchte ich. Wie dieser Junge. Aber das ist nicht die schlimmste Neuigkeit.«

Roosa wandte den Blick von der zugedeckten Leiche ab.

»Das ist erst der Anfang. Es werden noch mehr erkranken.«

»Sie befürchten eine Ansteckung.«

»Davon muss ich ausgehen. Sie haben den Nebel gesehen, den die Blasen freigesetzt haben. Das ist irgendein Mechanismus – so breitet sich die Krankheit aus.«

»Was glauben Sie, wie viele sich bereits angesteckt haben?«, fragte Roosa.

»Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen und auch nichts darüber gelesen, das müssen Sie verstehen. Vor drei Tagen war der Junge noch kreuzfidel. Jetzt ist er tot.«

»Wie viele?«, setzte Roosa nach. »Wie viele werden erkranken?«

De Klerk sah dem Kommandanten offen in die Augen. »Alle. Jeder Einzelne hier in der Höhle.« Er packte Roosa beim Handgelenk. »Was auch immer diese Männer umbringt, es ist äußerst ansteckend. Und es ist hier bei uns.«

Teil 1

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