Edition Historische Romane Friedrich Meister

Hrsg. Peter M. Frey

Der Vampyr ist der sechste Band aus der Reihe der neu gefassten Erzählungen von Friedrich Meister. In der Neufassung nimmt Peter M. Frey leichte Veränderungen am Originaltext vor, die der Lesbarkeit und der Übertragung in die heutige Zeit geschuldet sind. Ziel ist es, den Charakter des Originals so weit wie möglich zu erhalten. Im alphabetisch geordneten Glossar finden sich Erläuterungen zu Fachbegriffen aus der Seefahrt.

Peter M. Frey arbeitet als freier Journalist und Autor in Süddeutschland.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Der Vampyr

Eine Seegeschichte von Friedrich Meister

Neufassung und Digitalisierung von Peter M. Frey

Copyright © 2016 Peter M. Frey

Herstellung und Verlag

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783743184855

Friedrich Meister

Friedrich Meister wurde 1848 in Baruth in Brandenburg geboren und starb 1918 in Berlin. Er war ursprünglich ein Seefahrer der alten Schule. Zu seiner Zeit wurde der überseeische Handelsverkehr zum größten Teil noch durch Segelschiffe besorgt. Auf solchen Segelschiffen fuhr Friedrich Meister zehn Jahre lang durch alle Meere - die Polarmeere ausgenommen - und bei Sonnenschein und Sturm erlebte er manches Abenteuer. Dabei lernte er fremde Länder und Völker kennen. Er bereiste China, Siam, Japan und den Südsee-Archipel bis zur Küste von Neu-Guinea und nördlich davon, die Philippinen. Er war in Westindien, Nord- und Südamerika, England, Italien und Griechenland. Er sah die „Sultanstadt am Goldenen Horn“, das heutige Istanbul, und die Westküsten des Schwarzen Meeres. In Japan erkrankte er an einem Augenleiden, das ihn schließlich dazu zwang, den Seemannsberuf aufzugeben. An Land wusste er zunächst nicht, wovon er leben sollte. Er versuchte dies und das und gelangte schließlich zur Schriftstellerei. Friedrich Meister ist Autor zahlreicher Jugendbücher.

Aus dem Vorwort von ‚Burenblut’

Inhalt

Erstes Kapitel

Wie Deutschland seemächtig werden wollte und nicht konnte.

In englischem Dienst. - Vom Präventivgeschwader. - Der ‚Wolf’.

Eine düstere Vorahnung. - In See.

Schwarzrotgolden war die Flagge, unter der ich meine Seemannslaufbahn begann; sie wehte von der Gaffel der hölzernen Fregatte Deutschland.

Unter meinen jungen Lesern und Freunden wird mancher von einer solchen Fregatte und auch von einer deutschen Kriegsflagge in schwarzrotgoldenen Farben bisher noch nichts gehört haben, und doch ist diese Flagge einst der Hoffnungsstern gewesen, zu dem alle Patrioten, die eine deutsche Flotte ersehnten, begeistert aufschauten.

Man schrieb damals 1849. Im vorhergehenden Jahre hatte das kleine Dänemark mit ein paar alten, halbbemannten Fregatten unsere Küsten blockiert, viele unserer Handelsschiffe gekapert und unseren gesamten Seehandel lahmgelegt. Da rief alles nach einer deutschen Seegewalt, und in glühendem, patriotischem Eifer ging man an die Schaffung einer Flotte.

Hamburg machte damit den Anfang. Eins der fünf Kauffahrteischiffe, die es dem Reichsministerium zur Verfügung stellte, war die sogenannte Fregatte Deutschland, die sich zwar nicht als kriegstüchtig erwies, aber zur Ausbildung von Kadetten, damals Seejunker genannt, gut geeignet war.

Am 1. April 1849 zählte unsere Flotte - ich sage unsere Flotte, weil ich als Seejunker an Bord der Deutschland auch zu ihr gehörte - schon neun Kriegsdampfer und siebenundzwanzig Kanonenboote. Am 4. desselben Monats wurde in der Bucht von Eckernförde das dänische Linienschiff Christian VIII von den deutschem Strandbatterien in Brand geschossen und zerstört und die Fregatte Gefirn, ein schönes Kriegsschiff mit zweiundvierzig Geschützen den Dänen weggenommen und nach ihrer Ausbesserung der deutschen Marine einverleibt.

Nach dem Ruhmestage von Eckernförde brannten alle Mann in der Flotte vor Verlangen, sich ebenfalls mit den Dänen messen zu können, und als sich am 4. Juni unser Oberstkommandierender, der Commodore Brommy, entschloss, mit den drei Dampfern Barbarossa, Hamburg und Lübeck eine Erkundungsfahrt nach Helgoland zu unternehmen, da war der Jubel groß, und überglücklich schätzten sich alle, die zur Vervollständigung der Besatzung an Bord dieser drei Dampfer befohlen wurden. Zu den sechs Seejunkern, welchen man diese Auszeichnung zuteil werden ließ, gehörte auch ich, und zwar kam ich an Bord des Flaggschiffes Barbarossa.

Das Wetter war herrlich, als wir aus der Weser in die offene See hinausdampften. Helgoland kam in Sicht und bald darauf, eine Meile südlich von der Insel, die dänische Korvette Valkyrien. Ihre Segel hingen schlaff von den Rahen, und da sie in der herrschenden Windstille nicht manövrierfähig war, betrachteten wir sie schon als gute Prise.

Hoch klopften alle Herzen bei dem Signal: Kurs auf den Feind setzen. Bald darauf begann auch die Kanonade. Die Korvette führte, wie später bekannt wurde, zwölf kurze Achtzehnpfünder, und ihre Besatzung zählte noch nicht zweihundert Mann. Auf der Seite der Deutschen standen ihr die Barbarossa mit acht achtundsechzigpfündigen Bombenkanonen und die beiden andern Dampfer mit je einem langen Sechsundfünzigpfünder und einem Zweiunddreißigpfünder gegenüber: unsere Besatzungen zählten zusammen vierhundert Mann. Der Däne war mithin schon so gut wie unser, so dachten wir - aber es kam anders.

Wegen der großen Entfernung richteten die Geschosse auf beiden Seiten nur wenig Schaden an, und um die Sache kurz zu machen, ließ die Korvette Hamburg Volldampf angehen, um den Feind zu entern.

In diesem Augenblick fiel auf Helgoland, damals bekanntlich noch englischer Besitz, ein Kanonenschuss. Commodore Brommy stieß eine wilde Verwünschung aus und stampfte wütend das Deck. Dann gab er der Hamburg das Signal: In die Elbe einlaufen, und unmittelbar darauf ließ er den Flaggenbefehl flattern: Das ganze Geschwader Feuer einstellen. Die Schiffe drehten um und nahmen Kurs auf die Elbe.

Offiziere und Mannschaften standen sprachlos bei diesem Befehl, der ihnen die sichere Prise aus den Händen riss. Wenngleich sie stumm gehorchten, sah der Commodore doch wohl ein, dass er ihnen eine Erklärung seines Benehmens schuldig sei. Jener Schuss auf Helgoland war der Grund seiner unbegreiflichen Handlungsweise. Er sollte uns sagen, dass wir uns auf neutralem Gebiet, in englischem Gewässer befänden. Die Offiziere waren wütend; nach ihren Messungen betrug die Entfernung unserer Schiffe von Helgoland fünf Seemeilen, die Neutralitätsgrenze aber war damals auf drei Seemeilen festgesetzt. Sie hätten sich auch nicht an den Schuss gekehrt, aber Brommy war anderer Ansicht; er durfte es nicht darauf ankommen lassen, mit England in Streit zu geraten, das Dänemark freundlich gesinnt war und in Schutz genommen hatte und außerdem die schwarzrotgoldene Flagge nicht anerkennen wollte.

Wenige Tage darauf ließ der englische Premierminister Lord Palmerston durch die Times verkünden, es hätten sich bei Helgoland Kriegsschiffe unter schwarzrotgoldener Flagge gezeigt; ließen sie sich noch einmal sehen, dann würden sie durch englische Kriegsschiffe als Piraten aufgebracht werden.

Das war eine tödliche Beleidigung, aber die deutsche Reichsregierung konnte in ihrer Ohnmacht nichts dagegen tun. Zugleich war damit aber auch das Todesurteil über unsere Marine ausgesprochen. Sie durfte sich nicht mehr auf See zeigen. Sie war dem Fluch der Lächerlichkeit verfallen. Und nun kam auch sehr bald das Ende. Am 31. Dezember 1851 hörte die deutsche Flotte auf, Bundesflotte zu sein und ihre Veräußerung wurde beschlossen.

Im Mai 1852 traf der Bundeskommissar Hannibal Fischer in Bremerhaven ein, und unter seiner Leitung begann die Versteigerung der Schiffe und des Zubehörs, aber es dauerte fast noch ein Jahr, ehe alles beendet war. Am 31. März war ein Generalbefehl Brommys erschienen, der dem deutschen Volke verkündete, dass die deutsche Flotte aufgehört habe zu bestehen. So gehörte sie nur noch der Erinnerung an.

Die Offiziere der verkauften Schiffe, mit wenigen Ausnahmen ehemalige Steuerleute deutscher Kauffahrer, wandten sich teils diesem Beruf wieder zu, teils nahmen sie Dienste in ausländischen Flotten, am zahlreichsten in der englischen, wo man sie gern aufnahm und sie in den Rangklassen einreihte, welchen sie unter Commodore Brommy angehört hatten.

Ehe ich als Seejunker an Bord der Fregatte Deutschland gekommen war, war ich bereits vier Jahre auf preußischen Handelsschiffen gefahren, zuletzt als Vollmatrose. Zur Zeit der Auflösung der deutschen Marine zählte ich achtzehn Jahre. Meine guten Eltern hatte ich früh verloren. Ich stand ganz allein in der Welt unter der Obhut eines Vormundes, der ein braver Mann war, sich aber nur wenig um mich kümmerte. Er hatte nichts einzuwenden, als ich, dem Beispiele einiger Kameraden folgend, in England Dienste nahm.

Von jeher hat man jenseits des Kanals eine Vorliebe für deutsche Seeleute gehegt und diese vor allen andern Ausländern gern sowohl auf Kauffahrteischiffen, als auch auf Kriegsschiffen in Dienste genommen. Im allgemeinen ist diese Tatsache nicht an die große Glocke gehängt worden, das lässt der englische Nationalstolz nicht zu. Hin und wieder aber hat es dennoch auch dort drüben nicht an Leuten gefehlt, die offen auf diese Erscheinung hingewiesen haben, und sie damit zu erklären suchten, dass der deutsche Seemann nicht nur in allen Stücken dem britischen ebenbürtig, sondern auch zuverlässiger, weil nüchterner, sei als jener. Und da der Deutsche bekanntlich von alter Zeit her stets bereit gewesen ist, für fremde Herren Landsknechtsdienste zu tun, was sein Tatendrang und seine Abenteuerlust erklären, so hat es auch besonders in früheren Jahren der englischen Seefahrt an deutschen Kräften nie gefehlt. Heute hat Deutschland selbst eine große Marine, viele Kolonien und so ausgedehnte überseeische Verbindungen, dass der Dienst auf den Schiffen jener fremden Macht unseren jungen Seeleuten nicht mehr so verlockend erscheint.

Anders war es noch zu meiner Jugendzeit. Die Romantik des Seelebens blühte dazumal für uns Deutsche fast nur in englischen Diensten, und kein Seemann galt bei uns für voll, der nicht auf englischen Schiffen gefahren hatte.

Im fünften und sechsten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts hatten die Bestrebungen Englands, dem an der Westküste Afrikas in unerhörtem Maße betriebenen Sklavenhandel eine Ende zu machen, eine große Anzahl abenteuerlustiger Seefahrer aller Nationen zum Eintritt in das Geschwader bewogen, das zur Ausübung dieses sogenannten Präventivdienstes im Atlantischen Ozean, zwischen Westindien und Afrika, zu kreuzen hatte. Dass die Deutschen hierbei nicht fehlen konnten, liegt auf der Hand. Sie waren zeitweise, und namentlich nach der Auflösung der Reichsmarine so stark vertreten, dass einzelne Fahrzeuge des Geschwaders eine fast durchweg deutsche Besatzung hatten.

Commodore Brommy, der eine Zuneigung zu mir gefasst hatte, gab mir, als ich mich von ihm verabschiedete, ein in warmen Worten abgefasstes Empfehlungsschreiben an einen einflussreichen Mann in Portsmouth und ebnete mir so den Weg zu meiner neuen Laufbahn. Ich habe den edlen Mann nicht wieder gesehen: er starb am 9. Januar 1860. Es war ihm nicht vergönnt gewesen, das Morgenrot besserer Tage anbrechen, und wenn auch nicht die schwarzrotgoldene Flagge, so doch die schwarzweißrote des einigen und mächtigen Deutschen Reiches sich auf dem Ozean entfalten und sich die Achtung der Welt erringen zu sehen.

Dem Herrn, dem er mich empfohlen hatte, gelang es sehr bald, mir an Bord eines kurz zuvor vom Stapel gelaufenen Kriegsschiffes eine Stellung als Midshipman zu verschaffen. Dieses Schiff war eine Korvette von achtundzwanzig Kanonen - langen Achtzehnpfündern - und für den Dienst im Präventivgeschwader bestimmt. Sie war im Verhältnis zu ihrer Breite sehr lang, von feinen und anmutigen Formen und lag tief im Wasser. Reiches Schnitzwerk umgab die Kajütenfenster in dem schön geformten Heck, und der weit ausladende Vordersteven war mit einem in vergoldeter Holzbildhauerei künstlerisch ausgeführten springenden Wolf geziert nach dem die Korvette auch ihren Namen führte.

Täglich wanderte ich zum Dock, in dem das schöne Schiff, das mein künftiges Heim werden sollte, an seiner Werft lag. Ich konnte mich nicht an dem stolzen Bauwerk und seinen wundervollen Formen sattsehen. Vom Takelwerk standen bis jetzt nur die Untermasten mit den Marsstengen. Die Bramstengen befanden sich noch an Deck. Die Unter- und Marsrahen waren bereits aufgebracht. Bei näherer Musterung drängte sich mir der Gedanke auf, dass diese Rundhölzer - die Masten, Stengen und Rahen - eigentlich unverhältnismäßig groß und schwer für die Korvette seien. Sie hätten für ein Fahrzeug von doppelter Größe ausgereicht. Ich war bereits lange genug zur See gefahren, um dafür ein Auge und Verständnis zu haben.

Als später auch die Bramstengen an ihrem Platze waren, da verstärkte sich bei mir noch der Eindruck, dass die Takelung zu wuchtig für das Unterschiff sei, eine Ansicht, die auch von andern geteilt wurde.

Um die Mittagszeit pflegten die meisten der mit den Arbeiten an Bord beschäftigten Schauerleute nach Hause zu gehen, einige wenige blieben auf der Werft und verzehrten auf Kisten oder Fässern sitzend, die mitgebrachten Vorräte.

Ich hatte mich eines Tages wieder einmal eingefunden, um den Fortgang der Arbeiten zu beobachten. Beim Umherschlendern gelangte ich in die Nähe einiger ihre Mittagsrast haltenden Arbeiter, und so vernahm ich einige Äußerungen, die sie über das Schiff taten.

„Well, Tom, wie denkst du jetzt über den Huker?“

Der angeredete Mann schüttelte missbilligend den Kopf.

„Je länger ich ihn ansehe, desto weniger gefällt er mir“, antwortete er.

„Mir geht’s ebenso“, sagte ein anderer. „Ich bin froh, dass ich nicht mit ihm in See zu gehen brauche.“

„Auch meine Meinung“, nahm ein Dritter das Wort. „Da drüben liegt die Sirene, seht sie euch mal an. Sie ist eine Fregatte von achtunddreißig Kanonen, aber ihr Großmast ist nur um zwei Fuß höher als der des Wolf. Ich weiß das genau, denn ich habe beide Hölzer zuhauen helfen. Die Korvette ist übermastet, das ist ganz gewiss.“

Ich wandte mich um und verließ das Deck. Was ich da soeben gehört hatte, war eine Bestätigung meiner eigenen Ansicht und bedrückte mich. Für den Augenblick war meine Begeisterung für das schöne Schiff verflogen, und etwas wie eine düstere Vorahnung überkam mich, die ich jedoch, nach Seemannsart, bald wieder in den Wind schlug.

Eine Woche später erhielt ich von meinem Gönner, dem Bekannten des Commodore Brommy, einen Brief, in dem er mir mitteilte, dass Kapitän Vernon vom Wolf mich am nächsten Tage mit meiner Seekiste an Bord erwarte. Ich warf mich in meine neue Uniform, die der, die ich an Bord der Deutschland getragen hatte, sehr ähnlich war, machte dem Herrn einen Dank- und Abschiedsbesuch und begab mich dann in einem Mietsboot nach Spithead, wohin der Wolf inzwischen gesegelt war, um sein Pulver an Bord zu nehmen.

Die Korvette war nach kurzer Fahrt erreicht. Ich eilte die Fallreepstufen hinauf und stand im nächsten Moment vor der ehrfurchtgebietenden Persönlichen des ersten Leutnants auf dem Quarterdeck und meldete mich als an Bord gekommen. Ich will hier gleich anführen, dass ich von der englischen Sprache bereits soviel wusste, um mich ziemlich geläufig in ihr ausdrücken zu können.

Mr. Austin, so hieß dieser Offizier, war ein schöner, hochgewachsener Mann mit dunklem Haar und Bart; wie er so vor mir stand, die Hände auf dem Rücken, und mich mit seinen dunklen Augen wohlwollend von oben bis unten betrachtete, fühlte ich mich sogleich für ihn eingenommen, ein Gefühl, das sich im Lauf der Zeit durchaus rechtfertigen sollte.

„So, also an Bord melden Sie sich“, sagte er lächelnd. „Sie sind gewiss der junge deutsche Gentleman, von dem mir Kapitän Vernon erzählt hat. Sie waren Midshipman in der sogenannten deutschen Marine. Ist’s nicht so? Wie heißen Sie?“

„Paul Wetter.“

„Ganz recht, ich erinnere mich. Sie sind Mr. Wetter. Kapitän Vernon sagte mir, dass Sie von Ihrem Admiral an Mr. X. in Portsmouth bestens empfohlen worden seien. Wie lange fahren Sie zur See?“

Ich sagte es ihm. Er nickte befriedigt.

„Mr. Johnson“, wandte er sich an einen vorübergehenden Deckoffizier, „dies ist Mr. Wetter. Nehmen Sie ihn freundlichst unter ihren Schutz und geleiten Sie ihn zum Logis der Midshipmen.“

Ich folgte meinem neuen Bekannten, überwachte das Anbordnehmen meiner Siebensachen und stieg dann mit ihnen zu dem Ort hinab, der auf lange Monate mein Asyl sein sollte.

Der war eine geräumige aber sehr unzulänglich erhellte Kajüte im Zwischendeck, zu der eine Leiter weiter hinunterführte. Die Ausstattung bestand aus einem sehr fest gezimmerten Tisch, zwei ebenso stark gebauten Bänken und zwei Armstühlen, jedes Stück unverrückbar an Ringbolzen im Dock festgezurrt. Einige Wandbretter und ein Spiegel, sechs Zoll lang und vier Zoll breit, vervollständigten diese Einrichtung, mit der sich vier Midshipmen - meine Wenigkeit mitgerechnet - und zwei Mastersmaaten zu behelfen hatten. In die Schotten vorn und achtern waren starke Haken zur Anbringung der Hängematten eingeschraubt. Von einem der Decksbalken hing eine mit Hornscheiben versehene und ein Talglicht enthaltene Laterne herab.

Ich wählte einen Platz für meine Kiste aus, die sodann von einem Schiffsjungen, der hier unten die Bedienung hatte, festgezurrt wurde, und begab mich wieder an Deck.

Während dieses Tages und auch während des ganzen folgenden Tages hatten alle Mann alle Hände mit der Ergänzung der Vorräte und den Vorbereitungen zum Auslaufen zu tun. Am Morgen des zweiten Tages nach meinem Dienstantritt wurden das Vormarssegel losgemacht, der blaue Peter im Vortopp geheißt, die Boote binnenbords genommen und dann alle Mann zum Frühstück gepfiffen. Um elf Uhr vormittags kam der Kapitän an Bord, der bis dahin an Land gewohnt hatte, dann ging es ans Ankerhieven, die Segel wurden gesetzt, und vor einer pfeifenden Brise aus Ostsüdost rauschte die Korvette hinaus in die offene See.

Zweites Kapitel

Am Kongo. - Auf dem Creek im Tropenwald.

Antilope und Krokodil. - Tropischer Nachthimmel. - Giftige Nebel.

Die gute Brise brachte uns schnell durch den Kanal und halbwegs über die Biscayische See, wobei das Schiff sich als ein trefflicher Schnellsegler erwies, so dass sich alle Mann, vom Kapitän abwärts, in bester Stimmung befanden. Dann trat ein Wechsel ein, der Wind sprang nach Südwest herum, das Wetter wurde böig und die Korvette musste mit scharf angebrassten Rahen hart an den Wind gepresst werden. Hierbei machten wir eine höchst unangenehme Entdeckung an unserm Fahrzeug, nämlich die, dass es in bedenklichem Grade rank war.

Wir erreichten unseren nächsten Bestimmungsort, Sierra Leone, nach einer Fahrt von etwas über drei Wochen. Hier hielten wir uns nur wenige Stunden auf und setzten, sogleich nachdem der Kapitän vom Gouverneur seine Befehle erhalten hatte, die Reise zu der Mündung des Kongo fort, wo wir den Leopard zu finden hofften, den der Wolf auf der dortigen Station ablösen sollte. In der Hoffnung, unterwegs eine Prise machen zu können, ließ der Kapitän dem Schiffe nur wenig Leinwand geben, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, und mit leeren Händen langten wir nach einer Fahrt von weiteren dreiundzwanzig Tagen auf der Höhe der Kongomündung an. Gleich am nächsten Morgen bekamen wir den Leopard in Sicht, und eine Stunde später lagen wir dicht beieinander. Der Kapitän kam an Bord und machte unserm Kommandanten allerlei Mitteilungen. Gegenwärtig, so sagte er, befänden sich keine Sklavenfahrzeuge im Fluss, aber er habe die Nachricht erhalten, dass drei Schiffe von Kuba hier täglich erwartet würden. Auch bestätigte er, was unser Skipper von dem Gouverneur von Sierra Leone bereits vernommen hatte, nämlich dass große Mengen von gefangenen Schwarzen, die am Ufer flussaufwärts angesammelt waren, um an die Sklavenkäufer ausgeliefert zu werden, von Zeit zu Zeit auf geheimnisvolle Weise verschwunden seien, und zwar, wie man festgestellt hatte, immer nur dann, wenn man außer Kriegsschiffen keine andern Fahrzeuge in der Gegend gesichtet hatte.

Um die Mittagzeit machte der Leopard sich auf die Heimreise nach England, wo seine Mannschaft abgemustert werden sollte. Wir aber brassten wieder voll und gingen nach kurzer Fahrt zwei Seemeilen von Padron Point, dem südlichen Vorland der Flussmündung, in neun Faden Wasser zu Anker.

Obgleich der Kapitän des Leopard versichert hatte, dass gegenwärtig keine Fahrzeuge im Kongo seien, wollte unser Skipper sich doch selbst von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen. Verhielt es sich wirklich so, dann gab es keine günstigere Gelegenheit für uns, den Fluss ohne Belästigung zu erforschen und kennen zu lernen, um dann, wenn es erforderlich wurde, mit der Korvette schnurstracks hineinlaufen zu können, ohne erst lange wie mit verbundenen Augen umhertappen zu müssen.

Gleich nach dem Mittagessen wurde die Gig zu Wasser gebracht, Mr. Austin übernahm ihre Führung, und ich wurde ihm gleichsam als Adjutant beigegeben. Alle Mann waren in voller Bewaffnung. Die Brise war inzwischen einer völligen Windstille gewichen. Die Sonne brannte mit unbarmherziger Gewalt hernieder, als wollte sie uns auf unseren Duchten bei lebendigem Leibe rösten. Wir hatten eine lange Fahrt vor uns, denn obgleich das Schiff nur zwei Seemeilen vom Land entfernt lag, so mussten wir, ehe wir in den Fluss hineingelangen konnten, erst noch an einer in nordöstlicher Richtung liegenden, sechs Seemeilen entfernten Landzunge vorbeikommen, die den Namen Shark Point führte, wie Mr. Austin mir sagte. Zum Glück hatte die Flut eingesetzt ehe wir uns auf den Weg machten, und so war uns die Strömung günstig.

Nach langem und mühseligem Rojen hatten wir endlich Shark Point hinter uns. Weit dehnte sich der gewaltige Strom aus, der hier mindestens sechs Seemeilen breit war. Wir richteten unser Augenmerk zunächst auf die vielen Creeks, die sich auf unserer linken Seite in den Kongo ergossen und in welchen allerlei Fahrzeuge leicht Unterschlupf finden konnten. Wir untersuchten einige von ihnen. Sie waren von nur geringer Tiefe und ihre Ufer waren aus graubraunem, übelriechendem Schlick gebildet, nur ein wenig dicker als Erbsensuppe. An ein Anbordnehmen von Sklaven war in diesen Creeks nicht zu denken.

Ein paar Seemeilen weiter aufwärts kamen wir an die Mündung eines größeren Creeks, der etwa eine halbe Seemeile breit war. Wir rojten hinein. Die Ufer waren dicht mit Mangroven bestanden, Sumpfbäumen, deren Wipfel sich ungefähr zehn Meter über den Boden erhoben. Die Stämme dieser Bäume reichten jedoch nicht bis auf den Boden herab, sondern ruhten auf knotigen Wurzeln, die in hohen Bogen aus dem Erdreich emporwuchsen. Diese Wurzeln zerteilten sich nach allen Richtungen, so dass man die Bäume mit vielfüßigen Geschöpfen hätte vergleichen können, die mit den Wurzeln oder Füßen ihrer Nachbarn ein wirres Durcheinander bildeten. Das Ganze war von Schlinggewächsen durchwoben, die teils von den Wurzelbogen herabhingen, teils sich oben in den Baumkronen verloren.

Wir fuhren eine weite Strecke aufwärts, bis der Creek nur noch eine Breite von hundert Metern und eine Tiefe von sechs Fuß hatte. Hier hörte der Mangrovensumpf auf, die Ufer verwandelten sich in sanft abfallende Rasenböschungen, über welchen sich ein dichter Dschungelwald erhob, dessen Blattwerk buchstäblich alle Farben des Regenbogens zeigte. Grün in allen seinen Schattierungen war natürlich vorherrschend, von den zarten blassen Tinten der sprossenden Blättchen, bis zur dunklen beinahe schwarzen Olivenfarbe. Da war Laub von rötlicher Bronze, abwechselnd mit Büscheln schwertförmiger, fein aschgrau getönter Blätter. Anderes Laub erglühte in brennendem Scharlach, noch anderes war dicht mit kurzem, weißem, wie Atlas erschimmerndem Pelz bedeckt - ich finde keine andere Bezeichnung dafür -, und diese Blätter glänzten und blitzten im Sonnenlicht wie poliertes Silber. Viele der Bäume prangten in reichem Blütenschmuck, herrlich in Farbe und Form. Dazu sah man überall die Passionsblumen und andere blühende Lianenarten in so unendlicher Verschiedenheit, dass ein Botaniker sich hier im siebenten Himmel des Entzückens gewähnt hätte.

Auch war dieser Dschungelwald keineswegs unbewohnt, denn ab und zu hörten wir ein scharfes Knacken von Zweigen und Ästen in seinen Tiefen, neben andern geheimnisvolleren Lauten. Gelegentlich sahen wir auch Affen in dem Gezweig der höheren Bäume, und Vögel von prachtvollem Gefieder huschten von einem Wipfel zum andern oder schossen blitzschnell über die Creek.

Wenngleich wir bereits weiter vorgedrungen waren, als ein Schiff, wenn auch von kleinstem Tonnengehalt, hätte gelangen können, so hatte uns der Zauber dieser wunderbaren Natur doch so bestrickt, dass wir langsam noch eine Seemeile weiter paddelten. Bald trat der Wald auf beiden Seiten bis unmittelbar an das Wasser heran, das hier nur noch hundert Fuß breit und vier Fuß tief war. Die Kronen der größeren Bäume neigten sich gegeneinander und schlossen bald das Sonnenlicht fast vollständig aus; es herrschte nur noch ein grünes Zwielicht, an das unsere Augen sich erst gewöhnen mussten, ehe sie etwas zu unterscheiden vermochten.

Die Überwölbung wurde schließlich so dicht, dass wir auf eine Strecke von hundert Metern einen regelrechten Tunnel vor uns sahen. Als das Boot hier hineinglitt, hielten die Matrosen unwillkürlich mit Rojen inne, ließen das Fahrzeug treiben und blickten um sich, verloren in Staunen und Bewunderung.