Ich werde dich umbringen
Published by Alfred Bekker, 2017.
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Zwei Krimis
Alte Freundin braucht Hilfe
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Personen
Dienstag, 10. Juni
Mittwoch , 11. Juni
Donnerstag, 12. Juni
Freitag, 13. Juni
Samstag, 14. Juni
Sonntag, 15. Juni
Montag, 16. Juni
Dienstag, 17. Juni
Mittwoch, 18. Juni
Donnerstag, 19. Juni
Freitag, 20. Juni
Samstag, 21. Juni
Sonntag, 22. Juni
Montag, 23. Juni
Ende Juni
Tot und blond
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Impressum neobooks
Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Horst Bieber: Alte Freundin braucht Hilfe
Alfred Bekker: Tot und blond
Horst Bieber gewann den deutschen Krimi-Preis.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Kriminalroman von HORST BIEBER
Der Umfang dieses Buchs entspricht 138 Taschenbuchseiten.
Hauptkommissar Rudolf (Rudi) Herzog arbeitet im LKA-Referat Zeugenschutz und übernimmt den Schutz der als Zeugin in einem Mordprozess geladenen Isa Vandenburg , die Rudi seit der Grundschule kennt und mit der er einmal auch ein Ferienverhältnis gehabt hat, was er allerdings im Amt den Kollegen verschweigt.
Viele fürchten Isas Kenntnisse und folglich ihre Aussage vor Gericht, und bis zu ihrem Auftritt in der Verhandlung werden auch mehrere Anschläge auf sie verübt, die zwar alle abgewehrt werden können, aber Rudi langsam daran zweifeln lassen, dass er es mit einer unschuldigen, zu Unrecht verfolgten Schönheit an seiner Seite zu tun hat...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author/ Titelbild: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2017
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Rudolf (Rudi) Herzog (40): Kriminalhauptkommissar in der Abteilung Zeugenschutz des LKA Hessen
Isa Vandenburg (40): Eine zu schützende Zeugin, Grundschulfreundin von Rudi Herzog
Ilka Vandenburg (38): Isas Schwester, lebt zur Zeit im Schlangenbader Haus ihrer Schwester Isa
Julia und Jonas Vandenburg (beide 16): Isas Zwillinge
Paul Fichter: Rudis Gruppenleiter
Detlef Brock: Kriminalrat, Chef der Abteilung Zeugenschutz
Ullrich Schiefer: Hälftiger Eigentümer der Firma Utom Import & Export
Tomasio Lucano: Schiefers Utom-Partner, ist ermordet worden
Boris Stepkow: Verurteilter Mörder des Tomasio Lucano
Wilfried Lederer: Staatsanwalt
Andrea Sturm: Staatsanwältin
Alexander Dorberg: Essener KHK i.R.
Erwin Hösel: Vorsitzender Richter einer Strafkammer in Wiesbaden
Timo Reufels: Schlechter Pokerspieler mit hohen Schulden
Hugo Klimmt: hilfsbereiter Klempnermeister und Geschäftsbesitzer
Alle Namen und Taten, Personen und Ereignisse, Geschäfte und Organisationen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Die vier Männer und die Frau, die seit Stunden in dem abhörsicheren Konferenzraum des Landeskriminalamtes saßen, kannten sich alle seit Jahren und verstanden sich normalerweise recht gut. Aber mittlerweile war die Stimmung in der Runde fast so schlecht wie die Luft. Die Lautstärke hatte zugenommen, der Ton war schärfer geworden, die Argumente bissiger. Doch Fortschritte hatten sie nicht erzielt.
„Sie müssen uns helfen“, schloss Peter Lössmann, Hauptkommissar im Referat Organisierte Kriminalität, sein eindringliches Plädoyer. Kriminalrat Detlef Brock, Leiter der Abteilung Zeugenschutz, antwortete so stur und unfreundlich wie schon die ganze Zeit zuvor: „Wir müssen gar nichts, Herr Kollege. Wir sollen eine Zeugin zu einem bestimmten Zeitpunkt lebend und aussagefähig in einem Gerichtssaal abliefern, nicht mehr und nicht weniger. Was uns hoffentlich gelingt. Sobald der Vorsitzende diese Frau aus dem Zeugenstand entlässt, gehört sie Ihnen. Bis dahin werden wir sie beschützen und nicht vernehmen. Wir sind keine Ermittler und wollen auch nicht in den Verdacht geraten, anderen Referaten zu dienen.“
„Aber sie ist im Moment die wichtigste Zeugin für das, was sich bei dieser Utom Import und Export abgespielt hat.“
Brock blieb stur. „Das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn das so ist, hätten Sie sie vielleicht gründlicher vernehmen sollen, bevor sie nach dem Unterschreiben ihrer Aussage fortgehen durfte.“
„Herr Lederer kann bestimmt erklären, warum zu diesem Zeitpunkt noch kein Verfahren gegen Utom eingeleitet war.“
„Das habe ich doch schon mehrmals“, knurrte Staatsanwalt Wilfried Lederer. „Ein Anfangsverdacht ergab sich erst, nachdem wir mit der Familie Lucano gesprochen hatten. Und die musste für eine Fahrt aus dem tiefsten Süden Siziliens drei Tage mit den langsamsten Bummelzügen anreisen, weil sie angeblich kein Geld für Flugtickets besaß. Danach haben wir sofort versucht, mit der Zeugin erneut zu sprechen. Doch die war an einen unbekannten Ort 'verreist', sobald sie bei uns ihre Aussage gegen Schiefer unterschrieben hatte.“
„Gut verständlich“, lachte Paul Fichte, Leiter der Gruppe, die den Schutz der Zeugin übernommen hatte. „Sobald sie über Utom singt, müssen viele in Deutschland um ihre Freiheit und im schönen Italien um ihr Leben fürchten.“
„Sie können einem richtig Mut machen“, flötete die Frau spitz. Staatsanwältin Andrea Sturm war erst seit zwei Jahren dabei und hielt viele Horror-Geschichten über die Mafia und die Camorra für übertrieben.
„Das war nicht meine Absicht, Frau Staatsanwalt.“
„Darf ich Ihnen eine Frage zu ihrer beruflichen Tätigkeit stellen?“
„Natürlich.“
„Sie halten es also für möglich, dass jemand die Zeugin noch vor dem Auftritt im Gericht umbringt und Sie das nicht verhindern können.“
Fichte warf einen Blick auf seinen Vorgesetzten Brock und seufzte. „Das ist leider nicht so einfach. Seit diesem verdammten Zeitungsartikel wissen Schiefer und sein Anwalt, was Schiefers frühere Mitarbeiterin aussagen wird. Wenn sie zwei oder drei Tage vor ihrem vorgesehenen Zeugen-Auftritt in einem Kühlfach einer Gerichtsmedizin landet, wird jeder Mensch, auch ein erfahrener Kammervorsitzender, vermuten, da ist also was dran, was sie über Schiefer und die Utom beim Staatsanwalt ausgesagt hat und unter Eid wiederholen wollte respektive sollte. Ob sich Schiefer einen Gefallen tut, wenn er jetzt ein Killerkommando losschickt, steht sehr dahin.“
„Aber die vielen Geschäftspartner von Utom, die die Kenntnisse der Zeugin fürchten müssen, wären erleichtert.“
„Vielleicht sogar in doppelten Hinsicht, Frau Staatsanwalt.“
„Wie meinen Sie das?“
„Schiefers Geschäftspartner wären eine gefährliche Belastungsquelle los und möglicherweise auf Jahre einen langjährigen Partner, der nach aller Aufmerksamkeit, die er schon erregt hat, mehr eine Belastung geworden denn ein zuverlässiger Geschäftspartner geblieben ist.“
Brock mischte sich ein. „Fichte will sagen, dass wir es unter Umständen mit zwei Gruppen zu tun haben, die hinter der Zeugin Vandenburg her sind. Für Schiefer wäre es ideal, wenn sie erst im Zeugenstand widerrufen würde – womit ihre Glaubwürdigkeit im Fall Schiefer und bei allen späteren Verfahren zum Teufel wäre – und eine Gruppe, für die es am sichersten wäre, die Zeugin schon vorher zum Schweigen zu bringen.“
Staatsanwalt Lederer mischte sich ein: „Es gibt nicht nur zwei Gruppen, die an der Zeugin interessiert sind, sondern drei. Vergessen Sie die Familie Lucano nicht, die einem 'Ehrenkodex' verpflichtet ist, den unser Gesetzbuch nicht akzeptiert.“
„Also Blutrache?“, fragte Andrea Sturm ungläubig.
„Am Ende läuft es darauf hinaus, ja. Wie es übersetzt genau heißt, weiß ich nicht.“
Fichte holte tief Luft: „Wir halten es für denkbar, dass Schiefers Konkurrenten und Feinde die Vandenburg so schnell wie möglich ins Grab bringen wollen, damit Schiefer für Jahre hinter Gittern verschwindet und die Konkurrenz sein Geschäft übernehmen kann. Genauer: die Verbindungen und Kontakte aufnimmt oder an sich zieht, dank derer Utom erfolgreich war.“
„Großartig“, platzte Andrea Sturm heraus, „das macht das alles so klar und übersichtlich.“
Brock und Lössmann zuckten die Achseln. Es war die erste Gemeinsamkeit in der langen Sitzung. Fichte sagte trocken: „Die Zeugin Vandenburg ist zumindest Mitwisserin strafbarer Handlungen. Wie weit sie Beihilfe geleistet hat, muss die Justiz entscheiden.“
*
Bodo Zoller, den sie wegen seiner akzentfreien deutschen Sprache und seines „nordischen Aussehens“ zum Verbindungsmann bestellt hatten, traf sich mit seinem „Objekt“ wie gewöhnlich abends spät in ihrer Wohnung. Er traute ihr seit dem Zeitungsartikel über die Aussage der Vandenburg bei Staatsanwalt Lederer nicht mehr hundertprozentig, obwohl sie schwor, sie sei in diesem Fall nicht die Quelle für den Journalisten gewesen. „Tut mir leid, Bodo, ich habe nur diese GPS-Angaben. Über alles andere wird eisern geschwiegen.“
„Weißt du wenigstens, ob und wie sie bewaffnet und ausgerüstet sind?“
„Wie üblich, MP, ein G 200 und Nachtsichtgeräte.“
„Danke.“ Sie zog ihr Shirt hoch, und er schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid, heute kann ich nicht bleiben. Wir müssen uns noch heute vor völliger Dunkelheit das Gelände und die Umgebung anschauen. Ein andermal gern, mein Schatz, versprochen.“
Der blauäugige Riese Bodo war gerade fünf Minuten weg, als es an ihrer Wohnungstür klingelte. Marcel – der Teufel mochte wissen, wie er richtig hieß – schien zu ahnen, was der Besucher vor ihm falsch gemacht hatte. Als erstes legte er ein Bündel Geldscheine auf den Tisch, dann griff er ihr in den Schritt und begann mit der anderen Hand, unter dem Shirt den Verschluss ihres BHs aufzuhaken. Sie schnallte schon seinen Gürtel auf. Nach dem zweiten Höhepunkt gab sie ihm freiwillig einen Zettel mit den Daten, die sie auch Bodo ausgehändigt hatte, und bezog das Bett neu, bevor sie duschte. Marcel hatte zweitausend Euro auf ihrem Tisch zurückgelassen. Sie nahm die Hälfte und stieg eine Treppe hoch, klingelte. „Hei, Andy. Ich haben mein ausgeliehenes Geld bekommen und kann dir jetzt dein Geld zurückgeben.“
„Prima. Darauf einen Schluck?“
„Aber immer.“ Sie strich sich über Hüften und Busen, was ihm nicht entging. Reizvoll war sie nicht, aber im Bett erfahren und jederzeit willig. Sie hatte Bodo und Marcel im Rondeau getroffen. Sie ging häufiger in das Lokal, weil hier Männer Frauen aufgabelten, die deswegen auch in diesen düsteren Schuppen kamen.
„Dann komm rein.“ Sie ging um Mitternacht in ihre Wohnung zurück. Das hatte ja alles geklappt wie bestellt. Sie kassierte für ihre Auskünfte immer gern zweimal und musste nur darauf achten, dass sich Bodo und Marcel nicht zufällig bei ihr trafen.
Der Chef hatte schlechte Laune, alle hatten es ihm schon angesehen, als er zur Morgenbesprechung in das Konferenz-Zimmer kam. Seine Haare standen wild vom Kopf ab. „Mal herhören!“, schnarrte er, „ich habe schlechte Nachrichten für euch. Kollege Rotter ist heute nacht gestorben.“
„Scheiße!“ - „Verdammt, das gibt’s doch nicht!“ - „Um Himmels willen!“ - „Die armen Kinder!“ - Rotter hatte ein Zwillingspärchen, das in diesem Jahr eingeschult worden war.- „Die arme Frau!“
„Ja“, sagte der Chef bissig, „Das war die erste Katastrophenmeldung. Die zweite ergibt sich logisch daraus. Die Vandenburg hatte wohl Recht mit ihrer Behauptung gegenüber dem Journalisten, es gebe hier bei uns einen Maulwurf.“
„Halt mal“, unterbrach Rudi Herzog seinen Chef energisch und trat einen Schritt vor. „Wie heißt die Zeugin? Vandenburg?“
Paul Fichte nickte.
„Und wie mit Vornamen?“
„Isa.“
„Weißt du zufällig auch, wo sie geboren ist?“
„In Mainz-Kastel, so viel ich weiß. Warum fragst du?“
„Ich bin in Mainz-Kastel mit einer Isa Vandenburg in die Grundschule gegangen. Oder hieß das damals noch Volksschule? So häufig ist der Name Vandenburg ja nun nicht, der Vorname Isa auch nicht.“
„Nee“, sagte der Chef gedehnt. „Rudi, wir reden gleich mal unter vier Augen, einverstanden?“
Rudi Herzog brummte zustimmend und trat in die zweite Reihe zurück. Das gehörte mit zum Schlimmsten, wenn man einen Maulwurf in den eigenen Reihen befürchten musste. Man durfte keinem mehr rückhaltlos vertrauen und musste den Kreis der Mitwisser, bei wichtigen und unwichtigen Einzelheiten, so klein wie möglich halten. Die sieben Kollegen und drei Kolleginnen, die zur Zeit in dieser Gruppe Zeugenschutz arbeiteten, kannten diese Vorsichtsmaßnahmen; keiner liebte sie, aber alle beachteten sie. Der Kollege Rotter könnte vielleicht noch leben, wenn geheim geblieben wäre, wo er sich mit der Zeugin Isa Vandenburg versteckt gehalten hatte. Aber so war gestern Abend das abgelegene Haus im Lesterwald mit Maschinenpistolen und Leuchtspurmunition angegriffen worden. Rotter hatte es dabei mit einem Streifschuss bös erwischt, der ihn sofort außer Gefecht setzte. Die Zeugin Vandenburg konnte später aus dem brennenden Haus fliehen, aber als die von ihr alarmierten Kollegen plus Feuerwehr eintrafen, stand der ganze Bau schon in hellen Flammen. Rotter, der halb drinnen, halb draußen an der Haustür lag, lebte zwar noch, als man ihn bergen konnte, aber die Kugel, der Blutverlust, die Flammen und die eingeatmeten Rauchgase hatten ihm zu stark zugesetzt. Er war heute nacht auf einer Intensiv-Station seinen Verletzungen erlegen. Alle schauten zum Chef hoch, aber der schwieg eisern. Keine Silbe darüber, wo die Zeugin im Moment untergebracht war, kein Wort darüber, ob sie noch lebte, schwer oder nur leicht oder gar nicht verletzt war.
„Wie steht es mit unseren anderen Fällen? Neuigkeiten?“
„Vielleicht“, meldete sich der Kollege Anders zu Wort. „Ich habe gestern gegen 23 Uhr wieder diesen merkwürdigen kleinen Mann mit dem riesigen Köter gesehen. Er stand an der Ecke und wartete wohl auf etwas.“
„Was dann auch gekommen ist?“, wollte der Chef nach einer langen Pause wissen.
„Nein. Gegen Mitternacht ist er mit seinem Hund abgezogen.“
„Hm.“ Paul Fichte sagte nichts weiter. Immerhin war der Kollege Anders so vernünftig gewesen, nicht auf eigene Faust den Eckensteher zu kontrollieren, andererseits aber auch nicht fantasievoll oder selbstbewusst genug, die ganze Truppe zu alarmieren. „Na schön. Sonst noch was?“
„Ja, ich möchte mich beschweren“, antwortete der Kollege Albert Heimerich laut. „Mir ist gestern nacht schon wieder eine Infrarot-Kamera verreckt, natürlich genau in dem Moment, als ich dieses Pärchen knipsen wollte, das schon seit Tagen um das Haus herumschleicht. Können Sie denen in der Werkstatt nicht mal Dampf machen, entweder die Geräte besser in Schuss zu halten oder neue anzuschaffen?“
Das allgemeine Gemurmel verriet, dass Kollege Heimerich mit seiner Beschwerde nicht allein stand.
„Ich werd's versuchen“, versprach der Chef. „Aber Erfolg ist nicht garantiert. Tja, wenn keiner mehr ... okay, Freunde, dann Abmarsch. Rudi.“
Herzog und sein Chef Paul Fichte gingen in das kleine Zimmer des Gruppenleiters.
„Also, Rudi. Setzt dich und schieß mal los!“
„Ich bin in eine Gustav-Stresemann-Grundschule in Mainz-Kastel gegangen. In meiner Klasse war auch eine Isa Vandenburg, ein hübsches Mädchen, was mir natürlich erst sehr viel später aufgefallen ist“ - der Chef grinste breit, über Rudis amouröse Eskapaden und Erfolge klatschte und tratschte das ganze Amt - „dann bekam sie eine Empfehlung für's Gymnasium und ich bin bis zum Einjährigen zur Realschule gegangen, wie das damals wohl noch hieß. Danach haben wir uns nur noch selten gesehen, mal in der Stadt, mal im Schwimmbad, mal im Bus, ihre Familie wohnte ja nicht weit von meinen Eltern. Und mit Isas Schwester Ilka konnte man Pferde klauen.“
„Aha“, knurrte Fichte.
„Habt ihr euch auf der Grundschule gut verstanden?“
„Eigentlich schon. Jedenfalls haben wir uns zum Schluss nicht mehr so geprügelt wie in der ersten und zweiten Klasse. Sie hatte damals einen sehr harten Schlag, keine Angst vor niemandem und ließ sich nichts gefallen.“
„Das heißt, sie vertraut dir heute noch?“
„Das will ich doch stark hoffen, warum fragst du?“
„Ich habe heute schon mit ihr telefoniert. Sie hat sich zwar sehr ordentlich erkundigt, wie es Rotter geht, aber sie war auch stinkwütend, dass man sie doch so schnell gefunden hatte.“
„Muss es denn Verrat gewesen sein?“
„Du kennst das Haus?“
„Ja.“
„An dem Bau kommt doch niemand durch Zufall vorbei. Nee, Rudi, diese Bande hat genau gewusst, wen sie dort antreffen würde.“
„Trotzdem ist Isa entkommen.“
Der Chef zog den Kopf ein. „Musst du immer den Finger in die offenen Wunden legen? Selbstverständlich macht mir das Sorge. Der erfahrene Rotter wird ziemlich gleich zu Beginn ausgeschaltet, die unerfahrene Vandenburg kann später fliehen. Und nicht nur das. Sie hat den noch unbekannten Knaben, der gewaltsam zu ihr ins Zimmer kam, wahrscheinlich, um sie umzulegen, mit einem wunderschönen Kopfschuss erledigt.“
„Kopfschuss? Woher hatte sie eine Waffe?“
„Das wollte sie mir am Telefon nicht verraten. Es sei doch gut, dass sie eine Neun-Millimeter-Beretta gehabt habe. So konnte sie türmen, bevor das Treppenhaus in Flammen aufging, und uns noch über Handy alarmieren.“ Rudi verschluckte die Frage, warum man ihr ein Handy gelassen hatte, das doch angepeilt werden konnte.
„Eine gefährliche Frau“, meinte er stattdessen versonnen.
Der Chef betrachtete ihn halb wehmütig, halb grämlich. „Gefährlich und gefährdet. Erzähl' mal weiter!“
„Das letzte Mal habe ich Isa in Mainz vor dem Bahnhof getroffen. Die drei wollten nach München.“
„Die drei?“
„Isa war schwanger und hatten einen so dicken Bauch, dass ich sie sofort gefragt habe. 'Was wird das denn? Ein Elefant oder eine Kinderkompanie für einen afrikanischen Bürgerkrieg?'
„Du solltest dir deinen Charme patentieren lassen, lieber Rudi!“
„Danke für den Tip. Der Antrag läuft schon. Kein Elefant, aber Zwillinge.“
„Ach nee, das wusste ich nicht; dass sie Kinder hat, steht nicht in den Akten. Hat sie was über den Vater gesagt?“
„Keine Silbe.“
„Aber es gab einen?“
„Biologisch wohl unvermeidlich. Aber wenn du wissen möchtest, ob sie verheiratet oder fest liiert war – das hat sie mir nicht gesagt, und ich habe sie nicht gefragt. Erstens hatte ich es eilig und zweitens bin ich ja nicht taktlos, Chef.“ Fichte verkniff sich eine passende Antwort. „Na schön, Rudi, jetzt überleg' noch mal, wann war das?“
Rudi rechnete und erinnerte sich. Wenige Tage später hatte er die bestandene Aufnahmeprüfung gefeiert, und das war jetzt ziemlich genau siebzehn Jahre her.
Der Chef kratzte sich das Kinn. „Das heißt, wenn sie die Zwillinge vor siebzehn Jahren erwartet und bekommen hat, müssten die jetzt gerade so Teenies sein?“
Beinahe wäre Rudi herausgerutscht: „Sie hat sie bekommen“, aber Paul Fichte hätte dann sofort gefragt: „Woher weißt du das?“
Isa hatte es ihm selbst gesagt, aber das wollte er nicht verraten. Ihre letzte Begegnung vor jetzt fünfzehn Jahren ging niemanden was an, die war nämlich sehr privat gewesen und sehr intim verlaufen. Vor allem hatte sie unter Umständen angefangen, die man kaum glauben konnte.
Rudi lag nämlich in einer Ferienanlage auf Lanzarote im Liegestuhl am Swimmingpool, als eine sehr attraktive Blondine an ihm vorbeigehen wollte, stockte, sich umdrehte, ihn unschlüssig musterte und dann unsicher murmelte: „Rudi? Rudi Herzog aus Mainz-Kastel?“
Er brauchte etwas länger, sie wiederzuerkennen: „Isa Vandenburg aus der Gustav-Stresemann-Grundschule?“
Jahre zuvor, am Mainzer Bahnhof, hatte sie nicht sehr vorteilhaft ausgesehen, dicker Bauch, strähniges Haar und ein verquollenes, bleiches Gesicht, mit Ringen unter den nicht ausgeschlafenen Augen. Das alles hatte sich danach sehr zum Besseren verändert. Ausgesprochen schlank und sportlich, kein Bauch, schmale Hüften, strammer und fester Busen, blonde Locken, blauen Augen und tief gebräunt. Das alles aufreizend verpackt in einem weißen knappen Bikini. Eine sexy Schönheit und, wie sich bald herausstellte, ohne eine ihn störende männliche Begleitung auf der Insel. Schon bei ihrer ersten Verabredung erzählte sie, dass sie gesunde Zwillinge bekommen hatte, Julia und Jonas. Am Abend, als sie nach einem hervorragenden Essen noch einen Wein tranken und dabei auf das abendliche Meer schauten, fragte er nach dem Vater von Julia und Jonas, den Namen wollte sie nicht nennen, nur so viel preisgeben, dass er sie unmittelbar nach der Entbindung aus, wie sie damals schon fand, fadenscheinigen Gründen verlassen hatte. Immerhin habe er die Vaterschaft anerkannt und sich verpflichtet, monatlich sehr anständig Unterhalt zu zahlen – was er tatsächlich noch immer tat. Aber sie musste die Kunstakademie verlassen und sich einen Job suchen. Mit zwei Säuglingen nicht ganz einfach, wie sie klagte. Zum Glück half ihre jüngere Schwester Ilka aus, auch Isas Mutter sprang häufiger ein, und als sie für die Kinder einen verlässlichen Hort gefunden hatte, ging es auch beruflich aufwärts. Ihr damaliger Freund suchte eine zuverlässige Mitarbeiterin und stellte sie zu sehr generösen Bedingungen in seiner Firma Utom Import & Export ein. Jetzt war sie in der Frankfurter Import- und Exportfirma die Sekretärin des einen Chefs und so etwas wie eine Geschäftsführerin mit einem sehr guten Gehalt, einer Gewinnbeteiligung und ziemlich weitreichenden Kompetenzen.
Der Wein war gut, das Meer glitzerte romantisch, der Mond strahlte fast kitschig, und vor dem Eingang ihres Bungalows küssten sie sich lange und heftig, Isa presste sich fest an ihn, nahm ihn aber nicht mit hinein. Die nächsten Tage verbrachten sie vom Morgen bis zum Abend zusammen und schon in der zweiten Nacht ging sie mit ihm ins Bett. Rudi hatte damals keine Freundin, die junge Dame, von der er gehofft hatte, sie würde es werden, hatte sich vier Tag vor dem Abflug kurz und ohne Begründung für immer verabschiedet. Außerdem verstanden Isa und er sich sehr gut, die alte Vertrautheit aus der Grundschulzeit hatte sich, wenn auch in angenehm veränderter Form, erhalten.
Auch, dass er zur Polizei gegangen war, gefiel ihr. Sie drückte ihm die Daumen, dass sein Wunsch, zur Kriminalpolizei zu wechseln, bald in Erfüllung ging. Beamter, das war doch was Solides, und als er begann, sich Hoffnungen zu machen und heimlich Pläne zu schmieden, bekam sie einen Anruf aus Frankfurt und gleich danach veränderte sich ihr Verhalten.
Zwar schliefen sie noch immer jede Nacht miteinander, aber er hatte gleichwohl den festen und unangenehmen Eindruck, dass sie sich zurückzog. Sie musste vor ihm nach Deutschland zurückfliegen, und am Abend, als sie schon gepackt hatte, gestand sie ihm, dass sie in Frankfurt von einem Mann erwartet wurde.
„Rufe mich bitte nicht an, Rudi.“
„Willst du mir nicht sagen, wer auf dich wartet?“
„Nein, das möchte ich nicht. Es war wunderschön mit dir, ich werde dich und diese herrlichen Tage und Nächte nie vergessen. Aber es war leider nur ein schöner Urlaub vom Alltag und in meinem Alltag ist die Position des festen Liebhabers schon besetzt.“ Er dache, einer der alten Vulkane der Insel sei erneut ausgebrochen und er werde gerade von glühender Lava verschüttet. Doch sie blieb hart und ließ sich nicht umstimmen. Vor fünfzehn Jahren hatte er Isa das letzte Mal gesehen, als sie morgens in den Bus stieg, der sie zum Flughafen in Arrecife brachte.
Rudi hatte lange gebraucht, um über diese herbe Enttäuschung hinwegzukommen, und noch länger hatte es gedauert, bis er nachts nicht mehr von Isa träumte oder andere Frauen, die er kennen lernte, mit ihr verglich. Das alles konnte und wollte er dem Chef nicht auf die Nase binden. Denn der hätte ihn dann auf keinen Fall im Schutzprogramm Vandenburg mitarbeiten lassen, und in der Sekunde, in der Rudi von Rotters Unglück gehört hatte, stand für ihn fest, dass er Isa wiedersehen wollte, beruflich zuerst, dann hoffentlich auch privat. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, als sie ihn auf Lanzarote verließ, heute war sie vierzig, und in dem Alter sah die Welt auch für sie sicher anders aus.
„Was überlegst du, Rudi?“
„Ich überlege, wo der Haken sein kann.“
„Welcher Haken?“
„Warum fragst du mich nicht direkt, ob ich Rotters Stelle bei Isa Vandenburg einnehmen will?“
„Weil ich nicht weiß, ob sie denn überhaupt weiterhin Polizeischutz haben will.“
„Dann rufe sie doch an und frage sie einfach.“
„Das kann ich nicht.“
„Und warum nicht?“
„Wir haben uns heute natürlich auch darüber unterhalten, wie die Bande ihr auf die Spur gekommen sein kann.“
Rudi ging ein Licht auf. „Hat man ihr Handy angepeilt oder über die Funkzelle gefunden?“
Fichte hob die Hände zur Decke.
„Ist doch möglich, oder? Jedenfalls wusste sie sofort, wovon ich sprach und hat mir freiwillig zugesichert, sie würde unmittelbar nach Ende unseres Gesprächs ihr Handy ausschalten. „Was sie auch getan hat, ich habe sie gerade eben vor unserem Gespräch schon nicht mehr erreicht.“
„Und wohin hast du sie geschickt?“
„In die Erbsensuppe.“
„Das heißt ...?“
„Das heißt, dass du auf gut Glück hinfahren müsstest und fragen darfst, sind Sie oder bist du einverstanden, dass ich Sie oder dich künftig bei Tag und Nacht beschütze? Wenn wir viel Glück haben, sagt sie ja.“
„Hast du ihr die Waffe abgenommen?“
„Nein.“
„Dann ist auch ein anderer Ablauf denkbar. Ich will in ihr Zimmer kommen und sie wird nervös. Eine gute Schützin soll sie ja sein und in ihrer Nervosität verpasst sie mir auch einen prächtigen Kopfschuss. Ich weiß nicht, ob ich das überlebe, Chef.“
„Quatschkopf. Gib dir Mühe und sei vorsichtig, ich habe überhaupt den Eindruck, das empfiehlt sich bei dieser Frau ohnehin. Lederer hat mich auch gewarnt.“
„Okay, ich fahre hin und versuche sie umzustimmen. Für alle Fälle werde ich dafür sorgen, dass unsere Handys abgeschaltet und täglich nur zwischen 17 und 18 Uhr eingeschaltet sind. In der Zeit werde ich dich auch anrufen, wenn nicht vom Handy, dann von irgendwoher über's Festnetz. Es soll ja auch noch funktionierende Telefonzellen geben. Von den Kollegen erfährt niemand, mit welchem Auftrag ich unterwegs bin. Wie steht's mit Spesen?“
„Wenn ich sage, kein Limit, heißt das nicht, dass du versuchen sollst, eine Spielbank zu sprengen.“
„Ich würde den Gewinn ungeschmälert bei Vater Staat abliefern.“
„Trotzdem nein.“
„Alles klar. Ich nehme mir eine neue Heckler und Koch mit – keine Angst, ich schieße sie korrekt ein und gebe die Vergleichsprojektile beim Donnerer ab.“
Warum Ewald Thor der Donnerer hieß, musste eigentlich niemandem erklärt werden. Er war zuständig für den Schießkeller und die Waffenkammer des Amtes, führte die Listen, wer welche Waffe bekommen und wer wann seine vorgeschriebenen Schießübungen mit welchen Ergebnis absolviert hatte. Außerdem gab er Schießunterricht, er war ein hervorragender Lehrer und ein noch besserer Schütze.
Der Chef kritzelte schon eine Anforderung einer neue Dienstwaffe für den Kriminalhauptkommissar Rudolf Herzog, Abteilung Zeugenschutz.
„Wie lange darf ich die schöne Isa hautnah begleiten?“
„Du musst sie am Mittwoch, 18. Juni, um elf Uhr lebend im Wiesbadener Landgericht, Mainzer Straße, Saal 15, abliefern. Sie und dieser Boris Stepkow sind auf zehn und elf Uhr als Zeugen geladen. Ich bin zum Termin auf jeden Fall in der Nähe.“
„Okay, alles klar. Bis in acht Tagen um elf Uhr, toi,toi,toi.“ „Halt, Rudi, noch was! Ich habe das dumpfe Gefühl, dass man Isa Vandenburg nicht nur als Belastungszeugin in einem Mordfall braucht, sondern sich von ihr eine Menge Aussagen und Informationen erhofft, die für viele andere, die wir noch nicht kennen, gefährlich sind. Ich fürchte, deswegen haben wir eine Menge unfreundlicher Typen an Isas Hacken kleben, die meinen, nur eine tote Zeugin sei eine gute Zeugin. Augen auf und deine schöne neue Heckler & Koch immer nur mit vollem Magazin herumtragen.“
„Klar, danke, Paul.“
*
Die nächsten Stunden war Rudi Herzog gut beschäftigt. Er holte sich seine neue Pistole, gab im Schießkeller die vorgeschriebene Anzahl von Übungsschüssen ab, bewältigte bei Ewald Thor den Papierkrieg und konnte natürlich wegen der Lärmschützer auf den Ohren keine der neugierigen Bemerkungen des Donnerers verstehen. Die Kantine schenkte er sich, erstens der Qualität wegen und zweitens mit Rücksicht darauf, dass er ab jetzt stumm neben seinen Kollegen und Kolleginnen sitzen musste. Es würde sich schnell herumsprechen, dass Kriminalrat Brock vom Zeugenschutz einen Maulwurf in seiner Abteilung befürchtete. Aber das musste nicht gerade Rudi Herzog verbreiten, auch nicht zusätzlich den an sich richtigen Hinweis, dass die undichte Stelle oder der Verräter auch in der Staatsanwaltschaft sitzen konnte. Zu Hause packte er eine Reisetasche mit Wäsche, Shirts und Socken, goss zum letzten Mal seine Blumen und brachte den Reserveschlüssel zu seiner Nachbarin Anja Wesskamp, die wohl wusste, dass er im Landeskriminalamt arbeitete, aber keine Ahnung hatte, was dort genau seine Aufgabe war.
Sie lächelte ihn an: „Sei vorsichtig und komm' heil wieder, Rudi.“
„Ich werde mir Mühe geben, Anja.“ Es war das erste Mal, dass sie so etwas äußerte. Die hübsche Nachbarin war selbstbewusst, aber auch sehr zurückhaltend, und Rudi hatte sich bisher nicht um sie bemüht.
Gegen 16 Uhr fuhr er los Richtung Gellhausen. „Erbsensuppe“ war der amtsinterne Spottname für ein Versteck bei Linsengericht.
*
Kriminalrat Brock und Hauptkommissar Paul Fichte erreichten zu dieser Zeit schon die Polizeistation in Montabaur, wo Oberkommissar Wilde bereits auf sie wartete. Er lotste sie zum Tat- und Brandort, stieg aber gut hundert Meter davor aus und führte seine Gäste durch einen schmalen Waldstreifen auf eine fußballfeldgroße Wiese. In der Mitte parkten mehrere Autos rund um ein mit Flatterbändern abgesperrtes Viereck.
„Reiner Zufall“, sagte Wilde bedächtig. „Ein uns lange bekannter Jagdpächter hat sich heute morgen zufällig in seinem Revier umsehen wollen und hat dabei die Leiche entdeckt.
„'Zufällig' hören wir nicht gerne, Kollege“, brummte Fichte.
„Na schön“, gab Wilde nach, „uns hat er gesagt, ein Nachbar hätte ihn angerufen, am Rande seines Reviers habe es mächtig gebrannt und er sollte sich besser einmal ansehen, was das Feuer in seinem Revier angerichtet habe. Es ist zwar kühl für die Jahreszeit, aber verdammt trocken, gut möglich, dass die Flammen auf seinen Bezirk übergegriffen haben.“
Brock und Fichte sahen sich mit langen Gesichtern an. „Wissen wir, wer dieser hilfsbereite Nachbar war?“
„Sicher, Namen und Adresse habe ich allerdings auf dem Revier.“
Die Leiche des Mannes sah schrecklich aus. Kein Zweifel, er war von einer Garbe aus einer MP voll getroffen worden.
„Wissen wir, wer er ist?“
„Er hatte Papiere auf den Namen Böttiger bei sich. Sein Auto steht etwa einen Kilometer entfernt unten an der Landstraße.“
„Wann hat es ihn erwischt?“
„Vorgestern gegen 23 Uhr, würde ich denken.“
„Da hat die Hütte nach Aussage dieser Vandenburg schon gebrannt.“
Brock hatte keine Lust mehr: „Auto und Leiche zum LKA nach Wiesbaden. Ich fresse einen Besen samt Putzhilfe, wenn der Knabe wirklich Böttiger heißt. Und das Auto ist entweder gestohlen oder eine Doublette. Könnten Sie sich bitte darum kümmern, Kollege Wilde?“
„Bin schon dabei.“
Auf der Rückfahrt nach Montabaur und Wiesbaden schwiegen Fichte und Brock und sprachen erst offen miteinander, als der Kollege ihnen Namen und Anschrift des Mannes gegeben hatte, der das Feuer entdeckt hatte. Sie trafen ihn zuhause an und waren sich schnell einig, dass Arnold Reiser mit dem Fall Vandenburg nichts zu tun hatte.
Reiser besaß ein kleines Geschäft für Haushaltswaren in Montabaur und ein größeres in Koblenz. Fichte und Brock hielten ihn schnell für einen Mann von bescheidenem Verstand, den außer Jagen und Pilzen nicht viel interessierte. Vielleicht ging es ja weiter, wenn sie wussten, wer der Tote von der Waldwiese wirklich war.
Es war gar nicht so leicht, die rechte Hand des Toten so weit zu säubern und den Körper so zum Gerät zu bugsieren, dass sie die Hand auf die Sichtscheibe legen konnten, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Die Fingerabdruck-Datenbank meldete umgehend, dass es sich um Bodo Zoller handelte, mehrfach vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, versuchten Totschlags und fahrlässiger Tötung. Der unerlaubte Waffenbesitz nahm sich daneben fast wie ein Kavaliersdelikt aus.
„Eine echte Killerlaufbahn“, meinte Hellmann. „Ich rufe mal gleich Brock an, der wartet schon auf ein Ergebnis.“
Brock bedankte sich für die schnelle Arbeit der Kollegen. Das Versteck Lesterwald war also doch nicht so einsam gelegen gewesen und war jetzt im doppelten Sinne des Wortes verbrannt. Und wenn es Verrat gab, durfte man nicht darauf vertrauen, dass ein anderes, immer wieder benutztes Versteck auch in Zukunft sicher war. Fragte sich nur, für wen Bodo Zoller gearbeitet hatte und wer ihn warum umgelegt hatte. Brock war inzwischen davon überzeugt, dass es nicht nur zwei, sondern drei Gruppen gab, die hinter ihrer Zeugin her waren. Er hatte gestern absichtlich nicht die Familie Lucano erwähnt, die nach dem „Ehren“-Kodex der Mafia den gewaltsamen Tod eines Clan- oder gar Familienmitglieds rächen musste.
Fichte lachte: „Und weil keiner in der Familien alt genug ist, das zu erledigen, haben sie einen Killer gekauft und hatten deswegen kein Geld mehr für Flugtickets.“
„Ein italienischer Familienkrieg im Rhein-Main-Dreieck hat uns gerade noch gefehlt, Paul.“
Eine aufmerksame Assistentin bemerkte, als sie die Leiche für die Öffnung vorbereiteten, an dem Shirt des Mannes mehrere brünette lange und glatte Haare, die sich als Frauenhaare herausstellten und für alle Fälle asserviert wurden.
*
Ähnliche Gedanken wie Fichte und Brock wälzte auch Rudi. Ein festes und sicheres Versteck bis zu Mitte nächster Woche? Aber auch eine ständige Bewegung zusammen mit dem männlichen oder weiblichen Schützling hatte ihre Probleme. Rudi fuhr einen normalen, unauffälligen Mittelklassewagen mit einer normalen Wiesbadener Nummer – bloß kein Behörden-Kennzeichen. Die beste Sicherheit für ihn und seinen Schützling war, nicht aufzufallen, im Strom der Fahrgäste, Einkäufer, Touristen und Spaziergänger mitzuschwimmen.
Der Chef hatte gestern entschieden, die Zielperson Isa Vandenburg aus dem Lesterwald in ein Versteck in der Nähe des Ortes Linsengericht zu bringen, von der Fichte-Truppe allgemein als „Erbsensuppe“ verspottet.
Rudi trödelte gemütlich Richtung „Erbsensuppe“. Das Versteck war ein alter längst aufgegebener Bauernhof, vor Jahren von einem Künstlerehepaar aus Frankfurt aufgekauft und aufwendig restauriert. Das Ehepaar hatte sich dann nach zwei harten Wintern doch entschlossen, in ein wärmeres Land mit mehr Sonne auszuwandern, und hatte sein Domizil relativ billig verkauft. Die Lage war an sich unübertrefflich. Mitten in einem Feld mit freier Sicht – und notfalls freiem Schussfeld – in alle Himmelsrichtungen, eine geschotterte Zufahrtsstraße, die kein Autofahrer, wollte er seine Stoßdämpfer behalten, mit mehr als 20 km/h passieren würde, mit einer Scheune, die als Garage diente, einem Geräteschuppen, in dem ein Notstromaggregat und mehrere Trinkwassertanks untergebracht waren, und auf mehreren hundert Meter im Umkreis kein Nachbar, keine Verbindungs- oder Bundesstraße und kein Spazierweg. Es war unglaublich still, bis auf die wenigen Vögel, die nachts auf Jagd gingen oder flogen.
Als Rudi von dem ehemaligen Wirtschaftsweg auf die Schotterpiste abbog, wurde er geknipst, er bemerkte den Blitz auf dem hohen Holzmast und wusste, dass nun sein Kennzeichen an die Hausbewohner gemeldet und über Funk an einem anderen Ort elektronisch gespeichert wurde. Wer absolute Ruhe und absolute Einsamkeit schätzte, war hier gut aufgehoben. Ansonsten kam es dem Stadtmenschen Rudi Herzog wie die Vorhölle vor, eingerichtet von des Teufels verbitterter Großmutter. Als er fünfzig Meter vom Eingang entfernt war, trat ein Mann vor's Haus und beobachtete ihn offen in einem Feldstecher. Der Kollege Claus Kowalski nahm die Vorschriften offenbar sehr ernst.
Rudi winkte ihm zu, als er ausstieg, und Kowalski winkte zurück. Dann trat eine unbekannte Frau aus dem Haus und erst als sie laut höhnte: „Ich werd' verrückt, man verdoppelt meine Schutztruppe!“, erkannte er Isa an der Stimme wieder. Die blonden Locken waren verschwunden, diese langen glatten brünetten Haare durften wohl eine Perücke sein, und die zusätzlichen Kilos, die sie in Form von Kissen oder einer gefütterten Schutzweste auf den Hüften herumschleppte, standen ihr nicht. Auch sie winkte Rudi zu: „Gott zum Gruße, großer Meister.“
Er zögerte, sie hatte vermieden, ihn mit Du oder Sie anzureden und nicht zu erkennen gegeben, dass sie ihn kannte oder wiedererkannt hatte. Zufall oder von ihrer Seite Absicht? Deswegen rief er ebenfalls ohne Anrede zu ihr hinüber: „Guten Tag, schöne Frau.“
Kowalski trat an ihn heran. „Tach, Rudi. Der Alte hat schon angerufen, du übernimmst? Dann kann ich also weg von hier?“ Er senkte die Stimme: „Ich wäre nicht böse, wenn ich gleich abdampfen könnte, sie ist nicht so ganz leicht zu ertragen.“
Rudi brummte heuchlerisch: „Der Chef hat mich auch schon gewarnt. Wenn du magst, fahr' los, sobald ich die Hütte durchsucht habe. Hat es irgend etwas Auffälliges gegeben?“
„Nein, absolut tote Hose den ganzen Tag über. Komm!“
Er ging mit Rudi auf die Frau zu, die neben der Tür stehen geblieben war und sie spöttisch musterte. Kowalski meinte nervös: „Das ist mein Kollege Rudi Herzog, er löst mich jetzt ab.“
„Ich heiße Isa Vandenburg, wie sicherlich im Amte schon bekannt,“ antwortete sie ungerührt. Es klang zynisch.
„Auf Wiedersehn, Frau Vandenburg. Und alles Gute für Sie.“
„Tschüss, Herr Kowalski, kommen Sie gut nach Hause.“ Das hörte sich jetzt eher höhnisch als nett an. Kowalski ging nicht sofort zur Garage, sondern wartete, bis Rudi einmal durchs Haus gelaufen war. Selbst seinem Rücken war anzusehen, wie froh Kowalski war, von hier fortzukommen. Rudi schaute auf seine Uhr – kurz vor achtzehn Uhr. Der Chef musste noch an seinem Schreibtisch sitzen. Und so war es.
„Rudi hier, ich habe gerade von Kowalski übernommen. Er fährt eben los.“