CHERRIE LYNN

Seufzen der Nacht

Ins Deutsche übertragen von

Dorothea Kallfass

Zu diesem Buch

Als Meredith mitten in der Nacht ziemlich eindeutige Geräusche aus dem Hotelzimmer über ihr hört und ihr die tiefe Männerstimme nur allzu vertraut ist, hat der gemeinsame Urlaub mit ihrem Bruder und seinem besten Freund Cameron den Tiefpunkt erreicht: Seit sie denken kann, ist Meredith in Cameron verliebt, und dass er vorgibt, in ihr nicht mehr als die kleine Schwester seines besten Freundes zu sehen, ist eigentlich schon schlimm genug. Dass er sich in ihrem gemeinsamen Urlaub auch noch mit anderen Frauen vergnügt, ist allerdings eine Frechheit. Meredith beschließt die Sache in die Hand zu nehmen, schließlich kann auch Cameron das prickelnde Knistern zwischen ihnen schon lange nicht mehr leugnen. Am sonnigen Golf von Mexiko will sie ihm deshalb einen Urlaub bereiten, den er so schnell nicht mehr vergisst …

1

Meredith Taylor leerte bereits ihr drittes Bier, als das Stöhnen begann.

Der letzte Schluck blieb ihr fast im Hals stecken. Hatte sie sich vielleicht verhört? Sieben Stockwerke tiefer erstreckte sich in knapp fünfzig Meter Entfernung der Golf von Mexiko als schwarzes Nichts in die Nacht, doch über dem unablässigen Wellenrauschen hörte sie unverkennbar Liebeslaute.

Irgendjemand trieb es auf einem der Balkone über ihr. Oder war zumindest kurz davor.

Meri stellte die Bierflasche auf dem Balkontisch ab, starrte mit weit aufgerissenen Augen aufs Wasser und spitzte die Ohren. Normalerweise hätte sie sich sofort nach drinnen verzogen, damit das Liebespaar seiner Leidenschaft ungestört freien Lauf lassen konnte, denn es rechnete bestimmt nicht damit, dass um zwei Uhr morgens noch jemand draußen saß und aufs Meer schaute. Außerdem würde Meri sich durchaus als anständigen Menschen bezeichnen.

Ihr Anstand war allerdings dem für sie ungewöhnlich hohen Alkoholpegel zum Opfer gefallen. Also blieb sie, wo sie war, stand auf, schlich zum Geländer und verfluchte den Wind, der ihr in den Ohren sauste. Oder war das die Aufregung? Egal.

Sie hörte auch so noch genug.

»Oh Gott«, raunte eine Frauenstimme.

Ja, ja, dachte Meri. Das geht doch noch besser, meine Liebe. Zeig mal, was du draufhast. Sie lächelte verschmitzt in sich hinein und lehnte sich rückwärts an die Balkonbrüstung. Hoffentlich gab das Geländer nicht nach … Meri sah schon die Schlagzeile vor sich: Voyeuristische Urlauberin in den Tod gestürzt. Galt es überhaupt als voyeuristisch, wenn man nur zuhörte? Das würde sie später googeln müssen. Himmel, die sexuelle Durststrecke der letzten Zeit machte sich langsam wirklich bemerkbar.

Lautes Stöhnen drang von oben zu ihr. Ein Mann und eine Frau. Der Typ klang zum Glück ziemlich scharf. Der letzte Kerl, mit dem sie etwas gehabt hatte – Meri weigerte sich, darüber nachzudenken, wie lange das schon zurücklag –, hatte beim Orgasmus sehr unmännliche Laute von sich gegeben. Dabei stand sie genau auf das Gegenteil. Markante Stimmen, so tief, dass man Gänsehaut bekam. Seitdem achtete sie bei jedem potenziellen neuen Liebhaber darauf, ob er im Bett möglicherweise wie eine sterbende Katze klingen würde. Bei dem Balkonmann hatte sie da keinerlei Bedenken. Er war heiß, fast kam es ihr vor, als stöhnte er ihr ins Ohr, als spürte sie seinen Atem auf der Haut und seine Hände, die an ihrem Hals hinabglitten, weiter nach unten, bis sich ihre Brustwarzen sehnsüchtig aufrichteten … und das, obwohl sie nicht mal wusste, wie er aussah.

Aber das war ja gerade das Spannende. So konnte sie sich einfach ihrer Fantasie hingeben.

Sofort sah sie Cameron vor sich, denn sein Gesicht konnte nicht einmal der Alkohol vergessen machen. Gott bewahre, dass die Erinnerung an ihn je verblassen würde. Selbst hier im Urlaub war Cameron Moore immer in der Nähe. Als bester Freund ihres Bruders hatte er seit jeher einen festen Platz in ihrem Leben gehabt.

Sie wollte nicht an ihn denken.

Bis auf vereinzeltes leises Flüstern war jetzt nichts mehr zu hören. Was ging da vor sich? War er schon in sie eingedrungen? Oder waren sie noch beim Vorspiel? Meri stellte sich vor, wie die beiden immer mehr Haut freilegten, sich küssten und streichelten. So wie die Frau wimmerte, genoss sie jedenfalls eindeutig, was auch immer der Mann gerade mit ihr anstellte. Aber es waren keine kurzen, einzelnen Stöhner wie beim Sex. Nein, Meri schätzte, dass sie es noch nicht miteinander trieben, das Beste stand also noch bevor.

Die beiden konnten sich wirklich glücklich schätzen, ob sie nun in einer langjährigen Beziehung steckten oder es bloß ein flüchtiges Abenteuer war. Meri nahm einen letzten Schluck von ihrem Bier und starrte blind auf die Balkontür, die zum Schlafzimmer führte. Die zwei hockten jedenfalls nicht mitten in der Nacht allein hier draußen und bliesen Trübsal, obwohl sie gerade mit guten Freunden im Urlaub waren. Meris Schlafprobleme begleiteten sie allerdings schon so lange, dass sie sich mittlerweile fast daran gewöhnt hatte. Auf den Ozean zu schauen war immerhin spannender als die Decke anzustarren, hatte sie sich gedacht. Und zum Bier gegriffen, um müde zu werden. Wer hätte denn ahnen können, dass sie unerwartete Gesellschaft bekommen würde?

Obwohl Meredith Cam aus ihren Gedanken verbannen wollte, kreisten sie wieder einmal nur um ihn. Da er schon ewig mit ihrem Bruder befreundet war, dem sie sehr nahestand, war er einfach immer präsent. Er kam in jeder Unterhaltung zur Sprache, war bei jedem Treffen dabei und jetzt auch noch im Urlaub. Es gab einfach kein Entkommen.

Aber ganz ehrlich, wer hätte ihn nicht gerne um sich herum? Er sah aus wie ein Gott. Als Personal Trainer verbrachte er die meiste Zeit im Fitnessstudio. Über seine durchtrainierten Arme und den muskulösen Oberkörper wanden sich verschlungene Tätowierungen. Wenn sie ehrlich sein wollte, war Meredith nur deswegen Mitglied im Fitnessstudio, damit sie ihn ungeniert anstarren konnte. Er kam auch oft zu ihr, wenn sie gerade auf dem Crosstrainer schwitzte, um sich kurz zu unterhalten, ihr ein paar Tipps zu geben oder sie zu überreden, sich von ihm trainieren zu lassen.

Sie lehnte jedes Mal dankend ab. Das wäre bestimmt ihr Ende.

Na gut, sie war total verknallt in ihn. Keine große Sache. Sie hatte ihn immer auf Abstand gehalten und gab sich nur gelegentlich abgründigen Fantasien hin. Cameron Moore. Er war eben heiß, wer könnte ihr das also verdenken?

Wieso ließ sie sich von dem Gedanken an ihn ablenken, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was über ihr vor sich ging?

»Ja. Oh ja, Baby.« Das war unverkennbar wieder die Frau. Dann stöhnten beide gemeinsam auf, und Meri stockte der Atem. Oh. Wenn er bisher nicht in sie eingedrungen war, dann jetzt. Es klang ganz so, als koste er es aus und ließe sie jeden Zentimeter spüren. Und so wie die Frau »Mehr, mehr, oh Gott, mehr!« rief, hatte er da wohl einigen Spielraum. Herrgott. Meri wischte sich den Schweiß von der Schläfe und versuchte sich mit der kalten Bierflasche abzukühlen. Sie zitterte.

Auch ihre Oberschenkel bebten. Dieses Stöhnen … dieser Mann … er klang wild, vollkommen entfesselt, stöhnte, knurrte, stöhnte wieder, verdammt, jetzt flüsterte er ihr auch noch etwas zu. Meri verstand nicht, was er sagte, aber es war bestimmt schmutzig und geil. Als er kehlig fluchte, gaben ihr die Knie nach, sie ließ sich auf den Stuhl fallen und presste die Schenkel zusammen. Sollte sie dem heftigen Verlangen nachgeben oder dagegen ankämpfen? Es war schließlich irgendwie … na ja, falsch und unanständig, sich von jemand anderem anturnen zu lassen, der gar nicht wusste, dass er belauscht wurde.

Aber sie konnte einfach nicht anders. Musste weiter zuhören. Besaß sie denn verdammt noch mal überhaupt kein Schamgefühl?

Nur ein einziges Mal nicht das Richtige tun. Schamlos sein. Ihr Körper brauchte keine weitere Ermutigung; er reagierte, ob sie wollte oder nicht. Bei jedem Stöhnen von oben zogen sich ihre Schoßmuskeln zusammen.

Verflucht, es schien ganz so, als wäre ihre aufregendste sexuelle Erfahrung die von jemand anderem. Meredith hätte ein derart ungezügeltes Verlangen überhaupt nie für möglich gehalten – die drei Liebhaber, die sie bislang gehabt hatte, hatten sie jedenfalls nicht so erregt. Dabei waren sie aus Fleisch und Blut gewesen. Jetzt reichte allein ihre Vorstellungskraft aus, und dazu diese männliche Stimme … Oh mein Gott. Das Blut strömte ihr wie dickflüssige Lava durch die Adern, sammelte sich in ihrem Schoß, den Brüsten und einigen anderen erogenen Zonen, von denen sie bisher nichts geahnt hatte. Selbst ihr Mund war taub und kribbelig; Meri schmeckte etwas Süßes auf der Zunge, süß und verboten, und leckte sich unwillkürlich über die Lippen.

Sie glitt mit einer Hand über das dünne Hemdchen, das sie trug, spürte die hart aufgerichteten Nippel und glitt weiter hinab in Richtung Boxershorts. Sie war so feucht. Sollte sie? Nein. Auf keinen Fall.

Aber sie zerfloss förmlich vor Lust. Sehnte sich danach, dasselbe zu fühlen wie die Frau über ihr, mochte ihre eigene Hand auch nur ein schwacher Ersatz sein.

Sie spreizte die Schenkel.

Könnte sie es hier draußen mit einem Mann tun, obwohl möglicherweise jemand zuhörte? Besonders da sie nun wusste, dass es Menschen gab wie sie selbst? Menschen, die in die Privatsphäre von ihr und ihrem Liebhaber eindrangen, sich davon erregen ließen und diese Erregung auch auslebten …?

Würde sie sich von Cameron so nehmen lassen, wenn er jemals auch nur das geringste sexuelle Interesse an ihr zeigen würde?

Meri öffnete die Augen. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie sie geschlossen hatte. Sie stellte sich vor, die Hand, die über ihren Oberschenkel glitt, gehörte Cam, und schon diese flüchtige Berührung weckte ungeahnte Lust. Die Wellen schlugen gleichförmig ans Ufer und ließen sie mit ihren moralischen Bedenken allein. Und mit ihrer unbezähmbaren Erregung. Der Ozean war tiefschwarz wie Camerons Haar. Der Himmel dunkel wie seine Augen, und in ihnen tanzten auch Sterne …

Sie würde es tun. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich.

Das Pärchen näherte sich inzwischen dem Höhepunkt, die Schreie der Frau kamen immer rascher und wurden immer schriller. Meri schob die Finger in ihr feuchtes Höschen. Sprich mit ihr. Sprich mit mir. Ich will dich hören.

Seine dunkle Stimme drang durch das Tosen der Wellen und ihre aufwallende Lust zu ihr, fast so, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Willst du kommen?«, fragte er. Meri bebte. Ihre Schoßmuskeln zogen sich sehnsüchtig zusammen. Ja. Ich möchte kommen.