RISIKO
UNA MCCORMACK
Ins Deutsche übertragen von
Christian Humberg
Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – TYPHON PACT: RISIKO
wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.
Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Christian Humberg;
verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Andrea Bottlinger
und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: Martin Frei;
Print-Ausgabe gedruckt von CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.
Titel der Originalausgabe:
STAR TREK – TYPHON PACT: BRINKMANSHIP
German translation copyright © 2014 by Amigo Grafik GbR.
Original English language edition copyright © 2012 by CBS Studios Inc. All rights reserved.
™ & © 2014 CBS Studios Inc. © 2014 Paramount Pictures Corporation. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.
This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.
Print ISBN 978-3-86425-286-0 (September 2014) · E-Book ISBN 978-3-86425-321-8 (September 2014)
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Für die Teilnehmer meiner Kurzgeschichtenseminare,
als Dank für ihre Geduld, ihr Lob und ihre Konjunktionen.
HISTORISCHE ANMERKUNG
WOCHE 1 EXPOSITIONEN
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
WOCHE 2 KONFRONTATIONEN
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
WOCHE 3 BESCHLÜSSE
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
WOCHE 3 BLINZELN
DANKSAGUNG
ÜBER DIE AUTORIN
ROMANE BEI CROSS CULT
Diese Geschichte spielt im November 2383.
Nach Andors schockierendem Austritt aus der Vereinigten Föderation der Planeten (STAR TREK – TYPHON PACT »Zwietracht«) konnte die Föderationspräsidentin die Cardassianische Union und die Ferengi-Allianz zur Unterzeichnung des Khitomer-Abkommens bewegen (STAR TREK – TYPHON PACT »Heimsuchung«, STAR TREK – TYPHON PACT »Schatten«). Die Spannungen zwischen der Föderation und dem Typhon-Pakt – bestehend aus Romulanischem Sternenimperium, Tholianischer Versammlung, Gorn Hegemonie, Tzenkethi-Koalition, Breen-Konföderation und dem Heiligen Orden der Kinshaya – nehmen zu. Ein einziger Funke genügt, um den interstellaren Krieg zu entfachen.
Denn anzuhaften pflegt der Tyrannei auch dies Gebrechen, treuesten Freunden nicht zu traun.
Von:
Ziviler Frachter Inzitran, Flaggschiff, Handelsflotte 9
An:
Ementar Vik Tov-A, Leitender Redner, Aktive Angelegenheiten, Abteilung des Äußeren
Status:
Geschätzte Zeit bis zur Grenze: 40 Himmelswandel
Geschätzte Zeit bis zum Ziel: 45 Himmelswandel
Im Namen unseres geliebten und sehr verehrten Autarchen Korzenten Rej Tov-AA und in Verteidigung seiner perfekten Grenzen dienen und salutieren wir dir!
Oben unterhielten sich die Administratoren, rechts und links verharrten die Kollegen in stummer Pflichterfüllung – also verbrachte auch Neta Efheny ihre Tage mit geneigtem Haupt, leerem Geist und aktiven Aufnahmegeräten. Nie ergriff sie das Wort, nie sah sie auf. Zumindest nicht bis heute. Heute würde Neta Efheny einen Fehler begehen, der drei Leben für immer verändern und ganze Kulturen in Gefahr bringen sollte.
Schon in wenigen Himmelswandeln, wenn ihre Mission nach Ab-Tzenketh ihr brutales und gänzlich unerwartetes Ende fand, würde Efheny die Zeit finden, den Fehler zu erkennen, den sie gerade zu begehen im Begriff war – diese uncharakteristische, kurze Unaufmerksamkeit, die mindestens ein Leben fordern würde. Während sie auf einem entlegenen Hügel saß, eine entsetzte Kollegin und einen ebenso feindlichen wie verzweifelten Verbündeten an ihrer Seite, würde Efheny endlich darüber nachdenken, wo sie falsch abgebogen war. Sie würde die Zwillingsmonde über der dunklen Lagune funkeln sehen und begreifen, dass sich etwas in ihr verändert hatte. Etwas, das sich nicht mehr reparieren ließ. Dann würde sie verstehen. Sie würde endlich erkennen, dass sie »heimisch« geworden war, Schritt für winzig kleinen Schritt ihren Platz in der Tzenkethi-Gesellschaft eingenommen hatte.
Denn genau deswegen übersah sie gerade das Offensichtliche, obwohl es ihr rückblickend betrachtet schon seit Monaten entgegenstarrte. Anfangs hatte Ab-Tzenketh sie verblüfft. Sie hatte gelernt, den Blick zu senken – und senkte ihn nun schon so lange, dass sie ihn kaum noch heben konnte. Es ist schwer, das Offensichtliche zu erkennen, wenn man die ganze Zeit nur den Boden betrachtet.
Was geschah, hatte seine Gründe, und Neta Efheny würde auch sie bald verstehen. Bei den Tzenkethi waren die sozialen Kasten streng voneinander getrennt. Die von den Oberen vor Jahrzehnten begonnenen Verfahren der Biotechnik mühten sich, diese Trennungen auf genetischer Ebene zu verankern. Seit diese Mühen Früchte trugen, geschah es nur noch selten, dass eine niederrangige Tzenkethi sich in gehobenerer Position wiederfand.
Heutzutage war es den meisten Tzenkethi unangenehm, mit Personen aus anderen Kasten zu verkehren – ein Gefühl, das über kulturelle Tabus hinausging. Der Puls beschleunigte sich, das Körperleuchten ließ nach, wann immer sie einen Gesetzesvollstrecker sahen. Nicht allein, weil sie die Macht der Vollstrecker kannten. Sondern weil ihre Körper es ihnen kommunizierten.
Mit jedem verstreichenden Jahr glaubten sich die Tzenkethi-Anführer ihrem Ziel näher. Bald, so dachten sie, würden sie die Auswirkungen individueller Entwicklung auf ihre Bevölkerung ausmerzen. Bald würde einzig und allein die Natur regieren. Entsprechend entsetzt wären sie gewesen, hätten sie von Neta Efheny gewusst – und das aus mehreren Gründen. Es hätte sie alarmiert zu erfahren, dass Efheny cardassianische Spionin war und seit zwei Jahren eine der wichtigsten Regierungsbehörden auf der Heimatwelt unterwanderte. Doch dass sich jemand im Herzen ihrer Gesellschaft der natürlichen Ordnung der Dinge widersetzte? Das hätte sie angewidert.
Efheny hatten die Tzenkethi und ihr strenges Kastenwesen schon immer fasziniert. Ungeachtet ihrer aktuellen Optik und ihrer Biowerte war sie durch und durch Cardassianerin und schätzte die Stabilität, die sorgsam bewahrte Hierarchien garantierten. Das Chaos auf ihrer eigenen Welt ließ sie diese Stabilität sogar mehr schätzen, als sie selbst ahnte. In all den Monaten auf Ab-Tzenketh hatte sie eines gelernt: Was von außen einem gewaltigen Kastenwesen glich, ließ doch Raum für große Flexibilität. Es gab beispielsweise Dialekte, unterschiedliche Stimmlagen, Aussprachen, und auch der jeweilige Grad der körperlichen Lumineszenz kommunizierte subtile Botschaften. Nicht einmal die Abhandlung, der sie ihren Einsatz verdankte (»Versuch einer Typologie sozialer Schichten der Tzenkethi«) hatte sie auf die Vielfalt des hiesigen Alltagslebens vorbereiten können. Diese Kultur, so dachte Efheny oft, war wie eine große Sinfonie, in der selbst der niederste Musikant noch zum gewaltigen harmonischen Ganzen beitrug.
Derlei Gedanken gingen Efheny durch den Kopf, als sie nicht auf die Instruktionen ihrer Vorgesetzten hörte und sich nicht auf ihre banale Arbeit konzentrierte. Deswegen vergaß sie sich beinahe selbst und deswegen übersah sie auch das Offensichtliche. Sie war zu sehr damit beschäftigt, den Blick zu senken und zu staunen. Und manchmal – nur manchmal – vergaß Efheny etwas. Beispielsweise, dass sie laut ihrer Tarnidentität eine Ata und dazu geboren war, die Wartungsarbeiten des Imperiums auszuführen. Manchmal, wenn sie sich ihren Aufgaben widmete, kam ein Fel-Problemlöser oder ein Kre-Administrator von seiner oder ihrer Station auf dem Oberboden herüber, und Efheny konnte es sich nicht verkneifen, den Kopf ein klein wenig zu heben und einen Blick auf diese fantastischen Wesen mit ihrer phosphoreszierenden Haut und ihren langen, starken Körpern zu erhaschen. Manchmal, wenn ihr Tagwerk vollbracht und sie unterwegs zu ihrem Quartier war, staunte sie noch immer über diese grandiose Welt. Ab-Tzenketh war von der Sonne geküsst, war glänzend, war mit dermaßen viel Wasser gesegnet, dass eine Cardassianerin nur ungläubig – und heimlich – glotzen konnte. Stabil, kontrolliert, wunderschön; war es da eine Überraschung, dass die Tzenkethi ihre Kasten streng schützten? Wäre es überraschend, wenn sie das Wissen um Neta Efheny entsetzte – auch wenn Efheny sie im Gegenzug inzwischen lieben gelernt hatte?
An diesem Morgen, dem Morgen ihres schrecklichen und fatalen Fehlers, rutschte Efheny auf den Knien langsam über den Unterboden eines Konferenzraums. Sie rieb Nährgel auf den aufwendigen, aus Korallen bestehenden Boden, so wie es seit ihrer Ankunft auf Ab-Tzenketh ihre Aufgabe war. Als Mayazan Ret Ata-E (Ret kennzeichnete sie als Person, der alle Ter-Anführer befehlen konnten, E verwies auf die Qualität ihres Genmaterials) gehörte Efheny einer Arbeitstruppe an, die sich um mehrere Räume des Büros für äußere Angelegenheiten kümmerte. In diesen trafen sich die Fel-Problemlöser und Kre-Administratoren der regierenden Kaste, um potenzielle Schreiben an fremde Staaten zu formulieren, die es auf der Hierarchie-Leiter dann mitunter sogar bis zum Autarch schafften. Als Undercover-Agentin des cardassianischen Geheimdienstes war Neta Efheny verpflichtet, diesen Treffen möglichst lange beizuwohnen, sie mit den zahlreichen in ihren Körper einoperierten Aufnahmegeräten mitzuschneiden und die Dateien danach an die Analytiker in der Botschaft zu übermitteln. Intellektuell war dieser Einsatz nicht allzu fordernd, die Arbeit ihrer Tarnidentität körperlich anstrengend und langweilig. Doch als Efheny und Mayazan sah sie sich ohnehin weit mehr als Funktion denn als Person.
Sie hielt einen Moment inne, da ihr Putztuch nach neuem Reinigungsmittel zu dürsten schien, und sah aus dem Augenwinkel Hertome Ter Ata-C. Hertome war der Leiter ihres Trupps; sein genetisches Profil gab ihm einen Größenvorteil gegenüber den niederrangigen Atas, und seiner Ter-Kennung entsprechend verstrahlte er einen kupferfarbenen Glanz, der ihn vom trüberen Braun seiner Untergebenen unterschied. Er durfte sogar verweilen, wenn Höherrangige zugegen waren.
Heute wartete er nahe der Stelle, an der das Schwerkraftfeld des Unter- auf das des Oberbodens stieß. Er hatte von seiner Arbeit abgelassen, den Unterboden zu säubern, und lauschte gerade aufmerksam dem, was die Obrigkeit oben diskutierte.
Efheny stutzte. Was machte der da? Ein solcher Fehler konnte leicht zu einem Tadel führen. Doch Efhenys Schrecken saß tiefer. Hertomes Verhalten schien unvorstellbar. Kein wahrer C-Rang würde sich derart benehmen. Was die Oberen besprachen, war deren Sache, nicht die seine, und ohnehin zu viel für seinen Intellekt. Vor lauter Überraschung vergaß Efheny ihre gewohnt demütige Pose, ließ von ihrem eigenen Tun ab und starrte ihn einfach an.
Der Fehler hätte gut und gern ihrer beider Leben fordern können. Zu Efhenys Glück waren die vier anderen Angehörigen ihres Arbeitstrupps aber konzentriert bei der Sache und bemerkten gar nicht, was sich abspielte. Einzig Hertome Ter Ata-C drehte den Kopf, als sei er sich plötzlich Efhenys Blicken bewusst geworden, und sah zu ihr hinunter. Er hatte grüne, eiförmige Augen mit goldenen Punkten. Ganz gewöhnlich für einen Tzenkethi – und doch eindeutig ungewöhnlich …
Efheny biss die Zähne zusammen – was Hertome bemerkt haben musste, denn er blinzelte ihr zu, einmal, zweimal. Ahnte er etwa, dass auch sie mehr war, als ihr Äußeres vermuten ließ? Efheny fluchte leise. Sie glotzte schon zu lange, länger als eine echte Tzenkethi ihres Ranges einen Vorgesetzten anglotzen würde.
Binnen weniger kurzer Sekunden hatte sie sich verraten.
Er allerdings auch …
Wie hatte sie das übersehen können? Hertome war seit acht Zwillingsmonaten ihr Vorgesetzter. War sie denn blind gewesen? Er war ein Mensch!
»Mayazan«, sagte Hertome. Seine Stimme war fest genug, um seine Autorität über sie zu kommunizieren, aber zu leise, um die Arbeit ihrer gemeinsamen Vorgesetzten zu stören. »Wollen Sie mich um etwas bitten?«
Die Verwendung ihres Namens, die direkte Anrede und der formelle Klang seiner Worte erinnerten Efheny an die Rollen, die sie zu spielen hatten. Die Unterhaltung, die sie gerade führten, war tatsächlich rollenkonform, betonte er doch ihre Kastenunterschiede und gewährte ihr zugleich die Chance, sich zu äußern. Efheny neigte respektvoll den Kopf, dämpfte den Schein ihres Körpers und hielt ihr Putztuch in die Höhe.
»Ap-Rej«, sagte sie. »Diese Dienerin braucht ein neues Tuch, um ihre Aufgabe zufriedenstellend zu beenden.«
Einen Moment lang rührte er sich nicht. Dann nickte er in Richtung der Materialien. »Eine akzeptable Bitte«, sagte er. »Nehmen Sie sich ein neues Tuch – aber schnell, Mayazan. Faule Hände erfüllen keinen Zweck.«
»Der Zweck dieser Dienerin besteht im Dienst.« Efheny stand auf und eilte zu den Materialien. Sekunden später war sie wieder auf den Knien und rieb, den Kopf gesenkt, Nährgel auf den Unterboden. Neben ihr begann Corazame Ret Ata-E, eine ihrer Kolleginnen, leise zu singen. Einen Zwillingsmond zuvor war das Lied sehr beliebt bei den Ata gewesen, und schon bald stimmten die anderen beiden Reinigungskräfte ein. Selbst Efheny sang mit.
Den Monden gleich, die Hand in Hand am Himmel,
Den Wellen gleich, die kommen und die gehn,
so wissen auch diese,
wissen auch diese,
dass alles Sinn und Zweck besitzt.
Irgendwann sangen sie sogar mehrstimmig. Von außen betrachtet, konnte man sie für eine glückliche und produktive Arbeitseinheit halten, und die Fel und Kre über ihnen waren sicher zufrieden ob des leisen, simplen Gesangs unter sich. Normalerweise beruhigte das Singen auch Efheny, doch heute flatterten ihr die Nerven, zitterten ihr die putzenden Hände. Denn sie wusste, dass ihr unmittelbarer Vorgesetzter der Wartungseinheit 17 im Büro des Äußeren nicht Hertome Ter Ata-C war, sondern ein Föderationsagent unbekannten Namens. Wer von ihnen würde dieses Wissen als Erster nutzen, wer zuerst blinzeln?
Es sind die kleinen Dinge, die töten, dachte Beverly Crusher und schob die Tasse aus der Reichweite von Renés forschenden, verletzlichen Händchen. Die, die man erst bemerkt, wenn sie einem entgegenkommen. Die, die man vergisst, bis sie plötzlich gefährlich sind.
René legte die Stirn in Falten. Es missfiel ihm, ihre Tasse nicht greifen zu können. Crusher reagierte sofort und gab ihm seine eigene, deutlich kleinere.
»Saft, mein Schatz«, sagte sie. Gierig nahm der Junge die Tasse, trank und schenkte seiner Mutter ein breites Lächeln.
Jenseits des Tisches in ihrem gemeinsamen Quartier auf der Enterprise saß Crushers Ehemann, ein Padd in Händen und eine längst vergessene Mahlzeit vor sich. Er seufzte tief.
»Probleme?«, fragte sie.
»Das kann man so sagen.«
»Welcher Art?«
»Cardassianischer«, antwortete Jean-Luc Picard knapp. Er legte das Padd weg, stand auf und trat an die Komm-Konsole.
»Ah.« Crusher folgte ihm. »Ja, das sehe ich ein.«
Der Monitor der Konsole erwachte zum Leben, und Admiral Akaars strenge, unerbittliche Miene erschien. Crusher wollte sich schon instinktiv die Uniform richten, als sie bemerkte, dass sie gar nicht im Dienst, sondern in ihrem Quartier war und ihre Kleidung nur zum Abendessen mit einem Zweijährigen taugte.
»Captain«, sagte Akaar. Sein Blick war klar und bohrend. »Es gibt eine kleine Planänderung. Cardassianer.«
Crusher hörte ihren Mann leise seufzen. Eine cardassianische Komplikation … welch passende Formulierung.
»Ich höre«, sagte Picard und machte eine auffordernde Geste.
»Sie wollen ihre eigenen Leute bei der Mission dabeihaben. Wenn Sie Sternenbasis 66 erreichen und die Repräsentanten der Ferengi und der Föderation an Bord nehmen, werden Sie auch eine cardassianische Diplomatin und ihr Team erwarten. Unterhändlerin Detrek. Sie ist sehr erfahren, falls Ihnen das ein Trost ist. Und Demokratin. Kam während der Rejal-Regierung in ihr Amt. Alon Ghemor hält viel von ihr. Anders gesagt: Sie ist eine Cardassianerin nach unserem Geschmack.«
Detreks demokratische Referenzen schienen Crushers Gatten nicht sonderlich zu beeindrucken. »Unser Kontakt zur venetanischen Regierung verläuft bisher sehr frostig, Sir«, sagte er. »Es mag kontraproduktiv sein, zu so später Stunde noch personell aufzustocken. Man könnte es als Druckmittel missverstehen.«
»Oder als Beweis dafür, dass nicht nur zwei, sondern drei benachbarte Mächte ihr kleines Techtelmechtel mit den Tzenkethi sehr ernst nehmen.« Nun seufzte Akaar. »Jean-Luc, ich weiß, wie schwer das zu verkaufen sein wird, aber ich muss auch unser Verhältnis zu den Cardassianern im Blick behalten. Wie uns ihr Botschafter andauernd vor Augen hält, sind sie jetzt unsere Verbündeten. Er sagt uns sehr, sehr deutlich – und natürlich nur durch die Blume –, wie pikiert seine Regierung wäre, würde man sie von der Mission nach Venette ausschließen. Und da wir unsere Verbündeten derzeit so ziemlich an einer Hand abzählen können, hat die Präsidentin die Bitte der Cardassianer gewährt.« Er verzog das Gesicht. »Sie sagte wörtlich, sie würde sogar eine Militärkapelle für sie abstellen, falls sie darum bitten würden. Ich fürchte also, es werden Cardassianer an Ihrem Verhandlungstisch sitzen, und Sie und der Rest des Teams werden so tun müssen, als sei das von Anfang an der Plan gewesen.« Akaars Blick zuckte zur Seite. »Ist Doktor Crusher da? Ich würde gern mit ihr sprechen?«
Picard hob die Brauen, nickte aber. Crusher steckte sich schnell den blauen, klebrigen Plastiklöffel in die Tasche und trat vor.
»Wie kann ich helfen, Admiral?«
»Doktor, ich möchte, dass Sie Lieutenant Chen auf dieser Mission ersetzen.«
»Wie bitte?«
»Mir ist bewusst, dass Chen gute Arbeit leisten würde, aber ich möchte Sie. Sie waren bereits auf Venette, richtig?«
»Nun … Ja, aber das ist lange her. Ich war noch Kadett.« Crusher sah zu Picard, der ob der Bitte des Admirals nur verblüfft mit den Schultern zuckte. »Chen ist Spezialistin für Erstkontakte, Sir. Sie bereitet sich seit Wochen auf diesen Einsatz vor …«
»Nein«, sagte Akaar fest. »Ich möchte jemanden, der bereits dort gewesen ist.«
»Ich verstehe, Admiral, allerdings habe ich damals nicht sonderlich viel gesehen. Die meiste Zeit habe ich meinen vorgesetzten Offizieren hinterhergeräumt.«
»Die Erinnerungen kommen gewiss, wenn Sie wieder vor Ort sind, Doktor. Außerdem habe ich einen weiteren Grund für meine Präferenz.«
Verschwörerisch beugte Akaar sich vor. Crusher und Picard taten es ihm gleich.
Das muss ein sicherer Kanal sein, ahnte sie. »Ein weiterer Grund?«
»Ich will einen Mediziner im Team wissen, genauer gesagt. Diese Freundschaft zwischen den Venetanern und den Tzenkethi kam für uns völlig überraschend, Doktor. Und unsere Agenten auf Ab-Tzenketh sind hervorragend. Wie konnten wir das also übersehen?«
»Ich wüsste nicht, wie ein Mediziner diese Frage beantworten sollte«, sagte Crusher. »Sie schicken besser Choudhury – oder einen Spezialisten, jemanden aus der Abteilung für Tzenkethi …«
»Mein Spezialist ist bereits auf dem Weg. Nein, für Sie schwebt mir eine ganz besondere Verwendung vor, Doktor. Ich will wissen, ob die Tzenkethi die Venetaner auf biochemische Weise beeinflussen.«
»Ein biochemischer Einfluss?«, wiederholte sie verblüfft. »Aggressionsverstärker? Halluzinogene? Meinen Sie das?«
»Die Fachbegriffe überlasse ich ganz Ihnen.«
»Kann das sein, Beverly?«, fragte Picard.
»Denkbar ist alles«, antwortete sie ihm. »Wir wissen sehr wenig über die Physiologie der Tzenkethi und noch weniger über ihre Medizin …«
»Aufgrund Ihrer früheren Erfahrungen mit den Venetanern sind Sie am besten dafür geeignet, Änderungen in ihrem Verhalten zu bemerken. Sehen Sie sich um. Ziehen Sie Vergleiche zu Ihrem ersten Aufenthalt. Führen Sie Trikordermessungen durch. Wenn nötig, nehmen Sie Proben. Aber finden Sie heraus, ob es einen biochemischen Grund dafür gibt, dass die Venetaner plötzlich mit den Tzenkethi anbandeln und uns feindlich gesinnt sind.«
Crusher nickte langsam. Ihrer Erinnerung zufolge waren die Venetaner ein offenes Volk. Vielleicht war Akaars Verdacht gar nicht so weit hergeholt. »Verstanden, Admiral. Ich werde mein Bestes tun.«
»Gut. Was noch? Ach ja, Jean-Luc: Sie haben doch nach wie vor diesen Glinn aus dem cardassianischen Austauschprogramm an Bord, oder?«
»Glinn Dygan, ja …«
»Mag sein, dass die Zeit für seinen Platz an der Sonne bevorsteht. Vielleicht kann er Ihnen mit der cardassianischen Delegation helfen. In Ordnung, das wäre alles. Halten Sie mich auf dem Laufenden, Jean-Luc. Ich warte auf Ihre Berichte. Und, Beverly, genießen Sie Ihre Rückkehr nach Venette.«
Crusher atmete erst aus, als der Kanal geschlossen war. Neben ihr tippte Picard mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte – einmal, zweimal – und hielt dann inne. Man merkte ihm nicht an, wie sehr es ihn störte, kurz vor knapp umplanen zu müssen, doch Crusher ließ sich nicht täuschen.
»Na dann«, sagte er endlich und in ruhigem Tonfall. »Mir scheint, unsere Mission zur Venette-Versammlung ist gerade um einiges komplexer geworden.«
»Noch dazu dank der Cardassianer.« Crusher setzte sich auf die Tischkante. »Glaubst du wirklich, die Venetaner stören sich an ihrer Beteiligung?«
Picard lehnte sich in seinem Sitz zurück und nahm ihre Hände in die seinen. »Die Möglichkeit besteht, ja. Sie sind ohnehin nicht gut auf die Föderation zu sprechen. Es ist eine Sache, ihnen die angekündigten Diplomatenteams der VFP und Ferenginars zu präsentieren. Aber weitere Repräsentanten einer dritten Großmacht? Wie ich dem Admiral schon sagte …«
»Die Venetaner könnten darin einen Versuch sehen, in letzter Minute noch Druck auf sie auszuüben.«
»Und sie haben nicht gerade viele Gründe, uns zu glauben, wenn wir das abstreiten.«
Crusher nickte. Die Beziehungen zwischen der Föderation und den drei Systemen, aus denen die Venette-Versammlung bestand, waren von unglücklichen Missklängen geprägt. Vor vielen Jahren, als Crusher noch Beverly Howard gewesen war und die Versammlung besucht hatte, hatten die Venetaner gerade erste Bande zur Föderation geknüpft. Alles war reibungslos abgelaufen. Dann, vor inzwischen zehn Jahren, hatten sie sich sogar um eine VFP-Mitgliedschaft beworben. Doch der Dominion-Krieg kam dazwischen, und nach ihm die Schrecken der Borg-Invasion. Die drei kleinen Systeme und ihr politisches Schicksal waren darüber schlicht vergessen worden – bis sie ihr neues Handelsabkommen mit der Tzenkethi-Koalition verkündet hatten. Nun mühte sich die Föderation, den im vergangenen Jahrzehnt verlorenen Boden wiedergutzumachen. Die Venette-Versammlung grenzte an mehrere interessante (und durchaus wichtige) Orte.
»Chen wird enttäuscht sein«, sagte Crusher.
»Dann unterrichte ich sie besser schnell von der Planänderung«, begann Picard und stutzte plötzlich.
Crusher drehte sich um. Am Esstisch hatte René inzwischen das Interesse an seinem Saft verloren und die Tasse seiner Mutter in die Finger bekommen. Seine Hände waren zu winzig für deren Gewicht, und die Tasse balancierte gefährlich nah an der Tischkante. Ein kleiner Schubser genügte und …
Down will go baby, cradle and all, schoss ihr eine uralte Liedzeile durch den Kopf.
Crusher eilte zum Tisch und fing die Tasse im freien Fall auf.
»Gute Reflexe«, lobte Picard.
»Ein krisengeschulter Blick«, sagte sie, »und entsprechend gestählte Nerven. Zwei weitere Gründe, warum ich an dieser Mission teilnehmen sollte.«
»Also, Sie hatten da diesen Freund«, begann Bowers.
»Er war kein Freund, nicht direkt«, sagte Dax. »Eher der Freund einer Freundin.«
»Einverstanden. Sie hatten da also diesen entfernten Bekannten …«
»Nein, das trifft’s auch noch nicht. Wie oft ist Netara mit ihm ausgegangen? Zweimal? Maximal drei.«
»Okay, Sie hatten auf der Akademie also eine Freundin namens Netara, und die ist mit diesem Alden dreimal ausgegangen …«
»Vielleicht auch viermal.«
»Drei- oder viermal …«
»Im Verlauf mehrerer Monate«, betonte Dax. »Er war eine ganze Weile im Spiel. Nicht dass Sie ihn für einen völlig Fremden halten …«
Bowers hob die Hand, um den Informationsfluss zu unterbrechen. »Schon klar, Ezri. Aber was ich eigentlich wissen will, ist, warum Sie wegen dieses Kerls alle Hebel in Bewegung setzen?«
Dax, die sich gerade die Uniform glatt strich und im topmodernen Transporterraum der Aventine nach nicht vorhandenen Staubflusen suchte, hielt inne. Gute Frage, dachte sie.
»Immerhin ist er inzwischen bestimmt nur noch eine Fußnote in Ihrem Leben …«
»Kommt hin, schätze ich.« Dax dachte nach. »Er … Vermutlich, weil er in einer wichtigen Phase meines Lebens dabei war, irgendwie. Am Anfang, wissen Sie? Da wo man nicht mehr schüchtern und nervös ist, aber auch noch nicht das Ziel sieht. Da wo man einfach seine Freiheit genießt, den relativen Mangel an Verpflichtungen.«
»Ich glaube, ich erinnere mich«, sagte Bowers sehnsuchtsvoll. »Trotz meiner staubigen grauen Zellen und all den anderen Gebrechen des Alters.«
»Peter Alden war ein, zwei Jahre älter als wir anderen. Als meine Clique. Das machte einen Unterschied aus. Irgendwie wollten wir seine Anerkennung. Außerdem war er genial, Sam, ein herausragender Student. Ganz eindeutig für große und wichtige Dinge bestimmt.«
»Der werdende Admiral der Gruppe, hm?« Bowers runzelte die Stirn. »Ich kannte ein paar Typen dieser Art.«
»Nein, dieser Typ war er absolut nicht. Keine Rampensau, kein Egoist, sondern ruhig und lässig. Fast schon bescheiden. Aber mit Selbstvertrauen. Als hätte er im Blick, was wirklich wichtig war. Wann immer einer von uns etwas sagte – und Sie wissen ja, dass Jungspunde immer viel zu viel zu sagen haben –, sahen wir mit einem Auge zu Peter Alden. Jedes Mal. Wie reagierte er? War er enttäuscht? Jeder strengte sich mehr an, wenn Peter Alden dabei war.«
Dax hielt inne. Die schüchterne, unbeholfene Ezri Tigan hatte in Alden wenig mehr gesehen als eine weitere extrem einschüchternde Erfahrung ihres an derlei Dingen nicht gerade armen Daseins an der Akademie. Hatte sie sich in seiner Gegenwart ebenfalls mehr angestrengt? Hatte sie das überhaupt je, bevor sie Dax wurde?
»Selbst Ezri Tigan?«, fragte Bowers vorsichtig.
Dax lachte. »Ja, ein- oder zweimal hat sogar sie für Peter Alden glänzen können, glaube ich.«
Bowers lächelte, und Dax zerrte erneut an ihrer Uniform. Sam verstand schon, was in ihrem Kopf vorging, oder? Was es für sie bedeutete, auf jemanden aus ihrer Zeit vor Dax zu treffen.
Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit die nur leidlich qualifizierte und leidlich erfahrene Ensign Ezri Tigan unerwartet zur Wirtin des ehrwürdigen Dax-Symbionten geworden war. Mit gerade mal zwanzig Jahren. Inzwischen begegnete sie nur noch selten Personen, die sie als Ezri Tigan gekannt hatten. Kein Wunder, dass sie nervös geworden war, als die Aventine beauftragt wurde, einen gewissen Peter Alden, Geheimdienstexperte in Tzenkethi-Fragen, abzuholen und zur Venette-Versammlung zu transportieren. Der Gedanke, noch einmal einen Blick auf das Mädchen von damals zu werfen – und sei es auch durch die Augen von jemandem, den dieses Mädchen einst bewundert hatte –, war äußerst reizvoll.
Dass sie dabei zudem mit der Aventine angeben durfte, war das Sahnehäubchen des Ganzen. Der werdende Admiral der Clique? Na, den Wettlauf hatte sie noch längst nicht aufgegeben.
Bowers lächelte neben ihr. »Ich verstehe«, sagte er. »Ezri Dax – meine Erfolgsgeschichte.«
»So ungefähr.«
»Dann ehrt es mich, ein Teil der Parade zu sein.« Anerkennend sah er sich im Transporterraum um. »Und? Hat er sie?«
»Hat er was?«
»Die glänzende Karriere, die ihm jeder vorausgesagt hat?«
»Keine Ahnung. Sie wissen ja, wie das ist: Man verliert sich aus den Augen. Aber der Flottengeheimdienst hat seine Talente sicher nicht verschwendet.«
»Kann ich mir vorstellen. Ihre Uniform sitzt übrigens perfekt. Oh, und Sie sind Captain eines der fortschrittlichsten Schiffe der ganzen Sternenflotte.«
Sie grinsten einander an. Dax strich Bowers über den Arm. »Wo wäre ich nur ohne Sie, Sam?«
»Hier, vermutlich. Aber jetzt psst. Ihr Gast ist im Anflug.«
Spon, Transporterchefin der Aventine, berührte die Konsole. Dann materialisierte Commander Peter Alden vom Geheimdienst der Sternenflotte vor ihnen.
Der Mittdreißiger machte eine sportliche, kantige Figur. Sein schwarzes Haar war an den Schläfen ergraut, seine Stirn lag leicht in Falten. Als er Dax erblickte, schlich sich ein Lächeln in seine Mund- und Augenwinkel.
»Ezri«, sagte er und reichte ihr die Hand. »Schön, dich zu sehen. Wie lange ist das jetzt her? Zehn Jahre? Zwölf?«
»Dürfte hinkommen«, erwiderte sie und lächelte ebenfalls. Sie hatte ganz vergessen, wie attraktiv Peter Alden war. Sein Gesicht war von der Sorte, die durch Alter und Erfahrung nur interessanter wurde.
Alden sah sich im Transporterraum um. »Dein Schiff …« Er lachte. »… ist ziemlich beeindruckend!«
»Ich weiß«, sagte sie und musste mitlachen. Erst dann merkte sie, dass sie ihn noch immer festhielt, und löste ihre Berührung. »Lust auf eine kleine Führung, Commander?«
Alden nahm Haltung an und faltete die Hände hinter dem Rücken. »Nichts wäre mir lieber, Captain«, antwortete er verschmitzt.
Sie lächelten beide. Bis Bowers sich räusperte. »Oh!«, sagte Dax. »Richtig. Darf ich di… Ihnen meinen Ersten Offizier vorstellen? Commander Samaritan Bowers.«
»Sam reicht völlig«, sagte dieser und reichte Alden die Hand. Dann wandte er sich an Dax. »Soll ich Sie auf Ihrer Schiffstour begleiten, Captain? Sie sagten ja vorhin erst, Sie wüssten nicht, wo Sie ohne mich wären …«
»Wissen Sie, was, Sam? Ich glaube, ich komme schon irgendwie zurecht.«
Dax ließ Alden den Vortritt und folgte ihm auf den Korridor. »Darf ich dann wenigstens der Erste sein«, raunte Bowers ihr im Vorbeigehen ins Ohr, »der Ihnen bestätigt, dass der Exfreund Ihrer Exmitbewohnerin rattenscharf ist?«
»Halten Sie den Mund«, flüsterte Dax. »Und das war ein Befehl, klar?«
Von:
Ziviler Frachter Inzitran. Flaggschiff, Handelsflotte 9
An:
Ementar Vik Tov-A. Leitender Redner, Aktive Angelegenheiten, Abteilung des Äußeren
Status:
Geschätzte Zeit bis zur Grenze: 37 Himmelswandel
Geschätzte Zeit bis zum Ziel: 42 Himmelswandel
Handelsschiff 3: niedrige, aber stabile Hangartemperatur. Unter Beobachtung.
Es hatte bereits viele diplomatische Empfänge auf der Enterprise gegeben, und Doktor Crusher und Captain Picard hatten im Laufe der Jahre ein System für sie entwickelt: Sie begannen an unterschiedlichen Enden des Raumes und zogen achtförmige Kreise durch die Menge der Gäste. So konnten sie sich stets in der Raummitte treffen und kurz Informationen austauschen, bevor sie ihre jeweilige Acht fortsetzten.
»Unterhalte dich mal mit der Ferengi-Diplomatin«, murmelte Picard, als sie sich nun dort begegneten. »Ich glaube, Sie heißt Madame Ilka. Die findest du bestimmt interessant.«
Madame, dachte Crusher. Na, das nenne ich mal ungewöhnlich. Sie sah sich um und fand eine schmächtige Ferengi, die mit den Fingern über den Stiel ihres leeren Glases strich und mit amüsierter Distanz die Umstehenden beäugte. Crusher beendete ihr Gespräch mit dem Junior-Mitglied der cardassianischen Delegation und näherte sich Madame Ilka. Picard zog es derweil in die entgegengesetzte Richtung und zu Jeyn, dem Hauptunterhändler der Föderation. Die beiden Veteranen vieler gemeinsamer Missionen begrüßten sich herzlich und jovial.
Kurz bevor Crusher ihr Ziel erreichte, bemerkte sie, dass sie der Ferengi aufgefallen war. Ilka drehte den Kopf und sah sie mit leichter Belustigung an. Dann erst erlöste sie sie. »Doktor Crusher«, rief sie auffordernd. »Kommen Sie doch zu mir.«
Crusher empfand Erleichterung, ihre gespielte Nonchalance aufgeben zu dürfen, nahm sich zwei Champagnergläser und trat auf die Diplomatin zu. Ilka nahm das Glas und nippte daran. Sie war, was bei Ferengi als mittleren Alters durchging. Ihre Stirn war überdurchschnittlich hoch, ihre Ohrläppchen ein wenig zu klein. Sie trug ein grausilbernes Kleid von schlichter, aber konservativer Eleganz, in dem sie farblich fast mit der Kabinenwand verschmolz. Die meisten Ferengi-Frauen, denen man in der Öffentlichkeit begegnete, wählten helle, fast schon knallige Farben und allerhand Accessoires, als feierten sie so ihre neu gewonnene Freiheit der Kleidungswahl. Doch das einzig Extravagante an Ilka waren die langen Ohrringe. Crusher entging nicht, dass diese nicht unter dem Kinn zusammenhingen, wie es sonst üblich war. Das, fand sie, war eine angenehme modische Entwicklung. Die alte Mode hatte stets etwas von Sklavenketten gehabt.
Ilka sah sie aus großen, leuchtenden Augen an. Es lag Intelligenz in ihrem Blick. »Sagen Sie, Doktor, sind Sie schon unserer neuen cardassianischen Kollegin begegnet?«
»Detrek?« Crusher schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Ich glaube, sie ist noch nicht an Bord.«
»Sie hat etwas von einem Rätsel«, murmelte Ilka.
»Ich hörte, sie ist erst in letzter Minute zu uns gestoßen. Vielleicht wird sie noch entsprechend geschult.«
»Vielleicht.« Ilka trank einen weiteren Schluck. »Sind Sie optimistisch, was die Ziele unserer Mission betrifft, Doktor?«
»Nennen Sie mich Beverly.«
»Beverly.«
»Bin ich zuversichtlich?« Crusher dachte kurz nach. »Ehrlich gesagt, weckt die Mission eher gemischte Gefühle in mir. Die Kunde, dass die Venette-Versammlung engere Bande mit den Tzenkethi knüpft, kam völlig überraschend.«
»Auch für uns«, sagte Ilka leise.
»Dabei standen wir ihr in der Vergangenheit recht nah. Wir hofften sogar, sie in der Föderation begrüßen zu dürfen.«
»Doch Dinge ändern sich. Mitunter sehr schnell.«
»In der Tat, Madame Ilka. Allerdings nicht immer zum Schlechteren.«
Ilkas Lächeln wuchs. Sie hatte lange, weiße, sorgfältig gespitzte Zähne. »Ah, der typische Föderationsoptimismus.«
»Und Ferenginar zeigt, wie angebracht er ist.«
Ilka legte den Kopf in den Nacken und lachte so ehrlich und zwanglos, dass es Crusher innerlich wärmte. Sie mochte diese kleine, kluge Ferengi.
»Na los«, sagte Ilka. »Fragen Sie mich schon, was immer Sie fragen möchten.«
»Das würde ich nie wagen«, sagte Crusher schnell. »Sie sind es gewiss leid, als Musterbeispiel behandelt zu werden.«
Ilka schloss kurz die Augen, und ihre Fröhlichkeit wandelte sich prompt in etwas, das mehr Erschöpfung glich. Dann beugte sie sich zu Crusher vor und senkte verschwörerisch die Stimme.
»Sie kennen unsere Geschichte«, sagte Ilka. »Als Mädchen habe ich kaum den Fuß vor meines Vaters Haustür gesetzt. Als ich alt genug war, tauschte er mich ein – ich wurde Braut, er bekam Aktien einer Reederei. Zu meinem großen Glück unterstützt der Mann, an den ich verschachert wurde, die Emanzipation der Frauen. Er fördert sie sogar finanziell. Deswegen bin ich nun die erste Ferengi, die eine diplomatische Mission leiten darf. Ich bin so weit gekommen, weil ich meine Ohren offen halte und den Mund geschlossen. Und weil mein Verstand schärfer ist als der aller anderen. Viele auf meiner Heimatwelt warten nur darauf, mich scheitern zu sehen.« Sie dachte kurz nach und sah zu ihren Untergebenen, die sich mit Mitgliedern der VFP-Delegation unterhielten. »Auch viele aus meinem Team.«
»Mir können Sie vertrauen, Madame Ilka«, sagte Crusher aufrichtig.
Ilka betrachtete sie aus klaren Augen mit vorsichtigem Blick. »Das würde ich gern. Aber ich glaube, ich halte noch ein Weilchen länger die Hand über mein Latinum.«
Crusher lächelte. »Ich wäre enttäuscht, wenn nicht.«
Ilka erwiderte das Lächeln und leerte ihr Champagnerglas, ließ die Finger über dessen Stiel gleiten. »Ein interessantes Getränk«, sagte sie. »Eine Art Wein, richtig? Champagner, wenn ich nicht irre.«
»Korrekt. Ruinart, um genau zu sein. Sie sind gut informiert.«
»Meine Umgebung interessiert mich immer«, sagte Ilka. »Die Bläschen machen es natürlich recht geräuschvoll, aber mir gefällt die Idee eines Getränks, das akustisch und geschmacklich gleichermaßen unterhaltsam ist. Einer meiner Söhne hat ein Unternehmen, das mit hochwertigen Gütern anderer Welten handelt – der Markt dafür boomt auf Ferenginar gerade. Unsere bajoranische First Lady hat diesen Trend losgetreten. Ich glaube, das hier könnte meinen Sohn interessieren.« Ihr Blick funkelte wie die Bläschen in dem Champagner. »Und Sie klingen, als hätten Sie Ahnung. Kennen Sie zufällig jemanden in der Weinbranche?«
Zum Beispiel meine Schwägerin, dachte Crusher. Was für ein bemerkenswerter Zufall! Ilka achtete tatsächlich auf ihre Umgebung. Außerdem schien sie sehr gut zu recherchieren.
Sie hob ihr Glas und beantwortete die Frage auf traditionelle Ferengi-Weise. »Ich habe möglicherweise Informationen, die Ihnen Profit einbringen.«
Ilkas Lächeln wurde breiter. Crusher sah sich um. Überall standen Repräsentanten der drei Mächte beieinander, unterhielten sich entspannt. Mit einem Mal war sie froh, denn selbst in einem Klima des Misstrauens und der Furcht, selbst im Angesicht einer Allianz von Gegnern konnten noch Freundschaften entstehen.
Neta Efheny trödelte oft, wenn ihre Schicht endete. Sie sprach dann mit Corazame und den anderen Arbeitern. Doch dieses Mal eilte sie sofort zum Wassershuttle, das an der Lagune der Stadt entlangfuhr.
Efheny setzte sich in die letzte Reihe, die für Atas reserviert war. Das Shuttle fuhr langsam los, parallel zur Küste, und setzte hier und da Passagiere ab. Efheny sah ihnen nach, wie sie die schmalen Gassen der Tzenkethi hinabschlenderten. Sie waren zu ihren Behausungen unterwegs, zu schmucklosen Mietshäusern mit Innenhöfen. Selbst relativ hochrangige Tzenkethi wie die, die Efheny observierte, neigten dazu, dicht an dicht zu wohnen. Freie Flächen und Einsamkeit empfand dieses Volk als unangenehm.
Der Abendhimmel war purpurn, und eine sanfte Brise strich übers Wasser. Das Shuttle verließ seine letzte Haltestelle diesseits der Lagune und beschleunigte aufs offene Wasser. Sein Ziel war das entlegene Viertel, in dem Atas wie Efheny hausten. Sofort wurden die Fenster verdunkelt, die Passagiere vor dem Anblick der Natur geschützt. Kurz bevor der Himmel hinter den Sichtblenden verschwand, erhaschte Efheny noch einen Blick auf den Königlichen Mond, eine blasspinke Perle am Firmament. Alle Passagiere, auch sie, hoben die Hand an die Brust und sahen hinauf. Sie begrüßten den Mond, begrüßten den Segen ihres Autarchen, der von seinem Palast auf seine loyalen Diener hinabsah. Selbst als die Sichtblenden oben waren und der Mond verschwand, blieb seine Präsenz stets spürbar.
Efheny lehnte sich erschöpft zurück und begann die Übertragungen an die Botschaft. Erst als die Dateien zu ihren Vorgesetzten unterwegs waren, erlaubte sie sich, an ihre aktuelle Lage zu denken.
Nur zu gern würde sie ignorieren, was geschehen war. Doch sie wusste, dass sie mit Hertome sprechen musste. Hatte wirklich niemand ihren Austausch bemerkt, den kurzen Fall ihrer Masken? Hertome war ranghöher, nicht wahr? Vielleicht konnte er ihre Sorge vertreiben. Dennoch würde sie vorsichtig bleiben. Hertome mochte ein Verbündeter sein, aber Efheny traute den Menschen generell nicht. Sie waren unberechenbar. Das bewies schon das Treffen an diesem Abend. Hertome war an ihr vorbeigegangen und hatte ihr zugeraunt, wann und wo sie sich treffen würden – so beiläufig, als gäbe er ihr neue Arbeitsanweisungen. Efheny hätte es fast nicht geschafft, rechtzeitig die Audiodisruptoren zu aktivieren, die Teil ihrer körperinternen Technologie waren. Und sie wusste noch immer nicht, ob Hertomes Assistent Karenzen Ter Ata-D ihren ungewöhnlichen Austausch bemerkt hatte.
Efheny stieg zwei Stationen zu früh aus, an einer viel frequentierten Kreuzung, die auch als Marktplatz fungierte. Gar-Händler niederer Sorte offerierten hier Produkte an Atas mit überdurchschnittlichem Status und Vermögen. Flankiert von Buden mit Ilva-Fischen und Pana-Steinen, begleitet vom süßlichen Geruch der Farben, mit denen viele Atas ihre Haut bemalten, erreichte sie schließlich einen Speiseausschank. Sie suchte ihn einmal pro Himmelswandel auf, denn das Essen war fad genug für ihren Geschmack und größtenteils frei von den Unmengen an Salz, die die Tzenkethi aller Kasten als unverzichtbaren Bestandteil jedweder Mahlzeit zu betrachten schienen.
Hertome (oder wie immer er in Föderationsstandard heißen mochte) war bereits dort. Er saß mit gesenktem Haupt an einem Tisch und las die über die Tischplatte laufenden Abendschlagzeilen. Efheny schnalzte mit der Zunge. Dies war ein riskantes Treffen in aller Öffentlichkeit. Sein höherer Rang machte es aber vielleicht etwas weniger besonders, als wären sie zu seiner Behausung gegangen. Leise und unauffällig trat sie an den Tisch hinter Hertome und setzte sich Rücken an Rücken zu ihm. Der Retina-Scanner auf dem Tisch identifizierte ihren Rang und ihre Funktion, woraufhin sich die Schlagzeilen auf der Platte entsprechend änderten. Efheny schaltete ihre Audiodisruptoren ein und wartete.
Nach nur einem Moment lehnte sich Hertome zurück. »Sie sind nicht ganz, was Sie scheinen, Mayazan. Oder?«
Ein sehr direkter Eröffnungszug. Zu direkt für ihren Geschmack. Menschen, dachte Efheny missbilligend (und vergaß praktischerweise kurz die jüngere Historie ihres eigenen Volkes). Mit ihrer Risikobereitschaft stürzen sie eines Tages noch den ganzen Quadranten ins Chaos. Doch sie spielte ihre Rolle treudoof weiter.
»Diese Dienerin kann Ihnen nur ihre Dienste anbieten, Ap-Rej.«
»Von mir aus. Bleiben Sie ruhig in Ihrer Rolle, wenn Sie meinen.«
Hertome drehte leicht den Kopf, sodass sie sein Profil sehen konnte. Die chirurgischen Veränderungen waren makellos. Selbst in seinen Augen, die vorhin so fremd gewirkt hatten, war nichts Ungewöhnliches mehr zu erkennen. Nur Geduld und Trägheit, wie bei scheinbar allen Atas.
Bevor er weitersprechen konnte, kam ein Kellner an ihre Tische. Seine Hautfarbe und die Markierungen auf seinen Armen identifizierten ihn als EE. Da es sich für Personen ihres Ranges nicht geziemte, mit einem EE zu sprechen, gaben Hertome und Efheny ihre Bestellungen mittels einiger Gesten auf.
»Ihre Dienstbeflissenheit ist lobenswert«, sagte Hertome, als er gegangen war. »Und Ihre Reaktionsschnelle nicht minder. Aber ich wüsste echt gern, ob Sie mir meine Tarnung versauen wollen.«
»Diese Dienerin dankt Ihnen für das Lob«, sagte Efheny schnell. »Sie versichert Ihnen ihr Pflichtbewusstsein.« Das durfte er verstehen, wie immer er wollte.
Die zwei dampfenden Leti-Tassen kamen, dazu zwei Bohnenkraut-Kekse für ihn und einer für sie. Hertome trank sein Leti in einem Zug, rührte die Kekse aber nicht an. Seine Fingerkuppen tippten gegen die Tasse, dann stand er so abrupt auf, dass er die Kekse vom Tisch fegte. Wie es ihr Status verlangte, bückte sich Efheny nach ihnen – und zu ihrem Entsetzen tat er dasselbe. Ihre Köpfe berührten sich fast unter der Tischplatte. Efheny erschauderte bei dem Gedanken an die Unmengen von Tabus, gegen die sie gerade verstießen.
»So schlimm ist das gar nicht, wissen Sie?« Seine Augen waren wieder fremdweltlerisch, menschlich. »Immerhin stecken wir hier gemeinsam drin. Vielleicht sollten wir ein Team bilden.« Er stand auf, gab seinen Kredit-Code in den Tisch ein und ging.
Ja, vielleicht, dachte Efheny. Trotzdem müssen wir vorsichtig sein. Sie sah ihm nicht nach. Die Tasse in beiden Händen, hielt sie den Blick fest auf einen Ter Ata-B am anderen Raumende gerichtet. Hatte er sie beobachtet? Oder wurde sie paranoid?
Glinn Ravel Dygan strich sich ein letztes Mal über die Uniform, dann eilte er zum Transporterraum, um die cardassianische Delegation auf der Reise zur Venette-Versammlung zu begrüßen. Es war ein bedeutsamer Tag für Dygan, und er freute sich auf seine Landsleute. Zwar fühlte er sich auf der EnterpriseEnterprise