Roland M. Horn: Atlantis – Alter Mythos – Neue Beweise
Roland M. Horn
ATLANTIS
Alter Mythos – Neue Beweise
1. Auflage 2020
© Aquamarin Verlag GmbH
Voglherd 1
85567 Grafing
www.aquamarin-verlag.de
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
Satz: Sebastian Carl, 83123 Amerang
ISBN 978-3-96861-138-9
Inhalt
Vorwort
Einleitung
I. Atlantis lag im Atlantik – Die geologisch/ozeanographische Seite
II. An einem schrecklichen Tage und einer schlimmen Nacht – Das Atlantis-Inferno
III. Edgar Cayce – Israel, Atlantis und der Nil
IV. Verstecktes Geheimwissen in den Pyramiden von Giseh?
V. Das geologische Alter der Sphinx
VI. Das Problem mit den Entlastungskammern
VII. Die Maya und ihre Verbindung zu Atlantis
VIII.Mu und Lemuria – Die Frage nach einem verlorenen Kontinent im Pazifik
IX. Der Tempel von Dendera
Danksagungen
Literaturverzeichnis
Für meinen Vater Otto Horn,
der diese Welt leider viel zu früh verlassen musste.
Vorwort
von Walter Jörg Langbein
Auch heute noch hat der Name „Atlantis“ einen geheimnisvollen Reiz. Die Geschichte vom legendären Reich, das einst in den Fluten des Atlantik versank, erscheint heute als durchaus aktuell. Kann sich eine solche Katastrophe vielleicht sogar wiederholen? Oder ist der Mythos um Atlantis ein schönes altes Märchen aus vorgeschichtlichen Zeiten, ohne realen geschichtlichen Hintergrund? Erinnern wir uns: Auch das Troja Homers wurde gern als fantasiereiche Erfindung abgetan. Doch die „Dichtung“ erwies sich, nicht zuletzt ist das ein Verdienst Heinrich Schliemanns, als archäologisch verwertbare Quelle.
Wir wissen heute: Homer hatte recht. Troja gab es. Und die Existenz Trojas, jener kleinasiatischen Metropole, war jahrhundertelang heftig umstritten.
Aber wie verhält es sich mit Atlantis? Wollte Platon historische Ereignisse schildern? War es seine Absicht, einer verhängnisvollen Katastrophe ein Denkmal zu setzen? Oder ging es ihm in einer Fiktion nur um die Beschreibung eines utopischen „Goldenen Zeitalters“?
Die Geologen, so scheint es, haben ihr Urteil über Atlantis längst gefällt: „Den versunkenen Kontinent gab es nicht. Im Bereich des heutigen Atlantik kann es keinen Kontinent gegeben haben!“ Ist dem wirklich so? Roland Horn, der kenntnisreiche Autor einer ganzen Reihe von bemerkenswerten Sachbüchern, beweist, dass es keineswegs die Haltung der Geologen in Sachen Atlantis gibt. Er dokumentiert vielmehr, dass es eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Entdeckungen gab, die für einen versunkenen Kontinent sprechen. Diesen Entdeckungen allerdings wurde bis heute nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Was der vermeintlich wissenschaftlichen Lehrmeinung widerspricht, das wird geflissentlich verschwiegen. Roland Horn allerdings legt die Fakten auf den Tisch. Er fabuliert nicht, er nennt die konkreten Erkenntnisse, die sehr deutlich für die Existenz von Atlantis sprechen!
Offenbar bedarf es eines unvoreingenommenen Experten, der keine falschen Tabus kennt und alle zur Verfügung stehenden Quellen nutzt. Horn handelt dabei als Wissenschaftler im besten Sinne des Wortes: Er schafft Wissen, indem er planmäßig nach Informationen über Atlantis sucht. Er wurde, dank akribischen Quellenstudiums, vielfältig fündig. Die Fakten setzte er wie ein Puzzle aus zahlreichen Teilchen zu einem faszinierenden Weltbild zusammen. Edgar Cayce, arabische Überlieferungen, geologische Untersuchungen der Sphinx, die Cheops-Pyramide, Mu, die Hopi-Indianer und die Vorfahren der Maya sind keineswegs nur faszinierende Schlagworte. Sie spielen wichtige Rollen in der Geschichte der Menschheit und des Planeten Erde.
Man kann die einzelnen Rätsel unseres Planeten mit Musikinstrumenten vergleichen. Unzählige Male haben wir sie einzeln gehört. Immer wieder lauschten wir fasziniert ihren Klängen. Roland Horn geht nun einen großen Schritt weiter. Er fügt sie zu einem stimmigen Orchesterwerk zusammen.
Sein Gesamtbild ist wahrhaft faszinierend und bei aller Spekulation immer auch wissenschaftlich fundiert. Überzeugend wirkt die Vielzahl von Fakten aus zahllosen Quellen – in ihrem Zusammenwirken, in ihrem Zusammenspiel.
Offenbar bedarf es eines ‘Laien’ wie Roland Horn, der mutig auch unkonventionelle Gedanken wagt und neugierig über den Tellerrand einzelner Wissenschaftsdisziplinen hinwegschaut! Und er macht deutlich, wie falsch eine unangebrachte Überheblichkeit heutiger Zeitgenossen ist, welche die gegenwärtige Zivilisation als Kulminationspunkt menschlicher Entwicklung verherrlicht. Nach wie vor wird die Gegenwart gern als das Non plus ultra angesehen, gleichsam als Krone der Weltgeschichte. Roland Horn aber beweist: Die Hochkultur Atlantis hat wohl existiert, dafür sprechen unleugbare Fakten.
Der Name „Atlantis“, so mutmaßt Horn, steht nicht für ein dichterisches Hirngespinst. Atlantis war vielmehr real – eine vor Jahrtausenden schon erstaunlich entwickelte Zivilisation, die der unseren kaum nachstand.
Warum ist Atlantis untergegangen? Auch dieser Frage geht Roland Horn nicht aus dem Weg. Es geht um mehr als um uralte Historie. Es wird nicht einfach nur darüber nachgedacht, was vielleicht vor zehn Jahrtausenden geschah. Es geht auch um die Zukunft des Planeten Erde: Die Atlantis-Katastrophe kann sich ohne Zweifel jederzeit wiederholen. Welche Ausmaße so ein künftiges Fiasko haben könnte, das verdeutlicht Roland Horns Blick auf Atlantis und die Welt von vorgestern. Seine bemerkenswerte Studie sollte uns aufrütteln: Wir müssen darüber nachdenken, ob ein katastrophaler Aufprall eines Himmelskörpers auf der Erde rechtzeitig mit Mitteln der Raumfahrt verhindert werden könnte – damit uns ein neuer Untergang à la Atlantis, mit Millionen von Todesopfern, erspart bleibt.
Einleitung
Als der Philosoph Platon in seinen Dialogen Timaios und Kritias das Wort Atlantis verwendete, konnte er nicht wissen, wie berühmt dieser Begriff einmal werden würde. Platon konnte nicht ahnen, dass er einen Streit in die Welt setzen sollte, der bis in die heutige Zeit andauert – und wer weiß, wie lange er noch andauern wird. Platons im Verlauf eines schrecklichen Tages und einer schlimmen Nacht versunkene Insel erregt die Gemüter bis heute. Für viele Wissenschaftler ist Atlantis ein Ärgernis, und sie werfen Atlantis-Forschern – die sie häufig Atlantisten nennen – vor, verträumte Gemüter zu sein, die auf ein rückwärtsgerichtetes, freilich nie wirklich existentes Utopia zurückblicken. Dabei war nach Platons Beschreibung Atlantis alles andere als ein Utopia. Es war eine zunächst gut funktionierende Gemeinschaft, die später jedoch zunehmend barbarischer wurde. Die Atlanter waren ein kriegerisches Volk, das Feldzüge gegen Griechenland führte und zahlreiche andere Staaten unterwarf.
Atlantis war wahrlich kein Utopia. Trotzdem kann es nicht vergessen werden. Ist es vielleicht gar nicht der Wunsch nach einem Utopia, sondern eine nie verloschene Erinnerung an ein tatsächlich einst vorhandenes Zeitalter, vielleicht an den Beginn der menschlichen Zivilisation, möglicherweise lange bevor es unsere fortgeschrittene Zivilisation überhaupt geben durfte? Platon beschrieb Atlantis als eine Insel, die jenseits der Säulen des Herakles gelegen hätte, also vor der Meerenge von Gibraltar. Er beschrieb sogar einen Kontinent, der Atlantis gegenüber lag – und zwischen beiden befanden sich Inseln. Ist dies nicht eine deutliche Beschreibung des amerikanischen Doppelkontinentes mit den davor liegenden karibischen Eilanden?
Eine äußerst umstrittene Person in der gesamten Atlantis-Debatte ist der amerikanische Heiler und Seher Edgar Cayce, der gerne in die „Okkultisten-Schublade“ gesteckt wird. Ob er allerdings tatsächlich in einem Zug mit den Okkultisten genannt werden sollte, wird noch zu hinterfragen sein. Tatsächlich brachte Cayce Atlantis mit einem prädynastischen Ägypten in Verbindung, das die Ägypter wohl aus ihren Überlieferungen kennen, das von den meisten Wissenschaftlern, die eher konservativ eingestellt sind, aber als „Mythos“ oder „Religion“ angesehen wird. Hat es tatsächlich existiert? Bestand eine Verbindung zwischen Atlantis und einem geheimnisvollen prädynastischen Ägypten? Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass es Anfang der 90er Jahre eine gut fundierte Theorie gibt, welche die große Sphinx von Ägypten auf ein prädynastisches Ägypten zurückführt. Wenn diese Theorie zutreffend ist: Wer hat die Große Sphinx erbaut? Gibt es womöglich einen Zusammenhang mit dem legendären Atlantis?
Wir werden noch sehen: Es gibt sogar Hinweise darauf, dass es in der „Welt von vorgestern“, in der Atlantis eine große Rolle zu spielen schien, eine fortgeschrittene Kultur gab.
Folgen Sie mir also in eine Welt von vorgestern, die längst vergessen wurde.
I.
Atlantis lag im Atlantik – Die geologisch/ozeanographische Seite
„Damals nämlich war das Meer dort fahrbar, denn vor der Mündung, welche ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles heißt, hatte es eine Insel, welche größer war als Asien und Libyen zusammen, und von ihr konnte man damals nach den übrigen Inseln hinübersetzen, und von den Inseln auf das ganze gegenüberliegende Festland, welches jenes recht eigentlich so zu nennende Meer umschließt. Denn alles Das, was sich innerhalb der eben genannten Mündung befindet, erscheint wie eine (bloße) Bucht mit einem engen Eingange, jenes Meer aber kann in Wahrheit also und das es umgebende Land mit vollem Fug und Recht Festland heißen.“1
„Damals nämlich war das Meer dort schiffbar; denn vor der Meerenge, die in eurer Sprache ‘die Säulen des Herakles’ heißt, lag eine Insel; diese Insel war größer als Libyen (Afrika) und Asien zusammengenommen, und von ihr war damals der Übergang möglich nach den anderen Inseln, von diesen Inseln aber wieder auf das gegenüberliegende Festland, welches jenes Meer umschließt, das eigentlich alleine den Namen Meer verdient. Denn dieses unser Meer, das innerhalb der bezeichneten Meerenge liegt, erweist sich nur als eine Bucht mit schmalem Eingang; dagegen kann jenes Meer in Wahrheit so, und das eigentliche, und das es umschließende Festland mit vollem Recht Festland genannt werden.“2
„Damals nämlich war jenes Meer befahrbar. Dieses offene Meer nun hatte eine Insel vor der Mündung, welche ihr, wie es heißt, Stelen des Herakles nennt. Diese Insel, von welcher aus den damaligen Reisenden ein Zugang auf die anderen Inseln möglich war und von diesen Inseln aber auf das ganze Festland gegenüber, dasjenige inmitten jenes wahren Meeres ringsum, hatte größere Bedeutung als Libyen und Asien zusammengenommen. Diese (Insel) nun nämlich, ungefähr innerhalb der Mündung, von welcher wir sprachen, schien irgendeinen Hafen zur Einfahrt von Schiffen zu haben. Das Land, welches jenes offene Meer um sich ringsherum hatte, durfte wirklich wahr und wahrhaftig am richtigsten Festland genannt werden.“3
Diese Zitate stammten aus drei verschiedenen Übersetzungen des Timaios Dialogs 24e – 25a. Der Philosoph Platon beschreibt hier die Lokalisation der einstigen Insel Atlantis. Diese Insel Atlantis wird in Teilen jenes Timaios- und im Kritias-Dialog beschrieben. Platon berichtet von dem Besuch des großen Staatsmannes Solon in Ägypten, der dort erfahren haben will, dass die ägyptischen Priester von Sais schriftliche Berichte zum Atlantis-Thema besitzen. Solon wiederum vertraute seinem Verwandten Dropides die unglaubliche Überlieferung an, die er an seinen Sohn, Kritias den Älteren, weitergab, der die Geschichte wiederum seinem Enkel Kritias erzählte, nach dem der oben erwähnte Platon-Dialog benannt ist.
In den genannten Schriften wird dieses Inselreich als das Herz eines großen und wundervollen Reiches beschrieben, das sowohl über eine blühende Bevölkerung als auch über Städte mit goldenen Dächern, eine mächtige Flotte und eine Armee für Eroberungsfeldzüge verfügte. Atlantis existierte nach Platons Angaben bis neuntausend Jahre vor seiner Zeit, und Platon lebte 427 v. Chr. bis 347 v. Chr. in Athen. Demnach musste Atlantis also etwa 9500 v. Chr. untergegangen sein. Der Philosoph beschreibt Atlantis als ein Paradies, als eine Insel mit gewaltigen Gebirgen und fruchtbaren Ebenen, schiffbaren Flüssen und reichen Bodenschätzen. Doch dieses mächtige Reich verschwand „im Verlaufe eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht” im Meer.
Doch kommen wir nun auf die Lokalisierungsfrage zurück, über welche die oben zitierte Textstelle spricht. Dort ist die Rede von einem Eingang, der von einem Meer zu einem weiteren (wahren) Meer führt. Das zuerst genannte Meer ist dagegen eher vergleichbar mit einer Bucht mit engem Eingang. Dieser Eingang wird „die Stelen (oder Säulen) des Herakles“ genannt. Das ist Gibraltar. Jenseits dieses Einganges gab es in dem „wahren Meer“ Inseln, und es wird von einem Festland umschlossen. Auch wenn es mittlerweile keinen Ort der Welt mehr geben dürfte, der nie mit dieser sagenhaften Insel Atlantis in Verbindung gebracht wurde, so stellt sich die Lokalisierungsfrage genau genommen gar nicht, denn jenseits von Gibraltar befindet sich der Atlantische Ozean, der im Vergleich zum Mittelmeer wirklich ein „wahres“ Meer ist. Mitten im Atlantik und besonders im Osten dieses Ozeans (in der Karibik) befinden sich Inseln, die sich ohne weiteres mit den von Platon im obigen Zitat erwähnten Inseln decken könnten. Dahinter schließt sich tatsächlich ein gewaltiges Festland an, der amerikanische Doppelkontinent, der jeweils im Norden und im Süden eine kleine Stelle für den Ozean lässt. Man kann tatsächlich sagen, dass Amerika den Atlantik (mehr oder weniger) umschließt.
Nun ist es so, dass neuntausend Jahre vor Platons Zeit, also knapp 9500 v.u.Z., für uns eine sehr lange Zeit ist. Aus diesem Zeitraum ist uns keinerlei Zivilisation bekannt. So versucht man oft, Atlantis in eine für die konservative Wissenschaft glaubwürdige Zeit und an einen anderen Ort zu verlegen, zumal nach Meinung der Mainstream-Geologen ein Kontinent im Atlantik nie hätte existieren können. So kommt es beispielsweise manchen Autoren gerade recht, dass angeblich in der Epoche Platons der Begriff „Stelen des Herakles“ auch für andere Meerengen verwendet worden sei und man Atlantis so außerhalb des Bosporus im Schwarzen Meer lokalisieren könne. So kann man auch den Zeitraum deutlich weiter nach vorne – in eine spätere Zeit – verschieben. Doch der Versuch schlägt fehl. Erstens lässt Platon keinen Raum für Rechenspiele. Das Argument, man habe sich beispielsweise um eine Null verschätzt, kann nur als Behelfsmittel angesehen werden, und zweitens wird in allen drei mir vorliegenden Quellen von einer Meerenge gesprochen, die den Griechen als „Stelen des Herakles“ bekannt ist. Es handelt sich um eine bestimmte Meerenge. Jene, die den Griechen zu jeder Zeit unter diesem Namen bekannt war: Der Meerenge von Gibraltar. Wie wir gesehen haben, deckt sich auch die Geographie mit Platons Angaben.
Wenn Atlantis existiert hat, dann lag es im Atlantik. Oder Platon hat es erfunden. Das sind die Alternativen. Tatsächlich wird oft behauptet, Platon habe Atlantis erfunden, um den Griechen von einem „perfekten Staat“, von einem Vorbild für sie selbst, zu erzählen. Doch war Atlantis ein vorbildlicher Staat? Wer Platon gelesen hat, weiß, dass es sich zumindest in den späteren Zeiten um einen barbarischen und kriegerischen Staat handelte, der mit einem früheren Griechenland im Streit stand und weite Teile Europas geknechtet hielt. Ein Vorbild für die Hellenen?
Der in der Sowjetunion ausgebildete Wissenschaftler Nicolai Zhirov hat sich in seinem Buch Atlantology: Basic Problems ausgiebig mit diesem Problem befasst. Er kommt zu dem Schluss:
„(…), falls Atlantis eine Erfindung war, eine Absurdität, warum sollte Platon es für notwendig gehalten haben, eine Absurdität an die andere aneinanderzureihen – gerade dann, wenn seine Zeitgenossen damit einverstanden waren, dass dies eine reichhaltige Fantasie ist. Nebenbei: Seine Geographie unterscheidet sich tatsächlich von der geographischen Auffassung seiner Zeit, und das Gleiche kann über seine Mythologie gesagt werden.“4
Platons Geographie weicht wahrlich von jener seiner Zeitgenossen ab. Für sie war Gibraltar das Ende der Welt; und Platon berichtete von einer Welt jenseits dieses „Endes der Welt“, das dazu noch mit unseren heutigen Kenntnissen übereinstimmt. Wenn er von Amerika und den karibischen Insel wusste, warum sollte er dann dort noch eine ehemalige große Insel, die mit dekadenten Menschen bevölkert war, dazu erfinden? Doch wenn es Platons „Atlantis“ tatsächlich gegeben hat, müssen sich dann nicht auch geologische Beweise finden lassen?
Die Geologin Dorothy B. Vitalino schreibt dazu:
„Im Lichte dessen, was heute über die Meeresböden bekannt ist, können wir ganz bestimmt die Möglichkeit ausschließen, dass im Südatlantik oder in irgendeinem Meeresbecken eine versunkene Landmasse von einer substanziellen Größe liegt. Es wurde jetzt festgestellt – aus der Geschwindigkeit, mit der sich Erdbebenvibrationen durch die Erde verbreiten –, dass die Masse der Erdkruste, die unter den Kontinenten liegt (einschließlich ihrer untergetauchten Ränder) sich vom Material unter den Ozeanböden unterscheidet. Nirgends im Ozeanbecken finden sich Anzeichen einer großen Masse (Kruste) vom Kontinentaltyp, die für einen versunkenen Kontinent sprechen könnte.“5
Hier müssen zunächst die Begriffe erklärt werden, von denen Vitalino spricht:
Die Erdkruste ist die äußere Schicht der Erde, unter welcher der zähplastische Erdmantel liegt. Etwa neunundzwanzigtausend Kilometer tiefer liegt der größtenteils flüssige Erdkern. Was uns hier an der Stelle jedoch interessiert, ist die Erdkruste, von der es zweierlei Typen gibt:
1.Die Ozeanische Erdkruste:
Sie wird auch Sima genannt, da sie neben Sauerstoff und Silizium einen hohen Magnesiumanteil aufweist.
Diese Kruste entsteht an auseinander driftenden Plattengrenzen am Meeresgrund. Dort tritt aus dem Erdmantel basaltisches Magma aus. Es erstarrt und bildet ein System weltumspannender Rücken. Dieses Krustengestein wiederum besteht hauptsächlich aus basaltähnlichem Gabbro. Dieser Erdkrustentyp ist nur selten dicker als zehn Zentimeter.
2.Die kontinentale Erdkruste:
Sie wird auch Sial genannt, da sie (neben Sauerstoff) hauptsächlich aus Silizium und Aluminium besteht.
Dieser Krustentyp ist leichter als die ozeanische Erdkruste und besteht hauptsächlich aus Granit und Gneis. Es ist das Endprodukt eines Vorgangs, der weniger dichte Mineralien im Laufe der Erdgeschichte zur Erdoberfläche aufsteigen ließ. Isostasie (die besagt, dass das Gewicht aller Massen in einer bestimmten Tiefe innerhalb der Erde gleich ist) und Vulkanismus haben bei diesem Vorgang ebenso eine Rolle gespielt wie die Verwitterung, die zur Ablagerung von Sedimenten führt.
Zunächst müssen wir Vitalino entgegenhalten, dass Platon nirgends geschrieben hat, Atlantis sei ein Kontinent gewesen. Er schrieb immer nur von einer „großen Insel“. Zum Zweiten ist unklar, was für sie eine „Landmasse mit einer substanziellen Größe“ bedeutet. Dem dritten und wichtigsten Argument aber steht eine Aussage des Naturwissenschaftlers und Atlantologen Klaus Aschenbrenner diametral entgegen.
Aschenbrenner schreibt:
„So stößt man beispielsweise an den Küsten sämtlicher Azoreninseln auf Geröllblöcke aus Granit, Quarz und Glimmerschiefer. Diese Gesteine sind vor vielen Millionen Jahren im Festland der Kontinentalplatten entstanden. Sie bildeten sich keinesfalls aus dem Magma, das durch Spalten der Erdkruste in den Tiefseebereich quillt. Einige Geologen machen die Eiszeit für das Vorhandensein jener Felsblöcke verantwortlich. Ihrer Meinung nach sollen Eiszeitgletscher das Gesteinsmaterial dorthin transportiert haben. Sogar die Vermutung, dass ganze Schiffsladungen des Gesteinsmaterials an den betreffenden Stellen ausgekippt wurden, ist ein Erklärungsversuch, den Atlantis-Gegner ins Feld führen.“6
Diese Mühe macht sich Vitalino gar nicht. Sie leugnet diese Funde einfach. Und sie weiß sicherlich, dass das Azoren-Plateau jene Gegend ist, an der Atlantis am häufigsten vermutet wird.
Hier scheint sich eine Aussage des Autors und Atlantologen R. C. Leonard zu bewahrheiten. Er sagte:
„Gelogen scheinen ein kurzes Gedächtnis zu haben, wenn es um Atlantis geht.“7
Auch William Maurice „Doc“ Ewing (1906-1974) war kein Freund der Atlantis-Idee. Er war ein amerikanischer Geophysiker und Ozeanograph. 1948 war er Professor der Geologie an der Columbia-University und deren Leiter. Bekannt wurde Ewing unter dem Namen Maurice Ewing, auch wenn ihn seine Mitarbeiter gerne einfach nur „Doc“ nannten.
Bezeichnenderweise hieß sein Schiff, mit dem er 1948 den Mittelatlantischen Rücken erforschte, Atlantis. Ewing betonte jedoch:
„Romantiker verbinden unweigerlich den Rücken mit der Legende des verlorenen Kontinents, der laut Platon „an einem einzigen Tag und in einer schrecklichen Nacht“ in den Fluten versank.
Obwohl unser Schiff Atlantis hieß, hatten wir keine Illusionen, die alte Mystery-Story zu lösen.“8
Bereits nordwestlich von Bermuda, auf dem Weg zum Mittelatlantischen Rücken, machte Ewing eine verblüffende Entdeckung. Seine Mannschaft untersuchte einen unterseeischen Berg, der 1945 entdeckt worden war. Dort entnahm Ewings Mannschaft einen Bohrkern und stellte später im Labor am Columbia Observatorium zu ihrem Erstaunen fest, dass der gefundene Bohrkern Millionen von Jahren überdauert hatte. Er beinhaltete zwei ausgeprägte Schichten. Der obere Teil schien ein rezentes (also im geologischen Sinn relativ „junges“) Tief-See-Sediment zu sein, das fern vom Land in einer Tiefe von über 4,5 Kilometern vorkommt. Dieses Sediment wird „Globigerinenschlamm“ genannt. Der Rest war feinkörniger und weiß, im Gegensatz zu dem cremefarbenen unteren Teil. Der Kalkstein enthielt Foraminiferen (tierische Einzeller), die aus dem Erd-Zeitalter Eozän stammten, das vor 55,8 Millionen Jahren begann und vor 33,9 Millionen Jahren endete.9
Ewing sagt:
„Soweit ich weiß, ist dies das erste Mal, das Sedimente, die älter als ein paar tausend Jahre sind, aus einer beträchtlichen Tiefe in irgendeinem Ozean geborgen wurden.“10
„Unsere Entdeckung von Eozän-Sedimenten im offenen Ozean in einem unterseeischen Berg nahe Bermuda, weit im Westen des Mittelatlantischen Rückens, ist schwer mit der Wegenerschen Theorie über die Bildung des Atlantischen Ozeans in Einklang zu bringen (…) Im Eozän war der Ozean nur ein schmaler Graben in der Nähe des Rückens. Unser Bohrkern zeigte, dass der westliche Teil des Atlantiks lange Zeit Meer war.“11
Nach dieser interessanten Entdeckung sollte es nicht lange dauern, bis die Crew der Atlantis auf die nächste stieß. Hierzu hören wir uns noch einmal Ewing an:
„Von einem Punkt ungefähr 385 nautische Meilen [etwas über 700 Kilometer] nordöstlich von Bermuda zu einem Punkt etwa 945 Meilen [etwa 1520 Kilometer] westlich der Azoren zeigte unser Test kein doppeltes Echo. Diese Ergebnisse, die wir sorgfältig nachprüften, bedeuten, dass in mindestens 320 Meilen [etwa 515 Kilometern] die Sedimente im tiefen Meeresboden weniger als 500 Fuß [etwa 152 Meter] dick waren.
Diese Entdeckung war überraschend, weil der Boden der Tiefsee nach den meisten Geologen mit einer großen und gleichartigen Dicke von Sedimenten – tausende von Fuß – bedeckt ist, die sich auf ihr wie ein beständiger, nicht weiterziehender Schneefall angehäuft hätten, so dass seine Bildung und ihre Reste für immer ungestört verbleiben.“12 (Angaben in Klammern durch den Autor)
Nun wird es aber für unser Thema weitaus spannender, denn Ewing schreibt (die Expedition war mittlerweile am mittelatlantischen Rücken angekommen):
„Unter einem Bohrkern von lediglich wenigen Zentimetern an Sediment befand sich ein frisch gebrochenes Fels-Stückchen, das etwa einen Durchmesser von einem Inch [etwa 25 mm] im Durchmesser hatte. Dieser Fels war deutlich vulkanisch – kristallisiert aus einem geschmolzenen Zustand wie Granit und vielen anderen verwandten Gesteinen. Geologen nennen diesen Felsen Olivin-Gabbro.
Der Bohrkern oberhalb des Felsens war nicht das typische Tiefsee-Sediment, sondern Material, das aus dem chemischen und mechanischen Zusammenbruch des Gabbro-Felsen resultiert.“13
Das Felsstückchen war offensichtlich aus einer Kluft zwischen Felsblöcken gezogen worden. Es war nicht das typische Tiefsee-Sediment, und so langsam kommen wir der Sache, um die es eigentlich geht, näher.
Dass der Mittelatlantische Rücken ein Zentrum für Erdbeben ist, wusste man schon vorher14, doch eine durch die Expedition gefundene Kombination von steilen Abhängen und tiefen Gräben legt nahe, dass auch in historischen Zeiten dort Erdbeben stattgefunden haben könnten.15
Ewings Team stieß im weiteren Verlauf auf etliche flache Terrassen, die typisch für die Flanken des Mittelatlantischen Rückens sind. Diese Terrassen waren um die fünfzig Kilometer breit und über drei Kilometer tief.16
Eine äußerst interessante Aussage macht Ewing, wenn er schreibt:
„Eine eher wilde Idee brachte uns dazu, uns vier Stunden lang der Ausgrabung und diesem besonderen Felsen zu widmen. Unsere Hypothese war, dass diese langen, ebenen Terrassen, mit Sedimenten, die bis zu 3000 feet [etwa 915 Meter] reichten, untergegangene Strandlinien waren. Wenn dem so wäre, sollten die steilen Kliffe, die von ihnen aufstiegen, Felsbrocken an ihrer Basis haben; wie wellenbrechende Kliffe in unseren Tagen.
Es ist selbstverständlich eine extrem radikale Spekulation, diese ebenen Terrassen mehr als zwei Meilen [3,2 Kilometer] unter der Erdoberfläche als frühere Strände zu identifizieren. Solch eine Theorie würde die deutlichen, aber geradezu unglaublichen Schlüsse erfordern, dass das Land hier zwei Meilen abgesackt oder aber die See um diese Höhe angestiegen ist.“17
„Eine radikale Theorie“? Warum? Weil sich dieser Anstieg des Meeresspiegels oder das Absacken des Landes nach ihr ausgerechnet im Mittelatlantischen Rücken zugetragen haben muss, auf dem nach Meinung vieler Atlantis-Forscher und nach der Beschreibung von Platon selbst Atlantis gelegen haben müsste? Widerwillig nimmt man hier einen Beleg für die Existenz der ehemaligen Großinsel in Kauf, auch wenn man den Zusammenhang (bewusst?) nicht explizit erwähnt und betont, dass es „noch vieler Arbeit bedürfe, diese Theorie (von der Änderung der Höhe des Wasserspiegels an dieser Stelle) zu beweisen oder zu widerlegen“.
Nun kam es aber noch heftiger: Das Ausgraben von Gesteinen am nördlichen Abhang einer Schlucht, die etwa drei Kilometer Tiefe aufwies, ergab eine interessante Beute – einige hundert Pfund von Fels und Lehm. Der Lehm war keine typische Meeresboden-Ablagerung, sondern enthielt eine Reihe von eckigen Fragmenten, wahrscheinlich pulverisierten Materials, das aus dem Abrutschen größerer Felsmassen entlang einer Bruchlinie – oder eines Anbruchs – der Erdkruste resultierte. Der Schlucht westwärts folgend, bohrten sie erneut, und zwar dieses Mal in etwa vier Kilometern Tiefe. Das heraufgeholte Material war meist schlangenartig, doch es enthielt ein fremdartiges Exemplar, eine Anhäufung von Tremolit-Asbest mit etwa fünfzehn Zentimeter langen Fasern. Diese Art von Asbest hat einen anderen Aufbau als jener, den wir in der Geschäftswelt verwenden.18
Ewing schreibt:
„Diese Art von Gestein wird generell als typisch für Kontinente und nicht für Ozean-Becken erachtet.“19
Hier haben wir einen deutlichen Hinweis auf eine Geisteinsart, die eigentlich in dieser Tiefe nicht vorkommen dürfte. Wir haben es hier mit Kontinentalgestein zu tun, das in der Tiefe des Ozeans gefunden wurde, und zwar wieder an einer Stelle, an der nach der Legende Atlantis gelegen haben soll.
Vorher hatten wir von untergegangenen Strandlinien gehört; und nun wird auch noch Strandsand gefunden: Ungefähr auf halbem Wege zwischen New York und Bermuda wurden aus knapp fünf Kilometer Tiefe Bohrkerne heraufgebracht, die Sand, wie jener, den man am Strand findet, enthielt! Nun fragte sich Ewing20:
„Wie kann Strand-Sand hierher kommen, dreihundert Meilen [knapp fünfhundert Kilometer] von Flachwasser entfernt?“ 21
Ewing entschied, dass er von einem Berg kommen musste, der jetzt unter der Wasseroberfläche lag, und sagte voraus, dass solch ein Berg tatsächlich später durch das Schiff Caryn von der Woods Hole Oceanographic (für die er selbst auch fuhr) gefunden wurde.
Falls der Sand tatsächlich von dem Berggipfel stammte, muss er an oder unter der Meeresoberfläche gelegen haben, da Sand durch Verwitterung und Wellen-Aktivitäten gebildet wird.22
David Ericson, der die Analysen der Bodenproben angefüllt hatte, meinte, man könne fast sicher sein, dass die Sandschichten während des jüngeren Eiszeitalters im Pleistozän (auch Diluvium genannt, ca. zwischen 1,8 Millionen – 11 500 Jahre v. Chr.) abgelegt wurden, als große Massen von Eis Kanada und die nördlichen Teile der USA, Europa und Asien bedeckt hatten.23
Nun ist es aber so, dass sich Maurice Ewing im Folgeprojekt 1949 erneut mit dem Strandsand-Problem befassen musste und seine interessanten Erkenntnisse in einem weiteren Artikel veröffentlichte.
Zunächst gingen Ewing und sein Team der Frage nach dem Ursprung des Atlantischen Beckens nach. Sie sahen drei Möglichkeiten, wie es entstanden sein könnte.
1. Land könnte einst existiert haben, wo nun der Atlantik ist, der die Kontinente auf beiden Seiten miteinander verband und später sank, so dass sich das Becken bilden konnte.
2. Amerika könnte einst mit Europa und Afrika zu einer großen Landmasse verbunden gewesen, dann auseinander gebrochen und voneinander weggedriftet sein. So könnte sich das Atlantische Becken zwischen diesen Kontinenten geöffnet haben, wie es die Kontinentaldrift von Alfred Wegener sagt.
3. Die Ozeane waren schon immer so, wie sie heute erscheinen.24
Heute gilt die Wegenersche Kontinental-Drift-Theorie als anerkannt und wurde zur Plattentektonik weiterentwickelt. Allerdings ist der mancherorts vorgebrachte Einwand, nach der Wegenerschen Theorie sei kein Platz für Atlantis, nicht richtig, wie wir später noch sehen werden. Auch auf den Punkt 3, der heute favorisiert wird, werden wir später noch eingehen.
Wir wollen uns an dieser Stelle jedoch wieder jenem Thema zuwenden, mit dem die Betrachtung relevanter Stellen im ersten Artikel abgeschlossen wurde, und hören, dass einige der Funde auf dieser zweiten Schiffsreise neue wissenschaftliche Rätsel eröffneten. Eines davon war die angesprochene Entdeckung prähistorischen Strandsandes in zwei Bohrkernen aus dem Boden, die in einem Fall aus einer Tiefe von etwas über drei Kilometern und im anderen in etwa fünfeinhalb Kilometern Tiefe entnommen wurden, und das weit entfernt von Stellen, an denen Strände heute existierten. In einem Kern fand man tatsächlich zwei Sandschichten. Eine davon war 20 000 bis 100 000 Jahre und die andere 225 000 bis 325 000 Jahre alt.25
Ewing sagt:
„Irgendwann in der fernen Vergangenheit musste dieser in der Tiefe des Ozeans gefundene Sand an einem Strand gelegen haben, an oder nahe der Meeresoberfläche. Entweder muss das Land zwei oder drei Meilen [etwa drei bis über fünf Kilometer] gesunken sein oder die See muss einst zwei oder drei Meilen niedriger gewesen sein als jetzt.“26
Wie lesen: Land muss versunken oder das Meer muss angestiegen sein. Nichts anderes hatte Platon behauptet, doch ein eventueller Zusammenhang wird hier nicht angedeutet.
Wenn die See jedoch einige Kilometer tiefer war, wohin ist dann der Rest verschwunden, fragte sich Ewing.
An dieser Stelle kann man die Überlegung anstellen, ob nicht die Wahrscheinlichkeit, dass Land abgesunken ist, erheblich größer ist. Doch lesen wir, was Ewing weiter schreibt.
Sand, so meint er, der an anderen Stellen des Atlantis-Bodens gefunden worden ist, sei unzweifelhaft während der Eiszeiten mit dem Eis aus Küsten eingeschwemmt worden. Solcher Sand ist allerdings gut gemischt mir größeren Fels-Fragmenten.27
„Doch die Körner in dem Sand, den wir gefunden haben, ist gut nach verschiedenen Größen geordnet, mit keinen großen Fragmenten. Diese Tatsache legt nahe, dass das hier ein tatsächlicher Strand war, außer der Sand wurde ursprünglich durch Eis von einem Strand herangeholt, was jedoch extrem unwahrscheinlich ist.“ – führt Ewing aus.28
Haben wir es hier tatsächlich mit einem ehemaligen Strand in der Gegend des Mittelatlantischen Rückens zu tun? Doch wieder vermeidet man den ungeliebten Begriff „Atlantis“.
Der taucht erst später wieder auf, als Ewing die Spitzen und Stufen des Mittelatlantischen Rückens erwähnt. Er spricht davon, dass einige der höchsten Spitzen oberhalb der Wasseroberfläche erscheinen, um die Azoren, den St. Paul Felsen, Ascension, Tristan de Cunha, Gough und Bouvet zu formen. Hier erwähnt Ewing dann Atlantis29:
„Es gibt keinen Grund zu glauben, dass diese mächtigen Unterwassermassen von Bergen in irgendeiner Weise etwas mit dem legendären verlorenen Atlantis zu tun haben, den Platon als unter den Wellen versunken beschreibt.“30
In einer Tiefe von einem Kilometer wurde Gestein gefunden, das „eine interessante Geschichte über die frühere Entwicklung des Atlantischen Ozeans erzählen“ könnte. Die Crew fotografierte am Boden etwas, das einen Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern aufwies. Sie brachten es herauf. Sie fanden heraus, dass es sich um Granit und Ablagerungen handelte, die ursprünglich Teil eines Kontinentes gewesen sein müssten. Die meisten der Gesteine, welche die Mannschaft geborgen hatte, waren gerundet und mit tiefen Kratzern bzw. Gleitstreifen gekennzeichnet, was als Anzeichen dafür gewertet wurde, dass sie durch Eis hierher getragen wurden, denn sie sind mit Gewalt über andere Gesteine geschleift worden. Doch sie fanden auch einige lose verdichtete Schlamm-Steine, die so schlammig und weich waren, dass sie in dem eisernen Griff der Gletscher nicht festgehalten werden konnten. Wie sie hier herauskamen, sei ein „weiteres Rätsel, dass durch weitere Untersuchung gelöst werden“ müsse.31
Man findet also Granit, ein typisches Kontinentalgestein, das an dieser Stelle nichts zu suchen hat. Anhand von Gleitstreifen in einigen (!) der Brocken geht man davon aus, dass sie in der Eiszeit weite Wege vom nächsten sehr weit entfernten Kontinent (wahrscheinlich Afrika) hierher getragen worden sein müssen. Zwischen diesen Granitbrocken findet sich schlammiges Gestein, das einen solchen Weg nicht hätte durchhalten können. Nun fragt man sich jedoch, wie diese Steine dorthin gekommen seien. Sollte man nicht auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie schon immer da waren und sich dort einmal Festland befand? R. Cedric Leonhard schreibt auf seiner Homepage, dass für den amerikanischen Ozeanographen Bruce Heezen die „Massen von Sial-Material“, die durch Ewings Team heraufgebracht worden seien, eine „möglicherweise versunkene Landmasse“ nahe legen.32
Es war auch Bruce Heezen, der in Zusammenarbeit u.a. mit Maurice Ewing (!) schrieb, dass in einer Untersuchung in den Jahren 1947 und 1948 am Atlantis Seamount, einem Tiefseevulkan südwestlich der Azoren, einer der geförderten Kalksteinkiesel mit Hilfe der Radiokarbonmethode auf ein Alter von 12 000 Jahren plus/minus 900 Jahre datiert wurde. Weiterhin ließe der Zustand der Versteinerung eines der Kalksteinkiesel vermuten, dass er unter Lufteinwirkung versteinert wurde und der Seamount innerhalb der letzten 12 000 Jahre eine Insel gewesen sein könne.33
J. Verhof und B. J. Colette haben in ihren Untersuchungen in diesem Gebiet südlich vom Atlantis- und vom Platon Seamount ein großes Gebiet entdeckt, in dem die unterseeische Sedimentdicke mehr als vierhundert Meter beträgt. Auch nördlich und nordwestlich dieser untermeerischen Berge fällt eine dicke Sedimentschicht auf, die eine große Asymmetrie zu dem umgebenden Gebiet zeigt. Östlich dieser Berge ist praktisch kein Sediment zu entdecken.34
Nebenbei und zum Abschluss der Betrachtung der Ewing-Expeditionen sollte noch erwähnt werden, dass auf der großen unterseeischen Plattform „Bermuda Rise“, auf der die Bermuda-Inseln stehen, Ablagerungen bis hin zu zwei Kilometern Dicke gefunden wurden, die im Gegensatz zu den dünnen Schichten auf dem tiefen Becken beiderseits davon stehen. Warum diese Stellen mit diesem dicken Sediment bedeckt sind, sei ein großes geologisches Rätsel.35
Dr. R. W. Kolbe war Untersuchungs-Mitarbeiter am Paläontologischen Department des Schwedischen Museums der Naturgeschichte und Dozent in Diatomologie (Kunde von den Diatomeen [Kieselalgen]) an der Universität in Stockholm. Er schrieb 1957 einen sehr interessanten Artikel zum Thema Süßwasser-Kieselalgen aus den atlantischen Tiefsee-Sedimenten. Kolbe berichtete von der schwedischen Tiefsee-Expedition von 1947-1948, die von Hans Pettersson geleitet wurde. Die Aufgabe ihres Schiffes, der Albatross, war es, Untersuchungen hauptsächlich in der Äquatorialregion des Pazifischen, Indischen und Atlantischen Ozeans durchzuführen. Eine wichtige Zielsetzung der Expedition war die Untersuchung von Tiefsee-Sedimenten in Bohrkernen, die in so großer Tiefe durchgeführt wurden, wie die damals moderne Technik es zuließ. Kolbe war zuständig für die Untersuchung der Diatomeen, die in den Bohrkernen gefunden wurden. Einige große Bohrkerne beinhalteten aus ihrer tiefsten Ebene Kieselalgen, die sich lange gehalten haben müssen. Die Untersuchung zeigte, dass einige Kerne sich bereits in der letzen Phase des Tertiär-Zeitalters entwickelt haben müssen. (Das Tertiär begann vor 65 Millionen Jahren und dauerte bis zum Beginn der Klimaänderung vor rund 2,6 Millionen Jahren.) Eine der bedeutendsten Beobachtungen war sicherlich die unerwartete Anwesenheit einiger Süßwasser-Kieselalgen, die von der Albatross in einer großen Entfernung zur Küste (etwa tausend Kilometer) parallel zur Küstenlinie des äquatorialen Afrikas heraufgebracht wurden. In anderen Teilen des Weltmeeres waren dagegen nur spärlich Süßwasser-Diatomeen gefunden worden.
Dagegen wurden hier beständig Süß-Wasser-Kieselalgen in großer Zahl und großer Vielfalt der Exemplare in atlantischen Tiefsee-Bohrkernen geborgen. Mehr als sechzig Süßwasser-Arten, die zu mancherlei ökologischen Gruppen gehörten, wurden beobachtet. In manchen Fällen konnte nur eine geringe Menge davon im Sediment beobachtet werden, in anderen war die Frequenz groß bis sehr groß. Die am häufigsten vorgekommenen Süßwasser-Diatomeen waren Melosira granulata (Fadenalgen) in der so genannten „Romanche-Tiefe“ in über 7300 Metern (nach neueren Angaben sogar über 7700 Metern) Tiefe. Diese Tiefe (eine der größten im Atlantik) war einst durch die französische Fregatte Romanche entdeckt worden. Bei der Romanche-Tiefe handelt es sich um eine Bruchzone des Mittelatlantischen Rückens, die in Äquatornähe verläuft.
Ich verweise noch einmal auf die Entfernung: Sie befindet sich über tausend Kilometer Entfernung von der afrikanischen Küste.
Kolbe verweist weiterhin auf eine andere Gruppe von Objekten von nicht-ozeanischer Herkunft: Das regelmäßige und weniger häufige Auftreten von verkieselten epidermalen36 Zellen, die zu terrestrischen Pflanzen wie Cyperaceae (Säuregräsern) und Gramineae (Süßgräsern) gehören, in manchen Bohrkernen. Sie kommen normalerweise im Süßwasser vor.37
Kolbe beschreibt drei Möglichkeiten, wie Diatomeen, noch dazu in einer solch großen Zahl, im Atlantik gefunden werden konnten, und fasst sie anschließend zusammen. Insgesamt bleiben drei Möglichkeiten im Raum stehen.
1. Die Kieselalgen stammen aus afrikanischen Seen, Flüssen und Sümpfen. Sie wurden durch Flüsse in den Atlantik transportiert und zum Fundort getrieben.
2. Die Diatomeen stammen aus afrikanischen Seen, Flüssen und Sümpfen. In der trockenen Jahreszeit und nach der Austrocknung der Sümpfe, Bäche usw. wird der feine Staub (oft zusammen mit Asche von verbrannten Pflanzen) durch den Austausch von Winden („Harmattan-Staub“) ins Meer getrieben und letztlich an den entsprechenden Stellen abgelegt.
3. Die Kieselalgen stammen von einem See des „hypothetischen“ Kontinents Atlantis oder seinen verbliebenen Inseln. Der Kontinent sank tief unter den jetzigen Meeresspiegel, und die geograpische Lokalisation blieb unverändert.
Kolbe bezog sich in seiner dritten möglichen Erklärung über die Herkunft der Kieselalgen auf den Forscher Renè Malaise und betont, dass alle drei Erklärungen ein gewisses spekulatives Moment besitzen. So verweist er auf zukünftige Missionen. 38
Malaise’ Erklärung verdient es, näher auf sie einzugehen. Grundstock seiner Theorie ist die Constriction Hypothesis von Nils H. Odhner, die jener 1934 aufstellte. Mit dieser These wollte Odhner die vertikale Bewegung der Erdkruste erklären. Seiner Meinung nach sind die Kräfte der Gravitation oder der Isostasie39 unzureichend. Die einzige Kraft von ausreichender Stärke, das Bilden von Gebirgen und anderen Erhebungen oder das Untertauchen derselben zu verursachen, ist nach Odhners These die Kraft der Temperatur, die für Ausdehnung und Zusammenziehung sorgt.
Vom sehr heißen Inneren der Erde wird Hitze an die Oberfläche und von dort wiederum ins Weltall abgeführt. Die Temperatur außerhalb der Oberkruste (man unterscheidet zwischen Ober- und Unterkruste) während einer geologisch warmen Periode könne nicht die gleiche sein wie jene während einer kalten. Die Veränderung der Temperatur müsse die Kruste so beeinflussen, dass sie sich bei Wärme ausdehne und bei Abkühlung zusammenziehe. Aus der Geologie sei bekannt, dass die Oberkruste aus niedrigen Gewölben bestehe, nämlich Geosynklinalen (Als Geosynklinale wird eine Großmulde oder ein Senkungsraum der Erdkruste bezeichnet.)40 und Geoantiklinalen (weitgespannte, flache Hebungsgebiete). Die Veränderung der Temperatur in der Kruste basiere auf Unterschieden in klimatischen Beeinflussungen nur der äußersten Kruste. Wir könnten annehmen, dass einige zehn Kilometer darunter die Temperatur praktisch konstant ist. Die Dehnung des Bereichs würde dementsprechend unbedeutender, und die Ausdehnung würde sich hauptsächlich in horizontaler Richtung bemerkbar machen. Die Oberfläche der Erde, die eine Kugel bzw. ein Sphäroid ist, könne sich nicht seitwärts ausdehnen, wenn sie erhitzt ist, so dass ihre Falten, Geoantiklinalen und Geosynklinalen mehr betont würden. Auf der anderen Seite seien diese sekundären vertikalen Bewegungen der Gewölbe sehr wichtig. Ein Anstieg der Temperatur der Skandinavischen Kontinentalscholle von nur zehn Grad Celsius würde zum Beispiel einen Unterschied im Umfang von ungefähr neunhundertsechzig Metern ausmachen.