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Edition Raumfahrt

© 2016 Bernd Leitenberger

http://www.raumfahrtbuecher.de

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

2.te Auflage 2016

ISBN-13: 978-3-74315-758-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Vega war der Grund, warum ich mein Buch „Europäische Trägerraketen: Band 2 Ariane 5 und Vega“ um ein Jahr verschob. Nun ist der Erststart erfolgt. Dies war der Anlass dieses Buch fertigzustellen. Ich habe mein Manuskript um die Arbeit während der letzten zwei Jahre ergänzt, Daten aktualisiert und um das Kapitel über den Jungfernflug erweitert. Das Kapitel über die geplanten Weiterentwicklungen konnte durch die Ergebnisse der VENUS-II Studie ausgebaut werden.

Dieses Buch wäre nicht ohne fremde Unterstützung zustande gekommen. Ich möchte der ESA für den Zugang zur „Fotobibliothek für Professionals“ danken. Martin Sippel vom DLR stellte mir Artikel und Studien die VENUS-Oberstufe zur Verfügung. Thomas Jakaitis und Kevin Glinka haben sich des Manuskripts angenommen und es zur Korrektur gelesen. Michel Van hat eine Grafik für dieses Buch erstellt und zur Veröffentlichung freigegeben. Alle anderen Grafiken und Diagramme stammen von der ESA, sofern nicht anders vermerkt.

Den Installationen in Kourou und dem Bodennetzwerk ist ein eigenes Kapitel gewidmet, welches den Ausbau des europäischen Weltraumbahnhofs CSG (Centre Spatial Guyanais) in Französisch-Guayana beschreibt. Es behandelt nur die Anlagen für die Vega, nicht die für Ariane und Sojus.

Das Buch soll gleichzeitig Nachschlagewerk sein, wie auch ein Buch über die Vega, das man „von vorne bis hinten“ durchliest. Das machte einige Kompromisse nötig. Ich habe mich für kurze Wiederholungen entschieden, anstatt Querverweise zu setzen, um es dem Leser zu erlauben nachzuschlagen, ohne hin und her blättern zu müssen.

Die zweite Auflage wurde durch die Ergebnisse der folgenden Flüge (bis VV08) ergänzt und vor allem die Entwicklung der Vega um die Vega C erweitert.

Und nun: Attention pour le grand finale: dix, neuf, huit ….

Feste Treibstoffe – Alt und doch neu

Am Beispiel der Vega, eine moderne Feststoffrakete, zuerst als Grundlage eine kleine Einführung in die Technologie von Feststoffraketen.

Feste Treibstoffe werden in Form von Pulverraketen seit Hunderten von Jahren eingesetzt, doch erst in den letzten Jahrzehnten wurden die heutigen Feststoffantriebe entwickelt. Bisher können nur wenige Nationen große und leistungsfähige Feststoffantriebe bauen. Russland hat diesen Schritt bei zivilen Trägerraketen noch nicht getan.

Die heute verwendeten, modernen festen Treibstoffe bestehen aus drei Komponenten:

Der Binder ist die wichtigste Neuerung bei den modernen festen Treibstoffen. Er erlaubt es, Mischungen zu erzeugen, die kontrollierbar und linear abbrennen. Dabei entschärft der Binder den Treibstoff. Die früher verwendete Mischung von Stoffen, wie das klassische Schwarzpulver, konnte explodieren, wenn es nicht gleichmäßig in die Form gepresst wurde. Als Binder werden Polymere verwendet, die durch einen Radikalstarter bei der Produktion vernetzt werden. Dabei werden in Mischern Aluminium und Ammoniumperchlorat zugemischt und die Mischung gerührt, bis sie zähflüssig ist und sich das schwere Aluminiumpulver nicht mehr abtrennt. Nach einigen Tagen des Aushärtens wird eine gummiartige Masse erhalten. Sie brennt nur an der Oberfläche. Selbst bei einer Explosion, wie sie bei der Selbstzerstörung eines Boosters vorkommt, explodiert der Treibsatz nicht. Im Gegenteil: Wenn der Brennkammerdruck abnimmt, verlöscht er. Der spezifische Impuls konnte gegenüber früheren Mischungen gesteigert werden. Er liegt heute bei einem Spitzenwert von etwa 2900 m/ s – nur wenig unterhalb des Wertes von NTO/MMH, einem häufig eingesetzten lagerfähigen Treibstoff, der z. B. im AVUM der Vega verwendet wird.

Der Schubverlauf eines Feststoffantriebs kann auf zwei Arten beeinflusst werden. Beide Möglichkeiten bestehen allerdings nur während der Herstellung.

Abbildung 1: Schub/Zeitverhalten beim Sterninnenbrenner und normalen Innenbrenner

Der erste Ansatzpunkt ist der, den Treibsatz in eine passende Form zu gießen, sodass sich eine geeignete Geometrie ergibt. Der Schub eines Feststofftriebwerks ist proportional zur abbrennenden Oberfläche. Ein fester Treibsatz weist in der Mitte ein Loch auf, welches sich vom Anfang bis zum Ende des Treibsatzes erstreckt. Durch die Form der Öffnung sind Form und Größe seiner brennenden Oberfläche bestimmt, weil der Treibsatz von Innen nach Außen abbrennt. Während der Herstellung befindet sich in der Höhle ein Zapfen, der nach dem Aushärten entnommen wird.

Große Booster werden aus Segmenten hergestellt, die dann separat befüllt werden. Es ist bei großen Boostern üblich, ein Segment schrittweise zu befüllen. Bei den Boostern der Ariane 5 werden für ein Segment insgesamt zehn Chargen benötigt. So kann man die Geometrie und Zusammensetzung innerhalb eines Segments zusätzlich variieren.

Heute gibt es zwei verbreitete Geometrien für die Öffnung: den Sterninnenbrenner, bei dem die Öffnung im Treibsatz eine Sternform aufweist und den normalen Innenbrenner. Der Innenbrenner hat eine kreisförmige Öffnung in der Brennkammer, der Treibstoff befindet sich in einem Kreiszylinder und schließt mit der Wand ab. Da die Höhle beim Abbrand immer größer wird, steigt der Schub laufend an. Sterninnenbrenner haben eine sternförmige Oberfläche. Je nach geometrischer Form kann der Schubverlauf sehr komplex sein. In der Regel sind Sterninnenbrenner aber Antriebe mit kurzer Brennzeit und gleichmäßigen Schub.

Die bei Feuerwerksraketen übliche Variante, ohne zentrale Öffnung, der Stirnbrenner, mit konstantem Schub wird bei Trägerraketen nicht eingesetzt. Er hat den Nachteil, dass die Brennkammerwand über die ganze Brennzeit hohen Temperaturen ausgesetzt wird. Bei den Innenbrennern erreicht die Flammenfront die Gehäusewand erst zum Brennschluss.

Die zweite Möglichkeit zur Steuerung des Schubverlauf besteht, durch die Zusammensetzung des Binders die Abbrandrate zu verringern oder zu beschleunigen.

Abbildung 2: Schubverlauf: P8ßFW, Zefiro 23 und Zefiro 9 (von oben nach unten)

Werden verschiedene Mischungen schichtenweise aufgetragen, so sind mit dieser Methode komplexe Schubverläufe möglich. Die Abbrandrate beschleunigen Katalysatoren (z.B. Eisen). Theoretisch möglich ist auch der Einsatz von Inhibitoren, welche wie Flammlöschmittel den Abbrand verlangsamen. In der Praxis werden aber nur Katalysatoren eingesetzt.

Wenn die Nutzlast von der Norm stark abweicht, also besonders leicht ist, so gibt es bei Oberstufen noch die Möglichkeit Treibstoff wegzulassen: „Off-Loading“. Dem sind jedoch Grenzen gesetzt. 10% Off-Loading ist bei vielen Stufen möglich, bei einigen sogar 20%. Dieses Verfahren wird nicht bei der Vega eingesetzt. Das AVUM ist bei der Vega verantwortlich, dass die Zielgeschwindigkeit erreicht wird.

Die Grafik links zeigt den Schubverlauf der drei Stufen der Vega mit unterschiedlichen Strategien. Die Erststufe soll einen möglichst hohen Startschub erreichen, um die Rakete schnell aus der Atmosphäre zu bringen. Da dadurch aber auch die aerodynamischen Kräfte maximal werden, sinkt der Schub kurz nach dem Start erst ab, um dann nach Passieren des MAX-Q also der maximalen aerodynamischen Belastung wieder langsam anzusteigen.

Die Zefiro 23 Stufe startet mit hohem Schub, der dann langsam abnimmt. Sie hat nahe der Düse eine sternförmige Höhle, die dann weiter oben in einen Zylinder übergeht. So verringert sich die Spitzenbeschleunigung. Kurz nach Zündung der Zefiro 9 Stufe wird die Nutzlastverkleidung abgetrennt. Dies mag der Grund sein, warum bei dieser der Schub zuerst langsam ansteigt. Sobald er das Maximalniveau erreicht hat, weist dieser Antrieb dieselbe Kurve wie die zweite Stufe auf.

Wie funktionieren Feststoffbooster?

Feststoffbooster bestehen aus einer stabilen Hülle, einer Düse und einem Zünder. Die Hülle muss viel massiver als die Treibstofftanks einer Stufe mit flüssigen Treibstoffen sein, da sie dem Verbrennungsdruck widerstehen muss. Sie entspricht der Brennkammer des Triebwerks bei Stufen mit flüssigen Treibstoffen. Bei den Ariane 5 Boostersegmenten besteht die Wand aus 8 mm starken Stahlzylindern. Die Wand der Vega Booster ist noch dicker, aber es wird ein leichterer Werkstoff (Kohlefaserverbundwerkstoff) verwendet.

Der Zünder ist ein kleines Feststofftriebwerk im Kopf des Boosters, das bei der Zündung eine Flamme in den Verbrennungsraum schickt und diesen entzündet. Danach baut sich innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde der Schub auf. Die Vega erreicht schon nach 0,3 s den zum Abheben nötigen Schub. Die Oberfläche brennt dann langsam ab, wobei die Abbrandrate abhängig vom Innendruck und der Mischung ist. Da sich der Innenraum laufend vergrößert, nimmt der Druck im Laufe der Brennzeit ab und damit variieren Abbrandrate und Schub. Wenn die Flammenfront die Wand erreicht, stoppt die Verbrennung. Unterschreitet der Druck im Booster einen Minimalwert, so erlischt der Booster. Es verbleiben daher immer unverbrannte Reste in einem Triebwerk. Bei den Ariane 5 EAP sind dies rund 900 kg pro Booster. Da zum Ende hin der Schub langsam abfällt, es aber nicht die Möglichkeit einer Abschaltung zu einem bestimmten Zeitraum gibt, ist die Brenndauer eines Feststofftriebwerks eine Definitionssache. Üblicherweise wird das Unterschreiten eines bestimmten Schubniveaus als Brenndauer genommen. Je nach dessen Festlegung schwanken daher die Angaben. Da bei Feststofftriebwerken der Schub über die Betriebsdauer nicht konstant ist, ist eine andere Größe wichtiger als diese beiden Angaben. Es ist der Gesamtimpuls. Darunter versteht man die Energie, welche der Antrieb über die gesamte Brennzeit aufbringt. In den Diagrammen entspricht er der Fläche unter der Schub/Zeitkurve.

Je länger ein Booster ist, desto größer ist die Abbrandfläche und desto dünner ist die Schicht, die als Treibsatz fungiert. Ein sehr langer und schmaler Booster hat daher einen hohen Schub und eine kurze Brennzeit. Der Rekord liegt bei 145 s Brennzeit bei den Titan IVB SRM. Sie werden aber heute nicht mehr produziert.

Es gibt eine Reihe von Besonderheiten. Die Düsen können nicht aktiv gekühlt werden. Sie bestehen daher aus hochtemperaturfesten Materialien und sind meistens mit einem hochtemperaturfesten Schutz belegt, der ablativ verbrennt (z. B. Graphit). Ein Problem, das beim Entwurf berücksichtigt werden muss, ist, dass das Verbrennungsprodukt Aluminiumoxid schon bei den Temperaturen in der Brennkammer auskristallisiert. Es muss gewährleistet sein, dass es sich nicht am Düsenenghals ablagert.

Der spezifische Impuls

Der spezifische Impuls ist eine wichtige Kenngröße für einen Antrieb. Je höher er ist, desto weniger Treibstoff benötigt eine Rakete, um eine vorgegebene Geschwindigkeit zu erreichen. Er hängt vor allem von der Treibstoffkombination, aber auch der technischen Auslegung des Triebwerks ab. Als Maß genutzt wird die Ausströmgeschwindigkeit der Gase, wenn sie die Düse verlassen. Er hat die Dimension einer Geschwindigkeit [m/s] = [N×s/kg]. Wird im Imperial-Einheitensystem (USA) gerechnet, dann ergibt sich ein ungefähr zehnmal niedrigerer Wert mit der Einheit einer Zeit [s]. Wird dieser Wert mit der Erdbeschleunigung multipliziert, so resultiert der spezifische Impuls in SI-Einheiten.

Die Schubrichtung (Schubvektor) konnte lange entweder nicht verändert werden (fest angebrachte, nicht schwenkbare Düsen) oder wurde durch Injektion von flüssigem Treibstoff beeinflusst. Dabei wird z.B. Stickstofftetroxyd in den Düsenhals oder die Düse injiziert. Es erhöht den Sauerstoffanteil und führt zu einer Nachverbrennung mit einem lokal höheren Schub, welcher dann die Schubrichtung beeinflusst.

Schwenkbare Düsen sind die modernsten Konstruktionen. Die Ersten wurden bei den Shuttle SRM eingesetzt. Die Ariane 5 war die zweite Großrakete, welche diese Technologie nutzte. Die technische Herausforderung besteht darin, dass zum einen die Düse beweglich sein muss und zum anderen die Bewegung gegen den Brennkammerdruck erfolgt. Dazu werden sehr hohe Kräfte benötigt. Bei den Shuttle-SRM gab es einen Gasgenerator, der Hydrazin verbrannte, um Arbeitsgas für eine pneumatische Schwenkung zu liefern. Bei den Ariane 5-Boostern liefert eine Hydraulik die benötigte Kraft. Druckgas bewegt die Hydraulikflüssigkeit. Bei der Vega sind elektromechanische Schwenkvorrichtungen im Einsatz, die wesentlich einfacher und preiswerter als die hydraulischen oder pneumatischen Systeme sind. Ermöglicht werden sie durch leistungsfähige Batterien, die hohe Leistungen bei kurzen Betriebszeiten liefern.

Fortschritte gibt es auch bei der Fertigung von leichten Gehäusen. Durch den Innendruck von 40 – 90 Bar waren Gehäuse bei großen Stufen bisher aus Stahl gefertigt und schwer. Oberstufen wie die PAM-D oder Burner-II Oberstufe sind erheblich kleiner und wurden schon vor Jahrzehnten aus Glasfaser- oder Kohlefaserverbundwerkstoffen hergestellt. In beiden Fällen ist die Wand mit einem Thermalschutz überzogen, früher meist ein Asbestfasergeflecht. Heute werden ausgehärtete Silikat-Phenolharzmischungen oder synthetische Gummis, welche verkohlen und dann isolieren, eingesetzt.

Die Möglichkeit, sehr große Gehäuse aus Graphitfaser-Verbundwerkstoffen herzustellen (eine Technologie, die vom Flugzeugbau übernommen wurde), erlaubt heute nicht nur hervorragende Voll-/Leermassenverhältnisse zu erreichen, sondern auch den Brennkammerdruck zu steigern. In der Summe sind heute Feststoffantriebe schon fast so leistungsfähig wie Stufen mit mittelenergetischen flüssigen Treibstoffen, wie der Vergleich der letzten Stufe der Vega mit der EPS-Oberstufe der Ariane 5G zeigt:

EPS-Oberstufe Zefiro 9A
Startgewicht: 11.200 kg 11.485 kg
Trockengewicht: 1.200 kg 915 kg
Massenverhältnis: 9,33 12,55
Spezifischer Impuls: 3178 m/s 2903 m/s
Expansionsverhältnis: 84 72,5
Brennkammerdruck: 11 bar 67 bar

Ein Vorteil des Feststoffantriebs ist, dass er einfacher als eine Stufe mit flüssigem Treibstoff vergrößert werden kann. Das Verlängern der Tanks einer Stufe wurde bei zahlreichen Trägern angewandt (so bei Ariane 1-4, Atlas, Delta oder Titan). Aber da der Schub des Triebwerks gleich bleibt, sind dem Grenzen gesetzt. Bei den meisten Typen war dies nur möglich durch die Startunterstützung mit Boostern oder ein neues Haupttriebwerk.

Wird ein Feststoffbooster verlängert, so steigt der Schub linear an, während die Brennzeit konstant bleibt. So wurden die Titan-Booster von fünf zuerst auf fünfeinhalb und dann sieben Segmente verlängert. Anpassungen sind trotzdem an der Düse notwendig. Zudem verändert sich die Belastung der Rakete durch die induzierten Vibrationen. Dies macht in der Regel weitere Modifikationen bei den anderen Stufen notwendig. Trotzdem ist die Vorgehensweise einfacher als bei einer Stufe mit flüssigen Treibstoffen. So entstand aus dem Zefiro 16 Antrieb durch Verkürzen der Zefiro 9 Antrieb und durch Verlängern der Zefiro 23.

Abbildung 3: Entwicklungsmodell des Motorgehäuses des Z9 Antriebs. Vorne ist das Graphitfasergeflecht zu erkennen.

Ein Nachteil des festen Treibstoffs ist die ökologische Belastung. Bei der Verbrennung entsteht Salzsäure. Deren Freisetzung in der Stratosphäre kann die Ozonschicht schädigen.

Der größte Nachteil eines Feststoffboosters sind Vibrationen und wie sie übertragen werden. Bei einem Antrieb mit flüssigen Treibstoffen entstehen sie in einem Punkt: im Triebwerk. Es gibt Möglichkeiten, die Vibrationen zu dämpfen: im Schubgerüst durch dessen Konstruktion, und bei den Treibstoffleitungen durch Druckgas, das die Kavitation unterdrückt. Bei den Feststoffboostern entstehen zum Einen vor allem niederfrequente Schwingungen, welche in viel stärkerem Ausmaß Treibstoffe zum Schwappen bringen. Zum anderen ist die Amplitude, also die Intensität pro Schwingung, höher.

Der Effekt ist auch abhängig davon, wo die Schwingungen übertragen werden. Bei der Titan erfolgte dies über den Stufenadapter der ersten Stufe. Das machte eine Verstärkung der zweiten Stufe notwendig. Allerdings setzte diese Stufe Treibstoffe mit hoher Dichte ein, sodass das Zusatzgewicht verschmerzbar war. Bei Ariane 5 erfolgt die Übertragung ebenfalls im Stufenadapter, sodass die EPC kaum betroffen ist. Dagegen werden Oberstufen und Nutzlast stark durchgeschüttelt. Bei der EPS-Stufe war dies nicht problematisch: Sie verwandte wegen der Druckgasförderung dickwandige Tanks. Bei den kryogenen Oberstufen ESC-A und B mit den großvolumigen Wasserstofftanks ergibt sich jedoch ein sehr hohes Trockengewicht. Das zeigte sich auch bei den Studien des DLR-SART für Oberstufen für die Vega. Sie alle wiesen ein sehr hohes Trockengewicht auf, da der Treibstoff durch die niederfrequenten Vibrationen stark zum Schwappen neigt.

Hier liegt eine mögliche Lösung im Einsatz von CFK-Werkstoffen für das Schubgerüst und der leichtgewichtigen Aluminiumlegierung 2195 für die Tanks. Beide Maßnahmen können das Strukturgewicht wieder senken. Eine weitere Alternative ist die Innendruckstabilisierung, wie sie auch die EPC einsetzt. Aufwendiger sind spezielle Systeme zur Vibrations-dämpfung, die im Ariane 5 Stufenadapter zum Einsatz kommen und auch für die Ares I vorgesehen waren.

Der Hauptvorteil von Feststofftriebwerken ist ihr einfacher Aufbau. Die Zuverlässigkeit ist dadurch recht hoch: Bei 430 Starts der Thor und Delta mit Castor und GEM-Boostern (die meisten davon in der Konfiguration mit neun Boostern) gab es nur zwei Fehlstarts aufgrund der Booster. Ihr einfacher Aufbau lässt nur wenige Fehlerquellen zu.

Durch die kurze Betriebszeit ergibt sich ein weiterer Vorteil: Eine Feststoffrakete muss weniger Energie aufwenden, um einen Orbit zu erreichen, als eine Rakete mit flüssigen Treibstoffen. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass die Rakete während des Starts in die Höhe steigt. Das ist zwar nötig um die Umlaufsbahn zu erreichen, die ja in mindestens 200 km Höhe liegt, aber dabei wird auch der Treibstoff mit angehoben. Diese Hubarbeit ist unnütze Energie, die von der Rakete aufgebracht werden muss. Je kürzer die Brenndauer ist, desto geringer ist diese Hubarbeit. Auf der anderen Seite sollte die Brenndauer nicht zu kurz sein, weil sonst die Spitzenbeschleunigung hoch ist. Bei den kurzen Brennzeiten von Feststoffantrieben kann es nötig sein, Freiflugphasen einzulegen. Bei der Vega gibt es eine kurze Freiflugphase zwischen dem Ausbrennen der Zweiten und Zündung der dritten Stufe.

Abbildung 4: Die Vega beim Zusammenbau. Im Hintergrund: Der noch von ELA-1 stammende Wasserturm.

Vor allem sind Feststoffantriebe preiswert: Die Vega Entwicklung kostet die ESA nur ein Zwanzigstel der Ariane 5-Entwicklungskosten. Auch bei Ariane 5 machten die Booster nur 20% der Entwicklungskosten aus. Die Produktionskosten sind ebenfalls deutlich geringer. Bei über 70% des Startgewichts der Ariane 5 machen die Booster 33% der Produktionskosten aus.

Das die Vega trotzdem so teuer geworden ist, hängt weniger von der Technologie als vielmehr mit Verzögerungen bei der Entwicklung und der kleinen Startrate ab. Würde die Vega wie Ariane 5 anstatt ein bis zweimal sechs bis siebenmal pro Jahr starten, so müsste sie für 30% geringere Kosten zu produzieren sein.

Die Vega

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich ein neuer Markt für kleine Satelliten, mit einer Masse von 400 – 1.000 kg. Das Iridium-System bestand aus Satelliten von 725 kg Gewicht. Davon wurden aber 93 Stück in mittelhohe Umlaufbahnen gestartet. Auch zahlreiche Forschungssatelliten wurden kleiner und spezialisierter. Während die USA und Russland diese Nutzlasten mit zu Trägerraketen umgebauten ausgemusterten Interkontinentalraketen starteten, musste Europa auf ausländische Träger zurückgreifen.

Abbildung 5: Die Vega

Sowohl die alte Ariane 4, wie auch die neue Ariane 5 waren zu groß für diese Nutzlasten. Deshalb wurde in Italien nach einer Lösung gesucht. Die ASI (Agenzia Spaziale Italiana) wollte einen europäischen Träger im selben Segment entwickeln, wobei die Kosten überschaubar sein sollten.

Marktprognosen, die von der italienischen Weltraumagentur ASI in Auftrag gegeben wurden, gingen 1999 von 35 bis 80 Starts zwischen 2002 und 2011 aus. Dies wären bis zu acht Starts pro Jahr. Genug, um die Entwicklung einer eigenen Trägerrakete zu rechtfertigen, zumal die Vorhersagen eher als konservativ angesehen wurden. Dies führte zu einer ersten Studie für die Vega, da sich die ESA 1998 noch nicht für den ASI-Vorschlag erwärmen konnte. Drei Jahre späte wurde die Vorentwicklung genehmigt. Als die Entwicklung im Jahre 2003 beschlossen wurde, waren die der Pioniere Iridium und Globalstar in Finanznöten, weitere Systeme waren nicht gefolgt. So wandelte sich die Vega vor dem Erststart von einem Träger vorrangig für wissenschaftliche ESA-Nutzlasten. Die Begründung für die Entwicklung war nun die Sicherung des autonomen Zugangs in den Weltraum. Dies war auch dreißig Jahre vorher die Triebfeder für die Ariane 1 Entwicklung gewesen.

Da Europa seit einigen Jahren vermehrt kleine bis mittelgroße Forschungssatelliten in den erdnahen Orbit startet und es auch mehr kleine Erdbeobachtungssatelliten gibt, wird die Vega ein bis dreimal pro Jahr eingesetzt werden – nicht die erstrebte hohe Startrate, aber durchaus eine respektable bei kleinen Trägerraketen. 2016 sieht die Situation daher deutlich besser aus, als noch vor wenigen Jahren.

VEGAL3S