Der Autor
Dr. Rainar Nitzsche, geboren 1955 in Berlin, Schulzeit im Saarland, wohnt mit seinen Vogelspinnen in Kaiserslautern, wo er Biologie studierte und seine Diplom- und Doktorarbeit über das Paarungsverhalten der bei uns heimischen Brautgeschenkspinne Pisaura mirabilis verfasste. Er schreibt seit 1975 Gedichte, Kurzprosa, fantastische Romane sowie Sachbücher über Spinnen und hielt in den letzten Jahren Vorträge über Spinnen bei der DeArGe und der Pollichia. Als »Spiderman« besuchte er mit Vogelspinne und Exuvien im Gepäck Grundschulen und Hauptschulen und war bei Straßenfesten mit einem Stand dabei. Sein Unterricht begann stets mit der Frage aller Fragen: »Wer hat Angst vor Spinnen?« Und Erstaunliches geschah: Fast so viele Jungs wie Mädchen meldeten sich. Und wie erwartet war die Angst sehr unterschiedlich ausgeprägt, meist jedoch gar nicht so groß.
Zum Buch
Spinnen richtet sich an spinnenbegeisterte LeserInnen, aber auch an Arachnologen, die mehr über Mensch-Spinne-Beziehungen wissen wollen, die in Fachbüchern nicht beschrieben werden. Schwerpunkte des Titels sind die Angst vor Spinnen und ihre Gefährlichkeit für den Menschen, Sexualverhalten, Tarnung und Feinde, Beutespezialisten wie Ameisen- und Spinnenfresser sowie soziale Spinnen. Ergänzend werden die Rolle von Spinnen in der Bionik sowie das DNA-Barcoding zur Artidentifizierung dargestellt. Ein umfangreiches Verzeichnis von Fachbegriffen rundet das Buch ab.
Dank
Herzlichen Dank allen ArachnologInnen und Spinnenfreunden für ihre Beobachtungen und Forschungsergebnisse in diesem und den letzten Jahrhunderten.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Impressum
Rainar Nitzsche: Spinnen
Biologie - Mensch und Spinne, Angst und Giftigkeit
Computersatz: Dr. Rainar Nitzsche.
Fotos: Frontcover: Tarantel (Lycosa tarantula oder Verwandte), Titel: Krabbenspinne (Thomisus onustus).
Alle Fotos und Abbildungen sind von Rainar Nitzsche mit Ausnahme von: Otto von Helversen (S. →-→), Anton M. Kolnberger (S. →), Susanne Leidenroth (geb. Fiechtner) (S. →, →-→, →, →, →, →-→, →-→, →), Maria Sybilla Merian (S. →), Brigitte Schlegelmilch (S. →- →), Spinnenanatomie aus Wikipedia: Webspinnen, entnommen John Henry Comstock 1920 (S. →), Tarantula-Filmplakat US-Original 1955 von Reynold Brown entnommen Wikipedia, © 1955, Universal Pictures Co., Inc. (S. →), Jörg Wunderlich (S. →), Michael Zink (S. →).
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© 2018 Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 9783748169758
In Europa ist die Spinne in Literatur und Film sowie für viele Menschen ein Ekeltier und ein giftiges Wesen, das Angst auslöst, was zu einer Phobie führen kann. In außereuropäischen Kulturen hingegen kann die Spinne uns wohlgesonnen, ja sogar unser Schöpfer sein, jedoch auch ein Menschenfeind, gar ein Menschenfresser, wie folgende Beispiele zeigen:
Weltenschöpfer: In Mikronesien wird erzählt, wie die Alte Spinne (Old Spider) die Welt aus einer Muschel erschafft, doch erst die Junge Spinne (Young Spider) Himmel und Erde trennt. Gemeinsam erschaffen sie Sonne, Mond und Sterne sowie den Großen Baum, von dem alle Menschen abstammen.
Herkunft aus dem Himmelsland: In einer Erzählung der Inuit in Alaska schaut ein ins Himmelsland gewandertes Mädchen sehnsüchtig auf die Erde hinab. Ihre Gastgeberin hat Mitleid und flicht ein Seil, an dem sie sich mit geschlossenen Augen hinablässt. Bei Erdkontakt öffnet sie diese jedoch nicht sofort, wie ihr geraten wurde, und wird zur Spinne, von der alle irdischen Spinnen abstammen.
Feuergeschenk: In einer Erzählung der Cherokee stiehlt Großmutter Spinne für sie die Sonne und gibt ihnen das Feuer: Sie formt einen Tontopf, spinnt ein Netz bis zur anderen Seite der Welt, krabbelt daran hinüber, steckt die Sonne in den Topf und klettert wieder zurück.
Der Spinnenclan: In einer Erzählung der Hopi wird von der Entstehung des Spinnenclans berichtet und der Hilfe durch die Spinnenfrau:
Vor langer Zeit entdeckten die in der Unterwelt zunächst paradiesisch lebenden und dann gierig und feindselig untereinander gewordenen Menschen die Oberwelt. Eine Gruppe findet ein Spinnennetz über einem Bärenskelett und nennt sich fortan Spinnenclan. Eines Tages treffen sie auf eine Spinnenfrau, die sie als Kinder und Enkelkinder anspricht, also ihre mythischer Ahnin ist, und ihnen hilft schneller voranzukommen: Sie erschafft aus ihrem beim Baden abgespülten Schmutz ein Maultier und zusätzlich einen Menschen, der sich um dieses kümmert. Doch der stiehlt es ihnen. Eine andere Spinnenfrau verrät ihnen später, dass dieser ein Spanier ist, also einer von denen, die das Pferd nach Amerika brachten, jedoch die Indianer versklavten.
Spinnenseide für die Menschen: In vielen außereuropäischen Kulturen, die ihre eigenen Traditionen noch nicht verloren haben, steht die Spinne aufgrund ihres Spinnvermögens in hohem Ansehen, denn sie hat uns Menschen die Kunst des Webens beigebracht. So wird in einer indischen Erzählung vom Schöpfer zunächst der Fischer erschaffen, dem jedoch erst die nach ihm erschaffene Spinne zeigt, wie man Netze zum Fischfang verwendet. Auch lernen die Menschen von der Spinne, wie man Kleidung herstellt. Bei den Pima in Arizona ist sie sogar ein göttliches Wesen, das Himmel und Erde an den Rändern mit ihrem Gewebe verbindet und so die zuvor hin- und herschaukelnde Erde stabilisiert, was ihre Besiedlung erst möglich macht.
Gut gegen Böse: Die Spinne steht in vielen Erzählungen Helden gegen böse Mächte bei.
Trixter: In Afrika tritt der Spinnenmann Anansi (Ananse) als Trickster auf, der in seinem Handeln ganz Mensch ist, denn es geht um Lüge und Betrug.
Blutspinne und die Menstruation: In Indien sitzt die Spinne Makramal Kshattri so in ihrem zwischen Himmel und Erde gespannten Netz, dass vier Beine zum Himmel und die anderen vier zur Erde reichen. Sie wickelt die sieben Töchter des mythischen Königs Raja Indal einzeln in Seide ein und lässt sie zur Erde hinab. Doch sie spinnt noch einen weiteren Faden, durch den Blut in die Münder der Mädchen tropft und durch deren Körper fließt. Von dieser Zeit an haben Frauen ihre Monatsblutung.
Spinnenungeheuer: Bei den Zuni, Nachbarn der Hopi in Nordamerika, erzählt man sich von einem hässlichen in einer Höhle wohnenden Unhold namens Tarantel (wohl schon wegen seiner Größe eine Vogelspinne):
Tarantel wird von läutenden Glocken am Gürtel eines festlich gekleideten Häuptlingssohn alarmiert, erblickt die schöne Kleidung und will sie auch schon für sich haben. Also lauert er ihm am nächsten Tag auf und überredet ihn zum Kleidertausch, mit der Argumentation, dass der so erst sehen kann, wie gut er darin aussieht. Kaum getauscht, zieht sich Tarantel auch schon in seine Höhle zurück, und der Jüngling muss in schmutzigen Kleidern ins Dorf zurückkehren. Der von den Dorfbewohnern geschickte Greifvogel kann nichts ausrichten, doch die angerufenen Kriegsgötter geben dem Häuptlingssohn mit Magie versehene steinerne Reh- und Antilopen (?)-Miniaturen. Der Häuptlingssohn lockt den gefräßigen Tarantel mit den lebendig gewordenen Beutetieren aus der Höhle, die kaum gefangen wieder versteinern. Die Dorfbewohner versperren währenddessen den Höhleneingang und überwältigen ihn mit vereinten Kräften. Aus Furcht vor seiner Magie werfen sie ihn ins Feuer, der mit einem lauten Knall in zahllose Stücke zerbirst, die sich über die ganze Erde verteilen und zu kleinen Taranteln mit krummen Beinen werden, die zudem rückwärts gehen können. Bei dieser gewaltigen Tarantel handelt es sich also um ein mächtiges, verschlagenes und männliches Wesen, das heimtückisch in einem Hinterhalt lauert. Es wird sowohl durch Luftvibrationen als auch optisch auf Beute aufmerksam.
Männermordende Spinnenfrau: In den Mythen und Märchen der »Naturvölker« tauchen auch männermordende Spinnen auf. So erzählen die Pawnee in Nordamerika:
Eine Spinnenfrau lebte einst nordöstlich ihrer Dörfer, die jeden vorbeikommenden Jäger mit vergifteten Speisen tötete. Dann schnitt sie ihm den Kopf ab, entfernte das Gehirn und ließ es, wie auch die auf eine Schnur gezogenen Ohren, in der Sonne trock nen. Die verbliebenen Jäger mieden nun diesen Ort. Doch die Spinnenfrau holte sich jetzt ihre Opfer aus dem Dorf. Das höchste göttliche Wesen Tiramahatj, das alles sah, schickte aus Mitleid mit den Menschen die Söhne von Sonne und Mond zu Hilfe gegen die Spinnenfrau, die Kornsamen von Gott erhalten hatte und den Überfluss den Menschen geben sollte, diese aber als Vorrat für sich behielt. Nach Überwindung der von ihr geschickten Bären, Berglöwen und Klapperschlangen gelangen die beiden schließlich zu ihrem Haus in einem Tal jenseits eines dichten Waldes. Sie erbrechen die vergifteten Speisen - Menschenhirn und ein Kürbisgericht. Dann werden sie von ihr aufgefordert, mit ihr an einer steilen Böschung zu tanzen, und sie ruft mit ihrem Gesang einen Schneesturm herbei. Doch die beiden verwandeln sich in Schneevögel (eine Finkenart?). Jetzt fordern die beiden Knaben sie zum Tanz auf und lassen die Sonne auf sie niederbrennen, die keine Hitze verträgt. Die herbeigezauberten Heuschrecken tragen die Spinnenfrau auf den Mond, wo man sie bei Vollmond heute noch sehen kann. Die Brüder befreien nun die gefangengehaltenen Mädchen und nehmen die Samen (von Kürbissen!?) mit und verteilen sie unter den vier Stämmen der Pawnee.
Bernd Rieken meint hierzu u. a. in seinem Buch Arachne und ihre Schwestern, dem ich die Erzählungen entnommen habe, dass die Spinnenfrau eine Tochter des Mondes ist, die den Menschen Gutes tut, hier jedoch mit einer bösartigen Hexe verschmolzen ist und so den negativen Anteil des Mutter-Archetypus, den die Männer fürchten, darstellt.
Sagen und Märchen mit Spinnen finden sich in europäischen und außereuropäischen Kulturen. Am bekanntesten ist die Sage von der Verwandlung der lydischen Weberin Arachne durch Athene in eine Spinne (weitere Sagen finden sich bei Rieken und in meinen Spinnen-Spiegelungen in Menschen-Augen). Ein modernes Märchen, das Kinderbuch Die Biene Maja mit der bösen Kreuzspinne Thekla dürfte vielen bekannt sein.
Arachne
Der römische Schriftsteller Ovid (Publius Ovidius Naso) erzählt in seinen Metamorphosen um das Jahr 0, wie die ruhmreiche Weberin Arachne die Göttin Pallas Athene herausfordert:
»Sie soll mit mir wetteifern! Werde ich besiegt, werde ich mir alles gefallen lassen.« Pallas erscheint als alte Frau und rät ihr, den höchsten Ruhm nur unter den Sterblichen zu suchen und die Göttin um Verzeihung zu bitten. Arachne beharrt auf einem Wettkampf. Also gibt sich Pallas zu erkennen, und beide treten an zwei gegenüberstehenden Webstühlen gegeneinander an. Pallas stellt die um den Göttervater thronenden Götter dar, also auch sich selbst, und fügt in jede Ecke das Schicksal von Menschen hinzu, die sich mit Göttern anlegten. Zwei von ihnen wurden in Vögel, Kranich und weißer Storch, verwandelt. Arachne hingegen bildet die Schandtaten vom Göttervater und anderer männlicher Götter ab, die meist in Tiergestalt - als Delfin, Hengst, Satyr, Stier, Widder, als Adler, Schwan, Taube und als Schlange - Frauen verführten und schwängerten. Beide Gewebe sind perfekt. Doch Pallas entbrennt in Wut, weil eine Sterbliche ihr ebenbürtig ist, zerreißt Arachnes Gewebe und schlägt ihr mehrmals mit dem Weberschiffchen an die Stirn. Das erträgt Arachne nicht und hängt sich an einer Schlinge auf. Jetzt aber empfindet die Göttin Mitleid, stützt sie ab und spricht: »Bleib zwar am Leben, aber hänge, Vermessene!«, und fügt hinzu, dass dieser Fluch auch für ihre Nachfahren gelten soll. Im Weggehen besprengt sie Arachne mit Säften von Hekates Kraut, und deren Verwandlung beginnt: Ihr Haar verschwindet, Kopf und Körper schrumpfen, der Bauch schwillt gewaltig an, aus dem ein Faden tritt. Ab jetzt übt sie ihre Webkunst als Spinne aus. Die Metamorphose, Gestaltumwandlung von Mensch in Spinne ist erfolgt (ausführlicher in Die Spinne, herausgegeben von Hanne Kulessa).
Thekla und die Biene Maja
Im Buch Die Biene Maja von Waldemar Bonsels gerät Maja ins Radnetz der Kreuzspinne Thekla und wird von ihr in Seide eingewickelt. Doch ihr Freund, der Mistkäfer Kurt, befreit sie. In Folge 19 Maja und die Spinne Thekla der Zeichentrickserie begibt sich Maja als Geisel für einen Rüsselkäfer freiwillig ins Netz der Spinne Thekla. Die freut sich, denn eine Biene isst sie ohnehin lieber (an ihr ist ja auch mehr dran). Die Spinne willigt zunächst in den Tausch »Biene gegen Käfer ein«, hält aber ihr Wort nicht. Doch Heuschreckenfreund Flip springt durchs Radnetz, zerstört es so, schleudert die Spinne heraus und befreit Maja und den Rüsselkäfermann.
Immer wieder einmal hören wir von Erlebnissen, die fantastisch und kaum glaubhaft klingen und die dennoch absolut wahr sein sollen, weil sie die Freundin von einer Bekannten gehört hat, nein, die es nicht selbst erlebte, sondern wiederum von ihrer Nachbarin erfuhr, ja, deren Kusine es tatsächlich passiert ist (oder so ähnlich). Diese Geschichten nennt man »moderne Sagen«, da sie in der Gegenwart spielen und - nicht wahr sind.
Die Spinne in der Yucca-Palme: Eine solche Erzählung handelt davon, dass eine geschenkte Yucca-Palme beim Gießen quietschende Geräusche von sich gibt. Die Besitzerin ist beunruhigt und ruft Mitarbeiter einer Behörde zu Hilfe. Diese kommen in Schutzanzügen vorbei und nehmen die Pflanze mit. Abends teilen sie ihr telefonisch mit, dass eine ganze Tarantelfamilie in der Pflanze hauste und sie noch einmal Glück gehabt hätte. Es gibt mehrere Versionen dieser Geschichte, von denen Rolf Wilhelm Brednich im 70. Kapitel seines Buches Die Spinne in der Yucca-Palme berichtet. So kommen die Spinnen auch aus der Blumentopferde und beißen zu, bricht die Yucca-Palme knallend entzwei oder läuft der ganze Topf auf Spinnenbeinen los. Dem nicht so Leichtgläubigem stellt sich beim Anhören all dieser Stories natürlich sofort die berechtigte Frage, wie die Spinnen überhaupt in die Pflanze hineingekommen sind und wo sie denn da Platz gefunden haben. Beim Überprüfen dieser Pflanzen durch Firmenmitarbeiter wurden übrigens niemals Spinnen gefunden.
Spinnen krabbeln aus der Haut: Auch wird immer wieder erzählt, dass Spinnen ihre Eier in unsere Haut legen würden. Doch das können sie gar nicht, denn sie besitzen im Gegensatz zu Schlupfwespen keinen Legestachel und umspinnen ihre Eier mit Seide zu einem Kokon.
In Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne ist es kein Stachel, sondern der Kuss des Teufels, der eine Spinne in der Wange einer Frau wachsen lässt. Hier geht es um einen mit einem Wangenkuss besiegelten Teufelspakt: Hilfe gegen die Seele eines ungeborenen Kindes. Dieses wird getauft, der Teufel ist betrogen - und schwarze Spinnen brechen heraus und vergiften das Land.
Ein entsprechendes Ereignis präsentiert Rolf Brednich in seinem Buch unter dem Titel »Der Insektenstich«: Beim Urlaub in Afrika wird eine Frau von einem Insekt gestochen. Es entwickelt sich aus der Wunde ein Furunkel, das beim Drücken vor dem Spiegel aufplatzt. Eklige kleine schwarze Spinnen kriechen hervor.
Verschluckte Spinnen: Eine andere moderne Sage lautet: Jeder Mensch verschluckt im Laufe seines Lebens bis zu 10 Spinnen im Schlaf. Auch andere Zahlen werden genannt: 4 im Leben oder gar 8 bis 50 im Jahr.
Wer etwas nachdenkt, fragt sich da mit Recht, wer das wohl wie gemessen haben will, denn dazu müssten Testpersonen in ihren Schlafzimmern monate-, jahrelang oder gar ein ganzes Leben lang mit Kameras oder Spinnensensoren beobachtet werden, was technisch heutzutage natürlich möglich ist. Und warum sollten Spinnen, besonders die an trockene Umgebung angepassten bei uns im Haus vorkommenden Spinnen, die sich auf dem Boden oder an Fäden unter der Decke fortbewegen, überhaupt in unseren feuchten warmen Mund kriechen? Über die Bettdecke, unsere Arme, auch über unser Gesicht könnte natürlich einmal eine Spinne in der Nacht krabbeln, was wir vermutlich gar nicht bemerken würden.
Doch auf diese Argumentation hin hat der / die Ängstliche sofort eine Antwort parat: Die Spinnen müssen doch gar nicht auf uns herumlaufen. Die seilen sich einfach am Faden von der Decke ab und landen direkt in unseren Mund. Und schon haben wir sie verschluckt.
Tatsächlich können z. B. bei auf Weibchensuche befindlichen Zitterspinnenmännchen sich abseilen und könnten auf uns landen. So erzählte mir eine Biologiestudentin, dass dieses Erlebnis in ihrer Kindheit die Ursache für ihre Spinnenangst war.
Nehmen wir also einmal an, eine Spinne seilt sich ab und landet im offenen Mund des Schläfers, der dazu auf dem Rücken liegen muss und nicht schnarchen sollte, denn vor solch kräftigen Vibrationen und Luftschwingungen fliehen Spinnen. Was geschieht dann? Wohl dasselbe wie es tagsüber draußen geschehen mag und gelegentlich auch passiert. Hier können nicht nur fliegenden Insekten, sondern auch am Faden schwebende Spinnen (Altweibersommer) beim Laufen, Radfahren, Motorradfahren, Autofahren im Cabriolet durchaus in den Mund geraten. Sie werden dann in der Regel durch einen Reflex sofort ausgespuckt, könnten aber, wenn sie tiefer im Mund landen, auch verschluckt werden. Dann gelangen sie in den Magen und werden verdaut. Das dürfte keine schädlichen Auswirkungen haben.
Geraten Spinnen jedoch in die Luftröhre, tritt sofort der gar nicht angenehme Hustenreflex ein. Jedem von uns ist das sicherlich schon beim Essen passiert. Meist wird der Atemweg wieder frei, und wir schlucken den Übeltäter einfach herunter. Wenn nicht, muss sie entfernt werden. Auf jeden Fall dürften wir an einer winzigen Spinne nicht ersticken.
Spinne im Ohr: Auch im Ohr sollen sich schon Spinnen aufgehalten haben - und das nicht nur kurzfristig. So soll eine Frau davon Kopfschmerzen davon bekommen haben, dass ihr bei einer Motorradfahrt eine winzige Spinne ins Ohr geflogen wäre und dort ihr Netz gebaut hätte. Natürlich könnte eine kleine Spinne bei ihrem Fadenflug auch einmal in ein Menschenohr gelangen, wenn es doch sehr unwahrscheinlich ist. Wenn sie winzig genug ist und es ihr dort gefällt, könnte sie auch ein Netz bauen. Auch bei einer Chinesin soll eine Spinne einige Tage im Ohr gelebt haben. Der Spinnenforscher Peter Jäger nahm hierzu bei yahoo Stellung: »Wenn die Spinne einmal den Weg dahin gefunden hat, könnten theoretisch Milben im Ohr und vielleicht Ohrenschmalz als Futter dienen. Das ist nicht auszuschließen, mit solchen Geschichten sollte man jedoch vorsichtig sein.« Ich halte solch eine Ernährungsweise für sehr unwahrscheinlich (Nahrungsspektrum s. Kapitel Beutefang und Beutespektrum). Und warum sollte diese Spinne überhaupt etwas gefangen und gefressen haben. Denn wie jeder weiß, können Spinnen lange hungern. Und bekäme man überhaupt von so einem winzigen Ohrbewohner Kopfschmerzen?
Tödlich giftige Zitterspinnen: Auch unter Spinnenfachleuten kursieren Mythen, werden nicht nachgewiesene Eigenschaften für bare Münze genommen und weitererzählt. Im folgenden Fall bekenne auch ich mich schuldig. So sollen Zitterspinnen, im Englischen »daddy-longlegs spiders« genannt (auch Weberknechte werden als »daddy-longlegs« bezeichnet!), zu den giftigsten Spinnen gehören, jedoch mit ihren kleinen Cheliceren die menschliche Haut nicht durchdringen können, also für uns ungefährlich sein. Tatsache ist, dass sie sehr wohl mit ihren nur 0,25 mm großen Cheliceren durch unsere 0,1 mm dicke Haut beißen können, wie inzwischen getestet wurde. Das Resultat: ein mildes Brennen, das nur einige Sekunden lang anhielt (s. a. Kapitel Giftspinnen).
Weitere Informationen zur Rolle von Spinnen in unserer Kultur und bei Naturvölkern befinden sich in den Büchern von Lindemann und Zons (Hrsg. 1990), Droege und Petz (Hrsg, 2002), Rieken (2003), Nitzsche (2005) und Renner (2018). Neben Horrormeldungen gibt es auch Infos zu modernen Sagen im Internet.
Eine Spinne
grün und klein
krabbelt dir ins Ohr hinein.
Und wieder raus - aus!
Rainar Nitzsche
Phobien
Eine Phobie ist eine krankhafte, übersteigerte Angst bzw. Furcht, eine Angstneurose. Furcht bezieht sich im Unterschied zur Angst auf ein bestimmtes Objekt oder Subjekt. Im Alltag erfolgt diese Unterscheidung nicht, meist spricht man von Ängsten.
Viele Menschen haben Angst vor Spinnen. Sie leiden an einer Arachnophobie, sind arachnophob. Die noch heute weit verbreitete Ansicht ist, dass besonders Mädchen und Frauen so ängstlich sind, während Jungen und Männer natürlich kein Problem damit hat, auf die Schreckensrufe seiner Frau »Tu die Spinne weg!« zur Tat zu schreiten und die Spinne zu zertreten, zu erschlagen oder aber als Tierfreund sie einzufangen und nach draußen zu bringen. Doch auf meine erste Frage beim Spinnenunterricht in der Grundschule hin »Wer hat Angst vor Spinnen?« melden sich nicht nur Mädchen, sondern auch Jungs, die sich mehr oder weniger weit an eine lebende Vogelspinne heranwagen und Vogelspinnenhäute (Exuvien) zu berühren trauen. Und im Film Arachnophobia ist es nicht etwa eine Frau, sondern der Arzt, der seine Spinnenangst überwinden muss (s. Kapitel Filmspinnen).
Doch Spinnen sind nicht die einzigen Tiere, vor denen sich Menschen fürchten. Ängste vor Tieren werden Zoophobien genannt. Nicht verwunderlich erscheinen die Angst vor Bandwürmern (Taeniophobie, Teniophobie), vor Termiten (Isopterophobie), Läusen (Pediculophobie, Phtiriophobie), Motten (Mottephobie) und der Infektion durch Milben und Zecken (Acarophobie). Nachvollziehbar ist auch die Furcht vor Insektenstichen bzw. stechenden Insekten, besonders, wenn man schon einmal gestochen wurde. Hierzu zählt die Angst vor Wespen, die im Sommer an süßen Getränken und am Eis naschen wollen: Viele Erwachsene schlagen um sich, Kinder krümmen sich und laufen zur Mutti, die sie beschützen soll (Spheksophobie). Doch auch eine Angst vor Bienen (Apiphobie, Melissophobie) ist bekannt, deren Gift besonders bei Vorhandensein einer Allergie viel gefährlicher als das der Wespen ist. Auch vor Ameisen fürchten sich manche Menschen (Myrmecophobie). Einige Menschen ängstigen sich generell vor Insekten (Entomophobie, Insectophobie).
Übrigens kommen auch Phobien vor zahlreichen Wirbeltieren vor, wobei auch hier einige, wie die Angst vor Haien (Selachophobie), vor Schlangen (Ophidiophobie, Snakephobie), vor Hunden bzw. Tollwut (Canophobie, Cynophobie), verständlich sind. Manche Menschen fürchten sich jedoch auch vor Katzen (Ailurophobie, Aelurophobie, Elurophobie, Felinophobie, Galeophobie, Gatophobie), Pferden (Equinophobie, Hippophobie), Mäusen (Suriphobie) oder Vögeln (Ornithophobie). Lustig erscheinen dem Nichtbetroffenen hingegen die Angst »von Enten beobachtet zu werden« (Anatidaephobie) und die Angst vor Nacktmullen (Zemmiphobia).
Weitere Phobien vor bestimmten Tieren sind bekannt, doch kehren wir nun wieder zum Thema übersteigerte Angst vor Spinnen zurück, die eigentlich Araneophobie heißen müsste, denn Araneae heißt die Ordnung der Spinnen, Arachnida sind die Spinnentiere, zu denen allerdings auch die Spinnen gehören, s. Kapitel Verwandte und Ahnen).
Wer hat hier Angst vor wem?
Meistens laufen Spinnen vor uns weg und verstecken sich. Denn wir sind bedeutend größer als sie und somit potentielle Feinde. Wir könnten sie umbringen, und das geschieht oft genug durch Mitmenschen, die Angst vor den winzigen Krabblern haben (s. o.). Doch gibt es leider auch Menschen, die es einfach so aus Spaß machen, weil sie entweder Tierquäler sind oder einen Spinnenfreund bewusst ärgern wollen.
Nun ja, so ist unsere Welt. Vielleicht wird sie mit der Zeit ein wenig besser, denken die Optimisten unter uns. Ob sich dabei die Einstellung zu Spinnen ändern wird?
Spinnenangst - genetisch bedingt?
Psychologen bringen hier oft für den Zoologen sehr lustige Erklärungen. Folgt man ihnen, so müssten alle Menschen hier bei uns und im Rest der Welt Angst vor Spinnen haben. So meinte kürzlich ein Professor von der Universität Göttingen im Fernsehen (Spiegel TV) folgendes: Unsere nichtängstlichen Vorfahren wären von giftigen Spinnen und Schlangen gebissen worden und deshalb ausgestorben, die ängstlichen hätten sich fortgepflanzt, ihre Nachfahren wären wir. Und das würde bedeuten: Alle Menschen haben genetisch bedingt Angst vor Schlangen und Spinnen. Tödliche Schlangen begegnungen in unserer Urheimat Afrika kommen vor. Doch tödliche Giftspinnen gibt es dort nicht und gab es wohl auch nicht. Zudem kommen Bisse durch Spinnen so selten vor, dass dadurch wohl kaum ganze Menschenfamilien und Sippen ausgestorben sind.
Bei Mäusen wurde an der Universität München jetzt herausgefunden, dass ihre Angst zu 50% genetisch bedingt ist. Nach Entfernung eines Gens läuft die Maus zur Katze hin statt weg. Falls bei Menschen auch Gene eine Rolle bei Ängsten spielen, würde das bedeuten, dass manche von uns schon von Geburt an ängstlicher als andere sind. Doch unterscheiden sich Geschwister wirklich so voneinander, wenn einer von ihnen phobisch reagiert, der / die anderen aber nicht? Unterschiedliches Verhalten resultiert bei uns Menschen zum größten Teil aus Lernen.
Ekel und Angst - erlernt
Viele Menschen, nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene, empfinden Ekel vor Spinnen und haben Angst vor ihnen. Einer dieser Spinnenangsthasen ist übrigens der Schriftsteller Stephen King, wie er selbst zugibt.
Die Angst kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, wobei sie oft vor kleinen Spinnen mit dünnen Beinen und dem schnellen Krabbeln größer ist als vor den großen. Wie wir bereits gehört haben, wird die krankhafte Form der Spinnenangst Arachnophobie genannt. Menschen, die sie haben, sind arachnophob.
Ganz kleine Kinder haben übrigens noch keine Angst vor Spinnen. Sie ist also nicht angeboren. Wir erlernen sie mit dem Älterwerden, zunächst von Eltern und Geschwistern, dann von anderen Kindern im Kindergarten und in der Schule. Und so wird einem die Angst vor Spinnen anerzogen. Es gibt jedoch noch weitere Gründe für die sehr unterschiedlich starke Ausprägung der Angst vor Spinnen.
Ursachen der Spinnenangst
Ist ein Mensch seit Kindheit oder Jugend erst einmal arachnophob, dann hat er auch noch als Erwachsener Angst, wenn er nichts dagegen unternimmt.
Die tiefere Ursache für das Problem Spinne ist jedoch die Angst vor Kontrollverlust, die Überwindung des Fehlens der Privatsphäre in der Kindheit, wie wir bei Andreas Winter lesen können. Diese tiefverwurzelte Angst wird auf ein Objekt übertragen, z. B. die Spinne. Wir fühlen uns von Spinnen beobachtet, entdecken sie oft erst in der Wohnung, wenn sie schon längere Zeit dagewesen sind. Hinzu kommt die Erziehung. Unser Eltern haben uns vor abscheulichen Spinnen gewarnt, die nun plötzlich unerwartet bei uns zuhause, also in unserer unmittelbaren Umgebung, in unserer Wohnung, wo wir uns sicher fühlen, auftauchen. Und das geschieht dann auch noch nachts im Schlafzimmer, wo wir doch Tagwesen sind und schon deshalb die Dunkelheit fürchten. Hinzu mag bei Frauen ein schlechtes Gewissen kommen, weil sie die Wohnung nicht ordentlich geputzt haben, so dass sich Spinnen ansiedeln konnten: Da sind überall Spinnweben unter der Decke und in den Ecken.
Überwindung der Angst durch Psychotherapie
In Deutschland sollen 8,5% der Bevölkerung so große Angst haben, dass eine Therapie nötig ist, um sie wieder zu verlieren. Bewährt hat sich die Psychotherapie, die auf unterschiedliche Weise in verschiedenen Schritten auf den Patienten abgestimmt erfolgen kann.
In der 2011 in Deutschland ausgestrahlten Fernsehsendung NaturNah: Im Netz der Spinne - Achtbeiner erobern die Großstadt musste die Reporterin anhand einer lebenden Vogelspinne ihre Angst überwinden. Sie schaffte es. Die Vogelspinne saß schließlich auf ihrer Hand und – tat ihr nichts. Und doch hatte sie noch immer Angst, dass ihr die Spinne den Arm hochklettert.
Ein weiteres Beispiel für die stufenweise Behandlung brachte die Sendung Welt der Wunder am 25.5.16. In wöchentlichem Abstand wurde eine seit ihrer Kindheit von Spinnenangst befallene Frau vom Therapeuten immer näher an die Spinnen herangebracht und geheilt. Sie hatte ihn aufgesucht, um sich ihren Herzenswunsch - eine Reise nach Brasilien - zu erfüllen. Bei der ersten Sitzung wurde nur geredet: Es ging um die Klärung ihrer Ängste und die körperlichen (ein Kloß im Hals, Lähmung) und psychischen Symptome bei der Konfrontation. Sie zeichnete sie auch auf. Man erfuhr, dass sie sich schon in der Kindheit nur mit größter Überwindung und viel Licht in den Keller getraut hatte. Eine Woche später ging es um das Betrachten von Spinnenfotos an der Wand mit vorsichtiger Annäherung. Zugleich erhielt sie Informationen über die kunstvoll gesponnenen Netze und die Nützlichkeit der Spinnen durch die Erbeutung von Insekten. Als nächstes musste sie eine Kunststoffspinne auf die Hand nehmen. In der folgenden Sitzung wurde sie mit einer lebenden Zitterspinne (fälschlicherweise als Weberknecht bezeichnet) konfrontiert und es ging in den Keller, wo Gespinste an der Decke hingen. Eine Woche später musste sie sich vier Vogelspinnen in ihren Terrarien aus der Ferne anschauen und eine Spinnenhaut (Exuvie) auf die Hand nehmen. 6 Wochen später war sie in der Lage, eine Zitterspinne zuhause mit einem Glas einzufangen und außen auf das Fensterbrett zu befördern. Dann löste sie ihr Urlaubsticket.
Bei der Psychotherapie spielt auch die Tageszeit eine Rolle. Psychologinnen aus Saarbrücken stellten fest, dass Frauen in einem dreistündigen Seminar zwischen 8 und 11 Uhr besser therapiert werden können als zwischen 18-21 Uhr, was auf den höheren Cortisolspiegel morgens zurückgeführt wird, der Lernprozesse fördert. Sie überprüften die Erfolge nach einer Woche und nach drei Monaten, wobei die Testperson einen Raum mit einer Hauswinkelspinne in einer Plastikdose am anderen Ende betreten, den Deckel öffnen, die Spinne herausnehmen und auf die Hand nehmen musste.
Ein besserer Umgang mit der Angst wird durch eine Behandlung erreicht, in der der Arachnophobiker gar nicht merkt, dass ihm Spinnenbilder gezeigt werden, da dies jeweils nur einige Millisekunden lang geschieht. Er nimmt die Spinnen jedoch unterbewusst wahr. Dies ist der erste Schritt vor der bewussten Konfrontation mit Spinnenfilmen, Kunstspinnen und echten Spinnen.
Konfrontationstherapie
Die einfachste, kürzeste und brutalste Therapie ist die direkte Konfrontation mit dem Angstauslöser, seien es enge Räume oder Spinnen. Die Erfolgsquote ist hoch. Doch die Frage ist natürlich, wie viele Angsthasen da freiwillig mitmachen?
Virtual Reality contra Spinnenangst
Bei dieser Behandlungsform sind ein am Kopf befestigtes Display (HMD), ein internes Verfolgungssystem sowie Kopfhörer und Mikrofon zur Kommunikation nötig. Der Phobiker taucht mit diesem Headset in eine künstliche Welt ein und wird dabei auf verschiedenen Levels mit Spinnen konfrontiert. Ziel des Programms ist es, die Arachnophobie zu reduzieren. Schritt für Schritt bewegt er sich durch unterschiedliche Szenarien mit einer oder mehreren Spinnen und lernt mit seiner Angst umzugehen. Mit jeder Konfrontation gewöhnt er sich immer mehr an Spinnen, und so verringert sich seine Angst. Mit der Zeit löst sich die Verbindung von Reiz und Reaktion und die Phobie verschwindet. Kommt es zu einem Rückfall, kann der Phobiker jederzeit zu einem leichteren Level zurückkehren und so lange darauf bleiben, bis er seine Angst kontrolliert und sich für eine höhere Anforderung gewappnet fühlt.
Die virtuelle Therapie lässt sich mit der herkömmlichen Verhaltenstherapie kombinieren, in der der Proband sich immer mehr einer echten Vogelspinne nähert, sie schließlich berührt und sogar auf die Hand nimmt.
1997 führte Carlin mit seinen Mitarbeitern erfolgreich die Heilung der Spinnenphobie bei einem Patienten durch, der 20 Jahre daran litt. Sie kombinierten Virtual Reality mit taktilen Reizen: Erst sah der Proband Vogelspinnen und Schwarze Witwen in der Kunstwelt, dann betastete er zugleich eine Spielzeugspinne mit den Händen, wodurch die Wahrnehmung verstärkt wurde. Nach 12 einstündigen Sitzungen war er geheilt: Er konnte im Wald campen und Spinnen im Haus ohne Angst begegnen, und so blieb es auch nach einem Jahr.
Betablocker gegen die Angst
In der Pharmazeutischen Umschau online und der Apotheken Umschau 3/16 findet sich ein Artikel über eine im Fachmagazin Biological Psychiatry veröffentlichte Untersuchung an der Universität Amsterdam mit dem Einsatz des Betablockers Propanolol als neue schnelle Therapie zur Überwindung der Arachnophobie. Der Wirkstoff schwächt die Erinnerung an die Furcht im Gehirn. Und so lief der Versuch ab: Jedem der 30 Probanden wurde zwei Minuten lang eine Spinne gezeigt. Anschließend erhielten 15 der Testpersonen den Betablocker, die anderen 15 ein Placebo, also ein Scheinmedikament ohne Wirkstoffe. Weitere 15 Patienten erhielten den Betablocker, ohne mit der Spinne konfrontiert worden zu sein. Das Ergebnis war, dass sich diejenigen, die die Spinne gesehen und das Medikament bekommen hatten, Spinnen nähern konnten, ein Effekt, der ein Jahr und länger anhielt. Es war, als ob den Patienten die Angst herausoperiert worden wäre. Wenn sich die Wirksamkeit des Betablockers in größeren Studien bestätigt, ließe sich hiermit die Behandlung von Phobien gegenüber den üblichen lang dauernden Verhaltenstherapien drastisch verkürzen.
Supermarkt-Spinnenhorror
In den Medien sieht, hört und liest man immer wieder von tödlich giftigen Bananenspinnen aus Südamerika, die mit Obst in unsere Supermärkte gelangen. Das kam früher durchaus öfter vor. So wurden im Hamburger Hafen Spinnen am Obst gefunden. Hier führe ich nun einige Beispiele aus der heutigen Zeit an:
2011 wurde ein großer Markt im Saarland für einige Tage geschlossen, denn niemand sollte von der Spinne im Obst gebissen werden. Kammerjäger rückten an. Sie fanden keine Spinne. So konnte nicht festgestellt werden, ob es eine für uns gefährlich giftige Art war.
Im Oktober 2013 wurde in einem Supermarkt in Kornwestheim ein Azubi beim Auspacken der Bananen von einer zwischen ihnen sitzenden Spinne in die Hand gebissen. Die Wunde schwoll an, und der junge Mann wurde ins Krankenhaus gebracht, was nicht heißen muss, dass für ihn Lebensgefahr bestand. Die Spinne wurde von der in Schutzkleidung anrückenden Feuerwehr mit einer Wärmebildkamera gesucht und nicht gefunden, was bei einem wechselwarmem Tier nicht verwunderlich ist. Schädlingsbekämpfer fingen sie schließlich ein und gaben sie zur Bestimmung weiter. Versteht sich, dass in den Medien über die tödlich giftige »Bananenspinne« berichtet wurde, bevor die Spinne bestimmt worden war. Schließlich befand sie sich zwischen Bananen und biss zu. Wie sich dann herausstellte, handelte es sich nicht um eine für uns Menschen gefährliche Art der Gattung Phoneutria, sondern um eine »Erdwolfspinne«, also eine für uns harmlose Wolfspinnenart. Die gleichnamige heimische Art Trochosa terricola kommt in Südamerika allerdings nicht vor, jedoch verwandte Arten.
Mutprobe Spinne im Mund
Gelegentlich wollen Heranwachsende ihren Kumpels und natürlich ihren Freundinnen imponieren, ihnen zeigen, was für Kerle sie doch sind, so nach dem Motto: »Schaut mal alle her, die große (Spinne) nehm’ ich auf die Hand und die kleine in den Mund.« Dann ist der Angeber still, einen Augenblick lang, muss er ja auch, denn er hat eine Spinne im Mund, mit der es sich schlecht sprechen lässt. Und schon schreit er auf, spuckt die Spinne aus, die ihm in die Zunge gebissen hat. Und ab geht’s ins Krankenhaus, denn die Zunge schwillt an und Erstickungsgefahr droht. Und das ist wirklich schon passiert und sollte keinesfalls nachgemacht werden.
Ebenfalls als Mutprobe, jedoch mit Belohnung, gab es diese Aufgabe für Erwachsene, Kandidaten bei der Sendung von RTL: Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! Am 17.01.14 bekamen sie auf einer Couch liegend eine »Wasserspinne« in den Mund gesetzt. Hierbei handelte es sich nicht um unsere europäische unter Wasser lebende Art, sondern um eine australische am Wasser lebende Fishing spider aus der Familie der Pisauridae. Wer sie 30 Sekunden im Mund behielt, bekam einen Stern. In der 2. Prüfung musste der Mund geschlossen sein, die Spinne also komplett in den Mund genommen werden. 20 Sekunden genügten. Am 24.01.14 gab es wieder Spinnenhorror: Aufgabe der Spiderwoman Larissa, die im Spinnenkostüm am Hebekran hing, war es, in Kooperation mit Kranführer Mola Punkte mit einem Ring am Radspinnennetz zu erzielen. Das Netz war künstlich, horizontal auf der Erde ausgespannt und bestand aus Stricken und Kupferdrähten mit Sternchen am Ende. Beim Anstoßen bekam nicht sie, sondern er einen Stromschlag sowie von Zeit zu Zeit Melasse und Mehlwürmer plus Schaben übergeschüttet. Nach diversen Stromschlägen hatte Spiderman die Schnauze voll und gab auf. Also gab es keine Punkte und somit kein Essen für die Gruppe. Übrigens trug die Spinnenfrau ein schwarzes Spinnenkostüm mit schwarzer Mütze, sechs Stoffbeinen plus zwei pelzigen Menschenarmen. Denn wie jeder weiß, haben Spinnen acht Beine. Vergessen wurden am Anzug die beiden Pedipalpen. Da hätten die Menschenarme hineingehört, weil Spinnen diese wie Hände gebrauchen. Auch auf youtube findet man Spinne-im-Mund-Szenen. Meist sind es jedoch Scherze mit Gummispinnen.
Arachnophile - Spinnenfreunde
Ja, es gibt Menschen, die finden Spinnen hübsch und lieben sie vielleicht schon deshalb, weil sie abgesehen von klopfend balzenden Vogelspinnenmännchen so still und als Haustiere in Terrarien äußerst pflegeleicht sind. Sie leben mit ihren Hausspinnen in ihrer Wohnung zusammen, halten sie in Terrarien oder lassen vielleicht sogar eine große Seidenspinne (Nephila-Art) ihr Netz frei in der Küche spinnen. Einige von ihnen nehmen ihre Spinne sogar auf die Hand und sind fest davon überzeugt: »Meine Spinne kennt und – liebt mich.« Andere lassen einheimische Spinnen über ihre Hand laufen. Und wundert sich jemand oder schaut gar entsetzt, dann sagen sie immer wieder nur den einen Satz, den wir alle von Hundehaltern kennen und der da lautet: »Die tut doch nichts!«
Die meisten Menschen haben keine übertriebene Angst vor Spinnen, lieben sie aber auch nicht, sind also weder arachnophob noch arachnophil. So wurde eine Kandidatin bei Wer wird Millionär? am 3.2.18 vorgestellt, denn Spinnen ziehen immer. Erstaunlicherweise hat sie nach eigener Aussage Angst vor Tieren - so sind Katzen ihrer Meinung nach bösartig -, jedoch nicht vor Spinnen. Die findet sie alllerdings auch nicht süß.
In einer Reihe von Büchern und Filmen der Sparten Abenteuer, Fantasy und Horror töten oder betäuben Spinnen ihre Beute mit einem Stachel. Ein Beispiel dafür ist die riesige Kankra im »Herrn der Ringe« von Tolkien, die allerdings keine echte Spinne, sondern ein spinnenartiges Wesen ist.
Die Realität sieht anders aus: Im Gegensatz zu Bienen, Hummeln, Wespen, Schlupfwespen besitzen Spinnen keinen Stachel. Am Ende des Hinterleibs befinden sich ihre Spinnwarzen, mit denen sie ihre Seide abgeben. Bei den Gliederspinnen der Familie Liphistiidae liegen die Spinnwarzen weiter vorne, sie besitzen jedoch ebenfalls keinen Stachel am Hinterleibsende. Auch haben Spinnen keinen Stechapparat vorne im Mundbereich, wie wir ihn von Mücken und Bremsen kennen. Spinnen beißen mit ihren Giftklauen vorne am Körper. Beim Biss einer großen Vogelspinne in unsere Haut sind deutlich zwei Einstichstellen zu erkennen, wie wir es von Schlangenbissen und von Dracula und den Vampiren in Romanen und Filmen her kennen.
Womit beißen Spinnen?
Spinnen besitzen als erstes Gliedmaßenpaar ein Paar Kieferklauen, Cheliceren genannt. Jede Chelicere besteht aus einem Grundglied und einer Klaue. Das Grundglied sitzt am Körper an. Die Klaue wird in Ruhe in eine Rinne eingeklappt, die bei den meisten Spinnenarten mit Zähnchen besetzt ist. Jede Klaue besitzt kurz vor dem Ende eine seitliche Öffnung, aus der Gift in die Wunde fließt. Vor dem Zubeißen werden die Klauen ausgeklappt. Um beim Biss zappelnde noch nicht vom Gift betäubte Beute festhalten zu können, sind die Beugemuskeln äußerst kräftig entwickelt.
Bei Vogelspinnen und ihren Verwandten sind die Cheliceren mächtig groß, stehen nach vorne, und die Klauen werden von oben nach unten bewegt. Das nennt man orthognath. Bei den meisten heute lebenden Spinnenarten sind die Cheliceren viel kleiner und werden von beiden Seiten zangenartig aufeinander zu eingeschlagen. Sie sind labidognath. Da Vogelspinnen als primitiv galten, war es naheliegend anzunehmen, dass die orthognathe Chelicerenstellung die ursprüngliche und weniger effektive ist. Dagegen spricht, dass die Cheliceren einiger alten Spinnen (z. B. Mesothelae) eine Zwischenstellung einnehmen. Sie sind plagiognath. Dies ist die ursprüngliche Stellung, von der die orthognathe und die labidognathe abgeleitet sind, wie wir bei Foelix (2011) lesen können.
Wen beißen Spinnen warum?
Spinnen fangen lebende Beute. Sie beißen sie, um sie an ihrer Flucht zu hindern. Spinnen halten ihre Opfer mit den Cheliceren fest und betäuben oder töten sie mit ihrem Gift. Durch den Gifteinsatz wird die Gegenwehr und somit die Verletzungsgefahr durch strampelnde Beutetiere verringert. Vogelspinnen strecken zudem ihre Beine und stehen aufrecht auf dem Boden, um zu verhindern, dass ihre Beute Halt findet. Vogelspinnen und Raubspinnen der Familie Pisauridae umspinnen oder Überspinnen anschließend ihre bewegungslose Beute. Das wird »post-immobilisation wrapping« genannt, also Umspinnen der unbeweglichen oder toten Beute.
Zahlreiche Spinnenarten fangen ihre Beute mit ihrer Spinnenseide in Netzen und wickeln sie mit den Hinterbeinen in Seide ein, umspinnen sie rasend schnell durch Umkreisen, wickeln sie mit ihren langen Hinterbeinen aus der Entfernung ein oder spucken klebrige Sekrete auf sie. Erst nach dem Einspinnen beißen sie zu und fressen ihre Opfer an Ort und Stelle oder bringen sie zunächst in ihren Schlupfwinkel, um sie dort in Ruhe zu verspeisen. Diese Art der Seidenverwendung nennt man »immobilisation wrapping«: Durch Seide wird die Beute unbeweglich gemacht.
Zur Verteidigung beißen Spinnen ebenfalls zu, wenn sie nicht fliehen und sich nicht verstecken können. In diesen Fällen werden auch wir Menschen gebissen, denn als Beute sind wir viel zu groß. Die Bisse können recht schmerzhaft und bei einigen wenigen Arten auch für uns lebensgefährlich sein.
Nicht alle Spinnen beißen uns
Kleine Spinnenarten und junge Spinnen haben nur kleine Giftklauen, die nicht in unsere Haut eindringen können. Sie können uns nichts tun. Im Unterschied dazu haben große Vogelspinnen lange Klauen an ihren Cheliceren. Die meisten Arten dieser Familie besitzen für uns schwach wirkende Gifte. Zudem geben sie oft nur wenig Gift oder gar kein Gift zu ihrer Verteidigung ab. Sie müssen sparsam haushalten, denn es dauert einige Zeit, bis sie es nachproduziert haben, in erster Linie dient es zum Töten der Beute. Solch ein Verteidigungsbiss ist alledings recht schmerzhaft. Dabei gelangen auch Bakterien in die Haut, obwohl sich Spinnen immer ordentlich putzen, also sehr reinliche Tiere sind. Deshalb sollte die Wunde mit einem Antiseptikum (Jod) behandelt werden, das es in jeder Apotheke frei verkäuflich gibt.
Die meisten Spinnen haben Giftdrüsen. Sie befinden sich bei den Vogelspinnen und ihren Verwandten in den Cheliceren. Bei allen anderen Spinnen nehmen sie einen großen Teil des Vorderkörpers ein.
Kräuselradnetzspinnen (Familie Uloboridae), die ihre Beute fangen, indem sie diese mit Seide umwickeln, besitzen keine Giftdrüsen. Die Behauptung, dass die als ursprünglich geltenden Gliederspinnen der Familie Liphistiidae kein Gift hätten, ist falsch, denn 2010 entdeckten Schweizer Forscher bei ihnen Drüsen in den Cheliceren, die Gift produzieren dürften. Auch bei den winzigen Spinnen der Familie Holarchaeidae wurden bisher keine Giftdrüsen entdeckt.
Gift von Anfang an
Heute wird angenommen, dass bereits die ersten Spinnenarten im Karbon Gift zum Überwältigen ihrer Beute benutzten. Durch das Nervengift (Neurotoxin) wird diese unbeweglich gemacht, damit sie nicht entfliehen und sich nicht mehr wehren kann. Auch die Vorfahren der heutigen Kräuselradnetzspinnen benutzten einst Gift, bildeten im Lauf der Evolution ihre Giftdrüsen jedoch zurück und können sich heute ganz auf ihre Seide zum Überwältigen der Beute verlassen.
Giftfunktionen
Das beim Beutefang mit den Chelicerenklauen injizierte Gift lähmt die Beute, macht sie unbeweglich, tötet sie meist, doch nicht immer.