I.

Die Vorväter

1. Die indoeuropäischen Wurzeln

Das Volk, mit dem sich dieses Buch beschäftigt, ist nur zu verstehen, wenn man seinen Ursprung kennt, den aus dem „arischen“ Ast der indoeuropäischen Sprachenfamilie.

Dieser Ursprung reicht mindestens 10 000 Jahre zurück, und er verliert sich irgendwo in den unendlichen Weiten der Steppen Innerasiens nördlich des Pamir, des Hindukusch, des Himalaya und der anderen Hochgebirge dort.

Die „Familie“ der indoeuropäischen Sprachen ist vielleicht nicht die älteste auf dem großen Doppelkontinent Europa-Asien (Eurasien), aber sie ist die zuerst entdeckte. Bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hatten Sprachforscher aus verschiedenen Ländern herausgefunden, dass fast alle Sprachen in Europa und viele in Asien, vor allem Indien, miteinander verwandt sind und dass sie sich einst aus einer noch relativ einheitlichen Bevölkerung heraus in verschiedene Äste und Zweige entwickelt hat. Denn jede Sprache verändert sich zwangsläufig im Laufe der Zeit und wird den Ursprüngen fremder, aber eben nicht ganz fremd.

Der Ort der Entstehung des „Urkerns“ dieser Sprachfamilie war lange umstritten. Doch scheint es heute fast sicher, dass er eben in diesem Steppengebiet zwischen Schwarzem Meer und dem südlichen Innerasien lag.

Vor mehr als 40 Jahren hat sich der Autor dieses Buches schon einmal intensiv mit dem Auftauchen der ersten Völker mit indoeuropäischen Sprachen aus dem Dunkel der Vorgeschichte im westlichen Asien und Europa beschäftigt 3. Er hat darin diesen Teil der Vorgeschichte der Europäer – wenigstens fast aller heutigen Europäer – in einer auch für Laien verständlichen Form beschrieben. Die neuere Literatur grundsätzlicher Art zur Entstehung der indoeuropäischen Sprachen und ihrer Weiterentwicklung4 aus dem „offiziellen“ Bereich der Linguistik hat allerdings von diesem Buch keine Kenntnis genommen, weil es ja nicht von einem Professor der Sprachwissenschaft stammt.

Sicher ist inzwischen, dass alle frühen Völker dieser Sprachfamilie zum europiden Rassenkreis gehörten, der sich in mehreren zehntausend Jahren der Isolation von den modernen Menschen (homo sapiens) anderer Rassenkreise (mongolide, negride) abgespalten hat (zwischen 60 000 und 10 000 v. Chr.?). Dabei erwarben alle diese „Europiden“ ihre typischen Kennzeichen (helle Haut, Haar und Augen), die sich vielfach bis heute als Erbgut erhalten haben, also auch die Menschengruppen, die später indoeuropäische Sprachen benutzen5.

Ab dem 5. Jahrtausend vor der Zeitenwende zogen Menschengruppen mit frühen Formen solcher Sprachen in verschiedenen Ausbreitungswellen nach Westen. Die Forscherin Marija Gimbutas hat sie „Kurgan-Kulturen“ genannt6. „Kurgan“ heißen heute noch im Russischen die großen Grabhügel, unter denen die Menschen damals dort ihre verstorbenen Anführer beisetzten.

Die kleinen Gruppen aus dieser „Kurgan-Kultur“ überlagerten in Europa mit der Zeit die dort längst lebenden Menschengruppen anderer sprachlicher und kultureller Ausrichtung, und sie brachten sie dazu, ihre eigene Sprache zu benutzen. Aus diesen Mischungen entstanden später die aus der Geschichte bekannten Völker der Hethiter, der Griechen, der Kelten, der Römer, der Germanen und andere.

Mittelasien muss damals, nach dem Ende der Eiszeit, weitaus fruchtbarer gewesen sein als später und im Vergleich zu vielen anderen Weltgegenden jener Epoche eine größere Bevölkerungszahl ernährt haben. Von dort aus brachen zu Beginn des 2. Jahrtausends vor Chr. (?) Gruppen mit indoeuropäischer Sprache über die Pässe der Gebirge Hindukusch und Pamir nach Süden auf und begannen den indischen Subkontinent zu besiedeln, die späteren „arischen Inder“.

Die in Mittelasien zurückgebliebenen Menschengruppen werden von der Archäologie nach ihren Grabformen „Katakombengrab-Kultur“ und später „Holzkammergrab-Kultur“ genannt, von der Sprachwissenschaft nach ihrer Sprache „irano-arisch“. Die letztere Bezeichnung soll den Unterschied zum „Indo-Arischen“ der späteren Inder betonen, doch dürften beide Sprachfamilien sich immer ähnlicher gewesen sein, je weiter man in der Zeit zurückgeht. Diese noch gemeinsame Sprachform heißt wissenschaftlich „arisch“. Das Wort stammte aus der einst gemeinsamen Sprache dieser „östlichen Indoeuropäer“ und bedeutete wohl „die Reinen“ oder aber „die Fremden“7. Es hat nichts mit Menschenrassen zu tun, sondern ist ein rein sprachwissenschaftlicher Be griff.

Die zeitweilige Einteilung der Deutschen in „Arier“ und „Nicht-Arier“ während der Herrschaft Hitlers war nicht nur ein entsetzlicher Verstoß gegen alle Menschenrechte, sondern auch eine wissenschaftlich völlig unsinnige Theorie.

Zu der „irano-arischen“ Sprachgruppe zählt man die Idiome der antiken Meder und Perser, das Avestische (eine mittelasiatische „Kirchensprache“ der Zoroastrier aus der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr.), aber auch die praktisch kaum bekannten Sprachen der Völker der Kimmerier, der Skythen und der Sarmaten in den Jahrhunderten vor und nach der Zeitwende. Heute benutzen ca. 150 Millionen Menschen Sprachen aus dieser Gruppe, vor allem im Iran, in Kurdistan, Afghanistan und Pakistan.

Es ist bedauerlich, dass sich an der Erforschung der Frühzeit dieser indoeuropäischen Sprachfamilie fast ausschließlich Linguisten beteiligen, ganz wenige Archäologen und mit L. Cavalli-Sforza inzwischen auch Humangenetiker, aber keine Historiker oder Literaturhistoriker.8 Dabei würden gerade solche Fachleute, wenn sie auf Frühzeiten der Völker wie Inder, Griechen, Perser, Kelten, Römer, Germanen, Balten oder Slawen spezialisiert sind, unschwer feststellen können, wie eng diese Völker nicht nur sprachlich verwandt waren, sondern auch, wie ähnliche Prägungen sie etwa in ihren kulturellen Verhältnissen aufwiesen, je weiter zurück, desto auffallender.

Diese fachübergreifende Sichtweise wird in diesem Buch ein überraschend plastisches Bild des zu Unrecht so vergessenen Volkes der Sarmaten zeichnen können.

Ebenfalls in den Weiten Innerasiens, aber tausende von Kilometern von der „Wiege“ der Menschen mit indoeuropäischen Sprachen entfernt, entstand damals in langer Isolation noch eine zweite Menschengruppe mit einer erheblich anderen „Ur-Sprache“. Das waren die Ahnen der späteren Hunnen, Awaren, Türken und Mongolen, aber auch der Finnen und der Ungarn. Ihre „Sprachfamilie“ heißt heute bei den Fachgelehrten „Ural-Altaisch“ nach den Gebirgen, in deren Nähe die „Wiege“ dieser Menschen einst stand. Auch hier haben sich die Einzelsprachen im Laufe der Zeit stark auseinander entwickelt. Aber eine frühe Gemeinsamkeit ist noch durchaus zu erkennen.

Wie bei den Indoeuropäern sollte es mehrere tausend Jahre dauern, bis sich einzelne Völker daraus lösten und nach Westen ins „gelobte Land“ Europa aufbrachen, fast immer auf dem Pferderücken. Als erobernde und plündernde Reitervölker haben Hunnen, Awaren, Ungarn (Magyaren), Türken und Mongolen – jeweils im Abstand von zwei oder drei Jahrhunderten nacheinander – Angst und Schrecken in Europa verbreitet. Ihre kulturelle Prägung muss in der langen Isolation in Innerasien völlig anders verlaufen zu sein, als bei den frühen Indoeuropäern.

Wer in einem solchen Volk aus „ural-altaischer“ Sprachwurzel den Weg auf den Königsthron gefunden hatte, der wollte nicht nur das eigene Volk beherrschen, sondern alle Nachbarvölker. Und das eigene Volk, genauer die Krieger auf ihren schnellen Pferden, halfen mit ständigen Kriegszügen, diesen „Weltherrschaftsanspruch“ der Könige durchzusetzen. Ihre Mittel dazu waren Eroberung, Plünderung, Mord. Daher hat man diese Völker bis heute nicht vergessen.

Die Sarmaten aus indoeuropäischer Wurzel, die es anders machten, hat man dagegen nie beachtet und daher vergessen.

2. Wandlungen zwischen Karpaten und Altai

Südlich der unermesslichen Wälder Nordasiens bot das offene Steppenland Platz für das Sesshaftwerden der dortigen Menschen, für Ackerbau und Kleinviehzucht. Dies sind die Merkmale des Wandels menschlicher Kulturen von der Altsteinzeit (Paläolithikum) und von den Jägern und Sammlern zur Jungsteinzeit (Neolithikum).

Die Menschengruppen mit irano-arischen Sprachen, die hier seit langer Zeit lebten, haben diese Entwicklung bereits recht früh mitgemacht. Selbst wenn es nicht inzwischen längst auch archäologische Nachweise hierfür gäbe, könnten Fachleute für die frühe indoeuropäische Sprache das aus den Indizien der „linguistischen Paläontologie“ erschließen.

Man hat mit dieser Methode Worte und Wortgruppen in den verschiedenen indoeuropäischen Sprachen gesucht, die sich in Wortlaut und Bedeutung so ähnlich waren, dass ihre ersten Nutzer sicherlich noch eng benachbart lebten oder zu einem Volk gehörten9. So hat man bereits für die frühesten Menschen, die „ur-indoeuropäisch“10 sprachen, gefolgert, dass sie ansässige Bauern und Kleintierzüchter gewesen sein mussten, die feste Häuser aus Holz und Dörfer kannten, einfache Getreidesorten, wenn auch noch nicht den Pflug, und dass sie Rinder und Schafe züchteten und das gezähmte Pferd kannten.

Die Region der heutigen Ukraine und der Kasachensteppe lag weit entfernt von den frühen Stadtkulturen im Zweistromland, am Nil und am Indus, dennoch dürfte sie nicht völlig isoliert davon gewesen sein. So drang das Wissen um die Verarbeitung von Metallen – zuerst Kupfer, später Bronze und noch später Eisen – aus Kleinasien und dem Kaukasus, den vermutlich frühesten Zentren dieser neuen Technologie, auch bis ins Innere Asiens.

Die Menschen der „Katakombengrab-“, der „Holzkammergrab-“ und der „Andronowo-Kultur“ – so klassifizieren russische Archäologen die Menschengruppen des südlichen Innerasiens im zweiten und ersten vor christlichen Jahrtausend – machten auch die Entwicklung von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit mit, sicher nicht als erste in Eurasien, aber keineswegs als die letzten.

Vor wenigen Jahren erst wurde am Südostrand des Uralgebirges eine Stadt entdeckt, die dort im 2. Jahrtausend für einige hundert Jahre geblüht haben muss, mit einem Königspalast (?), Handwerkersiedlungen und anderen Zeichen fortgeschrittener Kultur, die nur von Menschen mit „irano-arischer“ Sprache besiedelt gewesen sein kann. Dann verschwand sie wieder spurlos aus Gründen, die man bis jetzt nicht kennt11.

Gerade den Menschen in der südrussischen oder kasachischen Steppe sind in dieser Epoche zwei Erfindungen zu verdanken, die für die Weltgeschichte wegweisend werden sollten. Dort wurde erstmals auf der Erde und schon sehr früh das einheimische Wildpferd gezähmt und den Menschen nutzbar gemacht. Ob es zunächst nur als Fleischlieferant diente, ist nicht ganz klar. Und wahrscheinlich hier wurde das Rad und bald wohl auch das Prinzip des mit Rädern versehenen Wagens erfunden.

Nach einiger Zeit jedenfalls wurden Pferde als Zugtiere für Wagen verwendet. Vor allem die sogenannten Streitwagen waren leichte Gestelle mit zwei Rädern auf einer Achse, gezogen meist von zwei Pferden. Ein sehr frühes Modell davon wurde östlich des Uralgebirges ausgegraben. Wenn mehrere oder viele solcher Wagen, je mit einem Lenker und einem Speerwerfer oder Pfeilschützen besetzt, auf feindliche Krieger zu Fuß zurasten, war fast immer der Sieg dem Volk mit der modernen Technologie sicher.

Sehr bald verbreitete sich die Kenntnis dieser „Panzerwaffe der Bronzezeit“ bis in die Hochkulturen in Mesopotamien oder Ägypten. Kaum ein Krieg zwischen Städten oder Völkern während der Bronzezeit in Europa oder Asien war dann noch ohne den Einsatz dieser „ritterlichen“ Waffe denkbar. Doch merkwürdigerweise wurden diese Pferde damals noch nicht geritten, jedenfalls nicht in der Regel.

3. Reale und „sagenhafte“ Völkernamen

Namen von Völkern sind für die Zeit, die zuletzt kurz behandelt wurde – im Wesentlichen das 2. Jahrtausend vor Chr. – nicht zu erwarten. Die Menschengruppen jener frühen Zeit haben sich zwar sicher selbst Namen gegeben, doch Völker im Sinne der Geschichtswissenschaft waren sie noch nicht.

Dazu bedarf es schon einer größeren Menschenzahl, einer einheitlichen Herrschaft und des Eindrucks der Nachbarn, dass „diese Menschen“ sich erheblich vom eigenen Volk unterschieden und auch so als „Andere“ genannt werden müssten. Denn fast immer stellen sich Völkernamen als ursprüngliche Bezeichnungen durch Nachbarn heraus. Außerdem gab es im weiten Umkreis der jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Kulturen des ukrainisch-südrussisch-kasachischen Steppengürtels zu dieser Zeit keine Kultur mit einer ausgebildeten Schrift und Literatur, in der sie hätten erwähnt werden können.

Höchst seltsam ist jedoch, dass in uralten mündlichen Überlieferungen („Sagen“?) von Menschengruppen, die in diesem Buch oder in weiteren Bänden der Reihe als Sarmaten identifiziert werden, alte Völker- und Personennamen aus dem ersten oder gar zweiten vor christlichen Jahrtausend auftauchen, die bei genauer Betrachtung durchaus reale Hintergründe gehabt haben können. Bisher hat die Fachwissenschaft diese Namen für so unglaubwürdig gehalten, dass sie es versäumt hat, näher darüber nachzudenken.

Eine Gruppe solcher Namen hängt mit dem Stichwort „Troja“ zusammen. Für die „Franken“ und ihre merowingischen Könige ist wohl eine Geschichte erfunden worden, wonach die Vorfahren dieser Leute einst aus der von Griechen eroberten Stadt Troja geflüchtet seien.

Nach den langjährigen Forschungen des Autors zur Königsdynastie der Merowinger dürfte heute feststehen, dass auch sie sarmatischer Abstammung war. Der Band 6 dieser Reihe Die Ahnen der Merowinger und ihr „fränkischer“ König Chlodwig beschreibt die zahlreichen Indizien, die zu dieser Überzeugung führen.

Bemerkenswert ist jedoch, dass die Indizien, die für die sarmatische Abstammung dieser merowingischen Könige sprechen, wenigstens teilweise auch für die Herrschaften zutreffen, die andere sarmatische Adlige in einzelnen Gebieten des heutigen Deutschland errichtet haben.

Das gilt vor allem für die Vorfahren des „sächsischen“ Herzogs Widukind, dem ein eigenes Buch in dieser Reihe gewidmet ist: „Widukinds Geheimnis - War der Sachsenherzog gar kein Germane?“. Dort ist genauer erklärt, was wohl die sarmatischen Vorfahren Widukinds mit dem Königsnamen „Alexander“ verband.

Die so genannte „fränkischen Wandersage“ – sie spielt für die Vorgeschichte der Merowinger-Dynastie eine wichtige Rolle und wird in dem erwähnten Buch näher erläutert – nennt noch andere Völkernamen, die wiederum auch in Erinnerungen innerhalb der Widukind-Familie auftauchen.

In der Ilias des Homer stehen einige Verse, die wahrscheinlich in diesem Zusammenhang von Interesse sind. Da legt nämlich der Dichter dem trojanischen König Priamos eine Erzählung in den Mund: Einst, in seiner Jugend, habe er als Verbündeter der „pferdetummelnden Phryger gegen das Heer amazonischer Männinnen“ gekämpft12. Hier wird ganz offensichtlich auf die Frühzeit der Sarmaten angespielt, in der ja Frauen („Amazonen“) gleichberechtigt mit Männern kämpften (siehe in diesem Band S. → ff.) Der Dichter Homer muss im 8. Jahrhundert vor Chr. wenigstens die entsprechenden Sagen gekannt haben13.

Die hier erwähnten Phryger waren ein anderes Volk mit indoeuropäischer Sprache, das von ca. 800 – 700 v. Chr. ein mächtiges Reich im Inneren der kleinasiatischen Halbinsel begründet hatte. Doch zuvor, also vor seiner Auswanderung nach Anatolien, muss es Wohnsitze irgendwo im Nordteil der Balkan-Halbinsel gehabt haben, in der Nachbarschaft der Makedonen, wie Herodot berichtete14, völlig korrekt übrigens, wie Sprachwissenschaftler und Archäologen im 20. Jahrhundert nachweisen konnten. Phryger und Makedonen kannten schon sehr früh das Pferd als Reittier, während für die frühesten Griechen ein Reiter auf einem Pferd so unheimlich war, dass sie die Fabelwesen der Zentauren (Pferd mit Männerkörper und -kopf) daraus machten.

Die so genannte „Fränkische Wandersage“, wie sie ein Mönch Fredegar im 7. Jahrhundert nach Chr. aufgeschrieben hat, berichtet nun, die Vorfahren der Frankenkönige hätten sich nach ihrer „Flucht aus Troja“ von den „Frigiern“ (Phrygern?) getrennt und seien nach Europa gezogen, während „andere“ nach Makedonien gezogen seien..

Die berühmten Makedonen waren, bevor sie von König Alexander dem Großen zu Herren der halben damals bekannten Welt gemacht wurden, die nördlichen Nachbarn der Griechen und fühlten sich ihnen irgendwie verwandt. Wahrscheinlich benutzten sie eine dem Griechischen ähnliche Sprache. Sehr bald übernahmen sie auch die griechische „Hochsprache“ und deren Kultur. Doch über die Wohnsitze dieser Makedonen und ihre geschichtlichen Erlebnisse lange vor Alexander weiß man praktisch nichts. Es ist nur sicher, dass die Vorfahren irgendwo in der Osthälfte der Balkanhalbinsel und vielleicht noch weiter nördlich gelebt haben müssen, dort, woher auch die Phryger kamen.

Die Sachsen – genauer gesagt, die adlige, von Sarmaten abstammende Führungsschicht dieses frühmittelalterlichen „Neu-Stammes“ (siehe den Band „Widukinds Geheimnis“) – behaupteten von sich, sie seien Nachkommen des (makedonischen) Heeres des Königs Alexander. Dieser Name war ihnen sogar so wichtig, dass der christlich gewordene Enkel des Herzogs Widukind eigens die Leiche eines „heiligen Alexander“ aus Rom nach Wildeshausen zur Verehrung durch seine Landsleute holte. Alles das wird in dem erwähnten Band ausführlicher dargestellt.

Doch der Name Alexander taucht schon fast tausend Jahre vor dem berühmten König im Raum der Ägäis auf. In den Ruinen der hethtitischen Hauptstadt Hattuscha in Kleinasien wurde vor einigen Jahren eine Tonscherbe aus der zweiten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends mit Worten in hethitischer Sprache gefunden, auf der der Name „Aleksandru von Wilusa“ eingeritzt war15. Archäologen nehmen heute an, dass dieser Mann so etwas wie ein Stadtkönig von (W-)Ilium (= Ilion in der Ilias des Homer = Troja) unter hethitischer Oberherrschaft gewesen sein dürfte. In der Ilias heißt übrigens der sonst in der griechischen Sage als Paris bekannte trojanische Prinz, der mit seinem Urteilsspruch angeblich den zehnjährigen Krieg um Troja auslöste, Alexander!

Alle diese verstreuten Völker- und Personennamen reichen natürlich nicht aus, um eine „Geschichte der nördlichen Nachbarn der Griechen im Altertum“ zu schreiben. Doch sie zeigen, dass in der Region am Schwarzen Meer damals Menschen lebten, die offenbar enger untereinander verwandt waren als man bisher glaubte. Auch die Vorfahren des Volkes müssen dazu gehört haben, das die Griechen später, als sie engeren Kontakt mit ihnen hatten, Sauromaten nannten.

Das Erstaunlichste aber ist, dass Erinnerungen an diese so lange zurückliegende Zeit im Gedächtnis der schriftlosen „Barbaren“ noch anderthalb Jahrtausende später bewahrt worden sind, so zerrissen und unverstanden die Einzelheiten auch geworden waren. Das ist genauso lange her, wie die Zeit, die uns Heutige von der der Sarmaten trennt, die in diesem Buch lebendig gemacht werden sollen.

4. Aus Viehhirten werden Reiter

Im ewig gleich bleibenden Leben der Bauern und Kleinviehhirten in den Steppengebieten zwischen Karpaten und Altai trat plötzlich, innerhalb eines Jahrhunderts, eine geradezu dramatische Veränderung ein. Bisher ist unklar, welche Ursachen dieser Wandel hatte.

Hatte sich das Klima verändert? War das Beispiel weit entfernter Stämme so ansteckend, dass sich die neue Lebensform wie ein Sturmwind über alle Menschen verbreitete, die im Steppengürtel lebten? Oder waren es Angriffe fremder Völker weit von Osten her gewesen, die die Menschen zur Aufgabe ihrer festen Wohnsitze zwangen und sie von nun an in einer Art Kettenreaktion veranlassten, „das Glück der Erde auf dem Rücken ihrer Pferde“ zu suchen? Wirkten alle drei oder sogar noch mehr Anlässe zusammen?

Fest steht jedenfalls, dass im 8. Jahrhundert v. Chr. die meisten festen Wohnsitze im Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres aufgegeben wurden, ja, dass dort sogar vorübergehend angeblich eine weitgehende Menschenleere eintrat. Doch das ist natürlich ein Fehlurteil von Archäologen, die aus dieser Zeit keine Häuser mehr in dem fraglichen Gebiet finden konnten. Kein Wunder, denn die Wohnstätten von nomadisierenden Hirten kann niemand ausgraben, weil sie nur aus leicht beweglichen Zelten bestanden.

„Die Stämme gingen von der Weidewirtschaft zur nomadischen Viehzucht über“, schrieb der russische Archäologe Grjasnow, der sich viel mit diesem Phänomen beschäftigt hat. Eine innere Bereitschaft, die Sesshaftigkeit der bäuerlichen Viehzüchter aufzugeben und ihre Pferde nunmehr ausschließlich zum Reiten zu benutzen, scheint bei diesen Völkern mit irano-arischen Sprachen latent vorhanden gewesen zu sein.