Die Stimme der Erzählerin berichtet:
Meine lieben Leser, manchmal verselbstständigen sich die Protagonisten einer Buchreihe (meine THARAs) und fordern weitere Geschichten über ihre früheren Leben – ja, so kam ich tatsächlich dazu, aus einer zunächst geplanten Nebenhandlung ein eigenständiges Buch zu schreiben.
THARA – Technical Help and Rescue Ambulance.
Technische Hilfe und Rettungsambulanz – eine Einheit Feuerwehrsanitäter, die ihren Dienst, Wirkungskreis und Einsatzbereich in Eugene/Oregon/USA haben.
Was die THARAs tun und wer sie sind, erfahrt ihr in der gleichnamigen Buchreihe.
Viel Spaß beim Schmökern! Eure B. Oe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2021 Bianca Oesterle
Illustration: BOe77THARA
Bilder und Titel: fotolia. com, Bianca Oesterle, pixabay
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7534-6655-2
Die Frage danach, warum die Religionen so umfassend Erfolg haben, seitdem männliche Propheten und Autoren Heilige Schriften und Worte formulierten, ist die Ausnutzung der menschlichen Angst.
Niedertracht und Gier sind es, die Glaubende in großen Menschengruppen sammeln, wie das Herdenvieh und belämmert mit falschen Zeugnissen von einem rachsüchtigen Fürchtegott in die einengende Gedankenzelle sperren, dass jegliche Entfaltung jenseits der kirchlichen Gebote zunichte gemacht wird. Unsere wahre Herkunft und wer wir wirklich sind, wird von den Führern der Weltreligionen mit voller Absicht in der Versenkung und unter ihrer Verwahrung gehalten – mit den Geheimnissen um die sagenumwobene Bundeslade hält man die Menschheit in Furcht und Staunen gefangen.
Alles, was unseren unterdrückten Geist befreit und entfaltet, wird von uns ferngehalten oder ist verboten – so ist mithilfe der Glaubensinstitutionen unser einst freier Wille gebrochen worden. All dies geschieht mit zur Hilfenahme der Dreifaltigkeit, auf die sich alle Religionen in ihrer grundsätzlichen Glaubensform stützen, und mit der überwachenden Funktion eines allessehenden Auges.
Ein gewollter Pakt mit dem Machtpotential der Angst. Erst in den 1970er-Jahren entdeckte man sechs Naturtöne wieder, die Solfeggio-Frequenzen, welche unseren Körper gesunderhalten und einzelnen Aura-Bereichen entsprechen. Diese waren längst seit dem Mittelalter bekannt und wurden in sakralen gregorianischen Gesängen angewendet, waren jedoch von der Katholischen Kirche verboten worden, um die Eigenbestimmung der Menschen zu verhindern. Im Vatikan erkannte man jene Musik als machtvoll.
Der ursprüngliche Naturton OM wird missbraucht. Jede organisierte Religion/Sekte macht sich auf negative Weise diese suggestive Macht zunutze.
In Gruppierungen, die vorab ihre strengen und einengenden Glaubensregeln kundtun, dem Suchenden zum Beitritt in die Glaubensgemeinschaft als zwingend auferlegen, ist Erkenntnis und Erinnerung nur begrenzt möglich. Was die Massen von persönlicher Erinnerung und Erkenntnis abhält, ist definierbar: Gewaltexzesse der Männer, die endlose Kriege führen, und Unterdrückung der Frauen, die man zum Gebären versklavt, sind die Folgen jener absichtlich falsch gelenkten Interpretation weiser Erkenntnisse.
Eine Spaltung der Kirche war schlussendlich im 16. Jahrhundert nicht abzuwenden.
Dennoch sind Dogmen bis heute nicht verschwunden. Eine Seite der Verfechter predigt Kinderzucht.
Eine Seite der Verfechter predigt Euthanasie.
Beides ist falsch.
Niemand muss Gott fürchten oder dienen!
Das Universum dient sich selbst, indem jede und jeder von uns Menschen zum Schöpfer wird.
Wir fürchten einen Tod, den es nicht gibt, denn alles wärt ewig und geschieht zugleich.
Wir fürchten einen Tod, der falsch verstanden wird – wir sind Formenwandler!
Jeder findet Ersie, das Universum und sich selbst, wenn er/sie für eine Weile die Einsamkeit sucht.
Das Irdische ist eine Illusion, die wir selbst bauen und die wir immer wieder verlieren, weil alles beständig sich in Wandlung befindet, aber das wahre Ich-selbst bleibt.
Nichts stirbt – alles wandelt sich.
Menschen streben nach Beständigkeit, doch die gibt es nicht.
Lediglich unsere Angst ist es, die uns in den Irrglauben schickt, dass der Tod ein gnadenloses Ende setzt, das nicht als Tor zu einer anderen Wirklichkeit ist, die sich uns allen eröffnet, wenn wir ins Jenseits eintreten.
Sommer 1983, nahe Luzern, Deutsche Schweiz Für den großspurigen Capo von gedrungener Statur einer in Wartestellung zum Sprung an die ungeschützte Kehle stehenden Bulldogge, der seine angestaubte blaue Schildmütze lüpfte, war der Bauauftrag klare Sache: „In einer Woche haben wir das Loch sauber ausgebaggert! Da gibt es keine Verzögerungen.“ Er schob das fettwulstige Kinn vor und setzte die alte und durchgeschwitzte Mütze schwungvoll aufs lichter werdende Haupthaar. Der heutige Arbeitstag war seit dem frühen Morgen wolkenfrei sonnig, die Männer schwitzten und tranken Bier, während sie die Zeit der Anweisungen als Pause nutzten, und der untersetzte Vorarbeiter kommandierte gern und verschwendete keine Zeit mit Diskussionen um die genauere Ausführung seiner Anleitungen, die er vom Ingenieur und einem leitenden Architekten erhalten hatte, wandte sich von den Arbeitern ab, die ihm wegen neuer Anweisungen hatten zuhören müssen, und durchquerte eilig die Baustelle, bis er zum Rand der bereits ausgebaggerten Grube gelangte und eine hölzerne Behelfstreppe nach oben stieg, die dem Fortschritt der Tiefe des Lochs bedarfsweise angepasst werden konnte.
Dort oben am Baugrubenrand hatte soeben ein roter VW Passat angehalten, dessen Farblack stumpf geworden war, und ein Mann in hellbrauner Cordhose und grün kariertem Kurzarmhemd war hektisch ausgestiegen, da er bereits um eine halbe Stunde zu spät gekommen war. Sein getreidehalmbleiches schulterlanges Haar war ausgedünnt und wehte mit dem Wind. Er holte ein kofferförmiges Tonbandgerät vom Rücksitz, das er sich an einem abgewetzten Trageriemen über die linke, zum spitzen Kinn höher gezogene Hemd-Schulter warf, die sich in einem schmal zulaufenden Kragen verjüngte – fahrig sah er sich nach dem Vorarbeiter um, was ihn als nervösen und von der verrinnenden Zeit gedrängten Hektiker entlarvte.
„Was rennt der Capo schon wieder fort?“, wunderte sich Andri.
Beat trank in aller Ruhe sein Bier aus und ließ den Bagger mit tuckerndem Motor stehen.
Knurrend wie ein Wachhund an der Kette meinte Veit, der Radladerführer: „Der Zeitungsfritze ist da. Der ist dem Capo wichtiger.“
„Bist du dir sicher, Beat, dass der Capo mit seiner Zeitberechnung richtig liegt?“, unkte Andri, der neben dem laufenden Kettenbagger stand und zu seinem Kollegen in der offenen Baggerkabine sprach, wobei er lauter reden musste, da der Motor lief. Andri hielt einen Pickel in der Hand, mit dem er Erdarbeiten verrichtet hatte. „Sehr steinig ist es da! Würde mich nicht wundern, wenn Fadri Sprengladungen wegen der natürlichen Steinplatte dort drüben“, Andri deutete mit der freien linken Hand auf einen bereits freigelegten Bereich, wo in der Baugrube eine Felsplatte unter dem abgeräumten Erdreich zum Vorschein gekommen war, „in Bohrungen versenken muss, um das Mineralmonstrum zum Abtransport zu zerkleinern! Oder nicht? Den ganzen Koloss schaffen wir an einem Stück nicht weg! Sprengen – oder wir klopfen ewig daran herum!“
„Acht mal acht Meter im Quadrat – das ist für einen Beat am Baggersteuerknüppel keine Herausforderung, wenn ich zuvor die Felsplatte mit einem halben Dutzend Spreng-Möhren gespickt und zu Omas Streuselkuchen verarbeitet habe!“ Es war eine genuschelte, halb gebrüllte Ansage von Fadri, der im rechten Mundwinkel eine Zigarette beim Sprechen eingeklemmt hielt, die er sich von einem anderen Kolonnenarbeiter geschnorrt hatte, dessen schweigsame und ameisenemsige Art nicht jedem in die Werkzeugkiste passen wollte.
Franco, ein italienischer Gastarbeiter, zündete sich still eine Zigarette an, hatte dabei die Schaufel angelehnt an der Schulter im Arm vor der schmalen Brust, und sein Landsmann Romano hielt sich bei dieser Gelegenheit zur Verschnaufpause am Schaufelstil fest. Er war der älteste Baustellen-Arbeiter und nutzte jedes Innehalten für die Entspannung von Rücken und Schultern und zum Trinken von einer weiteren Flasche Bier. Vom Rauchen hielt er nichts. Eine halbvolle Bierflasche setzte er an die Lippen und trank. Nicht alle Italiener lieben den reinen Wein – Romano schmeckte heute bereits das dritte Bier, mit trüber Hefe versetzt, was gegen seine chronischen Gelenkschmerzen half und den Durst durchs Schwitzen an der Sonnenhitze in Schach hielt.
„Bevor wir die Felsplatte in transportablen Schotter verwandeln, nehme ich mir die westliche Hälfte der Grube vor, da, wo der Boden wie gestampfter Lehm so fest verdichtet ist!“, dröhnte der Baggerfahrer mit seinem lauten Organ über das Motorengeräusch hinweg. „Der Capo will sehen, wo das Plateau endet – ich mache nach seinen Anweisungen weiter!“
Rauchend sah Franco stumm Romano an, der mit den Augen rollte, dann nickte, weil er sich schon lange nicht mehr darüber aufregte, welche Entscheidungen oder Planänderungen des Vorarbeiters er dann mit den anderen Männern der Aushubkolonne in Arbeitsmaßnahmen umsetzen musste, da er die Tage bis zur Pension bereits zählte. Francos Rauchfahne war der Wegweiser für die anderen Männer, ihm in den Abschnitt der Grube zu folgen, wo Beat weiterbaggern sollte. Er lief zügig voraus.
Fadri winkte Beat zu, er solle Franco folgen, während er am flachen Felsblock zurückblieb, wo er allein als Sprengmeister der Bautruppe genau berechnen wollte, wieviel Detonationskraft benötigt werden würde, um das Gestein soweit zu zerkleinern, damit ein wartend bereitstehender Radlader und der Bagger die gesprengten Brocken auf die nach und nach anrückenden Muldenkipper laden konnten.
Linard hinter dem Steuer des ersten Muldenkippers und Veit im Radladersitz warteten nur auf ein Zeichen von Fadri oder Beat, Erde oder Gesteinsbrocken aufzuladen. Mit Handzeichen wies Fadri Gaetano, den Fahrer des zweiten riesigen Muldenkippers an, in der Reihenfolge näher aufzuschließen, da es bald eine raue Menge Aushub aus dem lehmigen Grubenbereich, wo Beat die Baggerarbeit aufnehmen würde, abzutransportieren gäbe.
Andri stieg bei Beat am Bagger auf das Trittbrett der offenstehenden Maschinenführerkabine, hielt sich am Türrahmen fest und wurde vom Ruck des Anfahrens der Baggerketten durchgerüttelt und wie auf einem Karussell beschleunigt, da der Baggerfahrer die Kabine auf dem Kettenfahrdrehgestell in die entgegengesetzte Richtung kreiseln ließ, wo er hin manövrieren wollte.
Eine fettig schwarze Dieselrußwolke entwich in die schwülheiße Sommerluft, als der Baggerfahrer Vollgas gab, um die schwerfällige Baumaschine in Gang zu setzen.
„Das neue Einkaufszentrum wird unserer Region in der Innerschweiz und dem Kanton Luzern einen attraktiven Aufschwung bescheren!“, prahlte der Bauleiter.
Der Reporter der Tageszeitung von Luzern hakte nach: „Ja, sind Sie sich da sicher?“
„Sicher bin ich sicher!“ Dass man an seiner Einschätzung zweifelte, brachte den Vorarbeiter schier auf die Palme.
„Und wie meinen Sie das?“
„Wir sind der Vorort zur Katholischen Schweiz! Hier ging einst die Post ab! Das Bindeglied der Kantone zwischen der Deutschen Schweiz und der Romandie! Hier haben wir einst in entscheidenden Schlachten um die Religionsfrage große Geschichte geschrieben! Im sechzehnten Jahrhundert sollen hier zwischen Protestanten und Katholiken die schwingenden Schwerter geklirrt haben! Es gibt dafür nur wenige Beweise, aber mündlich überliefert ist unser aller Geschichte unvergessen! Nun müssen wir nach langer Flaute im Tourismus wegen der weltweiten Ölkrise den Leuten neue Möglichkeiten zum Kaufen und Verweilen bieten! Wir müssen die Lust am Konsumieren schmackhaft an Mann und Frau bringen – und erst die Familien! In Kürze entsteht hier im Nichts ein Genusstempel am anderen!“
Die Baggerschaufelzinken gruben sich unter Beats erfahrener Führung in die gelbe Lehmschicht des Bodens, der für die geplante Tiefgarage weiter ausgehoben werden musste. Am Rande der ausgeführten Arbeiten stand Romano, beobachtete, während er sich für einen gedehnten Moment auf das gerundete Stielende der Schaufel in seinen rauen Arbeiterhänden stützte, und niemand trieb den alten Mann mit dem immerwährenden Dreitagebart zum Schuften an.
Andri lockerte mit Pickel-Hieben Lehm, Erde und Steinbrocken in Faustgröße. Franco schaufelte mit dem gelösten Erdreich eine Stahlwanne voll, die an Ketten angehoben auf den bereitstehenden Muldenkipper von der Baggerschaufelzahnung über ihre Köpfe hochgehoben und auf die Transportfläche des riesigen, mit laufendem Motor wartenden Lastwagens ausgeleert werden konnte, und so rauchte er wortlos Zigarettenkette, nur einen Kieselsteinwurf von ihm entfernt.
Die Motoren der Baufahrzeuge dröhnten, Kettenglieder ratterten und Hydraulikgelenke quietschten, und keiner der mit Schwerstarbeit beschäftigten Männer der Baugrubenkolonne für den Tiefgaragenbau verstand ein normal laut gesprochenes Wort, weshalb sie brüllten und mit Handzeichen sich untereinander Anweisungen gaben.
Der Dieselgestank sättigte die heiße Sommerluft, aber ihre Wahrnehmung war längst abgestumpft, da sie täglich damit zugeblasen wurden, und den chronischen Husten bemerkten die Männer schon gar nicht mehr, den sie in ihre Stofftaschentücher oder blank auf den Boden hinrotzten.
Veit vollführte mit dem Radlader einen Baugrubentanz und lud Abraum und Aushub auf Linards Muldenkipper, bis das Fassungsvermögen erschöpft war. Linard startete den Motor, was für eine fette Dieselrußwolke am Sommerhimmel sorgte – er trat aufs Gas und brauste aus der Baustelle davon, was eine dichte lehmbraune Staubwolke dahinter zum erstickenden Aufwallen brachte, die sich minutenlang nicht legte.
Gaetano startete seinen Muldenkipper, blies dieselölige Abgase schwarzblau in die schwüle Luft und rückte vor. Pause war für die nächsten zwei Stunden nicht angesagt, denn vor Feierabend sollten sie das vom Capo angestrebte Tagesziel mit aller Arbeitsemsigkeit erreichen. Einen satten Sonderbonus sollten sie für ihre schnelle Arbeit bekommen, den er sich nicht entgehen lassen wollte, denn zur wiederholten Jahresfeier des durch die Jungfrau Maria geborenen Heilands kommend im Dezember wollte er seine Familie in der Stiefelhacke Italiens besuchen, wo er für einen Monat lang und über die Jahreswende hinweg seinen ganzen Urlaub angesammelt verbringen und mit dem Silvester-Festakt samt krachenden und leuchtenden Feuerwerk über Lecce seine Verwurzelung und seine wahre Herkunft spüren konnte. Er hatte dort alle zurückgelassen, um in der europäischen Welt eine andere Arbeit zu finden, denn in seiner Heimat gab es so viel Ölpest und Dreck im Küstenwasser, dass schon seit fünf Jahren keine Fische mehr seinem Vater und den beiden dort verbliebenen Brüdern in die Netze gingen.
Auf italienisch brüllte Romano ein Kommentar in die Hitze des Arbeitstages an der großen Grube für die bislang nur auf dem Reißbrett vorhandene Tiefgarage.
Franco und Romano hatten ihre Familien schon vor zwanzig Jahren mit in die Schweiz genommen, denn sie hatten damals schon begriffen gehabt, dass sie in ihrer italienischen Heimat als ehemalige Fresken-Steinmetze und Sandalen-Schuster keinerlei lukrative Verdienstmöglichkeit hatten, weil immer mehr maschinelle Fabrikation in allen Herstellungsbereichen Einzug hielt und altetablierte Kunsthandwerker nicht mehr beauftragt wurden, neue Großprojekte für die Ewigkeit zu erschaffen, die vom Vatikan oder der Regierung angewiesen worden waren, da die Steuergelder in den Sumpftaschen der Mafia verschwanden.
„WAS SAGT ER?“, brüllte Andri Franco zu, der nur mit den Schultern zuckte, weil er nichts verstanden hatte.
Der LKW unter Gaetanos Hintern war 25 Jahre älter als er.
Franco übersetzte brüllend, was Romano gesagt hatte, wobei er die Zigarette nicht aus dem Mundwinkel nahm: „Der Erdboden sieht wie von Arbeitern mit der Rüttelplatte oder mit Stampfstempeln von Hand verdichtet aus!“
Andri ließ das Pickeln sein, hielt das Werkzeug aber mit beiden Händen und halb gebückt fest, weil er gleich weiterarbeiten wollte. „Gibt es nicht!“, schrie er zu Franco zurück, der sein Akne narbiges Gesicht dabei nicht beeindruckt verzog. Andri war sich felsensicher, dass sie auf unerschlossenem Land gruben. „Hier war noch nie etwas gebaut gewesen! Der Ogi weiß immer alles! Das hätte uns der Capo gesagt!“
Franco wusste auch nichts und zuckte mit den Schultern, aber er war anderer Meinung. „Das muss von Arbeitern verdichtet worden sein – anders kann ich es nicht beschreiben!“
„Bist unter die Ausgräber gegangen, die nach einer reich verzierten Mumie suchen?“, belustigte sich Andri.
Das Baggergeräusch war mit einem Mal ein ganz anderes als die Männer es von erdigem oder steinigem Untergrund ausgehend gewohnt waren. Beat, der keinen Schutzhelm trug, runzelte in der Baggerkabine, nur im Unterhemd arbeitend und klatschnassgeschwitzt, die Stirn und wechselte die Hebelrichtung, was dafür sorgte, dass er die eben erst nach unten geneigte und in Endstellung eines Graben-Vorgangs angewinkelte Schaufel mit dem Mittelgelenk des Baggerauslegers mehr als zwei Meter in die Luft hievte. Längliche Gegenstände, stangenartige Gebilde aus Metall hingen an und zwischen den Baggerschaufelzinken, wie achtlos hingeworfenes Zahnstocher-Mikado in einem verlorenen Eisen-Gebiss eines nichtmenschlichen Titans. Eine der nicht näher bestimmbaren Stangen löste sich beim Anheben der Baggerschaufel zwischen den Zinken und fiel senkrecht zu Boden, wo das spitze Metall sich in den Lehmboden bohrte, ohne dabei zu brechen.
Romano rührte keinen Zeh in seinen Bauarbeiterstiefeln, als der Eisenspieß direkt vor ihm und seinem Schaufelblatt ins Erdreich eindrang und aufrecht stecken blieb.
Franco fiel der angerauchte Zigarettenstummel aus den sich öffnenden Lippen. Beat schaltete den Baggermotor aus und stieg perplex aus der Führerkabine aus. Andri ließ den Pickel vor sich fallen. Veit ließ den Radlader in der Nähe ausrollen und schaltete den Motor aus. Gaetano ließ den Motor seines Baustellenfahrzeugs verstummen und riss die Fahrertür des Muldenkippers auf und sprang aus der Fahrerkabine, dann rannte er zu seinen Landsleuten und fluchte auf Italienisch und dankte der Madonna zugleich, dass weder Franco noch Romano von der herabfallenden Stange aufgespießt und getötet worden waren, denn die beiden älteren Männer waren miteinander verschwägert.
Dass etwas passiert sein musste, das nicht zum Baugrubenalltag passte, kapierte Fadri sofort, der seine Berechnungstafel in den Dreck zu seinen Arbeiterschuhspitzen fallen ließ und zu den anderen Arbeitern seiner Kolonne rannte. „Was ist los?“, schrie er heranlaufend, doch jetzt schwiegen die Maschinen und es war nicht notwendig zu brüllen, aber er sah sich in einer außergewöhnlichen Lage wieder, was ihn in aller Aufregung erneut laut rufen ließ: „Was ist da los?“
Wieder sagte Romano etwas auf Italienisch, der sich keinen Millimeter gerührt hatte, in aller Seelenruhe. Dabei deutete er auf den Metallgegenstand vor sich, der offensichtlich alt und gefährlich war.
„Das ist der Hammer“, sagte Franco ohne Zigarette. Seine Augen wurden tellergroß und hafteten an den Gegenständen.
„Was?“, fragte Fadri verwirrt. Dann hob er den Blick nach oben, schluckte schockiert und entdeckte die teils zwei Meter fünfzig langen Metallspieße verkeilt in den Baggerschaufelzinken hängend. „Geht da weg! Wer weiß, ob die gleich oder später runterfallen!“ Streng winkte er die Männer vom Bagger weg. „War das hier früher mal ein Scharmützelfeld?“
„Das ist ein Reiterhammer – eine alte Stangenwaffe. Hier war im sechzehnten Jahrhundert Krieg zwischen Jesus-Jüngern und Madonnen-Verehrern!“
Alle sahen Romano verblüfft an, der sonst niemals in ganzen Schweizerdeutschen Sätzen redete, weil er keinen Sinn darin sah, sich ausführlich mitzuteilen; einem alten Bauarbeiter wollten eh keiner zuhören.
„Jede Tag lavori in corso und Sonne brüllt auf Platte“, er schlug sich klatschend mit flacher Hand auf den Kopf, „von Glatze … trotzdem nix dumm in Kopf!“ Romano lachte.
Fadri blickte von der einst verschrien berüchtigten Blankwaffe der Kaiserlichen Kürassiere zu Romanos Füßen auf das Loch, das Beat mit den Schaufelzinken in den Lehmboden gerissen hatte, was wie überdimensional große Katzenkrallenspuren aussah. „Da liegen noch mehr drunter.“
„Das müssen hunderte oder sogar tausende von diesen fiesen Falkenschnäbeln sein!“, meinte Beat, der sich den Fund nun von Nahem ansah. „Und was jetzt, Fadri?“
„Du kannst nicht weiterbaggern, Beat.“ Fadri sah sich unter den herumstehenden Arbeitern um, dann suchte er sich einen der Kollegen aus. „Andri! Renn zum Capo! Der Ogi muss das wissen!“
„Mit dem Bau einer Tiefgarage beginnen Sie also das Bauprojekt, das schon in einem Jahr fertig sein soll?“
„Nun … wäre es eine Tiefgarage, wenn ich Parkebenen auf das Einkaufszentrum bauen lasse? Ihre Fragen sind für meinen Geschmack ein wenig verwunderlich!“ Er sah einen Arbeiter mit gelbem Schutzhelm heranrennen, fast stolpern, im letzten Moment vor dem Sturz sich abfangen und weiterrennen. Aufmerksam blickte er dem offensichtlich aufgeregten Mann seiner Arbeiterkolonne an der Grube für die künftige Tiefgarage entgegen. „Andri, was hast denn?“
„Capo, der Fadri hat dem Beat das Baggern untersagt!“, kam es keuchend aus dem verschwitzten Arbeiter heraus. „Solange gönnt er sich die Sonne auf den Pelz – er ist noch icht braun genug, meinte er. Kann erst weitergehen, wenn du dir was ansiehst!“
„Sind wir hier auf Urlaub? Sitzen und in die Luft gucken kostet jede Menge Geld! Für Pause ist noch keine Zeit – und ich habe nichts veranlasst, dass die Arbeiten stillstehen sollen! So sag, warum!“
„Wir haben was gefunden, Capo! Beat hat mit den Schaufelzinken was aus der Erde gezerrt, das ich noch nie gesehen habe; etwas Uriges es ist! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Nun will der Fadri, dass Sie es auch mit eigenen Augen sehen!“ Siezen musste er den Vorarbeiter, was ein umständliches Arbeitsklima untereinander erzeugte.
Vorarbeiter Ogi musste sich notgedrungen auf den Weg machen, um sich den seltsamen Fund mit eigenen Augen anzuschauen. Andri eilte ihm voraus. Fluchend wandte er sich der Baugrube zu, lief ein Dutzend Meter am Grubenrand entlang, bis er zur Holztreppe gelangte, die er rasch nach unten nahm. Dass ihm der Reporter dicht auf den Arbeitsschuhfersen folgte, war ihm so bewusst und unangenehm wie der ihm seit Stunden im Nacken kitzelnd hinab rinnende Schweiß. Seine Beine waren kürzer als die von Andri, der ein groß gewachsener Mann Ende der Zwanzig war, aber er schaffte es, Mitte der Fünfziger, sich derart flink zu beschleunigen, dass er im Vorüberhasten einen Schweißer, der die Schutzmaske sinken ließ, erstaunt auf sich aufmerksam machte, der damit bis eben beschäftigt gewesen war, eine abgebrochene Schaufel zu schweißen; das Geld für Werkzeug und Baumaterial war eng bemessen. Etwas Wortloses, ein unsichtbarer Energieschub, trieb den Schweißer an, seine bisherige Arbeit ruhen zu lassen. Er legte Schutzmaske und Schweißpistole auf einer leeren Metalltonne bei der Gasflasche ab, deren Drehverschlussventil er mit einem schnellen Griff sicherheitshalber schloss. Mit lang ausgreifenden Schritten und von Neugier in den grob profilierten Arbeitsschuhen angetrieben, folgte er seinem Kollegen, dem Vorarbeiter und dem Reporter, der auf der Baustelle und im unwegsamen Gelände mit seinen polierten italienischen Designerschuhen auffällig deplatziert wirkte, wie ein einzeln in der Landschaft wachsender, vollblättriger Mahagoni-Baum in der Antarktis.
„Fadri!“, schrie Capo Ogi ihm entgegen. „Wieso stehen die Maschinen still? Männer, ihr sollt arbeiten – wir werden nur nach Leistung bezahlt!“
„Und der Capo fürs Labern beim Zeitungsfritzen …“, murmelte einer der innehaltenden Arbeiter.
„Ich habe das gehört!“, kläffte Vorarbeiter Ogi zornig, dass ihm noch mehr Schweiß in der Nachmittagshitze ausbrach.
„Jetzt sehen Sie selbst, Capo!“, forderte Beat Ogi auf. Auf die in die Höhe gehievte Baggerschaufel deutete der Baumaschinenführer. Vollkommen erwartungsgesteuert blickte er vom Waffenfund zum Vorarbeiter. „Was denken Sie, was das ist?“
„Spieße zur Abgrenzung einer Baustelle sind es jedenfalls nicht“, merkte Andri vorlaut an.
Schweigen, derbe Flüche auf die Arbeitsverzögerung und erneutes Schweigen drangen in Abwechslung aus Capo Ogi hervor, der bei seiner Erkundung am Bagger und dann am in den Boden gerissenen Loch vom Reporter aufdringlich verfolgt wurde. Seine Flüche waren eigentlich sein Unmut darüber, dass er den Reporter nicht einfach fortschicken konnte – hier schien sich ein Sensationsfund abzuzeichnen.
Die schnieken Schuhe des Zeitungsschreibers waren vom Weg durch die Baustelle angegriffen und verdreckt, aber sein Spürsinn für eine brandheiße Titelgeschichte war trotzdem ungebrochen, wenngleich das sündhaft teure Fußoberleder Schaden davontrug. Schnell, schnell sollte alles im Aufnahmekasten sein! Ob die Aufnahmequalität bestens und die von ihm gesprochene Reportage deutlich zu verstehen war beim späteren Abspielen in der städtischen Zeitungsredaktion oder nicht, kümmerte den Reporter wenig, Hauptsache war, dass er schnell etwas aufnahm, wovon er später den Aufreißer des Monats für seine Illustrierte in allen verbalen Farben würde in die Schreibmaschinentasten klopfen können, was ihm einen fetten Honorarscheck extra mitsamt einer im nächsten Monat ausgezahlten Gehaltserhöhung bescheren würde. Und einen übervollen Fresskorb sollte es noch dazu geben, wenn sie hart rann klotzten. Also, die Belohnungen für ihn waren schon in greifbarer Nähe.
„Die Sonnenstrahlen sorgen für schneidenden Durst, aber das ist vergessen in Anbetracht eines spektakulären Fundes aus der grauen Vorzeit unserer Urväter: spitze Spieße mit rasiermesserscharfen Klingen an einem Ende in der Baugrube der künftigen Tiefgarage für das neue Einkaufszentrum im Stadtrandgebiet geben dem Vorarbeiter und seinen Männern ein bislang ungelöstes Rätsel auf. Sind es veraltete Bauernhandwerkzeuge? Wenngleich sie auf dem ersten Blick einer Sense gleichen, mit der Grasflächen, Wiesen oder Getreide einst abgeerntet wurden, mag man beim zweiten Blick darauf nicht glauben, dass es sich um zivile Gerätschaften der Landwirte in dieser Region eines früheren Jahrhunderts handelt.“ Mit dem Mikrofon in der Hand und nahe am Mund gehalten und dem eingeschalteten Tonband am Schulterriemen folgte der Reporter Ogi, dem grollenden Vormann, der immer wieder sein Käppi lüpfte, sich mit einem benutzten Herrenstofftaschentuch über seinen Kopf und in den verschwitzten Nacken fuhr, während er die ausgebaggerten spießlangen Fundgegenstände im Bodenloch und dann wieder jene, die in den Baggerschaufelzinken hingen, kritisch und mit aufkeimender Vorahnung beäugte. Nun verfluchte er sich in Gedanken dafür, weil er den Mann von der Tageszeitung aus Luzern herbestellt hatte, mit jenem vollmundigen Versprechen, dass schon in einem Jahr der seit Jahren abgeflaute Tourismus und das stagnierende Bürgerwohl durch das neu entstehende Konsumareal wie eine endlose Grillfete nach übermäßig und gesucht amerikanischer Art boomen würden, da deren Trend zu den Europäern mehr und mehr überschwappte.
Dieser einmalige Fund war offensichtlich eine Sensation; eine Sensation solcher Art, die der Reporter sofort melden und verbreiten würde, die durch den Befehl des Vorarbeiters an seine Männer nun nicht mehr vertuscht werden konnte. Ogi wurde es schmerzlich unter seiner Arbeitsmütze, die inzwischen ein einziger Schweißfleck war, bewusst, dass dieser sensationell einmalige Waffenfund Archelogen auf die Baustelle locken und die Bauarbeiten auf ungewisse Zeit stoppen würde. Eine kriminelle Überlegung erhitzte sein Gehirn, das unter diesen Umständen bereits zu viel gelitten hatte, aber er verwarf es sofort, den plappernden Berichterstatter der Luzerner Tageszeitung ins Loch zu stoßen und jenes vom Baggerführer Beat wieder zuschaufeln zu lassen. So oder so musste dieser Bereich der Baustelle noch tiefer ausgehoben werden. Für Mord und Vertuschung gab es keinen Spielraum – und es hätte zu viele Zeugen und Beteiligte an dieser Tat gegeben, die er nicht auf seine Capo-Kappe nehmen wollte.
Nein, Capo Ogi war sich selbstsicher genug, um dem inneren Reiz zu widerstehen, wie ein skrupelloser Mafiaboss seinen Betonierern und dem Transmix-Fahrer zu befehlen, den Reporter in einem erstickenden Grab aus Schnellbundbeton in der Fundament-Bodenplatte für die in den kommenden Monaten entstehende Tiefgarage auf ewig verschwinden zu lassen. Neben ihm nahm der Zeitungsberichterstatter weiterhin mit ungebrochenem Enthusiasmus Satz für Satz auf dem laufenden Tonband auf, das Ogi ihm am allerliebsten von den Spulen gerissen und um Mund und Ohren gewickelt hätte, aber auch diese in ihm hochkochende Impulsivität schaffte er zu beherrschen.
„Werter Vorarbeiter Ogi, wollen Sie das Amt für historische Funde verständigen oder werden Sie die ruhmversprechende Aufgabe dem leitenden Architekten oder gar dem Chefredakteur meiner Zeitung überlassen?“, drängte sich der Reporter dem bissig guckenden Capo auf, denn er lechzte nach dieser Sensation. Ganz egal, ob dabei Gutes oder Schlechtes herauskam.
„Das mache ich schon selbst!“, erkannte Ogi seine Chance, in der nächsten Zeitungsausgabe namentlich im Zusammenhang des Fundes gedruckt zu erscheinen. „Hier ist für heute und die kommende Woche Feierabend, Männer! Lasst alles liegen, wie es ist und geht nach Hause!“ Er stapfte ohne weiteres Wort los und eilte zurück zur Stiege an den Rand der Grube hoch. Im Vorbeigehen nickte er Beat zu, der sofort ins Baggerführerhaus kletterte, den Motor startete, langsam den Hydraulikarm mit der Schaufel absenkte, wobei ein weiterer Fundgegenstand zwischen den Zinken abrutschte und zu Boden fiel. Auch diesmal hatten die Bauarbeiter das Glück auf ihrer Seite – es wurde niemand verletzt.
Den Bauarbeitern steckte der Schrecken in allen Knochen.
„Das ist der Hammer!“, wiederholte sich Franco, der dem fallenden Langwaffenspieß flink auswich und Beats Flüche brüllend aus dem röhrenden Bagger zu hören bekam.
Der Lärm des Baufahrzeugs und eine unter 75 Meter tieffliegende Manöverstaffel am vom schwarzblau öligen Dieseldunst eingerußten Himmel ohrenbetäubend und den Körper in zerreißende Vibrationen versetzend langkreischender US-amerikanischer Warzenschwein-Düsenjets, die an einer der von Halbjahr zu Halbjahr häufiger werdenden und grenzübergreifenden NATO-Bündnis-Übung teilnahmen, schluckten und übertönten jegliches von Menschenmündern ausgestoßene Wort.
Erst als das dröhnende Dutzend A-10 Warthog Düsenjäger abzog, konnten die Bauarbeiter wieder ihr eigenes Wort verstehen und sich an der Fundstelle austauschen, wo Fadri Beat mit einem Wink befahl, er solle den Bagger ausschalten.
„Und was geschieht jetzt?“, fragte Andri verwirrt.
Fadri blickte erneut auf den Fund und dann in die Runde seiner verdutzten Arbeiter. „Wie der Capo sagte – wir gehen nach Hause, Männer!“
Romano und Gaetano freuten sich aufs frühe Feierabendbier.
Der Reporter hatte sich bereits Fusseln vor den Mund geredet und er hielt nun das Mikrofon Fadri vor die Nase: „Und finden Sie auch, dass dieser Fund der absolute Hammer ist?“
„Ja“, murmelte Fadri überrumpelt, während seine Kollegen die Baustelle bereits plaudernd und lachend verließen. „Ja, wir haben zwar keine Schädel und Knochen gefunden, auch keine Rüstungsteile oder gar eine Schatztruhe voll Silber, Gold und Edelsteine, aber das ist der Hammer von Luzern!“
Aus der realen Zeitgeschichte:
Lange Zeit war der Falkenschnabel oder Nadziak oder Reiterhammer in Vergessenheit geraten. In den 1980ern fand man bei Baggerarbeiten nahe Luzern die mit tausenden Reiterhammern gefüllte Grube. So ging diese Waffe in der Neuzeit in die Geschichte ein und wurde zum Hammer von Luzern.
Personenverzeichnis
Der Hammer von Luzern
Leutnant Jaroslav Adamski – Leroy Smith
32 Jahre alt, Rottmeister und Stellvertreter des Hauptmanns im 77. Kaiserlichen Kürassierregiment, Exerziermeister und Pferdezureiter, älterer Bruder von Romana, Zimmermannmeister, Schmiedhelfer, stahlblaue Augen, platinhelles Haar
Rottmeisterin Jeva Gordonova – Jennifer Gordon
21 Jahre alt, kornblond, ozeanblaue Augen, schlank, groß
Feldwebel Alexej Weymer – Alexander Wallace
24 Jahre alt, Rottmeister, Angriffstruppführer, Hünengröße, Schmiedemeister, honiggoldene Augen, erdbraunes gewelltes Haar
Hauptmann Frederick Schneider – Frederick Taylor
28 Jahre alt, Kommandant des 77. Kaiserlichen Kürassierregiments, Schneider und Sattler, getreideblonde Locken, arbeiterhosenblaue Augen
Rottmeisterin Romana Persinski – Romana Perkins
24 Jahre alt, Heilkundige, katzengrüne Augen, kupferrotes Haar, außergewöhnlich groß gewachsen, Jaroslavs leibliche Schwester
Pressburg, 5. Mai 1555; um 15Uhr55
Datum und Uhrzeit wollten für ihn und seine Bürger und Bauern des Volkes ein sich auf Jahre auswirkendes Schicksal werden, dessen Entscheidung er in seinen fürstlichen Händen hielt und mit Tinte und Feder zu Papier bringen sollte, das eines der wichtigsten Dokumente seiner Lebzeiten werden wollte. Die Worte, welche er dafür verwenden musste, mussten gut bedacht und von ihm abgewogen sein, denn es handelte sich nicht nur um ein Edikt oder einen Erlass, der für kurze Dauer Recht und Ordnung in den Zeiten von Krieg und Umbruch auf ein höheres Niveau anheben sollte als bisher die Regeln des Alltagslebens durchgesetzt wurden. Die Religionsführer und der Rat der Zwölf des Hochadels im Abendland erwarteten vom amtierenden Erzherzog Österreichs, dem Sohn des Kaisers, eine klare Gesetzesformulierung, die künftig in den Staatsstatuten belegen sollte, dass Katholiken und Protestanten das gleiche Recht haben würden, ihre Konfession, die beide auf den Heiligen Schriften der Bibel ihr religiöses Fest- und Ritual-Fundament bauten, praktizieren zu dürfen.
Auf seiner alabasterweißen Miene, nur seine Augen lagen in Höhlen, die dunkler umschattet waren als habe er endlose Sorgen in unzähligen Nächten gewälzt, lag stets ein skeptischer Ausdruck darüber, ob die Geschicke, die er mit seinen Erlässen zu leiten versuchte, tatsächlich die prall reifen Früchte tragen würden, die er sich für den in Einigkeit geschlossenen Bund des Reichs Deutscher Nationen, wofür er noch einen langen Weg vor sich und allen Bürgern sah, ersehnte. Für Härte war er im Volk der halbwegs vereinten Deutschen nicht bekannt, eher für seine Milde und Kompromissbereitschaft; die strenge Exekutive überließ er in der militärischen Ausführung zur Einhaltung von Ordnung und freies Recht für alle Gläubigen in einem Reich, das zu einem anderen, größeren Reich gehörte, zum Heiligen Römischen Reich in Anbindung, aber nicht mehr unter deren unmittelbar diktierend kaiserlichen Beschlussmacht stand, stets seinen Offizieren, die ihm lediglich Bericht erstatteten, wenn es zusammenfassend Neuigkeiten gab. Der einzige respektierte Kaiser in jenem Reich, das wie ein löchriger Teppich – vom gierigen Fraß der Macht-Motten zerlöchert - nur losen Zusammenhalt im politischen Gewebe zeigte und permanent in Wandlung sich befand, war sein Vater, den man bereits mehr den Deutschen Kaiser als jenen des bröckelnden Römischen Reiches nannte. Verantwortung fürs Volk und Geschicke in allen finanziellen und entscheidenden Bereichen lasteten darum immer druckvoller auf seinen Schultern.
Es schien sich abzuzeichnen, dass bald eine letzte und entscheidende Schlacht um die Religionsfrage stattfinden würde, dennoch fühlte er sich bereits dazu berufen, die neue Verfassung für den Friedensschluss und für die Gleichstellung zweier Konfessionen niederzuschreiben.
Mit dem Adelsstand eines Erzherzogs, der in der möglichen Erbfolge des nächsten Kaisers stand, war er zudem den militärischen Pflichten verschrieben, der oberste Kommandierende zu sein, denn der Kaiser selbst hatte sich wegen seines Alters aus diesen Entscheidungszwängen verabschiedet und zurückgezogen, trug nur noch der Ehren halber bei militärischen Anlässen und Paraden die prunkverzierte Uniform; selbst diese füllte er längst nicht mehr so aufrecht und stattlich aus, wie er einst körperlich ein imposanter Mann gewesen war.
Bereits in jungen Jahren hatte er den Krieg gesehen, jetzt wollte er ihn nicht mehr sehen müssen, wie er Gelder und Gläubige beiderseits verschlang. Regieren wollte er, ja, aber nicht sinnlos vernichten. Die Forderungen der Militärs nach mehr Waffen und Soldaten trieben ihn dann und wann in den tiefen Zwiespalt von Wehrhaftigkeit und Schutz für die Bürger und die Tatsache, dass jeder weitere Krieg Land und Leute in die Vernichtung schickte. Je mehr der Untertan litt oder ausgerottet wurde, konnten immer weniger Steuergelder eingefordert werden, die wiederum den Militärsäckel füllen sollten. Er selbst legte keinen Wert darauf, ein Diktator des Volkes und Feldherr der Schlacht zu sein, wie es in der Geschichte vor ihm Kaiser, Könige und nicht-adelige höhergestellte Vertreter der Bürger ausgiebig und mit der Unterstützung von abtrünnigen Militärs gelebt hatten, obwohl er mit manchen unter den Kommandanten der von ihm geleiteten Armee verschworene Verbindungen pflegte, die sich zur Männerfreundschaft entwickelt hatten.
Seine Art und Weise zu führen, baute auf Diplomatie in Gespräch unter den Augen und Ohren relevanter Männer, die ihren Einfluss geltend machten, und mithilfe von schriftlichem Austausch in langen Briefen, in welchen man sich die Treue unerlässlich gegenseitig schwor, bis das Papier im Wundwasser aufplatzender Lügengeschwüre schier davonschwamm, gab man sich der Gefallsucht hin.
Da juckte manch einem vor Wut der Säbel!
Den repräsentativen Schmuckdegen, der zu seinen Ämtern und Würden gehörte, betrachtete er eben als solchen: Es war diese gebogene Langwaffe ein schmückender Gegenstand an seinem Bauchgurt, den er niemals im Kampf Mann gegen Mann, weder bei Angriff noch zur eigenen Verteidigung, erheben und einsetzen wollte.
Niemals wieder.
Er hatte es getan, sich mit Waffengewalt in Schlachten und im Kampf Auge in Auge durchzusetzen, als er sehr jung gewesen war; jung und dem Ehrgeiz verfallen, etwas mit dem Ungestüm der jugendlichen Unversehrtheit bewirken und die Welt verändern zu können, ohne dabei Schrammen und Wunden davonzutragen.
Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit! Nur ein Traum, welchem die Menschen nachjagten, wie Kinder, die einen flatternden Schmetterling zu erhaschen versuchen.
Heute brauchte er Ruhe, weil er Entscheidungen fällen musste, die ihm nur schwer verdaulich mundeten, da er sich mit genau jenen militärisch heiklen Fragen auseinandersetzen sollte, die er zumeist seinen feldführenden Offizieren von Infanterie, Kavallerie und Kanonenbatterie überließ – er hatte dafür Beschaffungsoffiziere bestimmt, die für reichlich Proviantversorgung und Munitionsnachschub an die zu bestückende Front verantwortlich waren. Aber es waren, obwohl es hinten und vorne an finanziellen Mitteln mangelte, besondere Forderungen von seinen Offizieren an ihn gestellt worden, und es gab derzeit außerordentlich wichtige Entscheidungen, die nur er selbst anordnen konnte.
Die Leitoffiziere verlangten für die unteren Ränge und die ranglosen Soldaten mehr und besseres Essen!
Bequeme Unterkünfte und das Recht, ihre Frauen mit hinter die Linien der Kampfschauplätze mitnehmen zu dürfen, wollten sie haben!
Heilkundige Männer und Frauen sollten das Regiment mit Medizin und Verbandsmaterial begleiten! Feldlazarette wollten sie! Sogar mit eigener Versorgungsküche! Frische Tageskleidung forderten sie! Und sie pochten auf das Recht, sich regelmäßig die Stiefel neu besohlen zu lassen!
All das und noch viel mehr sollte die Schatzkammer des Kaiserreiches bezahlen. In dieser großen Rechnung stand allerdings noch nichts in konkreten Zahlen als Kostenvoranschlag – die Erwartungen - für finanziell in den ins Stocken geratenen Kriegsjahren zwingende Ausgaben, aus der vom Kämmerer als Eigentum betrachteten Staatskasse, niedergeschrieben, was ihn die neue Rüstung, Bewaffnung und Munition kosten würde. Es mussten Herolde umher durchs Reich geschickt werden, die in der einfachen Bevölkerung nach freiwilligen Gardisten, Soldaten, Infanteristen, Artilleristen, Kavalleristen und Helfern zur Wundversorgung als rechte Hand des Feldschers zu dienen für jene Kriegsmaschinerie bereit waren. Am schwierigsten würde es sich wohl erweisen, mehr als ein paar Freiwillige zu finden, die sich mit dem Feldarzt ins Gemetzel stürzen würden, um dem einem oder anderen armen Teufel das Leben zu retten oder das Sterben zu erleichtern – Sanitäter und Henker zugleich. Auch diese neue Körperschaft im Militär, die sich dem Wohle des Soldaten annehmen sollten, mussten mindestens wie der einfache Fußsoldat besoldet und ernährt werden. Eine kostspielige Neuerung war dies, die ebenfalls aus der bereits arg ausgebeuteten Staatskasse gelöhnt werden sollte.
Sein halblautes Aufseufzen hörte nur er selbst.
Kriege schienen ihm unbezahlbar zu werden, wenn er nicht dazu überging, die Bürger mit Steuern zu schröpfen.
Einnahmen steigern: Woher nahm er nur all das Geld, das die von den hohen Erwartungen der führenden Offiziere einstimmig verlangten, denn diese zumeist gut betuchten Militärs klagten über Ebbe in ihren privaten Vermögenskassen, aus denen sie für die allgemeine Kriegslust der Religionen bereits zu viel an Geldmittel geschöpft hatten. Leider wachsen Münzen, Goldstücke, Silberschätze und Edelsteine nicht an Busch und Baum, von welchen man sie mit einer Schar Bauern, Landarbeiter, Pflücker und Kinder leicht ernten könnte!
Seine schwangere Gattin spielte bereits mit dem kühnen Gedanken, einen Frauenmarsch zu organisieren, der in aller Eindringlichkeit daran erinnern sollte, welch Verluste sie bereits hingenommen und welche Bürden sie erduldet hatten, während immer wieder die Religionsfronten aneinandergerieten. Ihrem Temperament konnte kein Teufel etwas entgegensetzen!
Um all diese in den vergangenen fünf Monaten an ihn herangetragene Probleme sorgfältig durchdenken zu können, brauchte er Ruhe. Nichts Neues war es für Maximilian II., dem Erzherzog von Österreich, sich in seine Räumlichkeiten in Pressburg vor seiner Familie, seiner spanischen Frau Maria, die das nächste Kind erwartete, und seinen wuseligen Kindern für einige Stunden abgeschieden zurückzuziehen, um den Ausgabeplanungen fürs Militär, den Geschäften mit Pächtern und Handwerkern und den niemals endenden Anliegen der Reichsverwaltung gerecht zu werden, die seine persönliche Aufmerksamkeit und seine Unterschrift samt Siegel auf unterschiedlichen und mehreren Dokumenten erforderten, die er selbst in doppelter Ausführung von eigener Hand schrieb. Er brach sich dadurch keinen Zacken aus der Krone, die er eines Tages sicherlich von seinem Vater übernehmen würde, denn in seinem männlichen Verwandten, der eigentlich als Thronfolger im Gespräch war, hielt er selbst ganz und gar nichts.
Mit seinem Bruder Ferdinand stand er sich Front gegenüber Front. Der Rest der Adeligen, die nah und entfernt mit ihm in Blutsverwandtschaft standen, in seiner Familie waren zu sehr mit ihren schmierigen Intrigen beschäftigt, in jede Richtung sich gegenseitig eins auszuwischen, dass er sich als den einzigen Nachfolger für seinen Vater sah, erst recht, weil er schon seit längerem stellvertretend den Kaiser bei sämtlichen offiziellen Anlässen gab. Die anderen feierten lieber und vertrieben sich den langen Tag mit bösen Ränkespielen, aber für ihn kam das Regieren vor dem Feiern, und für die hinterhältigen Falschheiten und Nichtigkeiten war ihm alle Zeit zu schade, die er lieber im Familienkreis seiner engsten Liebsten verbrachte: er, Maria und die gemeinsamen Kinder.
Maximilian diente gern seinem an der Zahl stetig wachsenden – trotz des andauernden vernichtenden Religionskrieges – arbeitsamen Volkes, was man ihm manchmal vorwarf, nicht im Sinne der hierarchischen Tradition und der eigenen Adelsherkunft strenger oder gar grausam zu handeln, was ihm den einen und anderen Zwist mit seinem alternden Vater eingebracht hatte, den er selbst mehr und mehr als zu milde und nachgiebig handeln meinen sah, wenn es um die Verteilung der Machtverhältnisse in der Familie und in den dazugehörenden Königshäusern, wie dem befreundeten spanischen, ging. Ein elender Familienzwist war dies, in dem es sich nur um Macht drehte, den Patriarchen des Kaiserlichen Hofs immerzu in seiner unantastbaren Allmacht erhalten und zugleich stürzen zu wollen. Der Stammvater der volksführenden Adelssippe war jedoch betagt und gebrechlicher geworden, was die Machtgier und die Erbhabsucht in beschleunigten Galopp versetzt hatte, doch er sah die rasend schnelle Kaiserkutsche bald mit Achsbruch im Ablaufgraben landen, wenn von ihm kein Kontrakt aufgesetzt und durchgesetzt wurde, das dem Religionskrieg ein glimpfliches Ende bereiten würde. Nicht nur die Waffen und die Rüstung, sondern auch die Wertvorstellungen waren seiner Ansicht nach überaltert. Diese sollten mitsamt seinem sturen Vater abdanken, doch jener biss sich noch immer am ausfransenden Tuchrand der Macht fest und wollte ihm das Goldene Vlies noch nicht in majestätischer Instanz überlassen und alle Vollmachten zusprechen.
Wie immer sah er sich selbst nicht als zentral wichtige Person in einer Reihe von Adeligen seiner Ahnenversammlung, die vor ihm oder zu seiner Zeit das oberste Sagen, die höchste Macht über finanzielle Mittel verfügte und sie verteilte, wie es ihm beliebte, um seine egomanische Zielsetzung durchzusetzen, die ihn als den mächtigsten Mann im auseinanderbrechenden Römischen Reich auf den am edelhölzernen Podest allmählich morsch werdenden Königsthron oder gar auf den Kaiserstuhl erheben würde. Er ahnte allerdings in seiner Zeit weit voraus, genau dieses höchste Ziel zu erreichen, wenngleich man ihm dies nicht seiner Leistung von Einigung der seit Jahrhunderten in Schlachten, Scharmützel und Krieg verstrittenen Deutschen Völker oder der angestrebten Wahrung des Religionsfriedens in einem Augsburger Konzil-Dokument und einem niedergeschriebenen Vertrag zwischen Katholiken und Protestanten einzuhalten, trotz weiterhin unterschiedlicher Auslegung der christlichen Schriften keinen militärischen Konflikt – er wusste ganz genau, was Krieg ist, und er ahnte voraus, was vielleicht in der Welt noch geschehen würde, wenn die Religionen weiterhin einen hohen Stellenwert in der Macht über den Menschen im Alltag einnehmen würden, als er an die erlebten Schlachten um Schmalkalden dachte - zum wiederholten Mal heraufzubeschwören, wie es bereits viel zu oft und mit hohen Verlusten an militärischem Material und Mensch in der Vergangenheit seit Jahrhunderten geschehen war, mit voller Zustimmung zuschrieb – sein Vater war ein vom Alter beeinträchtigter Kaiser. Noch. Den gestärkten Rüschenkragen zu tragen, war er als Herzog längst gewohnt. Schon als kindlicher Knabe hatte er diesen tragen müssen. Er trat vielleicht, obwohl er in der eigenen Familie kaum auf Unterstützung stieß, schon in wenigen Jahren das Erbe des Kaiserthrons an, auf den entweder sein Bruder Ferdinand II. oder Philipp von Spanien Anspruch erheben könnten. Beide erschienen ihm nicht als fähig und willig zum Regieren.
Es musste ihm gelingen, eine neue Weltenordnung zu gestalten, die sich unter zwei Religionen leben ließ, die sich gegenseitig vielleicht nie lieben oder akzeptieren würden, aber keinen Krieg mehr gegeneinander führen würden, der das ganze Abendland, den fernen Osten und gar die ganze Welt in einen Topf voll kochenden Blutes stürzen würde.
Sonst beschwor dies Pest samt Englischer Schweiß herauf!
Maximilian blickte zuerst auf seine rechte Hand, die seinen liebsten Füllfederhalter hielt und in seiner klaren, etwas eckig übers Papier geführten Schrift über das besonders feine Dokument-Papier glitt, nicht von solch einfacher und schlechterer Qualität war, wie die kratzenden Federn, die er schon andernorts bei Bündnis-Unterzeichnungen von weniger begüterten Herzogen und Grafen gereicht bekommen hatte, wenn er aufgrund der Vergesslichkeit seines Gehilfen sein eigenes Schreibwerkzeug nicht mitgebracht hatte.