Die Autorin

JULIA ROGASCH, geboren 1983, verkaufte bis 2010 Autos eines großen deutschen Herstellers. Seitdem sorgt ihr Leben als Mama mit Job täglich für Inspirationen, die sie in ihrem Marketingberuf und dem Schreiben auslebt. Sie wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Töchtern in Hannover. Daneben ist die Nordseeinsel Sylt die Heimat ihres Herzens und Inspiration für ihre Bücher.

Das Buch

Luises Eltern versuchen verzweifelt, die seit Jahrzehnten familiengeführte Teestube gegen die Konkurrenz der schicken Cafés auf Sylt zu verteidigen. Doch nun sind sie mit ihrer Kraft am Ende, und Luise eilt ein paar Wochen vor Weihnachten zu Hilfe. Unterstützung erhält sie dabei vom gut aussehenden Konditor Moritz, der sich im Zimmer oberhalb der Stube eingemietet hat. Zwischen Törtchen, feinen Teemischungen und kalten Winterstürmen kommen die beiden sich bald näher. Sie finden ein altes Rezeptbuch, das die Teestube retten könnte, und ein lange gehütetes Geheimnis, das sie weit in die Vergangenheit ihrer Familien zurückführt ...

Julia Rogasch

Winterzauber in der kleinen Teestube am Meer

Ein Sylt-Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Oktober 2021
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®, München
Autorenfoto: © Privat
E-Book powered by pepyrus.com
ISBN 978-3-8437-2624-5

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Widmung

Meinen Herzensmenschen.
Meinen wundervollen Lesern.
All jenen, die an ihre Träume glauben.
Dir, denn mein Traum lebt durch dich.


1. Luise


Hinter der Autoscheibe kitzelten die warmen Sonnenstrahlen meine Haut. Für einen Moment schloss ich die Augen und genoss dieses angenehme Gefühl. Der November in Hamburg hatte meine Ansprüche dem Wetter gegenüber weit heruntergeschraubt, so grau, nasskalt und ungemütlich war er bisher. Viel Hoffnung, dass es im hohen Norden anders sein würde, hatte ich mir bis vor wenigen Stunden nicht gemacht. Dabei hatte ich mich offenbar geirrt. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zu dieser Zeit zuletzt von einem so freundlichen Wetter auf der Überfahrt nach Sylt empfangen worden war. Ich kam mir vor wie auf einer Zeitreise aus dem November heraus in einen goldenen Oktober. Ich freute mich darüber, dass ich sogar eine Sonnenbrille benötigte. Die Sonne strahlte vom kristallklaren Himmel, dessen Blau keine Wolke störte, und ließ das Wattenmeer wie tausend glitzernde Edelsteine funkeln. Der Autozug rollte durch das sanft an den Hindenburgdamm plätschernde Wasser, und mit jedem Kilometer stieg die Vorfreude auf meine Heimatinsel.

Ich reiste in jedem Jahr um diese Zeit nach Sylt, um meinen Eltern rund um die Weihnachtsfeiertage in ihrer Teestube unter die Arme zu greifen. In diesem Jahr war es ein wenig anders. Ich würde meine Eltern vertreten, weil diese zu einer Kur aufbrechen wollten. Deshalb war ich früher als sonst hier und wollte auch länger bleiben. Ich hatte meinen Job im Marketing eines Reiseunternehmens so organisiert, dass ich längerfristig von Sylt aus meine Arbeit erledigen konnte. Für die Zeit kurz vor Weihnachten und über die Feiertage nahm ich mir jedes Jahr sowieso Urlaub, so auch diesmal.

Eine Freundin, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hatte, war dankbar gewesen, als ich ihr anbot, meine Wohnung für die Zeit, in der ich auf Sylt sein würde, zu nutzen. Da sich auch bei ihr die Suche nach einer neuen Bleibe sicher ein wenig hinziehen würde, profitierten wir beide. Auch wenn ich in Hamburg nur zwei Zimmer bewohnte, kosteten mich diese im Monat einen nicht unerheblichen Betrag. Meine Freundin wollte die Miete für die Dauer der Nutzung übernehmen, was wunderbar passte.


Bei allem Respekt vor der Aufgabe, das Kliffstübchen eine Zeit lang im Auftrag meiner Eltern zu führen, weckte diese Herausforderung auch prickelnde Euphorie bei mir. Sylt verströmte in der Weihnachtszeit ein ganz besonderes Flair. Die urigen Friesenhäuser waren liebevoll geschmückt, und in den Gärten und Vorgärten leuchteten unzählige Lichter. Windlichter in den Butzenfenstern flackerten und strahlten eine behagliche Wärme aus. In den Restaurants und Cafés der Insel fand man sich ein zu gemütlichen Stunden, in denen man fröhlich beisammensaß und bei gutem Essen und leckeren Getränken gemeinsam die Vorfreude auf die besinnlichen Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel genoss.

Ich kuschelte mich beim Gedanken an den Kachelofen in der kleinen Teestube weiter in den Autositz und nippte an meinem Becher Coffee to go, den ich mir vor der Abfahrt in Niebüll gekauft hatte. Voller Vorfreude dachte ich an Friesentee und den Duft frisch gebackener Kekse und Kuchen. Die zufriedenen Gesichter unserer Gäste waren jedes Jahr die Bestätigung dafür, dass meine Eltern die richtige Entscheidung getroffen hatten, in ihrer Teestube traditionelle Speisen und Getränke anzubieten und auf Individualität und Ursprünglichkeit zu setzen.

Auf Sylt wohnte ich im Haus meiner Eltern, in dem sich auch die Teestube befand. Darüber lagen mein ehemaliges Jugendzimmer und das meiner Schwester Marie. Die Räume wurden mittlerweile als Gästezimmer für die Familie genutzt. Im Nachbarhaus lebte heute noch meine Großmutter, von der meine Eltern einst das Kliffstübchen übernommen hatten, bevor meine Schwester Marie eingestiegen war in unser Familienunternehmen.

Wehmütig ließ ich den Blick über das Meer schweifen und dachte an Marie. Ich sah sie mit einem stolzen Leuchten in den Augen vor mir stehen, an dem Tag, als sie mir erzählte, dass sie die Teestube weiterführen wollte. Es war ihr Herzenswunsch gewesen, aber es war nicht nur das, was für ihr Strahlen sorgte. Sie wusste, dass sie mit ihrer Entscheidung meiner Großmutter und meinen Eltern eine große Freude machte. Aber auch mir, die damit nicht länger vom schlechten Gewissen geplagt wurde, weil ich lieber die Insel verlassen und die Welt erkunden wollte. Für meine Eltern war das in Ordnung. Sie hatten uns Töchter niemals dazu zwingen wollen, den Betrieb zu übernehmen. Aber der Gedanke, dass es auch dann weitergehen würde, wenn sie einmal nicht mehr selbst in der Teestube stehen könnten, beruhigte sie dennoch, und die Freude war spürbar.

Vor allem meine Großmutter konnte die Erleichterung darüber, dass ihr Lebenswerk fortgeführt wurde, nie verbergen. Mir kam es vor, als habe sie Marie seit dem Tag, als sie sich für eine Zukunft in der Teestube entschied, nahezu vergöttert. Es war okay für mich, weil ich Marie ebenso über alles liebte und wusste, dass es ihr Traum war, das Kliffstübchen zu übernehmen. Für mich war es die Chance gewesen, mich aus dem Familienbetrieb auszuklinken, um meine eigenen Pläne für die Zukunft zu verfolgen.

Es war eine Zeit lang alles genau so perfekt. Ich reiste kurz vor Weihnachten an, um die Festtage gemeinsam mit meiner Familie auf Sylt zu verbringen, bevor ich wieder zum Studium nach Hamburg fuhr und von dort aus, wann immer es möglich war, die Welt bereiste. In meiner Wahlheimat studierte und feierte ich oder lernte mit Freunden neue Restaurants, Cafés und Bars kennen. Einige Jahre später nach dem Abschluss meines BWL-Studiums fasste ich in meinem Job im Marketing eines Reiseunternehmens Fuß und ging darin auf. Seitdem lebte ich in der Hansestadt, wo auch die Firma war, für die ich arbeitete.

Wenn ich in den letzten Jahren um die Weihnachtszeit nach Sylt gekommen war, hatte ich immer nur unterstützend mitgearbeitet. Dieses Mal war es anders, denn für einige Wochen würden nur meine Oma, Franka, die Mitarbeiterin der Teestube, und ich allein sein. Ich spürte zwar bei jedem Zusammentreffen die Blicke meiner Großmutter, die mir auch ohne Worte zu verstehen gaben, was sie von meinem Lebensstil hielt, hatte aber ein unschlagbares Talent entwickelt, darüber hinwegzusehen und mir diese Blicke nicht zu Herzen zu nehmen. Meine Eltern halfen mir dabei, indem sie immer hinter mir standen und mir nie einen Vorwurf machten, sondern den Rücken stärkten. Auch nachdem meine zwei Jahre ältere Schwester Marie mitten aus dem Leben gerissen worden war, als sie bei einem schrecklichen Brand im Kliffstübchen starb, kam nie die Forderung meiner Eltern, sie in der Teestube zu ersetzen. Dabei standen sie zu diesem Zeitpunkt vollkommen neben sich, und ich hätte verstanden, wenn sie von mir verlangt hätten, auf Sylt zu bleiben. Der Tod meiner Schwester war für uns alle ein Schock und traf unsere Familie wie ein gewaltiges Erbeben. Das war drei Jahre her, und noch immer zog sich bei der Erinnerung an diese Zeit mein Herz krampfhaft zusammen. Meine Großmutter war wie verbittert seit diesem Ereignis, es fiel ihr schwer, den Verlust ihrer geliebten Enkelin zu akzeptieren. Und obwohl sie es nie aussprach, wusste ich, dass sie erwartete, dass ich nun Maries Lebenstraum und den der Familie fortführte und das Kliffstübchen übernahm.

Ich seufzte bei dem Gedanken daran, dass meine Oma Inga und ich nun einige Zeit miteinander auskommen mussten. Ich hoffte, dass sie in diesem Jahr womöglich erstmalig ihren Groll gegen mich ablegen könnte. Schließlich war ich, ohne lange zu zögern, sofort bereit gewesen, meinen Eltern zu helfen und einzuspringen. Und auch, wenn ich mich auf meinen Einsatz in der Teestube freute, ahnte ich, dass mir diese Zeit deutlicher denn je vor Augen führen würde, wie schwer die Lücke, die meine Schwester hinterlassen hatte, zu füllen war.

Meine Gedanken wanderten zu der letzten Nachricht von Marie an mich, die mich kurz vor ihrem Tod erreicht hatte. Sie schrieb ganz euphorisch, dass sie mir unbedingt etwas erzählen wollte, bevor es alle anderen erfahren sollten. Ich hätte so gerne erfahren, was es war, was sie zu berichten hatte. Leider hatte sie das mit ins Grab genommen. Meinen Eltern hatte ich nie davon erzählt. Ich hatte Sorge, dass es sie womöglich sonst auch noch belasten würde, nicht erfahren zu haben, was Marie damit gemeint haben könnte. Mir ging es ja auch so, dass ich immer wieder darüber nachdachte, was es gewesen sein könnte, was sie mir erzählen wollte. Es waren vor allem die Erinnerungen an Marie, die neben all der Vorfreude auf Sylt auch für meine Grübeleien sorgten. Hier wurde mir immer deutlich bewusst, wie sehr mir meine über alles geliebte Schwester fehlte.

2. Moritz


Wenigstens gab Sylt sich Mühe und bereitete mir für eine Anreise im Winter einen nahezu spätsommerlichen Empfang. Ich hatte schon befürchtet, dass der Wetterumschwung mir aufs Gemüt schlagen würde und direkt für eine Erkältung sorgte, so sehr hatte ich die Wärme der Kanaren in den letzten Tagen genossen. Aufgetankt mit sonnigen Stunden, schönen Erinnerungen und den Kopf voller Ideen, kehrte ich auf meine Heimatinsel zurück.

Es fühlte sich nach Jahren zum ersten Mal wieder richtig an, hier zu sein. Die Freude meiner Eltern war überbordend, als ich ihnen vor ein paar Tagen am Telefon mitteilte, dass ich entschieden hatte, in der nächsten Zeit nach Sylt zu kommen. Auf ein Datum legte ich mich bewusst nicht fest. Im Nachhinein ärgerte ich mich aber über den Verlauf unseres Gespräches. Unser Telefonat endete dann nämlich doch wie immer im Streit, weil meine Mutter nicht verstehen wollte, warum ich überlegte, mir erst einmal eine Ferienwohnung zu nehmen, statt bei uns im Hotel zu wohnen. Aber ich hatte schon damit gerechnet, dass es nicht plötzlich rundherum harmonisch zwischen mir und meinen Eltern laufen würde.

Meine Mutter meinte es gut, das wusste ich. Aber sie musste akzeptieren, dass ich alt genug war, Entscheidungen zu treffen, und diese auch nicht ständig rechtfertigen wollte. Von meinem Vater war ich ja gewohnt, dass er sehr häufig meinen Ideen gegenüber kritisch war. Meine Mutter arrangierte sich meistens damit, dass wir manchmal anderer Meinung waren, und hörte mir zu, um auch im Zweifelsfall zwischen meinem Vater und mir zu vermitteln. Ich war nun einige Zeit meinen Weg gegangen, der nicht hier auf Sylt entlangführte, sondern mich mehrere Orte auf der Welt hatte besuchen lassen. Rund drei Jahre lang war ich kreuz und quer durch verschiedene Länder gereist, hatte die unterschiedlichsten Hotels und gastronomischen Betriebe gesehen. Ich hatte mir mein Bild davon gemacht, wie ich mir meine Zukunft vorstellte. Dabei war ich stets meinem Herzen gefolgt und würde es weiter tun. Würden meine Eltern das nicht einsehen, hatte ich beschlossen, schnellstmöglich das Weite zu suchen. Auch aus diesem Grund schätzte ich ein eigenes Zimmer auf der Insel. Es war längst nicht gesagt, dass ich mich nach Jahren, die ich unterwegs gewesen war, hier schlagartig wieder wohlfühlen würde.

Der Zug rollte in Westerland ein, und ich wollte erst einmal meinen Freund Cay in seinem Bistro besuchen.

Über Social Media hatte Cay meine Reisen verfolgt. Ich hatte etliche Fotos gepostet von Bars und Restaurants aus aller Welt, in denen ich Produkte gesehen und Inspirationen gesammelt hatte, wo ich an ihn und sein Bistro gedacht hatte. Wir hatten immer mal telefoniert, und diese lockere Verbindung in meine Heimat hatte mir Halt gegeben, wenn ich mich einsam fühlte. Sosehr ich es liebte, durch die Weltgeschichte zu reisen, so allein war ich in manchen Momenten. Gerade wenn die Erinnerungen wieder wach wurden und mich nächtelang nicht schlafen ließen, hatte ich mir einen Menschen an der Seite gewünscht, der mich in den Arm genommen, mir zugehört oder mir aufmunternd auf die Schulter geklopft hätte. Aber diesen Menschen hatte ich auf meinen Reisen nicht getroffen. Vielmehr war ich immer wieder mir selbst begegnet. Das war es zwar auch, was ich mir von dieser Zeit erhofft hatte, dennoch waren es keine leichten Begegnungen.

Ich seufzte und wählte Cays Nummer.

»Hi, mein Bester! Wie geht es dir?«, erkundigte ich mich.

»Moritz! Wie schön, von dir zu hören. Mir geht’s super, und dir? Wo in der Weltgeschichte treibst du dich denn gerade herum? Bist du noch auf den Kanaren?«, antwortete er offenbar bester Laune.

Ich schmunzelte. »Um genau zu sein, bin ich wenige Kilometer entfernt vom weltbesten Bistro am Meer. Es bietet die leckersten Pommes und das beste belgische Bier vor traumhafter Kulisse.«

»Klingt gut. Schade, dass ich hier so schwer wegkomme. Ich bin überzeugt, du würdest mir viele Plätze auf diesem Erdball zeigen, die mir ganz neue Welten eröffnen könnten.«

»Cay, das habe ich vor, allerdings nicht heute. Passt es dir, wenn ich in gut 15 Minuten vorbeikomme?«

Erst war es still, bis ein ungläubiges Lachen ertönte. »Ich glaub’s ja nicht! Aber so was von!«

»Alles klar. Dann bis gleich«, verabschiedete ich mich und legte auf.


Ich kam den Weg entlang und ging auf die Holzhütte direkt hinter der Düne am Strand von Wenningstedt zu. Wind zerrte an den Fahnen, die vor dem Bistro standen, und Sandverwehungen umrandeten die Tür und die Strandkörbe vor dem Häuschen.

Ich trat ein, und sofort zog mir der Duft verschiedener leckerer Speisen in die Nase. Es roch nach Steak und frischen Pommes.

Das Bistro war dezent, aber gemütlich dekoriert. Dicke Kissen und schwere Windlichter mit Kerzen darin sorgten für Behaglichkeit. Von den Decken hingen einige Treibholzstücke an Tauen, von denen vereinzelt silberne Kugeln herunterbaumelten.

»Moritz, du Verrückter! Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du nach Sylt kommst!« Cay kam mit weit geöffneten Armen auf mich zu und strahlte. Wir umarmten uns, und schlagartig fühlte es sich an, als sei ich nie weg gewesen.

»Schön, wieder hier zu sein. Kaum kommt man auf Sylt an, weiß man wieder, was einem gefehlt hat.«

»Hab ja immer gesagt, dass man gar nicht von hier wegmuss, so schön ist es auf Sylt.« Cay hob die Schultern und grinste. Dann deutete er auf einen Tisch und ging wieder hinter den Tresen. Zurück kam er mit zwei Bier. Hier servierte man Bier in Weingläsern, was ich schon immer besonders fand.

»Alkoholfrei. Ich gehe davon aus, du bist mit dem Auto da?«

»Danke dir«, erwiderte ich und hob das Glas. »Auf die Heimat!«

»Dann bleib jetzt aber auch, mein Freund. Hast mir hier ganz schön gefehlt.«


»Wenn ich deine Fotos immer so sehe, muss ich zugeben, dass solche Reisen ganz sicher den Horizont erweitern. Klasse, dass du das gemacht hast.«

»Ich will die Zeit nicht missen, ja«, gab ich zu.

»Sorry, falls mich das nichts angeht, aber auf deinen Fotos habe ich leider nie eine Frau entdeckt?« Er grinste, und ich musste lachen.

»Leider nicht. Auf meinen Reisen habe ich zwar einige Bekanntschaften gemacht, aber keine war von wirklich langer Dauer.« Resigniert hob ich die Schultern. »Aber ich war ja auch nicht auf der Suche und immer unterwegs. Vielmehr wollte ich Abstand von allem bekommen.«

»Und, ist dir das gelungen? Ich könnte mir vorstellen, dass man manchmal eher unsanft mit sich selbst konfrontiert wird, wenn man so viel allein unterwegs ist?«, bemerkte Cay.

Ich nickte. »Mehr, als einem lieb ist«, bestätigte ich meinem Freund. »Aber glaub mir, das hat mir letztlich die Augen geöffnet.«

»Bist du deswegen zurück nach Sylt gekommen?«

»Auch. Ich habe großartige Dinge gesehen, von denen man einige hier auf Sylt adaptieren könnte. So, wie ich in allen Restaurants Fotos für dich gemacht habe, so habe ich auch für mich und das Hotel ein paar Ideen mit nach Hause genommen, die es wert sind, zumindest angedacht zu werden.«

»Klingt gut. Willst du mehr erzählen?«

»Bisher sind es alles nur Ideen. Jetzt muss ich mich hier erst einmal wieder umschauen. Irgendwie bin ich in den letzten Jahren nicht nur räumlich weit weg gewesen.« Ich lächelte, und Cay grinste zurück.

»Was auch immer dich zurückgeführt hat, ich freue mich und bin gespannt, wie lange es dich hier hält.« Er zwinkerte vielsagend, und ich hob eine Augenbraue. »Wer weiß das schon?«

Cay erzählte mir, dass er aktuell überlegte, neben dem Bistro auch eine Weinbar zu eröffnen.

»Das finde ich super. Eine Weinbar in Keitum wäre in vielerlei Hinsicht hervorragend. In meinen Zukunftsplänen steht jedenfalls ganz sicher auch viel Freizeit, in der ich das Leben genießen will.« Ich lachte.

»Verstehe. Apropos Keitum: Wohnst du wieder in deiner Wohnung oder bei deinen Eltern? Sicher gibt’s ja auch immer freie Zimmer im Hotel, oder?«

Ich hob die Augenbrauen und stieß Luft durch die Lippen aus.

»Sie müssen sich doch unwahrscheinlich gefreut haben, dass du zurückkommst«, überlegte Cay weiter.

Zögerlich presste ich die Lippen aufeinander. »Ich habe ihnen erst vor ein paar Tagen Bescheid gesagt, dass ich komme, und ihnen auch kein genaues Datum genannt.«

Ein erstaunter Blick traf mich. »Okay«, kam es gedehnt von Cay.

»Ich wollte die Hintertür, es mir doch noch anders überlegen zu können, bis zum letzten Tag offenhalten. Du kennst mich.« Entschuldigend grinste ich. »Außerdem wären sie sofort in Panik verfallen, weil meine Wohnung nicht fertig ist. Sie wird nämlich aktuell renoviert. Aber das ist in Ordnung für mich, ich wollte sowieso gerne erst mal woanders wohnen. Nur weißt du ja, wie meine Mutter tickt.« Ich rollte mit den Augen. »Hätte sie gewusst, dass ich in Kürze wieder nach Sylt kommen würde, hätte sie alle Handwerker der Insel zusammengetrommelt, um meine Wohnung schnellstmöglich fertigzustellen.« Ich lachte. »Das wollte ich nicht. Das hätte mich irgendwie unter Druck gesetzt, und deshalb habe ich niemandem Bescheid gesagt, wann ich wiederkomme.«

»Okay, verstehe.« Cay nickte. Er nahm es mir nicht übel, dass ich auch ihn nicht informiert hatte, er kannte mich halt. »Aber wo wohnst du dann?«

»Noch habe ich keinen Plan«, erklärte ich achselzuckend.

»Wenn du nichts findest, baue ich dir ein Bett bei mir auf.« Cay grinste. »Für den Fall, dass du echt nicht im Hotel oder bei deinen Eltern einziehst.«

»Danke. Vielleicht komme ich drauf zurück.«


Wir unterhielten uns noch eine Weile, und gut gelaunt machte ich mich auf den Weg nach Keitum. Bevor ich zu meinen Eltern fuhr, erkundigte ich mich in zwei Pensionen nach einem Zimmer. Leider blieb meine Suche nach einer langfristigen Übernachtungsmöglichkeit erfolglos. Zumindest fand ich in Keitum aber eine Bleibe für die nächsten zwei Nächte. Zu müde, noch weitere Hotels oder Ferienwohnungen abzuklappern, entschied ich, zunächst die zwei Übernachtungen dort zu buchen und dann weiterzuschauen, wo ich wohnen würde.

Wie ich es erwartet hatte, war meine Mutter vollkommen aus dem Häuschen, als ich am Abend im Hotel aufschlug. Zwischen der Freude darüber, dass ich zurückgekommen war, und der Enttäuschung, dass ich sie nicht informiert hatte, dass ich heute schon hier sein würde, flossen einige Tränen.

Mein Vater, der noch immer damit haderte, dass ich mir vor drei Jahren die Auszeit genommen hatte und auf Reisen gegangen war, gab mir auch ohne viele Worte zu verstehen, dass bei ihm die Enttäuschung gegenüber der Euphorie noch immer überwog. Als meine Mutter für ein Telefonat den Raum verließ, nutzte ich die Zeit, um mit ihm zu sprechen.

»Papa, ich weiß, dass nicht alle Entscheidungen, die ich getroffen habe, in deinem Sinne waren. Aber glaub mir, ich habe mir diese auch nicht leicht gemacht und habe meine Gründe gehabt. Ich hoffe jetzt, dass du dich trotzdem freust, dass ich wieder hier bin. Und wenn du es willst und wir wieder einen Weg zueinander finden, gibt es vielleicht auch eine gemeinsame Zukunft für uns im Unternehmen.«

Mein Vater bedachte mich eines Blickes, der alles bedeuten konnte. Ich konnte nicht sagen, was hinter seiner Stirn geschah. Aber ich vermutete, dass ich in seinen Augen tatsächlich etwas wie einen Hauch von Freude darüber erkannte, dass ich zurückgekommen war und sogar eine Zusammenarbeit im Hotel in Betracht zog, was lange nicht der Fall gewesen war. Dass es nicht mein Plan war, an seiner Seite in die Unternehmensführung einzutreten, sagte ich noch nicht.

»Mein Sohn, schön, dass du wieder hier bist.« Ein Lächeln zog sich über das nachdenkliche Gesicht meines Vaters, und ich erkannte mich selbst darin. In so vielen Momenten hatte ich vor dem Spiegel gestanden und mich gefragt, wie es weitergehen könnte, wenn ich nach Sylt zurückkehren würde. Und auch wenn ich einige Zeit gebraucht hatte, bis ich den Mut gefunden hatte, die Heimreise zu wagen, so war es mir dennoch gelungen, diesen ersten Schritt zu gehen.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und mein Blick ging zu meiner Mutter, deren Herzlichkeit nicht zuletzt das Band zu meinen Eltern immer hatte bestehen lassen. Trotz all der Streitigkeiten zwischen meinem Vater und mir, die von gegenseitiger Enttäuschung und Unverständnis geprägt waren. Sie hatte respektiert, dass nicht alle meine Entscheidungen dem entsprachen, was mein Vater sich für mich gewünscht hatte, und mir zu jeder Zeit den Rücken gestärkt.

»Willst du heute Abend mit uns essen?«, fragte meine Mutter, und ich nickte.

»Sehr gerne. Darf ich euch einladen?« Erwartungsvoll schaute ich von meiner Mutter zu meinem Vater.

Dieser winkte ab. »Hier ist so viel zu tun«, wollte er gerade ausweichen, da erntete er einen bösen Blick meiner Mutter. »Aber entscheidet ihr«, fügte er dann hinzu.

»Ich reserviere mal einen Tisch. Lasst euch überraschen. Ich hole euch gegen 19 Uhr ab.«

Meine Mutter nickte zufrieden, und ich verabschiedete mich und fuhr zur Pension.