Erin Hunter
Warrior Cats
Special Adventure – Morgenröte
Aus dem Englischen von Klaus Weimann
www.beltz.de
© 2011 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2006 Working Partners Limited
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel Warriors, The New Prophecy, Dawn bei HarperCollins Children’s Books, New York
Lektorat: Susanne Härtel
ebook: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74282-7
Besonderen Dank an Kate Cary
Hinter dem Namen Erin Hunter verbergen sich gleich drei Autorinnen. Während Victoria Holmes meistens die Ideen für die Geschichten hat und das gesamte Geschehen im Auge behält, bringen Cherith Baldry und Kate Cary die Abenteuer der Katzen-Clans zu Papier. Alle drei mögen Katzen und haben großen Spaß daran, neue und spannende Geschichten rund um die KatzenClans zu erfinden.
Mehr Informationen unter www.warriorcats.de
Karte
Die Hierarchie der Katzen
DonnerClan
Anführer |
FEUERSTERN – hübscher Kater mit rotem Fell |
Zweiter Anführer |
GRAUSTREIF – langhaariger, grauer Kater Heilerin RUSSPELZ – dunkelgraue Kätzin; Mentorin von BLATTPFOTE – hellbraun gestreifte Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen und weißen Pfoten |
Krieger |
(Kater und Kätzinnen ohne Junge) |
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MAUSEFELL – kleine, schwarzbraune Kätzin; Mentorin von SPINNENPFOTE |
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BORKENPELZ – dunkelbraun getigerter Kater; Mentor von EICHHORNPFOTE |
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SANDSTURM – kleine, gelbbraune Kätzin |
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WOLKENSCHWEIF – langhaariger, weißer Kater |
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FARNPELZ – goldbraun getigerter Kater; Mentor von WEISSPFOTE |
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DORNENKRALLE – goldbraun getigerter Kater; Mentor von WEIDENPFOTE |
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LICHTHERZ – weiße Kätzin mit goldbraunen Flecken und vernarbtem Gesicht |
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BROMBEERKRALLE – dunkelbraun getigerter Kater mit bernsteinfarbenen Augen |
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ASCHENPELZ – hellgrauer Kater mit dunkleren Flecken und dunkelblauen Augen |
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REGENPELZ – dunkelgrauer Kater mit blauen Augen |
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SCHLAMMFELL – hellgrauer Kater mit bernsteinfarbenen Augen |
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AMPFERSCHWEIF – schildpattfarbene Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen |
Schüler |
(über sechs Monde alt, in der Ausbildung zum Krieger) |
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EICHHORNPFOTE – dunkelrote Kätzin mit grünen Augen |
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SPINNENPFOTE – langgliedriger, schwarzer Kater mit braunem Bauch und bernsteinfarbenen Augen |
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WEIDENPFOTE – kleiner, dunkelbrauner Kater mit bernsteinfarbenen Augen |
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WEISSPFOTE – weiße Kätzin mit grünen Augen |
Königinnen |
(Kätzinnen, die Junge erwarten oder aufziehen) |
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GOLDBLÜTE – Kätzin mit hellem, goldbraunem Fell; älteste Königin in der Kinderstube |
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RAUCHFELL – hellgraue Kätzin mit dunklen Flecken und grünen Augen |
Älteste |
(ehemalige Krieger und Königinnen, jetzt im Ruhestand) |
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FROSTFELL – weiße Kätzin mit blauen Augen |
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FLECKENSCHWEIF – hell gescheckte Kätzin |
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LANGSCHWEIF – Kater mit hellem Fell und schwarzen Streifen; früh im Ruhestand, weil fast blind |
SchattenClan
Anführer |
SCHWARZSTERN – großer, weißer Kater mit riesigen, pechschwarzen Pfoten |
Zweite Anführerin |
ROSTFELL – dunkle, goldbraune Kätzin |
Heiler |
KLEINWOLKE – sehr kleiner, getigerter Kater |
Krieger |
EICHENFELL – kleiner, brauner Kater; Mentor von RAUCHPFOTE |
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ZEDERNHERZ – dunkelgrauer Kater |
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ESCHENKRALLE – rotbrauner Kater; Mentor von KRALLENPFOTE |
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NACHTFLÜGEL – schwarze Kätzin |
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BERNSTEINPELZ – schildpattfarbene Kätzin mit grünen Augen |
Königin |
MOHNBLÜTE – langbeinige, hellbraun gescheckte Kätzin |
Älteste |
TRIEFNASE – kleiner, grau-weißer Kater; ehemaliger Heiler |
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KIESELSTEIN – magerer, grauer Kater |
WindClan
Anführer |
RIESENSTERN – schwarz-weißer Kater mit sehr langem Schwanz |
Zweiter Anführer |
MOORKRALLE – dunkelbraun gesprenkelter Kater; Mentor von KRÄHENPFOTE |
Heiler |
RINDENGESICHT – brauner Kater mit kurzem Schwanz |
Krieger |
FETZOHR – getigerter Kater; Mentor von EULENPFOTE |
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SPINNENFUSS – dunkelgrau getigerter Kater; Mentor von RENNPFOTE |
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KURZBART – braun gescheckter Kater |
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GINSTERSCHWEIF – gelbbrauner Kater |
Schüler |
KRÄHENPFOTE – dunkelrauchgrauer, fast schwarzer Kater mit blauen Augen |
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RENNPFOTE – kleiner, flinker Kater |
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EULENPFOTE – braun gestreifter Kater |
Königinnen |
ASCHENFUSS – graue Kätzin |
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HELLSCHWEIF – kleine, weiße Kätzin |
Älteste |
MORGENBLÜTE – schildpattfarbene Kätzin |
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HAFERBART – cremefarben-braun gestreifter Kater |
FlussClan
Anführerin |
LEOPARDENSTERN – ungewöhnlich getupfte, goldfarbene Kätzin |
Zweite Anführerin |
NEBELFUSS – graue Kätzin mit blauen Augen |
Heiler |
SCHMUTZFELL – langhaariger, hellbrauner Kater; Mentor von MOTTENFLÜGEL – schöne golden gestreifte Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen |
Krieger |
SCHWARZKRALLE – rauchschwarzer Kater |
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BLEIFUSS – untersetzter, gestreifter Kater |
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STURMPELZ – dunkelgrauer Kater mit bernsteinfarbenen Augen |
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HABICHTFROST – breitschultriger, dunkelbrauner Kater mit weißem Bauch und eisblauen Augen |
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SCHWALBENSCHWEIF – dunkelbraun gestreifte Kätzin mit grünen Augen |
Königinnen |
MOOSPELZ – schildpattfarbene Kätzin |
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MORGENBLUME – hellgraue Kätzin |
Älteste |
SCHATTENPELZ – sehr dunkle, graue Kätzin |
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RUMPELBAUCH – dunkelbrauner Kater |
Stamm des eilenden Wassers
Seher und Anführer |
SAGER VON DEN SPITZEN STEINEN (Steinsager) – hoch gewachsener brauner Kater mit leuchtend grünen Augen |
Höhlenwächter |
(Kater und Kätzinnen, die für den Schutz der Höhle verantwortlich sind) |
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FELS WO ADLER NISTET (Fels) – geschmeidiger Kater mit gelben Augen; Anführer der Höhlenwächter |
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FANG VOM KREISENDEN ADLER (Fang) – riesiger, dunkelbrauner Tigerkater mit langer Narbe im Gesicht |
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BERG WO SICH SCHNEE FÄNGT (Berg) – dürrer schwarzer Kater mit Stummelschwanz |
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VOGEL DER DEN WIND REITET (Vogel) – graubraune Kätzin |
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NACHT OHNE STERNE (Nacht) – schwarze Kätzin |
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STERN DER AUF WASSER SCHEINT (Stern) – hübsche Kätzin |
Beutejäger |
(Kater und Kätzinnen, die für die Nahrung verantwortlich sind) |
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BACH WO KLEINER FISCH SCHWIMMT (Bach) – attraktive, getigerte Kätzin |
Katzen außerhalb der Clans
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MIKUSCH – schwarz-weißer Kater, lebt auf einem Bauernhof nahe am Wald |
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RABENPFOTE – schlanker, schwarzer Kater; lebt auf dem Hof mit Mikusch |
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CHARLY – älterer, gestreifter Kater, der in den Wäldern in der Nähe des Meeres wohnt |
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LAURA – gestreiftes Hauskätzchen mit blauen Augen |
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SASHA – lohfarbene Einzelläuferin |
Andere Tiere
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MITTERNACHT – sternenkundige Dächsin, die am Meer lebt |
Prolog
Sterne funkelten kalt auf den Wald herab, der vom frostigen Blattfall blank gefegt war. Schatten bewegten sich durch das Unterholz. Magere Gestalten, deren Felle vom kühlen Abendtau durchnässt waren, glitten zwischen den Stängeln hindurch wie Wasser durch das Röhricht. Der Pelz der Katzen hing schlaff an ihren ausgemergelten Körpern.
Der flammenfarbene Kater, der die schweigende Prozession anführte, hob den Kopf und prüfte die Luft. Obwohl die anbrechende Nacht die Zweibeinermonster zum Schweigen gebracht hatte, haftete ihr Gestank noch an jedem absterbenden Blatt und Zweig.
Der Kater ließ sich vom Duft seiner Gefährtin trösten, die neben ihm ging. Ihr vertrauter Geruch mischte sich mit dem verhassten der Zweibeiner und milderte dessen Schärfe. Sie hielt stetig mit ihm Schritt, obwohl ihr schleppender Gang verriet, dass ihr Magen seit Langem leer war und sie die Nächte durchwacht hatte.
»Feuerstern«, keuchte sie. »Glaubst du, dass unsere Töchter uns finden, wenn sie heimkehren?«
Der flammenfarbene Kater zuckte zusammen, als wäre er auf einen Dorn getreten. »Darum können wir nur beten, Sandsturm«, antwortete er leise.
»Aber wie?«, fragte Sandsturm weiter und schaute zurück auf einen breitschultrigen, grauen Kater. »Graustreif, glaubst du, sie werden wissen, wohin wir gezogen sind?«
»Oh, sie werden uns schon finden«, versprach der Krieger.
»Wie kannst du dir da so sicher sein«, knurrte Feuerstern. »Wir hätten doch noch eine Patrouille auf die Suche nach Blattpfote losschicken sollen.«
»Und dabei riskieren, dass wir weitere Katzen verlieren?«, miaute Graustreif. Feuersterns Augen verengten sich vor Schmerz und er eilte weiter.
Sandsturm zuckte mit dem Schwanz. »Das war die schwerste Entscheidung, die er jemals zu treffen hatte«, flüsterte sie Graustreif zu.
»Er musste den Clan an die erste Stelle setzen«, zischte Graustreif zurück.
Sandsturm schloss für einen Augenblick die Augen. »Wir haben so viele Katzen verloren im vergangenen Mond«, miaute sie.
Der Wind musste ihre Stimme weitergetragen haben, denn Feuerstern drehte sich um und sein Blick verhärtete sich. »Vielleicht werden die anderen Clans bei der Großen Versammlung nun doch endlich zustimmen, dass wir uns gegen diese Bedrohung zusammenschließen müssen«, knurrte er.
»Zusammenschließen?« Ein verächtliches Miauen kam von einem gestreiften Kater. »Hast du vergessen, wie die Clans reagiert haben, als du das letzte Mal davon gesprochen hast? Der WindClan war halb verhungert, aber du hättest genauso gut vorschlagen können, dass sie ihre Jungen auffressen. Sie sind zu stolz und wollen nicht zugeben, dass sie Hilfe von anderen Katzen brauchen.«
»Inzwischen ist es aber noch schlimmer geworden, Borkenpelz«, entgegnete Sandsturm. »Wie kann ein Clan stark bleiben, wenn seine Jungen sterben?« Ihre Stimme verklang, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte. »Es tut mir leid, Borkenpelz«, murmelte sie.
»Lärchenjunges mag tot sein«, fauchte Borkenpelz. »Aber das heißt nicht, dass ich den DonnerClan von einem anderen Clan herumkommandieren lasse!«
»Kein Clan wird uns Befehle erteilen«, sagte Feuerstern. »Aber ich glaube immer noch, dass wir uns gegenseitig helfen können. Es ist fast Blattleere. Die Zweibeiner und ihre Monster haben unsere Beute vertrieben, und was übrig geblieben ist, haben sie vergiftet, sodass wir sie nicht gefahrlos essen können. Allein können wir nicht kämpfen.«
Plötzlich schwoll das Wispern des Windes in den Ästen zu einem Brausen an und Feuerstern verlangsamte seinen Schritt und spitzte die Ohren.
»Was ist das?«, flüsterte Sandsturm mit weit aufgerissenen Augen.
»Irgendetwas passiert am Baumgeviert!«, jaulte Graustreif.
Er rannte los, und Feuerstern preschte hinter ihm her, eng gefolgt von seinen Clan-Kameraden. Am oberen Rand des Hangs blieben alle Katzen abrupt stehen und blickten hinab in die Senke mit ihren steil abfallenden Wänden.
Helle, unnatürliche Lichter, greller als Mondschein, bestrahlten die Stämme der vier gewaltigen Eichen, die diesen heiligen Ort seit der Zeit der Großen Clans bewacht hatten. Weitere Lichter blitzten aus den Augen riesiger Monster, die am Rand der Lichtung kauerten. Der Großfelsen, der massive, glatte graue Stein, auf dem die Anführer standen, wenn sie sich bei jedem Vollmond an die Große Versammlung wandten, wirkte klein und verletzbar, wie ein Junges, das auf einem Donnerweg kauert.
Zweibeiner rannten in der Senke umher und schrien sich etwas zu. Ein neues Geräusch durchschnitt die Luft, ein kreischendes, hohes Heulen, und einer der Zweibeiner hob eine gewaltige, glänzende Vorderpfote, die in dem hellen Licht aufblitzte. Er drückte sie gegen den Stamm der ersten Eiche, und Staub flog aus dem Baum wie Blut, das aus einer Wunde spritzt. Die glänzende Vorderpfote heulte auf, als sie grausam in die uralte Rinde biss und sich immer tiefer in das Herz des Baums schob, bis der Zweibeiner einen Warnruf ausstieß. Die Senke hallte wider von einem so lauten Knacken, dass es die röhrenden Monster übertönte. Die große Eiche neigte sich, zunächst langsam, dann immer schneller, bis sie krachend zu Boden fiel. Ihre blattlosen Äste prasselten auf die kalte Erde, dann kamen sie in tödlichem Schweigen zur Ruhe.
»SternenClan, halte sie auf!«, miaute Sandsturm.
Es gab jedoch kein Anzeichen, dass ihre Kriegervorfahren gesehen hatten, was am Baumgeviert passierte. Die Sterne glitzerten am dunkelblauen Himmel, während sich der Zweibeiner zur nächsten Eiche begab und seine Vorderpfote aufkreischte, als sie zu einem weiteren Todesstoß ausholte.
Die Katzen sahen entsetzt zu, wie der Zweibeiner sich um die Lichtung arbeitete, bis die letzte Eiche gefällt war. Das Baumgeviert, an dem sich zahllose Generationen lang die vier Clans versammelt hatten, gab es nicht mehr. Die vier riesigen Eichen lagen hingestreckt auf dem Boden, ihre Äste noch immer bebend, bis sie allmählich zur Ruhe kamen. Zweibeinermonster fauchten am Rand der Lichtung, bereit, vorzustürzen und die Beute zu zerlegen, während die Katzen, unfähig sich zu rühren, wie erstarrt am oberen Rand des Abhangs stehen blieben.
»Der Wald ist tot«, murmelte Sandsturm. »Für keinen von uns besteht noch Hoffnung.«
»Gebt euren Mut nicht auf!« Mit glitzernden Augen wandte sich Feuerstern an seine Begleiter. »Wir haben noch immer unseren Clan. Es gibt stets Hoffnung.«
1. Kapitel
Krähenpfote war der Erste, der das Moorland roch, als die Morgensonne ihr weiches Licht über das taugetränkte Gras breitete. Er gab keinen Laut von sich, doch Eichhornpfote sah, wie er die Ohren spitzte und etwas von der Erschöpfung abschüttelte, gegen die er seit Federschweifs Tod angekämpft hatte. Der dunkelgraue WindClan-Kater beschleunigte den Schritt, eilte den Hang hinauf, wo der Nebel noch an dem langen Gras hing. Eichhornpfote öffnete das Maul und sog tief die Luft ein, bis auch sie den vertrauten Geruch von Ginster und Heidekraut in der kalten Morgenluft schmecken konnte.
Dann preschte sie hinter ihm her, rasch gefolgt von Brombeerkralle, Sturmpelz und Bernsteinpelz. Inzwischen konnten sie alle die Moorlanddüfte riechen, und sie wussten, das Ende ihrer langen, anstrengenden Reise war nahe.
Schweigend hielten die fünf Katzen am Rande des WindClan-Territoriums an. Eichhornpfote warf einen Blick auf ihren Clan-Gefährten Brombeerkralle und dann auf Bernsteinpelz, die Kätzin aus dem SchattenClan. Neben ihr kniff Sturmpelz, der graue FlussClan-Krieger, die Augen vor dem kalten Wind zusammen, aber am angespanntesten starrte Krähenpfote hinaus auf das raue Grasland, wo er geboren worden war.
»Ohne Federschweif wären wir nicht so weit gekommen«, murmelte er.
»Sie ist gestorben, um uns alle zu retten«, bekräftigte Sturmpelz.
Eichhornpfote zuckte zusammen, als sie den Schmerz in der Stimme des FlussClan-Kriegers vernahm. Federschweif war seine Schwester gewesen. Sie hatte ihr Leben verloren, als sie ihre Gefährten aus einer tödlichen Gefahr rettete, nachdem sie in den Bergen eine fremde Gruppe von Katzen getroffen hatten. Der Stamm des eilenden Wassers lebte hinter einem Wasserfall und hörte nicht auf den SternenClan, sondern auf seine eigenen Ahnen, den Stamm der ewigen Jagd. Eine Großkatze hatte sie viele Monde lang gejagt und einen nach dem anderen erlegt. Als die Bestie wieder in die Höhle des Stamms des eilenden Wassers eingedrungen war, hatte es Federschweif geschafft, eine spitze Felszacke von der Decke zu lösen, die herabdonnerte und das Untier tötete. Sie selbst war dabei zu Tode gestürzt, und nun lag sie unter Felsen im Stamm-Territorium in der Nähe des Wasserfalls, dessen Rauschen sie zum SternenClan begleiten sollte.
»Es war ihre Bestimmung«, sagte Bernsteinpelz sanft.
»Ihre Bestimmung war, mit uns die Suche zu Ende zu führen«, knurrte Krähenpfote. »Der SternenClan hatte sie auserwählt, dass sie mit uns zum Wassernest der Sonne zieht und hört, was Mitternacht uns zu sagen hat. Sie hätte nicht für die Prophezeiung eines anderen Clans sterben müssen.«
Sturmpelz, der an Krähenpfotes Seite trottete, stieß den WindClan-Schüler sanft mit der Schnauze an. »Tapferkeit und Opfermut gehören zum Gesetz der Krieger«, erinnerte er ihn. »Hättest du gewollt, dass sie eine andere Wahl trifft?«
Krähenpfote blickte über den sturmzerzausten Ginster, ohne zu antworten. Seine Ohren zuckten, als bemühte er sich, im Wind Federschweifs Stimme zu vernehmen.
»Kommt weiter!« Eichhornpfote, die plötzlich begierig war, die Reise zu Ende zu bringen, sprang voran über das struppige Gras. Bevor sie aufgebrochen war, hatte sie sich mit ihrem Vater Feuerstern gestritten, und jetzt prickelten ihre Pfoten vor Nervosität bei dem Gedanken, wie er auf ihre Rückkehr reagieren würde. Sie und Brombeerkralle hatten den Wald verlassen, ohne einer Clan-Katze Bescheid zu geben, wohin sie gingen oder warum. Nur Blattpfote, Eichhornpfotes Schwester, wusste, dass der SternenClan zu einer Katze aus jedem Clan gesprochen und sie in Träumen aufgefordert hatte, zum Wassernest der Sonne zu ziehen, um Mitternachts Prophezeiung zu hören. Keiner von ihnen hatte geahnt, dass sich Mitternacht als eine weise, alte Dächsin entpuppen würde, noch hatten sie sich vorstellen können, welch gewichtige Neuigkeit sie ihnen mitteilen würde.
Krähenpfote, der das Gelände besser als sonst einer von ihnen kannte, lief an der DonnerClan-Schülerin vorbei und übernahm die Führung. Er eilte auf einen Ginsterbusch zu und verschwand auf einem Kaninchenpfad, Bernsteinpelz dicht hinter ihm. Eichhornpfote senkte den Kopf, um ihre Ohren vor den Dornen zu schützen, und folgte den beiden durch den schmalen Tunnel. Brombeerkralle und Sturmpelz waren dicht hinter ihr und sie konnte den Aufprall ihrer Pfoten auf dem Boden spüren.
Als sich der Ginster um sie schloss, schlugen Erinnerungen mit schwarzen Flügeln auf sie ein, zeigten ihr erneut die Träume, die ihren Schlaf gestört hatten – Träume von Finsternis und einem kleinen Raum, der angefüllt war mit panischer Furcht und Angstgeruch. Eichhornpfote war überzeugt, dass diese entsetzlichen Träume irgendwie mit ihrer Schwester zusammenhingen. Nun endlich wieder zu Hause, würde sie herausfinden können, wo genau Blattpfote sich aufhielt. Eine erneute Woge von Angst überkam sie und sie raste noch schneller auf das Licht am Ende des Tunnels zu.
Sie wurde langsamer, als sie das offene Grasland erreichte. Brombeerkralle und Sturmpelz brachen hinter ihr hervor ins Freie, auch ihr Fell zerzaust von den spitzen Ginsterstacheln.
»Ich wusste gar nicht, dass du Angst vor der Dunkelheit hast«, neckte Brombeerkralle sie, der nun an ihrer Seite trottete.
»Hab ich nicht«, widersprach Eichhornpfote.
»Ich habe dich noch nie so schnell laufen sehen«, schnurrte er mit zuckenden Barthaaren.
»Ich will einfach nach Hause«, antwortete Eichhornpfote und ignorierte den Blick, den Brombeerkralle und Sturmpelz wechselten. Die drei Katzen folgten Bernsteinpelz und Krähenpfote, die in einem Heidekrautfeld verschwunden waren.
»Was Feuerstern wohl sagt, wenn wir ihm von Mitternacht erzählen?«, fragte sich Eichhornpfote laut.
Brombeerkralles Ohren zuckten. »Wenn man das wüsste.«
»Wir sind lediglich die Boten«, miaute Sturmpelz. »Wir können unseren Clans nur berichten, was der SternenClan uns mitgeteilt hat.«
»Werden sie uns glauben?«, fragte Eichhornpfote.
»Wenn Mitternacht recht gehabt hat, dann werden wir sie bestimmt leicht überzeugen können«, meinte Sturmpelz grimmig.
Eichhornpfote wurde plötzlich klar, dass sie nur an die Heimkehr zu ihrem Clan gedacht hatte. Alle Gedanken an das Unheil, das dem Wald drohte, hatte sie verdrängt. Aber bei Sturmpelz’ Worten zog sich ihr Herz vor Angst zusammen und Mitternachts schreckliche Warnung hallte in ihr nach: Zweibeiner. Bald kommen sie mit Maschinen ... Monster in euren Worten, nicht? Bäume sie werden entwurzeln, Felsen zerbrechen, die Erde selbst auseinanderreißen. Kein Platz mehr für Katzen. Ihr bleibt, zerreißen die Monster euch auch oder ihr sterbt ohne Beute.
Ihr Magen krampfte sich vor Furcht zusammen. Wenn sie nun zu spät kamen? Würde es überhaupt noch ein Zuhause geben, zu dem sie zurückkehren konnten?
Sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich an den Rest von Mitternachts Prophezeiung erinnerte: Aber ihr werdet nicht ohne Führer sein. Wenn heimkehrt, steht auf Großfelsen, wenn Silbervlies oben scheint. Ein sterbender Krieger den Weg wird zeigen. Eichhornpfote holte tief Luft. Noch gab es Hoffnung. Aber zuerst einmal mussten sie heimkehren.
»Ich wittere WindClan-Krieger!« Brombeerkralles Jaulen holte Eichhornpfote zurück ins Moorland.
»Wir müssen zu Krähenpfote und Bernsteinpelz aufschließen!«, keuchte sie. Der Gedanke, sich einer Gefahr Seite an Seite mit den Reisegefährten zu stellen, war ihr instinktiv gekommen, und sie hatte ganz vergessen, dass Krähenpfote ja zum WindClan gehörte und durch seine Clan-Kameraden nicht gefährdet war. Sie schoss aus dem Heidekrautgebüsch hinaus auf eine freie Fläche und stieß fast mit einem ausgemergelten WindClan-Schüler zusammen. Sie blieb stehen und blickte ihn verblüfft an.
Der Schüler war ein sehr junger, gestreifter Kater und schien kaum alt genug, die Kinderstube zu verlassen. Er kauerte in der Mitte der Lichtung, hatte den Rücken gekrümmt und das Fell gesträubt, obwohl Krähenpfote und Bernsteinpelz viel größer waren als er und zudem in der Überzahl. Er zuckte zusammen, als Eichhornpfote aus dem Heidekraut schoss, hielt jedoch tapfer seine Stellung.
»Ich habe doch gewusst, ich rieche Eindringlinge!«, fauchte er.
Eichhornpfote verengte die Augen. Hatte dieses mitleiderregende Häufchen wirklich die Absicht, es mit drei ausgewachsenen Katzen aufzunehmen? Krähenpfote und Bernsteinpelz blickten den kleinen WindClan-Kater ruhig an.
»Eulenjunges!«, miaute Krähenpfote. »Erkennst du mich nicht?«
Der Kater neigte den Kopf zur Seite und öffnete das Maul, um die Luft zu prüfen.
»Ich bin Krähenpfote! Eulenjunges, was machst du hier draußen? Solltest du nicht in der Kinderstube sein?«
Der gestreifte Kater zuckte mit den Ohren. »Ich bin jetzt Eulenpfote«, blaffte er ihn an.
»Aber du kannst kein Schüler sein!«, rief Krähenpfote. »Du bist doch noch keine sechs Monde alt.«
»Und du kannst nicht Krähenpfote sein«, knurrte der Kleine. »Krähenpfote ist weggelaufen.« Aber er entspannte seine kampfbereiten Muskeln und trottete zu dem WindClan-Kater hinüber, der ruhig stehen blieb, während der Schüler an seiner Flanke schnüffelte.
»Du riechst komisch«, erklärte Eulenpfote.
»Wir sind auf einer langen Reise gewesen«, erläuterte Krähenpfote. »Aber jetzt sind wir zurück und ich muss mit Riesenstern reden.«
»Wer muss mit Riesenstern reden?« Ein angriffslustiges Jaulen ließ Eichhornpfote zusammenzucken. Sie drehte sich um und sah einen WindClan-Krieger, der, um den Dornen auszuweichen, mit hoch erhobenen Pfoten aus dem Heidekraut geschritten kam. Zwei weitere Krieger folgten ihm. Beunruhigt blickte Eichhornpfote sie an. Sie waren so mager, dass die Rippen unter ihrem Fell hervorstachen. Hatten diese Katzen in letzter Zeit keine Frischbeute gefangen?
»Ich bin’s! Krähenpfote!«, miaute der WindClan-Schüler, wobei die Spitze seines Schwanzes zuckte. »Spinnenfuß, erkennst du mich auch nicht?«
»Natürlich erkenne ich dich«, antwortete der Krieger. Er klang so gleichgültig, dass Eichhornpfote einen Anflug von Mitleid mit ihrem Freund empfand. Das war keine richtige Heimkehr – und dabei hatte Krähenpfote seinen Clan-Kameraden noch nicht einmal die schlechte Nachricht überbracht.
»Wir dachten, du wärst tot«, miaute Spinnenfuß.
»Wie ihr seht, bin ich es nicht.« Krähenpfote blinzelte. »Ist mit dem Clan alles in Ordnung?«
Spinnenfuß kniff die Augen zusammen. »Was machen diese Katzen hier?«, fragte er.
»Sie sind mit mir gereist«, erwiderte Krähenpfote. »Ich kann das jetzt nicht erklären, aber ich werde Riesenstern alles erzählen«, ergänzte er.
Spinnenfuß schien sich nicht für Krähenpfotes Worte zu interessieren, und Eichhornpfote fühlte den Blick des ausgemergelten Kriegers über sich gleiten, als er fauchte: »Schaff sie von unserem Territorium! Sie haben hier nichts zu suchen!«
Eichhornpfote dachte unwillkürlich, dass Spinnenfuß nicht in der Verfassung war, sie zu verjagen, falls sie sich zu gehen weigerten, aber Brombeerkralle trat vor und neigte den Kopf vor dem WindClan-Krieger.
»Natürlich gehen wir«, miaute er.
»Wir müssen sowieso zu unseren eigenen Clans zurück«, fügte Eichhornpfote spitz hinzu. Brombeerkralle warf ihr einen warnenden Blick zu.
»Dann beeilt euch«, fuhr Spinnenfuß sie an. Zu Krähenpfote gewandt knurrte er: »Komm mit, ich bringe dich zu Riesenstern.« Er drehte sich um und schritt über die Lichtung.
Krähenpfote zuckte mit dem Schwanz. »Zum Lager geht es doch da lang«, miaute er und deutete in die andere Richtung.
»Wir leben jetzt in den alten Kaninchenhöhlen«, erklärte ihm Spinnenfuß.
Eichhornpfote sah Verwirrung und Angst in Krähenpfotes Augen aufblitzen. »Der Clan ist umgezogen?«
»Vorübergehend«, erwiderte Spinnenfuß.
Krähenpfote nickte, obwohl in seinen Augen noch Fragen standen. »Kann ich meinen Freunden Auf Wiedersehen sagen?«
»Deinen Freunden?«, sagte einer der anderen Krieger, ein hellbrauner Kater. »Gilt deine Treue jetzt Katzen anderer Clans?«
»Natürlich nicht!«, betonte Krähenpfote. »Aber wir waren mehr als einen Mond lang zusammen auf Reisen.«
Die WindClan-Krieger blickten sich unsicher an, sagten aber nichts, als Krähenpfote zu Bernsteinpelz hinüberging und ihre gesprenkelte Flanke mit der Nase berührte. Freundschaftlich strich er an Brombeerkralle und Sturmpelz entlang. Als er den Kopf vorstreckte und Eichhornpfotes Schnauze berührte, war diese von der Innigkeit seines Abschieds überrascht. Krähenpfote hatte es von ihnen am schwersten gehabt, sich in die Gruppe einzufügen, aber nach allem, was sie zusammen überstanden hatten, fühlte selbst er das Band der Freundschaft, das die fünf Katzen einte.
»Wir müssen uns bald wieder treffen«, murmelte Brombeerkralle leise. »Am Großfelsen, wie Mitternacht es uns gesagt hat. Wir müssen den sterbenden Krieger sehen, damit wir wissen, was wir als Nächstes zu tun haben.« Er schnippte mit dem Schwanz. »Es wird sicherlich nicht leicht sein, unsere Clans davon zu überzeugen, dass Mitternacht die Wahrheit gesagt hat. Die Anführer wollen bestimmt nicht hören, dass sie den Wald verlassen müssen. Aber wenn wir den sterbenden Krieger gesehen haben ...«
»Wir müssen unsere Anführer mitnehmen«, miaute Eichhornpfote. »Wenn sie den sterbenden Krieger auch sehen, müssen sie einfach glauben, dass Mitternacht recht hat.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Leopardenstern mitkommen wird«, meinte Sturmpelz.
»Schwarzstern auch nicht«, stimmte Bernsteinpelz zu. »Es ist kein Vollmond, also ist auch kein Waffenstillstand zwischen den vier Clans.«
»Aber es ist so wichtig«, beharrte Eichhornpfote. »Sie müssen einfach kommen!«
»Wir können es ja versuchen«, entschied Brombeerkralle. »Eichhornpfote hat recht. So können wir am besten unsere Nachricht weitergeben.«
»Also gut«, miaute Krähenpfote. »Wir treffen uns morgen Nacht beim Baumgeviert, mit oder ohne unsere Anführer.«
»Baumgeviert!«, knurrte Spinnenfuß und Eichhornpfote zuckte zusammen. Der WindClan-Krieger hatte offenbar ihr Gespräch mitgehört. Ein plötzliches Schuldgefühl durchzuckte sie, obwohl sie wusste, dass in ihrer aller Vorhaben keine Treulosigkeit gegenüber ihren Clans lag – ganz im Gegenteil. Aber Spinnenfuß schien ganz andere Ängste zu haben.
»Ihr könnt euch nicht beim Baumgeviert treffen. Davon ist nichts mehr übrig!«, fauchte er.
Eichhornpfote gefror das Blut.
»Wie meinst du das?«, fragte Bernsteinpelz.
»Als wir vor zwei Mondaufgängen zur Großen Versammlung gekommen sind, haben alle Clans gesehen, wie die Zweibeiner das Baumgeviert zerstört haben. Die Zweibeiner und ihre Monster haben die vier Eichen gefällt.«
»Alle vier gefällt?«, wiederholte Eichhornpfote.
»Genau«, knurrte Spinnenfuß. »Wenn ihr so mäusehirnig sein und dorthin gehen wollt, könnt ihr es selber sehen.«
Eichhornpfotes Sehnsucht, nach Hause zu kommen, endlich ihren Clan sowie Vater, Mutter und Schwester zu sehen, überkam sie wie eine Woge, und ihre Pfoten zuckten in dem Verlangen, zurück in den Wald zu laufen. Die anderen schienen ihre Empfindungen zu teilen. Brombeerkralles Blick wurde hart und Sturmpelz knetete den Boden ungeduldig mit den Pfoten.
Krähenpfote blickte von seinen Clan-Kameraden zu seinen Freunden. »Viel Glück«, miaute er ruhig. »Ich denke trotzdem, dass wir uns dort morgen Nacht treffen sollten, auch wenn die Eichen weg sind.« Brombeerkralle und Sturmpelz nickten, Krähenpfote drehte sich um und folgte Spinnenfuß ins Heidekraut.
Als die WindClan-Katzen verschwunden waren, prüfte Brombeerkralle die Luft.
»Los jetzt!«, befahl er. »Wir gehen am alten Dachsbau vorbei zum Fluss. Bernsteinpelz, ich denke, du solltest bis zur Grenze des WindClans mit uns kommen.«
»Aber es wäre doch schneller, wenn ich direkt zum Donnerweg laufe«, widersprach Bernsteinpelz.
»Es ist sicherer, wenn wir zusammenbleiben, bis wir das Moorland verlassen haben«, miaute Sturmpelz. »Nicht dass der WindClan dich allein auf seinem Territorium antrifft.«
»Ich habe keine Angst vor dem WindClan«, zischte Bernsteinpelz. »Wenn man sich die Krieger so betrachtet, sind sie kaum in der Verfassung, zu kämpfen.«
»Wir sollten sie aber nicht herausfordern«, warnte Brombeerkralle. »Keine Katze weiß bislang, wo wir gewesen sind oder was wir ihnen zu sagen haben.«
»Und wir wissen nicht, was die Zweibeiner hier angerichtet haben«, ergänzte Sturmpelz. »Wenn wir auf ihre Monster treffen, ist es besser, wir sind zusammen.«
Nach einem Augenblick des Zögerns nickte Bernsteinpelz.
Eichhornpfote blinzelte erleichtert. Sie wollte nicht schon wieder einem ihrer Freunde Auf Wiedersehen sagen müssen.
Brombeerkralle preschte los über das Moor und die drei anderen Katzen folgten dicht hinter ihm. Während sie über das Gras rannten, wärmte die schwache Sonne der frühen Blattleere kaum das Fell auf Eichhornpfotes Rücken. Sie liefen schweigend, und die Kätzin fühlte, wie sich ihre Stimmung verfinsterte, als hätte eine Wolke den Himmel bedeckt. Seit die Berge hinter ihnen lagen, hatten sie sich nur noch darauf konzentriert, den Wald zu erreichen, alle gleichermaßen begierig, nach Hause zu kommen. Doch nun kam Eichhornpfote der Gedanke, dass es vielleicht leichter gewesen wäre, weiterzureisen, immer weiter durch unbekanntes Territorium zu ziehen, statt sich der Verantwortung stellen zu müssen und den Clans zu berichten, dass sie ihr Zuhause verlassen müssten, wenn sie nicht einen schrecklichen Tod erleiden wollten. Aber noch stand ihnen das Zeichen des sterbenden Kriegers bevor – sie mussten das durchstehen.
Sie näherten sich der Grenze, und der Gestank von Zweibeinermonstern stach Eichhornpfote in die Nase. Es gab keinen Hinweis auf irgendwelche Beute, keine Vögel am Himmel und keinen Kaninchengeruch im Ginster. Das WindClan-Territorium war nie ein einfaches Jagdgebiet gewesen, aber es hatte immer irgendwelche Spuren von Beute gegeben. Jetzt waren sogar die Bussarde verschwunden, die früher oft über der weiten Fläche des Moorlands schwebten.
Die vier Katzen erreichten den Grat eines Hügels. Eichhornpfote würgte heftig, war kurz davor, sich zu übergeben, als der Gestank von Monstern immer stärker wurde. Sie holte tief Luft und zwang sich, den Hang hinabzublicken. Ein ganzes Stück Erde war aus dem Moorland herausgewühlt worden, braun war der Boden und grau und aufgebrochen anstelle der glatten, grünen Fläche, die dort gewesen war, als die Katzen ihre Reise angetreten hatten. In der Ferne grollten Zweibeinermonster über das Gelände, zermalmten den Boden mit ihren schweren Pfoten und hinterließen eine Spur nutzlosen Schlamms.
Zitternd flüsterte Eichhornpfote: »Kein Wunder, dass der WindClan zu den Kaninchenhöhlen umgezogen ist! Die Zweibeiner müssen ihr Lager zerstört haben.«
»Sie haben alles verwüstet«, hauchte Brombeerkralle.
»Lasst uns von hier verschwinden«, zischte Bernsteinpelz. Eichhornpfote hörte Wut in ihrer Stimme und sah, wie ihre langen, gebogenen Krallen ins Gras fuhren.
Ihr Bruder aus dem DonnerClan schaute weiterhin entsetzt auf die verwüstete Landschaft. »Ich kann es nicht glauben, wie viel sie zerstört haben.«
Eichhornpfote schnürte es die Kehle zu. »Kommt!«, drängte sie. »Wir müssen nach Hause und herausfinden, was mit unseren Clans passiert ist.«
Brombeerkralle nickte und spannte die Schultern an. Schweigend machte er sich auf den Weg den Hang hinab, hielt sich von den Zweibeinermonstern fern und gemeinsam überquerten die Katzen den Streifen aufgewühlter Erde. Eichhornpfote war dankbar für die kalte Nacht, die den Schlamm hart gemacht hatte. Wenn es regnete, würde sich das ganze Gelände in einen gefährlichen braunen Fluss verwandeln.
Sie erreichten die WindClan-Grenze, wo sich das Gelände hinab zum Wald senkte. Bernsteinpelz blieb stehen. »Ich verlasse euch hier«, miaute sie. Ihre Stimme klang ruhig, aber ihre Augen verrieten ihre Trauer. »Wir treffen uns morgen beim Baumgeviert, was auch immer die Zweibeiner dort angerichtet haben«, versprach sie.
»Viel Glück mit Schwarzstern«, miaute Brombeerkralle und strich mit der Schnauze über die Wange seiner Schwester.
»Ich brauche kein Glück!«, entgegnete sie grimmig. »Ich werde alles tun, was nötig ist, um Schwarzstern zu überreden, dass er mitkommt. Unsere Mission ist noch nicht erfüllt. Wir müssen weitermachen, zum Wohl unserer Clans.«
Eichhornpfote verspürte eine neue Welle von Energie in ihrem Körper, als die schildpattfarbene Kriegerin auf die Grenze des SchattenClans zupreschte. »Und wir werden Feuerstern überreden!«, rief sie ihr nach.
Das Gras unter ihren Pfoten wurde weicher, als Brombeerkralle, Eichhornpfote und Sturmpelz sich der FlussClan-Grenze näherten. Bald konnte Eichhornpfote die Grenzmarkierungen riechen und das ferne Donnern des Wassers in der Schlucht hören. Auf der anderen Seite lag das Territorium des FlussClans, und direkt unterhalb der Schlucht gab es eine Zweibeinerbrücke, die Sturmpelz über den Fluss zu seinem Lager bringen würde.
Brombeerkralle blieb stehen und wartete darauf, dass der FlussClan-Krieger sie hier verlassen würde, aber Sturmpelz blickte ihm nur in die Augen. »Ich komme mit euch zum DonnerClan-Lager«, miaute er ruhig.
»Mit uns? Warum?«, rief Eichhornpfote.
»Ich möchte meinem Vater berichten, was mit Federschweif geschehen ist«, antwortete er.
»Aber wir können es ihm auch sagen«, bot Eichhornpfote an. Sie wollte Sturmpelz den Schmerz ersparen, Graustreif, dem Zweiten Anführer des DonnerClans, die Nachricht vom Tod seiner Tochter überbringen zu müssen. Graustreif hatte sich vor vielen Monden in Silberfluss, eine Kätzin aus dem FlussClan, verliebt. Sie war bei der Geburt ihrer Jungen gestorben, und obwohl Sturmpelz und Federschweif im FlussClan aufgewachsen waren, waren sie ihrem DonnerClan-Vater immer verbunden geblieben.
Sturmpelz schüttelte den Kopf. »Er hat schon unsere Mutter verloren«, erinnerte er sie. »Ich möchte ihm selbst von Federschweif berichten.«
Brombeerkralle nickte. »Dann komm mit uns«, miaute er sanft.
Eine hinter der anderen folgten die drei Katzen dem Pfad, der sie aus der Schlucht und hinab in den Wald führte. Eichhornpfotes Fell kribbelte, als sie den modrigen Geruch des abgefallenen Laubs roch. Fast waren sie zu Hause. Sie beschleunigte die Schritte, bis ihre Pfoten über den weichen Waldboden zu fliegen schienen. An ihrer Seite spürte sie Brombeerkralles Fell.
Aber Eichhornpfote flog nicht dahin vor Freude und Aufregung, wieder zurück im Wald zu sein. Etwas rief sie nach Hause – etwas noch Verzweifelteres als die Bedrohung durch die Zweibeiner und ihre Monster. Die finsteren Träume, die ihren Schlaf gestört hatten, überfluteten sie erneut und hallten in ihrem Herzen wider wie der Warnruf eines Habichts. Irgendetwas Schreckliches war passiert.
2. Kapitel
»Tüpfelblatt!«, rief Blattpfote verzweifelt in den Wald. Es kam keine Antwort. Die weise Heilerin hatte sie früher oft in ihren Träumen geführt. Wenn Blattpfote jemals Tüpfelblatts Hilfe brauchte, dann jetzt.
»Tüpfelblatt, wo bist du?«, rief sie noch einmal.
Die Bäume zitterten nicht einmal in der Brise. Kein Beutegeräusch wisperte in den Schatten. Das Schweigen zerrte an Blattpfotes Herz wie eine Kralle.
Plötzlich hörte sie den Widerhall eines fremdartigen Jaulens, das sich in ihren Traum kämpfte. Ruckartig öffnete sie die Augen. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie sich befand. Kalte Zugluft zerzauste ihr das Fell und statt eines weichen Moosnests spürte sie ein merkwürdiges, kühles, glänzendes Gewebe unter ihren Pfoten. In panischer Angst stand sie auf und mehr von diesem glänzenden Material kratzte über ihre Ohren. Es war ein sehr kleiner Raum, wo sie sich befand, kaum höher als sie selbst. Blattpfote holte tief Luft, blickte sich um und die Erinnerung kehrte zurück.
Sie war in einem winzigen Bau gefangen, dessen Wände, Boden und Decke vollständig aus kaltem, hartem Gewebe bestanden. Es gab gerade genug Platz darin, um stehen zu können und sich zu strecken, aber nicht mehr. Ihr Bau steckte zwischen anderen Bauen, die alle Wände eines kleinen, hölzernen Zweibeinernests bedeckten.
Blattpfote verlangte es danach, die Sterne zu sehen, die tröstliche Gegenwart des SternenClans einzuatmen und zu wissen, dass seine Katzen über sie wachten, aber als sie nach oben blickte, sah sie nichts als das steile Dach des Nests. Das einzige Licht stammte von einem Streifen Mondschein, der durch ein kleines Loch in der Wand am anderen Ende des Nests hereinströmte. Ihr Bau stand ganz oben. Der Bau direkt unter ihr war leer, aber unmittelbar unter diesem konnte sie gerade noch ein Bündel dunklen Fells ausmachen. Eine andere Katze? Keine Waldkatze, denn ihr Geruch war ihr nicht vertraut. Die Gestalt war so still, dass sie schlafen musste. Wenn sie überhaupt lebt, dachte Blattpfote grimmig.
Sie horchte erneut auf das Jaulen, aber die Katze, die gerufen hatte, schwieg nun, und Blattpfote konnte nur das Wimmern und die unruhigen Bewegungen der Katzen hören, die in den anderen Käfigen gefangen waren. Sie sog die Luft ein, erkannte jedoch keine vertrauten Gerüche. Scharfer Zweibeinergestank füllte das Nest zusammen mit dem Angstgeruch der Katzen. Blattpfote fuhr die Krallen aus, die sich in dem glänzenden Gewebe verfingen.
SternenClan, wo bist du? Flüchtig ging ihr der Gedanke durch den Sinn, dass sie bereits tot war, aber sie verwarf ihn sogleich mit einem Schaudern.
»Endlich bist du wach«, flüsterte eine Stimme.
Blattpfote zuckte zusammen und reckte den Hals, um über die Schulter zu blicken. Ein Haufen gestreiften Fells bewegte sich in dem Bau nebenan, und sie erkannte den unverwechselbaren, mit Zweibeinerduft vermischten Geruch eines Hauskätzchens. Die Stimme der Kätzin war freundlich gewesen, aber Blattpfote fühlte sich zu elend, um zu antworten. Bittere Erinnerungen überschwemmten sie, wie die Zweibeiner sie gefangen und an diesen schrecklichen Ort gebracht hatten, als sie mit Ampferschweif auf der Jagd gewesen war. Sie war von ihrem Clan getrennt und in der Finsternis eingesperrt worden. Von Verzweiflung überwältigt begrub sie ihre Nase in den Pfoten und schloss die Augen.
Noch eine Stimme ertönte aus einem Bau weiter entfernt. Sie war zu leise, als dass sie die Worte hätte verstehen können, aber sie klang irgendwie vertraut. Blattpfote hob die Schnauze und prüfte die Luft, doch alles, was sie riechen konnte, war das saure Aroma, das sie an die Kräuter erinnerte, die Rußpelz zur Reinigung von Wunden benutzte. Die Stimme sprach wieder und Blattpfote horchte angestrengt hin.
»Wir müssen hier raus«, miaute die Katze.
Eine andere antwortete vom entfernten Ende des Nests. »Wie denn? Es gibt keinen Weg nach draußen.«
»Wir können nicht einfach hier sitzen und auf den Tod warten!«, beharrte die erste Stimme. »Hier sind vorher schon andere Katzen gewesen. Ich kann ihren Angstgeruch riechen. Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist, jedenfalls müssen sie entsetzliche Angst gehabt haben. Wir müssen hier raus, bevor auch von uns nichts weiter übrig bleibt als Angstgeruch!«
»Es gibt keinen Weg hier raus, du Mäusehirn«, ertönte ein schroffes Miauen. »Halt das Maul und lass uns schlafen.«
Die Worte machten Blattpfote krank vor Angst und Traurigkeit. Sie wollte hier nicht sterben! Sie legte die Ohren flach, schloss die Augen und verkroch sich in die Sicherheit des Schlafs.
»Wach auf!« Eine Stimme zischte Blattpfote ins Ohr und riss sie aus unruhigen Träumen.
Sie hob den Kopf und blickte sich um. Fahles Sonnenlicht sickerte durch das Loch in der Wand, obwohl es nicht ausreichte, ihr die Kühle aus dem Fell zu saugen. In der schwachen Beleuchtung der Morgendämmerung sah sie nun die gestreifte Kätzin im Nachbarkäfig deutlicher. Der Pelz der Fremden sah weich und gepflegt aus, und Blattpfote war sich ihres eigenen verfilzten Fells bewusst. Sie war ganz offensichtlich ein Hauskätzchen, rundlich und mit weichen Muskeln unter ihrem gestreiften Pelz.
»Ist irgendwas?«, fragte das Hauskätzchen mit vor Sorge aufgerissenen Augen. »Du hast dich angehört, als hättest du Schmerzen.«
»Ich habe geträumt«, sagte Blattpfote heiser. Ihre Stimme hörte sich merkwürdig an, als hätte sie mehrere Tage nicht gesprochen, und beim Reden kamen Erinnerungen an ihren Albtraum zurückgeflutet: Bilder von angeschwollenen Flüssen, scharlachrot vor Blut, und von großen Vögeln, die mit dornenscharfen Krallen aus dem Himmel schossen. Einen Herzschlag lang sah sie Federschweif in Dunkelheit verborgen und dann in Sternenlicht gebadet, und ohne zu verstehen, warum, zitterten ihre Pfoten.
Draußen erwachte dröhnend ein Zweibeinermonster und brachte sie zurück zu dem hölzernen Nest und dem Bau, der sie umschloss.
»Du siehst nicht gut aus«, bemerkte das Hauskätzchen. »Versuch ein wenig zu essen. In der Ecke deines Käfigs ist was.«
Käfig? Blattpfote wunderte sich über das fremdartige Wort.
»Heißt so dieser Bau?« Das Hauskätzchen deutete mit dem Kopf durch das Gewebe, das die beiden »Käfige« trennte, zu einem halb leeren Behälter mit stinkenden, trockenen Brocken.
Blattpfote schaute angeekelt auf die Zweibeinernahrung. »Das esse ich nicht!«
»Dann setz dich wenigstens auf und wasch dich«, drängte das Hauskätzchen. »Seit die Arbeiter dich hier reingebracht haben, hockst du die ganze Zeit zusammengekauert da wie eine verwundete Maus.«
Blattpfote zuckte mit dem Schwanz, rührte sich aber nicht.
»Sie haben dir doch nicht wehgetan, als sie dich gefangen haben, oder?«, fragte das Hauskätzchen mit besorgter Stimme.
»Nein«, murmelte Blattpfote.
»Dann steh auf und wasch dich«, fuhr die andere lebhafter fort. »Es nützt dir nichts und auch keiner anderen Katze, wenn du nur Trübsal bläst.«
Blattpfote hatte keine Lust, aufzustehen und sich zu waschen. Das Bodengewebe kratzte an ihren Pfoten und unter einer Kralle sickerte Blut hervor. Die Augen brannten ihr von der dreckigen, stinkenden Luft, die von den Monstern draußen in das Nest hereindrang. Und der SternenClan hatte ihr keinen Trost gesandt, um die verzweifelte Angst zu lindern, die ihr Herz gepackt hatte.
»Steh auf!«, wiederholte das Hauskätzchen, energischer diesmal.
Blattpfote drehte den Kopf herum und funkelte sie an, aber das Hauskätzchen hielt ihrem Blick stand.
»Wir werden einen Fluchtweg finden«, miaute es. »Wenn du nicht aufstehst, deine Muskeln streckst und etwas isst und trinkst, kommst du nicht mit. Und ich werde keine Katze hier lassen, wenn ich es verhindern kann!«
Blattpfote blinzelte. »Kennst du einen Weg hier raus?«
»Noch nicht«, gab das Hauskätzchen zu. »Aber du könntest mir bei der Suche nach einer Lösung helfen, wenn du endlich aufhören würdest, dich selbst zu bemitleiden.«
Blattpfote wusste, dass die andere recht hatte. Es würde nichts ändern, wenn sie sich nur zusammenrollte und auf den Tod wartete. Außerdem war sie nicht bereit, sich schon dem SternenClan anzuschließen. Sie war eine Heiler-Schülerin, ihr Clan brauchte sie hier im Wald – oder was immer von ihm übrig war.
Sie schob das Elend, das ihr die Kraft geraubt hatte, beiseite und erhob sich mühsam auf die Pfoten. Ihre verkrampften Muskeln wehrten sich, als sie ihren Schwanz streckte und die Beine dehnte.
»So ist’s besser«, schnurrte das Hauskätzchen. »Jetzt dreh dich um, dann hast du mehr Platz zum Strecken.«
Gehorsam wandt sich Blattpfote um, packte mit den Pfoten das Gewebe in der Ecke des Käfigs und stemmte sich dagegen. Sie streckte sich, drückte die Brust nach unten, spannte die Schultern, und bald spürte sie, wie sich ihre steifen Muskeln lockerten. Sie fühlte sich ein wenig besser und begann sich zu waschen und mit der Zunge über ihre Flanke zu streichen.
Das Hauskätzchen kauerte sich näher an den Maschendraht heran und beobachtete sie mit strahlend blauen Augen. »Ich bin Laura«, miaute sie. »Wie heißt du?«
»Blattpfote.«
»Blattpfote?«, wiederholte Laura. »Was für ein merkwürdiger Name.« Dann fuhr sie fort: »Pech gehabt, dass sie dich gefangen haben, Blattpfote. Hast du dein Halsband auch verloren? Ich wäre nicht hier, wenn ich meins nicht abgestreift hätte, das blöde Ding! Ich dachte, ich sei ziemlich schlau, als ich mich aus ihm herausgewunden habe. Aber wenn ich es jetzt noch tragen würde, hätten mich die Arbeiter nach Hause gebracht statt hierher.« Sie legte das Kinn an und leckte eine ungewaschene Stelle in ihrem Brustfell. »Meine Hausleute werden wahnsinnig sein vor Sorge. Wenn ich nicht um Mitternacht zurück bin, fangen sie an, im Garten herumzurennen, den Topf mit den Bröckchen zu schütteln und nach mir zu rufen. Es ist schön, dass sie sich Sorgen machen, aber ich kann mich um mich selber kümmern.«
Blattpfote konnte ein belustigtes Schnurren nicht unterdrücken. »Ein Hauskätzchen und sich um sich selber kümmern? Wenn du nicht das Essen von den Zweibeinern hättest, würdest du verhungern!«
»Zweibeiner?«
»Entschuldigung.« Blattpfote verbesserte sich um des Hauskätzchens willen. »Hausleute.«
»Und woher kriegst du deine Nahrung?«, fragte Laura.
»Ich jage.«
»Ich habe einmal eine Maus gefangen ...«, verteidigte sich Laura.
»Ich fange alle meine Nahrung«, sagte Blattpfote. Einen Augenblick lang vergaß sie, dass sie sich in einem stickigen Käfig befand, und sah nur den grünen Wald vor sich, raschelnd von den winzigen Geräuschen der Beute. »Und ich fange auch noch genug für die Ältesten.«
Laura kniff die blauen Augen zusammen. »Bist du eine von diesen Waldlandkatzen, von denen Wulle erzählt?«
»Ich bin eine Clan-Katze«, erklärte ihr Blattpfote.
Laura schaute verwirrt. »Eine Clan-Katze?«
»Es gibt vier Clans im Wald«, erklärte Blattpfote. »Jeder hat sein eigenes Territorium und eigene Gebräuche, aber wir leben alle zusammen unter dem SternenClan.« Sie sah, wie Laura die Augen weit aufriss, und fuhr fort: »Der SternenClan, das sind unsere Kriegervorfahren. Sie leben im Silbervlies.« Sie schnippte mit dem Schwanz zur Decke hoch und deutete den ganzen Himmel an. »Alle Clan-Katzen schließen sich eines Tages dem SternenClan an.«
»Wulle hat niemals irgendwelche Clans erwähnt«, murmelte Laura.
»Wer ist Wulle?«
»Eine Katze aus einem anderen Garten. Er hat vor langer Zeit einen Freund gehabt, ein Hauskätzchen, das losgezogen ist, um sich den Waldlandkatzen anzuschließen ... ich meine den Clans.«
»Mein Vater wurde als Hauskätzchen geboren«, miaute Blattpfote. »Er hat seine Zweibeiner verlassen und sich dem DonnerClan angeschlossen.«
Laura drückte sich an das glänzende Gewebe, das sie trennte. »Wie heißt dein Vater?«
Blattpfote blickte sie verwundert an. »Glaubst du, er könnte diese Katze sein, die dein Freund gekannt hat?«
Laura nickte. »Vielleicht! Wie heißt er?«
»Feuerstern.«
Laura schüttelte den Kopf. »Wulles Freund hieß Sammy.« Sie seufzte. »Nicht Feuerstern.«
»Aber er hat nicht immer Feuerstern geheißen«, miaute Blattpfote. »Das ist sein Clan-Name. Es ist der Name eines Anführers. Er musste ihn sich verdienen, genauso wie er sich seinen Kriegernamen verdienen musste.«
Laura blickte sie nachdenklich an. »Namen sind also wichtig für die Clans?«
»Sehr wichtig. Ich meine, jedes Junge erhält einen Namen, der etwas bedeutet, der ausdrückt, wie es sich von den anderen Clan-Kameraden unterscheidet.« Sie machte eine Pause. »Ich denke, man könnte sagen, dass wir den Namen bekommen, den wir verdienen.«
»Was hat dein Vater gemacht, dass er den Namen Feuerstern verdient hat?«
»Sein Fell ist orangefarben wie eine Flamme«, erklärte Blattpfote. »Als er zum DonnerClan gekommen ist, hat ihm die Anführerin den Namen Feuer...« Sie brach ab, als Laura sie überrascht anstarrte.
»Dann muss er Wulles Freund sein!«, sagte sie heiser. »Wulle erzählt immer, dass Sammy das strahlendste flammenfarbene Fell besaß, das er jemals gesehen hat. Und jetzt ist er der Anführer deines Clans! Ich glaub’s nicht! Ich kann’s gar nicht erwarten, bis ich Wulle das erzähle!«
Kummer packte Blattpfotes Herz, als sie sich fragte, ob Laura jemals die Gelegenheit erhalten würde, mit Wulle zu reden, und ob sie selber jemals ihren Vater wiedersehen würde. Oh, SternenClan, hilf uns!
Laura blickte zu Boden, als wäre sie Blattpfotes schrecklichem Gedankengang gefolgt. »Deinen Ohren würde eine weitere Wäsche nicht schaden«, wechselte sie das Thema.
Blattpfote leckte sich die Tatze und wischte mit ihr über ein Ohr.