Marie-Madeleine de La Fayette


Die Prinzessin von Clèves


Roman

Impressum




Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-070-4


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Viertes Buch



Es war ein Glück für die Prinzessin und den Herzog, dass jetzt die Feierlichkeiten der Vermählung eintraten, und dem Hofe nicht Zeit ließen, auf etwas anders zu merken: sonst hätte die Zerrüttung beyder unmöglich unentdeckt bleiben können. Die Königin Dauphine sprach mit der Prinzessin nur im Vorbeygehen von der Unterredung, die sie mit dem Herzog von Nemours gehabt hatten, und ihr Gemahl tat sich Gewalt an, und erwähnte des Geschehenen mit keinem Worte: so kam es, dass sie ihre Lage nicht so peinlich fand, als sie befürchtet hatte.

Das Turnier, welches nach der Vermählung gegeben wurde, war über alle Beschreibung glänzend; aber es kostete Heinrich dem Zweiten das Leben. Er ward von dem Splitter einer zerbrochenen Lanze im Auge verwundet, und ohnmächtig aus den Schranken getragen. Einige Tage hielt man noch den Tod von ihm entfernt, und während derselben waren die verschiedenen Parteien des Hofes in großer Bewegung, obgleich man es verbarg, und nur mit dem Zustande des Königs beschäftigt schien. Die beiden Königinnen und die Prinzen und Prinzessinnen kamen aus seinem Vorzimmer nicht weg. Die Prinzessin von Cleves wußte, dass sie sich auch daselbst einfinden, dass sie den Herzog dort treffen, dass sie ihrem Gemahl die Verlegenheit, die ihr seine Gegenwart erwecken würde, kund geben, und dass sein bloßer Anblick ihn rechtfertigen, und alle ihre Entschließungen umstoßen müßte: also beschloß sie, Krankheit vorzuschützen, um nicht erscheinen zu dürfen. Der Hof war zu sehr beschäftigt, als dass er auf ihr Benehmen Acht geben und nachforschen konnte, ob ihre Unpäßlichkeit wahr oder nur vorgegeben sei. Ihr Gemahl allein wußte den wahren Grund, aber es war ihr nicht zuwider, dass er ihn wußte. So blieb sie in ihrem Zimmer verschlossen, und bekümmerte sich wenig um die großen Veränderungen, die im Anzuge waren; ihr Herz war von ihrer eigenen Angelegenheit voll, und sie konnte sich ihren Gedanken ungestört überlassen. Ihr Gemahl kam von Zeit zu Zeit, und brachte ihr Nachrichten vom König. Er blieb sich in seinem vorigen Betragen gegen sie gleich, und nur in Augenblicken, wo sie unter vier Augen waren, stahl sich etwas mehr Kälte und Gezwungenheit in ihr wechselseitiges Benehmen. Er erwähnte nicht, was vorgefallen war, und sie fühlte sich nicht stark genug, davon anzufangen.

Der Herzog hatte gehofft, einige Augenblicke für sein Herz unter den Augen der Prinzessin zu finden, aber sein Kummer war unbeschreiblich, da er nicht einmal den Trost hatte, sie zu sehen.

Den siebenten Tag starb der König, und auf einmal veränderte der Hof seine ganze Gestalt. Der Prinz von Cleves, der die neue Königin nach Spanien zu begleiten bestimmt gewesen war, mußte dies Geschäft dem Könige von Navarra überlassen. So kränkend ihm dies auch war, durft' er sich doch nicht beklagen, weil der Glanz dessen, den man ihm vorzog, seinen Ehrgeitz beruhigen konnte; und im Grunde bedauerte er nicht sowohl das ehrenvolle Geschäft, als die Gelegenheit, die jetzt verloren ging: seine Gemahlin unter einem ungezwungenen Vorwand vom Hofe zu entfernen.

Wenig Tage nach dem Tode des Königs sollte der Hof nach Rheims gehen, um den Feierlichkeiten der Krönung beizuwohnen. Sobald diese Reise beschlossen war, bat die Prinzessin ihren Gemahl, dass sie dieselbe nicht mitmachen, sondern sich nach Coulomiers begeben dürfte, um durch die Landluft ihre Gesundheit zu befestigen. Er erwiderte, dass er nicht nachforschen wolle, ob der Zustand ihrer Gesundheit sie dränge, sich dieser Reise zu entziehen, dass sie aber seine Einwilligung dazu hätte. Freylich ward es ihm nicht schwer, in etwas zu willigen, was er selbst schon beschlossen hatte: denn so sehr er auch auf das Tugendgefühl seiner Gemahlin bauete, sah er doch wohl, dass er sie nicht länger der Gegenwart eines Mannes, den sie liebte, aussetzen müßte.

Der Herzog erfuhr bald, dass sie nicht mit dem Hofe gehen würde. Er konnte' es nicht über sich erhalten, abzureisen, ohne sie vorher noch einmal zu sehen, und er ging den Tag vor der Abreise, so spät, als es der Wohlstand erlaubte, zu ihr, um sie allein zu treffen. Das Glück begünstigte seinen Plan. Er trat eben in den Hof, als die Frauen von Nevers und von Martigues sich zu entfernen im Begriff waren. Sie sagten ihm, dass sie die Prinzessin allein zurückgelassen hätten.

Das Herz schlug ihm hörbar und seine Unruhe war nur mit der Unruhe der Prinzessin zu vergleichen, die sie befiel, als man ihn meldete. Die Besorgnis, dass er von seiner Liebe sprechen, dass sie ihm zu günstig antworten, dass sein Besuch ihrem Gemahl Unruhe erwecken mochte, dass sie selbst in der allerhöchsten Verlegenheit sein würde, ihm denselben zu gestehen oder zu verbergen: alle diese Umstände boten sich auf einmal ihrer Überlegung dar, und stürzte sie in eine Zerrüttung, die sie drangen, einen Besuch zu vermeiden, der ihr vielleicht unendlich wünschenswert gewesen war. Sie schickte eines ihrer Mädchen in das Vorzimmer zum Herzog, und ließ ihm sagen: sie habe ein Recidiv bekommen, und es täte ihr leid, seinen Besuch nicht annehmen zu können. Man denke sich seinen Schmerz. Er sollte sie nicht sehen, und er sollte es nicht, weil sie es nicht wollte! Er sollte den folgenden Tag abreisen, der Zufall konnte nicht für ihn arbeiten, er hatte sie seit jener Konversation bei der Königin Dauphine nicht wieder gesprochen, er hatte Grund zu glauben, dass seine Unverschwiegenheit alle seine Hoffnungen vernichtet hätte! Was für Ursachen zu einem nagenden Schmerze?

Sobald sich die Prinzessin von ihrer Unruhe etwas erholt hatte, schwanden alle die Gründe, die ihr vorher gültig geschienen hatten, den Besuch des Herzogs abzulehnen. Sie fand sogar, dass sie gefehlt, und wenn sie es gewagt hätte, oder wenn es noch Zeit gewesen wäre, so hätte sie ihn zurückrufen lassen.

Die Frauen von Nevers und von Martigues waren von ihr zur Königin Dauphine gegangen, wo sich der Prinz von Cleves auch befand. Die Königin fragte sie, wo sie herkämen, und sie sagten, von der Prinzessin von Cleves, bei der sie einen Teil des Nachmittags in großer Gesellschaft zugebracht, und den Herzog von Nemours allein zurückgelassen hätten. Diese letzten Worte, die ihnen gleichgültig schienen, waren es nicht für den Prinzen von Cleves. Wenn er sich auch überzeugt hielt, dass der Herzog oft Gelegenheit finden könnte, mit seiner Gemahlin zu sprechen, so traf ihm doch jetzt der Gedanke, dass er bei ihr, dass er allein bei ihr war, dass er seine Liebe sprechen lassen könnte, so neu und quälend ans Herz, dass eine Regung von Eifersucht seiner Meister ward, die er vorher noch nie so gewaltig gefühlt hatte. Es war ihm unmöglich, bei der Königin zu bleiben: er ging nach Haufe, ohne genau zu wissen, warum und ob er den Herzog zu stören Willens wäre. Vor seinem Hause sah er sich nach einem Merkmahle um, ob der Herzog noch da sei oder nicht, und er hohlte freien Atem», als er fand, dass er nicht mehr da war, und fühlte sich durch den Gedanken etwas beruhigt, dass er nicht lange da gewesen sein könnte. Er spiegelte sich vor, dass es vielleicht nicht einmal der Herzog wäre, den seine Eifersucht treffen müßte, und ob er gleich nicht daran zweifelte, strebte er doch, daran zu zweifeln. Aber eine Reihe von Umständen hatte ihn so fest davon überzeugen müssen, dass er nicht lange in dieser Ungewißheit bleiben konnte. Er ging sogleich in das Zimmer seiner Gemahlin, sprach eine Weile von gleichgültigen Dingen mit ihr, war aber bald gedrungen, sie zu fragen, wie sie den Nachmittag zugebracht, und was sie für Gesellschaft gehabt hätte. Sie sagt' es ihm. Als er fand, dass sie des Herzogs von Nemours nicht erwähnte, fragte er sie unter Zittern, ob sonst niemand bei ihr gewesen wäre? Er wollte ihr dadurch Gelegenheit geben, den Herzog zu nennen, um sich den Schmerz zu ersparen, dass sie ihm ein Geheimnis aus seinem Besuche machte. Da sie ihn aber nicht gesehen hatte, so nannte sie ihn auch nicht.

Jetzt nahm der Prinz das Wort in einem Tone der seinen Schmerz verriet:

"Und der Herzog von Nemours? Ist er nicht bei Ihnen gewesen? Oder haben Sie ihn vergessen?"

"In der Tat, ich konnte seinen Besuch nicht annehmen, weil mir nicht wohl war. Ich habe ihn um Verzeihung bitten lassen."

"Also bloß für ihn war Ihnen nicht wohl? Die Übrigen ließen Sie zu sich? Warum nahmen Sie den Herzog davon aus? Warum gilt er Ihnen nicht so viel, als jene? Warum scheuen Sie seinen Anblick? Warum lassen Sie ihn merken, dass Sie ihn scheuen? Daß Sie den Einfluß nutzen, den seine Liebe Ihnen auf ihn gibt? Würden Sie Herz genug haben, ihn fortzuschicken, wenn Sie nicht recht gut wüßten, dass er Ihre Zurückhaltung nicht für Mangel an Achtung erklärt? Und warum diese Zurückhaltung gegen ihn? Bei einem Weibe, wie Sie, ist alles Gunst, was nicht Gleichgültigkeit ist!"

"Was Sie auch für Verdacht auf den Herzog haben mögen, so hätt' ich doch nie geglaubt, dass Sie mir Vorwürfe machen würden, weil ich ihn nicht habe sehen wollen."

"Aber doch mache ich Ihnen Vorwürfe, und sie sind wohl gegründet. Warum ihn nicht sehen wollen, im Fall er nicht mit etwas laut gegen Sie geworden wäre? Aber es ist gewiß, dass er Ihnen von seiner Liebe gesagt hat, sonst hätte sie nicht großen Eindruck auf Sie gemacht. Sie waren nicht stark genug, mir Alles zu sagen. Sie haben mir noch viel verborgen; das Wenige, was Sie mir entdeckten, hat Sie sogar gereuet. Sie sind mein Weib, ich bete Sie immer noch als Geliebte an, ich sehe, dass Sie einen andern lieben, und dieser andre ist der liebenswürdigste Mann am Hofe, und sieht Sie alle Tage, und weiß, dass Sie ihn lieben! Wie konnte' ich glauben, dass Sie Ihrer Neigung für ihn Meisterin wären! Den Verstand mußt' ich verloren haben, dass ich mich darüber einschläfern konnte!"

Er sagte dies wie außer sich, und seine Gemahlin konnte sich der Tränen nicht erwehren. Sie erwiderte tief bewegt:

"Ich weiß nicht, ob Sie unrecht hatten, mein Benehmen, das so ungewöhnlich war, mir günstigen Augen anzusehen; und eben so weiß ich nicht, ob ich mich nicht sehr betrog, da ich Sie für fähig hielt, mir Gerechtigkeit widerfahrenzulassen."

"O gewiß, Sie haben sich betrogen! Sie haben Dinge von mir verlangt, die mir so unmöglich sind, als die ich von Ihnen verlangte! Wie konnten Sie erwarten, dass ich bei Fassung bleiben würde? Hatten Sie ganz vergessen, dass ich Sie brennend liebte, dass ich Ihr Gemahl war? Schon jedes einzeln konnte zu gewaltsamen Ausbrüchen treiben, was können nicht beide vereinigt? Und was haben sie nicht schon gekonnt! Bin ich meiner noch Herr? Werd' ich nicht schrecklich gefoltert? Ich fühle mich Ihrer nicht mehr wert und Sie meiner nicht mehr! Ich liebe und hasse, ich bewundre Sie, und schäme mich dieser Bewunderung wechselsweise! O, meine Ruhe ist mit meinem Verstande dahin! Ich weiß nicht, wie ich noch leben kann, seit der Zeit, wo Sie mir Ihr Herz entdeckten, wo Sie von der Königin Dauphine erfuhren, dass man Ihre Geschichte wüßte. Ich begreife nicht, wie man sie erfahren konnte, und was in diesem Punkt zwischen Ihnen und dem Herzog vorgefallen ist! Sie werden es mir nicht erklären, und ich will es Ihnen nicht abbringen, nur das vergessen Sie nicht, dass Sie mich zum unglücklichsten Wesen in der Schöpfung gemacht haben."

Bei diesen Worten verließ der Prinz seine Gemahlin. Den andern Morgen reiste er ab, ohne sie vorher zu sehen. Er schrieb ihr einen Brief, der Kummer, Sanftmut und Edelmut atmete, und sie antwortete ihm darauf mit so viel Rührung, mit so viel dringenden Versicherungen ihres vorigen, gegenwärtigen und künftigen unbescholtenen Benehmens, dass er, da Herz und Wahrheit aus ihrem Briefe so unwiderstehlich sprachen, sich etwas beruhigt fühlte, und es noch mehr durch den Umstand ward: dass der Herzog bei ihm und dem Könige, mithin mit seiner Gemahlin nicht mehr an demselben Orte sein würde. Bis dahin zeigte er, so oft er mit ihr von ihm sprach, so viel herzliche Liebe und so viel Edelmut, dass sie, mit ihrer Freundschaft für ihn und mit ihrer Dankbarkeit verbunden, das Andenken an den Herzog bei ihr zurücksetzten. Aber das war nur für eine Weile, bald kam es weit lebhafter und daurender wieder in ihrem Herzen empor.

Die ersten Tage nach seiner Abreise fühlte sie fast seine Entfernung nicht; aber bald ward sie ihr sehr drückend. Seitdem sie ihn liebte, war kein Tag hingegangen, wo sie nicht, ihn zu sehen, fürchtete oder hoffte, und der Gedanke war ihr peinlich, dass sie jetzt der Zufall nicht mehr mit ihm zusammenführen konnte.

Sie ging nach Coulomiers ab. Zugleich ließ sie einige Gemälde dahin schaffen, die sie nach andern, welche die Herzogin von Valentinois für einen ihrer Lustsitze mahlen ließ, hatte copieren lassen. Sie stellten alle die merkwürdigen Kriegstaten dar, die unter des vorigen Königs Regierung vollführt worden waren. Unter andern war die Belagerung von Metz dabei, und alle, die sich dabei ausgezeichnet hatten, waren nach dem Leben darauf vorgestellt. Der Herzog von Nemours war darunter, und vielleicht gab gerade dies die Veranlassung, dass die Prinzessin diese Gemälde gern hatte haben wollen.

Die Frau von Martigues, die nicht mit dem Hofe hatte gehen können, versprach ihr, einige Tage bei ihr in Coulomiers zu blieben. Sie standen beide gleich gut bei der Königin; aber der Neid entfernte sie nicht von einander. Sie waren Freundinnen, aber ihre wechselseitigen Geheimnisse vertrauten sie sich nicht. Die Prinzessin wußte, dass die Frau von Martigues den Vidame liebte, aber diese wußte nicht, dass jene den Herzog liebte, und von ihm geliebt wurde. Als Nichte des Vidame, war die Prinzessin der Frau von Martigues doppelt wert, und jene liebte diese, weil ihr Herz in einem ähnlichen Zustande mit dem ihrigen war, und weil sie einen Mann liebte, den sie als den vertrautesten Freund ihres Liebhabers kannte.

Die Frau von Martigues kam also nach Coulomiers, und fand die Prinzessin in der tiefsten Einsamkeit. Sie hatte sogar diese Einsamkeit strenger zu machen gesucht, und Mittel gefunden, den Abend ohne ihre Bedienten im Garten hinzubringen. Sie kam oft in den Pavillon, wo sie der Herzog behorcht hatte, und ging in das Kabinett, das nach dem Garten sah. Ihre Mädchen und Bedienten blieben in dem andern Kabinett oder im Pavillon, und kamen nicht eher zu ihr, als bis sie ihnen rief. Die Frau von Martigues war nie vorher in Coulomiers gewesen, und war von den Schönheiten aller Art, besonders von dem angenehmen Pavillon sehr überrascht: sie brachte mit der Prinzessin alle Abende darin zu. Dieser freye und ungestörte Umgang in einem so reitzenden Aufenthalte machte, dass sehr anziehende Unterhaltungen unter zwei Personen nicht abrissen, die beide eine heftige Leidenschaft im Herzen nährten, und ob sie sich gleich ihre innersten Angelegenheiten nicht entdeckten, fanden sie doch großes Vergnügen daran, mit einander zu sprechen. Der Frau von Martigues würde es schwer geworden sein, Coulomiers zu verlassen, wenn sie nicht von da wohin gegangen wäre, wo der Vidame war. Sie reiste nach Chambort, wohin der Hof nach der Krönung gegangen war.

Die Königin war erfreut, die Frau von Martigues wieder zu sehen, erkundigte sich aber auch bei ihr, wie sich die Prinzessin von Cleves auf ihrem Landsitze befände. Der Frau von Martigues waren die Schönheiten von Coulomiers noch gegenwärtig, und sie breitete sich mit großem Lobe über den Pavillon im Wäldchen und über die Freude aus, welche die Prinzessin daran fände, einen Teil ihrer Nächte allein darin zuzubringen. Der Herzog von Nemours kannte die Anlagen gut genug, um die Beschreibung der Frau von Martigues zu verstehen, und plötzlich fiel ihm ein, dass es wohl nicht unmöglich wäre, die Prinzessin daselbst zu sehen, ohne von ihr gesehen zu werden. Er tat noch einige Fragen an jene, um sich vollends Auskunft zu verschaffen, und der Prinz von Cleves, der ihn während der Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, glaubte zu erforschen, was in diesen Augenblicken in seiner Seele vorging; besonders hatten ihn seine Fragen in seinen Gedanken bestärkt, und er zweifelte nicht, dass er nicht den Plan hätte, seine Gemahlin aufzusuchen. Sein Argwohn war vollkommen gegründet. Dieser Plan stand wirklich so fest bei dem Herzog, dass er schon den folgenden Tag unter irgend einem Vorwand den König um Urlaub nach Paris bat.

Der Prinz von Cleves war über den Zweck dieser Reise nicht ungewiß; aber er beschloß, sich über das Benehmen seiner Gemahlin Licht zu verschaffen, und sich aus einer tödlichen Unruhe zu reissen. Er hatte Anfangs vor, zugleich mit dem Herzog abzureisen, und den verborgenen Zeugen beim Ganzen abzugeben; da er aber fürchtete, dass seine Entfernung auffallen, der Herzog davon unterrichtet werden, und andere Maßregeln treffen möchte: so beschloß er, sich einem jungen Manne zu entdecken, der sich an ihn hielt, und dessen Treue und guter Kopf ihm bekannt waren. Er erzählte ihm, in welcher Zerstörung er sich befände, sagte ihm, wie bis jetzt die Tugend seiner Gemahlin noch Stand gehalten hätte, und gab ihm auf, dem Herzog auf dem Fuße zu folgen, und ihn genau zu beobachten, um herauszubringen, ob er nach Coulomiers reiste, und etwa zur Nachtzeit sich in den Garten begäbe.

Der junge Mann hatte alles, was zu einem Geschäfte dieser Art erforderlich war, und er entledigte sich desselben treu und pünktlich. Er folgte dem Herzog bis in ein Dorf, eine halbe Meile von Coulomiers, wo jener anhielt, und ihm deutlich genug verriet, dass er daselbst die Nacht erwarten würde. Er hielt es nicht für ratsam, hier mit dem Herzog zu warten, sondern sprengte durch das Dorf, und nahm im Walde einen Standpunct, wo er vermutete, dass der Herzog vorbei müßte. Seine Vermutungen trafen pünktlich ein. Die Nacht war kaum da, als er jemand kommen hörte, und ob es gleich schon dunkel war, erkannt' er doch den Herzog ohne Mühe. Er sah, dass er einen Gang um den Garten machte, als ob er sich unterrichten wollte, ob jemand darin wäre, und als ob er einen bequemen Eingang suchte. Die Pallisaden waren ziemlich hoch, und hinter denselben stand noch eine andere Reihe, um das Übersteigen zu erschweren; aber der Herzog ließ sich dadurch nicht irre machen. Und kam endlich doch hinüber. Als er erst im Garten war, kostete es wenig Mühe, herauszubringen, wo die Prinzessin wäre. Er sah das Kabinett schon hell erleuchtet, und alle Fenster offen. Sehr behutsam stahl er sich an den Pallisaden hin, und näherte sich, das Herz so voll und ängstlich, dass ihm der Atem auszugehen drohete. Er schlüpfte hinter eine Glastür, um zu sehen, was die Prinzessin vornähme. Er sah, dass sie allein war, aber er sah ihre Schönheit in so hohem Glanze, dass er seines Entzückens kaum Meister blieb. Es war warm, sie hatte nichts auf dem Kopfe, und über ihren Busen war ein leichtes Tuch nachlässig hingegossen, das mit den schwimmenden Locken verwebt schien. Sie lag auf einem Ruhebette, und hatte einen Tisch vor sich, worauf mehrere Körbchen mit Bändern standen. Sie las einige davon aus, und der Herzog bemerkte, dass es seine Farben waren. Er sah, dass sie eine Schleife davon an ein schönes Rohr machte, das er einmal getragen, und darauf seiner Schwester geschenkt hatte, welcher es nachher der Prinz von Cleves genommen, ohne zu tun, als ob er es wüßte, dass es dem Herzog gehört hätte. Sie tat dies mit einem Wesen voll sanfter Grazie, in welcher sich die Empfindungen ihres Herzens deutlich spiegelten: und als sie damit fertig war, nahm sie eine Kerze, und ging zu dem Gemälde, das die Belagerung von Metz darstellte, und auf welchem sich das Bildnis des Herzogs befand. Sie setzte sich nieder, und beobachtete es mit jener schwärmerischen Aufmerksamkeit, welche nur die Liebe hervorzubringen vermag.

Was der Herzog bei diesem Anblicke empfand, trotzt jeder Beschreibung. In der tiefen Stille der Nacht, in einer bezaubernden Einsiedeley ein Weib zu sehen, die er anbetete, sie zu sehen, ohne von ihr geahndet zu werden, und sie mit Dingen beschäftigt zu sehen, die so genauen Bezug auf ihn und auf die Leidenschaft hatten, die sie geheim zu halten strebte. Wahrlich, es war ein Moment, der noch keines Liebhabers trunknen Augen in dieser Schönheit vorgeschwebt haben mag.

Auch war der Herzog im Anschauen so tief versunken, dass er wie eine Bildsäule stehen blieb, und nicht daran dachte, wie kostbar ihm jeder Augenblick war. Als er ein wenig zu sich selbst kam, glaubte er warten zu müssen, bis sie in den Garten herauskäme, um sie zu sprechen. Er meinte, dass er es dann mit mehrerer Sicherheit könnte, weil ihre Mädchen nicht so nahe waren; als er aber sah, dass sie im Kabinett blieb, beschloß er, hineinzugehen. Aber o, wie schlug ihm das Herz, als er den Fuß vorsetzte! Wie fürchtete er, ihr zu mißfallen! Wie besorgte er, diese Züge, in welchen sich so viel sanfte Würde und Trübsinn mahlten, in die Züge des Unmuts und der Zurückhaltung zu verwandeln!

Er fand, dass es unbesonnen war, nicht, sie zu sehen, ohne von ihr gesehen zu werden, sondern, sich von ihr sehen lassen zu wollen. Was er nicht vorher bedacht hatte, warf sich ihm jetzt alles in den Weg. Es dünkte ihn eine abenteuerliche Wagehalsigkeit, mitten in der Nacht ein Weib überfallen zu wollen, mit der er noch nie von seiner Liebe gesprochen hatte. Er konnte nicht verlangen, dass sie ihm Rede stände, aber ihr gerechter zu vermutender Unwille warnte ihn, sie in eine Gefahr zu setzen, die durch unverhoffte Zufälle fürchterlich werden könnte.

Sein ganzer Mut verließ ihn, und er neigte sich mehr als einmal zu dem Vorsatze, sich zu entfernen, ohne sich sehen zu lassen; aber das Verlangen, sie zu sprechen, und die Hoffnung, die er aus dem zog, was unter seinen Augen vorgegangen war, drangen ihn, einige Schritte vorwärts zu tun; er zitterte und sein Herz schlug hörbar. In dem Augenblicke blieb er mit seiner Leibbinde an dem Griffe der Türe hängen, das machte Geräusch. Die Prinzessin sah sich um, und, sei es, dass der Herzog ihrer Phantasie gegenwärtig war, oder, dass er so stand, dass das Licht auf ihn fallen konnte: sie glaubte, ihn zu erkennen, und ohne sich zu bedenken, ohne sich umzusehen, eilte sie zu ihren Mädchen, und trat so bestürzt und erschrocken unter sie dass sie, um sich nicht zu verraten, vorgeben mußte, es sei ihr nicht wohl. Dies setzte ihre Leute in Bewegung, und verschaffte dem Herzog Zeit, sich zu entfernen.

Als sie etwas zu sich selbst zurückkam, glaubte sie, dass sie sich geirrt, dass bloß ihre Einbildungskraft ihr das Bild des Herzogs vorgeführt hatte. Sie wußte, dass er zu Chambort war, sie fand es nicht wahrscheinlich, dass er solch' einen gewagten Schritt hatte tun können, sie war mehr als einmal Willens, in das Kabinett zurückzugehen, und im Garten nachzusuchen, ob jemand da wäre. Vielleicht wünschte und fürchtete sie zu gleicher Zeit, den Herzog zu sehen; aber endlich besiegten Vorsicht und Klugheit alle andere Gefühle, und sie fand, dass es besser sei, zweifelhaft darüber zu bleiben, als sich durch einen gewagten Schritt davon zu überzeugen. Es kostete ihr Mühe, einen Ort zu verlassen, in dessen Nähe sich der Herzog vielleicht befand, und es war fast Tag, als sie erst nach dem Schlosse zurückging.

Der Herzog war in dem Garten geblieben. So lange er Licht gesehen hatte, war seine Hoffnung, die Prinzessin noch einmal zu sehen, nicht gesunken. Zwar war er überzeugt, dass sie ihn erkannt, und dass sie bloß deshalb das Kabinett so plötzlich verlassen hätte; als man aber die Türen verschloß, sah er wohl, dass nichts mehr zu hoffen war. Er ging zu seinem Pferde zurück, in dessen Nähe der Kavalier des Prinzen von Cleves auf ihn gewartet hatte. Dieser, folgte ihm, bis nach dem Dorfe, von wo er den Abend vorher ausgeritten war. Der Herzog beschloß, den ganzen Tag daselbst zuzubringen, und die Nacht nach Coulomiers zurückzugehen, um zu sehen, ob die Prinzessin ihn noch einmal fliehen, oder sich ihm gar nicht zeigen würde. So große Freude es ihm auch erweckte, dass er sie so voll von seinem Andenken gesehen, war es ihm doch auch von Zeit zu Zeit sehr schmerzlich, dass solch' eine natürliche Anregung sie gedrungen hatte, seinen Anblick zu fliehen.

Die Liebe muß sich nie so wahr und heftig gezeigt haben, als jetzt bei dem Herzog. Er stahl sich auf eine Wiese, die ein kleiner Bach durchschnitt, der hinter dem Hause, wo er sich aufhielt, vorbeyfloß. Er verlor sich, so weit, er konnte, unter Gebüsch und Bäumen, und überließ sich hier, von niemand bemerkt, den Ausbrüchen seiner Liebe. Sein Herz war beklemmt, und es entschlüpften ihm einige Tränen, nicht von jener Art, die der Kummer allein hervorlockt, sondern jene, die nur Liebe und Schmerz der Liebe in solcher Süßigkeit hervorzubringen fähig sind.

Er rief sich das ganze Benehmen der Prinzessin im Laufe seiner Liebe für sie zurück. Welche bescheidene, unverstellte Zurückhaltung hatte sie ihm gezeigt, obgleich sie ihn liebte. Denn sie liebt mich! rief er: Sie liebt mich, daran kann ich nicht zweifeln! Die heiligsten Beteuerungen, die erklärteste Gunst können nicht so überzeugend dafür sprechen, als die Beweise, die sie mir davon gegeben hat! Und doch behandelt sie mich so strenge, als ob sie mich haßte! Ich habe von der Zeit gehofft, aber das darf ich nicht mehr, ich sehe, dass sie gegen mich und gegen sich selbst beständig auf ihrer Hut ist. Wenn sie mich nicht liebte, würde ich streben, ihr zu gefallen; aber ich gefalle, ich werde geliebt, und sie verbirgt es mir! Ich bin unglücklich und werde von ihr geliebt! Wie schön sie diese Nacht war! Wie konnte' ich dem Drange, ihr zu Füßen zu stürzen, widerstehen? Hätt' ich es getan, so hätt' ich sie vielleicht vermocht, mich nicht zu fliehen, meine Ehrfurcht hatte sie beruhigt. Aber vielleicht wußte sie nicht, dass ich es war! Vielleicht quäle ich mich schmerzlicher, als ich sollte! Der Anblick eines Menschen zu einer Stunde, wie jene, mußte sie erschrecken!

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Tag. Mit Ungeduld erwartete er die Nacht, und als sie endlich anbrach, eilt? er wieder nach Coulomiers. Der Kavalier des Prinzen von Cleves erwartete ihn verkleidet auf derselben Stelle, von wo aus er ihn die vorige Nacht beobachtet hatte. Der Herzog ward bald mit Schmerzen gewahr, dass die Prinzessin nicht gewagt hatte, ihn noch einmal durch ihre Gegenwart nach dem Pavillon zu ziehen, denn die Türen desselben waren alle zu. Überall kein Licht. Er entfernte sich mit nagendem Kummer im Herzen.

Die Prinzessin hatte wirklich vermutet, dass er zurückkommen würde, und war deshalb in ihrem Zimmer geblieben. Sie fürchtete, nicht immer stark genug zu sein, sich seinem Anblicke zu entreissen, und sie wollte sich nicht in Gefahr setzen, mit ihm eine Zusammenkunft zu haben, die so wenig zu dem Benehmen paßte, das sie die Zeit her so getreu gegen ihn beobachtet hatte.

Obgleich der Herzog keine Hoffnung hatte, sie zu sehen, konnte' er sich doch nicht entschließen, einen Ort so bald zu verlassen, wo sie sich so oft befand. Er brachte die ganze Nacht im Garten zu, und fand einigen Trost darin, Gegenstände zu sehen. die sie alle Tage sah. Die Sonne war im Aufgehen, ehe er an Rückzug dachte; endlich zwang ihn die Besorgnis entdeckt zu werden dazu.