…und plötzlich gab es SIE
Coming-out-Erzählungen frauenliebender Frauen mit heterosexueller Vergangenheit
Erzählungen
Books on Demand
Für die bereitwillige, zahlreiche und mutige Unterstützung möchte ich mich bei allen IsaRion-Autorinnen, die dieses Buch, das mir schon lange am Herzen lag, ermöglichten, herzlich bedanken.
Außerdem bedanke ich mich bei Isabelle und Marion, den Gründerinnen von „IsaRion.com“, für die Möglichkeit, das Projekt auf die Beine zu stellen.
Herzlichen Dank!
Mein besonderer Dank gilt der auf Teneriffa lebenden Künstlerin Karin Tauer für die kreative Arbeit am Coverbild. Gracias, „Frau von der Insel“!
www.IsaRion.com… wie alles begann
Die Idee entstand im Oktober 1999, als wir – Marion und Isabelle – vor dem PC saßen und durchs Internet surften. Dabei mussten wir feststellen, dass es nur sehr wenige informative Seiten mit lesbischem Inhalt gab.
Für uns, die wir ja bis kurz davor noch ein Hetero-Leben in einer Ehe mit Kindern gelebt hatten, fanden wir gar keinen Austausch im Netz.
Da kam natürlich unweigerlich die Frage auf, ob wir die einzigen Mütter sind, die sich nach langer Ehe dazu entschließen, mit einer Frau zu leben. Aber das konnten wir uns eigentlich nicht vorstellen. Gerne hätten wir Kontakt gehabt und Fragen gestellt.
Wie erging es den anderen Frauen? Wie hatten ihre Kinder reagiert? Wie war das Verhältnis zum Ex-Mann? Was kommt bei einer Scheidung auf einen zu? Können uns z. B. die Kinder versagt werden?
Alles Fragen, auf die wir auf den existierenden Coming-out-Seiten keine Antworten fanden.
Da wir beide PC-erfahren waren und auch einige Kenntnisse im Entwickeln einer Homepage besaßen, entschlossen wir uns, eine Internet-Seite für lesbische Mütter mit Heterovergangenheit zu starten.
Das ging alles dann irgendwie ganz schnell, damals noch über den Anbieter Talkline… heute mit einer eigenen Domain.
So saßen wir dann bei der Planung und überlegten uns: Wie soll die Seite heißen?
Sie sollte sich gut einprägen können, nicht zu lang sein, und etwas Persönliches wollten wir ebenfalls einfließen lassen. Schließlich kamen wir auf die Idee, unsere Namen zu verwenden und hatten nach einigem Überlegen zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Isa(belle) – (Ma)Rion = IsaRion oder Ma(rion) – (Isa)Belle = MaBelle. Letztendlich entschieden wir uns für IsaRion, was wir bis heute nicht bereut haben.
Zu Beginn gab es nur eine rein private Internetseite von/über uns. Wir schrieben unsere Geschichte, schrieben über unser Coming-out, insbesondere darüber, wie die Kinder und die Familie auf die ganze Sache reagiert hatten. Es gab lesbische Buch- und Filmtipps und Allgemeines über Homosexualität.
Viele Frauen meldeten sich per Mail. Die einen, um einfach nur Fragen zu stellen, was die ganze Situation angeht, die anderen, um sich bei uns zu bedanken.
Danke zu sagen dafür, dass es IsaRion gibt. Viele Frauen haben sich, nachdem sie unsere Seite gefunden hatten, endlich getraut, auch dazu zu stehen, dass sie eine Frau lieben und sich von ihrem Mann trennen wollen. Sie bewunderten uns, dass wir so offen mit unserem Leben umgingen.
Das Internet veränderte sich, es wurde interaktiver und so starteten wir unser erstes Forum im Jahr 2001.
Schnell waren es fünfzig bis hundert Frauen, die sich dort immer wieder austauschten.
Mittlerweile haben wir viel Software ausprobiert und sind nun ganz weg von der einfachen Homepage hin zum Portal „IsaRion – lesbische Mütter mit Hetero-Vergangenheit und frauenliebenden Frauen“. Anfangs gab es nur Frauen mit Kindern, die sich bei uns anmeldeten, stand im Kopf der Seite ja „lesbische Mütter“. Mit der Zeit kamen aber auch viele Co-Mütter dazu und Frauen, die keine Kinder haben. Heute ist es eine gelungene Mischung von Frauen jeder Lebenssituation und jeden Alters (die jüngste ist zwanzig und die älteste dreiundsechzig). Über tausendfünfhundert Frauen sind angemeldet.
Das Portal ist sehr wichtig geworden für alle Frauen, die jetzt in ähnlicher Situation wie wir damals stecken. Sie finden dort Austausch, Trost, offene Ohren und manchmal sogar die Partnerin fürs Leben.
Uns ist das Portal sehr ans Herz gewachsen. Wir investieren viel Mühe, Zeit, Geld und Herzblut hinein.
Immer wieder gibt es uns die Bestätigung, dass wir den richtigen Weg gegangen sind. Wir sind stolz auf das, was wir geschafft haben, und wünschen uns noch viele Frauen, die wir auf ihrem Weg ein Stück weit begleiten dürfen.
ISAbelle & maRION
… und plötzlich gab es SIE und die Gefühle fuhren Achterbahn.
Mit der Erkenntnis einer Frau, sich zu einer anderen Frau hingezogen zu fühlen, beginnt meist das Coming-out.
Doch was kommt durch dieses Erkennen auf sie zu? Was ist so bedeutsam an diesem Thema, dass es ganze Bücher zu füllen vermag?
Das lesbische Leben ist geprägt von Vielfältigkeit und Facettenreichtum.
Viele wissen schon immer, dass sie Frauen lieben, andere wiederum verlieben sich erst nach Jahren bzw. Jahrzehnten eines Familien- bzw. heterosexuellen Lebens zum ersten Mal in das eigene Geschlecht. Alle stehen durch dieses Gefühl des Begreifens am Anfang ihres Coming-outs, was oft einen biographischen Bruch bedeutet. Häufig ist es ein Konflikt mit den Erwartungen der Familie und Umwelt oder auch ein Widerstreit mit sich selbst, mit von der Gesellschaft übernommenen Wertvorstellungen, Homosexualität als etwas Schlechtes, Unnormales zu sehen. Für viele ist es zunächst ein großer Schreck, wenn sie erkennen, „anders“ zu sein.
Gerade mit der oben erwähnten zweiten – kleineren – Gruppe von Frauen beschäftigt sich dieses Buch. Zunächst soll allerdings das Thema Coming-out etwas vertieft werden.
Laut Definition ist das „Coming-out“ ein öffentliches Sichbekennen zu seiner Homosexualität; das Öffentlichmachen von etwas [als bewusstes Handeln].
Doch drückt diese Begriffserklärung nicht alles aus, was ausgesagt werden soll.
Das Coming-out (englisch = herauskommen) ist vielmehr ein oft langwieriger, mitunter Jahre währender Prozess, in welchem eine lesbische Frau bzw. ein schwuler Mann sich selbst und der Umwelt gegenüber zur Homosexualität bekennt.
Es wird dabei zwischen dem Coming-out und dem Feststellen der eigenen sexuellen Orientierung unterschieden. Als Kriterium dient somit nicht, inwieweit die betroffene Frau der Öffentlichkeit ihre Homosexualität preisgibt, sondern die Tatsache, ob sie innerlich ihre sexuelle Orientierung akzeptiert hat und sich selbst nicht verleugnet.
In diesem meist mit starken Emotionen und psychischen Spannungen verbundenen Prozess unterscheidet man zwei Phasen, die aufeinander folgen, das „innere“ und das „äußere“ Coming-out.
Das innere Coming-out wird geprägt durch die Zeit bis zum Bewusstwerden einer bei der eigenen Person vorhandenen sexuellen Orientierung. Wie lange diese Phase andauert, ist individuell unterschiedlich, sie kann sich teilweise über viele Jahre hinziehen.
Das äußere Coming-out umfasst den Teil des Prozesses, bei dem man allen oder auch nur ausgewählten Menschen des sozialen Umfeldes die eigene Homosexualität offenbart. Dies erfolgt oft beginnend mit nahen Verwandten oder Freunden und nur bei einem Teil des sozialen Umfeldes.
Einen klar definierten Abschluss für den Prozess des Coming-outs gibt es nicht. Die Stufen reichen vom völlig offenen bis zum komplett zurückgezogenen Leben. So gibt es leider noch viele Lesben, die den zweiten Schritt des Coming-outs nicht mitgehen – sei es aus Scham oder aus Furcht vor Anfeindungen und Ausgrenzung.
Auch ist das Outing nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Teilweise realisieren Frauen ihre Homosexualität erst mit vierzig, fünfzig oder gar sechzig Jahren und verlieben sich zum ersten Mal in eine andere Frau.
Für die einen ist es eine Erleichterung, weil sie endlich wissen, wer sie sind. Sie empfinden ein Ankommen zu sich selbst. Für andere bedeutet diese Erfahrung ein Wechselbad der Gefühle, die von Glück und Begeisterung bis hin zu schweren Identitätskrisen reichen können.
Sie stehen vor dem Problem, ihrer Umgebung über eine lange Zeit eine Fiktion gezeigt zu haben, die nur sehr schwer zu widerrufen ist. Die Betroffenen empfinden ein subjektives Gefühl des „Andersseins“. Viele Frauen glauben in dieser Situation, die oft aus heiterem Himmel kommt, ganz allein und einzigartig zu sein. Das Empfinden, sich trotz zum Teil jahrelangen Ehe- bzw. Familienlebens plötzlich in das gleiche Geschlecht zu verlieben, unterscheidet diese Frauen sowohl von den Heterosexuellen wie auch von den Lesben, die ihre sexuelle Orientierung bereits während der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter erkannt und für sich akzeptiert haben. So führt die Erkenntnis, lesbisch zu sein, in vielen Fällen zu der Entscheidung, das bisher geführte Leben komplett zu verändern.
In dieser Phase, die geprägt ist von den ersten Schritten in eine Frauenbeziehung und den besonderen Schwierigkeiten eines Coming-outs gegenüber dem männlichen Partner bzw. den Kindern, von dem inneren und äußeren Bruch mit Normen der Gesellschaft, sind Gespräche, Austausch und Klärung besonders wichtig.
Dieses Buch kann in jeder Phase des Coming-outs begleiten, unterstützen und Mut machen, den neuen Weg zu gehen.
Die Idee zu diesem Projekt entstand im Internetforum IsaRion.com aus dem Bedürfnis heraus, anderen Frauen viele mögliche Wege des Coming-outs von Frauen mit heterosexueller Vergangenheit zu erzählen.
Patricia Kay Parker
42/42 Jahre
5 Kinder
berufstätig
NRW
Wie alles begann…
Alles begann mit einer Kontaktanzeige von mir (Marion) im Internet bei BiNe. Sie lautete wie folgt:
„Will nicht mehr mein Leben träumen, will den Traum endlich leben.
Bin 33, verh., suche Sie zwecks Erfahrungsaustausch.“
Isabelle meldete sich auf diese Anzeige. Tägliche Mails gingen übers Netz, ellenlang, und es dauerte nur sieben Tage, bis wir uns trafen.
Boom!! Es schlug ein wie eine Bombe. Wir wussten, dass die andere diejenige ist, nach der wir gesucht hatten.
Wir trafen uns, wann immer und so oft wir konnten. Das gestaltete sich jedoch schwierig, weil ja die Kids (sie drei und ich zwei Kinder) und die Männer auch noch da waren.
Dann gab es da noch die Urlaube, die uns trennten. Erst fuhr ich zwei Wochen weg, eine Woche später sie für drei Wochen.
Die Anziehung war schon so groß, dass die Zeit ohne einander kaum auszuhalten war, aber sie verging. Emotional war das alles sehr, sehr anstrengend.
Im Herbst wagten wir schließlich beide den Schritt, den wir aus heutiger Sicht schon viel früher hätten wagen sollen.
Wir trennten uns beide von unseren Männern und jede von uns nahm sich mit den Kindern eine Wohnung nur fünfhundert Meter Luftlinie voneinander entfernt.
Gleich zusammenzuziehen war uns nicht ganz geheuer, weil wir doch erst einmal versuchen mussten, alleine auf eigenen Beinen zu stehen. Außerdem kannten wir uns ja gerade erst drei Monate.
Ein halbes Jahr später zog ich zu Isabelle, deren Wohnung für uns alle groß genug war. Zumal mein Ältester – damals dreizehn Jahre alt – bereits nach drei Monaten wieder zurück zu seinem Vater gezogen war. Wir konnten es gut nachvollziehen, dass er zum Papa wollte, da es dort doch ruhiger war als mit Mama und drei fremden Kids und einer fremden Frau.
Ich hatte kein Problem damit, ihn gehen zu lassen. Ich wusste, dass er auch in der Nähe meiner Eltern sein würde, denn mein Ex-Mann wohnte noch in der alten Wohnung im Haus der Eltern.
So lebten wir dann mit nur noch vier Kindern (7, 10, 11 und 12) für die nächsten anderthalb Jahre zusammen. Dann wollte allerdings auch mein jüngster Sohn zu seinem Vater. Er fühlte sich hier bei uns nicht mehr geliebt genug. Nun, bei drei weiteren Kindern, die mit uns lebten, war es für mich schwierig, meinem Prinzen die gewohnte Aufmerksamkeit zu schenken. Natürlich liebte ich ihn mehr und anders, als ich Isabelles Kids mochte. Und natürlich versuchte ich immer, ihm alles recht zu machen, doch es funktionierte einfach nicht. Er konnte sich nicht mit den anderen Kindern arrangieren, hatte große Probleme und ich fand keinen Mittelweg. Und als ich es nicht länger ertrug, ihn leiden zu sehen, und ihm helfen wollte, ging ich schließlich mit ihm zum Kinderschutzbund, wo er dann den Wunsch äußerte, zu seinem Vater gehen zu dürfen.
Dieser Wunsch kam für mich etwas überraschend, weil mein Ex-Mann sich zuvor kaum um seinen Sohn gekümmert hatte. Dieser war erst wieder interessant geworden, nachdem mein Ex-Mann seine neue Frau kennengelernt hatte.
Dem Rat der Kinderpsychologin folgend, die der Ansicht war, es sei der innige Wunsch meines Sohnes, zu seinem Vater zu ziehen, stimmte ich schweren Herzens zu. Ich glaubte, er würde dort bei seinem Vater und seinem Bruder endlich wieder etwas zur Ruhe kommen, was sich zunächst auch bestätigte, denn es ging dem Jungen gut… scheinbar.
Scheinbar deshalb, weil ich im Endeffekt nicht durchschaute, was dort gespielt wurde.
Nun lebten wir mit drei Kindern völlig offen als Familie auf dem Dorf.
Isabelles Sohn, der gerade fünfzehn Jahre geworden war, hatte eine feste Freundin. Und obwohl es augenscheinlich keine Probleme zwischen ihm und seiner Mutter gab, kamen die beiden einfach nicht mehr auf eine Wellenlänge.
Wir mussten feststellen, dass es für Frauen, insbesondere was die Söhne angeht, schwierig ist, wenn die männliche Bezugsperson bzw. der Vater fehlt.
Naja, der war wohl in der Pubertät überhaupt sehr vonnöten und das hatte nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass wir nun lesbisch lebten.
Viele werden jetzt sagen: Das war doch klar, dass die Jungs flüchten. Allerdings haben wir in vielen Gesprächen festgestellt und sind der Ansicht, dass viele Kinder, die bei der Scheidung die Möglichkeit haben, ihren Lebensraum zu wechseln, früher oder später davon Gebrauch machen, weil es für sie der angenehmere Weg ist.
Es lag also nicht daran, dass wir lesbisch waren, sondern an der Tatsache, dass wir uns scheiden ließen.
Schließlich zog im April 2003 auch Isabelles Sohn zu seinem Vater, so dass wir ein reiner Weiberhaushalt waren, aber nur für kurze Zeit, denn bereits im Januar 2004 waren meine beiden Sprösslinge wieder bei uns. Der Ältere (fast achtzehn Jahre) kam schon vor Silvester und vierzehn Tage später war auch der „Kleine“ (fast fünfzehn Jahre) wieder da.
Was jetzt so plötzlich klingt, hatte sich bereits im Herbst 2003 angekündigt, als der „Kurze“ mitteilte, dass er wieder zurück zu uns möchte. Wir versuchten ihm zunächst klarzumachen, dass dies nicht so einfach zu bewerkstelligen sei, wegen der Schule, der Freunde, des Vereins und überhaupt. Er könne nicht immer hin und her.
Zu diesem Zeitpunkt war er gerade zwei Jahre bei seinem Vater und entschlossen, zurückzukehren.
Dass der Große wieder bei uns leben würde, war für uns unvorhersehbar. Lange Zeit hatte er uns nichts gesagt und sich bemüht, mit seinen Problemen dort selbst fertig zu werden, bis es einfach nicht mehr ging. Und nachdem er wieder bei uns eingezogen war, rechneten wir bereits damit, dass auch der Kleine bald wieder bei uns sein würde.
Im Juli 2004 gingen wir mit einer großen Familienfeier die Lebenspartnerschaft ein. Isabelles Familie aus Frankreich war fast vollzählig angereist – und sie hat nicht gerade eine kleine Familie.
Meine Familie, wobei wir meinen Vater sehr vermissten, all unsere Freunde – ob hetero oder homo – waren gekommen: vierzig Personen. Es war für uns ein wundervoller Tag, er war für alle so selbstverständlich.
Ich könnte noch zehn Seiten über uns schreiben, doch es ist sehr schwierig, unsere ersten, sehr intensiven Monate zusammenzufassen. Unser Leben hat sich seitdem radikal verändert.
Es gab und gibt immer noch mal mehr und mal weniger Schmerz, Tränen, Gewissensbisse und Ängste, aber ich kann nur sagen, es lohnt sich, zu seinen Gefühlen zu stehen.
Wir haben sicher nicht den einfachsten Weg gewählt und teilweise stoßen wir auch auf Unakzeptanz (sowohl auf lesbischer wie auf heterosexueller Seite). Viele verstehen einfach nicht, warum wir erst nach fünfzehn Jahren bzw. zwölf Jahren scheinbar glücklicher Ehe diesen Weg gegangen sind.
Heute wissen wir, dass wir nicht die einzigen sind, und über diesen Weg möchten wir anderen Frauen Mut machen, unsere Erfahrungen weitergeben und ihnen einfach zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Jetzt – im März 2008 – sind wir nun schon fast neun Jahre zusammen und es gab keinen einzigen Tag, an dem wir irgendetwas bereut haben. Für uns war der Weg, den wir gegangen sind, genauso richtig, wie Kinder zu bekommen. Wir sind glücklich so, wie wir jetzt leben, und stolz darauf, das alles aus eigener Kraft geschafft zu haben!
38 Jahre
2 Kinder (9 und 12 Jahre)
Freiberufliche Diplompädagogin
und Dramadozentin
Thüringen
In oder Out
Als Teenager entwickelte ich meinen persönlichen Test, der mich eine ganze Weile begleitete: Immer, wenn ich die Befürchtung hatte, dass das Kribbeln, was mich beim Anblick dieses Mädchens oder jener Frau erfüllte, mehr bedeuten könnte als Achtung, Respekt oder Freundschaft, stellte ich mir lebhaft vor, diejenige zu küssen (mit Zungenkuss!).
Solange diese Vorstellung mir Angst machte, mich gar ekelte oder wenigstens Unbehagen bereitete, war alles o. k. – ich war normal.
Dass ich im wahrsten Wortsinn noch gar nicht wachgeküsst war und somit das Zungenküssen überhaupt sich für mich nicht wirklich mit Freude verband, kam mir dabei nicht in den Sinn…
Irgendwann versagte dann auch folgerichtig diese „Probe“ und ich erkannte klar, dass ich mich als Frau durchaus auch in Frauen verlieben konnte. Vom sicheren Hafen meiner festen Beziehung zum künftigen Vater meiner Kinder aus ließ sich das ziemlich leicht eingestehen.
In frauenbewegten Seminaren an der Uni holte ich mir das theoretische Rüstzeug, um meine erziehungsmäßig recht konservative Haltung zur Sexualität im Allgemeinen und Konkreten bewusstseinserweiternd zu ändern.
Da ich hoffnungslos monogam sowie sehr loyal und treu bin, spielte sich alles jahrelang nur in der Phantasie oder in theatralischen Als-ob-Situationen (dem Bereich, wo alles möglich und nichts wirklich ist) ab.
So weit, so unbefriedigend…
Ich lebte als Teil einer bürgerlichen Idealfamilie – Vater, Mutter und zwei Kinder – und die Intervalle mich ereilender partnerschaftlicher Krisenerschütterungen wurden immer kürzer. Irgendwann erlahmte mein Kampfgeist – wir mussten feststellen, uns absolut auseinandergelebt zu haben und trennten uns.
Neben der Wehmut nach fünfzehn Jahren gemeinsam gelebter Zeit ergriff mich eine große Erleichterung und wochenlang gelang es mir nur mühsam, auf die besorgte Nachfrage von Freunden ob der neuen Situation – allein mit den Kindern zu sein – mein seliges Grinsen zu unterdrücken und ihre nicht unberechtigten Befürchtungen angemessen ernst zu entkräften.
Nun war der Weg wieder frei und mit Mitte dreißig flog ich punktgenau auf Wolke sieben und erzitterte unter den Schmetterlingen, die mit meinen Hormonen Polka tanzten.
Ganz klar, ich war wieder im Teenagerstadium angekommen, nur dass ich diesmal keinen Test brauchte, um zu begreifen: Ja, ich will! Ich will diese Frau endlich das eintausendunderste Mal berühren!
Sprachhüllen von damals bekamen auf einmal neuen Sinn: Mit ihr gemeinsam wollte ich fortan durchs Leben gehen.
Die rosarote Ziel-„Gerade“ mäanderte dann jedoch gewaltig. Genug Zeit für die Kinder, sich an meine Auserwählte als Freundin der Familie und gelegentlichen Babysitter zu gewöhnen.
Genug Zeit auch für unsere Umgebung, schon viel eher zu bemerken, was in unser Bewusstsein so unendlich langsam kroch – wir galten bereits als Paar, als sie für mich noch Lichtjahre entfernt schien und ich mich eben mit der Frage beschäftigte, wie ich wohl mit einer Frau zu flirten habe (ein Gebiet, was mich aus reiner Ungeübtheit an sich schon überforderte).
Genug Zeit ebenso für meine Noch-Schwiegermutter, das erste und einzige Mal bei meinen Eltern anzurufen und sie über ihre Tochter aufzuklären. Dass diese Aktion lediglich das Wie, nicht aber das Was unseres Gespräches, welches wir drei Tage später von Angesicht zu Angesicht ohnehin führten, änderte, wird sie wohl nie erfahren und sonnt sich vielleicht noch heute in ihrem scheinbaren Triumph.
Mein akademisch geschulter Papa hatte in seiner Hilflosigkeit eine Frageliste erstellt, die er, wie in unzähligen Konferenzen erprobt, Punkt für Punkt abarbeitete (er machte sich tatsächlich Häkchen bei dem, was besprochen war).
Meine Mama versäumte nicht, mich einen Tag vorher vertraulich anzurufen, um sich ausreichend ins Bild zu setzen – mit der Absicht, zu erwartende Wogen zu glätten. Alles wie immer.
Mit der in unserer Familie gottlob üblichen Offenheit versuchte ich mich zu erklären, so weit ich überhaupt eine Sprache dafür hatte. Da meine Eltern längst aufgegeben haben, meine verschlungenen und auch zuvor schon nicht genormten Lebenslinien zu verstehen, fielen sie vor Überraschung nicht eben vom Stuhl.