Jedes Sprichwort, jedes Buch, jedes kleine
Wörtchen, das die zu Hilfe und Trost bestimmt
ist, wird auf geraden oder verschlungenen
Wegen zu dir gelangen.
(R.W. Emerson)
Herstellung und Verlag
BOD Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783744826075
© Claudia J. Schulze / Anke Hartmann, 2018
In den Geschichten um Lukas, Kai, Mia und Anton werden Techniken angewandt, die sich beispielsweise im therapeutischen Ansatz von Viktor Emil Frankl finden, so beispielsweise die Selbsttranszendenz und die Suche nach einem übergeordneten Sinn. Zugleich kommen auch Ansätze aus anderen Therapieformen zum Einsatz, so z.B. kognitive Ansätze der Angstreduktion, konzentrative Verfahren und dann wiederum Ansätze, welche sich vorwiegend auf die Verhaltenstherapie und auf humanistische therapeutische Verfahren beziehen, welche unter anderem in der von Frankl entwickelten, hochwirksamen Logotherapie vorkommen.
(Stichwort Selbsttranszendenz). Die nun hier nachfolgenden Geschichten können dabei unabhängig von den anderen „Lukas-Büchern“ gelesen werden (siehe hinten), wobei diese Bücher selbstverständlich eine gute Ergänzung bieten können. Die nachfolgenden Geschichten werden abgerundet durch Impulsfragen, so dass ein kommunikativer Austausch stattfinden kann. Zudem empfiehlt es sich, gezielt mit Entspannungsverfahren zu arbeiten, insbesondere wenn belastende Themen auftauchen. Ein Beispiel ist die seelische Erkrankung von Kais Mutter. Hier sollte ressourcen- und entspannungsorientiert vorgegangen werden. In den Texten selbst finden sich hierauf bereits Hinweise; selbstverständlich ist dies ausbaubar. Maßnahmen, welche therapeutisch bei der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen eingesetzt werden, können hier ebenfalls kombiniert werden. Dies, wie auch der konkrete Einsatz und das Ausmaß des Einsatzes, ist der Vorbildung und der Erfahrung des Behandlers / der Behandlerin überlassen. Besonders empfehle ich das „Handbuch Entspannungsverfahrenn von Vaitl / Petermann), Beltz Verlag, Psychologie Verlags Union.
Die hier aufgeführten Geschichten sind Auszüge und Weiterführungen aus den hinten angegebenen Büchern. In allen werden Inhalte aus dem ICD-10 in literarischer Form behandelt. Als Einstieg könnte sich das Buch „Ruby Blue“ eignen. Dieses ist eine in einigen Bereichen „entschärfte“ Version des Buches „Nachtflüge“.
In den ersten Wochen und Monaten nachdem seine Mutter alle verlassen hatte, war Kai immer wieder von zuhause weggelaufen.
Der Schock saß tief, und die Tatsache, wie die anderen Menschen über seine Mutter sprachen, machte es nun wirklich nicht besser.
Der Arzt, zu dem er ein paar Mal gegangen war hatte versucht ihm zu erklären, was es mit der Krankheit seiner Mutter auf sich hatte.
„Depressionen“. Dieses Wort verfolgte Kai nun bis in die Nächte.
Er konnte nicht sehr viel damit anfangen, und damit war er offenbar nicht allein. „Diese Frau sollte sich wirklich zusammenreißen“, „Uns allen geht es mal schlecht!“, „Diese Egoistin!“ Das waren noch die freundlicheren Dinge, die Kai über seine Mutter hören musste.
Er hatte Briefe von ihr gefunden, Gedanken, die sie aufgeschrieben hatte.
Drei davon hatten sich ihm besonders eingeprägt.
Je mehr ich die Menschen kennenlerne desto mehr fürchte ich sie.
Es ist keine Schande dieses Leben nicht zu ertragen.
Man kann einem Menschen auf viele Arten das Leben nehmen.
So sehr er sich bemühte – so ganz konnte er das alles nicht verstehen. Oft wollte er einfach nur noch weg sein. Ganz weit weg.
So weit, dass er nicht mehr würde nachdenken müssen – nicht über die Sätze seiner Mutter, nicht über das Wort „Depressionen“, und nicht über das, was die anderen Menschen über seine Mutter sagten. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken wie er sie gefunden hatteer wollte einfach nur noch da sein, da sein ohne nachzudenken. Das Weglaufen kam ihm da sehr entgegen.
Einmal wurde er in der Stadt von der Polizei gefunden und sofort wieder zu seinem Vater gebracht.
Ein anderes Mal hatte ihn ein Schaffner aus dem Zug holen lassen, weil er keine Fahrkarte bei sich hatte, dann schließlich war er für einen halben Tag auf einem Flussdampfer unterwegs, aber natürlich kam er auch hier nicht weit. Er machte jedes Mal ein Riesen-Theater, wenn er wieder nachhause gebracht wurde.
Andererseits war das auch nicht gerade schwer zu verstehen. Nach dem, was er dort erlebt hatte, war es ja immerhin ziemlich verständlich, dass er von dort ausreißen wollte. Irgendwann, Kai wusste eigentlich selbst nicht warum, ließ er es bleiben, einfach so. Vielleicht hing das mit seiner Katze zusammen oder mit Tiffy, dem Hamster. Möglicherweise hatte er aber auch einfach nur das Interesse daran verloren. Eine Zeit lang sah es so aus. Es sah sogar so aus, als habe er das Interesse an so ziemlich allem verloren. Allein schon wie er den Kopf hängen ließ sprach Bände.
Der Arzt, zu dem er noch immer ging sprach immer noch von „Depression“, diesmal meinte er offenbar Kai selbst.
Ja, dieses Gefühl war kein Spaß. Ganz im Gegenteil. Alles, das schön war oder schön gewesen war verschwand als würde jemand mit einem riesigen Staubsauger alles in sich hineinsaugen. Kai hatte keine Energie und Kraft übrig, und er lachte beinahe ein ganzes Jahr überhaupt nicht mehr. Und das wollte was heißen. Kai, das sollte man nämlich wissen, lachte sonst überaus gerne. Aber plötzlich ging es beim besten Willen nicht mehr.
Es war, als hätte jemand in seinem Kopf einfach so einen Schalter umgelegt oder ihn mit Leere angefüllt die sich, obwohl es doch Leere war, so schwer anfühlte. Manchmal gelang es ihm kaum seine Beine anzuheben. Sie waren so schwer geworden. Alles war schwer geworden. Gelegentlich sogar das Atmen. Alles schien außerdem leer, grau und vollkommen bedeutungslos geworden zu sein. Ab und zu machte er etwas kaputt oder sorgte dafür, dass es jemand anderem auch schlecht ging, doch das half ihm auch nicht weiter.
Der Arzt machte sich Sorgen, Kais Vater natürlich auch. Er bekam Tabletten und alle hatten viele Ideen was er machen müsste um sich besser zu fühlen. Kai selbst jedoch fühlte gar nichts. In dieser Zeit war ihm alles gleichgültig.
Merkwürdig war, dass ausgerechnet Lukas, der Junge, den er in der Schule immer aufs Korn genommen hatte, dafür sorgte, dass es ihm wieder besser ging. Es war keine Zauberei im Spiel. Lukas wurde einfach nur sein Freund. Und er hörte ihm zu.
Nicht mehr und nicht weniger. Kai wusste mittlerweile, dass das, was ihm half, also die enge Freundschaft mit Lukas, nicht bei jedem geholfen hätte.
Und auch, dass er Glück mit dem richtigen Zeitpunkt gehabt hatte. Doch wusste er trotz allem, dass es kein Rezept gab, welches bei jedem genau gleich wirkte. Von Rezepten und Ratschlägen hatte er genug.
Was er persönlich jetzt brauchte war Lukas, und Lukas brauchte ihn.
Im Baumhaus erzählte er ihm die Geschichte von Verda, einem grünen Marsmädchen.
Die Geschichte hatte er von Mia – wie fast alles was gut war.
Verda, das kritzegrüne Marsmädchen
Verda, das kritzegrüne Marsmädchen, war ziemlich aufgeschlossen, offen und sehr beliebt. Obgleich niemand auf ihrem Planeten wirklich an die Existenz außerirdischen Lebens glaubte, machte Verda eine Ausnahme. Sie trug sogar Transparente mit sich umher, auf denen sie darauf hinwies, dass sie an die Existenz von Menschen glaubte. Das Marsmädchen konnte nämlich etwas, das nicht gerade alltäglich war. Sie konnte singen.
Zugegebenermaßen war es kein besonders schöner Gesang, vielmehr war es wohl am ehesten mit dem verzweifelten Gekrächze eines zutiefst erkälteten Erdmenschen zu vergleichen. Und trotzdem war da etwas Besonderes in ihrem Gesang. An manchen Tagen nämlich, ganz ohne Vorwarnung, leuchtete, ganz wunderbar, etwas anderes hinter diesem Geröchle hervor.