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Der vorliegende Text folgt der Ausgabe des Bastei Lübbe Verlags 2007
© dieser Ausgabe, Piper Verlag GmbH, 2019
© 2007 Susan Hastings
Verlagsagentur Lianne Kolf

 

Covergestaltung: Favoritbüro München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Prolog

Der Zwerg spreizte seine kleinen, dicken Finger und bewegte sie mit einer überraschenden Anmut wie im Tanz. Seine Augen rollten wie Murmeln in den Höhlen, und der gelbliche Augapfel wurde sichtbar.

»Ich sehe dahin, wohin kein Auge blickt, und ich höre dahin, wohin kein Ohr hört. Ich rieche dahin, wo noch keine Nase riecht, und ich spüre, was noch keine Haut spürt.«

»Was redest du da für einen Unsinn«, schalt ihn Isabél. »Ich denke, du bist ein Hofnarr und betreibst allerlei Späße?«

»Sicher«, krähte Bulbito. »Für die einen bin ich Bulbito, der Hofnarr, der seine Zuschauer mit Späßen erheitert.«

»Und für die anderen …?« Isabél hielt den Atem an.

»… bin ich die Stimme von dort, von jenseits des Heute.« Er zeigte mit seinem Wurstfinger in eine unbestimmte Ferne.

»Ich sehe ein großes, weites Land, in dem Tausende Feuer brennen wie Sterne am Himmel. Ich höre die Schreie der Gemarterten und Unglücklichen, die ihrer Habe und ihres Lebens beraubt werden. Ich rieche die Fäulnis aus den Gräbern, die aufsteigt und sich mit dem Geruch des Weihrauchs in den Kirchen mischt. Ich spüre Schmerz von Folter und Gewalt …«

»Genug!« Isabéls Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch die Luft. Augenblicklich verstummte Bulbito.

»Du bist kein Prophet. Du bist nur der Hofnarr.«

Er verbeugte sich so tief, wie es ihm sein missgestalteter Körper erlaubte.

»Prinzesschen, du wirst an meine Worte denken. Immer wieder … immer wieder …«

Teil 1

Isabél

1464 – 1468

Segovia

Es war der obligatorische Blick in den Spiegel, den Isabél auch in der größten Eile nie vergaß. Aus dem schlichten Rahmen blickte ihr ein nicht unschönes, jugendliches Gesicht entgegen, mit blauen Augen, heller Haut und einer etwas kessen Stupsnase. Ihre Wangen waren von dem schnellen Ritt gerötet und das hellblonde Haar vom Wind zerzaust. Sie nahm einen Kamm aus Elfenbein von der Konsole und kämmte ihr Haar streng nach hinten. Dann schlang sie ein seidenes Tuch darum.

Sie weilte erst kurze Zeit in Segovia. Eigentlich wusste sie nicht so recht, warum sie und ihr Bruder Alfonso hierher gerufen worden waren. Aber sie mussten dem Befehl des Königs Folge leisten. Der König, das war Isabéls älterer Bruder Enrique aus erster Ehe ihres Vaters, König Juan II. Seit zehn Jahren saß er auf Kastiliens Thron.

Mit schnellen Schritten durcheilte sie die engen Gänge des Alcázar von Segovia, wo der Hof derzeit residierte. Seine hohen Mauern bargen den Staatsschatz Kastiliens. Trutzig und verschlossen, himmelwärts strebend, mit halbrunden Türmchen und Turmzinnen war die Burg ein Bollwerk gegen alle Feinde des Reichs. Im Inneren jedoch zeigte der Alcázar jene Verfallserscheinungen, die das ganze Königreich charakterisierten. Da regierten die Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit, die Intrige und der Verrat.

Isabéls Rücken versteifte sich unwillkürlich, als sie Lachen, Wispern und Kichern aus den dunklen Nischen und hinter den wuchtigen Säulen vernahm. Geflüsterte Worte, Lockrufe der Lust, die Isabél ängstigten. Ungeniert fanden sich die Pärchen in den Winkeln dieser Burg zusammen. Niemand hinderte sie daran, niemand nahm Anstoß. Den Blick starr geradeaus gerichtet, beschleunigte sie ihre Schritte.

Isabél hörte Lachen und Musik aus dem großen Saal, dessen zweiflügelige, reich geschnitzte Holztür jetzt von Dienern geöffnet wurde. Sie trat ein und blieb stehen. Es herrschte ein buntes Durcheinander von Menschen in den unterschiedlichsten Kleidungen. Da gab es Musikanten, Gaukler und Tänzerinnen, Höflinge neben stolzen spanischen Granden[1]. Im Mittelpunkt jedoch stand der König, aber nicht, weil er strahlend und erhaben auf dem Thron glänzte. Es gab keinen Thron. Enrique IV. hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem mit dicken Kissen ausgelegten Podest. Er trug ärmliche, nachlässige Kleidung. Sein rotes Haupthaar und der struppige Bart waren ungepflegt, seine durch eine Fraktur nicht mehr ebenmäßige Nase verlieh ihm ein gewöhnliches Aussehen. Mit seinen unproportional langen Gliedern wirkte er unbeholfen und staksig. Ein Wunder, dass er in dieser unbequemen Stellung über Stunden verharren konnte. Sein ganzes Gehabe erinnerte eher an einen muslimischen Emir als an einen katholischen König.

Seine Günstlinge und die unzähligen Schmarotzer am Hofe, die sich der Freigiebigkeit des Königs nur zu bewusst waren, umringten ihn stehend oder hatten auf Bänken Platz genommen.

Als Enrique seine Schwester entdeckte, flog ein freudiges Lächeln über sein Gesicht und entblößte seine gelblichen Zähne.

»Isabél, mein Sonnenschein! Tritt ein und erfreue dich an der Unterhaltung, die man mir präsentiert. Es tut einem jungen Mädchen nicht gut, allein in seiner Kemenate zu hocken und Trübsal zu blasen. Ich will verhindern, dass du deiner Mutter immer ähnlicher wirst.«

Er brach in schallendes Gelächter aus, und die Höflinge stimmten pflichtbewusst mit ein.

Isabél schoss die Zornesröte ins Gesicht. Sie hatte das Schicksal ihrer Mutter, die in Schwermut verfallen war, über Jahre in dem düsteren Schloss von Arévalo geteilt, ohne sie davon heilen zu können. Die Trennung von der Mutter und der Wechsel zum Hof ihres Halbbruders fielen ihr nicht leicht. Es gab keinen Grund, über Isabéls Pflichtbewusstsein zu spotten.

Unter den Anwesenden entdeckte sie ihren Bruder Alfonso. Er hielt einen Pokal in der Hand und trank den Wein wie Wasser. Seine Augen glänzten bereits glasig. Auch die meisten anderen Gäste waren angeheitert. Lakaien schenkten unentwegt Wein aus den königlichen Kellern aus.

»Komm, mein Täubchen, nimm an meiner Seite Platz!« Enrique warf ihr ein dickes Kissen mit goldenen Quasten hin.

Langsam trat Isabél näher, dann blieb sie vor einem hochlehnigen Stuhl stehen, den die Gäste offensichtlich verschmähten.

»Der Platz an Eurer Seite steht einer anderen Frau zu«, sagte sie und setzte sich, während sie nur einen kurzen Blick auf die Frau an Enriques Seite warf. Das aber war nicht etwa seine angetraute Gattin, Königin Juana, sondern eine seiner vielen Mätressen. Derzeit war die bildhübsche Portugiesin Guiomar de Castro seine Favoritin. Diese rekelte sich, in ein farbenprächtiges maurisches Gewand gehüllt, neben Enrique auf den Kissen und betrachtete mit herablassendem Spott im Gesicht die Tänzerinnen. Für Isabél hatte sie überhaupt keinen Blick übrig.

Ein Raunen ging durch den Saal. Isabéls Antwort war ein Affront gegen den König, doch Enrique fasste sie als einen Scherz auf. Er legte den Arm um Guiomar und zog sie zu sich heran.

»Wie wahr, mein Täubchen, oft weiß ich selbst nicht, welche am besten zu mir passt. Manchmal denke ich, gar keine. Jedenfalls muss ich mich ab und zu mal von ihnen erholen.« Er lachte lauthals, als ihm Guiomar einen tadelnden Klaps versetzte.

Isabéls Miene blieb verschlossen. Sie spürte die Blicke und das Tuscheln der Höflinge und Señores, die nicht etwa Guiomar, sondern ihr galten.

»Hübsch ist sie ja nicht gerade«, murmelte Juan Pacheco, der Marqués von Villena, seinem Nachbarn Fadrique Enriquez zu.

Don Fadrique, seines Zeichens Admiral von Kastilien, lächelte süffisant. »Das ist auch überhaupt nicht nötig. Wer sie zur Frau bekommt, hat ohnehin noch seine Mätressen. Für eine Heiratskandidatin spielt die Schönheit keine Rolle, sondern die Abstammung.«

Pacheco hob die Augenbrauen. »Heiratskandidatin? Wisst Ihr etwas, das ich nicht weiß?«

»Immer, mein lieber Pacheco. Sonst wäre ich Euch gegenüber doch nicht im Vorteil«, grinste der Admiral. »Der König hat seine Pläne mit ihr. Warum sonst hat er sie an den Hof rufen lassen?«

Pacheco betrachtete abschätzend das Mädchen, das sich aufrecht und von Schmeicheleien und Geflüster der Höflinge scheinbar unbeeindruckt auf dem unbequemen Stuhl hielt. Sie lehnte auch das angebotene Weinglas ab.

»Lasst sie noch ein paar Monate bei Hofe sein, und sie wird geformt wie warmes Wachs. Sie scheint nicht das düstere Gemüt ihrer Mutter geerbt zu haben, auch wenn sie sich jetzt aufführt, als würde sie jeden beißen, der sie nur anzurühren wagt.«

»Sie wird den beißen, der sie anrührt«, erwiderte Don Fadrique. »Aber ich denke, wer sie als Faustpfand hat, ist einen Schritt voraus.«

Pachecos Kopf fuhr herum. »Seid Ihr etwa dieser Jemand? Ich traue es Euch durchaus zu.«

Don Fadrique setzte eine undurchdringliche Miene auf. »Wer wird denn seine geheimsten Pläne verraten?«, murmelte er.

Pacheco lachte belustigt auf. »Eure Pläne, lieber Fadrique? Ich denke eher, es sind die Pläne des Königs. Ihr schmückt Euch mit fremden Federn und legt falsche Fährten aus. Glaubt Ihr nicht, dass sich auch andere den Kopf darüber zerbrechen, was Enrique mit seiner Halbschwester vorhat?«

»Sicher, sicher. Es ist allerdings von Vorteil, es vor den anderen zu erfahren.«

Der Wortwechsel der beiden Männer wurde jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Knall aufflog und die Königin mit zornigem Gesicht und wütend funkelnden Augen hereinplatzte. Sofort verstummte die Musik, die Tänzer verzogen sich schleunigst. Juana, die zweite Ehefrau des Königs, war die Schwester des portugiesischen Königs Alfonso, sehr hübsch und sehr temperamentvoll. Der Grund ihres Zorns lag in Enriques Armen.

»Du doppelzüngige Natter, du schleimige Eidechse, du widerwärtiger Wurm! Ich habe dich nicht in den Kreis meiner Hofdamen aufgenommen, damit du bei nächster Gelegenheit unter die Decke meines Gemahls kriechst. Es gibt genug andere Hähne hier am Hof, mit denen du es treiben kannst, bis du wund wie ein gebrühtes Schwein bist. Schämst du dich nicht, dich in aller Öffentlichkeit wie eine maurische Hure auf dem Boden herumzuwälzen? An der Seite des Königs ist mein Platz! Mein! Mein! Mein!«

Sie stürzte sich auf die verblüffte und überrumpelte Guiomar, die sich nicht schnell genug von den Polstern aufrappeln konnte, und schlug ihr mit jedem Wort den zusammengeklappten Fächer ins Gesicht. Blut spritzte, Guiomar schrie auf. Enrique warf sich dazwischen, ohne allerdings viel bewirken zu können. Juana war rasend vor Eifersucht, und es störte sie nicht im Geringsten, dass der gesamte Hofstaat ihr bei diesem Ausbruch zuschaute.

»Juanita, Täubchen, liebstes Mäuschen, was tust du da? Wir haben doch nur ein bisschen den Tänzerinnen zugeschaut. Das Mädchen kann doch nichts dafür.«

»Nichts dafür?«, tobte Juana und schlug weiter auf Guiomar ein. »Hure, Verführerin, Miststück! Miststück! Miststück!«

Guiomar hob schützend die Arme über den Kopf und versuchte, vor Juanas Gewalttätigkeiten zu flüchten. Aber sie stieß nur an eine Wand aus Gaffern, Sympathisanten oder Feinden. Die einen waren auf Juanas Seite und feuerten sie an, die Konkurrentin aus dem Feld zu schlagen, die anderen ergriffen für Guiomar Partei.

Innerhalb kürzester Zeit entstand ein wüstes Handgemenge, der halbe Hofstaat prügelte sich. Keiner kümmerte sich um die Rufe des Königs, der zur Besonnenheit mahnte. In dem Durcheinander gelang Guiomar die Flucht.

Juana, dem Objekt ihres Zorns beraubt, blickte sich wie ein wutschnaubender Stier um, dann traten plötzlich Tränen in ihre Augen.

»Diese Schmach«, schluchzte sie auf. »Diese Schande!«

Isabél sprang auf. Hinter ihr stießen die sich prügelnden Höflinge ihren Stuhl um. Sie nahm Juana in die Arme und drängte sie aus dem Saal.

Juana fing hemmungslos an zu weinen. »Ach, Isabél, wenigstens du hältst zu mir. Selbst meine Hofdamen verraten mich und vergnügen sich mit dem König. Ich bin so unglücklich!«

Dass Letzteres nicht unbedingt stimmte, wusste Isabél nur zu gut, aber sie schwieg und begleitete die Königin in ihre Gemächer. Dort ließ sich Juana auf das Bett fallen.

»Ich danke dir, Isabél. Du bist eine wahre Freundin. Dass du das mit anschauen musstest! Ich wünschte, du hättest all diese Zuchtlosigkeit nicht erlebt. Wie muss es jetzt in deinem Herzen aussehen! Was musst du von uns denken!«

»Beruhige dich, Juana. Ich bin ja bei dir.« Mit einer Handbewegung bedeutete Isabél den Hofdamen, die bestürzt in Juanas Schlafgemach gelaufen kamen, dass sie allein zu sein wünschten. Zögernd zogen sie sich wieder zurück.

Isabél streichelte tröstend über Juanas Schulter. Irgendwie hielt sich ihr Mitleid jedoch in Grenzen. Sosehr sie Juanas Zorn über die Untreue des Königs und die Anmaßung Guiomars verstand, so war Juana selbst auch kein Engel. Abgesehen davon, dass sie einen Eklat vor den Augen des ganzen Hofes herbeigeführt hatte, wollten die Gerüchte um die kleine Prinzessin Juana, Tochter der Königin, nicht verstummen. Diese war vor zwei Jahren geboren worden und Isabél ihre Taufpatin. Sie hatte es als Ehre betrachtet, Taufpatin der kleinen Prinzessin zu sein. Schon damals murmelte der Hof hinter vorgehaltener Hand, dass es nicht Enriques Kind sei.

Als hätte die Königin ihre Gedanken erraten, hob sie den Kopf. »Ich will mein Kind sehen! Sie sollen mir mein Kind bringen!«

»Ich kümmere mich darum«, erwiderte Isabél und erhob sich.

Die Kinderfrau brachte die zweijährige Prinzessin herein. Die kleine Juanita schrie und zappelte und wollte unbedingt selbst laufen. Die Kinderfrau setzte sie auf den Boden.

»Komm zu mir, mein kleines Blümchen, komm zur Mama!« Die Königin streckte die Arme aus, und die kleine Prinzessin tapste auf unsicheren Füßen zu ihr. Auf halbem Weg stolperte sie über ihren Kleidersaum und fiel hin.

»Törichtes Weib!«, schalt Juana die Kinderfrau und eilte zu ihrem Kind. Sacht hob sie es auf und setzte es aufs Bett. Sofort beruhigte sich die Kleine.

Isabél betrachtete das Kind nachdenklich. Wem sah es ähnlich? Die kleine Juana hatte helles Haar, große blaugraue Augen und ein lustiges Grübchen am Kinn. Isabél kannte jemanden, der eben dieses Grübchen am Kinn besaß. Es war Beltrán de la Cueva. Er war ein enger Vertrauter des Königs, und man munkelte, die Königin sei dem hübschen Günstling keineswegs abgeneigt gewesen.

Allerdings gab es noch einen ganz anderen Grund für die Existenz dieses Kindes. Kaum noch hinter vorgehaltener Hand, sondern ziemlich lautstark und öffentlich sprach man bei Hofe über Enriques Kinderlosigkeit. Seine erste Gattin Blanca schenkte Enrique keinen Erben, weswegen diese Ehe geschieden wurde. Blanca nahm die Schuld auf sich, dass es an einem körperlichen Makel ihrerseits liegen würde. Doch auch Enriques zweite Ehe mit Juana blieb sieben Jahre kinderlos. Obwohl seine Mätressen heftig und wortreich bestätigten, welche Qualitäten Enrique im Bett aufwies, blieb auch diesmal ein Erbe aus. An der Königin konnte es jedoch nicht liegen.

Eine besonders pikante Geschichte machte bei Hofe schnell die Runde, als sich der König in den ersten Jahren seiner Ehe mit Juana über ein Jahr auf einem Feldzug befand. Nach seiner Rückkehr befahl er Juana zu sich. Die Königin jedoch war im siebten Monat schwanger. Durch eine tollkühne Flucht über die Mauern der Burg Alaejos entzog sie sich der Eskorte, die sie zu ihrem Gemahl begleiten sollte. Zwei Monate später brachte sie heimlich das Kind zur Welt, überließ es fremden Leuten, um kurze Zeit später am Hof zu erscheinen, als wäre nichts geschehen.

Danach wurden die Stimmen lauter, die behaupteten, der König sei impotent. Um sein Ansehen zu wahren, musste dringend ein Thronerbe gezeugt werden. Man flüsterte, dass es dem König nicht unrecht gewesen sei, dass die Königin Don Beltrán de la Cueva mehr als die gebotene zeremonielle Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Wie dem auch sei, die Infantin wurde nach siebenjähriger Ehe der Königin mit Enrique im Alcázar von Madrid öffentlich und im Beisein der Granden des Reiches geboren.

Es war eine prachtvolle Feier, als die kleine Juana getauft wurde. Isabél erinnerte sich noch sehr gut daran. Von Erzbischof Carillo erhielt Juana das Taufsakrament. Paten waren Juan Pacheco, der Marqués von Villena, und kein Geringerer als König Louis XI. von Frankreich. Und die damals elfjährige Isabél. Ebenso öffentlich wurde die Anerkennungsurkunde des Königs verlesen. Juana war seine Tochter und damit Thronerbin. Eigentlich war alles in bester Ordnung.

Isabél setzte sich aufs Bett und spielte mit ihrem Patenkind. Die seltsame Beklemmung, die sie bei dem Streit im Saal befallen hatte, wich von ihr. Die kindliche Unschuld rührte sie an. Hier, inmitten dieser Unmoral und der Falschheit, wuchs ein kleines Wesen auf, rein und unbefleckt, mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht und großen, verwunderten Augen. Wie lange würde es dauern, bis auch diese Augen nicht mehr unschuldig blickten?

Isabél erschrak. Auch sie war voller Unschuld und Reinheit an den Hof gekommen. Oder nicht? Wann würde sie sich in den Sumpf von Intrigen, Machtspielen und Günstlingswirtschaft hineinziehen lassen?

Sie warf einen Blick zur Königin hin, die das Spiel der beiden scheinbar gleichgültig beobachtete. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich schon mittendrin befand. König Enrique hatte die kleine Juana zur legitimen Erbin erklärt. Was aber, wenn das Kind starb? An zweiter Stelle der Thronfolge stand Isabéls Bruder Alfonso. Und an dritter Stelle – sie selbst!

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Page einen Besucher meldete: Don Beltrán!

Juana fuhr vom Lager hoch und wedelte mit den Händen, als müsste sie eine Schar Vögel aufscheuchen.

»Schafft das Kind weg! Und lasst mich allein! Schickt die Zofe herein, sie soll meine Frisur in Ordnung bringen. Isabél, danke dass du mir beigestanden hast! Das werde ich dir nie vergessen.«

Isabél erhob sich ebenfalls. Jetzt war sie hier fehl am Platze. Auch sie wollte jetzt lieber allein sein. Ganz allein!

***

Zurück in ihren Gemächern blieb Isabél aufatmend an der Tür stehen. Auf dem Tisch lagen noch die Bücher, Schriften der antiken Klassiker, die sie aus der Bibliothek ihres verstorbenen Vaters entliehen hatte. König Juan II. war ein feinsinniger Mensch gewesen. Seit seinem Tod war die Bibliothek verwaist. Enrique besaß keinen Sinn dafür.

Die Bücher waren nur ein schwacher Trost für ihr Leben in Arévalo, wohin ihre Mutter sie mitgenommen hatte nach dem Tod ihres Vaters. Es war ein düsteres, unfreundliches Schloss, in dem sich Isabél nicht wohlfühlte. Zudem begann die Königswitwe zunehmend unter einer seltsamen geistigen Verwirrung zu leiden. Isabél versuchte ihre Mutter zu trösten, weil sie meinte, es wäre die Trauer um den Vater. Doch die Depressionen steigerten sich, zuweilen befand sich die Witwe in geistiger Umnachtung. Isabél fühlte sich fremd.

Einziger Lichtblick war Beatríz de Bobadilla, die Tochter des Schlossverwalters. Mit ihr hatte sie sich angefreundet und die schönste Zeit ihres bisherigen Lebens verbracht. An der Seite der lebenslustigen Beatríz durfte sie Mädchen sein. Oft gingen sie gemeinsam auf Volksfeste und Jahrmärkte, tauchten ein in den lebhaften Trubel. Da herrschte ein babylonisches Sprachengewirr, da mischten sich Farben und Formen, Gewänder und Düfte. Mit Beatríz streifte sie durch die Reihen von Buden und Ständen, erkundete Gassen mit Handwerksläden, Basare mit Waren aus aller Welt, kaufte sich Armketten mit Münzen daran, indische Tücher aus feinstem Stoff in bunten Farben oder kleine, aus Jade geschnitzte Figürchen.

Es waren sorglose Stunden, fröhlich und voller vielfältiger Eindrücke. Da war sie nicht Prinzessin, sondern Kind an der Hand der Freundin.

Es klopfte an der Tür, dann öffnete sie sich leise. Isabél wandte sich um. Ihr Bruder Alfonso trat zögernd ein.

»Ich wollte nur nach dir sehen, ob es dir gut geht«, sagte der Knabe. Er war zwei Jahre jünger als Isabél und sowohl vom Körperbau her als auch im Gesicht sehr kindlich. In dieser fast feindlichen Umgebung fühlte er sich dazu berufen, seine Schwester zu beschützen.

»Warum sollte es mir nicht gut gehen?«, gab Isabél die Frage zurück.

»Weil … weil … wegen vorhin«, stammelte Alfonso mit schwerer Zunge.

»Es ist vorbei«, sagte sie gefasst. »Danke, dass du dich um mich sorgst. Deine Sorge ist unbegründet.«

Alfonso freute sich und errötete. »Ich muss deine Ehre verteidigen«, sagte er ernst und griff zum Gürtel, wo ein fein ziselierter kleiner Dolch steckte. »Hier gibt es so viele seltsame Menschen. Die Hofdamen der Königin fassen mich immer an und lächeln mir zu und sagen so eigenartige Dinge. Ich möchte nicht, dass die Männer dich auch anlächeln und anfassen und solche Dinge sagen.«

Isabél straffte sich, und sie presste ihre Hände zu Fäusten.

»Das werden sie nicht, verlass dich drauf. Sie werden es nicht wagen, weil ich es nicht zulasse.« Sie blickte ihn entschlossen an. »Weil du es nicht zulassen wirst.«

In einer gefühlvollen Anwandlung nahm sie ihren Bruder in die Arme und drückte ihn an sich. »Du bist ein wahrer Kavalier.«

Es war natürlich eine Illusion, dass Alfonso sie vor irgendetwas beschützen konnte. Er war viel zu jung und unerfahren. Er besaß Mut und den festen Willen, seine Schwester vor allem Unrecht zu beschützen. Mehr nicht. Armer Alfonso!

Während sie ihren Bruder noch in den Armen hielt, wünschte sich Isabél, Beatríz wäre bei ihr.

***

Königin Juanas Auftritt zeigte ernste Folgen. Nicht nur die Prügelei im Saal hinterließ bei den Beteiligten sichtbare Spuren. Was vormals nur unter der Decke äußerlicher Verstellung schwelte, trat nun offen zutage: die Spaltung des Hofes in Befürworter und Gegner der Königin und ihres Kindes.

Einer der härtesten Gegner Juanas war Erzbischof Carillo. Er, der zunächst die Infantin unter großem Pomp getauft hatte, zweifelte nun ihre Rechtmäßigkeit an. Nicht zuletzt das unbotmäßige und selbstherrliche Auftreten Don Beltráns brüskierte den Hof und gab Juanas Gegnern kräftig Nahrung.

In Burgos versammelte der Erzbischof Gesinnungsgenossen um sich und erörterte die Lage.

»Keiner, dessen Geist wach genug ist, wird bestreiten, dass der König keine Mittel scheut, um seiner Kinderlosigkeit abzuhelfen. Ich meine keine medizinischen Mittel.« Carillo blickte auffordernd in die Runde. Neben ihm saß sein Neffe Juan Pacheco, der zustimmend nickte.

»Ich meine«, fuhr Carillo fort, »die überaus deutliche Günstlingsbezeugung Don Beltráns. Immerhin ist er der erste Favorit des Königs und hat sich demzufolge auch dem Willen des Königs zu unterwerfen. Und wenn der König Nachwuchs will …«

»Ich glaube, wir brauchen hier nicht für den Umstand zu argumentieren, dass der König nicht Vater des Kindes ist«, warf Pacheco ein. »Das ist inzwischen die öffentliche Meinung. Don Beltrán hat es übrigens nie abgestritten. Und da er auch der Favorit der Königin ist, braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen.«

Carillo lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen.

»Es gibt noch einen ganz anderen Beweis«, sagte er in die entstandene Pause hinein, in der die Anwesenden heftig miteinander diskutierten. Alle wandten ihm die Köpfe zu. Selbstzufrieden strich er über seinen Bauch, als hätte er soeben ein köstliches Mahl zu sich genommen. »Kraft meines Amtes als Beichtvater kommen mir natürlich all die großen und kleinen Sünden der Mätressen des Königs zu Ohren. Wie es ihre Pflicht ist, schildern sie mir alle Einzelheiten der Zusammenkünfte mit dem König.« Carillo räusperte sich. »In Anbetracht des Beichtgeheimnisses darf ich sie hier nicht weiter ausführen. Besonders seine damalige Favoritin Catalina de Santoval wurde diesbezüglich befragt.«

Er verzog das Gesicht. Der König selbst hatte Catalina zur Äbtissin des Klosters Dueña ernannt. Jedermann wusste, wie sauer Carillo dies aufgestoßen war. Es wurde immer deutlicher, dass der Erzbischof nicht nur gegen Juana und ihr Kind, sondern vor allem gegen den König war.

»Jedenfalls sind die Beweise einer Impotenz des Königs derart gravierend, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als der Infantin die Legalität abzuerkennen.«

Ein zustimmendes Gemurmel setzte ein. Carillo hob die Hand. »Wir fordern die Auslieferung Don Beltráns! Wir fordern die Aberkennung der Thronfolge für Juana.« Er ließ die Hand auf den Tisch fallen. »Der Adel steht hinter uns. Wir werden Enrique zwingen, seine Tochter, diese Beltraneja, zu enterben. Damit ist der Weg für Alfonso als Thronfolger frei.«

Pacheco beugte sich zu Carillo herüber. »Vergesst mir den guten Fadrique nicht, lieber Onkel. Ich bin überzeugt, er kennt auch ein paar Geheimnisse, die er mir nicht anvertrauen wollte. Der König hat Pläne mit seiner Halbschwester.«

Carillo grinste selbstgefällig. »Glaubst du, das weiß ich nicht? Wer wäre ich, wenn ich nicht jedem dieser Intriganten zwei Schritte voraus wäre? Natürlich hat der König Pläne mit Isabél. Aber es stört nicht unseren Plan. Alfonso ist wichtig. Er wird in unserem Sinne handeln. Weißt du, der Adel ist wetterwendig. Er sagt zu allem Ja, wenn er davon nur seine Vorteile hat und seine Privilegien nicht gefährdet sieht. Das Wort Treue kennt er nicht. Die Granden kennen nur das Schwert und die Annehmlichkeiten des Lebens. Wir aber, mein lieber Pacheco, wir sind die Köpfe, die das Ganze steuern.«

***

In Kastiliens kleinem Nachbarreich Aragón herrschte König Juan, der erst mit einundsechzig Jahren den Thron bestiegen hatte. So klein sein Königreich auch war, so verbissen verteidigte es König Juan gegen jegliche äußere Angreifer, auch wenn sie noch so sehr in der Übermacht waren. Besonders das große Kastilien beäugte König Juan argwöhnisch. Ständig bestrebt, seiner Herrschaft Glanz und Gloria zu verleihen, setzte er dafür alle verfügbaren Mittel ein, seinen Ehrgeiz, seine Raffgier und auch seinen Geiz.

Sein größter Ehrgeiz war jedoch, über Kastilien zu herrschen. War es auch unmöglich, den größeren Nachbarn mit Waffengewalt zu erobern, so gab es jedoch die Möglichkeit, wenigstens zusammen mit Kastilien zu herrschen. In seiner Hinterhältigkeit und Verschlagenheit kannte er keine Skrupel, die kastilische Opposition zu unterstützen und für seine Zwecke zu nutzen. Er musste nur auf die passende Gelegenheit warten. Wie eine Spinne im Netz lag König Juan von Aragón auf der Lauer. Er besaß ausgezeichnete Kontakte nach Kastilien, denn sein Schwiegervater war kein Geringerer als Admiral Fadrique Enriquez, dessen nicht minder machthungrige Tochter der König geheiratet und die ihm den Sohn Fernando geboren hatte.

In Kastilien braute sich etwas zusammen, hatte ihm Don Fadrique zugeflüstert. Und er konnte sich sogar der Unterstützung Erzbischof Carillos sicher sein

Enrique IV.

König Enrique hatte keine Ahnung von den Machtspielen hinter den Kulissen seines Palastes. Blind für Hofintrigen und politische Ränkespiele verfolgte er einen ganz anderen Plan. Er hatte seine Halbschwester nicht umsonst an den Hof nach Segovia rufen lassen. Nicht dass er sich um das Wohl Isabéls sorgte. Die Schwermut, die sie vielleicht bei ihrer Mutter in Arévalo aufgenommen hatte, würde sie am leichtlebigen Hof schnell wieder ablegen. Wichtiger war ihm, Isabél als politisches Faustpfand einzusetzen.

Ohne Wissen des noch kindlichen Mädchens reiste Enrique nach Gibraltar, dort traf er mit seinem Schwager, dem Bruder Königin Juanas, König Alfonso V. von Portugal, zusammen. Es war eine Art Geheimtreffen, dem nur wenige Eingeweihte beiwohnten. Mehrere Tage zogen sich die Gespräche hin, deren Inhalt die noch engere Verbindung Kastiliens und Portugals war.

»Du heiratest meine Halbschwester Isabél«, schlug Enrique dem schon betagten portugiesischen König vor. »Und dein Sohn João heiratet meine Tochter Juanita.« Er blickte den König triumphierend an. »Das ist wie ein doppelter Knoten.«

König Alfonso strich sich nachdenklich über den Bart. »Fürwahr, das ist eine gute Idee.«

»Sag lieber, das ist eine gute Verbindung, Schwager«, erwiderte Enrique.

»Lass sie uns besiegeln.« König Alfonso hob seinen Weinpokal. »Auf Kastilien!«

»Auf Portugal! Auf unsere beiden Reiche!« Sie stießen an, sodass der dunkelrote Wein aus den Kelchen schwappte.

Ein Schreiber hielt den Beschluss in einem Manifest schriftlich fest. Isabéls Schicksal schien besiegelt!

***

Es bedurfte keiner Spione, dass König Juan von Aragón von diesem Pakt erfuhr. Zutiefst beunruhigt rief er seinen Schwiegervater Fadrique Enriquez zu sich. »Das dürfen wir nicht zulassen«, schnaubte Juan. »Dieses Bündnis kann für uns zu einer tödlichen Gefahr werden.«

»Enrique rasselt nicht mit dem Säbel«, erwiderte Don Fadrique. »Ich glaube nicht, dass Kastilien Aragón überfallen wird.«

»Kastilien nicht, aber Portugal«, gab Juan erregt zurück. »König Alfonso ist unberechenbar. Mit Kastilien im Rücken wird er tollkühn. Das darf nicht geschehen!«

Don Fadrique blickte Juan aus zusammengekniffenen Augen an. »Was willst du tun?«

»Ich? Nichts! Du wirst etwas tun. Tu etwas gegen Enrique. Mach ihn unmöglich! Öffentlich! Das Volk muss über ihn spotten, mit dem Finger auf ihn zeigen. Gib ihn der Lächerlichkeit preis. Er ist ein schwacher König, wankelmütig, weich wie ein verdorbener Apfel. Versetze ihm den Todesstoß. Sammle seine Gegner um dich, verbünde dich mit ihnen. Das wird dir nicht schwerfallen.«

Don Fadrique schwieg. Doch in seinem Kopf arbeitete es. Er kannte viele Adlige, die er leicht auf seine Seite ziehen konnte. Pacheco zum Beispiel, den Neffen des Erzbischofs Carillo. Er wechselte nur zu gern die Seiten, wenn er für sich einen Vorteil sah. Er, Fadrique, würde Pacheco nicht lange überzeugen müssen. Vielleicht konnte er sogar Carillo selbst für sein Vorhaben gewinnen.

»Ich vertraue auf dich, Fadrique. Wir müssen Enrique vom Thron stürzen. Es gibt viele Mittel. Du solltest nicht nur auf eines setzen.« Er schaute Don Fadrique eindringlich in die Augen. »Verstehst du?«

»Natürlich habe ich verstanden. Du kannst dich auf mich verlassen.«

***

Ahnungslos über die im Hintergrund laufenden Ränkespiele um ihre Person ritt Isabél einige Tage später mit kleinem Gefolge in einem nahe liegenden Wald aus. Es war Herbst geworden, die Blätter hatten sich verfärbt, und die Tage wurden kühl. Morgens lag Nebel über dem Boden, und im Laub raschelte und wisperte es wie von unsichtbaren Elfen und Geistern. Als die Sonne gegen Mittag hervorbrach, dampfte der Waldboden in den schräg einfallenden Strahlen.

Isabél trieb ihren wendigen Araber an. Sie mochte schnelle Ritte. Hier im Wald dämpfte der Boden die trommelnden Hufe. Draußen, wenn sie die weite Hochebene erreicht haben würden, konnte sie ihm freien Lauf lassen.

Es war ein einzelner Mann, der zuerst ihren Begleitern und dann auch Isabél auffiel. Er trug einfache Kleidung und mochte ein Bauer oder Waldarbeiter sein. Mit großen Schritten stapfte er über das Unterholz. Er besaß lange Beine, die in ausgetretenen braunen Lederstiefeln steckten.

Isabél zügelte ihren Hengst. »Enrique!«

Der König drehte sich um und lächelte ein wenig verlegen in seinen roten Bart hinein.

»Warum gehst du allein durch den Wald? Das ist gefährlich!«

»Nicht gefährlicher als im Palast«, gab Enrique zurück.

Isabél saß ab und wies ihre Eskorte an, im weiteren Umkreis die Gegend zu sichern. Der König setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm, Isabél nahm neben ihm Platz.

Enrique starrte vor sich hin. Bislang hatte er Isabél gegenüber nichts von seinen Heiratsplänen verlauten lassen. Irgendwann würde er es ihr mitteilen müssen. Er presste die Hand gegen seinen Bauch.

»Was hast du?«, fragte Isabél besorgt. »Hast du Schmerzen?«

»Mein Magen nimmt mir wohl einiges übel. Dabei hüte ich mich vor Völlerei. Aber immer, wenn mich Sorgen quälen, schmerzt es hier drinnen, als hätte ich etwas Schlechtes gegessen.«

»Du solltest einen Arzt befragen«, riet Isabél.

Enrique winkte ab. »Die palavern irgendwelches unverständliches Zeug und geben mir ekelhaft schmeckende Medizin. Ich habe das Zeug weggeschüttet und die Ärzte davongejagt. «

»Quälen dich wieder Sorgen?«

Enrique stützte den Kopf in seine Hände. Zwischen seinen Fingern trat das struppige rote Haar hervor.

»Ich weiß, was sie alle über mich sagen«, murmelte er. »Sie denken es nicht nur, sie sagen es laut. Sie schreiben es sogar.«

»Schreiben?« Isabél blickte ihn von der Seite an und empfand plötzlich Mitleid mit ihm. Sie war sich nicht sicher, ob dieses Mitleid wirklich angebracht war. So presste sie die Lippen zusammen.

»Dieses Manifest des Adels … In Burgos haben sie sich zusammengerottet und eine Schmähschrift verfasst.« Er schluckte. »Sie verlangen von mir, dass ich Juanita enterbe, weil sie unehelich gezeugt sei.« Er strich sich mit der Hand über die Augen. »Ich schwöre, dass es mein Kind ist!«

Isabél schwieg. Damals, nach Juanitas Geburt, hatte ganz Kastilien die kleine Infantin gefeiert. Alle hatten sie anerkannt, die sie heute verleugneten. Sie ahnte, wie es in Enrique aussah. Sein gequälter Gesichtsausdruck sprach Bände.

»Was wirst du tun?«, fragte sie schließlich.

»Ich habe diesem Pamphlet keine Beachtung geschenkt. Damit strafe ich diese gemeinen Verräter am besten. Soll ich ihnen den Kopf abschlagen? Du weißt, dass ich kein Blut sehen kann.«

Nein, es war nicht Enriques Art, einen Wurm zu zertreten, der ihm die Leber zerfressen könnte.

»Was sagt der Kronrat dazu? Hast du ihn nicht einberufen?«

»Natürlich habe ich das«, fuhr Enrique ungehalten auf. Seine kleine Schwester musste ihm nicht sagen, was er als König zu tun hatte! »Ausgerechnet Barrientos, mein alter Erzieher, riet mir, gegen den rebellischen Adel zu kämpfen.« Sein Gesicht färbte sich dunkel, und seine blauen Augen loderten vor unterdrücktem Zorn. »Er wollte tatsächlich, dass ich den Aufrührern eine Schlacht liefere und damit den Tod zahlloser Menschen auf beiden Seiten verschulde! Er hat dabei völlig aus den Augen verloren, dass es nicht seine eigenen Söhne sind, die ich in den Kampf schicken soll, sonst würde er nicht solche Reden führen. Nein, nein, darauf lasse ich mich nicht ein! Diese Angelegenheit muss auf eine ganz andere Weise behandelt werden.«

Isabél blickte ihn von der Seite an, ohne die Frage auszusprechen. Enrique beantwortete sie von allein.

»Die löblichen Eigenschaften eines Christenmenschen sind das Verzeihen und die Vergebung. Selbst Gott gewährt sie.«

»Du willst einlenken?«

»Warum nicht? Wenn ich damit das Leben so vieler junger und unschuldiger Männer retten kann, die sonst auf dem Schlachtfeld verbluten würden?« Er warf Isabél einen scharfen Seitenblick zu. »Würdest du es mir auch als Schwäche auslegen wie Barrientos?«

»Schwäche?« Sie überlegte. War es Schwäche oder christliche Tugend, die Enrique so handeln ließ?

Er wartete Isabéls Antwort nicht ab. Seufzend raufte er sich seinen Bart. »Ich verstehe nicht, warum sie mir das antun. Es ist doch mein Wunsch und mein Wille, meinem Volk ein guter König zu sein, menschlich gegen diejenigen, die sich schuldig gemacht haben, liebevoll zu den Ehrlichen, Freund der Edlen und Guten. Dieser Wille leitet mein Handeln. Warum versuchen sie mich immer wieder anzugreifen? Ich will doch gar nicht kämpfen! Ich hasse das Schwert. Stattdessen reiche ich ihnen die Hand, gebe ihnen Geschenke und erwarte nichts weiter als Freundschaft und Entgegenkommen.«

Isabél kam sich hilflos vor. Was sollte sie Enrique auch sagen? Er war ein gütiger, friedliebender Mann, einfach, wohlwollend, jeglichem Eigendünkel und Hochmut abhold. Er vermied es, das Blut seiner Untertanen sinnlos zu vergießen. Er brachte viel Verständnis für die einfachen Leute auf, besaß eine beachtenswerte Toleranz selbst in religiösen Fragen. Er mochte keinen Tand, keinen Prunk und verstand es, sich über kleine Dinge zu freuen. Was war daran so schlimm?

Enrique nahm einen verdorrten Zweig in die Hand und betrachtete ihn nachdenklich.

»Sie sagen, ich würde das Reich Don Beltrán überlassen, und er könne schalten und walten, wie er wolle. Er würde mit Gottesverachtung und Undankbarkeit meine Familie entehren.« Er schluchzte auf. »Sie werfen mir vor, ich hätte die Staatsräte und die Granden gezwungen, den Treueeid auf die Infantin zu leisten.« Mit verzweifeltem Blick schaute er sie an. »Habe ich dich gezwungen, die Taufpatin deiner Nichte zu sein?«

Isabél schüttelte stumm den Kopf. »Ich tat es für das Kind, nicht für die Infantin. Aber ich tat es auch für den König.«

Der König sprang auf und lief mit großen Schritten hin und her. Das Laub raschelte unter seinen Stiefeln, kleine Zweige knackten. »Ich glaube an das Gute in den Menschen. Was ist daran verkehrt? Ich verzeihe jenen, die sich gegen mich stellen. Es ist nur ihre menschliche Unzulänglichkeit, die sie solche Worte ergreifen lässt. Sie können nichts dafür. Ich will sie nicht verärgern. Ich will sie gewinnen. Was nützt mir eine Konfrontation? Was nützt es mir, wenn ich sie bestrafe? Sie werden weiter gegen mich kämpfen. Nein, nein, ich reiche ihnen die Hand zur Versöhnung.«

Isabéls Kopf ruckte hoch, und ihre Augen weiteten sich. Enrique stand da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, doch er wirkte gebeugt wie ein alter Mann.

»Auch wenn es mir unsäglich schwerfällt, ich werde Juanita enterben und Alfonso zu meinem Thronfolger bestimmen.«

»Nein!«, platzte es aus ihr heraus. »Er ist doch noch ein Kind!«

»Ich war auch noch jung, als ich den Thron bestieg«, gab Enrique heftig zurück. »Außerdem lebe ich ja noch.«

In Isabéls Kopf drehte sich alles. Würden die Granden nicht eine Sicherheit für Enriques Einlenken fordern? Würde ihnen eine Unterschrift des Königs genügen?

»Ich mag keine Unruhe an meinem Hof«, sann Enrique weiter. »Auch nicht unter den Hofdamen der Königin. Ich werde Guiomar dem Herzog von Najera zur Frau geben. Sie muss fort. Dann wird sich Juana auch wieder beruhigen.«

»Ja, das wird sie.« Isabél nickte bedächtig. Warum schickte Enrique nicht Don Beltrán vom Hof? Dann würden sich vielleicht auch diese unseligen Gerüchte endlich beruhigen. Aber konnte sie dies einem König raten? Wer war sie denn, dass sie sich so etwas anmaßte?

»Dann wird alles so wie früher. Ich liebe sie doch.« Enriques Gesicht wurde weich, und er fasste nach Isabéls Arm.

Sie presste die Hände zusammen. Sie fühlte sich aufgewühlt und unsicher. Aber in dieser Situation konnte sie Enrique nicht mit ihren Gefühlen und Befürchtungen belasten. Es war besser zu schweigen.

***

Im abgeschiedenen Teil ihrer Gemächer hatte sich Isabél eine kleine Hauskapelle einrichten lassen, ebenso schlicht wie ihre anderen Räume. Ein holzgeschnitztes Kruzifix mit dem Heiland an der Wand, ein hölzerner Betstuhl ohne Polsterung und Samtbezug, mehr benötigte sie nicht. Zwar besuchte sie regelmäßig die Messen und Andachten und ging zur Beichte, aber dieser private Rückzug in den Glauben, das Innehalten und das Gebet, wurden ihr hier in Segovia besonders zum Bedürfnis.

Die Ereignisse bei Hofe beschäftigten sie mehr, als man es ihr ansah. Sie trug ihr Herz nicht auf der Zunge. Anderen Menschen, selbst dem König gegenüber, blieb sie zurückhaltend. Die Gedanken und Sorgen, die sie quälten, machte sie mit Gott oder mit sich selbst aus. Vor allem ahnte sie, dass sie hier in diesen Mauern niemandem trauen konnte.

Sie kniete sich in den Betstuhl, faltete die Hände und richtete ihren Blick auf den gekreuzigten Heiland.

»Vater im Himmel, deine Wege sind unerforschlich, deine Pläne für unseren Geist zu groß. Verzeih einem niedrigen Menschen, dass er sich ängstigt im Angesicht ihn erschreckender Vorgänge. Mein Bruder, der König, hat uns rufen lassen. Alfonso soll Thronfolger werden. Doch welche Rolle hast du mir zugedacht? Ich begebe mich in deine Hand. Leite mich durch eine Welt voller Verrat und Lüge. Zeige mir den rechten Weg, durch diesen Sumpf zu gelangen, ohne darin unterzugehen. Verleihe dem König genügend Weisheit, dass er den Sumpf erkennt und sein Volk herausführt wie damals Moses das Volk Israel aus Ägypten.«

Sie legte die Stirn auf ihre gefalteten Hände und schloss die Augen. »Herr, gib mir Kraft, um alle Aufgaben und Prüfungen zu bestehen, die du mir stellst. Gib mir ein untrügliches Auge, um zu sehen, wohin ich meinen Fuß setze. Gib mir einen klaren Geist, um richtig entscheiden zu können. Gib mir die Standhaftigkeit, den Versuchungen des Teufels zu widerstehen. Gib mir den wahren Glauben, um mich daran aufzurichten. Gib mir das Licht der Erleuchtung, um an deiner Weisheit teilzuhaben. Gib mir deinen Segen für mein Handeln. Amen.«

Langsam erhob sie sich. Ein schwacher Sonnenstrahl stahl sich durch das kleine Fenster mit den bleigefassten Glasscheiben. Er fiel auf das Gesicht des Heilands, und Isabél schien es, als ob er lächelte.

Später saß sie in ihrem Zimmer über einem Buch, einer Übersetzung des griechischen Philosophen Heraklit. Es war für sie eine fremde, faszinierende, aber auch schwer verständliche Welt, in die sie eintauchte. Es war eine andere Weltanschauung, eine andere Religion, und es waren kluge Köpfe, die sich Gedanken gemacht hatten. Der dunkle, gleichnishafte Stil des griechischen Philosophen faszinierte sie. Für ihn gab es keinen Gott und keine Götter, sondern ein Feuer, das den Himmel beherrschte. Für ihn gab es kein Beharren, kein starres Sein, sondern nur Bewegung und Veränderung. Panta rhei – alles fließt.

»Panta rhei«, wiederholte Isabél. »Wie hübsch das klingt.« Wenn sich etwas bewegte, würde es sich auch verändern!

Es klopfte an der Zimmertür, und ein Diener trat unter Verbeugungen ein. Noch ehe er etwas sagen konnte, wurde er beiseitegestoßen, und ein junges Mädchen kam hereingelaufen. Sie war etwas größer und schlanker als Isabél, mit dunklem Haar, etwas kantigem Gesicht und leidenschaftlichen schwarzen Augen.

»Beatríz!« Isabél sprang auf, und die beiden Freundinnen fielen sich in die Arme.

»Ich dachte, du fühlst dich vielleicht einsam. Ich wollte dir etwas Gesellschaft leisten.«

»Das ist wunderbar, Beatríz. Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Diese hohen Mauern hier …« Sie seufzte. »Sie erdrücken mich.«

Die temperamentvolle Beatríz wirbelte herum. »Weißt du noch, wie wir gemeinsam über die Basare und Märkte geschlendert sind? Wie wir uns auf den Volksfesten vergnügt haben? Ach, lass es uns noch einmal tun!«

»Nur zu gern, liebste Beatríz. Aber es wird Winter, da kommen lange, trübe Tage.«

»Ich werde sie dir vertreiben. Du wirst sehen, der Tag vergeht, ohne dass du es bemerkst. Doch nun erzähle, wie geht es dir? Wie geht es Alfonso? Ich habe einen Brief deiner Mutter dabei. Und von meinem Vater soll ich dich auch ganz herzlich grüßen …«

»Langsam, langsam, Beatríz«, bremste Isabél sie. »Nicht alles auf einmal.«

Beatríz fasste die Freundin an den Schultern und musterte sie eindringlich. »Stimmt etwas nicht? Du bist so ernst geworden.«

Isabél schüttelte ihr blondes Haupt. »Nicht ernster als vorher. Aber hier bei Hofe ist es ratsam, erst nachzudenken, bevor man etwas tut. Noch besser ist es, seine Gedanken sorgsam für sich zu behalten.«

Beatríz zog erstaunt die dunklen Augenbrauen hoch. »So ernst ist es?«

Über Isabéls Gesicht flog ein Lächeln. »Du wirst es noch selbst erleben. Komm, setz dich und erzähle von deinen Lieben daheim und von Arévalo. Ich bin begierig, Neuigkeiten zu erfahren.«

»Was soll es in so einem Nest schon für Neuigkeiten geben?«, gab Beatríz zurück. »Ich hoffte, von dir viel Neues zu erfahren. So ein Leben in der Nähe des Königs muss schrecklich aufregend sein.«

»Wenn du mit aufregend unmoralisch meinst, dann liegst du richtig. Ich glaube, hier in diesen Mauern gibt es nicht einen Menschen, der frei von Sünde ist. Zumindest geht es häufig lustig zu. Unterhält der König seinen Hof nicht mit irgendwelchem Jahrmarktsklamauk, dann geht es in den Gemächern der Königin mit ihren Hofdamen hoch her. Glaub mir, sie tun alles, um mich an ihren schlüpfrigen Festen teilhaben zu lassen.«

»Und?«, fragte Beatríz gespannt.

Isabél lächelte milde. »Es interessiert mich nicht. Es ist, als solltest du essen, wenn du keinen Appetit hast. Wenn man dich dazu zwingt, dann überkommt dich Ekel.«

Beatríz schenkte Isabél einen mitleidigen Blick. »Du Arme«, meinte sie schließlich. »Was musst du erdulden.«

Isabél lachte auf. »Gar nichts muss ich erdulden«, widersprach sie. »Ich mache nur das, was ich will.«

Die Freundin schwieg. Sie glaubte Isabél nicht. Was würde sie schon gegen den Willen des Königs ausrichten können, wenn dieser seine eigenen Pläne mit ihr verfolgte?

***

Natürlich war Beatríz begierig darauf zu erfahren, was hinter Isabéls geheimnisvollen Andeutungen steckte. Ihr war schon aufgefallen, dass bei Hofe eine ungezügelte Fröhlichkeit herrschte, und es trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht, wenn sie Pärchen sah, die sich ungeniert küssten und Zärtlichkeiten in aller Öffentlichkeit austauschten.

Eines Nachmittags lud Königin Juana Isabél und Beatríz in ihre Gemächer ein.

»Warum stellst du mir nicht deine kleine Freundin vor?«, fragte Juana leutselig und betrachtete Beatríz ausgiebig. »Sie soll an unserem fröhlichen Treiben teilhaben, so ein junges Ding.«

Ihr anzügliches Lächeln missfiel Isabél. Aber sie hatte Beatríz ja gewarnt.

»Schaut, wir haben ein Singspiel vorbereitet.« Sie wies auf ihre Hofdamen, von denen sich einige mit leichten Gewändern kostümiert hatten. »Es ist ein griechisches Singspiel. So etwas liebst du doch, Isabél. Man berichtete mir, dass du die Literatur der Griechen derzeit bevorzugst.«

»Ganz recht«, erwiderte Isabél. »Heraklit. Meines Wissens hat er aber keine Singspiele geschrieben, sondern philosophische Schriften verfasst.«

Juana vollführte eine wegwerfende Handbewegung. »Philosophie, Nonsens! Das ist viel zu schwermütig. Wir wollen lachen und uns am Anblick der Schauspielerinnen erfreuen.« Sie klatschte in die Hände. Die Hofdamen nahmen ihre Positionen ein, Musik erklang hinter einem Paravent.

»Das Stück heißt Die Freuden des Pan«, erklärte Juana und legte sich bequem in die Polster zurück. Isabél und Beatríz setzten sich neben sie; Beatríz mit gespannt-freudigem Gesicht, Isabél mit undurchdringlicher Miene.

Das Singspiel bestand aus einer Mischung von Gesang, Tanz und Schauspielerei. Die Handlung war simpel. Ein junges Mädchen, verkörpert von einer Hofdame in einer zarten Tunika, wanderte durch arkadische Gefilde und lauschte dem Flötenspiel eines noch unsichtbaren Hirtenjungen. Sie fühlte sich von seinem Spiel magisch angezogen. Endlich entdeckte sie ihn hinter einem Olivenbaum.

Isabél glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Es war ihr Bruder Alfonso! Nur mit einem weißen Tuch um die Lenden geschlungen hockte er am Boden und spielte Flöte. Das Mädchen umtanzte ihn, um sich dann neben ihm niederzulassen und ihn zu liebkosen.

Nun tauchten weitere Hofdamen in leichten Gewändern auf. Sie stellten Nymphen dar, die durch das Spiel des Hirtenjungen verzaubert wurden. In einem Reigen umtanzten sie das Paar am Boden.

Isabél sprang auf, doch Juana zog sie wieder in die Kissen. Beatríz hingegen blickte gespannt mit vornübergebeugtem Oberköper auf die Szene. Im gleichen Moment fiel ein anderer Flötenspieler ein, kräftiger und lebhafter. Es war Pan, umkränzt von Efeu und Weinlaub, in unanständig kurzer Tunika. Und dieser Pan war kein anderer als Don Beltrán!

Zugegeben, er war ein schöner Mann. Beatríz hob lachend die Hände, als Pan sich über sie beugte. In diesem Moment streckte die Königin den Arm aus und zog Don Beltrán zu sich aufs Lager.

»Pan gehört mir«, rief sie übermütig. »Aber für euch habe ich auch noch eine Überraschung.«

Der Kreis der Nymphen öffnete sich, während die Musik erneut hinter dem Paravent einsetzte. Zwei weitere ansehnliche Hirtenknaben mit Flöten traten aus dem Olivenhain hervor. Einer gesellte sich zu Beatríz, der andere zu Isabél. Geschmeidig ließen sie sich nieder und begannen, die beiden Mädchen zu liebkosen.

Isabél erhob sich mit einem Ruck. »Sehr hübsch«, stellte sie nüchtern fest. »Aber nun sollten wir gehen, Beatríz.«

Die Freundin blickte auf und schob enttäuscht die Unterlippe vor. »Warum? Jetzt wird es doch erst richtig interessant.«

»Ein bisschen zu interessant«, erwiderte Isabél. »Ich ziehe Heraklit vor.« Sie zögerte einen Moment, als sie über Beatríz hinwegstieg. »Aber ich überlasse dir gern auch meinen Hirten. Du kannst ja mit beiden die Freuden des Pan genießen.« Entschlossen schritt sie dem Ausgang zu.

Beatríz rappelte sich auf. »Warte, Isabél, warte! Du kannst mich doch hier nicht allein lassen!«

Verfolgt vom Gelächter Juanas und ihrer Hofdamen eilte sie Isabél hinterher. Draußen auf dem Gang blieb sie stehen und lehnte sich an die Wand. Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ihr Atem ging schwer. »Du bist eine Spielverderberin!«