Der kleine Golfmentalcoach

„Die Menschen haben vergessen, dass sie erst werden müssen, was sie sein wollen“

Norbert Elgert

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Martin Schütt

Lektorat: Dr. Susanne Gebert

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978352616934

Inhaltsverzeichnis

  1. Jeder kämpft mit seinen eigenen Dämonen
  2. Was ist Mentaltraining?
  3. Freizeithacker oder Turniergolfer?
  4. Mit geschultem Geist Golf spielen
  5. Fehlerkompetenz und Misserfolge
  6. „Was soll ich jetzt daraus lernen?“
  7. Willenskraft und Selbstdisziplin
  8. Talent, Stärken, Schwächen
  9. Die falsche Erwartungshaltung
  10. Das Training
  11. What Is Important Now? Selbstvertrauen durch Routine
  12. Mentale Veränderung der Golfperspektive
  13. Ihr Selbstbild als Golfer
  14. Das Golflehrer – Schülerverhältnis

Vorwort

„Mentaltraining? Komisches Wort.

Ich hab‘ mal was darüber in einer Golfzeitschrift gelesen, aber viel darunter vorstellen, kann ich mir nicht.“

„Sollen ja angeblich viele Profis machen.

Ob das hilft? Weiß ich nicht.“

„Mal ausprobieren? Schwierig, schließlich habe ich ja schon Probleme, genügend Zeit zu finden, um meinen Schwung richtig zu trainieren. Und dann noch was Neues anfangen?“

„Mit meinem Kopf ist doch alles in Ordnung, oder nicht?“

Jedes Mal, wenn ich meinen Kursteilnehmern das Thema „Mentaltraining“ näher bringen will, ernte ich erst einmal viele skeptische Blicke. Manchmal auch völlig entgeisterte. Ich kann ihre Gedanken wie „Muss ich jetzt auf die Golfcouch? Und wenn ja – wo steht die denn hier auf der Range?“ in ihren Gesichtern ablesen.

Am Anfang, das war im Jahre 2015, habe ich vermutlich auch skeptisch drein geschaut zu diesem Thema, aber jetzt, gute fünf Jahre später, bin ich von Mentaltraining für Golfer absolut überzeugt. So sehr, dass ich mittlerweile eine Fortbildung zum Sportmentalcoach erfolgreich absolviert habe und selbst Kurse gebe.

Mein Leben mit Mentaltraining begann mit den Büchern des Sportpsychologen Bob Rotella und des Golftrainers Oliver Heuler. Sie haben mein Golfleben verändert. Und weil es wahrscheinlich nichts Schöneres gibt, als anderen zu helfen, habe ich für Sie mein Wissen und meine Erfahrungen der letzten 5 Jahre aufgeschrieben, damit Sie genauso viel Freude und Inspiration erfahren, wie ich selbst.

Deswegen freue ich mich sehr, dass Sie gerade meinen Leitfaden „Den kleinen Golfmentalcoach“ in Ihren Händen halten. Denn es ist kein düsteres Golfer-Schicksal, das unsere Zukunft als Spieler bestimmt, sondern wir selbst sind es, die entscheiden, ob wir hervorragend, zufriedenstellend oder richtig schlecht spielen. Tag für Tag und in jedem Augenblick unseres Trainings. Wir selbst bestimmen, ob wir Freude und Glück auf dem Golfplatz finden und fleißig üben, damit wir motiviert sind, um immer wieder aufs Neue anzutreten, die beste Runde unseres bisherigen Lebens zu spielen. An jedem Tag, an dem wir uns mit diesem faszinierenden Spiel beschäftigen, liegt es an uns, wie viel wir zu lernen bereit sind. Über das Spiel, aber auch über uns als Mensch.

Ich teile mit Ihnen meine Erfahrungen so ehrlich und schonungslos wie möglich. Ich berichte über das, was ich selbst gelesen und angewendet habe. Ich zeige Ihnen die Übungen im Training, die aus meinen Kursteilnehmern (und natürlich auch aus mir) die besten Golfspieler gemacht haben, die in uns stecken und lange auf ihre Befreiung gewartet haben. Schließlich gelten immer noch der Score, den man nach Hause bringt, die Platzierung im Turnier und das Handicap als wichtiger Maßstab für die eigene Laufbahn als Golfspieler, egal ob man als Freizeit- und Wochenendgolfer oder ambitionierter Turniergolfspieler unterwegs ist.

Aber ist es wirklich das HCP und der Score, die uns die Erfüllung beim Golfen bringen? Dieser Frage gehe ich selbstverständlich auch nach.

Meine Erfahrung – und vielleicht auch schon Ihre – ist, dass man sein Heil auf dem Grün meistens nicht in der technischen Weiterentwicklung oder in der Auswahl der besten Golfbälle findet, auch wenn man sich darüber in den verschiedensten Foren die Köpfe heiß diskutieren kann.

Irgendwann stellt jeder Spieler fest, dass es nicht mehr weitergeht: Man hat ein ebenso ärgerliches wie frustrierendes Trainingsplateau erreicht, in dem es nur noch einen Schritt vor und dann wieder einen Schritt zurück geht. Vielleicht auch seitwärts, aber das ungute Gefühl (und der noch unzufriedenere Zustand) ist, dass man trotz intensiven Training stagniert. Nichts geht mehr voran. Den einen Spieler trifft es früher, den anderen später, aber ich kenne niemanden, den es nicht irgendwann erwischt.

Gepaart sind solche Phasen oft mit Wutausbrüchen und verbogenen Schlägern; im schlimmsten Fall ist der Ärger so groß, dass die Golftasche ganz an den Nagel gehängt wird (was den meisten später unendlich leid tut). Tatsächlich stehen Sie sich mit Ihren Emotionen meist nur selbst im Weg. Der Sprung ins nächsthöhere Level hat zwar auch mit der Weiterentwicklung Ihrer Spieltechnik zu tun, aber auch sehr viel mit der Entwicklung der (emotionalen) Spielerpersönlichkeit.

Mentale Stärke ist das Stichwort, weil die Spielerpersönlichkeit eines Golfers ebenso entscheidend ist wie der technische Stand des neusten Drivers aus Weltraumstahl. Hier ein paar Meter mehr Länge, dort etwas mehr Präzision und schon haben Sie am Ende der Runde zwei, drei Schläge gespart. Das ist sicher eine Frage der Technik, aber eben auch eine der mentalen Stärke und Konzentrationsfähigkeit wie der Platz gespielt werden will.

Das ist vielen nicht bewusst. Während am technischen Equipment und Trainerstunden nicht gespart wird, führt Mentaltraining in vielen Köpfen – anders als bei Profis – ein kümmerliches Schattendasein: kaum beachtet, gelegentlich verspottet und selten ausprobiert.

Dass Weltklasse-Golfer wie Martin Kaymer, Bernhard Langer oder Tiger Woods mit Mentaltraining arbeiten, ist allgemein bekannt und akzeptiert. Aber Sie als Freizeit-Golfer? Na klar: Warum eigentlich nicht Sie als Freizeit-Golfer?

Sicher, den zeitlichen Aufwand von mindestens 40 Wochenstunden, den Profis fürs Golftraining aufbringen müssen, können Sie sich nicht leisten, schließlich haben Sie noch anderes zu tun und verdienen ihre Milliönchen nicht auf dem Fairway. Umso brennender wird die Frage, warum Sie Ihre knappe Zeit nicht so effektiv wie möglich einsetzen und wie die Profis trainieren. Ganz einfach deshalb, weil es mehr Spaß macht und weil die richtige Einstellung zum Golfen verbunden mit psychologischem Know-how und Ihren technischen Qualitäten dafür sorgen wird, dass Sie Ihr volles Potenzial entfalten können. Weil die Kombination aus Technik und Mentalkraft Sie schneller aus Plateau-Phasen herausholt oder Sie davor bewahrt, überhaupt reinzurutschen.

Probieren Sie es aus und Sie werden feststellen, dass die besondere Einstellung Ihnen einen qualitativen Vorsprung gegenüber all jenen verschafft, die das mentale Training bisher nur belächeln. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Nur weil es sich um ein mentales Training handelt, heißt das nicht, dass Ihr komplettes Training ab sofort mit geschlossenen Augen in Ihrem Lieblingssessel stattfindet. Ihre Vorstellungskraft, was aus Ihnen werden könnte, reicht allein nicht aus, um Ihr Spiel zu verbessern; abschlagen und putten müssen sie trotzdem weiter üben. Immer und immer wieder.

In diesem Buch erwartet Sie eine Erklärung, was Mentaltraining überhaupt ist, und wie Sie es für sich nutzen können, um Ihr volles golferisches Potenzial zu entwickeln.

Ich zeige Ihnen anhand verschiedener Erklärungsmodelle, welche Macht das Unterbewusstsein über unser Bewusstsein hat, und wie es uns als Golfer beeinflusst und unser Spiel zum Negativen, aber auch zum Positiven verändern kann. Ich werde Ihnen Tipps an die Hand geben, wie Sie sich motivieren und den „inneren Schweinehund“ besiegen können (sofern Sie es zulassen). Und ich gehe auf verschiedene Alltagssituationen in einem Golferleben ein, die auch Sie schon erlebt haben, bislang aber nicht wussten, wie man mit ihnen am besten umgehen kann.

Ein letzter Tipp zum Schluss, den nicht ich erfunden habe, sondern Norbert Elgert, einer der besten Fußball-Jugendtrainer Deutschlands: Betrachten Sie dieses Buch und seinen Inhalt bitte als eine Art Buffet, an dem Sie mit einem leeren Teller entlanggehen. Sie kommen an vielen köstlichen Speisen vorbei, manche werden Sie mögen, andere sind eher nicht Ihr Geschmack oder passen nicht zu den Gerichten, von denen Sie außerdem noch probieren möchten. Nehmen Sie sich nur so viel, wie Sie beim ersten Mal essen können, dann schieben Sie den Teller beiseite und legen ein Verdauungs-Päuschen ein. Wenn Sie dann wieder Hunger bekommen, nehmen sich Ihren Teller, gehen zum Buffet und suchen sich die nächste Leckerei aus. Dieses Buffet gehört Ihnen und Sie haben alle Zeit der Welt, um alles zu probieren. Lassen Sie sich also Zeit bei der Auswahl und kosten Sie, ohne sich den Magen – hier eher: den Kopf – zu verderben. Sehen Sie diesen Leitfaden als kulinarische Reise, bei der es viel zu entdecken gibt. Wenn Ihnen das Buffet gefallen hat, dann empfehlen Sie mein Restaurant sehr gerne weiter oder schenken Sie jemanden eine Eintrittskarte. Nichts würde mir mehr Freude bereiten, wenn Ihnen mein Essen geschmeckt hat und Sie einen Gruß an die Küche senden.

Ihr Martin Schütt

1. Jeder kämpft mit seinen eigenen Dämonen

Paul steht an der Bahn 18 am Abschlag und überlegt, welchen Golfschläger er nehmen soll. Es ist eine schwierige Entscheidung. Vor ihm liegt ein kurzes Par 3, nur 165 Meter lang, schnurgerade, mit einem leicht erhöhten Grün mit schmalem Eingang. Links und rechts verteidigen zwei Bunker den Eingang zur Fahne.

Es ist das erste Mal, dass er gegen Jan in einem Lochspiel führt. Sie treffen sich seit Jahren zweimal im Monat zum Wettkampf. Dabei geht es nicht um Geld oder das Bier danach im Clubhaus, sondern einzig und allein um die Ehre: Wer von ihnen ist der bessere Spieler?

Noch nie hat es Paul geschafft, Jan zu schlagen. Bei dem sitzt einfach jeder Schlag – bis auf heute, denn da hat Jan an Bahn 4 gepatzt. Paul steht vor seinem persönlichen historischen Sieg gegen Jan. Es kribbelt in seinem Kopf, die Hände sind schweißnass: Erfolgsdruck baut sich in ihm auf.

Er schaut kurz zu Jan, der neben dem Abschlag wartet und teilnahmslos seinen Blick über den Golfplatz schweifen lässt. Paul versteht die Lässigkeit seines Flightpartners nicht; es scheint ihn nicht einmal zu interessieren, dass er an Bahn 4 versagt hat. Jan ist die Ruhe selbst, während Paul immer angespannter und nervöser wird.

Langsam greift Paul zu seinem Eisen 6, wiegt es sorgsam in der Hand und beißt sich vor lauter Nervosität auf die Lippe. Das Sechser wird, wenn er mit dem Sweetspot trifft, den Ball direkt aufs Grün führen. Paul atmet schwer und spürt, wie sein Herz klopft und sich sein Puls beschleunigt. Das sechser Eisen ist nicht sein Lieblingsschläger; bei jedem dritten oder vierten Schlag verzieht er zu weit nach links. Warum das seit jeher so ist, weiß er nicht, es passiert einfach, egal, wie oft er auf der Driving Range damit trainiert.

Das Eisen 7 ist dagegen sein Lieblingsschläger, mit dem er alles blind trifft. Aber damit kommt er nicht weiter als 140 Meter. In dieser Situation würde das Siebener bedeuten, dass er einen kurzen zweiten Schlag bräuchte, um den Ball neben die Fahne zu legen. Mit dem 56 Grad Wedge ist das zwar kein Problem, aber es wäre eben möglicherweise ein Schlag zu viel. Das kurze Spiel ist schließlich einer der wichtigsten Teilaspekte, nur kommen seine Schläge gelegentlich zu lang und rollen auf dem Grün zu weit. Er spielt, so Pauls eigenes Urteil über seine Leistung, eigentlich nicht schlecht, aber nicht konstant genug.

Paul bewegt sich zum Abschlag hoch und kreist seine Schultern, um die aufkommende Verspannung zu lockern.

Er wirft einen kurzen Blick zu Jan, der ihm freundlich zuwinkt und den Daumen hochhält, um ihn anzuspornen. Er spürt, wie seine Nervosität dadurch noch schlimmer wird. Jan konnte nur noch auf ein Unentschieden hoffen, und jetzt spornte er ihn auch noch an? Bei allem Sportsgeist – Paul hätte das nicht getan. Merkwürdiger Typ, denkt Paul, und lächelt tapfer zurück. Dir zeig ich‘s heute!

Paul steckt sein Tee ins Gras, legt seinen Ball – einen neuen, noch perlweißen Titleist Pro V1x – auf den Kopf des Tees und tritt ein paar Schritte zurück.

Die Baumreihe links und rechts engen das gerade Fairway ein und bilden einen schlauchartigen Ausgang. Ein kurzer Verzieher nach links oder rechts und er würde den Ball ins Unterholz schlagen. So viel ist klar: Der Ball muss schnurgerade heraus. Erst auf den letzten 65 Metern verbreitert sich das Fairway zum Grün, aber bis dahin muss der Ball wie an der Schnur gezogen gute 100 Meter weit fliegen. Würde er vorher aufkommen und unglücklich abspringen, ging er unwiederbringlich in den Wald.

Pauls Herz rast jetzt und schlägt ihm fast bis zum Hals; er atmet schnell und flach. Er umklammert sein Eisen 6, macht einen Probeschwung – und gräbt es in den Rasen. Mist, zu steil heruntergekommen, denkt Paul, wie ein echter Rasenhacker (so nennt man Neulinge und Anfänger liebevollboshaft im Club). Jetzt bloß nicht so einen Ball schlagen und 30 Meter nach vorne hoppeln lassen. Jan hatte an der 4 eine Lady geschlagen. Peinlich, peinlich, und das als Handicapspieler mit HCP 15.

Paul reißt sich zusammen, konzentriert sich, stellt sich am Tee auf, lässt den Schläger einen Zentimeter vor dem Ball auf dem Rasen zur Ruhe kommen und schaut zur Fahne. Nur 100 Meter denkt er, bloß nicht in den Wald verziehen. Sein letzter Blick streift den rechten Bunker, dann sieht er zum Ball und holt aus.

Kurz rekapituliert Paul den mechanischen Ablauf des Schwungs: Handgelenke locker lassen, nur bis zur Hälfte ausholen und die Hüfte mitnehmen beim Abschlag. Locker durchschwingen, Hüfte nach vorne und die Gürtelschnalle auf das Ziel gerade nach vorne zeigen lassen. Kleinigkeit für einen, der schon so lange spielt!

Schon beim Abschlag, weiß Paul, dass er es verbockt hat. Er trifft nicht richtig, es „klongt“ viel zu dünn und er selbst hat Mühe, das Gleichgewicht zu halten, als er viel zu kräftig durchschwingt. Seine Handgelenke sind steif wie Gipsarme und die Kraft der Physik wirbelt sein Körper nach vorne. Dementsprechend startet der Ball nach links, bekommt nach 90 Metern seine Flugbahn zwar in den Griff, driftet dann aber etwas nach rechts ab, bevor er mit einem dumpfen und harten Plopp auf dem Boden schlägt: Schräg ins Rough, genau dort, wo es ans Fairway grenzt.

Jetzt liegt der Ball etwa 35 Meter vom Grün entfernt und der zweite Schlag müsste schräg über den rechten Bunker zur Fahne geführt werden. Sehr, sehr ungünstige Ausgangslage.

Mist! Paul ist bitter enttäuscht. Er war so nah dran gewesen, seinen ersten möglichen Sieg gegen Jan einzufahren. Sein Frust ist groß, aber der Druck lässt nach und weicht aus ihm wie Luft aus einem alten Fahrradreifen mit Loch.

Kommt Ihnen das bekannt vor, lieber Leser, liebe Leserin? Wenn Sie gerade mit Paul geschwitzt und sich an der einen oder anderen Stelle wiedererkannt haben, wird Ihnen mentales Golftraining weiterhelfen. Bevor wir konkret ins Thema einsteigen, möchte ich Ihnen allerdings die Situation auch noch aus Jans Perspektive schildern, denn der trainiert, Sie haben es sich vielleicht schon gedacht, nicht nur regelmäßig seine Technik, sondern auch seine Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit mit Golfmentaltraining.

Die Perspektive von Jan:

Jan streckt den erhobenen Daumen aus und nickt Paul aufmunternd zu. Heute hat sein langjähriger Spielpartner endlich das erste Mal die Chance, ihn zu schlagen. Paul liegt verdient in Führung, denn er hat wirklich gut gespielt und den Patzer, den er, Jan, sich an Bahn 4 geleistet hat, ausgenutzt und zum Par gelocht, während er einen Bogey zustande gebracht hat. So ist Golf nun einmal: Einen Tag lang spielt man wie ein Gott und am nächsten Tag rutscht einem was durch und man macht blöde, vermeidbare Fehler. An Bahn 4 hat er gepatzt, den Ball zu fett getroffen und versehentlich eine Lady geschlagen.

Das passiert einem Spieler mit HCP 15 sehr selten, ausgeschlossen ist es aber nicht.

Jan hat an der Bahn 4 den Schläger gewählt, den er für die Entfernung am besten geeignet hielt, aufgeteet, Schwung geholt und dann hat es ein dumpfes Klack gegeben. Er war zu spät mit der Schulter heruntergekommen und hat deswegen den Ball nur getoppt. Dreißig Meter war der Ball gerollt und vor dem Damenabschlag liegengeblieben. Eine waschechte Lady – das Sieger-Bier würde er heute ausgeben müssen. Sei‘s drum. Paul hat so gut gespielt, das hat er sich redlich verdient.

Jan sieht kurz zu Paul, der schon seinen Ball aufgeteet hat und Maß für seinen Schlag nimmt. Schwieriges Loch, denkt Jan, obwohl das Fairway gute 30 Meter breit ist und damit eigentlich breiter als eine vierspurige Autobahn. Aber aufs Auge wirkt es wegen der hohen Bäume auf beiden Seiten wie ein Nadelöhr. Jan lässt sich von solchen Bahn-Kompositionen nicht mehr beeindrucken, denn die Illusion, die beispielsweise Baumalleen bei Golfern hervorrufen soll, ist ihm mittlerweile bewusst. Im Geist gratuliert er dem Golfarchitekten, der bei diesem Loch ein gutes Händchen bewiesen hat. Diese Bahn wollte einschüchtern. Allerdings bellte sie nur, biss aber nicht.

Paul ist bestimmt nervös, denkt Jan und sieht, wie sein Flightpartner die Schultern kreisen lässt, um sich locker zu machen. Noch nie war Paul so auf der Gewinnerspur wie heute. Ob er überhaupt merkt, wie schön der Tag ist, an dem er seinen ersten Sieg gegen Jan einfahren würde: Kristallblauer Himmel, die Sonne schickt rotgoldene Strahlen durchs Herbstlaub, die Luft ist noch warm, das Gras wunderbar grün.

Ein fabelhafter Tag, um zu siegen!

Jan erinnert sich an das Buch, in dem er das erste Mal etwas über mentales Training für Golfer gelesen hat: „Jenseits des Scores“.

Durch dieses Buch hatte er zum ersten Mal die Bedeutung von Golf in seiner ganzen Bandbreite verstanden: Golf als Sport ist ein Spiel, ein wunderbares Spiel.

Golfspieler laufen durch einen riesigen, wunderschön angelegten Park, schubsen dabei gelegentlich einen hühnereigroßen Ball nach vorne und sind in Begleitung interessanter Menschen. Bei so einem langen Spaziergang zwischen Anspannung und Entspannung – und bei dem herrlichen Wetter – ist einfach kein Platz für Ärger oder negative Emotionen. Warum auch, es ist nur ein Spiel.

Jan hörte den Klang, mit dem Pauls Schläger auf den Ball trifft und zuckt unmerklich zusammen. Der Ball landet im Rough, ist also kurz vor dem Flug in den Wald gestoppt worden. Wäre der Ball im Wald gelandet, hätte Paul vermutlich alle Siegchancen verspielt, aber so hat er sich eine Möglichkeit auf Sieg bewahrt. Ein kurzer Schlag mit dem Wedge aus dem Rough würde den Ball über den Bunker an die Fahne befördern und mit einem kurzen Putt könnte Paul einlochen. Paul ist im kurzen Spiel hervorragend, er hat nur zu wenig Selbstvertrauen und sieht sich selbst als golferisch unvollkommen an. Irgendwie jagt er ständig dem perfekten Schlag hinterher und bemerkt dabei nicht, was er eigentlich alles kann.

Jan nimmt den Schläger, der ihm für die Entfernung passend erscheint, und geht zum Abschlag. Paul trottet mit hängenden Schultern an ihm vorbei und schenkt ihm ein gequältes Lächeln. Jan wundert sich. Ist ihm denn nicht klar, dass es den perfekten Schlag nicht gibt? Der Ball geht rein – oder eben nicht. Außerdem noch ist nichts verloren!

Mit diesem Gedanken teet Jan auf, misst mit kurzem Blick die Entfernung, prüft den Wind und sucht sich ein Ziel ein paar Meter vor dem Eingang zum Grün. Auf dem Vorgrün entdeckt er eine kleine weiße Margerite, die der Greenkeeper heute Morgen beim Mähen offenbar vergessen hat. Ein gutes Ziel findet Jan. Er nimmt seinen Lieblingsschläger, holt aus und schlägt.

Der Ball fliegt in den kristallblauen Himmel und dann schnurgerade auf die Margerite zu...

Haben Sie den Unterschied bemerkt, liebe Leser? Können Sie sich vorstellen, weshalb Jan der mental stärkere Spieler von beiden ist?

Aber lassen Sie uns jetzt wie versprochen mit unserer mentalen Golfreise beginnen und mehr über einen sehr wesentlichen Teilaspekt des Golfspielens lernen.

Erstmal zu den nackten Zahlen und Fakten:

Während ich für dieses Buch recherchiert habe, gab es in Deutschland etwa 642.672 registrierte Golfspieler, davon etwas mehr als die Hälfte Männer (60%) und etwas weniger Frauen (40%). Abzüglich der ‚Karteileichen‘, die es in jedem Sport gibt – der Wille ist da, aber die Zeit (ich sage: die Motivation) fehlt – findet man bei den Registrierten viele gute Amateurgolfer, die den Ehrgeiz haben, entweder erfolgreiche Clubturnierspieler zu werden oder zumindest bei kleineren Turnieren ganz oben mitzuspielen. Schließlich geht es bei denen durchaus auch um die Wurst, das heißt natürlich um den Preis, denn die Sachpreise, die es zu gewinnen gibt, sind meistens interessant und wertvoll.

Da wird dann sportlich ordentlich gehauen und gestochen, Spielpartner mit zumeist schwachen Regelkenntnissen zu Strafschlägen verdonnert und die Golfschläge, die es zu sehen gibt, lassen die Anfänger mit den Zungen schnalzen.

Und dann gibt es natürlich noch die Freizeit- und Wochenendgolfer, die ihre freie Zeit am Wochenende auf dem Golfplatz verbringen. Wie viel Zeit ins Training gesteckt werden kann, ist unterschiedlich, aber die Erwartungen der Spieler und Spielerinnen vor allem an sich selbst sind hoch: Herausragend gute Abschläge – und das am besten immer – und natürlich ein niedriger Score, möglichst konstant.

Aber egal, ob ambitionierter Clubturnierspieler oder Gelegenheitsrasenhacker – eine große Gemeinsamkeit haben sie Alle: Leidenschaft. Und zwar leidenschaftliches Golf im wahrsten Sinne des Wortes: Golf, das für manchen Spieler Leiden schafft!

Die Höhen und Tiefen, die jeder Spieler im Laufe seiner Karriere durchlebt, haben von Mensch zu Mensch unterschiedliche Auswirkungen: Den einen bringen sie dazu, härter zu trainieren, sich mit dem Golfsport (nichts anderes als richtiger Sport ist es) eingehender zu beschäftigen.

Die anderen frustriert das Auf und Ab so sehr, dass sie diese wunderbare Freizeitbeschäftigung an den Nagel hängen und ihr ganzes Arsenal an Hightech-Schlägern bei einer bekannten Onlineauktionsplattform für‘n Appel und Ei verkaufen. Ich vermute, wir sind uns einig darin, dass es keine Lösung und keine Option ist, diesen wunderbaren Sport einfach aufzugeben, außer man ist körperlich nicht mehr in der Lage dazu.

Allerdings haben die meisten ambitionierten Spieler den Wochenend- und Freizeitgolfern voraus, dass sie dem Geheimnis des Golfspiels etwas näher sind als der normalsterbliche Schlägerschwinger. Natürlich haben auch Turniergolfer mit Problemen zu kämpfen, denn auch sie kennen das Auf und Ab der persönlichen Spielleistung. Meistens ist ein schlechter Tag oder ein verpatzter Golfschwung kein Mangel an Spieltechnik, sondern das Fehlen psychischer Gelassenheit.

Der Freizeit- und Gelegenheitsgolfer kämpft dagegen seinen Kampf an gleich zwei Fronten: Einerseits der perfekte Golfschwung, der immer nur auf der Driving Range und nie auf dem Golfplatz gelingt, und außerdem noch ihre Emotionen, die positiven genauso wie die negativen, wenn sie auf dem Platz unter Stress stehen. Besonders schwierig wird es für einen 08/15 Golfer wenn er (oder sie) ein golferisches Tief durchläuft. So ein Tief ist schwer zu akzeptieren, denn viele erwarten von sich selbst Topschläge – und produzieren dann doch nur einen Hook oder Slice trotz hartem und stundenlangem Training.

Ein wahrer Ritt im Fegefeuer.

Die Golfer-Hölle wird dann oft noch verstärkt, wenn ein Kollege oder sogar ein Neumitglied im Club in Sachen Handicap an ihnen vorbeizieht. Viele Spielerinnen und Spieler sind schon gestresst, wenn sie mit unbekannten Flightpartnern eine Runde spielen müssen. Die Angst vor einem möglichen Versagen wird dann schnell so groß, dass jeder misslungene Schlag innerlich als peinliche Katastrophe gewertet wird, was letztendlich dazu führen kann, dass man am liebsten nur noch für sich und ohne Publikum spielen möchte.