Schuler, Thomas
Die Mohns
Vom Provinzbuchhändler zum Weltkonzern: Die Familie hinter Bertelsmann
www.campus.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2004. Campus Verlag GmbH
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
E-Book ISBN: 978-3-593-40373-1
|5|Für Juanita
Eines Tages stand ein Vertreter des Buchclubs am Gartenzaun. Der Herr trug einen Anzug und hielt eine Mappe unterm Arm. Was er sagte, machte mich stolz. Er beglückwünschte mich zu einem Malwettbewerb meiner Schulklasse. Ich hätte einen Preis gewonnen: ein Malheft – und die Mitgliedschaft im Buchclub von Bertelsmann. Ich war baff. Ich war damals ein Knirps im Grundschulalter und es war das erste Mal, dass ich etwas gewonnen hatte. Dass der Vertreter eine Masche anwandte, störte mich nicht. Ich hatte gewonnen – und wollte meinen Gewinn in Empfang nehmen. Meine Eltern durchschauten den Trick, aber ich setzte mich durch. Ein Jahr lang bestellten meine Eltern Abenteuerbücher und Romane, ein Gesundheitslexikon und Gartenratgeber. Nach einem Jahr hatten wir alle wichtigen Garten und Gesundheitsbücher im Schrank – und meine Eltern traten wieder aus. Meine Sympathie für Bertelsmann war dennoch groß damals.
Später, als Journalist, empfand ich eine Mischung aus Respekt und distanzierter Bewunderung für Bertelsmann und den Eigentümer des Konzerns: Reinhard Mohn. Er hatte aus einem Familienunternehmen ein Weltunternehmen gemacht und ist der letzte noch lebende Vertreter einer ganzen Generation von Nachkriegsgründern in Deutschland. Die Geschichte seiner Aufbauleistung und Medienmacht ist ein Stück Nachkriegsgeschichte. Reinhard Mohn hat immer wieder Grenzen überschritten. Er griff Trends auf und setzte sie um, ehe andere nur daran dachten. Als »aufgeklärter Kapitalist« wurde er bezeichnet. Er belohnte Mitarbeiter besser als die Konkurrenz, erklärte Betriebsräte zu Partnern und nahm damit den Gewerkschaften im eigenen Unternehmen |12|Macht. Noch nie gab es einen Streik bei Bertelsmann. Früher als andere hob er die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf. Er motivierte seine Mitarbeiter, indem er sie zu Unternehmern machte, und er profitierte davon. Bertelsmann wächst jedes Jahr etwa um die Größe des Burda-Verlags. Seine Gründungen und Übernahmen haben die Verlagswelt revolutioniert und die Medienlandschaft kommerzialisiert.
Den »erfolgreichsten Unternehmer der Bundesrepublik« nannte ihn der Publizist Günter Gaus 1986. Die Wochenzeitung Die Zeit erklärte ihn wegen seiner Art der Unternehmensführung 1998 zum »Unternehmer des Jahrhunderts«. Er wäre der reichste Deutsche, hätte er seinen Konzern nicht seiner Stiftung überschrieben. So belegt er »nur« die Nummer fünf der Rangliste. Doch anders als Berlusconi, Kirch oder Murdoch ist er einer breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben. »Der stille Mensch aus Gütersloh« nannte der NDR eine Dokumentation über ihn. Seine Bekanntheit ist ihm allerdings nicht sonderlich wichtig, solange seine Produkte konsumiert werden.
Mit dem Unternehmen Bertelsmann verhält es sich kaum anders. Hinter dem Namen vermuten viele noch immer den Buchclub. Dabei ist Bertelsmann längst zu einem Medienhaus der Superlative gewachsen, mit einer Vielzahl eigener Medientöchter: Random House ist der größte Buchverlag der Welt, der John Grisham, Toni Morrison, Daniel Goldhagen, Richard von Weizsäcker, Michael Gorbatschow und Bill Clinton, aber auch Boris Becker, Dieter Bohlen und Daniel Küblböck verlegt. RTL ist der größte Fernsehkonzern Europas und hat in Deutschland Verona Feldbusch und Günter Jauch unter Vertrag und sendet »Big Brother« und »Deutschland sucht den Superstar«. BMG ist einer der größten Musikproduzenten der Welt, der Musik von Udo Jürgens, Luciano Pavarotti und Britney Spears verkauft. Gruner + Jahr ist das größte Zeitschriftenhaus Europas mit dem Magazin Stern als Flaggschiff; seit dem Tod von Rudolf Augstein hat Gruner + Jahr aber auch ein Veto bei wichtigen Entscheidungen beim Konkurrenten Der Spiegel. Arvato ist das größte Druckhaus Europas, das in Deutschland die meisten Bücher und fast jedes Handy ausliefert, die Bahncard und |13|das Vielfliegerprogramm der Lufthansa betreut. Die Bertelsmann Stiftung schließlich ist die größte operative Stiftung Deutschlands, die Einfluss nimmt auf viele Felder der Politik.
Mehr noch als die Größe bewunderte ich die offene Gesprächskultur. Journalisten bekommen stets das Gefühl, es gebe keine Tabus. Doch enden Gespräche regelmäßig, sobald man Fragen über die Familie Mohn stellt. Die Mohns sprechen gerne über Bertelsmann, aber was sie selbst betrifft, sind sie weit weniger offen. Liz und Reinhard Mohn lancieren sehr einseitige Selbstdarstellungen, auch wenn es Dinge betrifft, die mit der Kultur, der Glaubwürdigkeit und dem Erbe ihres Unternehmens oder ihrer gemeinnützigen Stiftung zu tun haben.
Beide haben über ihr Leben schreiben lassen. 2001 legte Liz Mohn ihre Autobiografie vor; Reinhard Mohn gab unter anderem für das Firmenjubiläum 1985 sowie einer von Bertelsmann auf öffentlichen Druck hin eingesetzten Historikerkommission 1999 und 2000 Auskunft über sein Leben. Beide Darstellungen werfen etwa so viele Fragen auf, wie sie beantworten. Da Liz und Reinhard Mohn auf meine wiederholte Bitte um Interviews für dieses Buch nicht eingingen beziehungsweise die Bitte grundsätzlich ablehnten, konnte ich sie zu widersprüchlichen Darstellungen nicht befragen.
Trotz dieser Absagen erhielt ich Zugang zur Familie und konnte zahlreiche Gespräche führen. Vor allem die offenen Gespräche mit Reinhards Schulfreund Gustav Ehlert, Mohns erster Frau Magdalene und dem jüngsten Sohn Andreas gaben mir Einblick in über 50 Jahre des Lebens von Reinhard Mohn und seiner Familie. Ehlert und die Mohns sind sich bis heute verbunden, seine Tochter heiratete Mohns Sohn Johannes.
Um über die Mohns schreiben zu können, muss man Bertelsmann kennen: Seit den neunziger Jahren habe ich das Unternehmen Bertelsmann verfolgt, zunächst als Medienredakteur der Süddeutschen Zeitung in München, dann als deren freier Korrespondent in New York, ab 1998 schließlich als Medienredakteur der Berliner Zeitung, die Bertelsmann gehörte, sowie als Medienkolumnist der Zeit. Ich habe die letzten Jahre der Ära Mark Wössner, die Ära Thomas Middelhoff |14|und den Aufstieg von Liz Mohn verfolgt und zahlreiche öffentliche Auftritte von Liz und Reinhard Mohn besucht. Ereignisse aus dem Unternehmen und der Familie habe ich mit einer Vielzahl von Mitarbeitern von Bertelsmann und Beobachtern besprochen. Seit Mitte der neunziger Jahre verfolgte ich die Idee zu einem Buch über Bertelsmann. Jetzt ist es ein Buch über die Mohns geworden. Denn je mehr ich mich mit dem Unternehmen beschäftigte, desto deutlicher wurde, dass man Bertelsmann nur verstehen kann, wenn man die Mohns versteht. Nach Reinhard Mohns Ankündigungen, den Einfluss der Familie weiter zu stärken, ist die Zukunft von Bertelsmann heute mehr denn je mit der Zukunft der Familie Mohn verknüpft.
Als Reinhard Mohn sich am 12. Dezember 2000 mit den vier Historikern, die Vorwürfe zur Unternehmensgeschichte im Dritten Reich klären sollten, in Gütersloh zu einem Interview traf, fragte Norbert Frei den Eigentümer von Bertelsmann, wie er denn künftig mit der Geschichte des Hauses umzugehen gedenke. Mohn wich aus und begründete ausführlich, warum er sich wenig für die Vergangenheit interessiere: Er sei ein Mann, der sich immerzu Gedanken über die Probleme der Zukunft mache. Darauf habe er sein Unternehmen ausgerichtet und deshalb habe er eine Stiftung gegründet, die sich um Probleme der Gesellschaft kümmert. Frei wandte ein, auch ein auf die Zukunft ausgerichtetes Unternehmen, gerade wenn es mit Kommunikation zu tun habe, »sollte ein historisches Gedächtnis haben«.
Reinhard Mohn erwiderte: »Jetzt will ich Ihnen einmal sehr persönlich darauf antworten. Ich werde natürlich von allen Seiten gefragt, wann und wer meine Biografie schreibt. Und ich habe gesagt: Die wird nicht geschrieben.« Jüngst sei eine Besuchergruppe aus Kuwait, für deren Scheichtum Bertelsmann ein Kommunikationszentrum errichtet, hier gewesen. Mit fünf Kameras wollten die Besucher das Entstehen des Zentrums begleiten. »Da fragten sie mich in ihrem Interview: Was möchten Sie, woran die Leute sich später mal von Ihnen erinnern sollen? Ich sagte: Das brauchen sie nicht. … Ich habe so viel Glanz und Gloria-Bemühungen beobachtet bei Menschen, bei Politikern, bei Schauspielern oder bei Unternehmern, dass mir diese Selbstdarstellung |15|von Grund auf zuwider ist.« Norbert Frei antwortete, er fühle sich »völlig falsch verstanden«. Aber so oder so ähnlich lautet die Antwort, die Mohn stets auf die Frage nach seiner Biografie gibt.
Für Mohn ist die Antwort ein Stück Unternehmenspolitik. Seine Botschaft ist eine positive: In einer Branche, die vom Personenkult lebt, übt ausgerechnet der Mann Bescheidenheit, der eines der einflussreichsten Medienunternehmen der Welt kontrolliert. Es würde ihn ein beiläufiges Nicken kosten, und zahlreiche Medien würden ihn auf ihre Titelseiten heben und ihn zur besten Sendezeit befragen. Aber der Mann, der so viel Medienmacht besitzt wie sonst keiner in Deutschland, lehnt den Medienrummel ab. Eigentlich ein schöner Gedanke und ein angenehmer Gegensatz zu Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch. Es suggeriert, dass die Medien nicht nur von geheimen Deals, Geldgier und von Macht, sondern auch von sozialer Verantwortung und Großzügigkeit geprägt werden. Doch ganz so einfach ist das nicht.
Dank seiner Stiftung, die heute Eigentümerin des Konzerns ist, verfügt Reinhard Mohn über ein enges Netz zu Politikern aller wichtigen Parteien und versammelt sie an einem Tisch. Man könnte den Eindruck gewinnen, als seien Stiftungssymposien Ausschüsse des Parlaments. Hinter den Kulissen macht die Bertelsmann Stiftung Politik zu vielen Themen in Deutschland und Europa.
Doch dieser Konzern wird von Reinhard Mohn und seiner Familie letztlich auf absolute Art beherrscht. Nach Einrichtung der Stiftung hält die Familie zwar nicht einmal 20 Prozent des Kapitals, doch bestimmt sie ganz alleine, was damit geschieht. Allein diese Machtfülle legt es nahe, sich näher mit den Mohns zu beschäftigen.
Wer ist der Mann, der diesen Konzern über 50 Jahre lang geführt und zu einem Weltunternehmen gemacht hat? Wer ist die Familie, die dieses riesige Medienimperium erben wird? Ein Blick auf die Mohns und ihr Unternehmen erlaubt einen Blick auf die Medienmacht, die uns auf subtile Art beherrscht, und auf die Mediengesellschaft, in der wir leben. Worin besteht die Macht von Bertelsmann und wie wird sie erhalten und weitergegeben? Was bedeutet Macht im Medienzeitalter und wie funktioniert sie?
|16|Von Reinhard Mohn sind keine Antworten zu erwarten. Er hat sich stets geweigert, eine Autobiografie zu schreiben. Als er dem Historiker Norbert Frei sagte, niemand solle sich an ihn erinnern, antwortete Frei, dass Mohn darüber nicht zu bestimmen habe. »Die fragen Sie ja nicht, ob Sie was erinnert haben wollen. Das haben Sie ja nicht in Ihrer Macht.«
|17|1. »Wirf dein Anliegen auf den Herrn«
Die Gründerfamilie Bertelsmann
Bei Bertelsmann wurde das Andenken an den Verlagsgründer Carl Bertelsmann stets auf vielfältige Weise gepflegt. Heinrich Mohn, der Vater von Reinhard Mohn, hat noch 100 Jahre nach dem Tod des Gründers wichtige Dokumente mit dem Namen Carl Bertelsmann unterschrieben: Dazu gehörten Verträge mit Autoren, Zeugnisse für Mitarbeiter, aber auch das Dokument, mit dem er 1947 den britischen Besatzungsbehörden mitteilte, dass er sich aus seiner Firma zurückziehen werde.
Der Ururenkel des Gründers, Reinhard Mohn, hat im Untergeschoss der Hauptverwaltung, die in der Carl-Bertelsmann-Straße in Gütersloh residiert, ein so genanntes »Traditionszimmer« mit Möbeln aus dem Elternhaus und anderen Erinnerungsgegenständen einrichten lassen. In letzter Zeit scheint die Traditionspflege für ihn an Bedeutung zu gewinnen. Bei wichtigen Interviews setzt er sich in diesem Zimmer an den Tisch, an dem einst seine Vorväter saßen, so beispielsweise im Anschluss an die Pressekonferenz, bei der er 1999 verkündete, dass er sein Unternehmen an seine Stiftung überschreiben werde. Gerne führt die Öffentlichkeitsabteilung des Konzerns Besuchergruppen aus den Vereinigten Staaten oder aus Japan in das kleine holzgetäfelte Zimmer, wo die Geschichte der Eigentümerfamilie sie in ehrfürchtiges Staunen versetzt.
Lampen und Leuchten werfen gedämpftes Licht auf einen Kachelofen, einen Schrank und eine Essecke. In die Holztäfelung sind Sprüche geschnitzt: »Gott nit vergiss. Ein froher Gast ist niemals Last!«, »Was Gott will erquicken, kann niemand erdrücken« oder »Dein Leid nit |18|klag. An Gott nit zag. Er hilft all Tag.« Reinhard und seine Geschwister sind mit dem Blick auf diese Lebensweisheiten aufgewachsen. Im Esszimmer des Elternhauses haben sie jeden Tag beim Tischgebet darauf geblickt.
Auf einem schweren Tisch liegen zwei Fotoalben mit alten Schwarz-Weiß-Bildern, in denen die Besucher blättern können. An den Wänden zeigen Fotografien und Ölbilder die Konterfeis von Bertelsmanns und Mohns. Letztere stellen allein 24 Porträts in dieser Ahnengalerie, die bis Agnes und Heinrich Mohn reicht, den Eltern von Reinhard Mohn.
Inmitten all dieser Bilder und Fotos fehlt ausgerechnet Carl Bertelsmann. Erhalten ist nur der Balken seiner Steindruckerei, in den er seinen Leitspruch schnitzen ließ und der den Keller der Hauptverwaltung ziert. Im Gästekasino nebenan hängen Gemälde von seinen Nachfolgern Heinrich Bertelsmann und Johannes Mohn. Wer waren diese Gründer, die das Unternehmen durch die ersten 100 Jahre geführt haben?
»Schwarzbrod und Freiheit«
Dass Carl Bertelsmann einmal großen wirtschaftlichen Erfolg haben würde, war nicht vorhersehbar, obwohl die Familie durchaus in kaufmännischer Tradition stand. Carl Bertelsmann stammte aus einer Kaufmannsfamilie, die aus beruflichen Gründen und der unruhigen Zeiten wegen häufig den Wohnsitz wechselte. Die Wurzeln der Familie lassen sich bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen. Über die Herkunft ihres Namens gibt es unterschiedliche Versionen: Nahe Osnabrück gab es einen Bauernhof namens »Bartelsmann«. Auf diesem Hof soll die erste Kirche der Umgebung gestanden haben und der Patron dieser Kirche soll der Heilige Bartholomäus gewesen sein. Heinrich Mohn erwähnte lediglich diese eine Version in seiner Gedenkschrift über Carl Bertelsmann – sie hat dem strenggläubigen Mann wohl gut gefallen. Eine andere Version erwähnte der Historiker Dirk Bavendamm in der Familienchronik, die zum 150-jährigen Bestehen von Bertelsmann erschien|19|: Ihm zufolge geht der Name auf das sächsische »Berthold« zurück zu einer Zeit, als das Elbe-Weser-Dreieck das Kernland Sachsens war. Die Bertelsmanns seien Bauern gewesen, ehe sie die Landwirtschaft aufgaben und Handelskaufleute nahe Bielefeld wurden.
Der Vater von Carl Bertelsmann, Johann Friedrich (1757–1793), trat etwa 1775, also im Alter von 18 Jahren, als Kaufmann und Bierbrauer in Gütersloh auf. In seiner Betätigung als Bierbrauer mag eine gewisse Ironie liegen – seine strenggläubigen Nachfahren haben den Alkohol später nämlich strikt abgelehnt. Sie sollten später lieber eine Zeitung einstellen, als Anzeigen für Bierfeste zu drucken. Carl Bertelsmann wurde am 11. Oktober 1791 in Gütersloh geboren. Er war das jüngste von sechs Kindern. Er war noch keine zwei Jahre alt, da stand seine Mutter Friederike Luise mit den Kindern allein. Denn bereits im Alter von 35 Jahren starb der Vater Johann Friedrich Bertelsmann.
Die Familie blieb in Gütersloh. Die Mutter hatte große Mühe, die Familie zu ernähren. Carl Bertelsmann wuchs in Armut auf. Von der Mutter, vermutet Heinrich Mohn, seien ihm »Kräfte des Tragens und Widerstandes wider alle Nöte des Lebens zugeflossen«. Friederike Bertelsmann war eine zähe Frau, die schon früh schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste. Denn auch ihr Vater war früh gestorben. Und ihre Mutter verlor im Jahre 1775 ihren ganzen Besitz, als »in einer Nacht eine große Schar Räuber mit geschwärzten Gesichtern das Haus« überfiel, wie Heinrich Mohn in seiner Gedenkschrift schreibt. Die Schar »brach ohne Mühe ein und überwältigte und knebelte die hilflose Frau jämmerlich … die Strolche schleppten alles bewegliche Eigentum fort und raubten sie so gründlich aus, dass der Armen nicht einmal ein Kesselchen geblieben war, um am Morgen Kaffee zu kochen. Sogar der goldene Trauring wurde genommen: Ihn riss einer der Räuber, da er sehr fest anschloss, mit den Zähnen vom Finger. – So ging der Wohlstand der Witwe in einer Nacht verloren.«
Zu Carls Kindheit bestand Westfalen aus weit auseinander liegenden Einzelhöfen. Geschlossene Siedlungen waren die Ausnahme. Gütersloh war ein kleiner Ort mit rund 300 eng zusammengerückten Häusern. Man könne sich die Wohnverhältnisse »kaum primitiv genug denken«, |20|schrieb später Heinrich Mohn über das Leben seines Urgroßvaters. Fünf Sechstel aller Wohnhäuser hätten 1800 noch keine Schornsteine gehabt. »Die Dorfstraßen waren sämtlich noch ungepflastert, erst recht natürlich die Verbindungswege zu den Nachbarorten.« Der Bau der ersten festen Straße von Bielefeld nach Lippstadt wurde erst 1817 begonnen. Trotzdem wurde von Gütersloh aus rege mit Garn gehandelt, das man bis nach Berlin oder Holland verkaufte.
Aus Carl Bertelsmanns Kindheit und Schulzeit ist nichts überliefert. Der Bruder Fritz starb 1812 im Alter von 18 Jahren auf Napoleons Russlandfeldzug. Seine Schwester Friederike galt als kunstfertig und unterhielt bis zu ihrer Heirat eine Näh- und Strickschule. Die jüngste Schwester Lotte half der Mutter im Haushalt. Carl Bertelsmann lernte wie sein elf Jahre älterer Bruder Arnold das Buchbinderhandwerk. Dann fand er eine Stelle als Sekretär bei dem von der Besatzungsmacht Frankreich eingesetzten Bürgermeister Lehmann. So erhielt er frühzeitig Kunde von seiner Einberufung in Napoleons Armee. Carl Bertelsmann fürchtete das gleiche Schicksal wie sein Bruder Fritz und floh am 22. Februar 1812 bei Nacht und Nebel zu Fuß aus seiner Heimat. In seinem Tagebuch notierte sich der 20-Jährige am 23. Juni 1812 in einem ländlichen Wirtshaus in Lüdeberg, zwei Meilen von Fürstenwalde, folgenden Wahlspruch: »Schwarzbrod und Freiheit sei mir beschieden, / Und in der Brust des Gewissens Frieden! / Mehr nicht von Dir, o Welt / hienieden / Heisch’ ich – ich bin dann mit Dir zufrieden.« Das Ende eines durchwanderten Tages beschreibt er so: »Schweißtriefend warf ich mein Bündel auf die Bank und schlürfte gierig das dargereichte Bier herunter, dann eilte ich hin zu dem kleinen, nicht weit vom Dörfchen entlegenen See, um die beschweißten Glieder für den kommenden Tag rein und biegsam zu waschen.« Am nächsten Abend notierte er: »Nur zwei Meilen vom nächtlichen Schlafpunkte entfernt, und dennoch zufrieden mit seinem Tagewerke zu sein, muss wohl eine sehr genügsame Seele erfordern; es ist dem so.« Von Fürstenwalde zog er weiter nach Frankfurt an der Oder und bis nach Breslau in Oberschlesien. »Ich reiste gewöhnlich allein, weil mir die Gesellschaft, die ich hätte haben können, selten behagte.«
|21|Zwei Monate später war er wieder in Fürstenwalde, weil er bei seinem ersten Halt einem Herrn Lindenberg, einem »nicht soliden, etwas ausschweifenden Mann … in den Fünfzigern«, versprochen hatte, bei ihm zu arbeiten. Er blieb längere Zeit, obwohl sein Gast- und Arbeitgeber ein Mann »von vielen Schwächen und Fehlern« war. Der Mann war nämlich Alkoholiker und hatte ein großes Vermögen versoffen. »Täglich nun habe ich ein warnendes Beispiel vor Augen, wie unglücklich der Mensch ist, der sich das zu sein schämt, was er ist, und wie tief der Mensch durch leidenschaftlichen Genuss hitziger Getränke sinken kann.« In dem jungen Mann muss das eine tiefe Abneigung gegen den Alkohol hervorgerufen haben. Jedenfalls versicherte er sich: »Über meine Lippen sollen sie nicht, wenigstens nicht aus Leidenschaft kommen, solange ich meiner bewusst und mächtig bin.«
Carl Bertelsmann ging es dennoch gut bei den Lindenbergs. »Ich bekomme alles, was ich bedarf und was mir zukommt, gut und hinreichend; nur eines bekomme ich nicht zur Genüge, Geld. Aber wo ist alles vollkommen?« In seiner Freizeit lernte er das Zeichnen und das Stempelstechen. Sehr gesellig war er nicht: »Bekanntschaft habe ich hier nicht und mein Wille ist es, die für die Zukunft mehr zu meiden als zu suchen, um desto ungestörter meinen Studien nachhängen zu können«, notierte er in sein Tagebuch.
1814 begab er sich nach Berlin, wo er einige Monate arbeitete. Dann zog er weiter nach Potsdam, Brandenburg, Fehrberlin, Neuruppin und Rostock. Dort hatte er eine Anstellung im Betrieb der Witwe eines Buchbinders. Im März 1815 reiste er weiter in einen kleinen Ort in Mecklenburg. Er notierte: »Bewundernd betrachtet man meine Arbeiten als Kunstwerke und ich genieße die größte Achtung.« Doch der Genuss war für ihn nicht frei von schlechtem Gewissen. Er glaubte, sich sogleich für das Lob entschuldigen zu müssen, und schrieb: »Lächerlich ist es wohl, sich hierüber zu freuen, doch liegt es wohl in der menschlichen Natur, dass solche Verhältnisse Zufriedenheit befördern.« Von Mecklenburg zog er weiter nach Hamburg, Lübeck, Celle und Hannover. Im Oktober 1815 schließlich kehrte er nach Gütersloh zurück. Die Heimkehr brachte ihn auch wieder in die |22|Nähe jener Frau, die ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen war.
Denn bevor er im Februar 1812 Gütersloh bei Nacht und Nebel verließ, hatte er am 22. November 1811 im Nachbarort Borgholzhausen seine spätere Frau Friederike Helling kennen gelernt. Sie arbeitete im elterlichen Gasthaus, das entfernten Verwandten der Frau seines Bruders Arnold gehörte. Carl und Friederike waren Base und Vetter und sprachen sich auch so an. Die Frau galt als fröhlich und lebensbejahend. Auf den ernsten und grüblerischen, einzelgängerischen und introvertierten Carl Bertelsmann hatte sie bei der ersten Begegnung großen Eindruck gemacht. Sie hatte ihm die folgenden Zeilen geschrieben: »Seelig, seelig, wer in seinem Kreise / Thut, so viel er kann, und still und weise / Seine ihm vertraute Rolle spielt. Der des Muthes / unauslöschlich Schmachten, / Und des Geistes rastlos höhers Trachten, / Mit der Hoffnung ewgen Daseyns kühlt!« Er trug diese Zeilen in den Jahren der Wanderschaft immer bei sich.
Allerdings wartete Carl Bertelsmann nach seiner Rückkehr noch sieben Jahre, ehe er es wagte, ihr seine Gefühle zu offenbaren und sie um ihre Hand zu bitten. 1822, mehr als zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung, schrieb er ihr: »Eine Prüfung ist überstanden, und ich weiß kaum, ob ich mich freuen soll, dass ich sie überstanden habe, da die Leidenschaft fortlebt. Ich habe sie gesehen, die ich seit mehr denn zehn Jahren so hoch schätze, dass alle meine Wünsche in ihren Besitz zusammenflossen, und dennoch durfte ich bei ruhiger Überlegung ihren Besitz nicht wünschen, weil es mir an inneren und äußeren Mitteln fehlte.« Sie antwortete ihm auf seinen »ehrenvollen Antrag«: »Fürchten Sie nicht … dass eine Täuschung stattfinden könnte? – Wie sehr leicht ist der Mensch in einer Reihe von Jahren, wo mannigfaltige Verhältnisse, wo Freude und Trauer miteinander abwechseln, der Veränderung des Temperaments, des Charakters unterworfen … Wie wenig ich zur Unterhaltung – wie wenig ich beglücken kann, beides weiß ich zu gut und bedarf keiner Gegensprache. – Untersuchen Sie gefälligst noch einmal, ob Sie eine solche Bürde noch auf sich laden können.«
|23|Drei Wochen später schrieb sie: »Ich glaube, ich habe mich genug geprüft. – Können Sie vergeben? – Dann vergeben Sie. – Mein Bestreben wird nur dahin gehen, mich Ihnen, geschätzter Vetter, immer würdiger zu machen … Täglich höre ich meine geliebte Mutter und Geschwister mit größerm Beifall von Ihnen sprechen.« Er schrieb zurück: »Ich bin ein sehr glücklicher Mensch und am Ziele meiner Wünsche, wenn ich Ihre Zufriedenheit zu befördern imstande bin … Nehmen Sie die Versicherung meiner innigsten Liebe …«
Eine Woche nach der Verlobung schickte er seiner Braut eine Silbermünze »für einen Thaler Werth«. In die Münze hatte er die folgende Inschrift einprägen lassen: »Zu ewigem Angedencken in dem Hertzen gegründet Süsser Geruch wahrer Freundschaft.« Am 17. Oktober 1822 heirateten er und Friederike. Die beiden hatten in ihrer Ehe fünf Kinder: Luise, Carl Friedrich Wilhelm (der noch als Säugling starb), Heinrich, Anna und Wilhelm.
28 Jahre lang lebte er mit seiner Frau Friederike zusammen. Allerdings musste sie seine Liebe mit seinem Verlag teilen. Und sie sollte mit ihm arbeiten. Das hatte er schon vor der Hochzeit einkalkuliert. Er sah Friederike Helling nicht nur als Ehefrau, sondern auch als willkommene Mitarbeiterin und sagte sich: »Wenn ich jetzt Arbeiten habe, die mir ungelegen kommen, so mache ich oft schon die Berechnung: ›Wenn ich mein Riekchen erst habe, die soll mir schon helfen‹, und verlasse mich darauf so recht.« Carl Bertelsmanns unternehmerischer Erfolg basierte wohl nicht zuletzt auf seiner sparsamen Einstellung. »Spare, wo es ohne Knickerei angeht«, soll er gelegentlich gesagt haben – und Knickerei war für ihn keineswegs, wenn man Mechanikerarbeiten selber macht oder seine Frau mitarbeiten lässt. Die Arbeit stellte er über alles andere.
Als er nach Jahren der Wanderschaft 1815 im Alter von 24 Jahren zurück in seine Heimatstadt gekommen war, gab es in Gütersloh keine Arbeit für den Buchbinder. Dort war in diesem Beruf bereits sein Bruder Arnold tätig. Carl ging deshalb in die benachbarten Orte Bielefeld und Vlotho. Doch auch dort fand er keine Arbeit. Erst als sein Bruder starb, konnte er 1819 dessen Platz in Gütersloh einnehmen. »Einsam |24|und zielbewusst«, schrieb Chronist Walter Kempowski 1985 anlässlich des 150-jährigen Bestehens von Bertelsmann, habe er in dieser Zeit »den Grundstein für alles Spätere« gelegt: »Er arbeitete unausgesetzt, wie getrieben. Seine Tage hatten 14 Stunden und mehr, sie gingen von morgens vier bis in die Nacht hinein.« Zunächst hat Carl Bertelsmann vor allem den Betrieb seines Bruders weitergeführt. Offensichtlich lief das Geschäft gut; 1823 stellte er immerhin den Lehrling Ernst Vogelsang ein.
Im Jahr darauf, 1824, versuchte er sich als Steindrucker. Das war seine erste Station auf dem Weg vom Buchbinder zum Verleger. Am 19. Juni 1824 vermerkte er in seinem Notizbuch: »Anlegung der Steindrukkerey. Druck der 1sten 5 Nummern Zifferblätter und 4 1/2 Ries Bilder von Thieren auch, ein Schimmelspiel; ferner Verfertigung von Steinpergament, welches jedoch nicht zur Vollkommenheit gediehen.« Seine Steindruckerei war eine der ersten in der Gegend. Die Lithografieplatten ließ er sich eigens aus dem bayerischen Nördlingen kommen. Erst fünf Jahre nach der Gründung machte er seinen Betrieb offiziell, indem er im Dezember 1829 bei der königlich-preußischen Regierung in Minden eine Lizenz für die »lithographische Anstalt« beantragte. Sein Geschäft gedieh: Die Liederbücher, die Bertelsmann für die Schule druckte, fanden guten Absatz. Seine harte Preiskalkulation trieb mitunter auch kuriose Blüten: In einem Liederbuch druckte er statt Noten die Tonschritte in Ziffern, weil dies billiger war als das teure Notenstechen. Als die Auflagen stiegen, durften die Noten in die Liederbücher zurückkehren. Das Papier wurde besser und die Ausstattung eleganter. So konnte er sie besser (und zugleich teurer) verkaufen. Bereits 1833 spricht er in einem Brief an einen Buchhändler erstmals von »meinem Verlag«, obwohl er noch keine Lizenz dafür beantragt hatte.
Beliebt waren seine Liedsammlungen, die er in Auflagen von bis zu 20 000 Exemplaren druckte. Zu Hilfe kam ihm das Geschick eines Lehrers und Organisten in Gütersloh namens Friedrich Eickhoff. Der Lehrer spielte nicht nur die Orgel, sondern komponierte auch. Er hatte ein gutes Händchen für eingängige Melodien. Von ihm stammt beispielsweise |25|das bis heute beliebte Weihnachtslied »Ihr Kinderlein kommet«. Eickhoff war wohl ein gern gesehener Gast im Hause Bertelsmann und knüpfte bei seinen Besuchen besondere Bande zu einer Tochter von Carl Bertelsmann, die er später heiratete. Manche Chronisten vermuten gar, dass er es war, der den Schwiegervater in spe auf die Idee brachte, einen Verlag zu gründen, um seine Liedkompositionen besser unters Volk zu bringen. Jedenfalls zahlte sich die Geschäftsidee auch für Carl Bertelsmann aus: Für 1500 Reichstaler konnte er sich schon wenige Jahre nach Inbetriebnahme der Steindruckerei ein Wohn- und Geschäftshaus kaufen. In den Türbalken des Hauses ließ er den 55. Psalm schnitzen: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn / Der wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruh lassen.«
Eine seiner wichtigsten Begegnungen war wohl die mit Johann Hinrich Volkening, der 1826 zum Pastor der lutherischen Gemeinde in Gütersloh gewählt wurde und mit dem die Erweckungsbewegung in Minden-Ravensburg einsetzte. Ob der damals 35-jährige Carl Bertelsmann für Volkening gestimmt hat, weiß man nicht. Ideell standen sie sich jedenfalls nahe. Die beiden wurden Freunde. Man darf davon ausgehen, dass Volkening ihn für die Erweckungsbewegung interessierte und für die damit verbundenen Möglichkeiten, seiner Druckerei Aufträge zu beschaffen. Der Historiker Bavendamm, der die Verlagsgeschichte zum 150-jährigen Bestehen aufgearbeitet hat, schreibt: »Ausschlaggebend für die Verlagsgründung ist weder ein subjektives Erlebnis noch der Bedarf des Gütersloher Organisten Friedrich Eickhoff an gedruckten Noten. Ausschlaggebend ist eine ebenso nüchterne wie weitblickende Einschätzung des Marktpotenzials.« Denn die Erweckungsbewegung, so Bavendamm, bedeutete »eine Revolution der damaligen Kommunikation«. Die Erweckungsbewegung war eine Laienbewegung, die ihre Basis durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiterte. So bildeten sich immer neue Runden, die von Bibel- und Missionsstunden erzählten und immer neue Treffen organisierten.
Auch der Aufstieg von Pfarrer Volkening begann mit einer kleinen Bibel- und Singrunde im Pfarrhaus. Anfangs wollten viele Bürger |26|nichts von ihm wissen und machten aus ihrer Ablehnung kein Geheimnis. Der Organist Eickhoff weigerte sich, für ihn zu spielen. »Pietistengeneral« habe man ihn »halb bewundernd, halb schaudernd« genannt, berichtet Bavendamm. Tanzen geißelte Volkening als »Hurerei«, schreibt Katrin Minner in Die Stadt und ihre Bürger. Wer Karten spielte oder an einem Schützenzug teilnahm, den sah er schon auf dem Weg zur »Hölle«. Selbst wer dem Festzug nur aus dem Fenster zusah, war bereits der »Verdammnis« überwiesen. Volkening war nicht zimperlich. Manche empfanden seine Predigten als unchristlich oder »Schmähungen niedriger Art«. Doch seine Predigten, meint Bavendamm, seien bei vielen Gläubigen in Gütersloh und Umgebung »eine Sensation« gewesen. Mit der Zeit kamen immer mehr Anhänger, um seinen einfachen Worten zu lauschen. Selbst seine Gegner wollten ihn reden hören. Fünf Jahre später war der Andrang so groß, dass der Platz im Pfarrhaus nicht mehr reichte und Volkening seine Missionsstunde fortan in der Kirche hielt. »Aus Volkenings Predigtgottesdiensten werden Massenversammlungen, die bisweilen nach Tausenden von Köpfen zählen«, berichtet Bavendamm. Weitere vier Jahre später war die Bewegung in Gütersloh so sehr gewachsen, dass auch die Kirche zu eng wurde. Das erste Missionsfest, Rahmenprogramm für eine Pastoralkonferenz, die Volkening 1835 mit gleich gesinnten Pastoren organisiert hatte, fand deshalb unter freiem Himmel statt.
Solche Missionsfeste waren »Volksfeste, auf denen im christlichen Sinne gelesen, gesungen und gebetet wird«, schreibt Bavendamm. »Zu der Veranstaltung von 1835 kommen bereits 17 Pastoren und sechs Kandidaten und zahlreiche Besucher von nah und fern. Überall im Rheinland und in Westfalen gibt es Bibelgesellschaften, Missionsgesellschaften, Jünglings- und Jungfrauenvereine, die diese Zusammenkünfte organisieren. Überall werden plötzlich Traktate, Lieder und Texte gebraucht. Die Erweckungsbewegung will ja die anderen Menschen, die noch schlafen, erwecken. Sie hat eine Botschaft von Sündenerkenntnis, Buße und Gnade auszusenden, die andere empfangen sollen. Sie betreibt also Kommunikation, Massenkommunikation. Und dafür braucht sie das gedruckte Wort, die gedruckte Note.« |27|Es war ganz gewiss kein Zufall, dass Carl Bertelsmann seinen Verlag am Vorabend des Missionsfestes gründete.
Den Schritt hatte er gut vorbereitet: Im Frühjahr hatte er in Wuppertal-Barmen bei einem Schlossermeister eine Buchdruckpresse bestellt und Lettern verschiedener Schriften gekauft. Bei der Regierung in Minden beantragte er eine Konzession für eine Buchdruckerei, die ihm am 18. März 1835 gewährt wurde. Sie kostete einen Taler und 15 Groschen. Nun durfte er Bücher in größerer Auflage drucken. Das erste Werk, für das er um eine Druckerlaubnis ersuchte, war Theomele des Organisten Eickhoff. »Da ich mit dem ersten July d. J. eine Buchdruckerei anlegen werde, und die Liedersammlung die erste Arbeit derselben sein sollte, so bitte ich hochgeneigt dahin zu sehen, dass ich bis dahin mindestens einen Theil dieses Werks wieder in Händen habe, um nicht wegen Beschäftigung des Arbeiters in Verlegenheit zu geraten«, schrieb er an die Behörden am 1. Juni 1835. Seither gilt dieser Tag als Gründungsdatum des Unternehmens.
Der Andruck glückte Carl Bertelsmann jedoch erst einige Wochen später, nämlich am 3. August. Für den Probedruck wählt er den 24. Psalm aus, der auch zum Leitmotto des Verlags werden sollte: »Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe! Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.« Die Verzögerung war dem Hang Carl Bertelsmanns zur Knauserigkeit geschuldet: Er wollte die Kosten für einen Mechaniker sparen. Deshalb hatte er die Buchdruckpresse, ein englisches Modell vom Typ »Stanhope«, selbst montiert. Mehrfach musste sie repariert werden. Die Kosten hierfür betrugen sieben Reichstaler, gut den doppelten Wochenlohn von Carl Bertelsmanns Arbeiter Sewerin. Erst im Herbst lief die Presse zufriedenstellend und kontinuierlich.
Der Unternehmer Bertelsmann war von Beginn an stets bemüht, Aufträge für seine Druckerei zu gewinnen. Wie macht man das? Wie sorgt man für eine langfristige Auslastung der Anlagen? Carl Bertelsmann fand eine einfache Antwort auf diese Fragen: indem man sein eigener Kunde wird und der Verleger, der Bertelsmann ja eben auch |28|war, dem Drucker die Aufträge vergibt. Somit bleibt man auch in Zeiten, in denen kaum Fremdaufträge kommen, gut beschäftigt. Er mag damals noch nichts von der Integration eines modernen Medienhauses gewusst haben, aber er ließ bereits bei der Gründung des Verlags ein Prinzip erkennen, das das Unternehmen bis heute prägt.
Diese Strategie lag nahe. Denn mit Volkening hatte er einen »Star« der Bewegung zum Freund, der eigene Texte herausgab. Volkening verkaufte sich gut: 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung der Theomele von Eickhoff veröffentlichte Carls Sohn Heinrich Bertelsmann Volkenings Liederheft Die Kleine Missionsharfe, das sich über zwei Millionen Mal verkaufte und somit zum ersten Bestseller des Hauses avancierte. Ab 1836 gab Carl Bertelsmann die Schriften der Ravensburger Missionsgesellschaft heraus. Zu den Festen der Gesellschaft kamen damals bis zu 10 000 Menschen, allesamt potenzielle oder tatsächliche Abonnenten von Bertelsmanns Zeitschriften. Der Leiter der Ravensburger Missionsgesellschaft hieß übrigens Volkening. Er verschaffte Carl Bertelsmann Zugang zu den Anhängern der Erweckungsbewegung, sodass er auch Gemeinden in Wuppertal und anderswo beliefern konnte.
Seinen unternehmerischen Aufstieg hatte Carl Bertelsmann schon immer geschickt mit der Übernahme öffentlicher Ämter oder mit seinem Engagement für das Gemeinwohl zu verknüpfen gewusst. So trieb er nach seiner Rückkehr von der Wanderschaft in Gütersloh nebenberuflich Steuern ein; später vertraute die Stadt dem Unternehmer die Kommunalkasse an. Er engagierte sich für die Altenpflege, kümmerte sich um den Bau eines neuen Pfarrhauses und gab Geld für den Bau einer Bahnlinie von Köln nach Berlin, von der er sich wirtschaftliche Vorteile für die Region erhoffte. Er ließ sich in den Kirchenvorstand wählen, führte das Amt des Kämmerers und wurde schließlich sogar zum Stadtverordneten gewählt. 1846 hatte er das erste Mal für den neunköpfigen Stadtrat kandidiert, aber knapp verloren. »Mir fehlte eine Stimme«, schrieb er seinem Sohn. Als er 1847 erneut antrat, erhielt er so viele Stimmen, dass er nicht nur in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde, sondern in den dreiköpfigen Magistrat, die |29|eigentliche Stadtregierung. Politisch trat der Konservative für ein Bündnis von »Thron und Altar« und gegen Rationalismus, Liberalismus und Aufklärung ein. »Carl Bertelsmann war ein Mann von strenger Rechtlichkeit, tiefer Frömmigkeit, großem Fleiß und erprobter Königstreue«, schrieb der spätere Verlagschef Johannes Mohn.
Wiederholt versuchte Carl Bertelsmann, auf publizistischem Weg politischen Einfluss zu nehmen, indem er eine Zeitung gründete. Ab Juli 1833 verlegte er den Öffentlichen Anzeiger für den Kreis Wiedenbrück. Das Blatt erschien wöchentlich; auf acht Seiten enthielt es amtliche Erlasse und Bekanntmachungen, Belehrendes und Unterhaltendes. Die Zeitung kam jedoch nur auf 25 Ausgaben. Angeblich hat Carl Bertelsmann das Blatt eingestellt, weil er keine Anzeige für ein Schützenfest drucken wollte. Derartige Veranstaltungen, bei denen der Alkohol in großen Mengen floss, lehnte er ab. Im Revolutionsjahr 1848 schließlich versuchte Bertelsmann, ein Volksblatt zu verlegen. Gedacht war es für Mitbürger, die »unserm treuen Könige und ihrer Religion« zugetan sind. Auch dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich verlegte er – ebenfalls ab 1848 – Mittheilungen für die Gesamtgemeinde Gütersloh. Sie erschienen nur zweimal.
Im Alter lag ihm sehr am Herzen, dass Gütersloh den Zuschlag für ein Evangelisch-Stiftisches Gymnasium erhielt, das erste evangelische Gymnasium, das protestantischen Nachwuchs für ganz Deutschland ausbilden sollte. Gemeinsam mit zwei weiteren, in Gütersloh ansässigen Kaufleuten, Wilhelm Bartels und Friedrich Raßfeld, zählte er zum sonst nur von Geistlichen besetzten Gründungskuratorium. Zugute kam dem Gymnasium, dass Preußen auf einer Gleichstellung mit staatlichen Schulen bestand. So konnte die Schule den Anschluss an die Bildung im ganzen Reich halten. Carl Bertelsmann schrieb im April 1849 in den Mittheilungen für die Gesamtgemeinde Gütersloh: »Das Gymnasium ist, wenngleich in unserer Mitte, nicht das unsrige. Es ist vorab für das ganze protestantische Deutschland bestimmt, dem es fromme, pflichtgetreue Söhne und Leiter des Volkes ausbilden soll, die da helfen, dass wir eine bessere Zeit erhalten, die lediglich in der Durchdringung des Christentums zu finden ist. Wir sind daher der Gesamtheit |30|Rechenschaft schuldig von diesem uns anvertrauten Pfunde.« Dies sind die letzten Worte, die Carl Bertelsmann veröffentlichte. Wenige Monate später, am 17. Dezember 1850, erlag er einem Gehirnschlag.
Das Ende hatte sich bereits in den Monaten davor angekündigt. Carl Bertelsmann hörte seit Jahren schlecht, wie man aus Briefen seiner Frau an den Sohn weiß. Nun ging es ihm gesundheitlich schlechter und schlechter. Zu spät wollte er, der sich in jungen Jahren selbst stets gute Gesundheit attestiert hatte, kürzer treten. In der Bauernschaft Kattenstroth hatte er sich für 2 650 Taler einen Hof gekauft, um gesünder zu leben: Er wollte an frischer Luft körperlich arbeiten. Nachdem er seinem Sohn den Verlag übergeben hatte, zog er im Oktober aufs Land. Er konnte sich nur kurz über das Leben auf dem Hof freuen. Zwei Monate später war er tot. Arm geboren, starb er im Alter von 59 Jahren als angesehener und wohlhabender Bürger.
Die Eröffnung des evangelischen Gymnasiums erlebte er nicht mehr. Doch hatte er entscheidenden Anteil, dass es nach Gütersloh kam. Die Historikerkommission urteilt über sein Erbe: »Das Evangelisch-Stiftische Gymnasium war eines der beiden Bollwerke des politischen Konservatismus, die Carl Bertelsmann geschaffen hatte. Das andere war sein Verlag, in dem er bis zu seinem Tod knapp 50 Bücher verlegt hatte.« Protestantisch-christlicher Bildungsgedanke und preußischvaterländische Gesinnung waren unter seiner Führung eine enge Bindung mit den Kräften der staatlichen Reaktion eingegangen.
Heinrich Bertelsmann
Während Carl Bertelsmann ein feines kaufmännisches Gespür für den Markt auszeichnete, verfolgte sein Sohn Heinrich Bertelsmann eine andere Strategie, die den Erfolg und das stete Wachstum von Bertelsmann bis heute ausmacht: Wachstum durch Zukäufe. Sein Vater hatte ihm aufgetragen, »größeren Einfluss auf die christliche Gestaltung unseres Geburtsortes« zu nehmen. Und Heinrich Bertelsmann tat das |31|Seinige. Unter seiner Leitung wuchs die Firma. Beschäftigte sie bei seinem Eintritt 14 Mitarbeiter, war die Belegschaft bald auf 60 angewachsen. Er weitete das Programm um Titel aus den Bereichen Philosophie und Geschichte aus und steigerte die Auflagen. Außerdem kaufte Heinrich Bertelsmann die Druckerei J. D. Küster Nachf. in Bielefeld, den Verlag N. R. Fridrichs in Elberfeld, Teile des Verlags Samuel Gottlieb Liesching in Stuttgart sowie die Verlage G. Löhe in Nürnberg und J. Remak und Ferdinand Dümmler in Berlin. Die Sortimentsbuchhandlung des Vaters gab er hingegen 1869 an den Lehrling Friedrich Tigges ab, dessen Familie den Laden bis heute führt.
Heinrich Bertelsmann wurde 1827 geboren. Als er den Verlag übernahm, war er gerade 22 Jahre alt. Er galt als einzelgängerisch und wortkarg; im Vergleich zu ihm soll sein introvertierter Vater ein redseliger und offener Mann gewesen sein. Vielleicht lasteten die Erwartungen des Vaters zu schwer auf ihm, denn Heinrich Bertelsmann war in seiner Jugend und Zeit seines Lebens nur eines: der Nachfolger, der den Verlag weiter führen sollte. Sein ganzes Leben lang unterzeichnete er Geschäftsbriefe mit dem Namen seines Vaters »C. Bertelsmann«, als handle er im Geiste seines Vaters.
Das Evangelisch-Stiftische Gymnasium, in dessen Aufsichtsgremium er sich später engagierte und in dem seine Nachfahren zur Schule gingen, hatte es in seiner Jugend noch nicht gegeben. Weil der Vater Carl Bertelsmann der staatlichen Schule misstraute, brachte er seinen Sohn zum Studium bei Pastor Volkening unter, der mittlerweile nicht mehr in Gütersloh, sondern im unweit gelegenen Jöllenbeck bei Bielefeld predigte. Damit schlug Bertelsmann zwei Fliegen mit einer Klappe: Er blieb in engem Kontakt zu einem seiner wichtigsten Autoren und wusste seinen Sprössling und designierten Nachfolger in guten Händen. Heinrich genoss eine umfassende Ausbildung in Geschichte, Latein, Französisch, Englisch, Zeichnen und Literaturgeschichte. Auch aus der Ferne erinnerte der Vater den Sohn in Briefen an kommende Pflichten und ermahnte ihn regelmäßig zu Fleiß, Aufmerksamkeit, Gründlichkeit und Besonnenheit. Er gab gut gemeinte Ratschläge: »Damit du dich aber nicht vergessen möchtest, wäre es wohl gut, |32|wenn du dir etwa in deinem Schlafzimmer ein geeignetes Denkzettel irgendwo befestigst, dass du an jedem Morgen ernst gestimmt an dein Geschäft gingest.« Obwohl es bestimmt kein Vergnügen war, beugte sich Heinrich den Erwartungen. Wie lange er in Jöllenbeck lebte, weiß man nicht. Fest steht, dass der mehrmonatige Aufenthalt in dem strengen protestantischen Pfarrhaus den 15-Jährigen geprägt hat. Dort herrschte der »Geist der Zucht«, den Volkening im Vorwort seiner Missionsharfe beschwor. Sein Vater war stolz: »Das nun hat mir auch deinen Brief so besonders lieb gemacht, dass ich daraus sehe, wie du dein Leben auf diesem Grund bauen willst, der auf Golgatha für uns gelegt, und die Gemeinschaft mit dem Heilande als das Ziel und die Quelle deines Berufs erkannt hast.«
Heinrich wollte gerne das Buchbinderhandwerk erlernen. Der Vater hätte dem Sohn ohne weiteres eine Stelle als Buchbinder oder Drucker vermitteln können. Ganz bewusst jedoch schickte Carl Bertelsmann den Sohn zu befreundeten Buchhändlern in die Lehre, denn er plante, das Unternehmen um eine Buchhandlung zu erweitern. Bei dem Buchhändler Alfred Sartorius in Wuppertal-Barmen sollte Heinrich lernen, wie man einen Sortimentsbuchladen führt. Carl Bertelsmann glaubte, dass »ein solches Geschäft für unsere Familie von Wert sein« könnte, wie er dem Sohn schrieb. »Wir hätten damit einen größeren Einfluss auf die christliche Gestaltung unseres Geburtsortes wie bisher, wenngleich wir auch gezwungen sein würden, dem Gegenteil zu dienen.«
Aus dem Zeugnis von Alfred Sartorius, das dieser Heinrich nach eineinviertel Jahren aushändigte, geht hervor, wie sehr Heinrich bestrebt war, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen: »Mit Bescheidenheit und sittlich-religiösem Ernste verbindet er eine so gediegene Solidität, wie ich sie selten bei jungen Leuten gefunden«, bescheinigte Sartorius. Doch den Sohn plagten mitunter tiefe Selbstzweifel. Einmal schrieb er in sein Tagebuch: »Ich war am ersten Ostertage zur heiligen Communion. Aber ich fühle mich so kalt, liebeleer, und so ganz ohne inneres Leben, wie es bei einem Christenmenschen, der so viele Gelegenheiten hat, sich geistig aufzurichten und zu erwecken, durchaus nicht sein sollte. Vorsätze mag ich nicht mehr fassen, da ich zu empfindlich |33|erfahren habe, dass sie mich nur zu oft, ja immer im Stich ließen.«
Heinrichs jüngerer Bruder Wilhelm wurde dagegen Drucker wie sein Vater Carl. Nachdem Heinrich den Betrieb des Vaters übernommen hatte, gründete er 1864 zusammen mit seinem Bruder Wilhelm unter dem Namen »Gebr. Bertelsmann« eine Buch- und Steindruckerei, die ihren Sitz in einem Hinterhaus in der Obernstraße 4 in Bielefeld hatte. In den folgenden Jahren verlegten die Brüder drei Zeitungen: den Allgemeinen Anzeiger, Kreisblatt für die drei Kreise Bielefeld, Halle und Wiedenbrück, den Conservativen Volksfreund und den Westfälischen Hausfreund. Neben der Rolle des Druckers übernahm Wilhelm auch die des verantwortlichen Redakteurs; Heinrich steuerte Leitartikel bei. Daneben druckten die Brüder Formulare für Kaufleute, Behörden, Kirchen und Schulen. 1865 wurde der Betrieb erweitert, 1869 zog er um in die Obernstraße 9 und firmierte jetzt unter dem Namen Wilhelm Bertelsmann. 1870 erwarb der jüngere Bruder schließlich auch noch die Druckerei J. D. Küster, die das Bielefelder Tagblatt (heute: Neue Westfälische) druckte.
Heinrich dagegen schied aus dem gemeinsamen Betrieb in Bielefeld aus. Dass er seinen Bruder auszahlen musste, empfand er als große Belastung. »Unter so schwerer Last habe ich«, schreibt er, »das Geschäft mit vieler Sorge, aber in festem Vertrauen auf die göttliche Durchhilfe auf meine eigene Hand angetreten.« Zehn Jahre später allerdings kaufte er von seinem Bruder die Firma J. D. Küster zurück und übernahm damit auch die Zeitung. Wilhelm Bertelsmann seinerseits gründete seine Firma neu als »Bertelsmann’sche Buchdruckerei W. Bertelsmann« und zog an die Gütersloher Straße. Sein Geschäft konzentrierte er fortan auf den Druck von Formularen für Behörden. Seit 1890 wurde der Verlag unter dem Namen »W. Bertelsmann« geführt; Wilhelms Söhne Friedrich Wilhelm und Friedrich Carl führten den Betrieb fort. 1905 wurde Friedrich Carl Bertelsmann alleiniger Inhaber.
Zurück zu Heinrich Bertelsmann. Er trat nicht nur im Verlag in die Fußstapfen seines Vaters: Auch er engagierte sich in der Kirchengemeinde und im Stadtrat von Gütersloh und nahm sich der Alten, Armen |34|und Kranken an. So saß er beispielsweise in der Stiftung von Heinrich Barth. Der Kaufmann hatte bei seinem Tod angewiesen, dass sein Vermögen den evangelischen Bürgern in Gütersloh zugute kommen sollte. Unter anderem wurden ein Armenhaus und ein Krankenhaus damit finanziert, Fonds für bedürftige Witwen und eine Strick und Nähschule für arme Kinder.
Heinrich Bertelsmann wurden drei Kinder geboren. Doch seine beiden Söhne starben bereits im Säuglingsalter. So war es für das Unternehmen ein schicksalhaftes Ereignis, als Johannes Mohn in die Firma eintrat. Heinrich Bertelsmann nahm ihn auf wie einen Sohn. Er hat es wohl gern gesehen, dass der junge Mann und seine Tochter Friederike ein Paar wurden. Womöglich hat Heinrich Bertelsmann den beiden sogar gut zugeredet. Jedenfalls hatte er Friederike so erzogen, dass sie ihm nicht widersprechen sollte: Bei Tisch musste sie stehen, wie es bei vielen bürgerlichen Familien Sitte war. Im Firmenarchiv liegt noch eine sauber geschriebene Strafarbeit von ihr: Zehnmal der Satz »Der Tadel geht oft dem Lobe voran.« Als sie Johannes Mohn heiratete, hatte Heinrich Bertelsmann seine Nachfolge gesichert. Der Name Bertelsmann würde zwar in der Eigentümerfamilie aussterben, im Unternehmen jedoch würde er weiterleben.