Mark Twain

Die Abenteuer des Huckleberry Finn

mit 153 illustrationen

Mark Twain

Die Abenteuer des Huckleberry Finn

mit 153 illustrationen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Illustrationen: Edward Winsor Kemble
Übersetzung: Henriette Koch
2. Auflage, ISBN 978-3-954181-40-7

www.null-papier.de/huckleberry

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel – Huck soll »ste­vi­li­siert« wer­den – Mo­ses in den »Schil­fern« – Mik Wat­son – Tom Sa­wyer war­tet.

Zwei­tes Ka­pi­tel – Die Jun­gen ent­wi­schen. – Jim! – Tom Sa­wyers Räu­ber­ban­de. – Fin­stre Plä­ne!

Drit­tes Ka­pi­tel – Eine or­dent­li­che Straf­pre­digt. – Die Gna­de tri­um­phiert. – Die Räu­ber. – Die Dä­mo­nen. – »Eine von Toms Lü­gen!«

Vier­tes Ka­pi­tel – »Lang­sam aber si­cher.« – Huck und der Kreis­rich­ter. – Aber­glau­be.

Fünf­tes Ka­pi­tel – Hucks Va­ter. – Der zärt­li­che Ver­wand­te. – Be­keh­rung.

Sechs­tes Ka­pi­tel – Der Alte geht zum Kreis­rich­ter. – Huck ent­schließt sich Reiß­aus zu neh­men. – Ernst­haf­tes Nach­den­ken! – Po­li­ti­sches. – Nächt­li­che Lust­bar­keit.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Auf dem An­stand. – In die Hüt­te ein­ge­schlos­sen. – Vor­be­rei­tung zur Flucht. – Ver­sen­ken der Lei­che. – Ein neu­er Plan. – Ruhe.

Ach­tes Ka­pi­tel – Schla­fen im Wal­de. – Au­fer­we­ckung der To­ten. – Auf der Wacht! – Ex­pe­di­ti­on ins Inn­re der In­sel. – Ru­he­lo­se Nacht. – Jim er­scheint. – Jims Flucht. – Schlim­me An­zei­chen. – »Das ein­bei­ne­ri­ge Nig­ger.« – »Balam.«

Neun­tes Ka­pi­tel – Die Höh­le. – Das schwim­men­de Haus. – Rei­che Beu­te.

Zehn­tes Ka­pi­tel – Der Fund. – Va­ter Bun­ker. – Ver­klei­det.

Elf­tes Ka­pi­tel – Huck und die Frau. – Nach­for­schun­gen. – Aus­flüch­te. – »Ich will nach Goh­sen!« – »Jim, Jim, sie sind hin­ter uns her!«

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Lang­sa­me Fahrt. – Ge­lie­he­ne Din­ge. – Be­stei­gung des Wrack. – Die Ver­schwö­rer. – »Das ist un­mo­ra­lisch!« – Jagd nach dem Boot.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Flucht aus dem Wrack. – Der Wäch­ter an der Fäh­re. – Un­ter­gang. – Ge­sun­der Schlaf.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Ge­lehr­te Un­ter­hal­tun­gen. – Der Ha­rem. – Fran­zö­sisch.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Huck ver­liert das Floß aus Sicht. – Im Ne­bel. – Wie­der­fin­den. – Träu­me. – Un­rat!

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Er­war­tung. – »Gute, alte Kai­ro!« – Eine Not­lü­ge. – Kai­ro ver­fehlt! – Wir schwim­men ans Ufer! –

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Jim fin­det sich wie­der. – Floß zu­rück­ge­won­nen. – Neue Ka­me­ra­den! – Der Her­zog von So­mer­set. – Kö­nig­li­ches Schick­sal. – Eine Ge­bets­ver­samm­lung. – Der Wolf un­ter den Scha­fen.

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Sha­ke­s­pea­res Wie­der­auf­le­ben. – Das kgl. Non plus ul­tra. – Aus der Sch­lin­ge ge­zo­gen.

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Jim als Ara­ber. – Pas­tor Alex­an­der Blod­gett zieht Er­kun­di­gun­gen ein. – Neue Plä­ne. – Fa­mi­li­en-Trau­er. – Die Erb­schaft. – Rüh­ren­de Groß­mut.

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Huck bringt das Geld bei­sei­te. – Selt­sa­mes Ver­steck. – Trau­er­fei­er­lich­kei­ten. – Zur Erde be­stat­tet.

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – To­ta­ler Aus­ver­kauf. – Ent­deck­ter Ver­lust. – Mary Jane ent­schließt sich zum Fort­ge­hen. – Huck nimmt Ab­schied von ihr. – Mumms.

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Wel­che sind die Rech­ten? – Hand­schrif­ten. – pro­be. – Tät­to­wie­ren. – Die Lei­che wird aus­ge­gra­ben. – Fort! – Be­frei­ung vom kö­nig­li­chen Jo­che. – Jim wird ver­scha­chert.

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Jim fort! – Alte Erin­ne­run­gen. – Phel­ps Sä­ge­müh­le. Eine Ver­wechs­lung. – In der Klem­me.

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein Nig­ger-Dieb. – Süd­li­che Gast­freund­schaft. – »Er un­ver­schäm­ter jun­ger Fle­gel!« – Ein dau­er­haf­tes Ge­bet.

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die ein­zeln ste­hen­de Hüt­te. – Schänd­lich! – Der Blitz­ab­lei­ter als Be­för­de­rungs­mit­tel. – Eine ganz ein­fa­che Sa­che. – Wie­der die He­xen und Geis­ter.

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Gut durch­ge­schlüpft! – Schwar­ze Plä­ne. – Ge­wandt­heit im Steh­len. – Ein tie­fes Loch.

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Der Blitz­ab­lei­ter. – Sein Bes­tes. – Ein Ver­mächt­nis an die Nach­welt. – Löf­fel steh­len. – Un­ter den Hun­den. – Eine hohe Sum­me!

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Das letz­te Hemd. – Jagd nach dem Ver­lo­re­nen. – Die Zau­ber­pas­te­te.

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Das Wap­pen. – Ein ge­schick­ter Auf­se­her. – Un­will­kom­me­ner Nachruhm. – Ein reui­ger Sün­der.

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Rat­ten. – Leb­haf­te Bett­ge­nos­sen. – Die Stroh­pup­pe.

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Das Floß. – Si­cher­heits­ko­mi­tee. – Ein Dau­er­lauf. – Jim rät zum Arzt.

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Der Dok­tor. – On­kel Si­las. – Schwes­ter Hot­ch­kiß. – Tan­te Sal­ly in Nö­ten.

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Tom Sa­wyer ver­wun­det. – Die Er­zäh­lung des Dok­tors. – Jim pro­fi­tiert et­was. – Tom beich­tet. – Tan­te Pol­ly kommt. – »Brie­fe her­aus!«

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Aus der Ge­fan­gen­schaft be­freit. – Der Ge­fan­ge­ne wird be­lohnt. – Ganz er­ge­benst Huck Finn!

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Erstes Kapitel – Huck soll »stevilisiert« werden – Moses in den »Schilfern« – Mik Watson – Tom Sawyer wartet.

Ken­nen tut ihr mich wohl noch nicht, muss mich also selbst vor­stel­len und noch ganz ge­schwind er­zäh­len, was ich bis jetzt al­les er­lebt habe. Viel ist’s frei­lich nicht, das weiß ich selbst, aber da mein gu­ter Freund Tom Sa­wyer1 viel da­bei vor­kommt und Tom ein sol­cher Held und Haupt­kerl ist, auf den ich furcht­bar stolz bin, so den­ke ich, will ich’s doch ein­mal pro­bie­ren. Also ich bin der Huck­le­ber­ry Finn, ei­gent­lich im­mer kurz­weg Huck ge­nannt. Mei­ne Mut­ter, wenn ich je eine hat­te, habe ich nie ge­kannt und mein Va­ter ist sei­nes Zei­chens der Trun­ken­bold der Stadt, der eben Gott sei Dank viel aus­wärts ist, aber im­mer ab und an ein­mal auf­taucht, wo­bei dann stets mein Rücken sein blau­es Wun­der er­lebt. Jetzt ist er schon seit ge­rau­mer Wei­le ver­schwun­den, aber das Geld, fürcht’ ich, wird ihn bald her­lo­cken, wie der Ho­nig die We­s­pen.

Ja so, da sprech’ ich von Geld und hab’ doch noch gar nicht ge­sagt, wie ich zu Geld kom­me. Wir ha­ben’s näm­lich den Räu­bern ab­ge­nom­men, der Tom und ich, de­ren Höh­le wir zu­fäl­lig ent­deck­ten, d.h. wir sa­hen aus si­che­rem Ver­steck zu, als sie’s ein­gru­ben und mach­ten uns her­nach, als sie weg wa­ren, da­hin­ter und nah­men die Be­sche­rung für uns. Die mö­gen schö­ne Ge­sich­ter ge­macht ha­ben, als sie das Nest leer fan­den! Aber die Ge­schich­te ist viel zu groß und zu lang um sie zu er­zäh­len und so will ich nur sa­gen, dass wir also rich­tig das Geld er­wi­sch­ten und zwar einen or­dent­li­chen Hau­fen, sechs­tau­send Dol­lars für je­den von uns und der Bür­ger­meis­ter nahm mei­nen Teil in Empfang und »leg­te ihn an«, wie er sag­te und ich habe nun je­den Tag einen Dol­lar zu ver­zeh­ren. Ich – einen Dol­lar!

Na, lan­ge wird mich der Alte nicht in un­ge­stör­tem Be­sitz der Herr­lich­keit las­sen, das spü­re ich schon in al­len Glie­dern. Tom Sa­wyer, das ist näm­lich mein bes­ter Freund, der Stolz, die Blü­te, das Haupt von al­len Jun­gens der Stadt, der ist glück­lich, der hat noch eine Tan­te Pol­ly, eine gute alte See­le und einen Bru­der Sid und eine Schwes­ter Mary und der muss in die Schu­le und kriegt sei­ne Klei­der al­le­mal schön ge­flickt, wenn er sie zer­ris­sen hat und setz­t’s da­bei auch manch­mal Hie­be, so gib­t’s doch auch gan­ze Ho­sen. Mei­ne Lum­pen flick­te kei­ner, die hiel­ten frei­lich auch kei­nen Stich mehr aus, und doch weiß ich nicht, was mir lie­ber war: die schö­ne alte Lum­pen­zeit, die Zeit, da ich mich un­ge­fragt in Wald und Feld um­trieb, sich kei­ner um mich küm­mer­te, ich mir mein Es­sen bei mit­lei­di­gen See­len zu­sam­men­bet­tel­te oder ir­gend­wie ver­schaff­te und schlief, wo mich eben ge­ra­de die Nacht über­rasch­te – oder jetzt! – Ja so, da hab’ ich ja noch nicht ge­sagt, dass ich jetzt auch eine Hei­mat habe und zwar ein ganz or­dent­li­ches, stei­ner­nes Haus mit vie­len Zim­mern, und ich hab’ auch mein ei­ge­nes und da steht ein Bett drin, ein wirk­li­ches, wahr­haf­ti­ges Bett und in dem soll ich alle Nacht schla­fen, wird mir aber zu­wei­len herz­lich sau­er und dann lege ich mich auf die Die­le da­vor und ruhe mich so ein we­nig aus.

Das Haus ge­hört ei­ner Wit­we, die Dou­glas heißt und eine freund­li­che alte Frau ist und die pro­bie­ren will, mich zu »sie­vi­li­sie­ren«, wie sie sagt. Das schmeckt mir aber schlecht, kann ich euch sa­gen, das Le­ben wird mir furcht­bar sau­er in dem Hau­se mit der ab­scheu­li­chen Re­gel­mä­ßig­keit, wo im­mer um die­sel­be Zeit ge­ges­sen und ge­schla­fen wer­den soll, einen Tag wie den an­de­ren. Ein­mal bin ich auch schon durch­ge­brannt, bin in mei­ne al­ten Lum­pen ge­kro­chen, und – hast du nicht ge­se­hen, war ich drau­ßen im Wald und in der Frei­heit. Tom Sa­wyer aber, mein al­ter Freund Tom, trieb mich wie­der auf, ver­sprach, er wol­le eine Räu­ber­ban­de grün­den und ich sol­le Mit­glied wer­den, wenn ich’s pro­bie­re und noch ein­mal zu der Wit­we zu­rück­keh­re und mich wei­ter »sie­vi­li­sie­ren« las­se. Da tat ich’s denn.

Die Wit­we ver­goss Trä­nen, als ich mich wie­der ein­stell­te, nann­te mich ein ar­mes, ver­irr­tes Schaf und sonst noch al­ler­lei, wo­mit sie aber nichts Schlim­mes mein­te. Ich muss­te auch wie­der in die neu­en gan­zen Klei­der krie­chen und wei­ter schwit­zen drin, und mich quä­len und den Krampf in al­len Glie­dern ha­ben: und nun ging’s vor­wärts im al­ten Trab. Wenn die Wit­we die Glo­cke läu­te­te, muss­te man zum Es­sen kom­men. Saß man dann glück­lich am Tisch, so konn­te man nicht flott drauf los an die Ar­beit ge­hen, Gott be­wah­re, da muss­te man ab­war­ten bis die Wit­we den Kopf zwi­schen die Schul­tern ge­zo­gen und ein bi­schen was vor sich hin ge­mur­melt hat­te. Da­mit woll­te sie aber nichts über die Spei­sen sa­gen, o nein, die wa­ren ganz gut so weit, au­ßer dass al­les be­son­ders ge­kocht war und nicht Fleisch und Ge­mü­se und Sup­pe, al­les durch­ein­an­der. Ei­gent­lich mag ich das viel lie­ber, da kriegt man so einen tüch­ti­gen Mund voll Brü­he da­bei und die hilft al­les glatt hin­un­ter spü­len. Na, das ist Ge­schmack­sa­che!

Nach dem Es­sen zog sie dann ein Buch her­aus und las mir von Mo­ses in den »Schil­fern« vor und ich brann­te drauf, al­les von dem ar­men klei­nen Kerl zu hö­ren. Da mit ei­nem­ma­le sagt sie, der sei schon eine gan­ze Wei­le tot. Na, da war ich aber böse und woll­te nichts wei­ter wis­sen, – was ge­hen mich tote und be­gra­be­ne Leu­te an? Die in­ter­es­sie­ren mich nicht mehr! –

Dann hät­t’ ich gern ein­mal wie­der ge­raucht und frag­te die Wit­we, ob ich’s dür­fe. Da kam ich aber gut an! Sie sag­te, das ge­hö­re sich nicht für mich und sei über­haupt »eine ge­mei­ne und un­sau­be­re Ge­wohn­heit«, an die ich nicht mehr den­ken dür­fe. So sind nun die Men­schen! Spre­chen über et­was, das sie gar nicht ver­ste­hen! Quält mich die Frau mit dem Mo­ses, der sie wei­ter gar nichts an­geht, der nicht ein­mal ver­wandt mit ihr war und um den sich doch ge­wiss kein Mensch mehr küm­mert da drun­ten un­ter der Erde und ver­bie­tet mir da­bei das Rau­chen, das doch ge­wiss mehr Wert für le­ben­di­ge Men­schen hat. Na und da­bei schnupft sie, aber das ist na­tür­lich ganz was andres und kein Feh­ler, weil sie’s eben selbst tut.

Ihre Schwes­ter, Miss Wat­son, eine ziem­lich dür­re, alte Jung­fer, die ge­ra­de ge­kom­men war, um bei ihr zu le­ben, mach­te nun einen An­griff auf mich, mit ei­nem Le­se­buch be­waff­net. Eine Stun­de lang muss­te ich ihr Stand hal­ten und dann lös­te sie die Wit­we mit ih­rem Mo­ses wie­der ab und ich war nun so­zu­sa­gen zwi­schen zwei Feu­ern. Lan­ge konn­te das nicht so wei­ter ge­hen und es trat denn auch glück­li­cher­wei­se bald eine Ru­he­pau­se ein, in der ich erst auf­at­me­te, bald drauf aber tot-lang­wei­lig und ziem­lich un­ru­hig wur­de. Nun be­gann Miss Wat­son: »Hal­t’ doch die Füße ru­hig, Huck­le­ber­ry«, oder »willst du kei­nen sol­chen Bu­ckel ma­chen, Huck­le­ber­ry, sitz’ doch ge­ra­de!« und dann wie­der: »so re­cke dich doch nicht so, Huck­le­ber­ry, und gäh­ne nicht, als woll­test du die Welt ver­schlin­gen, wirst du denn nie Ma­nie­ren ler­nen?« – bis ich ganz wild wur­de. Nun fing sie an, mir von dem Ort zu er­zäh­len, an den die bö­sen Men­schen kom­men und ich sag­te, ich wün­sche mich da­hin. Da wur­de sie böse und ze­ter­te ge­wal­tig, so schlimm hat­te ich’s aber gar nicht ge­meint, ich wäre nur gern fort ge­we­sen von ihr, ir­gend­wo, der Ort war mir ganz ei­ner­lei, ich bin über­haupt nie sehr wäh­le­risch. Sie aber lärm­te wei­ter und sag­te, ich sei ein bö­ser Jun­ge, wenn ich so et­was sa­gen kön­ne, sie wür­de das nicht um die Welt über die Lip­pen brin­gen und ihr Le­ben sol­le so sein, dass sie der­mal­einst mit Freu­den in den Him­mel fah­re. Der Ort, mit ihr zu­sam­men, schi­en mir nun gar nicht ver­lo­ckend und ich be­schloss bei mir, das mei­ni­ge zu tun, um nicht mit ihr zu­sam­men­zu­tref­fen. Sa­gen tat ich aber nichts, das hät­te nur al­les viel schlim­mer ge­macht und doch nichts ge­hol­fen.

Sie war aber nun ein­mal am Him­mel, dem »Ort der Glück­se­li­gen«, wie sie’s nann­te, an­ge­langt und teil­te mir al­les mit, was sie drü­ber wuss­te. Sie sag­te, al­les was man dort zu tun habe, sei, den gan­zen Tag lang mit ei­ner Har­fe her­um­zu­mar­schie­ren und dazu zu sin­gen im­mer und ewig. Das leuch­te­te mir nun gar nicht ein, ich schwieg aber und frag­te nur, ob sie mei­ne, mein Freund Tom Sa­wyer wer­de auch dort sein, was sie ent­schie­den ver­nein­te. Wie mich das freu­te! Tom muss zu mir kom­men, der soll nicht wo­hin ge­hen, wo ich nicht sein kann, wir bei­de müs­sen zu­sam­men sein!

Miss Wat­son pre­dig­te un­ter­des­sen im­mer wei­ter und mir war mi­se­ra­bel elend und ein­sam zu Mute. Dann ka­men die Nig­ger her­ein, es wur­de ge­be­tet und je­der­mann ging zu Bett. Ich auch. Ich stieg mit mei­nem Stum­mel Ker­ze in mein Zim­mer hin­auf, stell­te das Licht auf den Tisch, setz­te mich da­vor und pro­bier­te, an et­was Fröh­li­ches zu den­ken. Das nutz­te aber we­nig. Ich fühl­te mich so al­lein, dass ich wünsch­te, ich wäre tot. Die Ster­ne glit­zer­ten und blitz­ten und die Blät­ter rausch­ten im Wal­de. Ich hör­te eine Eule von der Fer­ne, da­zwi­schen heul­te ein Hund so jäm­mer­lich und der Wind ächz­te und stöhn­te und schi­en mir et­was kla­gen zu wol­len, so­dass mir bald vor lau­ter Angst der kal­te Schweiß auf der Stirn stand. Die gan­ze Nacht drau­ßen schi­en von lau­ter ar­men, un­glück­li­chen Geis­tern be­lebt, die kei­ne Ruhe in ih­ren Grä­bern fan­den und nun da draus her­um heul­ten und jam­mer­ten und zäh­ne­klap­per­ten. Mir wur­de heiß und kalt und ich hät­te al­les drum ge­ge­ben, wenn ich nicht al­lein ge­we­sen wäre. Da kroch mir auch noch eine Spin­ne über die lin­ke Schul­ter, ich schnell­te sie weg und ge­ra­de­wegs ins Licht, und ehe ich noch zu­sprin­gen konn­te, war sie ver­brannt. Dass das ein schlim­mes Zei­chen ist, weiß ja ein Kind, und mir schlot­ter­ten die Knie, als ich nun be­gann, mei­ne Klei­der ab­zu­wer­fen. Ich dreh­te mich drei­mal um mich selbst und schlug mich da­bei je­des Mal an die Brust, nahm dann einen Fa­den und band mir ein Bü­schel Haa­re zu­sam­men, um die bö­sen Geis­ter fern zu hal­ten; viel Ver­trau­en aber hat­te ich nicht zu die­sen Mit­teln, die nut­zen wohl, wenn man ein ge­fun­de­nes Huf­ei­sen wie­der ver­liert, an­statt es über der Türe an­zu­na­geln oder bei der­glei­chen klei­ne­ren Fäl­len; wenn man aber eine Spin­ne ge­tö­tet hat, da weiß ich nicht, was man tun kann, um das Un­glück fern­zu­hal­ten.

So setz­te ich mich zit­ternd auf mei­nen Bett­rand und zün­de­te mir zur Be­ru­hi­gung mein Pfeif­chen an. Das Haus war so still und die Wit­we weit. So saß ich lan­ge, lan­ge. Da schlug die Uhr von der Fer­ne bum – bum – bum – bum, zwölf­mal und wie­der war al­les still, stil­ler als vor­her. Plötz­lich höre ich et­was un­ten im Gar­ten un­ter den Bäu­men, ein Ra­scheln und Knacken, ich sit­ze still, hal­te den Atem an und lau­sche. Wie­der hör’ ich’s und da­bei lei­se wie ein Hauch, das schwächs­te »Miau« ei­ner Kat­ze. »Miau, miau« tönt’s kläg­lich und lang­ge­zo­gen. Und »miau, miau« ant­wor­te ich eben­so kläg­lich, eben­so lei­se, schlüp­fe rasch in mei­ne Klei­der, lö­sche das Licht und stei­ge aus dem Fens­ter auf das Schup­pen­dach da­vor. Dann las­se ich mich zu Bo­den glei­ten, krie­che auf al­len Vie­ren nach dem Schat­ten der Bäu­me und da war rich­tig und leib­haf­tig Tom Sa­wyer, mein al­ter Tom und war­te­te auf mich.


  1. Die Aben­teu­er und Strei­che Tom Sa­wyers sind im I. Ban­de der Mark Twain­schen Schrif­ten er­schie­nen.  <<<

Zweites Kapitel – Die Jungen entwischen. – Jim! – Tom Sawyers Räuberbande. – Finstre Pläne!

Wir also vor­wärts und auf den Fuß­spit­zen wei­ter ge­schli­chen, den klei­nen Weg hin­un­ter, der un­ter den Bäu­men hin nach der Rück­sei­te des Gar­tens führt, muss­ten aber den Kopf ge­wal­tig bücken, dass uns die Zwei­ge nicht kit­zel­ten. Gera­de als wir an der Kü­chen­tü­re vor­über wol­len, muss ich na­tür­lich über eine Wur­zel stol­pern und hin­fal­len, wo­durch ein klei­nes Geräusch ent­steht. Jetzt heißt’s still lie­gen und den Atem an­hal­ten! Miss Wat­sons Nig­ger Jim saß an der Türe, wir konn­ten ihn ganz gut se­hen, weil das Licht ge­ra­de hin­ter ihm stand. Er steht auf, streckt den Kopf her­aus, horcht eine Mi­nu­te lang und sagt dann:

»Wer’s da?«

Dann horcht er wie­der und da, – jetzt schleicht er sich auf den Ze­hen­spit­zen her­aus und steht ge­ra­de zwi­schen uns, ich hät­te ihn zwi­cken kön­nen, wenn ich ge­wollt hät­te. Er steht und wir lie­gen still wie die Mäu­se und so ver­ge­hen Mi­nu­ten und Mi­nu­ten. An mei­nem Fuß fäng­t’s mich zu ju­cken an, krat­zen kann ich nicht. Jetzt juck­t’s am Ohr, dann am Rücken, ge­ra­de zwi­schen den Schul­tern, es ist zum toll wer­den! Wa­rum’s ei­nem nur im­mer juckt, wenn man nicht krat­zen kann oder darf! Dar­über hab’ ich oft nach­ge­dacht seit­dem. Ent­we­der wenn man bei fei­nen Leu­ten ist, oder bei ei­nem Be­gräb­nis, oder wenn einen der Leh­rer was fragt, oder in der Kir­che, oder wenn man im Bett liegt und will schla­fen und kann nicht, kurz, wo man nicht krat­zen kann und darf, da juck­t’s ei­nem ge­ra­de erst recht an hun­dert ver­schie­de­nen Plät­zen. End­lich sagt Jim:

»He da, wer’s da? Ich mich las­sen tot hau­en, ich ha­ben was ge­hört! Aber Jim sein nicht so dumm! Jim sit­zen hier hin und war­ten!«

Und da­mit pflanzt er sich ge­ra­de zwi­schen mich und Tom auf den Bo­den, lehnt den Rücken an einen Baum und streckt die Bei­ne aus, dass das eine mich bei­na­he be­rührt. Jetzt be­ginnt mein Juck-Elend von neu­em. Erst die Nase, bis mir die Trä­nen in den Au­gen ste­hen, ich wage nicht zu krat­zen, dann all­mäh­lich je­der Kör­per­teil, bis ich nicht weiß, wie ich still hal­ten soll. Fünf, sechs Mi­nu­ten geht das Elend so wei­ter, mir schei­nen’s Stun­den. Ich zäh­le schon elf ver­schie­de­ne Orte, an de­nen mich’s juckt. Gera­de, als ich den­ke, nun kannst du’s aber nicht mehr aus­hal­ten, höre ich Jim tief auf­at­men, dann schnar­chen und – ich bin ge­ret­tet.

Tom gab mir jetzt ein Zei­chen, er schnalz­te lei­se mit den Lip­pen, und wir kro­chen auf al­len Vie­ren da­von. Vi­el­leicht zehn Fuß weit ent­fernt hielt Tom an und flüs­ter­te mir zu, er wol­le Jim zum Spaß am Baum fest­bin­den. Ich sag­te nein, ich woll­te nicht, dass er auf­wach­te, Lärm schlü­ge und man dann ent­de­cken wür­de, dass ich nicht im Bett sei. Dann sag­te Tom, er habe nicht Lich­ter ge­nug und er wol­le sich in der Kü­che ein paar mit­neh­men. Das woll­te ich auch nicht er­lau­ben aus Angst vor Jim, aber Tom ließ sich nicht hal­ten, und so schli­chen wir uns in die Kü­che, fan­den die Lich­ter und Tom leg­te fünf Cents zur Be­zah­lung auf den Tisch. Ich schwitz­te nun förm­lich vor Angst, fort­zu­kom­men, Tom aber ließ sich nicht hal­ten, er kroch zu Jim zu­rück, um ihm einen Streich zu spie­len. Ich war­te­te bis er wie­der­kam, ziem­lich lan­ge, und al­les war so still und dun­kel und ein­sam um mich her­um.

End­lich kam Tom und nun rann­ten wir ei­lig den Pfad hin­un­ter und klet­ter­ten den stei­len Hü­gel hin­ter dem Hau­se hin­auf. Tom er­zähl­te, dass er Jim mit ei­nem Strick an den Baum ge­bun­den habe und sei­nen Hut an einen Ast oben ge­hängt, und dass der Kerl im­mer wei­ter ge­schla­fen und sich nicht ge­rührt. Spä­ter­hin be­haup­te­te Jim steif und fest, er sei be­hext ge­we­sen in die­ser Nacht und war sehr stolz auf sein Aben­teu­er und wenn die an­de­ren Nig­ger von ih­rer Be­kannt­schaft mit He­xen er­zähl­ten, zuck­te Jim ver­ächt­lich mit den Schul­tern und trumpf­te alle mit sei­nem Er­leb­nis ab. Ja, Jim war stolz auf sei­ne »He­xen«, und wur­de or­dent­lich be­rühmt des­halb. –

Tom und ich stan­den end­lich ganz oben auf dem Hü­gel und konn­ten ge­ra­de ins Dorf hin­un­ter se­hen und da blink­ten noch drei oder vier Lich­ter, wahr­schein­lich bei Kran­ken oder der­glei­chen. Und die Ster­ne über uns blitz­ten nur so und drun­ten zog der Strom da­hin, so breit, so breit und ohne Laut und furcht­bar groß­ar­tig. Wir rann­ten dann auf der an­de­ren Sei­te den Hü­gel hin­un­ter und fan­den Joe Har­per und Ben Ro­gers und noch ein paar Jun­gens, die auf uns war­te­ten. Ein Boot wur­de los­ge­macht und wir ru­der­ten den Fluss hin­un­ter, bis da­hin, wo der große Ein­schnitt im Ufer ist. Dort leg­ten wir an.

Wir klet­ter­ten auf ein dich­tes Busch­werk zu und nun ließ Tom uns alle schwö­ren, das Ge­heim­nis nicht zu ver­ra­ten und zeig­te uns ein Loch im Hü­gel, mit­ten in den Bü­schen drin. Wir steck­ten die Lich­ter an und kro­chen auf Hän­den und Fü­ßen hin­ein. Es ging un­ge­fähr 200 Me­ter in dem en­gen Gan­ge fort, bis sich eine Höh­le auf­tat. Tom tas­te­te an den Wän­den um­her und ver­schwand auf ein­mal un­ter ei­nem Fel­sen, wo nie­mand eine Öff­nung ver­mu­tet hat­te. Wir folg­ten ihm durch einen schma­len Gang, bis wir in einen Raum ge­lang­ten, un­ge­fähr wie ein Zim­mer, nur et­was kalt feucht und dump­fig, und da blie­ben wir dann. Tom hielt nun eine fei­er­li­che An­spra­che und sag­te:

»Hier wol­len wir also eine Räu­ber­ban­de grün­den und sie ›Tom Sa­wyers Ban­de‹ nen­nen. Je­der­mann, der bei­tre­ten will, muss einen Eid schwö­ren und sei­nen Na­men mit Blut un­ter­zeich­nen!«

Je­der­mann woll­te denn auch und so zog Tom einen Bo­gen Pa­pier aus der Ta­sche, auf den er einen furcht­ba­ren Eid ge­schrie­ben hat­te, den er uns jetzt vor­las. Da­rin stand, dass je­der Jun­ge treu zur Ban­de hal­ten müs­se und nie­mals de­ren Ge­heim­nis­se ver­ra­ten dür­fe bei To­dess­tra­fe. Wenn ir­gend­je­mand ir­gend­ei­nem von uns ir­gend et­was zu Leid täte, müs­se ei­ner das Ra­che­amt über­neh­men, den man dazu er­wäh­le, und er dür­fe nicht es­sen und nicht schla­fen, ehe er den Be­lei­di­ger und sei­ne gan­ze Fa­mi­lie ge­tö­tet und ein blu­ti­ges Kreuz je­dem in die Brust ge­ritzt habe, was das Zei­chen der Ban­de sein sol­le. Und nie­mand au­ßer uns dür­fe dies Zei­chen be­nut­zen und wenn er es doch täte, sol­le er ge­richt­lich be­langt und wenn dies nichts hel­fe, ein­fach ge­tö­tet wer­den. Wenn aber ei­ner aus der Ban­de die Ge­heim­nis­se ver­ra­te, wer­de ihm der Hals ab­ge­schnit­ten, der Kör­per ver­brannt und die Asche in alle vier Win­de zer­streut, sein Name dann dick mit Blut von der Lis­te ge­stri­chen, ihn aus­zu­spre­chen bei Stra­fe ver­bo­ten und er selbst sol­le ver­ges­sen sein für im­mer und ewig.

Wir alle fan­den den Eid­schwur präch­tig und frag­ten Tom, ob er ihn ganz al­lein aus sei­nem eig­nen Kopf ge­macht habe. Er sag­te ja, zum größ­ten Teil, aber ei­ni­ges habe er auch in al­ten Pi­ra­ten- und Räu­ber­bü­chern ge­fun­den und jede or­dent­li­che Ban­de, die An­spruch dar­auf ma­chen wol­le, an­stän­dig zu sein, schwö­re einen sol­chen Eid.

Jetzt mein­te ei­ner, man sol­le doch auch die Fa­mi­lie tö­ten von den Jun­gens, die das Ge­heim­nis ver­rie­ten. Tom sag­te, das sei eine gute Idee, nahm ein Blei­stift und kor­ri­gier­te es noch hin­ein in den Eid­schwur­bo­gen. Da mein­te Ben Ro­gers:

»Ja, aber, hört ein­mal, wie ist denn das? Dort, Huck Finn«, da­bei zeig­te er auf mich, »hat doch gar kei­ne Fa­mi­lie nicht – wen sol­len wir denn da tö­ten?«

»Er hat doch auch einen Va­ter«, sag­te Tom Sa­wyer.

»Den hat er wohl, aber wo ihn fin­den? Frü­her lag er doch manch­mal be­trun­ken in der Stra­ße, aber seit ei­nem Jahr hat ihn nie­mand ge­se­hen hier her­um!«

Nun be­rie­ten sie hin und her und hät­ten mich bei­na­he aus­ge­sto­ßen, denn je­der, so sag­ten sie, müs­se je­man­den zum tö­ten ha­ben, was dem einen recht, sei dem an­de­ren bil­lig, und so sa­ßen sie und über­leg­ten und ich heul­te bei­na­he, so schäm­te ich mich. Da fiel mir plötz­lich Miss Wat­son ein, und ich bot ih­nen die zum tö­ten an, das leuch­te­te ih­nen ein und alle rie­fen:

»Das geht, die ist recht dazu, Huck kann ein­tre­ten!«

Dann nah­men wir alle Steck­na­deln, sta­chen uns in die Fin­ger und un­ter­zeich­ne­ten un­sern Na­men mit uns­rem ›Herz­blut‹, wie Tom sag­te.

»Nun«, mein­te jetzt Ben Ro­gers, »auf was soll un­se­re Ban­de sich haupt­säch­lich ver­le­gen?«

»Auf wei­ter nichts«, ver­setz­te Tom, »als Raub und Mord und Tot­schlag!«

»Wen sol­len wir denn be­rau­ben? Häu­ser – oder Vieh – oder –«

»Un­sinn!« schrie Tom, »das nennt man dieb­sen und steh­len, nicht rau­ben und plün­dern! Wir wol­len kei­ne Die­be sein son­dern Räu­ber! Das ist viel vor­neh­mer! Räu­ber und We­ge­la­ge­rer! Wir über­fal­len die Post­kut­schen und Wa­gen auf der Land­stra­ße, mit Mas­ken vor dem Ge­sicht und schla­gen die Leu­te tot und neh­men ih­nen Uhren und Geld ab!« –

»Müs­sen wir im­mer alle tot hau­en?«

»Ge­wiss, das ist am ein­fachs­ten. Ich hab’s auch schon an­ders ge­le­sen, aber ge­wöhn­lich ma­chen sie’s so. Nur ei­ni­ge schleppt man hie und da in die Höh­le und war­tet, bis sie ran­zio­niert1 wer­den!«

»Ran­zio­niert? Was ist denn das?«

»Das weiß ich sel­ber nicht, aber so hab’ ich’s ge­le­sen und so müs­sen wir’s ma­chen!«

»Ho, ho, das kön­nen wir ja nicht, wenn wir nicht wis­sen, was es ist!«

»Ei zum Hen­ker, wir müs­sen’s eben! Hab’ ich dir nicht ge­sagt, dass ich’s ge­le­sen habe? Willst du’s an­ders ma­chen, als es in den Bü­chern steht, und al­les un­ter­ein­an­der brin­gen?«

»Oh, du hast gut re­den, Tom Sa­wyer, aber wie in der Welt sol­len wir die Bur­schen ›ran­zio­nie­ren‹, wenn wir nicht wis­sen, wie man’s macht? Das ist’s, was ich wis­sen will! Wie, zum Bei­spiel, denkst du dir’s ei­gent­lich?«

»Ich, – ich weiß nicht, aber ich den­ke, wenn wir sie be­hal­ten, bis sie ran­zio­niert sind, so wird das hei­ßen, bis sie tot sind!«

»Das lässt sich hö­ren, das be­grei­fe ich, aber warum hast du das nicht gleich ge­sagt? Na­tür­lich be­hal­ten wir sie, bis sie zu Tode ran­zio­niert sind. Aber Last wer­den sie uns ma­chen ge­nug und ge­nug, uns al­les weg­fres­sen und da­bei im­mer aus­knei­fen wol­len!« –

»Wie du schwat­zest, Ben! Wie kön­nen sie aus­knei­fen, wenn ei­ner im­mer Wa­che steht, der be­reit ist, sie nie­der­zu­schie­ßen, wenn ei­ner nur den Fin­ger krumm macht?«

»Ei­ner, der Wa­che steht? Das ist gut! Das freut mich! Also soll ei­ner die gan­ze Nacht da­ste­hen, ohne zu schla­fen und sie be­wa­chen? Das ist eine gräss­li­che Dumm­heit. Wa­rum nimmt man da nicht so­fort einen Knüt­tel und ran­zio­niert sie, wenn sie hier­her kom­men?«

»Weil’s so nicht in den Bü­chern steht, dar­um! Ich frag’ dich, Ben Ro­gers, willst du al­les den Re­geln nach tun oder nicht? Da­rauf komm­t’s an! Ich glau­be, die Leu­te, wel­che die Bü­cher schrei­ben, wis­sen bes­ser, wie man’s macht, als du! Denkst du, sie könn­ten von dir et­was ler­nen? Noch lan­ge nicht? Und drum wol­len wir die Bur­sche ge­nau so ran­zio­nie­ren, wie’s da an­ge­ge­ben ist und nicht ein biss­chen an­ders!« –

»Schon recht, mir liegt nichts dran, ich sage aber, es ist gräss­lich dumm so. Sol­len wir die Wei­ber auch tö­ten?«

»Ben Ro­gers, wenn ich so dumm wäre wie du, hielt ich lie­ber den Mund! Die Wei­ber tö­ten! Wer hat je so et­was ge­hört oder ge­le­sen! Nein, die wer­den in die Höh­le ge­schleppt und man ist so höf­lich und rück­sichts­voll ge­gen sie, als man kann. Nach ei­ner Wei­le ver­lie­ben sie sich dann in einen und wol­len gar nicht mehr wie­der fort.«

»Gut, da­mit bin ich ein­ver­stan­den! Ich für mein Teil aber dan­ke. Bald wer­den wir die gan­ze Höh­le voll Wei­ber ha­ben und voll Ker­le, die auf­’s ran­zo­nie­ren war­ten, so­dass am Ende kein Platz mehr für die Räu­ber da sein wird. Ich seh’s schon kom­men! Aber mach’ nur wei­ter, Tom, ich bin schon still!«

Der klei­ne Tom­my Bar­nes war in­zwi­schen ein­ge­schla­fen und als sie ihn weck­ten, fürch­te­te er sich und wein­te und woll­te zu sei­ner Mama und gar kein Räu­ber mehr sein.

Da neck­ten sie ihn alle und hie­ßen ihn Ma­ma­kind und er wur­de wild und schrie, nun wol­le er auch al­les sa­gen und alle Ge­heim­nis­se ver­ra­ten. Da gab ihm Tom fünf Cents um ihn stil­le zu ma­chen und sag­te, nun gin­gen wir alle nach Hau­se und kämen nächs­te Wo­che wie­der zu­sam­men und dann woll­ten wir ein paar Leu­te be­rau­ben und tö­ten.

Ben Ro­gers sag­te, er kön­ne nicht viel los­kom­men, nur an Sonn­ta­gen und woll­te des­halb gleich nächs­ten Sonn­tag an­fan­gen. Aber die Jun­gens mein­ten alle am Sonn­tag schi­cke sich so et­was gar nicht und so lie­ßen wir’s sein. Sie mach­ten aus, so bald als mög­lich wie­der zu­sam­men zu kom­men und dann einen Tag zu be­stim­men. Hier­auf wähl­ten wir noch Tom Sa­wyer zum Haupt­mann und Joe Har­per zum Un­ter­haupt­mann der Ban­de und bra­chen dann nach Hau­se auf.

Ich klet­ter­te wie­der auf­’s Schup­pen­dach und von da in mein Fens­ter, ge­ra­de als es an­fing Tag zu wer­den. Mei­ne neu­en Klei­der wa­ren furcht­bar schmut­zig und vol­ler Lehm und ich war hun­de­mü­de.


  1. Durch Lö­se­geld be­freit, los­ge­kauft.  <<<

Drittes Kapitel – Eine ordentliche Strafpredigt. – Die Gnade triumphiert. – Die Räuber. – Die Dämonen. – »Eine von Toms Lügen!«

Das setz­te eine or­dent­li­che Straf­pre­digt für mich von Miss Wat­son am an­de­ren Mor­gen über mei­ne schmut­zi­gen Klei­der! Die Wit­we aber, die zank­te gar nicht, son­dern putz­te nur den Schmutz und Lehm weg und sah so trau­rig da­bei aus, dass ich dach­te, ich wol­le eine Wei­le brav sein, wenn ich’s fer­tig bräch­te. Dann nahm mich Miss Wat­son mit in ihr Zim­mer und be­te­te für mich, aber ich spür­te nichts da­von. Sie sag­te mir, ich sol­le je­den Tag or­dent­lich be­ten, und um was ich bete, das be­käme ich. Das glaub’ ein an­de­rer! Ich nicht. Ich hab’s pro­biert, aber was kam da­bei her­aus? Ein­mal krieg­te ich wohl eine An­gel­ru­te, aber kei­ne Ha­ken dazu und ich be­te­te und be­te­te drei- oder vier­mal, aber die Ha­ken ka­men nicht. Da bat ich Miss Wat­son es für mich zu tun, die wur­de aber böse und schimpf­te mich einen Nar­ren. Wa­rum, weiß ich nicht, sie sag­te es mir nicht und ich selbst konnt’s nicht her­aus­fin­den.

Ich hab’ dann lan­ge im Wald ge­ses­sen und dar­über nach­ge­dacht. Sag’ ich zu mir sel­ber: wenn ei­ner al­les be­kom­men kann, worum er be­tet, warum be­kommt dann der Nach­bar Winn sein Geld nicht zu­rück, das er an sei­nen Schwei­nen ver­lo­ren hat? Und die Wit­we ihre sil­ber­ne Schnupf­ta­baks­do­se, die ihr ge­stoh­len wor­den? Und warum wird Miss Wat­son nicht fet­ter? Nein, sag’ ich zu mir, da ist nichts dran, das ist Dunst. Und ich ging zur Wit­we und sag­te ih­r’s und die be­lehr­te mich, man kön­ne nur um ›geist­li­che Ga­ben‹ be­ten! Da dies viel zu hoch für mich war, so such­te sie mir’s deut­lich zu ma­chen: – ich müs­se brav und gut sein und den an­de­ren hel­fen, wo ich kön­ne und nicht an mich, son­dern im­mer nur an die an­de­ren den­ken. Da­mit war auch Miss Wat­son ge­meint, dach­te ich und ging hin­aus in den Wald und über­leg­te mir’s wie­der. Aber, mei­ner Seel’, da­bei kommt nur was für die an­de­ren her­aus und gar nichts für mich und so ließ ich denn das Den­ken sein und quäl­te mich nicht län­ger da­mit. Den einen Tag nahm mich die Wit­we vor und er­zähl­te mir von der gü­ti­gen, mil­den Vor­se­hung, die’s so gut mit dem Men­schen mei­ne und wie sie sich mei­ner in Gna­den er­bar­men wol­le, bis mir der Mund wäs­ser­te und die Au­gen nass wur­den. Dann, viel­leicht schon an­de­ren tags, kam Miss Wat­son und ließ ihre Vor­se­hung don­nern und blit­zen, dass ich mich or­dent­lich duck­te und den Kopf ein­zog. Es muss zwei Vor­se­hun­gen ge­ben, dach­te ich mir, und ein ar­mer Kerl wie ich, hat’s si­cher bei der Wit­we ih­rer bes­ser, denn bei Miss Wat­son’s ih­rer ist er ver­lo­ren. So dach­te und dach­te ich und nahm mir vor, zu der Wit­we ih­rer Vor­se­hung zu be­ten, wenn die sich über­haupt aus so ei­nem ar­men, un­wis­sen­den, elen­den, trau­ri­gen Kerl, wie ich ei­ner bin, et­was macht und sich nicht viel woh­ler be­fin­det ohne mich. –

Mein »Al­ter« war nun schon seit ei­nem Jah­re nicht mehr ge­se­hen wor­den, was für mich nur eine Wohl­tat war; ich hat­te also kein Heim­weh nach ihm. So lan­ge er da war, ver­kroch ich mich meist im Wald, um mich vor sei­nen Schlä­gen zu ret­ten; denn so­bald er mich er­wi­sch­te, – auch wenn er ganz nüch­tern war – setz­te es Prü­gel. Ei­nes Ta­ges sag­ten die Leu­te, man habe mei­nen Va­ter im Flus­se, et­was ober­halb der Stadt, er­trun­ken ge­fun­den. Sie mein­ten we­nigs­tens, er müs­se es sein. Sie sag­ten, der Er­trun­ke­ne sei ge­ra­de so groß, so zer­lumpt ge­we­sen und habe so un­ge­wöhn­lich lan­ges Haar ge­habt, was al­les mit mei­nem Al­ten stimm­te, das Ge­sicht aber war nicht zu er­ken­nen ge­we­sen, es hat­te zu lan­ge im Was­ser ge­le­gen. Sie ver­scharr­ten ihn am Ufer, aber ich war nicht ru­hig, glaub­te nicht an den Tod des al­ten Man­nes und dach­te, der wür­de schon mal wie­der ir­gend­wo auf­tau­chen, um mich zu quä­len und zu hau­en.

Wir spiel­ten hie und da ein­mal Räu­ber, viel­leicht einen Mo­nat lang und dann ver­zich­te­te ich auf das Ver­gnü­gen, – die an­de­ren auch. Wir hat­ten kei­nen ein­zi­gen Men­schen be­raubt, kei­nen ge­tö­tet, im­mer nur so ge­tan. Wir spran­gen aus dem Wald und jag­ten Sau­trei­bern nach oder hin­ter Frau­en her, die Ge­mü­se in Kar­ren zum Mark­te führ­ten, nah­men aber nie ir­gend et­was, oder ir­gend wen in uns­re Höh­le mit. Tom Sa­wyer nann­te das Zeug das auf den Kar­ren lag ›Gold­bar­ren‹ und ›E­del­ge­stein‹ und ’s wa­ren doch nur Rü­ben und Kar­tof­feln und wir gin­gen dann zur Höh­le zu­rück und nah­men den Mund voll und prahl­ten, was wir al­les ge­tan hät­ten, wie viel Kost­bar­kei­ten ge­raubt und Leu­te ge­tö­tet und Kreu­ze in die Brust ge­ritzt. Aber all­mäh­lich fing die Sa­che an mich zu lang­wei­len.

Ei­nes Ta­ges sand­te Tom einen Jun­gen mit ei­nem bren­nen­den Kien­span, ei­nem ›Feu­er­bran­d‹ wie er es nann­te, durch die Stra­ßen der Stadt, das war das Zei­chen für die Ban­de sich zu ver­sam­meln. Als wir alle bei ein­an­der wa­ren, teil­te er uns mit, wie er ge­hört, dass an­de­ren tags ein gan­zer Hau­fen spa­ni­scher Kauf­leu­te und rei­cher ›Ah-ra­ber‹ wie er sag­te, samt zwei­hun­dert Ele­fan­ten und sechs­hun­dert Ka­me­len und über tau­send ›Saum­tie­ren‹ – was das für Tie­re wa­ren, wuss­te er sel­ber nicht – alle schwer mit Dia­man­ten be­la­den in der Nähe im ›Höh­len-Grun­de‹ la­gern woll­ten. Da nur eine klei­ne Be­wa­chung von viel­leicht vier­hun­dert Sol­da­ten da­bei sei, soll­ten wir uns in ›Hin­ter­hal­t‹ le­gen, wie er’s nann­te, die Mann­schaft tö­ten und die Dia­man­ten rau­ben. Er ge­bot uns un­se­re Schwer­ter zu wet­zen, die Flin­ten zu la­den und uns be­reit zu hal­ten. Er konn­te nie­mals auch nur hin­ter ei­nem al­ten Rü­ben­kar­ren her­set­zen, ohne dass die Schwer­ter und Flin­ten, die ei­gent­lich Holz­lat­ten und Be­senstie­le wa­ren, mit von der Par­tie sein muss­ten. Ich für mei­nen Teil glaub­te nun nicht, dass wir es mit ei­nem sol­chen Hau­fen Spa­nier und Ah-ra­ber auf­neh­men könn­ten, hat­te aber große Lust die Ka­me­le und Ele­fan­ten zu se­hen und stell­te mich am Sonn­abend zur be­stimm­ten Stun­de ein und leg­te mich mit in ›Hin­ter­hal­t‹.

Tom kom­man­dier­te und wir bra­chen los, stürm­ten aus dem Wal­de und rann­ten den Hü­gel hin­un­ter. Mit den Spa­ni­ern, den Ah-ra­bern, Ka­me­len, Ele­fan­ten aber war’s Es­sig. Nur eine Sonn­tags-Schul­klas­se hat­te einen Aus­flug ge­macht und sich im Gras ge­la­gert und noch dazu nichts als die aller­kleins­ten Mäd­chen. Wir jag­ten sie auf und rann­ten hin­ter den Kin­dern her, er­ober­ten aber nur et­was Ein­ge­mach­tes und ein paar Stück­chen Ku­chen, Ben griff nach ei­ner Pup­pe und Joe nach ei­nem Ge­sang­buch, aber als die Leh­re­rin kam, war­fen wir die Sa­chen weg und rann­ten da­von.

Dia­man­ten hat­te ich eben­so­we­nig ge­se­hen und sag­te das Tom auch. Es sei­en doch mas­sen­haft da­ge­we­sen, er­wi­der­te er, des­glei­chen Ah-ra­ber und Ka­me­le und al­les. Wa­rum ha­ben wir’s dann aber nicht ge­se­hen? frag­te ich. Er sag­te, wenn ich kein so Dumm­kopf wäre und ein Buch ge­le­sen hät­te, das ›Dom­kui­scho­te‹ oder wie er’s nann­te, hieß, so wüss­te ich warum, ohne ihn zu fra­gen. Er sag­te, es sei al­les nur Zau­be­rei ge­we­sen. Es wä­ren hun­der­te von Sol­da­ten und Ele­fan­ten und Schät­ze dort ge­we­sen, aber wir hät­ten mäch­ti­ge Fein­de, Zau­be­rer, die uns zum Trotz al­les in eine Klein­kin­der-Sonn­tags­schu­le ver­wan­delt hät­ten. Da­rauf mein­te ich, das sei al­les ganz schön, dann woll­ten wir ein­mal or­dent­lich ge­gen die Zau­be­rer los­ge­hen. Tom Sa­wyer sag­te, ich sei ein Esel.

»So ein Zau­be­rer«, sag­te er, »wür­de ein gan­zes Heer von Dä­mo­nen zu Hil­fe ru­fen und die wür­den dich in Stücke hau­en, ehe du Amen sa­gen könn­test. Die sind so groß wie Bäu­me und so dick wie Kirchtür­me.«

»Gut«, sag­te ich, »lass uns doch ein paar Dä­mo­nen neh­men, die uns hel­fen, dann wol­len wir die an­de­ren schon zwin­gen.«

»Wie willst du sie denn be­kom­men?«

»Das weiß ich nicht. Wie krie­gen die sie denn?«

»Die? O, ganz ein­fach. Die rei­ben eine alte Blech­lam­pe oder einen ei­ser­nen Ring und dann kom­men die Dä­mo­nen an­ges­aust mit Don­ner und Blitz und Dampf und Rauch und was man ih­nen be­fiehlt, das tun sie. Es ist ih­nen eine Klei­nig­keit, einen Kirch­turm aus der Erde zu rei­ßen und ihn dem nächs­ten bes­ten um den Kopf zu hau­en.«

»Wer be­fiehlt ih­nen denn?«

»Nun, der Zau­be­rer, der die Lam­pe oder den Ring reibt und sie müs­sen tun, was er sagt. Wenn er ih­nen sagt, sie sol­len einen Palast bau­en, vier­zig Mei­len lang und ganz aus Dia­man­ten und ihn mit Brust­zu­cker oder Hus­ten­le­der, oder ir­gend et­was fül­len und dann die Toch­ter vom Kai­ser von Chi­na ho­len zum hei­ra­ten und – Gott weiß was noch – sie müs­sen’s al­les tun. Und wenn man den Palast wo an­ders hin­ge­stellt ha­ben will, müs­sen sie ihn rings im Lan­de her­um schlep­pen, bis er an der rech­ten Stel­le ist, und« –

»Aber«, sag’ ich, »warum sind sie denn sol­che Esel und be­hal­ten den Palast nicht für sich sel­ber, an­statt da­mit her­um­zu­kut­schie­ren für and­re. We­gen mei­ner könn­te, wer woll­te, eine alte Blech­lam­pe oder einen ei­ser­nen Ring rei­ben bis er schwarz wür­de, mir fiel’s drum doch nicht ein, zu ihm zu lau­fen und mir be­feh­len zu las­sen.«

»Wie du jetzt wie­der re­dest, Huck Finn, du müss­test eben kom­men, wenn du ein Dä­mon wärst und ei­ner rie­be den Ring, ob du woll­test oder nicht.«

»Was? Und da­bei wär’ ich so groß wie ein Baum und so dick wie ein Turm? Gut, ich woll­te kom­men, ich käme, aber der rie­fe mich nicht zum zwei­ten Mal, das kannst du mir glau­ben!«

»Pah, mit dir ist nicht zu re­den, Huck Finn, du weißt und ver­stehst auch rein gar nichts – der voll­kom­mens­te Hohl­kopf!« –

Zwei oder drei Tage lang über­leg­te ich mir nun die Sa­che, und dann be­schloss ich zu pro­bie­ren, ob wirk­lich et­was dran sei. Ich ver­schaff­te mir eine alte Blech­lam­pe und einen ei­ser­nen Ring, ging hin­aus in den Wald und rieb und rieb, bis ich schwitz­te wie ein Dampf­kes­sel, – ich hät­te so ger­ne einen Palast zum ver­kau­fen ge­habt. Aber es war al­les um­sonst, es kam kein Don­ner und kein Blitz und kein Dampf und kein Rauch und am al­ler­we­nigs­ten ein Dä­mon. Da be­griff ich denn, dass all’ der Un­sinn wie­der ein­mal eine von Tom’s Lü­gen ge­we­sen war. Er glaubt viel­leicht an die Ah-ra­ber und die Ele­fan­ten, ich aber den­ke an­ders – es schmeck­te al­les zu sehr nach der Sonn­tags­schu­le.

Viertes Kapitel – »Langsam aber sicher.« – Huck und der Kreisrichter. – Aberglaube.

So ver­gin­gen drei oder vier Mo­na­te und wir wa­ren nun mit­ten im Win­ter drin. Ich ging flei­ßig zur Schu­le, konn­te buch­sta­bie­ren, le­sen, schrei­ben, das Ein­mal­eins her sa­gen bis zu sechs mal sie­ben ist fünf­und­drei­ßig,1 wei­ter kam ich nicht und wäre auch wohl nie wei­ter ge­kom­men und wenn ich hun­dert Jah­re dran ge­lernt hät­te – ich habe ein­mal kein Ta­lent zur Ma­the­ma­tik.

Erst ver­ab­scheu­te ich die Schu­le, dann ge­wöhn­te ich mich all­mä­lich dar­an. Streng­te sie mich ein­mal über­mä­ßig an, so schwänz­te ich einen Tag und die Tracht, die ich da­für an­de­ren tags be­kam, tat mir gut und frisch­te mich auf.

Je län­ger ich hin­ging, de­sto leich­ter wur­de mir’s. Auch an der Wit­we ihre Art ge­wöhn­te ich mich nach und nach und är­ger­te mich nicht mehr über al­les. Nur das im Hau­se woh­nen und im Bet­te schla­fen woll­te mir noch im­mer nicht hin­un­ter und eh’ das kal­te Wet­ter kam, rann­te ich manch­mal des Nachts in den Wald und ruh­te dort ein­mal gründ­lich aus. Ich lieb­te mein al­tes, frei­es Le­ben viel – viel mehr als das neue, aber ich fing doch an, auch das ein klein we­nig gern zu ha­ben. Die Wit­we und ich, wir ka­men uns »lang­sam aber si­cher« nä­her und wa­ren ganz zu­frie­den mit­ein­an­der. Sie sag­te auch, sie schä­me sich mei­ner gar nicht mehr.

Ei­nes Mor­gens stieß ich beim Früh­stück das Salz­fass um und woll­te eben ein paar Körn­chen von dem ver­schüt­te­ten Salz neh­men, um es über die lin­ke Schul­ter zu wer­fen, da­mit es mir kein Un­glück brin­ge, da kam mir Miss Wat­son zu­vor: »Die Hand weg, Huck­le­ber­ry«, ze­tert sie, »du musst auch im­mer Dumm­hei­ten ma­chen!« Die Wit­we woll­te ein gu­tes Wort für mich ein­le­gen, aber das konn­te das Un­glück nicht ab­hal­ten, das wuss­te ich nur zu ge­wiss. Ich war ganz zit­te­rig und zer­schla­gen, als ich vom Tisch auf­stand und schlich mich hin­aus, mir den Kopf zer­bre­chend, wo mir wohl et­was Schlim­mes zu­sto­ßen und was in al­ler Welt es sein wer­de. Ich weiß auch noch and­re Mit­tel, um Un­glück fern zu hal­ten, aber die lie­ßen sich hier nicht an­wen­den und so hielt ich still und tat gar nichts, schlän­gel­te mich nur nie­der­ge­schla­gen mei­nes We­ges wei­ter, im­mer auf der Hut vor ir­gend et­was Un­be­kann­tem. Ich ging den Gar­ten hin­un­ter und klet­ter­te über den ho­hen Bret­ter­zaun. Es war in der Nacht fri­scher Schnee ge­fal­len und ich sah Fuß­spu­ren in dem­sel­ben. Sie führ­ten di­rekt vom Stein­bruch hier­her und rings um den Gar­ten­zaun. Im Gar­ten selbst sah ich nichts und das mach­te mich stut­zig, was hat­te ei­ner da drau­ßen her­um zu lun­gern? Ich woll­te den Spu­ren nach­ge­hen, bück­te mich aber erst noch ein­mal, um sie zu un­ter­su­chen. Zu­erst fiel mir nichts dran auf, dann aber, Herr du mein Gott, da sah ich et­was, das mir be­kannt war und ich wuss­te so­fort, was die Uhr ge­schla­gen hat­te. Am lin­ken Ab­satz der Fuß­spur be­fand sich ein mir nur all­zu be­kann­tes Kreuz aus di­cken Nä­geln, um den Bö­sen fern zu hal­ten.

In ei­ner Se­kun­de war ich auf und setz­te den Hü­gel hin­un­ter. Von Zeit zu Zeit sah ich ah­nungs­voll über die Schul­ter zu­rück, konn­te aber nie­mand ent­de­cken. Wie der Blitz rann­te ich zum Kreis­rich­ter, der ruft mir ent­ge­gen:

»Jun­ge, du bist ja ganz au­ßer Atem. Kommst du we­gen dei­ner Zin­sen?«

»Nein«, sag ich, »hab’ ich denn wie­der was zu be­kom­men?«

»O ja, ges­tern Abend sind die vom letz­ten hal­b­en Jahr ein­ge­lau­fen. Über hun­dert­und­fünf­zig Dol­lars. Ein gan­zes Ver­mö­gen für dich, mein Jun­ge. Ich lege dir die Zin­sen aber wohl bes­ser mit dem Ka­pi­tal an, denn wenn du sie hast, gibst du sie auch aus.«

»O, nein«, sag’ ich, »ich will sie gar nicht ha­ben, die Zin­sen nicht und auch die sechs­tau­send nicht, Sie sol­len’s neh­men, Herr, ich will’s Ih­nen ge­ben, al­les, al­les!«

Er sah mich er­staunt an, schi­en mich nicht zu ver­ste­hen. Dann sag­te er:

»Wie, – wie meinst du das, Jun­ge?«

Sag’ ich: »Fra­gen Sie mich, bit­te, nichts wei­ter, Herr, aber neh­men Sie’s, bit­te, neh­men Sie’s!«

Sag­t’ er:

»Jun­ge, ich ver­steh’ dich nicht, was ist denn mit dir?«

»Bit­te, bit­te neh­men Sie’s und fra­gen Sie mich nicht wei­ter – dann muss ich Ih­nen auch nichts vor­schwin­deln!«

Er dacht’ eine Wei­le nach, dann sag­t’ er:

»Hol­la, ich glaub’ ich hab’s. Du willst mir dei­ne An­sprü­che ab­tre­ten, ver­kau­fen, nicht schen­ken. Das liegt dir im Sinn, nicht wahr?«

Und ohne wei­te­res schreibt er ein paar Zei­len auf ein Stück Pa­pier, liest’s noch ein­mal durch und sag­te dann:

»Da – sieh her. Es ist ein Ver­trag und es steht drin, dass ich dir dei­ne An­sprü­che ab­ge­kauft habe. Hier ist ein Dol­lar und nun un­ter­schrei­be!«

Ich un­ter­schrieb und troll­te mich.

Miss Wat­sons Nig­ger Jim hat­te eine haa­ri­ge Ku­gel, so groß wie eine Faust, die ein­mal aus dem vier­ten Ma­gen ei­nes Och­sen her­aus­ge­nom­men wor­den war. Mit der konn­te er wahr­sa­gen, da sich ein Geist drin be­fand, der al­les wuss­te. Ich ging also zu Jim am Abend und sag­te ihm, mein Al­ter sei rich­tig wie­der im Land, ich habe sei­ne Fuß­tap­pen im Schnee ge­fun­den. Was ich wis­sen woll­te war, was der Alte im Schil­de führ­te und wie lang er blei­ben wer­de. Jim nahm sei­ne haa­ri­ge Ku­gel, brumm­te et­was drü­ber hin, hob sie in die Höhe und warf sie dann zu Bo­den. Sie fiel derb auf und roll­te kaum einen Zoll weit von der Stel­le. Noch ein­mal pro­bier­te es Jim und noch ein­mal und im­mer blieb es gleich. Jetzt knie­te Jim nie­der und leg­te sein Ohr an die Ku­gel und horch­te, aber ’s woll­te nichts sa­gen.

Da sag­t’ er, manch­mal re­det es nicht ohne Geld. Ich bot ihm nun eine alte, nach­ge­mach­te Mün­ze an, die ich hat­te, bei der über­all das Mes­sing durch­sah, und die so fett und schlüpf­rig sich an­fühl­te, dass sie mir nie­mand für echt ab­ge­nom­men hät­te. Von mei­nem Dol­lar schwieg ich na­tür­lich, denn für die alte Ku­gel war wahr­haf­tig die schlech­te Mün­ze gut ge­nug. Jim nahm die Mün­ze, roch dar­an, rieb sie, biss hin­ein und ver­sprach, es ein­zu­rich­ten, dass die Haar­ku­gel die Unecht­heit nicht mer­ke. Er sag­te, er wol­le eine rohe Kar­tof­fel neh­men und die Mün­ze hin­ein­ste­cken und die Nacht über drinn las­sen, am an­de­ren Mor­gen sehe man dann kein Mes­sing und füh­le kei­ne Fet­tig­keit und kein Mensch wer­de den Be­trug mer­ken, noch we­ni­ger eine Haar­ku­gel. Das Ding mit der Kar­tof­fel wusst’ ich, hat­t’s nur ver­ges­sen im Mo­ment.

Jim steck­te also nun die Mün­ze un­ter die Ku­gel und leg­te wie­der das Ohr dran. Jetzt sei al­les in Ord­nung, sag­t’ er und die Ku­gel wer­de mir wahr­sa­gen, so­viel ich wol­le. »Nur zu!« sag’ ich. Und die Ku­gel sprach nun zu Jim, und Jim sag­t’s mir wie­der:

»Dei­ne alte Vat­ter noch nix wis­sen, was wol­len tun. Ein­mal wol­len ge­hen, ein­mal wol­len blei­ben. Du sein ganz ru­hig, Huck, las­sen tun die alte Mann, wie er wol­len. Sein da zwei En­gels, flie­gen um ihn rum. Sein der eine weiß, der an­de­re schwarz. Wol­len der weiß ihn füh­ren gute Weg, kom­men der schwarz un rei­ßen ihn fort. Arme Jim nich nix kön­nen sa­gen von Ende, ob schwarz, ob weiß! Bei dir aber al­lens sein gut. Du ha­ben noch viel Angst im Le­ben, aber auch viel Freud! Wer­den kom­men Krank­heit und Un­glück, un dann Ge­sund­heit un Glück! Sein dei­ne En­gel zwei Mä­dels, eine blond un eine braun, eine reich un eine arm. Wer­den du hei­ra­ten erst die arm un dann die reich! Du nix ge­hen zu nah an Was­ser, sonst du müs­sen fal­len rein un ganz er­sau­fen! Du hö­ren arme, alte Jim, Huck, du nix ver­ges­sen, was er sa­gen!«

Das ver­sprach ich denn auch hoch und hei­lig und als ich dann mein Licht an­zün­de­te und in mein Zim­mer kam, – saß da mein Al­ter in Le­bens­grö­ße!


  1. Ja, Huck Finn hat’s eben nach die­sem Exem­pel nicht sehr weit in der Re­chen­kunst ge­bracht!  <<<

Fünftes Kapitel – Hucks Vater. – Der zärtliche Verwandte. – Bekehrung.

Ich hat­te ge­ra­de die Türe zu­ge­macht und wie ich mich um­dreh­te, saß er vor mir. Ich hab’ mich stets vor ihm ge­fürch­tet, er hat mich im­mer so tap­fer ge­gerbt, aber dies­mal merk­t’ ich gleich, dass es an­ders war. – Das heißt, zu­erst schnapp­te ich nach Luft, – es nahm mir den Atem, ihn so plötz­lich zu se­hen; aber dann rap­pel­te ich mich schnell zu­sam­men und trat nä­her.

Er war bei­na­he fünf­zig und sah auch so aus. Sein Haar war lang und ver­wirrt und fet­tig und hing ihm übers Ge­sicht, dass sei­ne Au­gen drun­ter vor­sta­chen wie hin­ter Weinre­ben. Es war noch ganz schwarz, nichts von grau und so war auch sein lan­ger Schnauz­bart. In sei­nem Ge­sicht, so­weit man’s se­hen konn­te, war kei­ne Far­be, es war ganz weiß, aber nicht von ei­nem ge­wöhn­li­chen Weiß, son­dern so, dass es ei­nem übel mach­te, wenn man’s sah; dass es ei­nem eine Gän­se­haut über den Rücken jag­te, so to­ten­ähn­lich, so fisch­bauch­ar­tig war es. Sei­ne Klei­der – wa­ren Lum­pen, wei­ter nichts. Er hat­te den rech­ten Fuß aufs lin­ke Knie ge­legt und der Stie­fel sperr­te das Maul so weit auf, dass zwei oder drei Ze­hen her­aus sa­hen, an de­nen er her­um fin­ger­te. Sein Hut, ein al­ter zer­ris­se­ner Filz­de­ckel, lag auf dem Bo­den.

Ich starr­te ihn an. Er hat­te den Stuhl et­was über­ge­kippt und starr­te mich wie­der an. End­lich stell­te ich das Licht hin, und sah, dass das Fens­ter of­fen war, der Alte war also übers Schup­pen­dach ein­ge­stie­gen. Der ver­flix­te Schup­pen! Er folg­te mir mit den Au­gen, ich spür­t’ es, end­lich sag­t’ er:

»Don­ner­wet­ter, fei­ne Klei­der – sehr fein! Du bildst dir wohl was d’rauf ein, he? Denkst, du bist ein Herr ge­wor­den, he?«

»Vi­el­leicht, – viel­leicht auch nicht«, sag’ ich.

»Wirst du mir wohl or­dent­lich ant­wor­ten, he?« brüllt er, »du scheinst dir tüch­tig Mücken in den Kopf ge­setzt zu ha­ben, seit wir uns nicht ge­se­hen. Die treib’ ich dir aus, das lass’ dir ge­sagt sein! Du gehst auch in die Schu­le, hab’ ich mir sa­gen las­sen und kannst le­sen und schrei­ben. Glaubst du nun, dass du bes­ser bist, wie dein Va­ter, he, du Ra­cker? War­t’ ich will dir kom­men! Wer hat dir er­laubt da hin zu ge­hen, wer frag’ ich, wer hat dir’s er­laubt?«

»Die Wit­we! Sie hat’s er­laubt!«

»Die Wit­we, he? Und wer hat’s der Wit­we er­laubt, dass die ihre Nase in Din­ge steckt, die sie ab­so­lut nichts an­ge­hen, wer, he?«

»Nie­mand!«

»Gut, der will ich’s zei­gen! Und du, Ben­gel, in­fa­mer, du lässt das Schul­ge­hen blei­ben, ver­stan­den? Ich werd’s den Leu­ten schon zei­gen, was es heißt, ei­nem sol­chen Fle­gel, wie dir, in den Kopf set­zen, er sei bes­ser, als sein Va­ter. Lass du dich wie­der in der Schu­le er­wi­schen! Dei­ne Mut­ter hat nicht le­sen und schrei­ben kön­nen eh’ sie starb und kei­ner von der Fa­mi­lie konnt’s, ich kann’s auch nicht und da kommt so ein Ra­cker und will bes­ser sein als wir alle und bil­det sich was drauf ein und tut sich dick mit. Das lass ich mir aber nicht ge­fal­len, ver­stan­den? Da – zeig’ ein­mal was du le­sen kannst.«

Ich nahm ein Buch und stot­ter­te et­was vom Ge­ne­ral Wa­shing­ton und dem Krie­ge. Eine Mi­nu­te lang hör­te er zu, dann ver­setz­te er dem Buch einen Stoß, dass es an die and­re Zim­mer­wand klatsch­te. Sagt er:

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