Jörg Baum

Magische

Steinkreise

Schutz und Heilkraft für Heim,

Haus und Familie

Theurgia

okkultes Wissen

 

Anmerkungen zum Titelbild

Das Titelbild zeigt einen typischen 12er-Steinkreis aus meiner Werkstatt. Er wurde mit reinen Sendesteinen aus meiner Heimat, dem Hunsrück, zusammengefügt.

Der fertige Steinkreis wurde von der Bildnerin Ruth Mala mit Blattgold und Blattmetall veredelt. Diese Veredelung bewirkt die optische Hervorhebung verschiedener formaler Merkmale des Steinkreises. Ruth Mala achtete dabei besonders auf den energetischen Fluss innerhalb des Arrangements, so dass die Dynamik der Lunanz – das ist die feinstoffliche Strahlung des Steinkreises – erhalten blieb. Die Künstlerin hat schon etliche Steinkreise in dieser Weise veredelt.

Das Foto wurde von der Fotografin Annette Fulda aufgenommen, die heute überwiegend als Heilpraktikerin und Shiatsu-Therapeutin in München praktiziert. Sie setzt Steinkreise als stimmungsstiftende Accessoires in ihrer Praxis ein und weiß seit langem um deren harmonisierende Wirkung.

Mehr von Ruth Mala finden Sie auf der Internetseite
www.ruth.mala.eu.
Mehr von Annette Fulda finden Sie auf der Internetseite
www.shiatsu-dorntherapie.de.

Inhalt

Orte sind Horte der Kraft. Energien verbinden sich mit Örtlichkeiten und laden diese auf. Lassen wir gute Energien fließen, weihen wir einen Ort. Durch diese Weihe bewahren wir die Kraft, auf dass sie uns jederzeit wieder zufließen mag.

Matthias Mala, Stundenbuch der weißen Magie

Vorwort

Mit Steinen bin ich gewissermaßen groß geworden. In der Nähe des Dorfes im Hunsrück, einem Gebirgszug zwischen Mosel und Nahe, in dem ich aufwuchs, gab es eine aufgegebene Schiefermiene, in deren Abräumhalde wir Kinder uns öfters zum Spielen trafen. Hier suchten wir nach Versteinerungen und besonders schönen Steinen. Manche dieser Steine legte ich in Wasser, weil ihre Farben dann so intensiv leuchteten, oder ich gruppierte sie zu Figuren und Mustern, die mich verzauberten und in Phantasiewelten entführten. Als Vorbild fungierte dabei mein Vater, der Fliesenleger war, und der mir schon als Kind vermittelte, dass Steine Leben besitzen und keine tote Materie sind. Seine Art, wie er Steine für seine Arbeit auswählte, sie besah und betastete, ehe er sie zum Beispiel für ein Mosaik oder eine Terrasse verwendete, zeigte mir, dass seine Rede keine leeren Worte waren. Er besaß eine Fühligkeit für die Steine, sah ihre innere Struktur und erspürte ihre Kraft, so dass er sie zu gruppieren verstand und hierdurch seiner Arbeit eine Ausstrahlung verlieh, die sie von der seiner Kollegen abhob. Dementsprechend erteilte man ihm auch stets spezielle Aufträge, die die Hand eines Meisters erforderten. Noch heute staune ich über seine Fähigkeiten, wenn mir eine seiner Arbeiten unterkommt.

Mein Vater war mein erster Meister, der mich in das Geheimnis der Magie der Steine einweihte. Er tat dies so redlich, klar und wahr, dass ich in seine Fußstapfen trat und den Beruf des Fliesenlegers erlernte. Ich wollte noch mehr von und über die Steine lernen und befasste mich sehr intensiv mit der Geologie. Doch während meiner Beschäftigung mit ihr begriff ich, dass weniger das Wissen, als das Gefühl für die Seele der Steine entscheidend für den Umgang mit ihnen ist. Also wendete ich mich wieder der Praxis zu und studierte die Seele der Steine während der alltäglichen Anwendung mit ihnen. Dabei erschloss sich mir ihr stiller Zauber immer mehr – und auch ihre Wirkung auf uns moderne Menschen. Zudem erhellte sich mir, dass Steine, die keine «tote» Materie sind, uns ebenso ansprechen, wie wir auf sie reagieren; sie sind wie wir ein Teil der umfassenden und beständigen Kommunikation der Schöpfung mit sich selbst. Dass diese Kommunikation heute von vielen Menschen als intensiver empfunden wird, führe ich ein wenig auf den esoterischen Einsatz von Halbedelsteinen bei der Chakrentherapie und Heilkunde zurück. Wer hätte auch Anfang der 90er-Jahre geglaubt, dass zum Beispiel wenige Jahre später Halbedelsteine wie selbstverständlich zur feinstofflichen Harmonisierung von Wasser verwendet werden?

Während meiner Zeit als Fliesen- und Mosaikleger, bei der ich mit vielen Menschen zusammenkam, vertiefte sich durch meine Beschäftigung mit den Steinen meine Empfindsamkeit für sie. Hielt ich einen Stein in meinen Händen, spürte ich seinen Charakter. Mit geschlossenen Augen konnte ich seine Klüfte1 bestimmen, erfasste seine Festigkeit und wusste, wie er sich bei der Bearbeitung mit der Diamanttrennscheibe oder der Rabitzzange2 verhalten würde. Zugleich spürte ich auch, von welcher Art seine Energie war, die er ausstrahlte. Dies war vor allem für die «Wohnlichkeit» der Steine entscheidend. Manch ein Stein aus einer Palette gleichartiger Steine blieb deswegen liegen, weil er nicht mit den anderen harmonieren wollte. Dafür besaßen meine Arbeiten eine Stimmung, die über die rein optische Anmutung weit hinausreichte.

Es war die Magie der Steine, die sich mir so ganz allmählich erschloss, und die mich auch in ganz anderer Weise inter-essierte: Ich begann, die Magie von Gebäuden zu erforschen; schließlich sind viele davon aus Naturstein errichtet oder zumindest mit Natursteinen ausgelegt. Langsam erschloss sich mir, warum manche Räume freundlich waren, andere kalt und abweisend, obwohl sie sich grundsätzlich glichen. Es lag an der Natur der Steine, die sich in energiespendende «Sendesteine» und «stille» Steine oder neutrale Steine unterscheiden und gelegentlich auch die Eigenschaften von energiezehrenden «Ladesteinen» besitzen – ein Wissen, das mir meine Großmutter geschenkt hat. Die Beschäftigung mit den baulichen Voraussetzungen für eine spätere Raumstimmung führte mich geradewegs zu den neolithischen Steinbauten. Und mit einem Male verstand ich, warum sich die Menschen in grauer Vorzeit die Mühe gemacht hatten, tonnenschwere Steine aus weit entfernten Gegenden an einen Kultplatz zu bringen: Es war die feinstoffliche Qualität der Steine, die sie erspürten; durch diese konnte ihr Kultplatz, der zweifelsohne bereits ein besonderer Kraftplatz war, zu einem heiligen Ort mit überirdischer Energie erhöht werden.

Also machte ich mich auf nach Stonehenge, den vermeintlichen Steinkreis aller Steinkreise. Das besondere Erlebnis, die Einweihung, die ich dort erwartete, blieb allerdings aus. Es war ein touristischer Ort, noch dazu zwischen zwei Autobahnen eingekeilt. Die Steine selbst beeindruckten mich zweifellos, eine Kommunikation mit ihnen stellte sich jedoch nicht ein. Dagegen stand schlicht die kommerzielle Stimmung, die diesen einst heiligen Ort wie so viele andere Örtlichkeiten auch entzauberte und banalisierte. Doch ich war tief genug beeindruckt, dass ich meine Reisen zu Steinkreisen und Menhiren im Laufe der Jahre fortsetzte. Ich besuchte megalithische Bauten von Malta bis hoch hinauf zu den Hebriden, von der Bretagne bis nach Odry in Polen. Dabei lernte ich viel über Archäoastronomie, über das vermutliche Weltbild der Menschen im Neolithikum und sehr viel über mich selbst, denn in der Reflexion über das Denken von damals und heute erfuhr ich mehr über mich, als über das, worüber ich nachdenken wollte – und das häufig inmitten eines Steinkreises. So kann ich heute sagen: Meine Reisen zu den Steinen führten mich zu mir selbst.

Ja, die Steine hatten mich verzaubert. Ich begann, mich intensiv mit weißer Magie zu beschäftigen, wobei mir die Bücher von Matthias Mala halfen zu verstehen, dass es hierbei nicht um Zauberei, sondern um Selbsterkenntnis, Transzendenz und wahres Wirken ging; sprich: die richtige Energie zum richtigen Zeitpunkt fließen zu lassen und gleichzeitig den Fluss der Kraft selbst wahrzunehmen. Gleichzeitig begann ich, Steinkreise zu setzen, um mit ihrer Kraft zu experimentieren. Ich empfand, dass es sich hierbei um die gleiche Kraft handelte, die ich wahrnahm, sobald ich mit dem magischen Raum eins wurde. Die Steine gründeten also mit ihrer «Seele» selbst in diesem Raum. Anfänglich setzte ich die Steine im Freien, doch sehr bald bemerkte ich, dass es bei einem Steinkreis nicht auf seine Größe ankam. Ähnliches hatte ich bereits bei den steinzeitlichen Steinkreisen festgestellt. Auch damals wurden Steinkreise unterschiedlicher Größe gebaut, und es waren nicht die mächtigsten, die die meiste Kraft in sich bargen.

Von Bedeutung für meine Steinkreise war vielmehr die Auswahl der Steine. Die Besinnung auf ihre Seele und ihre Fähigkeit, positive Energie zu senden. Eine Eigenschaft, die nur einer von fünfzig Steinen besitzt. Damit hatte ich das eigentliche Geheimnis der Steinkreise entschlüsselt und es wurde mir so möglich, kleinere Steinkreise von gleicher Wirkmächtigkeit wie ihre antiken Vorbilder zu bauen. – Der Steinkreis für das eigene Haus war geschaffen. Nach einer weiteren Phase des Experimentierens entstanden die Steinkreise, die ich heute baue. Sie sind in Form und Größe optimiert, um ein Maximum an Harmonie, Kraft und Stimmung zu vermitteln. Viele Kunden, die mir freundlicherweise ihre Erfahrungen mit ihrem Steinkreis mitteilten, halfen dabei mit, auch die Anwendungsmöglichkeiten eines Steinkreises zu vervielfachen und zu verbessern. Ihnen sage ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank. Mit diesem Buch gebe ich die gemeinsamen Erfahrungen und das kumulierte Wissen weiter.

Mein besonderer Dank gilt auch Matthias Mala, der mein Forschen freundschaftlich begleitet hat und mir mit mancher Frage den Weg wies.

Jörg Baum, Kirn im Frühjahr 2011

 

1   Trennflächen im Gestein. Wichtige Kenntnis bei der Steinbearbeitung, um Steine fachgerecht zu zerkleinern.

2   Fliesenlegerwerkzeug, um Aussparungen passgenau in eine Fliese zu brechen.

Der vergessene Ursprung

Am Vortag war Grannus, der Druide, den Bach entlang gewandert, hinauf zu jenem verwunschenen Eichenhain, aus dem er seit vielen Jahren besonders schöne, zu gleichmäßigen Kugeln gewachsene Misteln aus den heiligen Bäumen schnitt. Dazu hatte er die goldene Sichel aus dem Schrein genommen, hatte sich gegürtet, seinen purpurnen Mantel umgehängt und seinen bronzenen Flügelhelm aufgesetzt. Als er kurz vor Sonnenuntergang in das Lager zurückkam, verstummte der tausendstimmige Lärm. Grannus blieb am Anfang der Straße zum Heiligtum stehen. Er lauschte in die Stille, lauschte auf das Flüstern des Windes. Dann hörte er die Stimme der großen Seele. Er gab das Zeichen, Hörnerklang durchbrach die Stille, nach dem ersten Stoß setzten die Trommeln mit ein, darüber schwangen die hellen Stimmen der Frauen. Er schritt durch das Spalier der Männer die Straße entlang zum Steinkreis, trat in seine Mitte. Seine Adepten legten die Mistelkugeln, die sie in einer goldenen Schale vor ihm hergetragen hatten, auf dem Altar ab und verhängten danach den Kreis mit hellen Tüchern. Nur das Tor zum Sonnenuntergang ließen sie unverhüllt. Grannus sah durch das Tor, wie die Sonne dem Horizont entgegenrollte. Sie war alt, müde und schwach und besaß kaum noch Wärme.

Als die Sonne den Horizont berührte, geschah das Wunder erneut. Eine goldene Bahn aus Sonnenlicht strahlte in das Innere des Kreises. Grannus und seine Schüler schickten ihren Geist auf die Reise. Er flog über diesen Fluss aus reinem Sonnenlicht nach Westen in das Totenreich. Er flog der Sonne entgegen, als würde er in einen goldenen Brunnen fallen, und er ging in ihr auf, verschmolz mit der Sonnenscheibe und versank mit ihr hinterm Horizont. Sie waren übergesetzt über den Fluss, der das Diesseits und das Jenseits trennte, und traten allesamt in das Totenreich ein. Dort würden sie die müde gewordene Sonne durch die Finsternis begleiten, auf dass sie den Weg zurück in den Tag fände. Sie taten es mit leisen Gesängen und mit Zaubersprüchen, und während die Menschen vor dem verhängten Steinkreis im Fackelschein die ganze Nacht über tanzten und sangen, blieb der Druide mit seinen Schülern im abgeschlossenen Inneren und rezitierte die Geschichte vom Kampf der Götter gegen die Finsternis, so wie sie ihm sein Vater überliefert hatte, und davor der Ahn dem Vater und der Urahn dem Ahn. Auch in dieser Nacht würden die Götter mit der Dunkelheit ringen und sie, die versammelten Druiden, würden ihnen mit ihrem Geist beistehen. Doch erst am folgenden Abend würde man wissen, ob ihr gemeinsames Ringen erfolgreich gewesen war.

Als am Morgen die Wintersonne über den Horizont stieg, und ihr Licht durch eine schmale Öffnung im Vorhang auf den Altar fiel, jubelten die Tänzer vor dem Steinkreis, zuckten ekstatisch und glitten nacheinander in tiefer Trance zu Boden. Neue Tänzer sprangen an ihre Stelle und setzten den Reigen fort. Sie würden bis in die Nacht hinein tanzen, den Rhythmus in den Boden stampfen und die Sonne dabei in einem Einbaum, den sie auf ihren Schultern trugen, durch das Firmament schiffen, damit sie wohlbehalten tief im Südwesten über den Horizont in die Nacht gleiten könnte. So würden sie den Fluss der Finsternis besiegen und mit Hilfe der Götter das Licht wieder in die Welt bringen.

Als der Abend kam, fielen die Tücher, die den inneren Steinkreis verhüllten. Der Druide stand in vollem Ornat vor dem Altar und blickte in die untergehende Sonne. Der Stein war von der Sonne erwärmt. Ihre Glut ließ den roten Wein in der Schale vor ihm funkeln, und es schien, als würde sie sich an diesem glutroten Spiegel orientieren. Sie sank genau zwischen den beiden hohen Steinsäulen nieder, die am Ende der Straße das Tor zum Totenreich bildeten. Grannus betrachtete den roten Spiegel seines Weinkelches und sah in ihm die volle, glutrote Sonnenscheibe. Das war das untrügliche Zeichen, dass das Licht die Nacht bezwungen hatte. Jetzt spürte er auch, wie die Kraft, die die Welt wieder anschob, durch den Kreis wehte, und er begann am ganzen Körper zu zittern. Seine Schüler sprangen herbei, um ihn zu stützen, denn heftige Krämpfe schüttelten den Druiden, doch auch sie wurden vehement von dieser Kraft ergriffen, denn jetzt waren die Götter gegenwärtig, um den Tanz zu krönen.

Die vielen hundert Menschen, die leise singend auf dem Erdwall, der den Steinkreis umschloss, verharrt hatten, sahen, was geschah, und auch sie spürten, wie die mächtige Schwingung sie erfasste, wie die Kraft der Götter gleich einem heiligen Sturm in den Kreis wehte und sich als leuchtende Säule in seiner Mitte vor dem Altar verdichtete und dabei Grannus samt seinen Schülern umschloss. Viele von ihnen schüttelte die Kraft ebenso und sie stürzten zitternd und stammelnd zu Boden. Dann, als die Sonnenscheibe den Horizont berührte, dröhnte die dunkle Trommel, die nur viermal im Jahr zu den höchsten Festen geschlagen wurde. Grannus straffte sich, fand wieder Fassung. Er hob den Kelch hoch über sein Haupt, trank ihn in einem Zug leer und aß ein Stück vom heiligen Pilz, der Frucht des Lebens. Schon wurde sein Kelch wieder gefüllt, und die Adepten tranken einer nach dem anderen vom Wein und aßen vom Pilz. Derweil wurden auch auf dem Wall Weinbecher verteilt, und das Fest strebte seinem Höhepunkt zu. Zwölf Ochsen würde man schlachten, ihr Blut vor dem Altar ausgießen, und noch zwölf Tage und Nächte würde man auf dem Wall und im Lager davor feiern, tanzen und sich im Fackelschein die Geschichten der Götter und Ahnen erzählen. Zwölf Tage, in denen sie alle den dunklen Mächten trotzen und ihre Welt verteidigen wollten.

So in etwa stellen sich viele die Zeit vor unserer Zeitrechnung vor, als für die Menschen Steinkreise wie Stonehenge noch außerordentliche Heiligtümer waren. Allerdings haben diese Vorstellungen wenig mit der damaligen Wirklichkeit gemeinsam. Denn die Steinkreise waren längst keine Kultobjekte mehr, als um 300 v.Chr. die Kelten die Gegenden um die einst heiligen Stätten besiedelten; weshalb auch ein Druide in einem Steinkreis ein Anachronismus ist. Die meisten Steinkreise entstanden vielmehr Jahrtausende vor den Kelten, etwa zwischen 3000 bis 2000 Jahre v.Chr. am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit. Die Epoche vom 5. bis zum 3. Jahrtausend v.Chr. wird wegen der für sie typischen Steinsetzungen auch «Megalithkultur» genannt. In diesem ausgedehnten Zeitraum entstanden entlang den steinzeitlichen Handelsrouten ausgehend vom Mittelmeer rund um die iberische Halbinsel hinauf nach Frankreich und weiter über Wales, Irland, Schottland hinüber nach Norddeutschland, Dänemark und Schweden verschiedene Bauten aus mächtigem Felsgestein. Das heute weltweit bekannteste dieser megalithischen Bauwerke ist Stonehenge. Mit seinen waagrechten Auflegern aus massivem Stein ist es zudem eine besonders herausragende Konstruktion. Durch Grabungen weiß man, dass der megalithische Kulturraum auch ein wirtschaftlich zusammenhängender Raum mit regem Warenaustausch war. Dies erklärt die uns heute erstaunende kulturelle Verflechtung, die ganz offensichtlich die Menschen von der afrikanischen Nordküste bis hinauf zu den Shetlandinseln miteinander verbunden haben musste.

Die Megalithkultur fand dabei trotz aller Gemeinsamkeiten zum Teil recht unterschiedliche Ausdrucksformen. Gemeinsam war, dass tonnenschwere Steine oft über sehr weite Strecken an ihren Bestimmungsort transportiert wurden. Die Steine waren aus Steinbrüchen geschlagen und fachmännisch bearbeitet worden. Zu den Unterschieden zählen, dass mal Steinkreise, mal solitäre Megalithe, die sogenannten Menhire, und mal lange Zeilen von Menhiren gebildet wurden. Daneben gab es Grabanlagen, die zum einen als Steinkreise, zum anderen als umfriedete Rechtecke und mal als Dolmen oder Hünengräber errichtet wurden. Manchmal schien dabei die Zeit still gestanden zu sein, so gibt es zum Beispiel heute auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf Steinkreise von einem Gräberfeld aus dieser Ära. Die Steinkreise werden heute meist nach ihrem walisischen Begriff «Cromlech» genannt. «Crom» bedeutet gebogen, und «Lech» heißt flacher Stein. Der Begriff verrät, dass nicht jeder Cromlech kreisrund oder geschlossen ist. Mancher Cromlech ist hufeisenförmig, so wie der innere «Kreis» von Stonehenge, manch anderer wurde ellipsenförmig gesetzt.

Nicht immer wurden riesige Felsen bewegt, um einen Cromlech zu errichten, oft hielt man sich an das Machbare und setzte «tragbare» Steine zusammen, so etwa für die Steinkreise in Ohlsdorf. Indessen sind es die mächtigen, oft mehrere Meter hohen und tonnenschweren Steine, die heutzutage unsere Phantasie beflügeln, weil wir den Menschen, die mit Steinbeil und Zugochsen agierten, nicht zutrauen, solche Brocken aus dem Fels geschlagen und transportiert zu haben. Da lassen wir lieber Außerirdische mit Lasern Steine aus dem Fels brennen und per tachyonengetriebenen Raumschiffen über mittlere Entfernungen transportieren. Der Zweck solcher außerirdischen Übungen soll gewesen sein, uns die erstaunliche Mitteilung zu hinterlassen, dass sie, die Außerirdischen, da waren und die Sonnen- und Mondwenden auf unserem Planeten registrieren konnten. Mit solchen Annahmen stellen wir uns und der Menschheit allerdings kein gutes Zeugnis aus. Denn indem wir mit unsinnigen Spekulationen die Fähigkeiten unserer Ahnen, sich in ihrer damaligen Welt zu behaupten, negieren, zeigen wir nur, dass wir uns selbst eine gleichwertige Selbstbehauptung nicht mehr zutrauen. Noch dazu finden wir rund um den Globus in vielen verschiedenen Kulturen und Gegenden megalithische Bauwerke. Es handelt sich dabei offensichtlich um einen morphogenetischen Impuls, der sich in einem archaischen Gestaltungswillen äußert; also gewissermaßen um einen im menschlichen Bewusstsein verankerten Bekundungsdrang, sein Hiersein über seine Zeit hinaus zu behaupten. In diesem Sinne stehen wir mit unserer heutigen Wolkenkratzerkultur unseren Ahnen wohl näher, als wir selbst wahrhaben wollen.

Eine Anregung zum Bau der Megalithformationen mögen für die Menschen des Neolithikums gewiss auch die erratischen Steine gewesen sein, die während der Eiszeit auf den Rücken der Gletscher weit ins flache Land hineingetragen worden waren. Dort lagen sie dann als meterhohe Findlinge in der Landschaft und inspirierten zu Geschichten. Denn die Frage, wie die Steine dorthin kamen, konnte damals mangels geologischer Kenntnisse nur in mythischer Weise beantwortet werden. Es mussten Riesen, wenn nicht gar Götter gewesen sein, die diese Brokken durch die Luft geschleudert hatten. Folglich musste in einem solchen Findling eine immense Kraft gehortet sein, die ihn von vornherein als göttliches Objekt verehrungswürdig machte.

In der Tat gibt es auch heute noch vielerorts Wallfahrten zu Findlingen aus grauer Vorzeit. Ebenso werden Findlinge nach wie vor in zeitgemäße Orte der Andacht integriert; der Wallfahrtsweg «Steine des Anstoßes» in Wietmarschen im Landkreis Grafschaft Bentheim nahe der holländischen Grenze ist hierfür ein besonders schönes Beispiel. – Die Kraft der Steine ist also auch heute noch gegenwärtig. Um wieviel mehr muss sie den Menschen vor 5000 Jahren bewusst gewesen sein!

Den Göttern selbst einen großen Stein entgegenzurollen, dürfte daher einst als eine besonders würdige und heilige Tat empfunden worden sein. Zumal man die Steine nicht an irgendwelche Orte setzte, sondern sie in oder an bereits bestehenden Heiligtümern errichtete. Diese Heiligtümer galten ohnehin schon als besondere Kraftorte, die sie von anderen Örtlichkeiten unterschieden. In ihrer Nähe bestattete man die Verstorbenen, errichtete Richt- und Thingstätten, baute Verteidigungswälle, Lager- und Festplätze und installierte astronomische Stationen; denn die Zeit zu bestimmen und um die Tage für die Aussaat und Ernte zu wissen, war eine besondere Kunst der Priester und Schamanen, die den Lauf der Gestirne und somit den Willen der Götter deuten konnten.

Es waren also folglich uralte Kultorte, an denen sich die wirtschaftliche und geistige Blüte der Gemeinwesen manifestierte. So stand zum Beispiel Stonehenge nie alleine in der Landschaft, sondern war in ein Netz verschiedener Kultstätten und Grabanlagen eingebunden, das sich über mehrere Kilometer erstreckte. Auch ging den eigentlichen Steinsetzungen häufig ein Monument aus Wällen und Holz voraus. Die ältesten heute noch nachweisbaren Spuren von Bautätigkeit in Stonehenge werden in die Zeit von 8000 bis 7000 v.Chr. datiert. Es sind Überreste von Pfostenlöchern, die einst Kiefernstämme gehalten hatten und die den Archäologen heute noch ausreichend Material für eine Radiokohlenstoffdatierung liefern. Stonehenge war demnach vermutlich schon 5000 Jahre lang ein kultischer Ort, ehe dort die ersten Steine aus Sarsen, einem rotbraunen Sand-stein, errichtet wurden. Doch bevor die ersten Steine nach Stonehenge geschleppt wurden, hob man circa 3000 v.Chr. um Stonehenge einen Ringgraben von mehr als 100 Meter Durchmesser aus und warf sein Erdreich zu einem Wall auf. Danach vergingen noch wenigstens 500 Jahre, bis die Sarsen aus den 30 Kilometer entfernten Hügeln der Marlborough Downs gebrochen wurden. Und wieder währte es Jahrhunderte, ehe zwischen 2300 und 1900 v.Chr. die Blausteine für den inneren Cromlech aus den rund 400 Kilometer entfernten südwalisischen Preseli-Bergen herbeigeschafft wurden. Der letzte Versuch, die bauliche Gegebenheit in Stonehenge zu verändern, fand ungefähr 1600 v.Chr. statt; davon zeugen bei Ausgrabungen gefundene Gruben, die wohl als Fundamente neuer Steine gedacht waren. Bald danach, spätestens mit dem Beginn der Eisenzeit 1200 v.Chr., verloren diese Kultorte jedoch ihre Bedeutung, und ihre Geschichte geriet in Vergessenheit.

Wenn wir heute die Dimension und Bedeutung der Cromlechs rekonstruieren und über die Talente und Absichten ihrer Erbauer nachdenken sowie versuchen, den religiösen Kontext, aus dem heraus sie wirkten, nachzuvollziehen, sollten wir uns stets vor Augen halten, dass wir dies aus einer sehr verzerrten Perspektive tun. Zum einen liegen 3000 bis 10.000 Jahre zwischen Einst und Heute. Zum anderen sind die archäologischen Fakten, was die damalige Gesellschaft angeht, insgesamt sehr spärlich. Was wir aus ihnen ableiten, wird zudem durch unsere kulturelle Prägung verfärbt. Nur ein Beispiel: Wenn wir versuchen, den religiösen Kontext zu deuten, beschäftigen wir uns im Grunde ausschließlich mit unserem Verständnisvermögen; denn «Religion» war den Menschen damals fremd. Sie war ihnen vielmehr eine vollkommene Lebenswirklichkeit. Erst etliche Jahrtausende später begannen die Menschen, über ihre Religionen zu reflektieren und sie als Glaubenssysteme einzuordnen. Deshalb können wir in Wahrheit selbst die wenigen Geschehnisse damaliger Lebenswirklichkeit, die uns die Überreste aus jener fernen Zeit offenbaren, nicht wirklich nachvollziehen. So entdeckte man zum Beispiel im Zentrum der Anlage von Woodhenge, die nur 3,2 Kilometer von Stonehenge entfernt liegt, das Skelett eines ungefähr dreijährigen Mädchens, dem der