Sonnenmotor Nr. 1

Freder van Holk

Published by BEKKERpublishing, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Sonnenmotor Nr. 1 | Ein technisch-utopischer Zukunftsroman | von Freder van Holk

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I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

Further Reading: 30 Sternenkrieger Romane - Das 3440 Seiten Science Fiction Action Paket: Chronik der Sternenkrieger

Also By Freder van Holk

About the Publisher

Sonnenmotor Nr. 1

Ein technisch-utopischer Zukunftsroman

von Freder van Holk

Der Umfang dieses Buchs entspricht 218 Taschenbuchseiten.

Was die kürzlich erst bekannt gewordene, Aufsehen erregende Entdeckung des österreichischen Wissenschaftlers Prof. Ehrenhaft nahe legt, die Kraft des Lichts wirtschaftlich nutzbar zu machen, hat Freder van Holk bereits vor Jahren erahnt. In seinem Roman ›Sonnenmotor Nr. l‹ skizziert er eine Apparatur zur Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische Energie und hat damit eine alte Sehnsucht der Menschen gezeichnet, deren Erfüllung nach der Entdeckung Prof. Dr. Ehrenhafts, des Direktors des physikalischen Instituts der Wiener Universität, vielleicht in nicht mehr allzu großer Ferne liegt. In dem Roman Freder van Holks wird geschildert, wie es in hartem Ringen mit Widerständen und Widersachern einem jungen Ingenieur gelingt, den ersten wirklich brauchbaren Motor zu schaffen, der ohne jede andere Kraftquelle nur durch die Sonnenenergie getrieben wird.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author/ Titelbild: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2018

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

I

Der Schneesturm jagte pressend über das Land. Er heulte hoch oben wie ein Rudel heiserer Wölfe, überschlug sich mit kreischenden, spitzen Pfiffen und orgelte zögernd in Sekunden der Stille mit einer wehmütigen Klage hinein, um mit harten, fauchenden Stößen seinen einförmigen, wütigen Sang wieder aufzunehmen. Die kristallenen Nadeln des Schnees fegten mit der grauen Dichte eines riesigen Besens tiefschräg gegen den Boden, verquirlten jäh zu stäubenden Wolken, lösten sich zu taumelnden Flocken und fügten sich von neuem dem zornigen Druck. Eine fahl umrissene Bodenwelle stemmte sich trotzig gegen den rüttelnden Sturm, der den steinernen Rücken aufriss, überschüttete und wieder aufriss, bis das weiße Bett hinter dem Steilhang zu den verschwommenen Konturen hinaufwuchs.

Im Windschatten dicht unter dem Abbruch stieß die Tragfläche eines Flugzeuges wie ein breites, ungefüges Messer aus der Schneedecke heraus. Neben ihr brach der Schnee ein und gab ein Loch frei, aus dem sich eine pelzvermummte Gestalt schaufelnd herausarbeitete. Ein Mensch quälte sich in der Verlorenheit des Nordens um die Atemluft, die ihm die Schneewirbel und die wachsende Hülle zu rauben drohten. Schaufel um Schaufel hob er mühsam beiseite, dann stampfte er auf geflochtenen, breitflächigen Schneeschuhen um die aufgereckte Tragfläche herum zur Felswand. Langsam, ganz langsam kam er voran, denn der Schnee hielt den Versinkenden bei jedem Schritt, und der Sturm schüttete ihm die eisigen Kristalle unaufhörlich ins Gesicht.

Eine Stange stand schräg über der pulvrigen Fläche, eine dünne Eisenstange, die im Fels verankert sein musste, denn der Einsame hielt sich an ihr, während er sich ein Stück in die Tiefe wühlte. Im Grunde des Loches hockte er sich nieder und zog einen flachen Kasten herum, der bisher auf seinem Rücken gehangen hatte. Schmale, junge Hände kamen aus den plumpen Fäustlingen heraus, öffneten den Kasten und tasteten über die farbigen Knöpfe, während sich der Rücken als Schutzdach krummbog. Trotzdem stäubte der Schnee auf die schwarze Platte und auf die beiden Rundscheiben, hinter denen schlanke Zeiger nervös über die Skalen spielten.

Eine Minute nur verharrte der Mensch, dann schloss er den Kasten und suchte den Weg zurück. Er glitt in das Loch hinter der Tragfläche hinein, schob die Schneeschuhe unter eine dunkle Wölbung aus Metall und zwängte sich durch einen Türspalt in das Innere des Flugzeugs, dessen Bruchschäden der Schnee verbarg.

In der engen Wohnkabine, in der nur die Einbeulung einer Wandverstrebung die Katastrophe andeutete, brannte ein Licht. Es stand auf einem Klapptischchen. Sein Schein fiel auf beschriebenes Papier und auf das abgezehrte Gesicht eines Mannes, der auf dem einzigen Ruhebett lag. Er schrieb so hastig, als habe er nicht mehr viel Zeit vor sich. Der Eingetretene zog sich die Parka herunter. Der schwere Pelz gab einen Knaben frei, dessen brennendes Gesicht die Weichheit seiner Jugend und die Erschöpfung seiner Wanderung zeigte, dessen helle, blaue Augen aber bereits die Härte des Mannes verrieten.

»Du arbeitest schon wieder, Vater?« fragte er spröde.

Über die Mienen des Mannes ging ein Zucken. »Gleich, Thomas.«

Thomas Rotter legte den Pelz beiseite, fuhr sich mit den Fingern durch das verdrückte weißblonde Haar und setzte sich auf das Fußende des Ruhelagers. Von dort aus verfolgte er aufmerksam, wie die Hand seines Vaters eilig über das Papier ging. Liebe und Sorge wanderten mit seinen Blicken.

Klaus Rotter ließ endlich den Block sinken.

»Entschuldige, Thomas - ich musste das erst schreiben. Wie viel Magneton hast du?«

»Unverändert, Vater.«

»Viel Schnee?«

»Nicht sehr schlimm. Möchtest du etwas essen?«

»Danke - nein. Aber es ist warm.«

»Der Schnee liegt über uns. Oder hast du wieder Fieber?«

Der Mann lächelte, aber es sah aus, als bereite ihm dieses Lächeln geheime Schmerzen.

»Nein, Thomas. Du stelltest ja selbst fest, dass mein Gesicht nicht mehr gerötet ist. Der Schnee hält uns warm. Er ist wie ein liebevoller Freund, von dem man nicht weiß, ob man ihm fluchen oder danken soll. Hüte dich in deinem Leben vor Menschen, die kalt und weich zugleich wie Schnee sind.«

»Ja, Vater.«

Sie schwiegen. Klaus Rotter schloss die Augen. Seine Hände krampften sich in die Decke, die über seinen Beinen lag, dass die Knöchel weiß heraustraten. Der Junge forschte in dem verhangenen Gesicht. Sein Vater erschrak, als er die bläulichen Lider hob und diesen Blick auf sich entdeckte.

»Warum siehst du mich so ernst an, Thomas?«

Die gebrochene Doppelfalte zwischen den Brauen des Knaben verschwand.

»Du lehrst mich selbst, Menschen so anzusehen, als ob man sie zeichnen müsste.«

»Ja, das schützt vor der Gewalt eines unklaren Eindrucks. Doch - bin ich dir nicht vertraut genug?«

»Es ist etwas Fremdes an dir, Vater.«

»Und was ist es?«

»Ich weiß nicht, aber es ist so schrecklich wie die plötzliche Stille des Sturms.«

»Du bist ein Mensch, Thomas. Menschen rasen mit dem Sturm ihres Lebens, ohne zu erfahren, ob die Kraft bei ihnen oder hinter ihnen liegt. Und sie erschrecken in den Pausen, in denen sie sich selbst überlassen zerflattern. Sieh zu, dass der Sturm stets aus dir selbst komme, dann wirst du auch die Stille meistern.«

»Ich will es versuchen, Vater.«

Rotter wälzt sich auf die Seite und stützt sich etwas auf.

»Komm näher zu mir, Thomas. Ich habe dir hier alles aufgeschrieben. Es wird gut sein, wenn du diese Bögen aufbewahrst. Vielleicht findest du später einmal von ihnen aus die Lösung des großen Geheimnisses, die mir versagt blieb. Wenn ich mir nach dem Absturz nicht noch das Bein gebrochen hätte und - hier sind die Zahlen bis zu jenem Unglückstag, Thomas, hier deine eigenen Ablesungen und meine Folgerung. Es ist kaum die Andeutung einer Idee, aber Ideen wachsen oft stärker als Menschen und können eine Welt ausfüllen.«

Der Knabe beugte sich tief über das Blatt.

»Du hast sehr schnell geschrieben, Vater. Die Worte sind wie zerrissen?«

»Es schreibt sich schlecht im Liegen. Warum zitterst du, Thomas? Hast du Angst?«

Der Knabe hob den Kopf und zwang die unruhigen Lippen.

»Nein. Warum sollte ich mich ängstigen? Du wirst ja bald gesund werden.«

Sie blickten sich in die Augen und wussten, dass sie sich belogen, um die leidvolle Erkenntnis für den anderen zu verzögern. Aber sie wussten es auch nicht so bestimmt, dass sie wagten, das schwere Wort auszusprechen. Der Rest einer Hoffnung schloss ihnen den Mund.

Klaus Rotter zählte sein Leben nur mehr nach Stunden, denn Frost und Brand waren in die Wunde über dem zersplitterten Knochen getreten und hatten das Bein bereits schwarz gefärbt. Er dankte insgeheim einer gütigen Macht, dass sie ihm die Kraft gab, solche Schmerzen lautlos zu tragen und an ihnen nicht wahnsinnig zu werden. Und er sorgte sich um seinen Jungen, der allein in der Polarzone zurückblieb.

Thomas Rotter berechnete das Leben seines Vaters nicht, doch er hatte heimlich die Decke zurückgeschlagen und das brandige Bein gesehen. Er liebte seinen Vater, und es war ihm oft, als müsse er vor Angst hinausschreien, aber er hielt sich zusammen. Sein Vater hoffte ja, wieder gesund werden zu können.

»Ja«, seufzte Rotter und wandte sich wieder dem Papier zu. »Das Bein wird heilen. Wenn der Schneesturm vorüber ist, werden wir uns nach Süden durchschlagen. Kannst du es lesen?«

»Ja, Vater.«

»Wie sonderbar«, grübelte Rotter. »Wir stecken einen Eisenstab in die Erde, wie es der Neigung der Inklinationsnadel entspricht. Wenn die Schräge von Nord nach Süd verläuft, wird der Eisenstab magnetisch. Und das magnetische Feld bleibt bei jeder Wetterlage, bei Tag wie bei Nacht gleich stark. Was bedeutet das?«

»Induktion durch einen parallelen Magneten«, las Thomas Rotter leise ab. »Vielleicht auch Einwirkung einer gleich bleibenden elektrischen Kraft, die von Ost nach West gerichtet sein müsste.«

»Das sind die beiden Zwangsfolgerungen«, nickte Rotter. »Und beide sind sonderbar genug, um vor ihnen zurückzuscheuen. Unter den vorliegenden Umständen kann eine Magnetisierung des Eisenstabes erfolgen, wenn er parallel zu einem anderen Magneten steht, der ihn induziert. Aber dieser Magnet müsste sehr stark sein. Und wo auf der Erde oder im Raum sollte sich dieser gewaltige Magnet befinden, der diesem Eisenstab ein magnetisches Feld aufzuzwingen vermöchte?«

»Gilt nicht die Erde selbst als Magnet?«

»Ja. Und vielleicht ist sie es auch. Aber dann müsste unser Eisenstab ganz anders stehen. Ich bin geneigt, mich an die zweite Möglichkeit zu halten.«

»Dann müsste dauernd ein elektrischer Strom von Osten nach Westen über die Erde streichen, Vater.«

»Freilich, und das würde nichts anderes bedeuten, als dass unaufhörlich ein Elektronenmeer gegen die Rotationsrichtung der Erde fließen müsste. Das ist so undenkbar, dass niemand wagen kann, auf solchem Grund weiterzubauen. Die Rätsel dieses Eisenstabes sind einstweilen noch ungelöst. Aber vielleicht denkst du einmal an sie, Thomas, wenn du ein Mann geworden bist. Man soll sich nicht damit begnügen, etwas unbegreiflich zu finden.«

»Ich werde diese Stunde nicht vergessen«, versprach der Knabe.

»Danke, Thomas. Und jetzt lass mich schlafen. Ich bin müde - das wird die kommende Genesung sein.«

»Sicher die Genesung«, würgte Thomas Rotter schluckend und zog die Decke über dem Körper seines Vaters zurecht.

Zwölf Stunden später stöhnte Klaus Rotter zum ersten Male in diesen Tagen wild auf. Als sich Thomas mit dem Licht über ihn beugte, hatte er sich bereits gestreckt. Das Licht spiegelte sich flackernd in den offenen Augen, aber es vermochte kein Leben mehr vorzutäuschen.

Das Licht fiel. Thomas Rotter weinte über seinem toten Vater.

Hoch oben heulte der Schneesturm wie ein Rudel heiserer Wölfe, überschlug sich mit kreischenden, spitzen Pfiffen und orgelte mit wehmütiger Klage in die plötzliche Stille hinein.

Thomas Rotter war vierzehn Jahre alt, als er seinen Vater verlor.

*

Die Luft stand dick und warm im Physiksaal. Die Heizkörper dunsteten Staub und stechende Wärme. Draußen rüttelte der laue März an schwarzem Geäst, aber es war aus heiztechnischen Gründen verboten, die Fenster zu öffnen.

Die Klasse schlief. Die jungen Leiber hockten verkrümmt in den gestaffelten Bänken, deren gelben Lack bereits viele Jahrgänge zerkratzt, zerschnitten und abgescheuert hatten. Mancher Kopf war aufgestützt und manches Auge halb geschlossen, aber die meisten beherrschten die Kunst, aufmerksam zu scheinen, während sie von fern liegenden Dingen träumten.

Professor Michaelis stand hinter dem breiten Experimentiertisch, redete und versuchte, seine Worte durch Tafelskizzen zu verdeutlichen. Er sprach matt und lustlos, aber gelegentlich auch mit einer gereizten Schärfe, die aus seinem Unmut herauskam. Michaelis wusste bereits, dass er heute keine Fühlung mehr mit der Klasse finden konnte. Das ärgerte ihn, denn er fühlte sich trotz seines Titels noch jung und nicht abgekämpft genug, um sich mit der Gleichgültigkeit zu versöhnen. Doch heute versagte sich die Klasse. Selbst Thomas Rotter blickte durch die Tafel hindurch.

Die letzte Feststellung machte den Professor jäh wütend.

»Rotter!«

Thomas Rotter sprang unter dem scharfen Anruf auf. Lang aufgeschossen und hager stand er neben der Schulbank.

»Bitte, Herr Professor?«

»Ich muss Sie ersuchen, aufmerksamer zu sein!« sagte Michaelis weniger laut, aber unverkennbar gereizt. »Sie sitzen nicht zum Träumen hier, sondern zum Lernen.«

Schwaches Rot ging flüchtig über das junge Gesicht, dann warf Thomas Rotter den Kopf zurück. »Gewiss, Herr Professor«, antwortete er höflich und feindselig zugleich. »Erwähnten Sie etwas, das eine Gedächtnisbemühung rechtfertigen könnte?«

Die Klasse war plötzlich munter. Hier und dort stießen sich zwei mit den Ellbogen an, andere grinsten je nach dem Ausmaß ihrer Deckung. Die Blicke wanderten zwischen Michaelis und Rotter. Es lag viel Neugier, viel Spannung und nicht wenig Unparteilichkeit in ihnen.

Michaelis galt den Schülern als erträglicher Lehrer - zum Unterschied von den unerträglichen. Man ließ ihm die beliebte Illusion, älterer Kamerad zu sein, hielt ihn außerhalb der Schule für einen vernünftigen Menschen und rechnete seine Pädagogismen den Vorgesetzten oder den Verordnungen zu.

Der Teufel musste ihn reiten, dass er den ›Weißen‹ so anfuhr. Er wusste doch wahrhaftig, dass der Weiße scharf wie ein Rasiermesser wurde, wenn man ihn so anging. Nun stand er da und kaute an dem Brocken.

Michaelis legte zögernd die Kreide auf den Tisch. Die Pause war bereits lang genug, er musste sprechen. Er hatte Zeit gebraucht, um sich zu fangen und vor einem neuen heftigen Wort zu bewahren. Und er hatte sich die Zeit genommen, um sich zu erinnern, dass dieser Thomas Rotter ein außergewöhnlicher Schüler war. Hatte er sich doch schon mit vierzehn Jahren zäh durch Eis und Schnee gekämpft, bis eine Rettungsexpedition ihn und seinen Vater fand. Seine hervorragenden Fähigkeiten galten als unbestritten, aber sein herrisches, überlegenes Auftreten wurde von den meisten Berufskameraden verurteilt.

»Sie haben Recht, Rotter«, sagte der Professor behutsam. »Ich nehme an, dass Ihnen dieser Stoff bereits bekannt ist.«

Thomas Rotter neigt den Kopf etwas.

»Allerdings, Herr Professor. Trotzdem bitte ich jetzt um Entschuldigung.«

Michaelis lächelte gütig. Er wusste, dass er gewonnen hatte.

»Danke. Vielleicht beteiligen Sie sich dafür doch am Unterricht. Die anderen schlafen sonst ein.«

»Gern, aber - Sie baten mich einmal, Ihren Vortrag nicht dauernd mit abseitigen Fragen zu unterbrechen.«

»Ich vermute, dass dies heute das kleinere Übel sein dürfte. Außerdem hoffe ich, Ihnen Ihre Fragen beantworten zu können.«

»Wie Sie wünschen, Herr Professor.«

Thomas Rotter setzte sich wieder. Seine Mitschüler fühlen sich enttäuscht. Von dem, was noch kommen konnte, erhofften sie sich auf Grund ihrer Erfahrungen nicht mehr viel. Wenn der »Weiße« den Einfall hatte, sich mit einem Lehrer zu unterhalten, so gab das selten einen richtigen Spaß.

Professor Michaelis nahm seinen Vortrag wieder auf.

»Wir waren uns also darüber einig geworden, dass der Strom von der positiven Elektrode, dem Kupfer, zur negativen Elektrode, dem Zink, fließt. Dabei Rotter?«

Thomas Rotter drückt sich halb hoch. »Erlauben Sie eine Frage, Herr Professor. Sie erwähnten vorhin in einem anderen Zusammenhang, dass Elektronen vom negativen zum positiven Pol wandern. Müsste nicht der Strom vom Zink zum Kupfer fließen?«

»Das würde bei negativer Elektrizität zutreffen«, belehrte Michaelis. »In diesem Falle haben wir es jedoch mit positiver Elektrizität zu tun, die folgerichtig zum negativen Pol fließt.«

Rotter stellte sich aus der Bank heraus.

»Darf ich weiter fragen, wodurch sich negative und positive Elektrizität unterscheiden?«

»Durch die Art ihrer Ladung, Rotter. Negative Elektrizität ist mit Elektronen geladen, positive mit Protonen.«

»Demnach ist die Elektrizität eine neutrale Sache, die je nach ihrer Ladung positive oder negative Kraft erhält?«

»Gewiss.«

»Und wie unterscheiden sich Protonen von Elektronen?«

»Beide sind die kleinsten Teilchen der Elektrizität, aber die einen sind positiv geladen, die anderen dagegen negativ.«

»Wie können Protonen und Elektronen die kleinsten Teilchen der Elektrizität sein, nachdem wir eben festgestellt haben, dass die Elektrizität eine neutrale Sache ist, die erst durch die Art ihrer Ladung Kraft und Richtung erhält? Und wie können Protonen und Elektronen geladen sein, wenn sie selbst Ladung darstellen sollen?«

»Sie dürfen die Worte nicht so genau nehmen. Die Elektronen sind negative Kraftteilchen der Elektrizität, die Protonen positive.«

»Demnach gibt es zwei Arten von Elektrizität?«

»Gewiss, eine positive und eine negative.«

»Besitzen Sie sichere Beweise für diese Behauptung, Herr Professor?«

Michaelis schüttelt etwas unmutig den Kopf.

»Ich verstehe Sie nicht, Rotter. Wollen Sie wieder einmal bezweifeln, was unsere ganze Wissenschaft einhellig festgestellt hat?«

»Zweifelt man, wenn man eine Frage hat und darauf Antwort wünscht? Es ist doch nicht mein Fehler, Herr Professor, wenn eine Feststellung der Wissenschaft widerspruchsvoll ist und nicht befriedigt. Oder halten Sie wissenschaftliche Probleme für Angelegenheiten des Glaubens?«

»Nein, aber gerade auf dem Forschungsgebiet Elektrizität tappen wir noch sehr im Dunkel. Es wird noch lange dauern, bevor wir hier alles wissen.«

»Finden Sie das nicht auch sonderbar, Herr Professor?«

»Wieso sonderbar?«

»In der Welt arbeiten Tausende von Männern angestrengt an diesen Fragen und kommen trotzdem nicht recht voran. Die Natur kann aber unmöglich Geheimnisse besitzen, die sich auf die Dauer der menschlichen Erkenntnis entziehen.«

»Sie sind ein unbändiger Geist, Rotter. Aber vielleicht tragen Sie eines Tages selbst Ihren Teil zur Lösung solcher Geheimnisse bei.«

»Ich hoffe es. Auf jeden Fall werde ich mich nicht damit zufrieden geben, nicht einmal zu wissen, was diese Elektrizität ist.«

»Darüber würde ich mir die wenigsten Sorgen machen, Rotter. Wir wenden die Elektrizität ja schon lange vielseitig an, ohne die theoretische Grundlage voll geklärt zu haben.«

»Vielleicht begnügen wir uns mit dem Spatzen in der Hand und lassen die Taube fliegen?«

»Wie meinen Sie das nun wieder?«

»Ich vermute, dass eine gründliche Kenntnis und Einsicht zu ganz anderen Erfolgen führen wird als zu Glühbirnen und Elektromotoren. Und ich nehme an, dass manches Problem, an dem heute unsere Institute vergeblich arbeiten, mit der theoretischen Erkenntnis der Elektrizität seine Lösung finden wird.«

»Wollen Sie mir das erklären?«

»Gern. Wir zwingen heute die Elektrizität durch Kohle, Dampf und stürzendes Wasser in unseren Dienst. Wenn die Elektrizität aber eine Kraft ist, so muss es möglich sein, sie uns unmittelbar, also ohne zusätzliche Fremdkraft, dienstbar zu machen.«

»Hm, ein bemerkenswerter Gedanke.«

»Und zum ändern - da mühen wir uns zum Beispiel mit der Atomzertrümmerung. Ich verfolge die Institutsberichte sehr genau, Herr Professor. Was man da ausschießt, sind Elektronen und immer wieder Elektronen, wenn man sie auch verschieden bezeichnet. Wie nun, wenn diese Elektronen, Protonen, Neutrettos, Mezotronen, Ionen und Positronen nichts anderes sind als die Bestandteile der elektrischen Kraft, also keine echten Bestandteile eines materiellen Atoms? Dann gibt man sich unendliche Mühe, um das herauszuholen, was ein elektrischer Strom viel einfacher gibt. Und man greift etwas an, das mit dem Atom überhaupt nichts zu schaffen hat.

Professor Michaelis räusperte sich. Da stand dieser junge Mensch, der nicht mehr Kind und noch nicht Mann war, kühl in seiner hellen Blondheit, beherrscht in Stimme und Bewegung, und doch von einer leidenschaftlichen Kühnheit der Gedankenführung, die vor nichts zurückschreckte und alle gültigen Maßstäbe verwarf. Es war schwer, ihm etwas zu sagen.

»Sie stürmen den Himmel, Rotter«, murmelte Michaelis. »Ich beneide Sie darum. Aber vielleicht ist es nur Ihre Jugend, die Sie verführt, ins Maßlose zu greifen? In Ihrem Alter verliert man sich leicht im Überschwang.«

»Halten Sie mich für überschwänglich, Herr Professor?«

»Es gibt eine Begeisterung des Geistes, die stärker als jede Aufwallung des Gefühls ist. Mancher wird Sie für einen Phantasten halten. Aber das schadet wohl kaum etwas. Nichts lernt der Mensch sicherer kennen als seine Grenzen. Ich wünsche Ihnen...« Er zuckte zusammen. Draußen schrillte die Klingel. Die Mitschüler Rotters wurden schlagartig so unruhig, dass die feinen, herzlichen Untertöne dieses Zwiegesprächs verschwanden.

»Lassen wir es«, schloss Professor Michaelis nüchtern ab. »Wir unterhalten uns vielleicht gelegentlich noch einmal über das Thema.«

Wenige Wochen später verließ Thomas Rotter die Schule für immer.

Er war sechzehn Jahre alt.

*

Kilometerlange Kesselhäuser, weiß gekachelte Hallen mit leise summenden Generatoren, hölzerne Ungetüme von Kühltürmen, riesige Schlote, wirre Verschachtelung von Eisenkonstruktionen bis zum Schwindel erregenden Filigranwerk von Treppen und Leitern, endlose Silos, schlanke Rundtürme der Waschrohre, wüstes Gewirr von Rohren, Leitungen und Kabeln, mächtige Krane, hohe Kammern aus Eisenbeton, zahllose Schienenstränge, Ammoniakbirnen im stechenden Dunst, Glasröhren mit gluckerndem Benzin, platzende Kohlensäureblasen über kochendem Gips, ratternde Niethämmer, knallende Sicherheitsventile, brausender Arbeitslärm um unheimlich stille Prozesse in ragenden Hochdrucköfen...

Thomas Rotter lehnte an einem Eisenträger und blickte versonnen zu einer der Destilliersäulen hinauf, unbekümmert um alles, was um ihn herum geschah. Dr. Wolffram, der Leiter des Laboratoriums II, entdeckte ihn im Vorübergehen. Er blieb unwillkürlich stehen, schüttelte verwundert den Kopf und nahm Richtung auf seinen jüngsten Mitarbeiter.

»Rotter?«

Thomas Rotter drückte sich hastig vom Eisen ab. »Herr Doktor?«

»Was treiben Sie nach der Schicht noch hier?« erkundigte sich Wolffram freundlich. »Genügt es nicht, dass Sie acht Stunden lang Analysen gezogen haben?«

Thomas Rotter lächelte verlegen.

»Ich weiß nicht, Herr Doktor - es genügt aber wohl nicht, Analysen zu ziehen. Ich möchte das alles sehen - das Ganze!«

»Ach so? Hm - aber darüber wissen Sie doch Bescheid. Die Braunkohle wird staubfein gemahlen, mit Öl und Katalysator zur Paste gemischt und erhitzt. Im Hochdruckofen bringen wir sie auf zweihundert Atmosphären Druck und fünfhundert Grad Hitze, leiten zugleich Wasserstoff ein und erreichen dadurch die Spaltung der Kohlemoleküle und die Anlagerung des Wasserstoffs. Das entstehende Mittelöl verwandeln wir mit neuen Katalysatoren in Rohbenzin...«

»...destillieren und verdichten es und gewinnen so synthetisches Benzin«, vollendete Thomas Rotter gleichgültig. »Ich weiß, Herr Doktor, aber das meinte ich nicht. Ich grübelte über etwas anderem.«

Dr. Wolffram blickte über seine Brille hinweg forschend in das junge Gesicht.

»Nämlich, Rotter?«

Thomas Rotter deutete mit einer unbestimmten Bewegung über die Anlagen hin.

»Welchen Sinn hat das alles, Herr Doktor? Wozu diese Riesenanlagen? Warum hydrieren wir überhaupt?«

»Warum?«

Dr. Wolffram murmelte es nachdenklich, dann zuckte er mit den Achseln und sagte lebhaft:

»Wir brauchen eben Kraft, Rotter. In Deutschland gibt es nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen. Und diese Maschinen wollen genau so gespeist werden wie die Menschen. Wir müssen jährlich rund hundert Millionen Pferdestärken für unsere Maschinen auftreiben. Die Mehrzahl unserer Maschinen lebt direkt oder indirekt von Kohle und Benzin. Kohle hat beim Verbrennen einen Nutzeffekt von fünfzehn Prozent. Wenn wir sie hydrieren und in Benzin verwandeln, steigt der Nutzeffekt auf neunzig Prozent. Genügt Ihnen das?«

»Nein.«

»Nicht? Donnerwetter! Hm, ich verstehe. Sie denken an Naturbenzin. Das müssten wir aber einführen und bezahlen. Das dürfte Ihnen doch wirklich bekannt sein. Außerdem rechnet man damit, dass die Mehrzahl aller Ölquellen in der Welt nach fünfzig Jahren versiegt sein wird. Man muss also ohnehin versuchen, sich von ihnen unabhängig zu machen.«

»Und wie lange reicht unsere Kohle?«

Dr. Wolffram winkte ab.

»Darüber brauchen wir uns noch keine Sorgen zu machen. Wir fördern jährlich zwar über fünfhundert Millionen Tonnen, aber die Lager werden trotzdem rund dreihundert Jahre reichen.«

»Vorausgesetzt, dass unser Kraftbedarf nicht erheblich ansteigt, nicht wahr?«

»Hm, natürlich.«

Thomas griff drängender nach dem Problem. »Und wenn es geschieht, Herr Doktor? Wir haben vor fünfzig Jahren nicht zehn Millionen Pferdestärken jährlich gebraucht. Wenn wir nun in abermals fünfzig Jahren tausend Millionen Pferdestärken benötigen? Was dann?«

Dr. Wolffram lachte gutmütig.

»Tja, dann würden wir eben schon in hundert Jahren vor leeren Kohlenbunkern stehen.«

»Und was dann?«

Dr. Wolffram legte dem Jungen die Hand mit Nachdruck auf die Schulter.

»Nicht heiß werden, Rotter. Bis dahin wird man eine neue Kraftquelle gefunden haben.«

»Welche?« schoss Thomas Rotter vor.

»Wer kann das sagen? Vielleicht gelingt es doch, die im Atom gebundene Kraft nutzbar zu machen? Vielleicht kommt auch einmal der sagenhafte Sonnenmotor? Die Kraftvorräte der Erde scheinen sich ja mit Öl und Kohle zu erschöpfen, es kommt also nur noch eine dieser Energien in Frage, soweit unser heutiges Wissen reicht.«

Thomas Rotter reckte seine schmale Gestalt. »Danke, Herr Doktor. Das wollte ich wissen.«

Dr. Wolffram schüttelt wieder den Kopf.

»Bitte. Aber sagen Sie mir - was wollten Sie eigentlich wissen?«

»Dass wir Kohle hydrieren, um unseren Krafthunger zu stillen, dass sich unsere Kohlenlager in absehbarer Zeit erschöpfen werden, und dass dann eine neue Kraftquelle erschlossen sein muss.«

*

Südlich von Kairo dehnte sich die Baumpflanzung, über der die Luft in gläsern scheinenden Wellen zitterte. Das Wasser floss träge in den flachen Rinnen. Die weißen Gebäude der Zentrale, deren Konturen im Sonnenflimmer verschwammen, blendeten mit ihren glatten Flächen. Über ihnen standen im dünngliedrigen, stählernen Drehgerüst die fünf Parabolspiegel wie riesige Saugnäpfe. Fessal, der ägyptische Ingenieur, schob dem Besucher das Eisgetränk zu, bevor er die Frage beantwortete.

»Sie ist 1913 errichtet worden. Soviel ich weiß, hat es damals eine böse Enttäuschung gegeben. Sie hatten sich einen viel höheren Nutzeffekt versprochen.«

»Die Spiegel leisten fünfzig Pferdestärken?« fragte Thomas Rotter.

»So ist es«, bestätigte der Ingenieur höflich. »Sie sammeln das Sonnenlicht auf einen Dampfkessel, der eine Durchschnittsleistung von fünfzig Pferdestärken besitzt - sofern die Sonne scheint. Das ist freilich hier gewöhnlich der Fall.«

»Sie setzen also das Sonnenlicht unmittelbar in technisch nutzbare Kraft um?«

Fessal drehte sich eine neue Zigarette.

»Gewiss, Herr Rotter, man kann das wohl sagen. Aber der Nutzeffekt ist gering, sehr gering. Damals hat man gehofft, mit der Anlage auf etwa tausend Pferdestärken zu kommen. Die Sonnenwärme, die auf den Spiegelflächen liegt, müsste sich theoretisch sogar in fünfzehnhundert Pferdestärken umwandeln lassen. Stattdessen erhalten wir nur fünfzig.«

Thomas Rotter blickte durch das Fenster hindurch auf die stumpfen Unterseiten der gewölbten Spiegel. »Nicht einmal vier Prozent Nutzeffekt? Damit ist es - eine Spielerei. Die Zeißwerke sind schon viel weiter. Sie haben Parabolspiegel, mit denen sie bequem Metall schmelzen können.«

»Auch nur Spielerei«, lächelte der Ägypter dünn. »Alles ist Spielerei, was nicht wirtschaftlich arbeitet. Und Sonnenspiegel können überhaupt nur dort verwendet werden, wo die Sonne fast immer scheint.«

»Wenn das der einzige Fehler wäre...?«

Thomas Rotter schwieg eine Weile, dann spann er seinen Gedanken fort:

»Sie wollen mit diesen Spiegeln Wärme fangen und sammeln. Nun kommt von der Sonne aber überhaupt keine Wärme. Es ist physikalisch unmöglich. Die Sonne soll einhundertfünfzig Millionen Kilometer von der Erde entfernt stehen, zwischen Sonne und Erde soll sich ein leerer Raum mit zweihundertdreiundsiebzig Grad Kälte befinden. Unter diesen Bedingungen gibt es keinen Wärmetransport. Was da von der Sonne kommt, ist allenfalls Energie X, die sich erst auf der Erde in Wärme umwandelt. Die Wärme dürfte also nur eine Sekundärstrahlung sein. Vielleicht gibt sie nur einen Bruchteil der ursprünglichen Energie wieder? Vielleicht ist das Licht ein anderer Bruchteil? Und wenn die Wärme Sekundärstrahlung ist, so muss sie es an einem Widerstand, an einem Mittel werden. Vielleicht führen gerade diese Spiegel dazu, dass sich die Sekundärkräfte weitgehend wieder aufheben? Auf jeden Fall wäre es unwirtschaftlich, von der Gesamtenergie der Sonne nur den Bruchteil Wärme unzulänglich in Anspruch nehmen zu wollen. Man muss an die Energie selbst heran - ja, darauf kommt es an.«

Der Ägypter beugt sich vor. »Bitte?«

Thomas Rotter wischt mit der Hand weg.

»Ach - nichts. Ich sprach nur für mich selbst.«

II

Der Förderkorb fiel. Zehn Männer standen im Viereck unter der trüb leuchtenden Lampe. Staubgraue Schutzanzüge und runde Kappen gaben dem Bohrtrupp zwar äußerlich etwas von der Einheit, die sonst weder in den Gestalten noch in den Gesichtern lag. Ein Chinese, zwei Neger, zwei Weiße und fünf Mischlinge verschiedensten Blutes bildeten den Bohrtrupp Nummer zwei, und die meisten von ihnen wurden irgendwo in Polizeiakten geführt. Es waren nicht die Besten, die sich für die entlegene Stanehope-Mine anwerben ließen. Wände, Paternoster, Kabelstränge und Windführung glitten jenseits der Gitter aufwärts. Der Förderkorb verlangsamte die Fahrt, ruckte und hielt. Die hellen Lichter einer Maschinenanlage blendeten in die Augen.

»Raus!« knurrte Jefferson, der Vormann. Stumm drängten sich die Männer hinaus und in den nächsten Förderkorb hinein. Sie befanden sich tausend Meter unter dem Sonnenlicht. Zweitausend Meter waren es, als sie zum zweiten Male umstiegen, und als sie ihre Füße später auf eine offene Förderschale setzten, lagen bereits dreitausend Meter Erde über ihnen. Bis auf dreitausendeinhundert Meter reichte die Förderung, dann traten sie einzeln auf eine kleine Plattform hinaus und kletterten an Strickleitern zur Sohle hinunter, die auf fast dreitausendzweihundert Meter Tiefe stand.

Die Stanehope-Mine besaß den tiefsten Schacht der Welt, und es verging kein Tag, an dem er nicht um drei Meter tiefer wurde. Er galt als Versuchsschacht, aber niemand wusste, ob der Besitzer der Mine wertvolle Adern zu finden hoffte, oder ob das Carnegie-Institut die Unkosten einer bloßen Forschung zahlte.

Die Männer vom Bohrtrupp Nummer zwei griffen von Sprosse zu Sprosse abwärts. Vor ihnen war die stumpfe Schwärze des unregelmäßig anstehenden Felsens, hinter ihnen rundete sich der Schacht mit fast zehn Meter Durchmesser. Auf der Gegenseite ächzten die Paternoster unter den steinernen Lasten. Irgendwo stießen Wetterrohre und Kabel zur Sohle hinunter, die grellbeleuchtet in der Tiefe wartete. Die Luft presste sich dumpf, heiß und staubig in die Lungen.

Bohrtrupp eins wartete bereits auf die Ablösung. Mit wenigen mürrischen Worten wurden Bohrer, Sprengkapseln, Brecheisen und Hacken übergeben, dann zogen sich die abgearbeiteten Männer in die endlose Dunkelheit über den weiß glühenden Lampen hinein. Trupp zwei ging ans Werk.

Die graue Hölle - so nannten die Männer den Vortrieb des Schachts. Die Arbeit war nicht leicht. Siebenundfünfzig Grad Celsius rissen den Schweiß aus den Poren und machten die Muskeln mürbe und schlaff. Zugleich aber ließ der eisige Strom der Frischluft, die unter hohem Druck in die Tiefe gepresst wurde, die Körper erschauern. Die Männer standen unaufhörlich unter dem erbarmungslosen Wechsel von Hitze und Kälte, sie schwitzten vorn und froren auf dem Rücken - kein Wunder, dass sie von einer Hölle sprachen. Sie wurden hoch bezahlt, aber es gab nicht viele, die es länger als einige Wochen am Vortrieb ausgehalten hatten. Die Bohrer ratterten gegen Handgelenke und Stein. Die Sprengpatronen glitten in die kurzen Löcher hinein, die dünnen Zündkabel wurden zusammengeschaltet. Sprengung. Der Felsboden hob sich etwas und brach rissig auf. Die Männer des Bohrtrupps schwankten kaum und setzten die Eisen schon ein, bevor sich noch die Brocken wieder aneinandergefügt hatten.