Buchbeschreibung:

Sandy White glaubt nicht daran, dass es die Wesen der Nacht gibt. Das ändert sich kurz nach ihren siebzehnten Geburtstag. Da erfährt sie, dass sie ein Vampir ist.

Als ihre Mutter ihr am nächsten Morgen ein uraltes Buch und eine Kette schenkt, fängt für sie ein Albtraum an. Kann sie sich daraus befreien? Oder reißt er ihr perfektes Leben aus den Fugen?

Über den Autor:

Heike Doeve wurde 1969 in Haan geboren. Ihr erlernter Beruf ist Hauswirtschafterin. Doch diesen kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Sie ist verheiratet und lebt in Wuppertal. Ihre Haustiere sind eine Katze und eine Landschildkröte.

Sie las seid ihrer frühsten Kindheit an sehr gerne. Ihr Lieblingsgenre ist Fantasy. Und dort liebt sie besonders Vampirgeschichten. Diese Geschichten weckten den Wunsch in ihr selber zu schreiben.

1. Auflage 2020

© 2019 Heike Doeve Alle Rechte vorbehalten.

Herstellung und Verlag: BoD - Books on

Demand, Norderstedt

9783750455382

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Claras Geheimnis

Sandy White kam von der Schule heim. Sie schüttelte den Kopf, als sie das blaugestrichenen Haus in South Kensington betrat. Das Gebäude hat einen Anstrich nötig, dachte sie. Während sie die Treppen hochlief, erinnerte sie sich daran, dass sie die Farbe mal schön fand. Da war ich fünf, mahnte sie sich. Damals meinte ich, dass der weiße Stuck wie Wolken die Fassade verzierte. Sie schloss die Tür auf und betrat die Wohnung.

„Hallo! Schon zurück?“ Clara White saß am Küchentisch und arbeitete an ihren Noten. „Ist bei dir was ausgefallen?“ Sie sah ihre Tochter an, als diese in die Küche schritt.

„Ja, Mister Red ist krank.“ Sandy schenkte sich ein Glas Saft ein. „Und bei dir? Probt ihr heute nicht?“

Clara White sang dreimal in der Woche in den Pubs. Ihre Freundin Tina Schmitz begleitete sie dabei auf dem Klavier. Seit einem Jahr schrieb Clara ihre eigenen Lieder. Diese kamen so gut an, dass ihre Konzerte seitdem ausverkauft waren. Worüber sie sich freute, weil sie schon lange darauf gewartet hatte.

„Tina hat heute einen Arzttermin. Sodass wir uns erst um 19:00 Uhr treffen. Was mir recht ist.“ Sie schwieg. „Ich muss mit dir über was Wichtiges reden. Komm mit ins Wohnzimmer. Denn ich finde, dass es dort gemütlicher ist.“ Sie stand auf, schnappten sich die Wasserflasche und ein Glas und stolzierte vor ihrer Tochter her.

Sandy blieb einen Moment stehen und sah auf die Küchenuhr, welche an der Wand ihr gegenüber hing. „In Ordnug!“ Sie folgte ihrer Mum. „Ich habe eine Stunde Zeit, bevor ich wieder aufbreche.“

„Wo willst du denn heute noch hin?“Ihre Mutter setzte sich auf das Sofa.

Sandy mochte diesen Raum, denn sie fand, dass er der Gemütlichste in der Wohnung war. Die Hälfte des Zimmers beanspruchte ein Klavier. Dieses hatte sich Tina Schmitz für die Proben gekauft. Wenn sie nichts anderes vor hatte, hörte sie den beiden zu. Sie liebte es, wenn Tina auf dem Flügel spielte und ihre Mutter dazu sang.

„Aber das weißt du doch!“ Sandy sah ihre Mum irritiert an. „Ich habe heute um 18:00 Uhr das letzte Mal Deutschkurs.“ Sie setzte sich in einen der drei Sessel. „Zum Glück! Denn ich fand, dass dieses Jahr sehr anstrengend.“ Sie seufzte. „Obwohl ich weiß, dass ich ohne Sprachkenntnisse dort nicht zurechtkomme.“ Sie schwieg einen Moment. „Wir haben in der vorigen Stunde vereinbart, dass wir anschließend noch in einem Pub feiern gehen. Das ist zwar freiwillig, aber der ganze Kurs geht mit.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Da ich hier ja sowieso allein bin, klinke ich mich nicht aus.“

„Das ist okay!“ Clara schenkte sich Wasser ein. „Daran habe ich nicht gedacht.“ Sie schaute ihre Tochter an. „Ich bin froh darüber, dass du bald fliegst.“ Sie hielt inne. „Freust du dich über die Chance, die du bekommst? Ich schon!“

„Ja, ich freue mich. Obwohl ich anfangs von der Idee nicht begeistert war.“ Sandy seufzte. „Als du mir dieses Jahr vorgeschlagen hast, wollte ich es ablehnen.“ Sie sah ihre Mutter an. „Was du erfolgreich verhindert hast, indem du es gebucht hast, ohne mich vorher zu fragen.“ Sie winkte mit der Hand ab. „Aber lassen wir das! Denn das ist bestimmt nicht das, worüber du mit mir sprechen wolltest.“ Sie hielt inne. „Was gibt es?“ Sie wunderte sich darüber, dass diese ihrem Blick auswich.

„Da hast du recht!“ Clara blickte aus dem Fenster und atmete tief durch. Dann wandte sie sich Sandy zu. „Mir fällt es schwer, mit dir darüber zu reden.“ Sie seufzte. „Aber ich kann es nicht noch länger aufschieben. Weil ich finde, dass du die Wahrheit kennen solltest, bevor du fährst.“ Sie hielt inne. „Auch wenn das jetzt kein guter Zeitpunkt ist, da du gleich wieder verschwindest.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Doch das kann ich nicht ändern.“ Sie dachte nach. „Es tut mir leid, dass ich dir das jetzt zumuten muss. Aber es geht nicht anders.“

„Ist schon in Ordnung! Ich weiß, dass du sehr beschäftigt bist.“ Sandy sah ihre Mutter an. „Ich habe schon lange vermutet, dass du was vor mir verbirgst. Da ich Tag für Tag erlebe, dass du dich sehr merkwürdig benimmst.“

„Das verstehe ich nicht! Wie meinst du das?“

„Nun! Du wirst sehr oft eingeladen, doch du sagst sie alles ab.“ Sandy sagte nichts. „Und von Tina ich weiß, dass du nach den Konzerten von Männern angesprochen wirst. Aber auch mit diesen triffst du dich nicht.“ Sie stöhnte. „Was ich nicht normal finde.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und auch Tina wundert sich darüber, wie sie dir schon öfters gesagt hat.“ Sie griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck Saft. „Mir kommt es so vor, als ob du dich in das Schreiben der Lieder stürzt. Nicht das du mich falsch verstehst: Ich gönne dir den Erfolg.“ Sie unterbrach sich erneut. „Doch ich frage mich schon länger, ob es dafür einen Grund gibt. Aber dann habe ich mir gedacht, dass es deine Sache ist. Und dich nicht darauf angesprochen.“

„Ich hatte vergessen, wie genau du beobachten kannst.“ Clara drehte sich um und starrte aus dem Fenster. Dann wandte sie sich ihrer Tochter erneut zu. „Du hast recht! Es gibt einen Grund.“ Sie hielt inne. „Als ich Bogus kennenlernte, war ich zweiundzwanzig. Er war zwei Jahre älter als ich. Wir sahen uns auf einer von Saras Partys das erste Mal.“ Sie trank einen Schluck Wasser. „Ich weiß noch, dass Tom Sara sehr schnell zum Tanzen aufgefordert hat. Deshalb stand ich einen Moment lang allein am Rand und mich schaute im Saal um. Dabei fiel mir Bogus ins Auge und ich verliebte mich sofort in ihn. Denn ich fand, dass er so schön war.“ Sie schwieg. „Bogus muss gespürt haben, dass ich ihn angestarrt habe. Da er sein Gespräch unterbrach.“ Sie seufzte. „Als er zu mir gesehen hat, habe ich gedacht, dass ich träume. Danach kam er lächelnd auf mich zu und forderte mich zum Tanzen auf. Was ich angenommen und nicht bereut habe. Da er charmant und witzig war.“

Sie hielt inne. „Als ich eine Pause brauchte, wollte ich ihn näher kennenlernen. Darum verzog ich mich in eine der ruhigeren Ecken. Ich habe gehofft, dass er mir folgt. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht daran geglaubt.“ Sie seufzte. „Als ich mich kurz umdrehte, stellte ich fest, dass er tatsächlich hinter mir her kam. Da er denselben Wunsch hatte, wie er mir später erzählt hat.“ Sie trank einen Schluck Wasser. „Ich erinnere mich daran, dass wir an dem Abend nicht mehr getanzt haben. Stattdessen haben wir stundenlang über alles Mögliche geplaudert und viel gelacht.“

Clara stellte das Glas wieder auf den Tisch zurück. „Von da an verabredete ich mich mit Bogus jeden Tag. An einem Tag im Monat haben wir uns mit unseren Freunden im Kino getroffen. Was besonders mir ziemlich viel Spaß gemacht hat, weil ich viele Freundinnen hatte.“ Sie schwieg. „Bei trockenen Wetter spazierten wir lange im Wald herum. Und im Sommer fuhren wir zum Schwimmen ans Meer.“ Sie schaute nach draußen. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Tochter um. „An anderen Tagen aßen wir bei ihm. Denn er kochte sehr gut. Im Gegensatz zu mir, wie du weißt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und wenn Freunde uns zu Partys einluden, hat er nur mit mir getanzt.“ Sie unterbrach sich. „Mir fällt wieder ein, dass Sara mich darum beneidet hat. Weil sie noch keinen Partner hatte.“

„Ich bin erstaunt darüber, dass du mir das nie erzählt hast. Denn das ist toll!“ Sandy schwieg. „Es klingt nach der ganz großen Liebe!“ Sie atmete ein und aus. „Ich wünsche mir so sehr einen Freund. Weißt du, dass ich die einzige in der Klasse bin, die noch keinen hat?“

„Nein, das habe ich nicht gewusst.“ Clara umarmte ihrer Tochter. „Ich finde das nicht schlimm.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wenn du mich fragst, ist es besser, solo zu sein, als sich in den Falschen zu verlieben. So wie ich!“

„Hat Bogus dich nicht geliebt?“ Sandy wunderte sich darüber. Denn ihre Mum sah aus wie ein Model. „Habe ich da was verkehrt verstanden?“ Sie schaute ihre Mutter an. „Ich dachte, du hättest die Zeit genossen?“

„Nein! Das ist richtig so.“ Clara seufzte. „Wahr ist auch, dass ich hoffnungslos in ihn verliebt war.“ Sie sah aus dem Fenster. „Darum hat es eine Weile gedauert, bis ich bemerkt habe, dass er sich veränderte.“

„Was ist denn passiert?“, wollte Sandy wissen.

Clara sah ihre Tochter wieder an. „Etwas wo ich mir zunächst nichts bei gedacht habe. Weil überall die Grippe grassierte. Deshalb habe ich angenommen, dass Bogus sich angesteckt hat.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich wartete zwei Tage ab. Als ich nach dieser Frist feststellte, dass er richtig eisige Haut hatte, habe ich ihn gebeten zum Arzt zu gehen. Doch das lehnte er ab.“ Sie stöhnte. „Er hat gemeint, dass es ihm gut ginge. Was ich nicht glauben konnte.“ Sie unterbrach sich. „Es verging eine Woche, in der wir uns sehr häufig gestritten haben.“ Sie atmete ein und aus. „Das nächste was mir auffiel, war, dass er das Sonnenlicht mied. Als er anfing, die Wohnung zu verdunkeln, hat es mir gereicht. Ich habe die Tür zugeknallt und Sara angerufen. Das war an einem herrlichen Nachmittag und wir trafen uns zum Schoppen.“ Sie sagte nichts. „Als ich zu ihm zurückkehrte, stand mein Entschluss. Noch am selben Abend habe ich mit ihm Schluss gemacht.“

„Okay! Ich verstehe dich.“ Belass es dabei, mahnte sie sich. Schneid das andere Thema jetzt nicht an. Sandy sah sie an. „Hat er die Trennung akzeptiert?“

„Nein! Er hat tagelang bei mir angerufen. Ich war so genervt, dass ich eine neue Nummer beantragt habe.“ Clara schwieg. „Doch das löste das Problem nicht. Denn danach hat er abends pausenlos an der Haustür geklingelt. Da ich dank der Videoanlage sehen konnte, dass er es war, habe ich nicht geöffnet. Denn ich war zu wütend auf ihn.“ Sie seufzte. „Schließlich hat es Bogus aufgegeben. Was ich gut fand!“ Sie trank einen Schluck Wasser. „In dem Moment ich habe gedacht, dass ich ihn für immer los bin.“ Sie sagte nichts. „Leider habe ich mich zu früh darüber gefreut, wie ich jetzt weiß. Denn ich traf ihn zwei Wochen später wieder.“

Das darf nicht wahr sein! , dachte Sandy. Sie sah ihre Mutter fragend an.

Clara sammelte sich, bevor sie fortfuhr. „An diesem Tag feierte Sara ihren Geburtstag.“ Sie seufzte. „Als ich dort ankam, sah ich, dass Bogus einer der Gäste war.“ Ihre Stimme brach.

„Wieso hat deine Freundin ihn denn eingeladen?“ Sandy schüttelte den Kopf. „Du hast ihr doch sicher gesagt, dass ihr euch getrennt habt“ Sie schaute ihre Mum an. „Oder?“

„Ihr ja! Da hast du recht!“ Clara hielt inne. „Rainer wusste es als Einziger nicht, denn er war im Urlaub. Dieser hat Bogus unterwegs getroffen und ihn mitgebracht.“ Sie schwieg erneut. „Das war bei uns auf solchen Feiern üblich. Was ich vergessen hatte.“

„Okay! Auch wenn ich das seltsam finde, erklärt das, warum Bogus da war.“ Sandy schwieg einen Augenblick. „Hast du es geschafft, ihn die kalte Schulter zu zeigen?“ Sie sah ihre Mutter an. „Ich hätte es an deiner Stelle realisiert. Doch ich bin nicht du.“ Sie seufzte. „Wie ist es weitergegangen?“

„Nein, das habe ich nicht!“ Clara schüttelte den Kopf. „Das wäre unhöflich gewesen. Auch wenn er es verdient gehabt hätte. Da gebe ich dir recht!“ Sie unterbrach sich. „Ich wusste, dass er sich vor den anderen benehmen würde.“ Sie seufzte. „Als er dann auf mich zugekommen ist, hat er sich bei mir entschuldigt.“

„Nach all dem was du mit ihm erlebt hast, hast das du ihm geglaubt.“ Sandy atmete ein und aus. „Wie konntest du nur?“

„Ja!“ Clara schaute sie an. „Es war noch am Anfang des Abends. Hinzu kam, dass er so nett war, wie vor unserem Streit. Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er es nicht ernst meint.“ Sie schwieg. „Ich war nicht die Einzige, die das so gesehen hat. Auch Sara hat gedacht, dass alles wieder in Ordnung ist.“ Sie trank einen Schluck Wasser. „Doch in Wirklichkeit hat er nur mit mir gespielt. Damit ich ihm erneut vertraue.“ Sie schaute aus dem Fenster. „Es passierte am frühen Morgen. Da hat er mich gebeten, mit ihm nach draußen zu kommen. Weil es im Raum sehr stickig war, stimmte ich zu. Als wir das Haus verlassen hatten, spazierten wir durch den Garten zu einem angrenzenden Wiesenstück. Ich erinnere mich noch daran, dass es leicht geschneit hat. Und ich mich fest in meine Jacke gekuschelt habe.“ Sie hielt inne. „Dort blieben wir stehen und er küsste mich heftig. Da er mich damit völlig überrumpelt hat, konnte ich mich nicht dagegen wehren. Als ich wieder Luft holen konnte, habe ich ihn um mehr Zeit gebeten.“

„Ich vermute jetzt mal, dass Bogus damit nicht einverstanden war.“ Sandy sah sie an. „Stimmt es Mutter?“ Sie dachte nach. „Warum hast du ihn nicht dort stehen lassen und bist zurück ins Haus geflohen?“ Sie seufzte. „Das hätte ich an deiner Stelle getan.“

„Weil ich das nicht konnte, da er sehr viel stärker war als ich.“ Clara sagte nichts. „Ich habe mich mit all meiner Kraft gewehrt. Trotzdem gelang es ihm, mich auf den Boden zu drücken.“ Sie hielt inne. „Ich habe laut geschrien, als ich begriffen habe, was er plante.“ Sie atmete ein und aus, bis sie sich beruhigte. „Leider hat das niemand gehört, da wir zu weit vom Haus entfernt waren.“

„Bogus hat dich vergewaltigt! Stimmt es?“ Sandy sah ihre Mutter entsetzt an. „Ich finde das fürchterlich und es tut mir sehr leid!“ Sie trank einen Schluck Saft und stellte das Glas zurück auf den Tisch. „Jetzt verstehe ich besser, wieso du wie besessen arbeitest.“ Sie seufzte. „Obwohl ich finde, dass du es verdienst glücklich zu sein, kann ich nun nachvollziehen, warum du dich mit niemanden triffst.“ Sie schüttelte den Kopf. „Auch wenn das eine gute Ablenkung wäre. Damit du nicht mehr so viel darüber nachdenkst.“ Sie schwieg kurz. „Ist das alles was, du mir das sagen wollest?“

„Nein, das ist es nicht!“ Clara schaute ihre Tochter an. „Wer sagst dir, dass ich ständig daran denke? Das ist falsch! Auch wenn ich es niemals vergessen kann. Denn es ist noch viel schlimmer, als du ahnst.“ Sie schwieg. „Du hast recht! Bogus hat mich brutal vergewaltigt.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Was danach geschehen ist, kann ich dir nicht sagen.“ Sie stöhnte. „Weil ich erst im Krankenhaus wieder aufgewacht bin.“

Das ist jetzt nicht wahr!, dachte Sandy. Ganz ruhig!, mahnte sie sich. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. „Wie bist du denn da hingekommen?“

„Musst du los?“,wollte Clara wissen. Als sie sah, dass Sandy den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Ich weiß von Sara und den Ärzten, was damals geschehen ist.“ Sie sagte nichts. „Sara war es auch, die den Krankenwagen gerufen hat. Wofür ich ihr heute noch dankbar bin. Denn sie hat mir dadurch das Leben gerettet.“

„Ich verstehe gar nichts mehr!“ Sandy trank einen Schluck Saft. „Warum das?“

„Ich kann nur sagen, dass ich Glück gehabt habe.“ Clara zögerte einen Moment. Dann gab sie sich einen Ruck. „Sara hat beobachtet, wie wir nach draußen gegangen sind. Zunächst hat sie sich nichts dabei gedacht.“ Sie atmete ein und aus. „Doch als wir nach zwanzig Minuten immer noch nicht zurückgekehrt waren, kam ihr das so verdächtig vor, dass sie anfing, uns zu suchen.“ Clara schwieg erneut. „Als sie mich fand, habe ich wie tot und blutend dort gelegen. Was sie sehr erschreckt hat.“ Sie stöhnte. „Doch nach einem Moment hat sie gemerkt, dass ich noch atmete. Was sie so weit beruhigt hat, dass sie einen Krankenwagen anrufen konnte.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass von Bogus jede Spur gefehlt hat.“ Sie sah ihre Tochter an. „Oder?“

„Wie bitte! Das glaube ich jetzt nicht.“ Sandy starrte ihre Mutter an. „Er ließ dich allein dort liegen und verschwand.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du hättest erfrieren können, wenn du nicht rechtzeitig gefunden worden wärst.“ Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Hast du ihn angezeigt?“

„Nein!“ Clara seufzte. „Dazu war ich nicht in der Lage.“ Sie sagte nichts. „Sara hat nicht daran gedacht. Aber selbst wenn: Hätte sie es nicht gekonnt, da sie nicht gewusst hat, was passiert ist.“

„Das hätte sie dazu doch gar nicht gebraucht.“ Sandy dachte nach. Dabei fiel ihr wieder ein, was ihre Mutter noch erwähnt hatte. „Moment mal!“ Sie schaute sie an. „Warum hast du geblutet?“

„Weil der Arzt wissen wollte, was mit mir los war, hat er mich gründlich untersucht.“ Clara unterbrach sich. „Ich weiß, dass das nichts besonderes ist. Denn das war seine Aufgabe.“ Sie hielt inne. „Dabei hat er eine Wunde am Hals gefunden, welche bis heute sichtbar ist.“

„Okay! Das erklärt das Blut.“ Sandy zuckte mit den Schultern. „Das ist nun mal bei manchen Verletzungen so.“ Sie hielt inne. „Was ist denn bei dieser anders?“

„Es ist eine Wunde, die die Ärzte bis jetzt nicht zuordnen können. Denn sie sieht aus wie der Biss eines Vampirs.“

„Aber Mutter! Es gibt keine Vampire. Obwohl die von dir erwähnten Anzeichen dazu passen würden.“ Sandy schwieg. „Wenn es ein Buch wäre, würde ich sagen, dass er sich gewandelt hat. Doch das hier ist real.“ Sie unterbrach sich. „Kann es sein, dass du diesen Teil geträumt hast?“ Sie schaute sie an. „Und sich deine Blessur anders erklären lässt als mit Wesen aus der Welt der Fantasy.“

„Es wäre so schön, wenn das wahr wäre.“ Clara strich ihre langen, glatten, schwarzen Haare zur Seite. „Komm her! Und sieh dir die Wunde an.“

Darunter erblickte Sandy einen inzwischen kaum noch wahrnehmbaren Kratzer. Da sie diesen nicht kannte, betrachtete sie ihn nun genauer. Mist!, dachte sie, als sie feststellte, dass es in der Mitte zwei Löcher gab. Mum hat recht, es gibt sie wirklich. Sie stöhnte. „Entschuldige bitte! Ich habe mich geirrt.“ Sie setzte sich wieder hin. „Dein Biss zeugt davon, dass die Wesen der Nacht unter uns leben.“ Sie schaute aus dem Fenster. Dann wandte sie sich erneut zu ihr um. „Ich habe bis jetzt gedacht, dass es sie nur in Büchern oder Filmen gibt.“ Sie schwieg. „Ich weiß, was passiert ist. Bogus hat dein Blut getrunken und sich so gewandelt.“ Sie sah sie an. „Bist du eine Vampirin?“

„Das hoffe ich nicht! Obwohl ich daran noch gar nicht gedacht habe.“ Clara schwieg. „Da mir sehr viel Blut übertragen wurde, gehe ich davon aus, dass ich mich nicht mehr wandeln werde. Außerdem ist das Ganze schon ziemlich lange her.“

„Okay!“ Sag es ihr jetzt nicht, mahnte sich Sandy. „Ich hoffe mal, dass du recht hast.“ Sie schaute auf die Armbanduhr. „Wie ist es denn weitergegangen?“

„Ich musste drei Monate im Krankenhaus bleiben. Wodurch ich meinen Job als Sekretärin verloren habe.“ Clara stöhnte. „Dieser Beruf hat mir zwar keinen Spaß gemacht. Aber ich habe viel verdient.“ Sie trank einen Schluck Wasser. „Was mir wichtig war! Weil ich mit dem Geld den Gesangsunterricht finanziert habe.“ Sie hielt inne. „Um ehrlich zu sein: Auch wenn ich von einer Karriere als Sängerin träumte, hätte ich meinen Job nicht gekündigt. Denn das wäre mir viel zu unsicher gewesen.“ Sie schwieg. „Ich bedauere nicht, dass es so gekommen ist. Denn so konnte ich in London noch einmal neu anfangen.“ Sie seufzte. „Doch bevor es so weit war, bin ich von New York nach hier gezogen. Wozu mir auch Sara, geraten hat. Und obwohl es für mich nicht einfach war, bin ich heute glücklicher, als ich es je war.“

„Ich finde es schön, dass du nun glücklich und erfolgreich bist. Und es ist schön, dass du jetzt als Sängerin arbeiten kannst. Denn es hat ja lange genug bis da hin gedauert.“ Sandy trank einen Schluck. „Doch das ist kein leichter Job. Gab es da nie Schwierigkeiten?“

„Ich denke, dass es die in jedem anderen Beruf auch gibt.“ Clara sah ihre Tochter an. „Mir fiel es leicht sie zu überwinden. Weil es schon immer mein Wunsch war zu singen.“ Sie hielt inne. „Hinzu kommt, dass meine Eltern mein Talent erkannt haben. Zum Glück! Sodass sie mich von Anfang an gefördert haben.“

„Das ist schön!“ Sandy sah auf die Armbanduhr. Dann stand sie auf. „Ich muss jetzt gehen!“

„Okay!“ Clara seufzte. „Über das andere sprechen wir beim Frühstück.“ Sie sagte nichts. „Ich wünsche dir viel Spaß.“

Sandy sah ihre Mutter irritiert und neugierig an. Wie schade, dass ich jetzt keine Zeit mehr habe, dachte sie. Sie drehte sich zu ihr um. „In Ordnung! Bis morgen!“

Während sie den Raum verließ, erinnerte sie sich an das erste Mal, als Tina bei ihnen gewesen war. Da hatte sie ihre Mutter nach der Probe gefragt: „Wie habt ihr euch kennengelernt?“

„Das war wie so oft im Leben reiner Zufall. Denn ich habe vor in paar Tagen in einem neuen Pub gesungen.“ Clara stapelte die Noten. Dann sah sie auf. „Und als ich meinen Auftritt beendete, hat Tina auf dem Klavier gespielt.“

„Als ich mit dem Spielen aufhörte, hat mich deine Mutter angesprochen.“ Tina wandte sich zu Sandy um. „Was mich überrascht hat, weil ich erst vor vierzehn Tagen nach London gezogen war.“ Sie schüttelte den Kopf. „Da dies mein erster Auftritt war, habe ich hier noch niemanden gekannt.“ Sie schloss das Klavier. Dann sah Clara an. „Als ich mich an dem Abend mit dir unterhalten habe, fand ich dich sofort sympathisch.“ Sie hielt inne. „Und so habe ich nicht gezögert, als du mich gefragt hast, ob ich mit dir zusammen arbeiten möchte.“

„Stimmt!“ Clara setzte sich auf das Sofa. „Du hast direkt ja gesagt.“

„Was ich bis heute nicht bereut habe.“ Tina trank einen Schluck Wasser. „Weil ich es ohne dich nie so weit gebracht hätte.“

„Das kannst du nicht wissen!“, meinte Clara.

Das Geschenk

Als Sandy am nächsten Morgen die Küche betrat, frühstückte ihre Mutter schon. Sie gesellte sich zu ihr.

„Was hast du nach der Schule vor?“Clara schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein.

„Ich helfe Elena den Saal für ihren Geburtstag am Samstag herzurichten und zu schmücken.“ Sie sah ihre Mum an. „Sie hat mich gestern gefragt, ob ich Zeit habe. Und ich habe ja gesagt.“ Sie unterbrach sich. „Warum fragst du? Ist was nicht in Ordnung?“

„Schon gut!“ Clara winkte ab der Hand ab. „Ich habe nur was überlegt.“ Sie schweig. „Aber das hat sich erledigt. Da ich nicht mehr da bin, wenn du nach Hause kommst.“ Sie stand auf und verschwand.

Sandy sah ihrer Mutter hinterher, bis sie das Zimmer verließ. Sie muss sicher auf die Toilette, dachte sie. Und kommt gleich wieder. Sie zuckte die Schultern und aß den letzten Bissen ihres Brötchens. Gerade als sie sich eine zweite Tasse Tee einschenkte, tauchte ihre Mutter wieder auf. Sandy sah, dass sie ein Buch und eine Kette in der Hand hielt.

Clara legte diese neben ihren Teller. „Das ist für dich.“ Sie setzte sich erneut auf den Küchenstuhl.

„Danke!“ Sandy stellte die Teetasse ab. „Ist das ein verspätetes Geschenk zum Geburtstag?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dann war es aber lange unterwegs.“ Sie nahm das Schmuckstück in die Hand und betrachtete es genauer. Erst jetzt stellte sie fest, dass es sich um eine Goldkette handelte. An ihr hing ein Anhänger aus Bernstein. Sandy legte die Kette hin und nahm das Buch in die Hand. Auch auf dem Deckel sah sie das Symbol der Weisheit. Sie schlug den Wälzer auf und fand im Impressum die Jahreszahl: 1489. Noch während Sandy darin blätterte, fiel ihr der Traum von letzter Nacht wieder ein.

Sie stand in einem Garten, welcher die Größe eines Parks hatte. Auf den Beeten blühten gelbe und rote Rosen, die blauer Lavendel umrahmte. Das ist aber friedlich, dachte sie. Und sieht so schön aus. Dann drehte sie sich um. Dabei fiel ihr auf, dass auf einen Teil der Wiesenflächen Tische und Bänke standen, die jedoch im Moment nicht genutzt wurden. Als sie auch noch ein Büfett entdeckte, welches auf seinen Einsatz wartete, wusste sie, dass es sich um eine Feier handelte. Doch wo sind die Gäste? , fragte sie sich.

Als der Wind drehte, hörte sie etwas und wandte sich um. Erstaunt sah sie, dass sich Werwölfe, Elfen, Vampire und Hexen in einem anderen Teil des Gartens versammelten. Dort stellten sie sich in einem Halbkreis um einen Thron herum auf. Was passiert hier?, dachte sie. Das ist alles merkwürdig! Sie schüttelte den Kopf. Sieh dir an, wer da sitzt, mahnte sie sich. Vielleicht bringt dich das weiter. Sie schaute sich das Mädchen, was auf diesem saß an und erkannte sich selbst. Wie komme ich denn hierher?, fragte sie sich. Und warum trage ich ein langes, weißes Kleid und einen roten Mantel?

Als alle auf ihren Plätzen standen, beobachte sie wie der Oberste des Rates an ihre Seite trat. Was will denn der jetzt?, fragte sie sich. Sie schaute ihn sich genauer an. Das ist ja ein Vampir, dachte sie. Sie atmete ein und aus. Hör einfach zu, mahnte sie sich. Dann erfährst du, was hier los ist.

Sie merkte, dass die Gespräche verstummten und jeder ihn ansah. Jetzt fiel ihr auch auf, dass das Mädchen auf dem Thron älter war als sie. Sie schätzte, dass sie mindestens einundzwanzig war. Habe ich eine Vision?, fragte sie sich. Doch bevor sie darüber nachdenken konnte, fing der Vampir an zu sprechen. Sie konzentrierte sich auf seine Worte.

„Nun ist es soweit.“ Er räusperte sich. „Wir krönen die neue Herrscherin der Unterwelt.“ Er hielt inne. „Ich gebe das Amt in ihre Hände, weil ich weiß, dass sie es kann.“ Er lächelte sie an. Dann wandte er sich wieder zur Menge um. „Was sie ja schon bewiesen hat, als sie mit euch den Friedensvertrag geschlossen hat. Dieser tritt mit dem heutigen Tag in Kraft.“ Er schwieg und hob die Hand.

Sandy atmete auf. Zum Glück träume ich doch nur, dachte sie. Weil es keinen Frieden zwischen diesen Gruppen geben kann. Sie seufzte. Auch wenn es schön wäre. Sie sah erneut hin. Okay! Das war wohl ein Zeichen, meinte sie zu sich, als sie beobachtete wie die Anführer einer nach dem anderen vor sie hinknieten. Als der Letzte wieder aufstand, war sie gekrönt.

Gut dass das nicht real ist, überlegte sie.

Dann schaute sie zu, wie sich der Oberste des Rates an sie wandte. „Mit Freude übergebe ich dir jetzt die Zeichen deiner Herrschaft.“ Er hängte ihr eine goldene Kette mit einem Bernsteinanhänger um und lächelte sie an.

Die ist schön, dachte sie. So eine hätte ich gerne. Dann sah sie, dass er ihr ein in Leder gebundenes Buch überreichte. Den Deckel zierte das Symbol der Weisheit, wie sie bemerkte.

Als sie den Wälzer auf der Armlehne abgelegt hatte, drehte er sich zur Menge um. „Nun lasst uns feiern und fröhlich sein. Denn das ist lange her.“

Sandy schüttelte den Traum ab. Als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte sie gedacht, dass sie in der letzten Zeit zu viele Bücher gelesen hatte. Da es so etwas nicht gab. Und doch hielt sie jetzt genau dasselben Titel in der Hand. Sie sah ihre Mutter an. „Von wem hast du das?“

„Die Sachen hat mir der Arzt bei deiner Geburt geschenkt.“ Clara zögerte. Dann gab sie sich einen Ruck. „Dieser war ein Vampir. Und er hat mich gebeten sie dir zu geben, wenn du siebzehn Jahre alt wirst.“ Sie sah ihre Tochter an. „Du kannst sie somit als Geschenk zum Geburtstag betrachten, falls du möchtest. Ich habe sie dir nicht an dem Tag gegeben, weil sie mir zu wertvoll erschienen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Außerdem warst du nicht da, was nicht so schlimm war.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. „Um ehrlich zu sein, habe ich es dann vergessen.“ Sie seufzte. „Zum Glück ist es mir gestern wieder eingefallen.“

„Ist schon okay! Es ist ja nicht zu spät.“ Sandy überlegte kurz, ob sie ihrer Mutter erzählen sollte, was sie geträumt hatte. Doch sie entschied sich dagegen. In der Hoffnung, dass sie noch mehr erfuhr, was das erklären konnte, wandte sie sich ihrer Mum zu. „Was ich nicht verstehe, ist, warum du sie mir geben solltest.“ Sie seufzte. „Es ist doch nur eine sehr alte Kette. Die mir zwar gut gefällt. Aber die ich nicht tragen werde.“ Sie hängte sich die Halskette um. Der Anhänger fiel ihr bis auf den Schoss. „Wie du siehst, ist sie zu lang für mich.“ Sie nahm die Kette wieder ab und legte sie zurück auf den Tisch. „Auch das Buch kann ich nicht entziffern. Denn es stammt aus dem 15. Jahrhundert.“ Sie sagte nichts. „Hat er dir erklärt warum?“

„Es tut mir leid Schatz!“ Clara schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht beantworten.“ Sie schwieg. „Alles was ich weiß ist, dass es ihm wichtig war, dass du sie bekommst. Denn das musste ich ihm versprechen.“