Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Stefan Pfeiffer

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-9548-9

I.

"Lecker, lecker. Ouh, echt lecker."

Was der kleine Frosch aus seinem Schlaf mitnahm, war die Erinnerung an einen ausgesprochen schmackhaften Traum. "Und wie schmackhaft. Äußerst schmackhaft. Mjam!!"

Alles Schmackhafte würzt das Leben. Das sagte zumindest Großvater, ein alter und weiser, mit allen Wassern gewaschener Frosch. Und weiter sagte er: "Eines Tages wirst du den feinsten Geschmack der Welt versuchen, mein Kleiner. Die Weisheit. Sie ist bitter und doch süß, voller Wissen und Dummheit, voller Freude und Schmerz, schmackhaft eben. Wie das Leben."

Von wegen. Weisheit konnte man nicht aus dem Wasser fischen oder aus der Rinde eines Baumes kratzen. Er würde niemals klug werden, hungrig schon eher, so wie jetzt.

"Ich werde mir etwas Besonderes suchen. Denn ich verspüre einen Hunger, einen Hunger auf den großen Geschmack des Lebens."

Voll Tatendrang überquerte der kleine Frosch das Ufer seines Sees, an dem er oft alleine saß, in den Sternenhimmel starrte und träumte, von weiten Reisen und großen Heldentaten - oder vom Essen, je nachdem. Mutig hüpfte er in den großen, unbekannten Wald. Er war ein Frosch, seine Haut grün und seine Zunge lang, was sollte schon passieren? Und zur Bestätigung schnalzte er dreimal mit der Zunge.

Inhaltsverzeichnis

II.

Plötzlich huschte ein Eichhörnchen durch das Laub und ehe er sich’s versah, einen Baumstamm hinauf. "Das kannst du aber toll." Statt einer Antwort vernahm der Frosch: "Keine Zeit, keine Zeit", und schon war es wieder verschwunden. Schließlich tauchte es erneut auf, und diesmal rief der Frosch beherzt: "Halt, stehen bleiben." Das Eichhörnchen schaute betreten herab. "Was willst du? Ich habe keine Zeit, keine Zeit. Muss die Produktivität erhöhen. Es reicht noch nicht. Reicht noch nicht für den Winter." "Hast du denn keine Vorräte angelegt? Jedes Vernünftige Tier legt welche an. Der Winter kommt jedes Jahr." "Du kommst dir gewitzt vor, was? Natürlich habe ich welche angelegt. Hunderte!! Habe nur vergessen, wo sie liegen. Alles erledigte Vorgänge, erledigt, verstehst du? Alles abgelegt." "Warum überlegt du nicht in Ruhe?"

"Habe ich schon." "Und?" "Ging nicht schnell genug. Bin doch in Eile."

"Ach?" Der Frosch schwieg betreten. Nach einer Weile setzte er nach:

"Wenn du dir merken würdest, wo deine Vorräte liegen, müsstest du nicht so viele anlegen. So könntest du viel Zeit einsparen. Zeit, um die Früchte deiner Arbeit zu genießen. Das Schmackhafte am Leben muss man doch genießen, oder?" Das Eichhörnchen lachte laut auf. "Ich habe jetzt schon kaum Zeit, wo sollte ich da noch welche sparen? Für Unsinn habe ich keine Zeit. Produzieren ist ein hartes Geschäft. Das ist der Geschmack des Lebens: Arbeit, Arbeit. Produzieren ohne Ende. Alles andere hat Zeit. Ist unwichtig." Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang das Eichhörnchen auf und hechtete schon wieder davon. "Warte einen Augenblick." rief der Frosch hinterher, zu spät. Mit einigen raschen Sprüngen verschwand es in der Baumkrone. Verlassen stand der Frosch am Boden und starrte hinauf. Nichts mehr zu sehen.

Ein Käfer kam mit seiner Frau vorbei geflogen. "Sieh nur," erklärte er, "dort läuft ein Frosch, der etwas sucht, was er nicht finden kann. Womöglich was zu essen? Bestimmt hat er einen Bärenhunger." "Ach was," meckerte seine Gattin, "das ist ein besonderer Frosch, einer auf der Durchreise, aus dem Ausland oder so. Ach, ich liebe das Ausland. Vielleicht kommt er aus Amerika. Oder aus Grönland." "Aber Liebes," erwiderte der Käfermann, doch seine Gemahlin zischte: "Still jetzt. Flieg` weiter und rede keinen Unsinn. Was sollen die Leute von uns denken?" "Ich meinte ja nur ..." "Ja, ja. Hör auf, so dummes Zeug zu reden." Sie umschwirrten den Frosch eine Runde, dann zogen sie ab.

"Einen Bärenhunger, pah." Wiederholte der Frosch gedankenverloren, während er den beiden hinterher starrte. "Einen Bärenhunger. Was mag an Bären so interessant sein?" Da kam ihm eine Idee...

III.

Rasch fand der Frosch die Fährte eines Bären. Das war gewiss der größte Bär im ganzen Wald, oder zumindest der mit den größten Füßen. Die Suche führte an das andere Ende des Waldes, dorthin, wo sich noch nie eines Frosches Seele vorgewagt hatte. Schließlich entdeckte er einen mächtigen Bären, der sich vor einem Baum aufstellte und ohne Unterlass nach einem Bienenstock fingerte, der zwischen den Ästen hing. Manchmal stolperte er zwei Schritte zurück, brummte laut auf und rieb sich wehleidig die Nase, doch schon einen Augenblick später nahm er wieder seine merkwürdige Tätigkeit auf. "Guten Tag, Herr Bär." unterbrach ihn der Frosch. " Sie sind ein Fachmann für Bärenhunger, da brauche ich Ihren Ratschlag. Unter Feinschmeckern sozusagen." Der Bär schüttelte gelangweilt den Kopf. "So einfach ist das nicht, mein Freund. Den Geschmack des süßen Lebens weis nur der zu schätzen, der einen harten Weg dafür gehen musste." "Welchen Namen trägt das süße Leben?"

"Ich nenne es Honig." Er streckte seine Brust heraus und erklärte mit feierlicher Stimme: "Weist du, Honig schmeckt wunderbar süß und fein, als würde man einen Tautropfen aus dem Paradies verzehren. Er sieht aus wie flüssiges Gold, und im Sonnenlicht glänzt er wie ein schlafender Regenbogen. Oh ja, ich liebe den Regenbogen." Er stieß einen Seufzer aus und deutete auf seine geschwollene Nase. "Leider wird der Honig von abertausend Bienen bewacht. Sie stechen jedem in den Pelz, der ihnen zu nahe kommt. Aber wenn ich nicht stets dafür kämpfen müsste, würde ich des Genusses rasch überdrüssig." "Ich will den höchsten Genuss ebenfalls."

"Das ist nicht so einfach. Die Bienen stächen dich zu Tode." Nachdenklich rieb er sich die Nase. "Aber ich kenne einen Ort, an dem es den besten Honig des Waldes gibt. Die Menschen nennen diesen Ort Speisekammer. "Er liegt auf einen Bauernhof an Rande des Waldes, in einer von zwei mächtigen, oberirdischen Höhlen, Häuser genannt. Aber sie werden von einem bösen Bauer bewacht, der mit seiner Flinte auf jedes Tier schießt, das sich nähert. Neulich hat es meinen Freund, den Fuchs, fast erwischt."

"Das klingt gefährlich." "Und wie! Nur jemand, der so klein und flink ist wie du, kann dorthin gelangen. Vielleicht übersieht er dich, weil du so winzig bist. Vielleicht." "Und wenn nicht?" Der Bär gab keine Antwort. Stattdessen schaute ihn voller Mitleid zu Boden. Große Bärenaugen können das sehr, sehr gut. Der Frosch schluckte bitter, doch dann übermannte ihn seine Neugier, und er lies sich dennoch den Weg erklären.

"Viel Glück, mein kleiner Freund." brummte ihm der Bär hinterher. "Quak." erwiderte der Frosch, während er in der Ferne entschwand. Frösche können nämlich nicht brummen.

IV.

Die beiden Häuser türmten sich wie Riesen vor dem kleinen Frosch auf. Mit offenem Mund stand er da und staunte. Wie weit sie sich in den Himmel hinaufstreckten- Gigantisch, bis zu den Wolken und den Sternen. "Womöglich steigen die Sterne tagsüber herab und legen sich hier zur Ruhe. Hinein passen sie allemal. Und wenn nicht, dann schläft zumindest der Mond dort." Er entschied sich für das linke Gebäude, wohl nur, weil es ein großes, grünes Tor besaß. Mutig hüpfte er voran und schob sich durch einen Spalt. Drinnen war es düster und stickig. Vor ihm lag ein langer Gang, der sich bis zum anderen Ende der Halle erstreckte. An beiden Seiten führten Stallungen vorbei, in denen merkwürdige Wesen standen, grunzten und aus ihren Trögen Futter fraßen. "Wie seltsam Sterne aus der Nähe ausschauen." Sie waren groß und hatte eine sonderbare Farbe. Nicht braun wie ein Bär, nicht grün wie ein Frosch oder schwarz wie die Erde, nein, sie waren... rosa. Sehr groß und sehr rosa. Sehr merkwürdig. Dazu kam eine Nase, die so platt war, dass der kleine Frosch meinte, Sterne landen ausschließlich auf der Nase. Und er fragte sich, ob sie sich dabei wehtaten, denn ihr Schwanz kringelte sich seltsam zusammen. "Was bist du? Kann man dich essen? Hat dich der Bauer geschickt?" Einer der Sterne starrte ihn neugierig an. "Sage mir, wonach du schmeckst. Du riechst nicht sehr appetitlich. Womöglich verderbe ich mir den Magen, wenn ich dich fresse. Ist schlecht für die Figur. Man nimmt so schnell ab."

"Du kennst dich mit dem Essen aus?" "Das will ich meinen. Was gäbe es sonst zu tun?" "Ich suche die wunderbare Speisekammer. Kennst du sie?"

Das rosa Ding lachte. "Natürlich. Der Bauer, der täglich Futter und Wasser bringt, nimmt manchmal eines von uns mit zum Schlachter, und von dort in die gelobte Speisekammer. Es ist das Paradies." "Alle Sterne kommen in den Himmel, nicht wahr?" "Was sind Sterne?" fragte das Schwein. "Sterne sind funkelnde Punkte am Himmel. Du siehst sie, wenn du durch das große Tor nach draußen trittst. Bist du denn keiner?" Das Schwein grunzte verächtlich. Zum Erstaunen des Froschs war die Freundlichkeit mit einem Mal verflogen. Eisig klangen die Worte herüber. "Ich bin ein armes Schwein in einer armen Welt. Hinter dem großen Tor beginnt das Reich des Bauern, und ich sage dir, dort draußen gibt es nichts, nichts außer dem Bauern." "Glaube mir, es ist wahr." "Beantworte eine Frage: Was macht der Bauer, bevor er morgens unser Futter bringt?" Der Frosch zuckte die Schultern. "Ich weis nicht..." "Er schaltet das Licht ein! Jeder hier kann diese Frage beantworten, nur du nicht. Und ausgerechnet du glaubst nicht an den Bauern? Das ist