Zur Erinnerung an meine Erlebnisse während des Krieges und meiner Kriegsgefangenschaft während der Jahre 1914-1920. Meinen lieben Kindern gewidmet.
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© 2016 Elisabeth Stiftinger, Linz
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7412-6965-3
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Als am 28. Juni 1914 der Mord in Sarajewo in Bosnien an Seiner k.k. Hoheit Erzherzog Franz Ferdinand d’Este und seiner Frau Gemahlin, Fürstin Hohenberg erfolgte, musste es jedem ehemaligen Soldaten klar werden, dass es mit dem gepriesenen Frieden einen Riss bekam, dass dieses Ereignis verhängnisvolle Folgen haben wird.
Und tatsächlich wurden die Tage im Monat Juli immer gespannter, bis am 26. Juli die Kriegserklärung an Serbien erfolgte, wodurch von den bestehenden 14 Armeekorps 81 mobilisiert wurden. Die allgemeine Mobilisierung erfolgte am 31. Juli. Jeder ehemalige Soldat bzw. Reservist hatte durch seinen geleisteten Fahneneid innerhalb 24 Stunden zu seinem Truppenkörper einzurücken.
Ich erfuhr es bereits abends am 31. Juli, dass allgemeine Mobilisierung ist. Bei der Nacht vom 31. Juli zum 1. August kamen die Ansager von der Gemeinde, welche mit Hornsignalen die Mobilisierung ausriefen und zum Einrücken mahnten.
Es lässt sich nicht beschreiben noch schildern, welcher Jammer überall zu hören war. Obwohl man die vergangenen Ereignisse schaurig verfolgte, so hoffte man doch immer, es werde doch der Friede stärker sein und die Aufregung sich wieder in ruhigere Bahnen lenken. Aber es kam zum Ärgsten und viele schien eine sehr bange Vorahnung zu befallen, aber gewiss niemand dachte daran, dass es ein Weltkrieg von so langer Dauer sein werde.
Obwohl gerade zu dieser Zeit für den Bauern auch die Erntezeit seine ganze Arbeit verlangte, es nützte nichts, man musste einrücken. Da gerade bei uns das Korn zum Einführen, so wurden am 1. August noch alle Kräfte eingespannt, um das Korn heimzuführen. Als nachmittags mein Bruder Ignaz Bescheid bekam, dass er, weil er in seinem Militärpass den Vermerk darinnen hatte „Waffenunfähig“, daher einstweilen von einer Einrückung verschont blieb, somit ward mir etwas leichter, weil ich doch wusste, dass jemand bei der Wirtschaft ist. Und ich erteilte für die Wirtschaft meine letzten Anordnungen und rüstete mich zum Abschied von meinen Lieben.
Wie schwer, wieviel Tränen flossen von Seiten meiner treu ergebenen Gattin und von meiner geliebten Mutter. Dieses alles lässt sich nicht beschreiben noch schildern. Dieses kann nur jemand selbst empfunden, selbst erlitten, erlebt haben.
Denn wer so wie ich eine treu liebende erst seit 6 Monaten angetraute Ehegattin an der Seite hatte, daneben ein edles treues Mutterherz, welche durch viele Krankheit schwer geprüft war, wer zwei solche Menschen liebte über alles, nur derjenige kann sich vorstellen, wie schwer ein solches Scheiden ist, welche einem nicht fortlassen, nicht fortziehen lassen wollen. Doch was nützt ein Jammern seiner Lieben, denn der Kaiser ruft! Es muss geschieden sein. So fuhr ich auch noch am selben Tag am 1. August um halb 8 Uhr abends mit dem Zuge nach Linz.
Bevor ich weiteres schildere, will ich erwähnen, dass bereits am 1. August auch schon alle diejenigen Pferde, welche bei der Frühjahrsmusterung für tauglich und mit Preis eingeschätzt wurden, auch sofort nach Linz getrieben werden mussten. Unsere zwei Pferde wurden als überzählig zurückbehalten, somit blieben dieselben einstweilen zur Arbeit daheim.
So schmerzvoll und traurig der Abschied von den Lieben war, um so lauter war das Gejohle, das Singen und Lärmen im Eisenbahnwaggon von den einrückenden Reservisten. Wenn auch jeden ein ungewisses Gefühl beschlich, so war doch die Kriegsbegeisterung umso lauter, da sich jeder als Vaterlandsverteidiger berufen fühlte. Stets hörte man die Rufe „Hoch Österreich! Heil unserem Kaiser! Nieder mit Serbien! Nieder mit Russland!“
Je näher der Zug der Garnisonsstadt2 Linz kam, desto überfüllter wurden die Waggons. Angekommen in Linz, nun, war das eine Begeisterung für den Krieg! Nun, weil‘s endlich einmal losgeht. Nun ja!
Am Bahnhof am Ausgang konnte man lesen, wo sich jeder zu melden hat. Mein Ziel hieß Turnhalle Südbahnhof. Da es aber bereits 10 Uhr abends war und ich mich erst morgens um 7 Uhr melden konnte, zudem drückte Heimweh und aller Lärm schwer auf mich. Begeisterung konnte ich wenig finden. So viel als man hörte, jede Straße war voll von Menschen, jede Gastwirtschaft ebenso. Überall tönten patriotische Lieder, aber mich und auch andere zog es zu einem ruhigeren Platze zu, wo man etwas ruhen, etwas schlafen kann. Mit einigen Bekannten fanden wir in einem Hause in einem Dachzimmer eine wohl etwas schlechte. Doch wir begnügten uns mit dieser Ruhestätte.
Am nächsten Morgen ging‘s zur Präsentierung in die Volksfesthalle. Dort war ein Andrang ohnegleichen. Endlich kam man in Reihe und so hinein zu den Kommissionen. Nach der Präsentierung, wenn wieder eine Abteilung bei hundert Mann beisammen war, wurde man abtransportiert. Ich, sowie Pree, das ist der Leiner Franzl, und der Grubauer, das ist der Holzinger Sepp, wir drei waren beisammen und gaben uns gegenseitig das Versprechen, immer beisammen zu bleiben und gegenseitig beizustehen, uns nicht zu trennen. Keiner ahnte, dass wir ganz schnell und unverhofft getrennt voneinander werden.
Wir kamen in die Römerbergschule. Dort wurde erst alles eingerichtet. Stroh wurde gefasst. Kurzum, es wurde die Schule in eine Kaserne verwandelt. Nach einigen Stunden kam schon Kommandierung verschiedener Art: Zum Beispiel für Bahnhöfe-Bewachung und ebendort Verköstigungsstation, andere zu Brückenwachen.
Wir drei Unzertrennlichen wurden zum Pferdekommando nach Ried im Innkreis kommandiert. Jeder Mann erhielt bloß eine Mütze und sogleich wurde abgefahren. Abends kamen wir 60 Mann in Ried im Innkreis an, wo sogleich im Gasthofe zum Stern die Kommandierung in die verschiedenen Stallungen zu den Pferden erfolgte, damit die Koppelknechte abgelöst wurden. Ich kam ins Genossenschaftsbräuhaus zu 32 Pferden. Schlafen konnte man in der Malztenne, essen ging ich zum Gastwirt Eichelseher am Hauptplatz.
Der Dienst wäre zum Aushalten gewesen. Dass die Pferde gefüttert, geputzt (natürlich mit Strohwische), täglich war Futterration zu fassen, die Pferde mussten täglich zwei Stunden ausgeführt werden. Als Vorgesetzten hatten wir einen Oberstleutnant, einen alten Reservisten, ein Sonderling, dann einen Artillerieleutnant und einen Tierarzt, weiters dann Kavalleriechargen. Kommandierte waren wir somit von den 14ern und von 59ern.
Außer der Kappe, und da trug man lieber den Hut, war man in Zivil. Da man auch im Gasthause verpflegt war, so war es abends auch oft lustig und auch noch nach 9 Uhr. Und das hörte der Oberstleutnant. Zuerst kam ein Verweis. Als das nichts half, ließ er uns im Hofe beim Gymnasium exerzieren. Nun, das war ein Durcheinander! Infanterie3, Artillerie4 und Kavalleristen5.
Von den 600 Pferden in Ried kamen 200 weg am Kriegsschauplatz. Von meinen [Pferden] halfen ein paar Bierführern, weiters kamen auch Bauern von der Umgebung, damit ihnen auch Pferde zur Verfügung gestellt werden. Aber es wurde immer nur für einen Tag bewilligt.
Aber der Herr Oberstleutnant ließ uns 14er und 59er plötzlich am 18. August durch von ihm bestellte 2er Landwehrreservisten ablösen. So mussten wir zurück nach Linz, wo wir spätabends ankamen. Da das Regiment bereits am Kriegsschauplatz weilte, so war die Schlosskaserne leer, bloß die Wachhabenden.
Am anderen Morgen wurden wir in die Fabrikskaserne, von dort ins Ergänzungskommando ins Prunerstift geschickt. Überall staunten’s über uns. Es hieß, wir sind ja nicht abkommandiert worden. Endlich wurden wir zum Ersatzbataillon in die Fabrikskaserne II. Kompanie eingeteilt, mit der alten blauen Montur ausgerüstet und sogleich hieß es, Dienstwache übernehmen.
Doch schon am 23. August hatten wir Alarm, wo wir zum ersten Mal unseren Kompaniekommandanten Oberstleutnant Friedrich zu sehen bekamen, wo wir in einer begeisternden Ansprache erfuhren, dass wir ins Feld abfahren werden. Sofort ging es zum Augitationsmagazin im Hofe, wo wir vollkommen neu feldgrau ausgerüstet wurden, was aber bis spät nachmittags dauerte.
An diesem Tage, da gerade Sonntag war, waren viele Angehörige zu Besuch vor dem Kasernentor. Auch meine treue Gattin besuchte mich. Keiner ahnte, dass es das letzte Wiedersehen sein soll.
Nachdem das erste Marschbataillon immer marschbereit war, somit nie keinen Dienst machte, konnte dieses nicht glauben, dass wir als zweites Marschbataillon früher wegfahren sollen. Aber es war wirklich so.
Am 25. August gegen Abend war feierliche Eidleistung und Aussegnung und Abmarsch mit der Regimentsmusik über den Franz-Josephs-Platz6, Landstraße zum Bahnhof. War das eine Begeisterung, ein Zurufen, ein Abschied nehmen! Von den Häusern wurden uns Blumensträuße zugeworfen, Zigaretten und andere Kleinigkeiten geschenkt. Überall stand die Menschenmenge dichtes Spalier, die einen lustig, die anderen traurig. Alles wollte einem die Hände noch drücken. Es lautete immer: „Kämpft tapfer! Beschützt unser Vaterland! Kommt wieder gesund heim! Lebt wohl! Aufs Wiederseh‘n. Aufs Wiederseh‘n!“
Am Bahnhof nach der Einwaggonierung war man gespannt, nach welcher Richtung abgefahren wird. Da wir noch keine Feldpostnummer7 hatten, hieß es jetzt, wir kommen nach Elsass-Lothringen. Nach Einbruch der Dunkelheit ging‘s Richtung Wels ab. Nun hatten die Alleswissenden recht: Es geht gegen Frankreich. Am nächsten Morgen früh kamen wir in Salzburg an, wo wir Kaffee erhielten. Dann ging‘s weiter über Hallein, Bischofshofen, Zell am See. Am nächsten Morgen, den 27. August, waren wir in Innsbruck, wo wir auswaggoniert wurden und in die Klosterkaserne, dritter Stock kamen.
Nächsten Tag ging‘s durch Hötting zum Exerzierfeld, wo wir bereits bis zur Martinswand marschierten. Innsbruck selbst war mir wenig sympathisch. In der Kaserne das viele Stiegen laufen, die Kantine unreinlich. Wir verkehrten abends auch in Hötting in verschiedenen Gasthäusern, wo man das gepriesene Grestl aß: Kartoffeln mit Fleischabfällen. Auch beim Burgriesen, Goldenen Dachl, Meraner waren wir. Täglich gab‘s Dienst oder Übungen. So waren wir in Amrass, Ambass, Töls, Zierl, Patscherkofel, Hall, am Berg Isel Scheibenschießen, wo ich von 10 Schüssen neun Treffer hatte.
Man schoss auf einen Stand über den Fluss Sill, wo die Sonne auf das Wasser schien, stets den Spiegel hatte, daher mancher Scharfschütze durchfiel. Vom Berg Isel war herrliche Aussicht über die Stadt Innsbruck, zur Martinswand, Frau Hitt, Hungerburg und so fort.
Am 8. September kam ich von der Garnisonsarrestwache, nächsten Tag fünf Uhr früh Abmarsch zur Übung am Patscherkofel. Nachmittags drei Uhr kamen wir zurück. Nach der Menage bekam ich einen Brief noch von meiner Lieben und gleich darauf rief mich die Tagcharge8, ich hab‘ ein Telegramm. Erstaunt lief ich in die Kanzlei.
Doch ach, welche kurzen Worte zum Herzzerreißen: „Deine Gattin gestorben!“
Fassungslos starrte ich immer diese Zeilen an. Unglaublich - es ist nicht möglich – es kann nicht sein. Und doch, diese Telegrammzeilen sagen es.
Fast unfähig, etwas zu sagen, so unternahm ich doch Schritte, um einen Urlaub, wenn auch kurzen, zu erlangen.
Ich lief zur Pension Habsburg, dem Quartier unserer Offiziere, aber mein Kompaniekommandant Oberstleutnant Friedrich war schon fort, nicht zu finden. So kehrte ich, da ich mich auch am Bahnhof wegen Zugsverbindungen erkundigt habe, zurück zur Pension Habsburg. Da auch unser Bataillonskommandant, Herr Hauptmann Weiser, seine Mittagsruhe pflegte, ließ ich diesen wecken und meldete diesem mein Herzensleid. Und ach, wie gütig, da ich versprach, bis Montag früh zurück zu sein, schrieb er mir sofort einen Urlaubsschein und ich konnte bereits um 7 Uhr abends wegfahren, obwohl wir überdies jederzeit schon von Innsbruck abberufen werden konnten.
Nächsten Tag zu Mittag kam ich in Linz an. Am Bahnhof erblickte ich einen Bekannten, Herrn Stöglehner aus Neumarkt. Wie mich dieser sah, wurden ihm die Augen feucht und ich wusste, dass es Wahrheit ist, dass jedenfalls ein Unglück geschehen war. Wir suchten uns in unserem Zug ein ruhiges Plätzchen, wo er mir alles erzählte und zu trösten versuchte.
Zu Hause bei der Mutter und Bruder wurde ausgeweint und dann ging ich nach Neumarkt zu meiner lieben Toten. Aber auch da gab’s kein Wiederseh’n, denn Herr Stöglehner teilte es schon früher mit, dass ich komme. Deshalb war meine teure Tote schon verschlossen im Sarge. 9 Unbeschreiblich war meine Trauer. Unerbittlich ist der Tod, denn sonst konnte nicht ein so glückliches Ehepaar so jäh getrennt werden.
Nächsten Tag, es war Freitag, war die Beerdigung. Ich glaubte, mein Herz muss vor Leid und Kummer zerspringen. Samstag früh besuchte ich nochmals das Grab meiner Lieben, und zu Mittag fuhr ich wiederum von der Heimat weg. Diesmal war der Abschied leichter, denn auch ich zog leichter ins Feld um zu sterben, um bei meiner Lieben zu sein.
Am Montag früh, den 14., kam ich in Innsbruck an und schon am nächsten Tag fuhr unser Bataillon ab nach Bruneck, wo wir recht begeistert empfangen wurden.
Wir waren bei einem Wirt einquartiert, wo es guten Wein gab. In Bruneck wurde unser Bataillon zerteilt. Eine Kompanie kam nach Plätzwiesen, eine Kompanie nach Cortina, eine Kompanie Toblach und meine Kompanie – wir fuhren bis Innichen. Dann eineinhalb Stunden marschiert nach Sexten und dort in eine neue Baracke eng zusammen einquartiert.
Am nächsten Tag wurde bis Mittag exerziert, wo wir 42 Mann plötzlich abkommandiert wurden, nächst den 2000 Metern hohen Drei Zinnen auf den Innergstöhl. Wir fassten sofort Winterdecken und dann wurde abmarschiert.
Nun, die ganze feldmäßige Ausrüstung und noch dazu die Winterdecken und so hoch hinauf 1500 Meter, da hieß es ordentlich schwitzen. Droben waren auf diesem Bergrücken 14er-Haubitzen-Artilleristen, eine Freibatterie.
Nach unserer Ankunft kamen wir 15 Minuten abwärts in eine geschützte Steinbaracke. Dort wäre es behaglich gewesen. Aber kaum, dass wir die Rüstung weg hatten, hatten wir schon Probealarm. Diesmal wurden wir geführt. Jeder Mann hatte nur Gewehr und Patronentasche. Wir mussten 20 Minuten seitwärts laufen und auch höher hinauf in die Schützengräben10. Ja, da gab es wirklich frisch gegrabene, in Steinen frische Gräben. Da gab‘s Signal abgeblasen und wir konnten wieder in die Baracken zurück.
Unterdessen war ein Gewitter losgebrochen, Blitz auf Blitz, ein furchtbarer Sturm, lauter Eis und Schnee. Das war so etwas. Zuerst beim Aufstieg todmüde und erhitzt, jetzt Eis und Schnee. Dann dieses Menageholen, denn Küche war oben bei der Artillerie. Alle Augenblicke hat‘s einen gestürzt auf dem schlüpfrigen Boden.
Die Menage wäre sehr gut gewesen, aber leider kein Brot. Dieses kam vom Tal hinauf. Auch etwas Wein gab‘s. Von der Baracke sah man schön auf den Ort Sexten herunter. Gehende Menschen schienen nur als ganz kleine Punkte hinauf. Weiters sah man das Werk Mitterwerk und Heidegg.
Wir konnten uns nicht denken, was dieses bedeuten soll. Italien, unser Bundesgenosse und hier an der Grenze diese Rüstung. So viele Geschütze wurden aufgezogen und hinter Wälle gestellt. So viele Munitionsverschläge wurden vergraben. Warum die Gräben, diese Baracken? Unser Dienst war sehr stark und streng. Fast immer auf Wache, bei der Nacht waren so manche Posten doppelt und dreifach, dazu hatte es schon eine starke Kälte.
Plötzlich wurden wir am 21. nachmittags vom alten Vorarlberger Landsturm11 abgelöst und sogleich wurde abmarschiert nach Sexten hinunter. Wir hatten geglaubt, die übrigen von der Kompanie werden‘s schön gehabt haben. Derweil schimpften diese ebenso. Diese hatten immer sehr strenge Kontrollgänge, durften mit keinem Zivilisten reden, hatten sehr strengen Dienst. Viele waren von dem Patrollgang noch nicht zurück. Dazu war die Baracke überfüllt, weil die Vorarlberger auch da waren.
Nächsten Tag in der Frühe wurde abmarschiert nach Innichen. Dort gab’s einen billigen Wein. In Klassewaggons fuhren wir zurück nach Bruneck, wo wir mit der Regimentsmusik und von einem Oberst empfangen wurden. Es geht ins Feld. Die nächsten zwei Tage gab’s noch verschiedene Ausrüstungen, von den Bruneckern erhielten wir verschiedene kleine Spenden, Zigaretten, warme Stutzerl, Wickelgamaschen usw. Weiters war Beichtgelegenheit und heilige Kommunion. Es wurde auch viel Wein getrunken, Räusche gab‘s genug.
1 Ein Korps ist ein militärischer Großverband des Heeres aus mehreren Divisionen beziehungsweise Brigaden und zusätzlichen Korpstruppen. Er besteht aus mehreren Waffengattungen. Ein Korps wird von einem Kommandierenden General im Dienstrang eines Generalleutnants geführt. Der übergeordnete Großverband eines Korps ist die Armee, ein untergeordneter Großverband ist die Division. Das Korps unterstützt die ihm unterstellten Großverbände mit Korpstruppen.
2 Garnison: Standort, an dem Truppen untergebracht sind, auch dort stationierte Truppen selbst werden Garnison genannt.
3 Infanterie: auf den Nahkampf spezialisierte Fußtruppen der Landstreitkräfte
4 Artillerie: Truppengattung, die mit schweren Geschützen ausgerüstet ist (Höfler, S. 50)
5 Als Kavallerie oder Reiterei bezeichnet man eine in der Regel zu Pferd mit Blank- und Handfeuerwaffen kämpfende Waffengattung der Landstreitkräfte.
6 Der Franz-Josephs-Platz wurde 1921 Platz des 12. November (Ausrufung der Republik im Jahr 1918) benannt, 1934 wiederum Franz-Joseph-Platz, hieß zwischen 1938 und 1945 Adolf-Hitler-Platz und ab dann Hauptplatz.
7 Alle Haupt-, Feld- und Etappenpostämter waren durch eine Feldpostnummer gekennzeichnet, die diesen beliebig zugeteilt worden war. Dies gewährleistete einerseits die Geheimhaltung des Aufenthalts und der Bewegungen der einzelnen Truppenverbände, erleichterte andererseits die Sortierung der immensen Masse an Sendungen. Die Nummern enthielten zugleich die wesentliche Adressangabe für die richtige und rasche Beförderung der Feldpostbriefe, -karten und -pakete an die Fronten. Dabei setzte sich die Anschrift der Soldaten aus ihrem Dienstgrad, dem Vor- und Zunamen, dem Truppenkörper und eben der Feldpostnummer des zuständigen Feldpostamtes zusammen. Aus: ww1.habsburger.net.
8 Tagcharge: diensthabende Person mit einem mittleren oder höheren militärischen Dienstgrad.
9 Maria Stiftinger war mit ihrem Schwager im leichten Gespann unterwegs, als die Pferde durchgingen. In Panik sprang sie vom Wagen, ihr langer Rock verfing sich und sie wurde zu Tode geschleift. Diesen Anblick wollte man ihm ersparen.
10 Schützengräben: Feldbefestigungen, die Soldaten beim Schusswechsel im Stehen oder Knien vor Kugeln und Granatsplittern schützen. Meistens sind sie einfache Gräben, welche die Schützen vorder- und rückseitig decken. Laufgräben verbinden das Hinterland mit der Frontlinie. Sie sind daher anders ausgestattet und nicht für den ständigen Aufenthalt von Soldaten unter Beschuss geeignet. (Höfler, S. 48)
11 Landsturm: In der österreichisch-ungarischen Monarchie waren alle wehrfähigen Männer vom 19. bis zum 42. Lebensjahr zum Landsturmdienst verpflichtet, die weder der k.u.k. Armee noch der k.k. Landwehr bzw. dem k.u.k. ungarischen Honvéd angehörten. (vgl. Leidinger, Moritz, S. 288)
Am 25. September also bekamen wir den heiligen Segen, dann war Abmarsch. Ganz Bruneck begleitete uns. Mit Blumen überschüttet, so ging‘s zum Bahnhof. Diesmal ging‘s schneller, kaum einwaggoniert ging‘s dahin. Über Lienz, Villach, St. Michael, Semmering, Wiener Neustadt, Wien Südbahnhof spät abends. Beteilung von Zigaretten, Backwerk, Kaffee, Tee, es soll die Erzherzogin Zita, die Gemahlin Erzherzogs Karl gewesen sein.
Bei der Nacht wurden wir am Nordbahnhof verschoben. Überall gab es Militärtransporte, Pferde, Munition und Proviantzüge. Aber überall fuhren wir vorbei, fuhren wir schneller. Somit kam uns zu Bewusstsein, dass wir gebraucht werden, dass unser Regiment viele Verluste erleidet. Jetzt wurde es in den Waggons auch ruhig. Die Begeisterung war vorbei. Je näher Galizien12 kam, desto unheimlich wurde es einem.
Bei Oderberg13 sahen wir schon eine geladene Brücke. Da stieg uns so manches Bedenken auf. Wir wollten nach Russland hinein und mussten wir solche Vorkehrungen treffen?
Nachts fuhren wir durch Krakau, in der Früh waren wir in Tarnów. Also am 28. September in Tarnów auswaggoniert, nebenan im Park hielten wir Rast. Es herrschte ein Kriegslärm. Dann marschierten wir zu einer Schule, wo wir einquartiert werden sollten. Uije, da schaut es aus. Voll Unrat und Schmutz. Sofort reinigen. Die Küchen wurden gerade etwas dampfend, da war schon Alarm. Es hieß, 17 km entfernt wurden Kosaken gesichtet.
Nun bekamen wir im Hofe die siedend heiße, halb gekochte Menage bei strömendem Regen zu essen. Dann marschierten wir ab bis in die Nacht, wo wir dann in kleinen Häuschen zu unserem Regiment Nr. 14 kamen. Unser Bataillon wurde aufgeteilt, so dass zu jeder Kompanie ein Zug von uns dazu kam. Somit kam ich zur 7. Kompanie, ersten Zug.
Einen Tag vor uns war schon das 3. Marschbataillon zum Regiment verteilt worden, da waren schon viele Rekruten dabei, welche erst am 25. August eingerückt waren. Dieses Marschbataillon war auch von Linz Richtung Salzburg abgefahren, aber schon bei Lambach/Breitenschützing mussten sie umkehren und sofort zurück durch Linz vorbei nach Galizien. Ebenso war auch vor einigen Tagen das 1. Marschbataillon, welches am 28. August von Linz nach Galizien fuhr und selbständig kämpfte und auch schon Verluste hatte, zum Regiment verteilt worden.
Somit ist es klar, dass das edle Regiment Nr. 1414, welches seit Mitte August am Kriegsschauplatz weilte, große Verluste erlitten hatte. Besonders am 30. und 31. August, wo es weit hinter Lemberg bis gegen Zamość schon auf russischem Boden war, schwere Kämpfe mit viel Verlusten erlitt, von wo auch der Rückzug angetreten werden musste. Ebenso hatte es auch am 7., 8. und 10. September schwere Kämpfe und Verluste gehabt, sodass nach dem Rückzuge bis Tarnóv von dem einst so stolzen Regiment nur mehr zusammen sieben Kompanien zusammengebracht worden sind.
Daher war es so eilig, dass wir 3. und 2. Marschbataillon hierher kamen. Und hier in dieser Sammelstelle konnten wir alle möglichen Schikanen erleben. Die Häuschen waren sehr klein, somit hatte man fast keinen Platz zum Ruhen. Bei Tag wurde fleißig exerziert, man kann sich ja denken, dass die Rekruten zu wenig Ausbildung hatten. Dazu mussten alle leiden und mittschechern15.
Nach acht Tagen war Parade und das Regiment begann wiederum den Vormarsch. Da konnte man erst sehen, welche Länge ein kriegsstarkes Regiment im Marsch hatte. So wurde jeden Tag von früh bis spät abends marschiert. Bei Nacht konnten wir teilweise in Häuschen und Scheunen notdürftig lagern. Aber größtenteils hatten wir 7. Kompanie Kantonierungs16- oder Feldwache17 oder Bereitschaftswache. Denn unser Kompaniekommandant Reserveleutnant Pan war ja ein Grießknödel. Andere Kompanien konnten ruhen, wir 7. aber Wachdienst halten.
Am dritten Tag Nachmittag marschierte unser Bataillon durch einen 8 km langen Wald, als an dessen Ende plötzlich der Feind gemeldet und gesichtet wurde. Sofort war Entwicklung in Schwarmlinien18 und vorwärts. Aber schon sandte uns der Feind seinen Gruß entgegen mit Schrapnellen19. Das war die Feuertaufe. Und schon hörte man Verwundete rufen und schreien.
Neben mir krepierte auch ein solches Todesschreien. Durch Wunder wurde ich nicht getroffen, aber mein Kamerad Affenzeller von Pernau wurde verwundet. Gut war es, dass es dunkel wurde und das Feuer wurde eingestellt, und wir marschierten durch den Wald wiederum zurück und nahmen außerhalb in einem leeren Fabrikgebäude Nachtquartier. Am anderen Morgen marschierten wir wiederum durch den Wald vor, wo wir dann erfuhren, dass unsere Kompanie gestern abends 10 Verwundete erlitten hatte, dass der Feind eine russische Train20-Bedeckung war, und dass später das 1. Bataillon diesen Train samt Bedeckung gefangen hatte.
Nächsten Tag marschierten wir immer vorwärts bis spät abends, wo wir dann auf einer Waldblöße Freilager hielten. Es regnete in Strömen, es gab keine Menage, weil wir dem Train weit voraus waren. Nächsten Tag marschierten wir wiederum ganzen Tag, aber sonderbar, immer gegen die Sonne, sodass wir am Abend auf dem Punkt waren, wo wir vormittags waren.
Plötzlich kam uns unser Feldwebel Kitzberger entgegen und meldete, dass auch die Küche da ist. Wir kamen nach Leceis, wo es hieß, dass in der Kirche einige tausend Russen gefangen sind. Zuvor hatten uns schon Gefangene begegnet. Wir wurden in kleine Häuschen und Scheunen einquartiert.
Aber kaum, dass wir die Rüstung weg hatten und die Menage hatten, war schon Alarm. Nun, die Geschütze waren ohnehin ganz in unserer Nähe aufgestellt. Wir marschierten östlich etwa 20 Minuten, bei einem Gebüsch hieß es Halt! Da pfiff etwas bei mir vorbei, konnte es aber noch nicht kennen. Da griff aber schon mein Nebenmann und Kamerad Pree in die Seite und sagte, dass es ihm in der Seite einen Stich gegeben hat. Da hieß es wieder: Schwarmlinie entwickeln.
Ich sagte zum Pree: „Geh zurück, du bist verwundet!“, was er auch befolgte, und wir schlichen uns einige hundert Meter vorwärts, immer gesichert, man hörte schießen, hörte auch so manches blaue Pfeifen. Wir gaben keinen Schuss ab. Nach einer Zeit hieß es Sammeln und wir marschierten zurück in unser Quartier. Da erfuhren wir, dass Kamerad Pree einen Lungenschuss erlitten hat.
Wir nahmen in einer Scheune Quartier, aber natürlich hatten wir Kantonierungswache. Bei der Nacht war besonders starkes Artilleriefeuer. Noch vor Tagesanbruch marschierten wir nördlich zirka eine Stunde bis hart an den Samfluss, wo wir andere ablösten und wir in die Gräben kamen und stets über den Fluss Sam hinüber schossen. Bei der Nacht wurden wir dann wiederum abgelöst und wir zurück ins Quartier.
Etwas über diese Kantonierung: die Scheune war so eine mittlere Scheune, wo wir drei Züge waren. Der vierte Zug war im Häuschen selbst einquartiert. Ebendort war auch Herr Leutnant Pam, sowie die Einjährigen und die Feldwebeln. Dort sah ich auch mit einer Sandsteinmühle Korn zu Mehl mahlen. Kartoffeln gab es zu kaufen, es waren aber lauter kleine und keine guten Erdäpfel.
Zwischen Häuschen und Scheune war ein Obstgarten, wo zur freien Zeit immer einige Mann angebunden wurden. Auch mich traf einmal dieses Los, weil ich meinen vergaß und von der Feldküche (welche vor unserer Scheune stand) den Wetzstein nahm und darauf spuckte, um mein Messer zu wetzen. Das sah unser Kompanieleutnant Ban (in Zivil Bahnbeamter von St. Pölten). Sofort befahl er unserem dienstführenden Feldwebel Dornetzhuber, mich anzubinden. Da dieser und ich keine Gewehrschnur hatten, so sagte er, ich soll mich so zu einem Baum stellen, damit Genüge getan war.21
Ein anderes Stück war: Da in unserer Scheune auch ungedroschener Hafer war, kamen einmal fünf bis sechs Mann Artilleristen und richteten mit Stöcken über das Haferdreschen. Den Besitzer hätten sie bald verprügelt und dieser ging zu unserem Kommandanten. Und unsere Kompanie musste es von der Menageersparnis bezahlen.
In Leceis bekamen wir auch wieder einmal unsere Löhnung. Es sollte meine letzte sein, weil ich später keine mehr erhielt. In Leceis waren wir fünf bis sechs Tage. Einmal hatten wir frei, sonst waren wir auf Feld, oder auf Kantonierungslager oder in den Schützengräben.
Es war am 15. – 17. Oktober, da marschierten wir abends auch wiederum ab, in die Gräben. Diesmal mehr gegen Osten, etwa eineinhalb Stunden fort. Überall sah man brennende Häuser, rauchende Trümmerstätten, verendete Pferde und Tiere, frei umher laufende Tiere, sehr wenig einheimische Bevölkerung.
Früher schon bei Tarnów, da gab es viele Getreidehaufen, wo Dampfdreschmaschinen arbeiten. Aber hier war schon der Gräuel der Verwüstung. Bei Einbruch der Dunkelheit kamen wir in die Schützengräben, wo auch 14er die vom 4. Bataillon war. Es gab auch immer heftiges Gewehr- und Artilleriefeuer.
Bei der Nacht wurden wir und die ganze Gegend von russischen Scheinwerfern beleuchtet. Uns gegenüber verhielten sich die Russen wohl gedeckt mit mäßigem Gewehrfeuer. Weiter rechts konnte man aber wahrnehmen, dass ein heftigerer Kampf tobte.
In den frühen Vormittagsstunden kam auf einmal über uns eine Granate gesaust, welche einige 100 Meter hinter uns im Kartoffelfeld einschlug. Halt! sagte man, das sind Vorboten. Hat‘s uns gegolten oder wird etwas anderes verfolgt?
Doch man brauchte nicht lange warten und es kam die zweite geflogen, welche wiederum einige hundert Meter hinter der ersten einschlug. Jedes Mal war eine große Wolke mit lauter Staub und Erde, was emporfuhr. Also sagte man, es gilt dem großen Meierhof, rückwärts auf der großen Anhöhe. Es war ein sehr großer Meierhof. Es hieß, dass wir kommende Nacht dort Quartier nehmen werden. Und dass auch jetzt Unsere dort sind. Aber es dauerte nicht lange und es sauste zum dritten Mal, und unsere Befürchtung ist Wahrheit geworden. Ein Volltreffer in den Meierhof. Dann war diese Artillerie still.
Eine Weile später aber konnte man rechts von uns ein Schauspiel betrachten. Das waren Bosniaken in den Gräben. Da, auf einmal ein Lärmen. Da konnte man sehen, wie die Bosniaken vorwärts sprangen. Ihr bekanntes Krummmesser zwischen den Zähnen und da sollten sie alle Russen niedergemacht haben, die sich nicht rückwärts flüchten konnten.
Wir wurden abends wiederum abgelöst, dann marschierten wir gegen den zerstörten Meierhof, wo wir erfuhren, dass es unsere 13. Kompanie getroffen hat. Es waren 8 - 10 Tote und zahlreiche Verwundete. Bei der 13. war als Bekannter der Winklehner Hans, welcher aber heil davonkam. Gleich hinter dem Meierhof war der Train in Dislokation22.
Nun, bei den Volltreffern, da gab es einen Wirbel. Viele Pferde gingen durch, Wägen umgeworfen, alles wollte rückwärts. Da alles voller Wägen und Truppen war, so ging das Marschieren sehr langsam, mussten oft eine Stunde stehen, sodass wir erst gegen früh gegen Leceis kamen.
Dann marschierten wir fort, es hieß, dass eine Truppenverschiebung, d.h., dass das 10. Korps im Rayon Nisko zu schwach sei, daher kommt das 14. Korps dorthin. So marschierten wir wiederum nördlich 2 Tage.
Auf diesem Wege begegneten uns unter zahlreichen anderen Truppen und Train23 einmal unsere 4er-Dragoner24, also Landsleute. Aber ach, wie schauten diese aus! Es war ein kleines Häuflein. Ja, erzählten sie, sie hatten schwere Niederlagen erlitten. Viele waren auch ohne Pferde. Bekannte traf ich keine. Einmal kamen uns auch die Radfahrer entgegen. Das gleiche Bild, eine kleine Schar. Ja, sie sind in diesem Sand alle stecken geblieben, war ja auch das Marschieren stark, weil so viel Sand überall war. Deshalb blieb uns auch unsere Küche immer hinten. Denn überall gab’s so viel Train, teilweise nicht zum Vorwärtskommen.
Nächsten Nachmittag kamen wir in ein Dorf. Es hieß, wir bleiben hier. Die Rüstung weg und schnell wurde Umschau gehalten, um etwas für den Magen zu bekommen. Ich und ein Fleischhauer aus Lambach kauften ein 40 kg schweres Schwein. Schnell wurde geschlachtet und ein Feuer angezündet, um die Haare wegzubrennen. Kaum war das geschehen, war Alarm.
Sofort abmarschieren. Nun gab’s ein Fluchen, das Schwein bezahlt und doch nicht zum Essen. So viele hätten sich gefreut! Aber schnell die Gedärme heraus, gevierteilt und unter den Tornisterdeckel 25 gepackt. Also noch mehr zum Schleppen und schnell in Reih und Glied. Während des Marsches wurde erst verrechnet; wenn‘s nur für einige Minuten Rast gab, auch etwas verteilt. Da kam auch wieder unser Leutnant, man soll doch auch ihm etwas geben. Keiner wollte nicht, denn beim Alarm glaubte er, wir sollen es liegen lassen. Zwei Kilo gab ich dann später bei der Küche für ihn ab. Es war ohnedies nicht billig, weil wir ehrlich waren und haben‘s gut bezahlt. Geld hatten wir und man weiß ja nicht, ob man morgen noch lebt.
Wir kamen dann in einen großen, wirklich schönen Wald, 10 km zum Durchmarsch. Gleich außerhalb war ein lang gestrecktes Dorf, in nächster Nähe die Stadt Nisko26.
Bei Einbruch der Dunkelheit marschierten wir in das Städtchen in den Schlossgarten. Durch die Schlossmauer ward ein Loch durchgebrochen, gerade dass man durchkonnte. Es war schon sehr dunkel, musste sehr in acht sein, um die Verbindung nicht zu verlieren. Man hörte ein heftiges Gewehrfeuer. Gleich außerhalb der Schlossmauer ging‘s im Laufschritt zum Sturmangriff über. Ein strömender Regen setzte ein, ein Rufen nach Verbindung, stockfinstere Nacht, ein Stolpern über Stein und Gräben, die Kugeln pfiffen schon so vorbei. Man glaubte alle Augenblick, getroffen zu sein. Endlich hieß es Nieder! Eingraben! Ein jeder schaute, dass er schnell mit dem kleinen Spaten ein Loch bekam, um etwas Deckung zu haben. Das Schießen war ganz nahe. Es hieß, wir haben die Richtung verfehlt, deshalb kam es nicht zum Sturmangriff.
Bevor der Morgen graute, marschierten wir zurück hinter die Häuschen, still verhaltend, Bereitschaft haltend. Jeder war durchnässt, voll Kot. Bei Tagesgrauen gingen wir wiederum vor, etwas mehr rechts über ebenes Terrain. Da kamen wir zu kleinen Sümpfen. Auf einmal schrie Herr Leutnant Hilfe! Er steckte etwas über die Knöchel in dem Sumpf. Feldwebel Dornetshuber und der Hornist halfen ihm heraus und gingen mit ihm zurück auf ein dreitägiges Nimmerseh‘n.
Diese drei Tage erlebten wir auch viel. Nachdem der Leutnant weg war, und da sehr schmale Gräben vorhanden waren, gruben wir uns dort ein. Der Herr Bataillonsadjutant suchte unseren Bataillonskommandanten Pöschtmann. Es übernahm uns Leutnant Müller.
An diesem Tage wurde Korporal Bayrleitner aus Gutau als Ordonnanz27 verwundet. Hinter unserem Rücken gegen Nisko war leeres anlaufendes Terrain, welches aber vom Feinde stets mit Granaten und Schrapnellen übersät wurde. Es weidete sehr viel Vieh, aber alles wurde niedergeschossen, jedes lebende Wesen, jede Ordonnanz wurde mit Artillerie und Maschinengewehren beschossen.
Nach zwei Tagen wurden wir abgelöst. Abends im Finsteren zurück in die Stadt. Dort erhielten wir je zwei Mann einen Strutzen Bims (Brot). Im Finsteren nahmen wir Nachtlager im schönen Schloss. Es war ein schönes Schloss, vom Personal niemand zu sehen. Der Besitzer war vermögend, denn er musste ja ein Bataillon 36er (es waren Galizier) selbst erhalten.
In den schönen Zimmern war alles umgekehrt, Papier, zerbrochene Sachen, genug kostbare Spiegelscheiben. Einer fand eine Kassette mit Silberbesteck, welches dieser aber nach einigen Tagen im Schützengraben vergrub. Gegen Morgen kamen wir wieder in die Gräben. Etwas mehr rechts. Die feindliche Linie war 1200 bis 1500 Schritte entfernt. Es gab immer Gewehrfeuer. Man schlich in ein kleines Häuschen, wo man sich Kraut und Kartoffel kochte, aber der Russe schoss bis zum Ofen, sodass man sich wieder verrollen musste.
Abends kam wiederum Ablösung. Es wurde wiederum hinter der Stadt, wo wir in einem Garten die Menage hielten, und dann hinter Häuschen Rast hielten. Beim Morgengrauen marschierten wir wiederum 20 Minuten nordöstlich der Stadt in die Feuerlinie.
Es waren viele Scheunen dort, jede 20 bis 30 Schritte voneinander. Dort mussten wir uns erst besser eingraben. Man grub sich ordentliche Löcher, auch dass einem wärmer wurde. Da das feindliche Feuer nicht so stark war, so kroch auch ich in dieses Loch, um etwas zu schlafen. Da stürzte alles ein, ich war verschüttet. Meine Kameraden waren doch schnell und schaufelten mich aus.
In diesen Tagen war es auch, wo ich meinen zweiten Lieblingskameraden verlor, den Holzinger Sepp. Er bekam so heftige Leibschmerzen, sodass er in die Stadt zurück ging. Wie ich nach Jahren erfuhr, ist er am 10. November 1914 in Krakau im Spital an der Ruhr gestorben. Nun war ich allein, von uns dreien, die sich versprachen, uns nicht zu trennen.
Zurück zum Obigen. An diesem Tage nachmittags setzte ein heftiges Feuer ein. Es gab sehr viele Verwundete. Wie sich einer etwas über dem Graben zeigte, war er getroffen. Die feindliche Artillerie sandte ihre Geschoße unaufhörlich in die Stadt. Als wir am Abend in die Stadt zurückkamen, schaute es schon traurig aus. Von der schönen zweitürmigen Kirche war ein Turm glatt weggeschossen. Auf den gepflasterten Straßen waren Löcher, dass man ein Pferd hineinlegen hätte können. Vom schönen Schloss war im ersten Stock vom Erker ein Eck weggeschossen. Von unserer Küche traf es ein Pferd. Alle diejenigen, welche Rast hatten, wurden überall beschossen.
Wir erhielten nahe dem Bahnhof die zerkochte Menage und in Hütten Nachtquartier. Gegen Früh gingen wir zur Verstärkung der 6. Kompanie in die Gräben bei den Scheunen. In das Loch, wo ich hineinsprang, war ein Toter drinnen. Er war mir unbekannt. Da gab’s kein langes Handeln. Ich wälzte ihn über den Graben hinaus. Wie es lichter wurde, ging die Schießerei los. Sehen konnte man wenig, aber stets war ein schreckliches Feuer. Von der gegenüberliegenden Höhe sah man öfters Winken mit weißen Fähnchen, weiter weg auch Hurra-Geschrei.
Nachmittags sandte die Artillerie ihre Grüße und es fingen alle Scheunen zu brennen an, wo überall viele Verwundete drinnen waren. Bei der Nacht gingen wir wiederum zurück nächst dem Bahnhof, wo der Divisionsstab weilte, wo wir längs des Bahndamms rasteten. Gegen Früh gingen wir ungefähr längs der Bahn vorwärts, wo wir dann ungefähr links gegen den Feind vorgingen. Da begegneten uns welche vom Regiment Nr. 59, welche uns sagten dass das Regiment Nr. 14 im nahen Wald lagerte.
Nun, diese acht Tage haben wir ohnehin genug erlebt. So kehrten wir um und richtig trafen wir unser Regiment, sowie auch unseren Leutnant. Und Feldwebel Kitzberger gab uns, da alle Küchen kochen, nur die 7. nicht, je zwei Mann eine Konserve, später nochmals das gleiche. Da hatten wir einige Stunden Rast, wurde Wasser gesucht, dass man sich wieder einmal waschen konnte, aus der Montur war man schon über acht Tage nicht.
In diesem Wald traf ich wieder einmal den Wenzl Franzl aus Loibersdorf, auch dieser blieb im November am Feld der Ehre. Nach einigen Stunden Rast ging‘s vom Gefechtsplatz weiter zurück durch diesen langen Wald. Nach sechsstündigem Marschieren bezogen wir ein schlechtes Quartier, wo nichts zum Kaufen noch Stehlen war. Regimentsadjudant Hauptmann Eisner zerstörte unsere Kochfeuer, Rechnungsfeldwebel Kitzberger kam zum Frontdienst. Da unsere Fähnriche teils tot, teils verwundet waren, musste Feldwebel Kitzberger einen Zug übernehmen.
Und schon nach diesen Gefechten mussten wir hier exerzieren. Nächsten Tag marschierten wir ab. Es hieß, wir beziehen Winterquartier. Ein beschwerliches Marschieren in lauter Sand. Es war eine arme Gegend. Erwähnen möchte ich hier die Zisternenbrunnen mit den langen Hebebäumen.
Wir mochten ungefähr eineinhalb Stunden marschiert sein, kam Befehl Halt! Ganzes Regiment samt Train und alles zurück. Es wurde kurze Rast und Offiziersbesprechung abgehalten. Diesmal erhielt ein jeder eine Sardellenkonserve und so marschierten wir den gleichen Weg durch den langen Wald zurück. Bei der Nacht Ankunft. Ulanov, eineinhalb Stunden östlich von Nisko entfernt, aber da es höher lag, konnte man es sehen.
Diese Ortschaft hier war ganz zerschossen. Häuser, Gärten, alles verwüstet, alles ausgewandert. Unsere Stellung war nächst dem Pfarrhof, hieß es. Der Feind war sehr nahe, außerdem, hieß es, dass der Feind eine Brücke schlägt über den Sam-Fluss. Soviel auch unsere Artillerie feuerte, so konnte man wahrnehmen, dass der Feind immer stärker wurde.
Es war beiderseits ein sehr starkes Artillerie-, Maschinengewehr- und Gewehrfeuer. Dazwischen mischten sich die Hilferufe der Verwundeten und Hilflosen. Der Hunger trieb so manchen in die verwüsteten Häuschen auf Suche nach Lebensmittel, meistens Kartoffeln. Andere wollten ihre Notdurft nicht im Schützengraben verrichten, sprangen aus dem Graben, aber die meisten von diesen wurden verwundet und viele traf auch der Tod.
Tag für die Tag wurde die feindliche Übermacht stärker und die Überzahl der feindlichen Feuer größer. Zum Essen nichts, dafür aber Patronen genug. Alles ist aufgegraben und durchwühlt. Unser nächstes Haus, der Pfarrhof, wo sich die Offiziere aufhielten, wurde immer mehr bombardiert, bis es einstürzte. Ich hatte einige Male Ordonnanz, welche doch immer glücklich verliefen. Sonst hieß es immer: Schießen!, schwarmweise stets Schnellfeuer.
Unterdessen arbeitete man mit dem Spaten, damit man es wärmer hatte. Einzelne schliefen zeitweise. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. So verlief auch der 1. November im heftigsten Feuer und Kugelregen. Traurige Stunden, schwermütige Rückblicke an mein einstiges Glück. Hier den Tod vor Augen oder zu einem Krüppel gemacht.
Hunger über Hunger, denn ist es bereits der vierte Tag, dass wir [k]eine Menage bekommen hatten. Die eisernen Reserven (Konserven) sind auch schon verzehrt. So beginnt der 2. November, eine fünffache feindliche Übermacht ist uns gemeldet. Zu den Vormittagsstunden wurde ich gerufen, ich soll zur 8. Kompanie mit dem Befehl, stets Schnellfeuer zu halten, weil um 10 Uhr abends das Regiment abgelöst wird und unser Bataillon hier noch 36 volle Verschläge und einen ebenso großen Haufen lose Patronen hat. Zurück getragen wird nicht mehr.
Also verließ ich den Graben. Die 8. war nämlich weit entfernt, weil an uns die 9. und 10. Kompanie war, dazu manche Gräben wegen der Enge an manchen Stellen so kein Durchkommen war, und weiters ein sogenannter rechter Winkel zur 8. war. So nahm ich den Weg durch die verfallenen Gebäude. Ich wurde stets fürchterlich beschossen. Schon glaubte ich darauszukommen, weil ich schon dem Graben der 8. nahe war. Noch ein kleiner Hügel als Deckung, eine kurze Rast, zu den letzten Sprüngen. Doch ach, beim zweiten Sprunge traf mich das feindliche Geschoß. Ein Aufschrei, und ich war besinnungslos.
Von meiner Besinnungslosigkeit erwachend, konnte ich mich nur noch erinnern, dass ich gestürzt bin, als wenn mich ein Baum umgeschlagen hätte, so glaubte ich. Konnte mir nicht vorstellen, wo ich bin. In einem dunklen Raum auf einer Feldtrage, neben mir zwei Blessiertenträger28. Langsam kam ich zum Bewusstsein. Dann erzählten mir die zwei den Vorgang meiner Verwundung, dass ich, als ich getroffen wurde, aufschrie, sodass ich im Graben der 8. Kompanie gehört wurde, wo auch die zwei Sanitäter waren, welche mir zu Hilfe eilten, mich in eine leere eingedeckte Deckung brachten.
Sie sagten mir, dass ich am Bauche verwundet bin und da ein heftiges Schrapnellfeuer war, musste etwas zugewartet werden. Mir war sehr übel, konnte keine Bewegung machen. Die Sanitäter trugen mich unter heftigem Feuer zwei Stunden zurück zum Verbandsplatz, welcher so weit hinten im Walde war.
Vorher kam man schon zu verschiedenen Verbandsplätzen verschiedener Regimenter. Endlich kamen wir zu einem etwas besseren Häuschen, beim Häuschen und im Zimmer voll Verwundete.
Im Walde war alles voll Train und Wägen, welche alle zurückfuhren. Ich war froh, zum Arzt zu kommen, meine Träger waren froh, dass sie mich loshatten wegen der Schwere. Der Herr Assistenzarzt befahl den Sanitätern, mir Hose und Schuhe auszuziehen. Börse, Taschenmesser und dergleichen legten sie mir zum Kopf. Der Arzt schnitt von den zwei Hemden den vorderen Teil weg, wusch die Wunde am Bauch etwas ab, gab etwas Gaze und Watte darauf, in Kreuzform ein Heftpflaster darüber über die Wunde und die Behandlung war vorüber.
Ich sagte, ich habe auch hier bei der Hüfte am linken Fuß große Schmerzen. Er aber tröstete mich, ich solle ruhig sein. Ich werde direkt nach Linz kommen. In 4 – 5 Tagen können meine Lieben mich dort besuchen. Zu den Sanitätern gewandt befahl er, mich in der Trage liegen zu lassen, bis Wägen kämen für Verwundete, und wenn ich sehr viel Durst habe, mir nur einen Teelöffel voll Wasser zu geben. Den Sanitätern befahl er auch, sie dürfen nicht mehr hinausgehen und nächstes Mal sollen sie Nützlicheres hereinbringen. (Später kam mir erst zum Bewusstsein, was er gemeint hatte).
Es kamen immer mehr Verwundete. Der Herr Assistenzarzt wurde zum Herrn Oberarzt ins nächste Häuschen gerufen. Wie er zurückkam, sagte er, alle Verwundeten, die gehen können, müssen abmarschieren, gab ihnen Richtung und Ziel an. Nur die Schwerverwundeten bleiben, bis Wägen kommen, bestimmte vier Sanitäter, welche zu bleiben hätten. Denn das Regiment Nr. 14 marschiert um Mitternacht hier durch.
Der Herr Assistenzarzt erkundigte sich einige Male um mich, wunderte sich, dass ich nicht mehr Durst habe. Einige Male sagte ich ihm, dass ich sehr Schmerzen habe am linken Hüftgelenk. Immer beruhigte er mich, dass ich ohnehin nach Linz komme, dort wird alles gut. Abends brachten die Sanitäter einen verwundeten Hauptmann und einen Leutnant und einen Fähnrich. Für diese kam vor Mitternacht noch ein Fuhrwerk, für uns aber nicht!
Um Mitternacht marschierte mein Regiment 14 vorbei, auch die Ärzte und Sanitäter bis auf 4 Mann marschierten ab. Da bekam ich etwas wie Heimweh. Da wurde mir bange, weil ich nicht mitkonnte. Nachzügler kamen immer noch nach, bis gegen früh. Darunter war auch Herr Haugeneder aus Freistadt. Der Sanitätskorporal ging später auch fort, angeblich Wägen suchen, kehrte aber nicht mehr zurück!
Ungefähr 8 – 9 Uhr vormittags kam bestürzt der Herr des Hauses hereingestürmt, dass die Russen den eine Stunde entfernten Bahndamm besetzten. Jetzt ging der Jammer los. Die Sanitäter nahmen eiligst ihre Notwendigkeiten und auf und davon, trotz der Bitten der Verwundeten. So schleppten sich die Verwundeten hinaus. Wie weit? Welches Schicksal diese erreichte, erfuhr ich nie. So blieben nur ich und ein gewisser Pablitschek aus Oberneukirchen, welcher die Hand einmal und den Fuß mehrere Mal durchschossen hatte, und schon den Gipsverband hatte, allein in der Stube zurück.
Suchten uns gegenseitig zu trösten. Ein jeder sagte: Wenn sie uns nur nicht lange quälen, sondern schnell sterben lassen. Von draußen hörten wir Gejammer von den Einwohnern, wovon wir entnehmen konnten, wie sie um ihre Habseligkeiten ängstigten und selbe versteckten.
Endlich kam der Jude herein, fragte, wo die anderen wären. Er sagte, diese werden auch erwischt werden. Uns beiden verspricht er, uns zu beschützen, damit uns die Russen kein Leid zufügen. Dann befahl er seinen sieben Kindern, das Zimmer sauber zu reinigen, denn im Zimmer schaute es ja aus, voll Stroh, alles voll Blut, Verbandszeug, Ausrüstungsgegenstände, was besonders der Jude schnell hinaus räumte.
In kurzer Zeit war alles gereinigt. Ich blieb in meiner Feldtrage, der andere lag in einem Bett. Ein Bett wurde noch hereingebracht und das Zimmer eingerichtet. Die Russen hatten dort, wo das Regiment 14 war, welches vom Honvéd (ungarische Landwehr) abgelöst worden war, schon in den frühen Morgenstunden durchgebrochen. Ungefähr zwei Stunden nach diesem Rummel kamen die ersten Kosaken-Patrouillen. Der Jude war schnell draußen und meldete, dass sich hier Verwundete befinden. Die Kosaken schauten nur vom Pferd durchs Fenster ins Zimmer herein. Nach einiger Zeit prallte ein Fußsoldat mit seiner Heugabel (Gewehr) zur Tür herein. Wie er sah, dass nur hilflose Verwundete hier sind, drückte er sich wieder geschwind zur Tür hinaus.