Bereits erschienen von Axel Weber:
Sukarno und die Idee Indonesiens. Die Geschichte
des indonesischen Nationalismus (DE / EN)
FSC - Siegel
Titeldesign & Titelfoto: Axel Weber
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1. Auflage 2020
© 2020 Weber, Axel - Alle Rechte, einschließlich des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783752694468
Für Fina - die beste Beraterin, die es je gab
“A business that makes nothing but money
is a poor business.”
Henry Ford
“Train people well enough that they can leave; treat people well
enough so that they don’t want to.”
Richard Branson
Bevor wir starten, lass’ es mich klarstellen: ich hasse die Personalberatung nicht. Ich hasse auch keinen einzigen Personalberater. Das sollte nicht nur im letzten Kapitel, “Hate the game, not the player”, klar werden. Die Personalberatung ist mehr als jede andere Branche eine Meritokratie, in der einzelne Spieler zeigen können, was sie drauf haben. Personalberatung ist in Teilen auch ein Teamsport, aber starke Egos und Individuen sind hier sehr gefragt, gerade im obersten Segment, dem Executive Search. Die klassische Personalberatung im Mid-Market Segment, das klassische Recruiting, war eine Branche - und hoffentlich ist sie das immer noch - in der Du jede Woche eine Affäre haben, Dich auf Firmenfeiern mit Champagner und Vodka abschiessen konntest und Du am nächsten Morgen wie ein Held gefeiert wurdest. Alles ging, wenn Du nur ausreichend Umsatz machtest. Eine binäre Branche: entweder Du lieferst, oder Du lieferst nicht. Ein ganz einfaches Spiel, ein wenig wie beim Elfmeterschießen nach der Verlängerung in der K.O.-Runde: wer trifft, gewinnt. Als ich anfing, war diese Branche das Eldorado, unreguliert, wenig Wettbewerb, Kunden und Kandidaten in Hülle und Fülle, money on the street - Du musstest Dich nur bücken und das Geld aufheben. Jeden Tag Wild West & Rock’n’Roll. Ein ehemaliger Finanzdirektor eines der Unternehmen, in dem ich gearbeitet hatte, sagte, der Markt wäre so genial, wir könnten Affen einstellen, und auch die würden genügend Umsatz machen. Es waren die goldenen Zeiten, die Zeiten in denen alles ging und jeden Tag Party war. In der Mittagspause von Managementmeetings wickelten Kollegen den neuen Firmenwagen eines Kollegen komplett mit Toilettenpapier ein; an anderer Stelle beklebten sie das neue Auto eines anderen Kollegen mit tausend Sticky Notes, während drinnen die Kollegen Bier um die Wette tranken. Wer mit seinen leeren Flaschen als erster eine Mauer um seinen Tisch bauen konnte, gewann. Es war eine wilde, eine wunderbare Zeit. Wir hatten viel Spaß. Der Headcount, die Umsätze und Profite wuchsen jeden Monat. Jeder Monat war ein neuer Rekordmonat. Wir glaubten uns für immer jung und unbesiegbar. Gerade letztere Rechnung habe ich erst viel später aufgemacht, wie viel Geld wir damals verdient haben müssen - wir waren Rainmakers. Ich fuhr keinen Firmenwagen länger als anderthalb Jahre, dann kam eine Beförderung oder ich konnte mir aus einem anderen Grund einen neuen Wagen bestellen. Jeder Tag war Aufbruch, Goldgräberstimmung. Auf zu neuen Ufern! Ich vermisse diese Zeit - es war eine einmalige Zeit in einer einmaligen Branche, geprägt von einmaligen Charakteren, von denen ich mir den ein oder anderen zurück wünsche. Ich habe viele Kollegen und Kolleginnen schätzen und lieben gelernt. Die permanente Veränderung und Fluktuation zerstörten viele dieser Konstellationen viel zu schnell. Ich hätte mir damals schon mehr Kontinuität gewünscht: Dinge, die funktionieren, laufen lassen. Ich hatte viel Spaß, überall auf der Welt, in Polen und Osteuropa, den USA, Istanbul, Malta, Barcelona, London, Paris und in Asien. Diesen Spaß, oft auf Kosten anderer Menschen und Ausdruck neureicher Dekadenz, möchte ich nicht verpasst haben. Alles hat seine Zeit im Leben. Auch wenn ich es rückblickend nicht mehr tun würde. Ich habe mich damals für meine Kollegen geschämt und würde heute den Ort des Grauens verlassen und mich schleunigst vom Acker machen. Ein Haufen wilder Jungs, der der Welt zeigen wollten, dass sie nun Geld verdienten. Dies waren meine Anfangsjahre, ich war dabei, und manchmal vermisse ich sie. Es waren Jahre voller Möglichkeiten, in denen wir glaubten, dass das Beste noch vor uns lag. Auch wenn wir jeden Tag fluchten, es zählte die Perspektive, der Glaube an die nächste Beförderung. Wir waren Junkies, getrieben von Umsatz und von den Boni, vom Läuten der Schiffsglocke bei jedem Placement. Wir erwarteten die Firmenfeiern mit großer Euphorie, und konnten das nächste Best Fee Earner Incentive kaum abwarten. Wir erlebten die Höhen höher und standen die Tiefen gemeinsam durch. In der Personalberatung arbeiten hieß, Du konntest Deine Gefühle zeigen und an Deinem Schreibtisch fluchen, Dich wie ein wilder Barbar aufführen, Deinen Frust raus lassen. Keiner nahm es Dir übel. Denn Du gehörtest zu einer Familie. Wir machten das Geld, uns gehörte die Welt. Das alles war gut, und es ging eine Zeit lang gut. Was mich störte war, dass das Berufsbild einseitig war, zumindest in den Firmen, in denen ich gearbeitet habe (eine davon meine eigene, in Teilen). Während Freunde und Bekannte eine Entsendung ins Silicon Valley und nach Singapur hatten, um im Auftrag großer Technologiefirmen auf der Suche nach den neuesten Trends waren und sich am Puls der Zeit bewegten, also einen Job hatten, von dem ich nur träumen konnte, generierte sich mein Seelenfrieden daraus, dass ich immer noch mehr verdiente als der PhD von nebenan, und das größere und teurere Auto fuhr. Auch wenn damals die Fixgehälter nicht überragend waren, so überzeugte uns der Europachef mit den Worten, “Am Ende des Jahres ist es relevant, wie hoch Dein Gesamtpaket ist.” Da ist etwas Wahres daran, auch wenn diese Rechnung nur eine Zeit lang aufging. Du willst Dich nicht für jeden Euro abstrampeln müssen. Dennoch: ich war der Branche erlegen wie der Matrose der Sirene, die ihn unwiderruflich zu seinem Untergang rief. Ich war dem erlegen, dem viele andere auch erlegen waren. Gleichzeitig auch die Faszination, ein Geschäftsmann zu sein, und auf Klientenseite mit Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten zu sprechen. Ab einer gewissen Reife war ich nicht mehr empfänglich für den Brainwash. Ich kann das Höhlengleichnis von Platon zum Vergleich anbringen: wenn Du einmal direkt in die Sonne geschaut hast, ist das Höhlenfeuer kein Vergleich mehr. Ich suchte nach dem Befreiungsschlag, nach dem Exit aus der Branche, denn ich war sehr müde geworden, körperlich und vor allem auch psychisch. Ich liebte diese Branche, dieses Geschäft, ja ich liebe es immer noch, aber es musste sich etwas verändern. Die sinnlosen Feiern und Besäufnisse hatten ihre Magie verloren, der Alltag wurde eintönig und grau. Die Spaßkultur hatte ihre Farbe verloren, und war abgelöst worden von Mikromanagement und Paranoia. Ich habe mich verändert, musste mich verändern. Mein Lebensstil hat sich verändert. Vor allem: ich wollte nicht mehr leben, um zu arbeiten. Wie über Nacht stellte ich fest, dass Arbeit nur ein Teil meines Lebens war. Und Geld immer nur eine kurzfristige Motivation darstellte, nie aber einen Endzweck. Einen Job nur wegen des Geldes zu machen, reicht nicht aus. Geld ist wichtig, und je mehr Du verdienen kannst, desto besser. Aber bei mir waren Motivation, Einsatz von Zeit und finanzielles Output aus den Fugen geraten. Selbst in den Zeiten, als ich die größten Firmenwagen fuhr, hielt die Motivation und die Freude an den Autos immer nur in den ersten Wochen an. Danach war die Lust am Auto vorbei, und der Stress nahm wieder überhand. Vielmehr: ich wollte Zeit haben, Zeit für mich selbst und für meine Familie. Ich war nach so vielen Umzügen nicht mehr bereit, weitere Opfer für Firmen zu bringen, die es mir am Ende nicht dankten, nicht in der Lage waren zu erkennen, wie schwer es ist, immer wieder von Vorne zu beginnen. Auch die Erkenntnis, dass ich in den Firmen nur mit Vollgas fahren oder gar nicht am Rennen teilnehmen konnte. Es gab kein gesundes Mittelmaß, die Arbeitszeiten waren ein Killerkriterium. Der Job war kein normaler Job, die Kultur kaputt, das Miteinander vergiftet. Dies war der Augenblick, in dem es vorbei war. Die Monotonie einer Endlosschleife transaktionaler Handlungen, die sich jedem technologischen Wandel widersetzte, verschlimmerte die Situation. Jede Personalberatung liefert ihrem Klienten das Gleiche, es gibt keine technologischen Differenzierungsmerkmale - alle Unternehmen, aus denen sich die Erfahrungen hier zusammensetzen, haben exakt gleich gearbeitet. Die Branche ist konservativ und getrieben von Individuen, nicht von Technologie. Nur die Berater machen den Unterschied - it’s people business. Ich war auf der Suche nach einer wirklichen Veränderung, wollte etwas Anderes erleben, suchte nach Inhalt, nach Substanz. Je länger ich zurückblicke, desto mehr wurde mir klar, dass ich die Branche zu spät betreten und zu spät verlassen hatte. Wie alles im Leben, so ist das richtige Timing auch und gerade im Berufsleben maßgeblich.
“People can get accustomed to anything, right? Habit does
things to people.”
Bret Easton Ellis, American Psycho
“Wie viel machst Du diesen Monat?”
“Ich weiß es noch nicht. Aktuell stehen wir bei EUR 380 K.”
Das war verdammt wenig für den letzten Monat im Quartal. Und eine ganze Niederlassung.
“Was ist noch offen?”
“Zwei Retainer, und bei drei Placements warte ich auf ein Feedback von den Kandidaten.”
“Das ist alles?”
“Aktuell ja.”
“Das ist nicht viel.”
“Mehr habe ich aktuell nicht offen.”
“Wie viel ist das?”
“Die Placements sind zweimal zirka EUR 25 K, und einmal EUR 17 K. Die Retainer jeweils EUR 5 K.”
Zirka 70 K nochmals oben drauf. 380 K durch einen Headcount von 25: das war kostendeckend, aber weit unter dem, was möglich war. Die budgetierten EUR 550 K für diesen Monat sind nicht mehr in Reichweite. Der Managing Director (MD) macht in seinem Büro das Fenster auf, legt seine Füße in den Bally Boots auf seinen Schreibtisch, und zündet eine Zigarette an. Er klemmt sich die Haare seiner blonden, langen Mähne hinter die Ohren und streicht sich durch seinen Bart. Sein kritischer Blick schweift über die Skyline. Wolken ziehen nicht nur am Horizont auf, sondern auch über seinem Gemüt.
“Woran liegt es, ob die kommen?”
“Steenhage klärt noch seine Kündigungsfrist, Krawcyk hat ein anderes Angebot, und Weber erreiche ich nicht. Dafür glaube ich an die Retainer. Die suchen schon ewig”, sagt der Niederlassungsleiter in sein Telefon. Er hofft, mit seiner Aussage seinem MD und Chef zu gefallen.
Dass es Kandidaten gibt, die weder ihr Fixgehalt noch ihre Kündigungsfrist kennen. Und das im Finanzbereich, der von Zahlen getrieben ist. Von Fakten. Das kann nicht sein. Steenhage spielt mit uns. Garantiert. Der MD hält diesen Gedanken zurück. Dafür:
“Kannst Du nicht im System nachschauen und Steenhage sagen, was er uns im Interview als Kündigungsfrist genannt hat?”
“Ja, aber Steenhage will mit seinem Arbeitgeber eventuell über ein schnelleres Austrittsdatum verhandeln. So viel Zeit will ich ihm einräumen.”
Oder bei seinem Arbeitgeber ein besseres Gegenangebot bekommen. Das war normal geworden, dass Kandidaten ein externes Angebot nutzten, um bei ihrem Chef eine Gehaltserhöhung zu fordern. Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Meine Fresse. Der MD zieht an seiner Zigarette und bläst den blauen Dunst in Richtung Fenster. Die Kandidaten spielen mit uns. Das darf nicht sein. Die Berater haben ihre Kandidaten nicht im Griff. Wir machen nur so viel Umsatz, weil der Markt uns in die Hände spielt. Wirklich begriffen haben die Berater es noch nicht.
“Dann schau, dass Du die Dinger zu machst. Ruf’ die an und erkläre denen, wie zeitkritisch das Ganze ist. Wir haben noch genau eine Woche bis zum Quartalsclosing. Aktuell sieht es nicht so gut aus. Jeder Euro zählt. Wir wollen ein starkes Signal vom deutschen Markt senden. Die Gruppe braucht uns aktuell mehr denn je. Die Zahlen im Rest von Europa stagnieren, und das Augenmerk liegt auf Deutschland. Das, was Frankreich, Spanien und UK diesen Monat verlieren, müssen wir gut machen. Ich glaube an Dich und Deine Jungs. Ihr schafft das. Dieser Monat zählt mehr als die anderen Monate.”
Die gleiche Parole bei jedem Closing. Es gab keinen unwichtigen Monat, jeder Monat war der letzte und erste in einer neuen Zeitrechnung. Der Niederlassungsleiter konnte es nicht mehr hören. Dennoch stimmte er seinem Chef zu:
“Ja, machen wir. Das weisst Du, wir arbeiten mit Hochdruck daran. Wir können die Kandidaten aber nicht zwingen, heute noch zu unterschreiben.”
Die Stimme am anderen Ende der Leitung atmet tief ein. Dann ein langes Ausatmen durch die Nase. Als ob er das nicht wüßte. Bevormundete der Niederlassungsleiter ihn? Der MD war angepisst, seine Laune wurde durch das Telefonat nicht besser. Sein Blick schweifte durch den blauen Dunst zum Humidor auf seinem Schreibtisch. Die Kubaner waren etwas zum Feiern, nicht um den Frust im Dunst aufgehen zu lassen.
“Das reicht diesmal nicht. Du musst die 70 K auf jeden Fall noch reinholen.” Eine kurze Pause, um nach dem Kinnhaken zum Schlag in den Solarplexus aus zu hohlen: “Es geht auch um Deinen Bonus und den Deiner Jungs.”
Schweigen auf der Seite des Niederlassungsleiters. Als ob es den Kandidaten interessieren würde, wohin die Zahlen von Deutschland oder Europa gingen. Und immer der Druck seines Chefs. Ist doch egal, ob der Umsatz dieses oder nächstes Quartal kommt, Hauptsache er kommt. Als ob sie sich nicht eh schon den Allerwertesten abarbeiten würden. Er glaubte, sein MD könne seine Gedanken lesen, und sagte:
“Wir tun alles, was wir können. Die Jungs sind committed und arbeiten hart.”
Der MD quittierte seine Aussage mit einem Schweigen. Dann sagte er:
“Weisst Du bei Krawcyk, wo das andere Angebot herkommt?”
“Nein, hat er nicht gesagt.”
“Dann ruf’ ihn an, und frag ihn. Erkläre ihm, dass wir unseren Kunden sehr gut kennen, und unser Kunde noch keines unserer Placements wieder rausgeworfen hat. Wir können für unseren Auswahlprozess bürgen. Das soll er sich gut überlegen, ob das bei der anderen Firma auch so ist.”
“Ja, mache ich. Ich glaube aber nicht, dass ihn das überzeugt. Jeder Kandidat ist anders.”
“Glauben heißt nicht wissen. Mach’s einfach. Danach weisst Du es.”
Das Glühen der Asche am Ende der Zigarette ist deutlich durch den Hörer zu hören. Es nervt, dass jeder Berater hinterfragt und kommentiert. Dämlich. Als er Berater war, war er nicht so. Die Jungen meinen immer, sie wüssten schon alles, und alles besser als er, der MD. Er hat es einfach immer gemacht, ist gefolgt. Der Weg zum Gipfel ist steinig, aber Du kannst am Seil Deines Chefs gehen, wenn Du es nur kapierst.
“OK, wir machen es.”
“Und was ist mit Weber? Warum erreichst Du ihn nicht?”
“Er geht nicht ans Telefon.”
“Hast Du mit verdeckter Nummer angerufen?”
“Ja.”
“Und?”
“Nichts.”
“Hast Du ihm eine Email geschrieben?”
“Ja.”
“Und?”
“Nichts.”
Der MD hasste es, wenn er seinen Direct Reports jedes Wort aus dem Mund ziehen musste. Wo waren die lösungsorientierten Berater? Hatte er sie, seine Direct Reports, nicht zu einem sündhaft teuren Workshop am Tegernsee geschickt, wo es um genau das ging? Breakout Sessions mit Champagner und einer Bootsfahrt auf dem See. Limo Pickup Service vom Münchener Flughafen. The Seven Habits of the Ten Most Successful People You Will Meet in Heaven. Oder irgendwie so etwas. Wenn Du den Kandidaten nicht erreichst, dann fährst Du abends zu ihm und klingelst an seiner Tür. Dazu brauchte er keinen Workshop und keine Breakout Sessions. So ein Schwachsinn, außer dass es gut für die Moral war, am Tegernsee in der Überfahrt abzusteigen, da, wo er geheiratet hatte.
“Hast Du es mit einer SMS und Whatsapp versucht?”
“Ja, aber er hat sich nicht gemeldet.”
Die gebleichten Zähne des MD funkeln im Halbdunkel seines Büros kurz auf, als der MD die Telefonmuschel näher an seinen Mund bringt. Er will ausholen, holt aus:
“Hey, mach dem Pisser klar, wenn er sich nicht meldet, dann nehmen wir ihn aus dem Prozess und empfehlen dem Kunden einen anderen Kandidaten, weil er unzuverlässig ist. So geht das nicht. Kommunikation ist Prio 1. Mach ihm das klar. Schreib ihm das. Das ist unser Prozess, wir lassen uns von einem Accountant nicht in die Suppe spucken.”
“CFO.”
“Bitte?”
“Weber. Der soll dort CFO werden.”
“Egal. Mach ihm das klar. Er ist unser Kandidat. We are the process owners. Er hat das zu tun, was wir nun seit Wochen mit ihm besprochen haben. Das Jobangebot hat er alleine uns zu verdanken.”
“OK. Aber ist es das, was wir wollen?”
“Wir wollen, dass der Kandidat das macht, was wir ihm sagen. Schliesslich haben wir lange mit ihm gearbeitet und ihn zu unserem Kunden gebracht. Sich jetzt nicht mehr zu melden, geht nicht.”
“OK. Ich kümmere mich darum.”
“Haben wir ein Backup für Weber? Wenn er das nicht macht?”
“Nein, aktuell nicht. Der Kunde wollte unbedingt Weber haben.”
“Das heißt, wenn wir Weber nicht erreichen, und er es nicht macht, geht das Ding diesen Monat nicht zu? Wie viel fehlen uns dann? 25 K?”
“Ja, es geht dann nicht zu. Wir müssen nochmals neu suchen.” Kurzes Schweigen. Der Niederlassungsleiter sieht seine Reflektion im Fenster. Draussen ist es mittlerweile dunkel geworden. Sein weißes Hemd und rote Krawatte spiegeln sich im Fenster. Er sieht, wie er sein Telefon gegen sein Ohr drückt, dem Arm abgewinkelt. “Je nachdem, wie groß die den Bonusanteil nun hochsetzen, können es auch 30 oder 35 K werden.”
“Wenn es kommt.”
“Wenn es kommt. Nur für Weber wollten sie den Bonus deutlich nach Oben schrauben.”
“Klemm’ Dich dahinter. Ruf Weber an, sag ihm, er soll nun endlich unterschreiben. Dass so eine Bonuserhöhung wie in seinem Falle etwas echt Seltenes ist. Der soll sich nicht so haben, und auf keinen Fall eingebildet sein und glauben, er würde woanders was Besseres finden. Wie lange ist seine Kündigungsfrist?”
“Drei Monate zum Quartal.”
“Wenn er jetzt nicht kündigt, verschiebt sich sein Start um drei Monate.”
“Ja.”
“So ein Pisser. Wartet der Kunde nochmals drei Monate länger auf Weber, oder sind die dann auch angepisst? Was ist das eigentlich für ein Mist?”
Der MD rutschte schnell in seine Ghettosprache zurück, wenn ihm etwas nicht passte. Soziale Herkunft lässt sich nicht verstecken. In Asien hatten sie über die Barmädchen gesagt, “You can take the girl out of the bar, but not the bar out of the girl.” Ebenso dachte der Niederlassungsleiter über seinen Chef. Rottach-Egern hin oder her.
“Weiß ich nicht, muss ich klären.”
Ein Rauschen in der Leitung. Dann der MD:
“Glaubst Du, Du kriegst schnell einen anderen Kandidaten in den Prozess? Einen, den die schon gesehen haben, eine heimliche Nummer zwei? Dann könnten wir diesen Monat auf jeden Fall schon 30 K buchen, aber die Rechnung zurückhalten und nächsten Monat verschicken.”
Diese Vorgehensweise war gang und gäbe. Wenn die Berater wussten, dass Placements kommen, dann wurden diese im System als solche erfasst. Accounting wurde instruiert, die Rechnung noch nicht zu verschicken, da “angeblich” noch eine “SAP-Ordernummer” fehlte. Wenn dann einen Monat später ein anderer Kandidat den Job machte, wurde das Placement im System umgetragen, mit dem Namen des platzierten Kandidaten. Accounting hatte aufgehört, diese Vorgehensweise zu hinterfragen. Der CFO des Unternehmens, der mehr Controller war als alles andere, machte gemeinsame Sache mit dem MD im Sinne von “Hauptsache die Zahlen stimmen mit dem Forecast überein, und wir können uns die nächste Party leisten.” Es kam vor, dass Kunden Rechnungen und Mahnungen erhielten für Platzierungen, die nie stattgefunden hatten. Kam das Placement nicht, so wurde es im nächsten Monat wieder ausgebucht, und der Berater startete mit dem entsprechenden negativen Umsatz.
“Nein, glaube ich nicht. Der Kunde ist echt wählerisch und will den perfekten Kandidaten. Außerdem können wir das hier nicht machen. Der Kunde ist klasse. Würde ihn ungern verlieren.”
“Weber. Dieses Schwein. Der soll ans Telefon gehen, wenn wir anrufen.”
Der Niederlassungsleiter will sagen, “Wenn er es macht, macht er es, wenn nicht, dann nicht. Was kann ich dafür?” Anstelle dessen stimmt er kleinlaut mit einem “Mmmhhhhmm” der Aussage des MD zu und sagt:
“Oh Mann, dieses Geschäft wäre so geil, wenn es Kunden und Kandidaten nicht gäbe.”
Die Miene des MD verzieht sich kein bisschen. Die Lage ist zu ernst. Hat er den Forecast für diesen Monat zu hoch angesetzt? Zugeben würde er das nie, aber manchmal spielt er mit diesem Gedanken. Den anderen Standorten fehlten auch bis zu EUR 200 K. Pro Standort. Mal vier macht das EUR 800 K. Eine große Lücke am Ende eines Quartals. Dieser Monat, dieses Quartal, eine Katastrophe. Ob die Berater seine Travestie merkten? Als Sohn mittelloser Immigranten aus dem ehemaligen Ostblock, hatte er, der Ossi, wie sie ihn hier nannten, es zu Wohlstand geschafft. Nun konnte er seine Eltern finanziell unterstützen, sein Vater war stolz auf ihn. Wenn sie mit seinem schwarz glänzenden Firmenwagen in seinem Heimatdorf auf dem Balkan einfuhren, kam die ganze Ortschaft zusammen. Beim letzten Besuch war auch Era Istrefi da. Seine Eltern und die Eltern von Era kannten sich. Was für eine Party das war. Er lud alle in die renovierte Dacha seiner Eltern ein. Sie hatten den größten Flat Screen TV des ganzen Landkreises an der Wand hängen, und es lief MTV. Seine Mutter servierte der Nachbarschaft Espresso aus der Nuova Simonelli Aurelia Semi-Auto Espresso Maschine, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Es gab Sliwowitz, Champagner und Hummer aus dem nahen Meer. Der Sohn des Dorfes hatte es zu etwas gebracht. Ihm waren Aussehen und Erscheinung wichtiger als Inhalt und Kontext. Sein ganzes Leben wollte er es ihnen zeigen, zeigen, dass er es schaffen konnte, und nun, dass er es geschafft hat. Alles was er besaß, war gebrandet: Uhren, Anzüge, Socken, Gürtel, Manschettenknöpfe. Freundschaften. Keine Flasche Wein unter EUR 20. Seine Frau wies er an, niemals bei Aldi, Lidl oder einem anderen Discounter einkaufen zu gehen. Wörtlich sagte er, “Dazu geht es uns zu gut, als dass wir uns dies antun müssten.” Er stellte die Inkarnation des Materialismus dar, ein männliches “material girl”. Geld war der Sinn seines Handelns, Geld machte ihm zu dem, was er war. Zu lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Nun endlich konnte er die Niederlage des Balkans hinter sich lassen. Solange etwas teuer war, war es gut genug für ihn. Die Tatsache, dass er sich das Teuerste leisten konnte, befriedigte ihn. Nun wuchs er über den deutschen Mittelstand hinaus: endlich kein Audi Avant Diesel mehr, von diesen Bescheissern. Endlich ein gescheites Auto von einem exklusiven Brand, ein englischer V8. Benzin, kein Diesel. Als Self-Made Man musst Du etwas Extravagantes fahren. Er hatte über EUR 2.000 ausgegeben, damit sein schwarzer Ranger Rover das Kennzeichen F-XL 1 bekam. Magie. Sein Status als Macho war finanziell und auf der Straße gesichert. Sein Hunger nach Geld, Macht und Geltung haben ihn bis ganz nach Oben getrieben und über Leichen gehen lassen. Er hat nicht aufgehört, an seinem Erfolg zu arbeiten, und alle Konkurrenten um ihn herum abzusägen. Er wird sich diese Erfolgsgeschichte nicht durch ein schlechtes Quartal und faule Berater zerstören lassen. Wenn sie nicht mit ihm waren, dann waren sie gegen ihn. Der Niederlassungsleiter war auf dem besten Weg dorthin. Ersetzbar. Er war ersetzbar durch einen Besseren. Nein, keinen Besseren, einen Hungrigeren. Hunger, das hatte der Niederlassungsleiter verloren. Hunger. Er war satt. Ihm war es egal wann und ob etwas kam. Er selbst war hungrig, nach Erfolg und vor allem Geld. Die Fluktuation auf MD-Level war hoch; er musste liefern. Dieses Damoklesschwert hing immer über ihm. Ausruhen oder eine Pause machen gingen in seiner Rolle nicht. Wenn er nun die Zahlen nicht liefern konnte, die er selbst felsenfest versprochen hatte, vorgeschlagen hatte (er kam vom Balkan, Ehre ist alles), für die er mit seinem Wort eingestanden war, musste er sich eine besondere Geschichte für den Regional MD, seinen Chef aus London, einfallen lassen. Der letzte Monat war schon nichts gewesen. Viele seiner besten Berater hatten einen Migrationshintergrund wie er. Sie nutzten die Personalberatung, um an Geld und Status zu kommen - er war ihr Vorbild. Vielen war auf Grund mangelnder intellektueller Kapazität der Einstieg in andere Branchen verwehrt gewesen. Aber sie waren hungrig, auf Geld und Erfolg. Die Liste seiner Beraterteams war gespickt mit Namen von Menschen, die Deutschland zu ihrer Wahlheimat gemacht hatten, weil es hier besser war als in ihrer Heimat. Die Personalberatung gab jedem eine Chance, vor allem wenn sie hungrig waren und etwas erreichen wollten - das war das Wunderbare an dieser Branche. Aber nichts für Faule. Es gab wohl kaum ein egalitäreres Umfeld für Einsteiger. So hielt auch er es als MD bei jeder Einstellung: gib jedem eine Chance. Wenn er hart arbeitet, sind Name und Herkunft egal. Ein wenig wie beim Fussball. Auch Ghetto-Kinder wie er haben eine Chance verdient.
“Chef?”
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er sehnte sich nach Zahlen, die endlich einmal so kamen, wie er sie vorgegeben hatte. Jeden Monat das gleiche Spiel.
“Kannst Du dem Kunden einen Interim Manager anbieten, wenn Weber aus dem Prozess fliegt?”
“Können wir probieren.”
“Hast Du es schon angesprochen?”
“Nein.”
“Warum nicht?”
“War bislang nicht nötig gewesen.”
“Sprich es an. Ruf’ den Kunden an, heute noch, und sag ihm, dass Du Dir bei Weber nicht mehr sicher bist, und ihm daher einen top Interim Manager empfehlen kannst, bis wir einen anderen Kandidaten gefunden haben. Sag Mustafa, er soll Dir drei passende Interim Manager liefern, die sofort verfügbar sind und direkt loslegen können.”
“OK, mache ich.”
“Gehe mit dem Kunden auch nochmals die Liste aller vorgestellten Kandidaten durch und schau, dass Du ihm einen rein verkaufst.”
“Das wird echt schwierig.”