Die AutorInnen lehren und forschen am Lehrstuhl Inklusion und Organisationsentwicklung an der Universität Potsdam.

Karsten Krauskopf, Dr. rer. nat., Dipl. Psych., Psychodrama-Therapeut (DAGG, DFP, FEPTO), wiss. Mitarbeiter.

Franziska Rogge, M. A. Erziehungswissenschaft, B. A. Soziologie, wiss. Mitarbeiterin.

Karin Salzberg-Ludwig, apl. Prof., Dr. habil., Dr. phil., Sonderpädagogin.

Michel Knigge, Prof., Dr. phil., Dipl. Psych.

Für die Durchführung von FiT-S außerdem lieferbar:

Karsten Krauskopf / Franziska Rogge / Karin Salzberg-Ludwig / Michel Knigge:Förderplanung im Team für die Sekundarstufe (FiT-S). 55 Planungskarten (Farbige Karten in 2 Formaten; ISBN: 978-3-497-02892-4)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02889-4 (Print)

ISBN 978-3-497-61242-0 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61243-7 (EPUB)

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München,unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

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Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1          Was ist FiT-S?

2          Wie kann Lernen in der Schule gelingen?

2.1      Lerntheorien interdisziplinär betrachtet

2.2      Spezifika des Lernens in der Sekundarstufe

2.3      Rahmenbedingungen und Beziehungssysteme einer Lernhandlung

2.3.1   Umwelteinflüsse und soziale Beziehungen

2.3.2   Individuelle Ebene

3          Wie kann Lernförderung im Team gelingen?

3.1      Kooperation von Lehrkräften in der Sekundarstufe

3.1.1   Barrieren

3.1.2   Gelingensbedingungen

3.2      Multiprofessionelle Kooperation in inklusiven Bildungssettings

3.2.1   Spezifische Barrieren

3.2.2   Gelingensbedingungen

4          FiT-S – Wir planen individuelle Fördermaßnahmen im Team

4.1      FiT-S vorbereiten

4.2      FiT-S durchführen

4.2.1   Erfassen der Ausgangssituation (Phase 1)

4.2.2   Analyse des aktuellen Lern- und Arbeitsverhaltens (Phase 2)

4.2.3   Strukturierung der Analyseergebnisse (Phase 3)

4.2.4   Entwicklung von Förderzielen und Maßnahmen (Phase 4)

4.2.5   Überprüfung der Förderziele und Maßnahmen (Phase 5)

4.3      FiT-S – Maßnahmen evaluieren

4.3.1   Einschätzungsbögen für Lehrkräfte

4.3.2   Maßnahmen im Schülergespräch reflektieren: Wie ist es dir ergangen?

4.4      FiT-S als Kurzversion

5          Fördermaßnahmen konkretisieren

5.1      Kooperative Verantwortung für Ziele und Maßnahmen sichern

5.2      Ideenbörse für Prävention und Intervention

5.2.1   Domänenspezifische Kompetenzen

5.2.2   Grundlegende fächerübergreifende Kompetenzen

5.2.3   Motivation

5.2.4   Handlungssteuerung

5.2.5   Soziale Beziehungen und Umwelteinflüsse

6          Ergebnisse der empirischen Erprobung von FiT-S

6.1      Durchführung

6.2      Datenaufbereitung

6.3      Ergebnisse

7          Fazit und Ausblick

Literatur

Sachverzeichnis

Kopiervorlagen zum Download

Die im Buch erwähnten Kopiervorlagen 1–4 können LeserInnen dieses Buchs auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags herunterladen:

www.reinhardt-verlag.de.

Für die Durchführung von FiT-S außerdem lieferbar:

Karsten Krauskopf / Franziska Rogge / Karin Salzberg-Ludwig / Michel Knigge:

Förderplanung im Team für die Sekundarstufe (FiT-S). 55 Planungskarten (Farbige Karten in 2 Formaten; ISBN: 978-3-497-02892-4)

Vorwort

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten Reformpädagoginnen und -pädagogen eine Schule für alle, die sich an den Bedürfnissen jedes einzelnen Kindes orientiert, in der lebensnah unterrichtet wird und welche die Schülerinnen und Schüler darin unterstützt, sich zu gesunden und sozial kompetenten Persönlichkeiten zu entwickeln. Im Mittelpunkt dieser Ideen steht die Akzeptanz und Würdigung der Einzigartigkeit jedes Individuums sowie eine Abkehr von der Annahme, Lernende könnten nur in – vermeintlich – homogenen Gruppen sinnvoll gefördert werden. Entsprechend ist die Abschaffung von Ausgrenzung und Selektion in der schulischen Bildung keine neue Forderung. Aber jetzt im 21. Jahrhundert wird diese Idee an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland und in vielen Ländern der Welt konsequenter denn je verfolgt. Unabhängig von ihren individuellen Lernvoraussetzungen sollen immer mehr Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einer Schule unterrichtet werden dürfen. Dies ermöglicht unter anderem eine wohnortnahe Beschulung und stärkt die Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen. Gleichzeitig können Diskriminierungen, von denen beispielsweise Menschen mit Behinderungen auf vielen Ebenen betroffen sein können, abgebaut werden. Die Heterogenität in den Schulklassen nimmt dadurch weiter zu. So darf die – auch vor diesen Entwicklungen – fragwürdige Glaubenssatzkombination, es könne wirklich homogene Lerngruppen geben und nur in diesen könne erfolgreich gelernt werden, nun endgültig aufgegeben werden. Die differenzielle Berücksichtigung der individuellen Lernausgangslagen spielt zunehmend eine übergeordnete Rolle. Hierin liegt eine große Möglichkeit, sich vom angeblichen Zwang zur Selektion in der Schule zu emanzipieren.

Diese – kaum genug wertzuschätzende – Chance bringt auch Verunsicherung mit sich. Selbst Lehrkräfte, die eine selektionsfreie Schule als Ort des Lernens und Zusammenlebens für alle befürworten, blicken mit Respekt und auch Sorge auf die ungewohnten Anforderungen sowie Herausforderungen, die mit der konkreten Umsetzung stärker individualisierter Lernumgebungen einhergehen. Es geht darum, Inhalte des Unterrichts didaktisch so aufzubereiten, dass der hochbegabte Schüler ebenso sinnerfüllt lernen kann wie das Kind, das erst dabei ist, die deutsche Sprache zu erlernen, oder jenes, dessen Fachkompetenzen weit entfernt vom durchschnittlichen Wissensstand der Klasse oder sogar des Rahmenlehrplans stehen.

Sicher ist, dass solch ein Unterfangen in der Zusammenarbeit von mehreren Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen professionellen Hintergründen deutlich bessere Chancen hat, erfolgreich zu sein. Doch stellt auch die Zusammenarbeit selbst in einer solchen komplexen Frage keinen Selbstläufer dar. Sie ist vielmehr eine eigene Herausforderung. Ansätze, die Struktur bieten und helfen, die zunächst überkomplex erscheinende Aufgabe zu reduzieren, können dabei unterstützen. Es ist hilfreich, viele Perspektiven und Kompetenzen einzubeziehen und Raum für soziale Unterstützungsprozesse zu schaffen.

FiT-S (Förderplanung im Team für die Sekundarstufe) ist ein einfach zu handhabendes Instrument, das genau das ermöglicht. In einer effizienten, aber dennoch in Bezug auf den Forschungsstand gut fundierten Vorgehensweise wird ein strukturierter Prozess im Team möglich, um differenzielle Lernausgangslagen einzelner Schülerinnen und Schüler zu erfassen und auf dieser Basis konkrete Förderziele und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Dieser Prozess kann in einer Doppelstunde (90 Minuten) beziehungsweise in einer Kurzform auch in einer Schulstunde (45 Minuten) pro Zielperson durchgeführt werden. Die Arbeit mit FiT-S ermöglicht also ein im Team abgestimmtes und fundiertes Vorgehen und verdeutlicht Problembereiche ebenso wie die Stärken der Schülerinnen und Schüler. Daraus resultiert ein gemeinsames, besseres Verständnis der Gesamtsituation, in der sich Lernende befinden.

Die Feststellung von individuellen Lernausgangslagen von Schülerinnen und Schülern ist ein zentraler Baustein, um den Mythos einer angeblichen Homogenität von Lernenden zu überwinden. So wie in den Grundschulen schon häufig gelebt, ist es auch in der Sekundarstufe unabdingbar, dass sich Lehrerteams bilden, die gemeinsam die Förderung und Unterstützung ihrer Schülerinnen und Schüler planen und umsetzen. Neben Wissen stehen dabei soziale und handlungssteuernde Kompetenzen im Fokus der Aufmerksamkeit. Für die Unterstützung von Lernenden in der Primarstufe stehen zahlreiche Konzepte zur individuellen Diagnostik und Förderung im schulischen Kontext zur Verfügung. Besonders erwähnen möchten wir das von Gerald Matthes an der Universität Potsdam entwickelte Konzept zur Diagnostik und Förderung, das die Idee in den Mittelpunkt stellt, zu erforschen, warum die Lernenden ihre inneren Kräfte nicht hinreichend entfalten und wie eine für sie positive Lernsituation geschaffen werden kann. Dieser Ansatz wurde von uns für den Sekundarstufenbereich aufgegriffen und in dem Konzept FiT-S weiterentwickelt. Handlungskompetenzen entstehen erst, wenn wir wissen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten bei den Schülerinnen und Schülern schon entwickelt sind und wie diese weiter ausgebaut werden können. Wir möchten mit FiT-S Lehrkräfte darin unterstützen, die Lernausgangslagen ihrer Schülerinnen und Schüler nicht isoliert, sondern in ihren Wirkzusammenhängen besser zu verstehen und so passgenaue und umsetzbare Ziele und Maßnahmen abzuleiten, die die Situation für alle Akteure in der Schule verbessern können.

Zusätzlich zu diesem Manual sind für die Durchführung von FiT-S 55 Planungskarten (Analysekarten und Strukturkarten) erforderlich, die als eigenes Produkt erworben werden können.

Im vorliegenden Manual, das die Analysekarten, Strukturkarten und Dokumentationsbögen (Kopiervorlagen im Online-Zusatzmaterial zu diesem Buch) begleitet, haben wir uns dafür entschieden, abwechselnd von der Schülerin oder dem Schüler zu sprechen. Da beim Lesen Bilder von möglichen Schülerinnen oder Schülern entstehen, ist es uns wichtig, dass wir die Leserinnen und Leser dafür sensibilisieren, dass alle Lernenden gleichermaßen individuell in ihrem Lern- und Arbeitsverhalten verstanden werden können. Wir möchten dazu ermuntern, nicht der Versuchung zu erliegen, „Abkürzungen“ über vermeintliche Geschlechterunterschiede zu nehmen, also bei Mädchen zum Beispiel grundsätzlich bessere Lesekompetenzen und bei Jungen auffälliges Verhalten anzunehmen.

Das diesem Manual zugrundeliegende Vorhaben wurde im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01JA1516 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Wie nutze ich dieses Buch?

Eilige, die bereits einen konkreten Schüler im Blick haben, können direkt zu Kapitel 4 „FiT-S – Wir planen individuelle Fördermaßnahmen im Team“ übergehen. Dort wird die Durchführung mit den Analysekarten und Strukturkarten schrittweise anhand eines realen, anonymisierten Beispiels erläutert. Im anschließenden Kapitel 5 „Fördermaßnahmen konkretisieren“ werden dann Wege zur Ableitung nächster Schritte aus den mit FiT-S erarbeiteten Zielen aufgezeigt. Weiterhin wird an dieser Stelle ein Überblick über bereits existierende Materialien für konkrete erste Maßnahmen gegeben.

Ein gutes Verfahren benötigt eine solide theoretische Basis und sollte in Forschungsergebnissen begründet sein. Ist es Ihnen wichtig, erst einmal einen Überblick zu bekommen, was die Grundlagen von FiT-S sind, dann lesen Sie chronologisch in Kapitel 2 „Wie kann Lernen in der Schule gelingen?“ und Kapitel 3 „Wie kann Lernförderung im Team gelingen?“ weiter und beginnen dann erst mit der Durchführung ab Kapitel 4.

Wenn Sie noch wenig Erfahrung in der gemeinsamen Planung individueller Fördermaßnahmen haben, empfehlen wir, dass Sie chronologisch weiterlesen. Sie erhalten dann auch einen kompakten Überblick über relevante Faktoren für erfolgreiches Lernen in der Sekundarstufe. Chronologisch weiterzulesen empfiehlt sich besonders für Quer- und Seiteneinsteiger, die sich eine Orientierung in der vielschichtigen Welt lehr-lernpsychologischer und allgemeindidaktischer Ansätze wünschen.

Zur Vertiefung der gewonnenen Erkenntnisse können auch die weiterführenden Hinweise in Kapitel 5 genutzt werden. Hier finden sich Anregungen für konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der geplanten Förderziele. Sie können auch als Wegweiser genutzt werden, um sich Informationen über bestimmte Lernschwierigkeiten, besondere Förderbedarfe oder auch medizinische Diagnosen zu beschaffen.

Potsdam, im Mai 2019,

Karsten Krauskopf, Franziska Rogge, Karin Salzberg-Ludwig, Michel Knigge

1      Was ist FiT-S?

FiT-S ist ein Verfahren zur Unterstützung und Förderung von Schülerinnen und Schülern, die Schwierigkeiten bei der Bewältigung schulischer Anforderungen haben. Das Verfahren zur Förderplanung im Team in der Sekundarstufe (FiT-S) besteht aus einem Kartenset, einem Leitfaden sowie Evaluationsbögen. Mit diesen Materialien können Lehr- und Fachkräfte an Schulen gemeinsam die Förderung von Schülern planen. FiT-S kann dabei unabhängig davon eingesetzt werden, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde oder nicht. Es eignet sich für die Unterstützung bei allen Formen von Lernschwierigkeiten.

Was beinhaltet FiT-S?

Den Kern des Verfahrens bilden zum einen Analysekarten, die zentrale Dimensionen für erfolgreiches Lernen in der Sekundarstufe vorgeben, sowie zum anderen Strukturkarten, mit denen Zusammenhänge abgebildet werden können. In einem moderierten Teamgespräch werden die Karten nach ihrer Relevanz für die jeweilige Schülerin sortiert und zueinander in Beziehung gesetzt. FiT-S benötigt keine inhaltliche Vorbereitung und kann in einer regulären Version (90 Minuten) oder einer Kurzversion (45 Minuten) durchgeführt werden. Gemeinsam werden drei konkrete Förderziele mit je einer ersten Maßnahme, beziehungsweise in der Kurzversion ein Förderziel mit zwei Maßnahmen abgeleitet, die innerhalb der kommenden sechs Wochen umgesetzt werden können. Die Kurzversion eignet sich insbesondere dann, wenn die Situation der Schüler durch ein ausführliches Förderplangespräch mit FiT-S in der Vergangenheit bekannt ist und lediglich aktualisiert werden soll oder wenn es sich um eine akute, kurzfristig notwendige Förderung handelt.

Wer kann FiT-S nutzen?

FiT-S kann von spontan gebildeten Gruppen oder bestehenden Teams aus Fach- und Klassenlehrkräften in frei gewählter Zusammensetzung genutzt werden. Gemeinsam mit Sonder- oder Sozialpädagoginnen, Integrationshelfern, Schulpsychologinnen und anderen pädagogischen oder auch therapeutischen Fachkräften (zum Beispiel Logo-, Ergo- oder Lerntherapeuten) planen sie Fördermaßnamen für einen konkreten Schüler, die sie in naher Zukunft umsetzen wollen. Auch Quer- und Seiteneinsteiger mit weniger Vorkenntnissen in Pädagogik und Didaktik können mit Hilfe von FiT-S gut einbezogen werden. Teams, die in der Arbeit mit FiT-S geübt sind, können überlegen, Eltern und die Schülerin selbst mit einzubeziehen. Ein Vorteil ist, dass FiT-S zu einer klaren Visualisierung am Ende des Planungsgesprächs führt und dieses Ergebnis einfach an Kollegen weitergegeben werden kann. Eine Förderplanung mit FiT-S kann von jeder Lehr- oder Fachkraft initiiert werden, der auffällt, dass eine Schülerin Schwierigkeiten beim Lernen hat.

BEISPIEL

Frau M. macht sich Sorgen um ihre Schülerin Marie. Diese meldet sich im Fachunterricht kaum noch, und wenn sie einmal aufgerufen wird, weiß sie nicht, was gerade behandelt wird. Meist kommt Marie nur nach vielen Hilfestellungen zu einer knappen Antwort. Frau M. spricht den Klassenlehrer Herrn N. an. Auch er sieht diese Probleme mit Marie in seinem Unterricht. Gemeinsam vereinbaren Sie einen Termin mit Frau K., der Sonderpädagogin der Schule, um zu überlegen, wie mit dem Lernverhalten von Marie umzugehen ist.

Wozu wird FiT-S eingesetzt?

Die Arbeit mit den Analysekarten von FiT-S unterstützt die gemeinsame Absprache von Lehr- und Fachkräften für die Förderung von Schülern im Regelunterricht. Das bedeutet, bereits während der Fallanalyse entsteht durch den Austausch konkreter Erfahrungen ein gemeinsames Verständnis für die Lernausgangslage eines Schülers. Der Austausch und die Planung werden durch die gemeinsame Orientierung an folgenden zentralen Dimensionen für das schulische Lernen in der Sekundarstufe strukturiert:

  domänenspezifische – also fachbezogene – Kompetenzen,

  grundlegende fächerübergreifende Kompetenzen,

  Motivation und

  Handlungssteuerung.

FiT-S leitet dazu an, die verschiedenen Einflussgrößen nach ihrer Relevanz zu sortieren und die wichtigsten Facetten für den konkreten Schüler mit Hilfe einer Visualisierung zueinander in Beziehung zu setzen. So entsteht ein Strukturbild, aus dem Ziele und erste Maßnahmen effektiv abgeleitet werden.

BEISPIEL

Frau M. und Herr N. kommen gemeinsam mit Frau K. in einem Raum zusammen, in dem sie ungestört sind. Herr L., der Schulsozialarbeiter, hat sich angeschlossen. Frau K. bietet an, das Gespräch zu moderieren und folgt der schrittweisen Anleitung von FiT-S. Sie beginnen mit einem kurzen Austausch darüber, welche Stärken und Schwächen Marie in der Schule zeigt. Es kommt Verschiedenes zusammen, aber es ergibt sich noch kein klares Bild, was genau Marie Schwierigkeiten beim Lernen bereitet und was ihr helfen könnte. Durch die nachfolgende Analyse mit Hilfe der FiT-S-Karten kristallisiert sich heraus, dass Marie Schwierigkeiten hat, flüssig und sinnentnehmend zu lesen. Dies ist insbesondere dann ein Problem, wenn um sie herum noch andere Aktivitäten stattfinden. Alle Beteiligten haben außerdem die Erfahrung gemacht, dass Marie fast nicht spricht, wenn man ihr Erklärungen und Hilfestellungen gibt. Herr L. spricht von einer Ausnahme, die er während der Nachmittagsbetreuung beobachtet hat. Hier hatte Marie einer Freundin sehr verständlich erklärt, was sie in einer Zeitschrift über die Organisation eines Musikfestivals gelesen hatte.

FiT-S kann dabei helfen, konkrete Problembereiche und Stärken unter Berücksichtigung von Rahmenbedingungen zu identifizieren, und so eine Grundlage für eine gezielte Förderung schaffen. Fertige Pauschallösungen kann es aber nicht bieten. Bei Schülern, die gravierende Störungsbilder aufweisen, kann FiT-S zusätzlich zu umfänglichen Unterstützungsmaßnahmen von Fachkräften das Team dabei unterstützen, gemeinsam konkrete nächste Schritte zu planen.

Wer profitiert von FiT-S?

Von FiT-S profitieren Lehrkräfte bei der Planung individueller Förderung vor allem dann, wenn Bereitschaft zur Teamarbeit besteht. Die Unterstützung durch die Analysekarten entlastet Lehrkräfte, da eine aufwändige Vorbereitung auf die Förderplanung in der Gruppe entfällt und die Zusammensetzung des Teams flexibel gehandhabt werden kann. Karten und Moderationsanleitung vermeiden, dass wichtige Aspekte übersehen werden oder Diskussionen ausufern. Von den abgeleiteten konkreten Förderzielen und gemeinsam abgestimmten Maßnahmen profitieren alle Schüler mit Lernschwierigkeiten. Die Lehrkräfte werden zudem durch klare und gemeinsam erarbeitete Zielvorgaben entlastet.

BEISPIEL

Aus der Visualisierung des Gesprächsergebnisses, der FiT-S Struktur, wird deutlich, dass Marie die vorgegebenen Texte nicht versteht und sich leicht ablenken lässt, vor allem wenn es darum geht, etwas zu lesen. Sie verliert dadurch schnell die Möglichkeit, dem Unterricht zu folgen. Scheinbar hat sich dieses Erleben über die gesamte Grundschulzeit bis jetzt – in die Sekundarstufe hinein – verfestigt. Inzwischen hat auch Maries Selbstwert gelitten, was in Gesprächen mit Maries Eltern bereits thematisiert wurde. Marie versucht scheinbar, weitere Misserfolge durch Schweigen zu vermeiden. Als wichtigstes Ziel wird hieraus abgeleitet, dass es für Marie einfacher werden soll, sich im Unterricht zu orientieren, Hilfestellungen besser anzunehmen und Erfolgserlebnisse zu haben, für die sie gelobt und bestätigt werden kann. Es wird vereinbart, dass Marie in den nächsten sechs Wochen Fachtexte erhält, die einen geringeren Schwierigkeitsgrad aufweisen. Die Sonderpädagogin wird zunächst einen Lesetest mit Marie durchführen, um ihr Leseniveau zu bestimmen, und adäquate Texte bereitstellen. Mit Marie wird vereinbart, dass sie diese Texte im Vorfeld erhalten kann. Die Sonderpädagogin Frau K. wird mit Marie Strategien zum Leseverstehen besprechen und in der Förderstunde, die für die Klasse zur Verfügung steht, üben. Diese Strategiehinweise erhalten auch die beteiligten Lehrkräfte als Materialvorlage. Für Rückmeldungen an Marie einigen sich die Beteiligten darauf, Marie kurze Pausen zu lassen, nachdem ihr konkrete Hinweise gegeben wurden. Herr L. wird in den nächsten zwei Wochen einen Vorschlag erarbeiten, wie Marie im Nachmittagsbereich kleine verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen kann, um ihr Ansehen in der Gruppe und damit ihre positive Selbstwahrnehmung zu stärken. Abschließend verabreden die Beteiligten, sich in sechs Wochen wieder zu treffen, um in einem kurzen Gespräch von 15 Minuten über die Erfahrungen mit der Umsetzung der besprochenen Maßnahmen zu sprechen. Dinge, die gut geklappt haben, sollen dann mit allen Kolleginnen, die in der Klasse unterrichten, durch die Klassenlehrerin Frau M. besprochen werden.

Was unterscheidet FiT-S von anderen Verfahren?

FiT-S unterscheidet sich von existierenden Verfahren in dreierlei Hinsicht:

1.  Es wurde spezifisch für die Sekundarstufe entwickelt und ermöglicht es, neben den allgemeinen Dimensionen der Lernhandlung (Motivation und Handlungssteuerung) auch domänenspezifische und fächerübergreifende Kompetenzen zu berücksichtigen, die zu Beginn der Sekundarstufe bereits beherrscht werden sollten. Dies unterscheidet FiT-S zum Beispiel von dem von Gerald Matthes entwickelten Verfahren zur Entwicklung von Förderkonzepten (Matthes 2018), das sich auf spezifische Lernhandlungen im Primarstufenbereich konzentriert.

2.  FiT-S ist ein Instrument zur konkreten Förderplanung unter der Vorgabe verschiedener Analysekategorien. Diese dienen, anders als bei diagnostischen Instrumenten (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, ICF, zum Beispiel Bölte 2009; Schuntermann 2009), nicht zur Feststellung einer medizinischen Diagnose oder eines gegebenenfalls schulrechtlich relevanten Förderstatus. Sondern sie helfen dabei, auch ohne spezielle diagnostische Vorkenntnisse der Teammitglieder, eine relevante, aber überschaubare Bandbreite individuell bedeutsamer Facetten für den Lernerfolg jeder Schülerin zu berücksichtigen. Dies erleichtert eine passgenaue, individuelle Förderung.

3.  FiT-S strukturiert zudem durch die Vorgabe relevanter Analysekategorien und die Moderationsanleitung den Prozess der gemeinsamen Förderplanung. Dabei stellt FiT-S einen Kompromiss zwischen zu engen inhaltlichen Vorgaben (diagnostische Verfahren) und der freien Sammlung inhaltlicher Aspekte (Kooperative Förderplanung Erstellung und Fortschreibung individueller Förderpläne, KEFF, Melzer 2014) dar.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass FiT-S sowohl ohne besondere Vorbereitung der Moderation als auch der inhaltlichen Dimensionen direkt einsetzbar ist und für beide Aspekte eine effiziente, ausreichende Strukturierung bietet.

2      Wie kann Lernen in der Schule gelingen?

In der Auseinandersetzung mit der Frage, wie Lernen in der Schule gelingen kann, ist es unumgänglich, Prozesse des Lernens im Allgemeinen und im Besonderen kurz zu umreißen. Von der etymologischen Grundbedeutung des Wortes „Lernen – wissend werden“ausgehend, steht zwar der Wissenserwerb im Zentrum der Lernhandlungen, dieser wird jedoch von zahlreichen internalen sowie externalen Faktoren beeinflusst.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, wie der Philosophie, Psychologie, Biologie, Kognitionswissenschaft und natürlich der Pädagogik, setzen sich mit diesen Faktoren in unterschiedlichen Zugängen näher auseinander. Die individuellen Erfolge jedes Lernenden im Rahmen institutionalisierter Bildung, wie der Schule, beeinflussen maßgeblich deren Lebensweg. Eine am Lernenden und seiner Entwicklung orientierte Pädagogik stellt den Versuch dar, dem Anspruch einer guten Schule zu genügen:

„Nur eine Pädagogik, die das Potential jedes Kindes gut auszuschöpfen vermag, verhilft den Kindern dazu, jene eigenständigen, kreativen und lernbereiten Individuen zu werden, die sich in dieser zunehmend vielseitigen, dynamischen und anforderungsreichen Gesellschaft der Zukunft erfolgreich behaupten können“ (Largo 2014, 26).