Für alle Elizas

Für alle Megans!

Für alle mutigen, durchgeknallten Frauen, die ihr Leben nach ihren eigenen Regeln leben.

Ihr seid die neuen Heldinnen!

Prolog

Ashton, 1928

Der erste Schlag riss mich vom Boden und schleuderte mich fünfzig Meter weit entfernt in eine Drecklache. Wut brannte in meinen Venen. Dieser Wichser. Das würde er mir büßen! Mit einem Sprung trat ich ihm mit meinem Stiefel voran in sein Gesicht. Er wankte, bekam aber meinen Fuß zu fassen, an dem er grob zerrte. Ich knallte auf den Boden, als auch schon auf meinen Rücken eingetreten wurde. Schnell rollte ich mich zur Seite und sprang auf. Zu viert standen sie mir gegenüber. Und lachten.

»Endlich kriegst du das, was du verdienst«, spottete einer von ihnen höhnisch.

»Traut euch, ihr Arschlöcher. Ihr bekommt alles doppelt zurück«, spie ich zischend aus und sprang, noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, hoch und landete auf dem Kräftigsten der Bande. Ich krallte mich an seinem Kopf fest und rammte meine Daumen in seine Augen. Er brüllte auf und versuchte mich abzuschütteln, während ich von links und rechts gepackt wurde. Ich ließ ab und drehte mich im Kreis. Dabei spannte ich meine Muskeln an, stieß einen animalischen Kampfschrei aus und befreite mich in einer flüssigen Bewegung aus deren Klauen.

Der Schlag auf meinen Hinterkopf erwischte mich unvorbereitet und ich sackte kraftlos auf die Knie. Noch ein Hieb ins Genick. In den Rücken. In die Niere. In den Bauch. Ich kippte auf die Seite. Einer von ihnen wuchtete sich auf meine Beine und brach mir die Kniescheiben. Ein anderer sprang auf meine Hände und zertrümmerte meine Finger. Wellen von Schmerzen schwappten über mich.

Ein Gesicht tauchte dicht vor meinem auf. Feixend. »Was für ein Witz. Dieser Kampf. Du.« Er spuckte mir ins Gesicht. »Und welch eine Schande für unser Volk.« Er holte mit der Faust aus und im nächsten Moment sah ich seine Füße vom Boden abheben. Ich blickte hoch. Morgans wallende Mähne stob bei dem Luftzug auf, den er verursachte, als er meinen Gegner wegschleuderte. Die Fänge gebleckt, unnatürliche Laute von sich gebend, packte er zwei andere aus der Bande und riss ihnen gleichzeitig jeweils ein Ohr ab.

Jemand griff unter meine Achseln, zog mich auf die Seite, lehnte mich gegen die Wand und setzte sich neben mich. »Trink das«, sagte Cary und hielt mir eine Ampulle mit Blut an den Mund.

Die Energie durchströmte mich und langsam wuchsen meine Knochen wieder zusammen. Der Schmerz überwältigte mich und Schwärze flimmerte vor meinen Augen.

Im Flackern der Lichter, die vor mir herumtanzten, sah ich Morgan zu, der wie ein verdammter Racheengel auf die Bande losging. Es war ein Schauspiel eines besonders makabren Films. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze bewegte er sich zwischen den vier Kerlen hin und her. Brach Knochen. Riss Glieder ab. Völlig berauscht ließ er seinem Ärger freien Lauf, bis plötzlich Logan neben ihm erschien und die Hand auf Morgans Schulter legte – ehe es für die vier Arschlöcher zu spät war.

Eins

Megan

»Du solltest wirklich darüber nachdenken endlich den Führerschein zu machen.« Ich warf einen kurzen Blick zu Eliza, die mit untergeschlagenen Beinen auf dem Beifahrersitz meines alten Chevis saß und im Rolling Stone blätterte. Wir befanden uns auf dem Weg nach Magia, zu Morgan, Elizas großer Liebe. Besser gesagt: Ich stellte den Fahrservice, weil Eliza mit ihren sechsundzwanzig Jahren noch immer keinen Führerschein besaß und die Zug- und Busverbindung im Umkreis von fünfzig Meilen um Magia herum unterirdisch schlecht war. Warum auch immer.

»Hm. Hab letztens tatsächlich überlegt, ob ich es nicht mal angehe. So eine heiße Maschine wie Carys würde unter meinem Hintern bestimmt rocken.«

Ich seufzte. »Fang doch erst mit dem Lappen für ein Vierrad-Modell an, ja?«

Eliza lachte und ihr Pferdeschwanz wippte dabei hin und her. »Angsthase!«

Konzentriert starrte ich wieder zur Frontscheibe hinaus. »Das nennt man sorgsamer Umgang mit seiner Gesundheit

»Sagte sie und fuhr mit ihren ausschweifenden Alkoholexzessen fort.«

»Pff. Die kann ich mittlerweile an einer Hand abzählen. Seit du und Addy fest vergeben seid, ist das einzig Exzessive meine Langeweile. Bell ist nicht so trinkfest, wie du weißt.«

Eliza legte die Zeitschrift auf die Ablage und wandte sich mir zu. »Tja, Süße. So ungern du es wahrscheinlich hören magst, aber unter diesen Umständen bleiben dir genau zwei Möglichkeiten.« Sie hob die Hand und begann an den Fingern abzuzählen. »Entweder du minimierst deine Tage im Delirium oder du stürzt dich auch wieder in etwas Festes.«

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. Weder das eine noch das andere hörte sich für mich verlockend an. Mir fehlten die Abende mit dem Rest der Clique, insbesondere die Treffen mit Eliza. Auch wenn unser wöchentliches After-Work-Date im InsideOut weiterhin bestand, hangelte ich mich den Rest der Zeit von einem tumben Nichtstun ins nächste. Aber deswegen eine feste Beziehung einzugehen? Nach der Pleite mit Kjell? Nope! Keine Chance. Ich hatte meine Lektion bitter lernen müssen und mein Herz litt jetzt, zwei Jahre nach dem Crash, immer noch darunter. Vielleicht sollte ich mir einen Kanarienvogel zulegen oder eine Katze, dann wäre ich wenigstens nicht allein.

»Wuah!« Ein unangenehmer Schauer rann mein Rückgrat hinunter. Hatte ich das wirklich gerade gedacht? So verzweifelt war ich schon? Wehrlose Tiere geißeln und sie mit meinem langweiligen Leben belästigen?

»Was ist?«

»Nichts«, antwortete ich und winkte ab.

»Megan Kathryn Dance! Ich kenne dich, seit du mich mit Karottenbrei beworfen hast und ich dir dafür den Schnuller weggeschnappt hab. Rück raus mit der Sprache!«

Magic von Coldplay ertönte plötzlich aus Elizas Umhängetasche und unterbrach ihre Schimpftirade. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich ihr Gesicht schlagartig erhellte.

Mein Herz erwärmte sich. Morgan war am anderen Ende der Leitung. Die Liebe ihres Lebens. Ein Prachtkerl, der direkt aus irgendeiner teuren Werbung entsprungen sein konnte. Groß, breitschultrig, dunkle, tiefgründige Augen, schwarze Haare. Er war sehr smart und gepflegt. Ein wahrer Gentleman und weit davon entfernt ein Kerl zu sein, der mich auch nur ansatzweise interessierte. Dafür war er einfach zu … glattgebügelt. Bedauerlicherweise stand ich auf die Bad Ass Typen unter den Männern. Und diesem Faible verdankte ich nun meine missliche Lage.

»Okay. Pass auf dich auf. Ich liebe dich.«

Überrascht zog ich die Augenbrauen zusammen, ohne Eliza anzusehen. »Ist was passiert?«

»Was? Nein! Nein. Alles in Ordnung. Morgan … schafft es nicht rechtzeitig aus der Arbeit. Das ist alles.«

Aha. Klar. Ich warf einen kurzen Blick zu Eliza, die krampfhaft das Handy umklammert hielt und sichtlich angespannt aus dem Fenster starrte. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob sich eine Diskussion lohnte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.

Seit dem Spätsommer - seit dem Zeitpunkt, wo sie nach einer heftigen Trennung von Morgan wieder mit ihm zusammengekommen war, verhielt sie sich anders. Eliza wirkte oft abwesend und verschlossen. Ich wusste, dass sie etwas vor mir verheimlichte, denn nach fünfundzwanzig Jahren bemerkte man jede noch so kleine Veränderung aneinander. Und damit hatte ich so überhaupt kein Problem. Ehrlich nicht. Wir alle entwickelten uns weiter im Laufe des Lebens. Nahmen neue Charakterzüge an und legten alte Gewohnheiten ab. Aber Eliza hüllte sich in Schweigen und dieser Punkt, bereitete mir Schwierigkeiten. Wir waren bisher immer ehrlich zueinander gewesen und es gab nichts, was wir voreinander verheimlichten. Nichts.

»Magia«, sagte sie in die Stille und deutete auf das Ortsschild, welches wir just passierten. »Fahr weiter durch den Ort, bis wir wieder rauskommen. Die Jungs wohnen etwas abgelegen.«

Die Jungs, hallte es in meinen Gedanken nach und Ash blitzte vor meinem inneren Auge auf. Seine grauen, mandelförmigen Augen, die aussahen wie flüssiges Silber und die wie diamantene Splitter aufblitzten, jedes Mal, wenn er sich nach einem Kuss von mir löste. Die blonden, dicken Haare, deren Spitzen mein Gesicht kitzelten, wenn er meinen Nacken mit seinen breiten, geschwungenen Lippen küsste. Der Dreitagebart, den er gelegentlich trug, und der über meine Haut kratzte, sanft und rau gleichzeitig. Ein Prickeln durchfuhr mich vom Kopf bis zu den Zehen. Verflucht. Gute drei Monate hatte ich Ash nicht mehr gesehen, aber beim Gedanken an ihn verabschiedete sich mein Körper von meinem Kopf und spielte nach seinen eigenen Regeln.

Seit der Sache mit Kjell ließ ich mich nur noch auf zwanglose Sexgeschichten ein, was bisher prima geklappt hatte. Natürlich. Von hundert Männern gab es höchstens eine Handvoll, die durchaus an einer festen Beziehung interessiert waren. Der Rest … Aber Ash war ein Tick mehr als nur Sex gewesen und trotzdem zu wenig für irgendetwas anderes.

»Da nach links. Richtung Silver Lake.«

Ich schüttelte mich. Vielleicht lag es am Ort, denn plötzlich überkam mich so eine Unruhe. Nervös rutschte ich auf dem Sitz umher. Hier draußen, auf dem mit Kiesel bedeckten Weg, zwischen Waldrand und weitläufigem Feld, waberte die Schwärze der Nacht dicht um uns herum. Einzig die kreisrunden Lichter meines Chevis durchbrachen die Dunkelheit und gaben trotzdem immer nur wenige Meter Sicht frei.

»Gruselig«, murmelte ich.

Eliza lachte. »Was ist heute nur los mit dir?«

Seufzend klatschte ich mit der Hand aufs Lenkrad. »Keine Ahnung. Vielleicht liegt's am Frust, weil mir ein langweiliger Urlaub bevorsteht. Du bist bei Morgan. Bell arbeitet und Addy ist mit Connor verreist.« Tatsächlich war es das erste Mal, dass ich alleine im Urlaub war. Wir vier hatten ihn immer mit mindestens einem anderen, im besten Fall mit allen gemeinsam verbracht.

»Scheiße, Meg. Deinen Urlaub hab ich total vergessen. Warum hast du's nicht nochmal erwähnt? Morgan hätte gewartet, der muss sowieso arbeiten.«

»Genau deswegen. Weil ihr beiden immer aufeinander wartet. Manchmal wochenlang. Ihr seht euch so selten. Glaubst du, da funke ich dazwischen? Nee nee, Süße!«

Eliza stöhnte unterdrückt. Plötzlich holperte der Wagen und brach leicht seitlich aus, bevor ich das Lenkrad wieder richtig unter Kontrolle bekam. »Verdammt. Was war das denn?« Mein Herz pochte aufgeregt in meiner Brust.

»Keine Ahnung. Hoffentlich kein Tier.«

»Sollen wir nachsehen?«, fragte ich und ging etwas vom Gas.

»Willst du da jetzt wirklich aussteigen? Man sieht doch gar nichts.«

Grinsend schaute ich zu Eliza. Der unsichere Ton in ihrer Stimme war unüberhörbar gewesen. »Angst?«

Sie nahm die Zeitschrift, rollte sie ein und schlug damit spielerisch auf meinen Arm. »Fahr weiter. In der Dunkelheit können wir sowieso nichts unternehmen. Außerdem haben wir unsere Heldinnenkostüme nicht dabei.«

Lachend trat ich fester aufs Gas und fuhr den tanzenden Lichtflecken entgegen, die in der Ferne erstrahlten und sich nach einigen Minuten, als in den Boden eingefasste LED Lichter entpuppten.

»Wow!« Fassungslos folgte ich den Windungen des gepflasterten Wegs zu dem zweistöckigen Anwesen und parkte seitlich davon. »Das haben Morgan und die anderen gebaut? Gemeinsam? Mit ihren eigenen Händen?« Überrascht besah ich mir die aus Stein gemauerte Außenfassade, die halbrunden, stuckverzierten Balkone der oberen Stockwerke, die ausladende Vorderveranda, die einmal rundum lief und an einer breiten Treppe endete. Das gesamte Gebäude versprühte den Glanz eines herrschaftlichen Anwesens aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Ein bisschen wie die Miniversion des Herrenhauses aus Vom Winde verweht.

»Laut ihrer Aussage, ja. Ist abgefahren, oder?«

Ich beugte mich noch ein Stück weiter übers Lenkrad und schnalzte beeindruckt mit der Zunge. Dabei fiel mir ein silberner Glimmer auf, der das Gebäude umgab. »Siehst du das?«, fragte ich Eliza, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nur einbildete.

»Was meinst du?« Eliza lehnte sich zu mir und legt den Kopf schief beim Hinaussehen. »Ich sehe nichts.«

Hm. Merkwürdig.

»Aber du solltest dir mal die Inneneinrichtung ansehen, wenn dich das schon aus den Socken haut. Es gibt tatsächlich Männer mit stilistischem Feingefühl.«

»Ein anderes Mal. Ich will vor Mitternacht zu Hause sein.«

»Ach komm schon, Meg. Morgan ist noch eine Weile beschäftigt. Du kannst mir so lange Gesellschaft leisten.« Eliza klimperte bittend mit den Wimpern, aber ich schüttelte den Kopf. »Du vergisst, dass auch Ash da wohnt. Ich hab keinen Bock sein Ego zu füttern, weil er am Ende denkt, dass ich nur hier bin, um ihn zu sehen. Immerhin war er es, der sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr gemeldet hat.«

»Verflixt. Gegen diese Argumentation stinkt ja wohl jede Bitte von mir ab.« Sie schlang die Arme um mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Du rufst sofort an, wenn du daheim bist! Klar?«

Ich erwiderte die Umarmung. »Klar. Hab Spaß und richte Morgan Grüße aus.« Ich deutete mit dem Zeigefinger auf sie. »Morgan. Nicht Ash!«

Eliza zwinkerte verschwörerisch, stieg aus, holte ihre Tasche aus dem Kofferraum und blieb winkend an der Eingangstür stehen, bis ich sie nicht mehr im Rückspiegel sehen konnte. Ich schaltete das Radio ein, dessen Frequenz immer auf Elizas Sender Shine-a-Light eingestellt war. Rise Against stoben über die Lautsprecher in meine Ohren und ich wackelte mit dem Kopf im Takt. Das war genau meine Musik. Ich mochte es gern rockig. Und punkig. Besonders, wenn man dazu gut tanzen und grölen konnte.

Mein Blick schweifte durch die Schwärze, die das Auto einige Meter vom Haus entfernt wieder einhüllte. Es machte den Anschein, als käme der dunkle Schleier direkt aus dem Wald. Ich sollte mir ehrlich weniger Horrorfilme reinziehen. Eine Gänsehaut zog sich meine Arme hinauf und ich gab mehr Gas. Im selben Augenblick holperte das Auto erneut hart über irgendetwas und meine Hände rutschten vom Steuer ab. Der Wagen vollzog einen Schlenker und brach aus. Schreckerfüllt trat ich mit voller Wucht auf die Bremse, schleuderte mit dem Oberkörper nach vorn und stieß mir den Kopf am Lenkrad, während der Motor absoff und der Wagen schlitternd zum Stehen kam.

»Scheiße!« Atemlos rieb ich mir über die Stirn. Na toll. Ich spürte die Schwellung jetzt schon. Dabei war ich nicht schneller als vierzig Meilen die Stunde gefahren. Ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch, um den rasenden Adrenalinschock zu verarbeiten.

Egal, Meg. Vergiss die Beule, beruhigte ich mich. Das hätte auch anders ausgehen können. Zum Glück hatte der Wagen einen Schlenker ins Feld gemacht, anstatt in den Wald.

Ich blieb einen weiteren Moment sitzen und drehte dann den Zündschlüssel herum. Da meine Hand wie verrückt zitterte, dauert es, bis ich ihn richtig zu fassen bekam. Der Motor knatterte, aber sprang nicht an. Ich probierte es ein paar Mal, bevor ich kapitulierte. Ich angelte mir mein Handy aus der Handtasche und wählte Elizas Nummer.

»Hallo? Hey! Hallooo?« Genervt nahm ich das Telefon vom Ohr, nachdem auch nach dem fünften Mal wählen und dem dritten Mal ein- und ausschalten kein Ton zu hören war. Kein Empfang. »Nicht wahr, jetzt.« Mein Kopf sank auf die Rücklehne und ich schloss erneut die Augen, um mich mental darauf vorzubereiten den Weg zum Anwesen der Jungs zu Fuß anzutreten, wenn ich nicht die Nacht im Auto verbringen wollte.

Mein Kopf begann zu dröhnen. Schmerzerfüllt massierte ich mir die Schläfen, aber das Donnern wurde immer lauter, bis es schlagartig aufhörte. Verrückt. Hatte ich mir eine Gehirnerschütterung zugezogen?

Ein hartes Klopfen an die Autotür unterbrach meine Gedanken. Erschrocken ließ ich die Hände in den Schoß fallen und riss die Augen auf. Ein Kerl stand gebeugt vor meinem Wagen und schaute durchs Fenster hinein. Seine Augen schimmerten violett wie zwei Amethyste. »Alles in Ordnung, Miss? Sind Sie okay?«

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund jagte er mir keine Angst ein, obwohl er das gesamte Fenster mit seinem breiten Oberkörper ausfüllte und mit Sicherheit durchgeknallt war. Wer trug denn bitte schön lila gefärbte Kontaktlinsen?

Bedenkenlos kurbelte ich die Scheibe hinunter. Bell würde mir für mein achtloses Verhalten den Kopf abreißen. Frische, kühle Luft klatschte mir entgegen, die ich tief inhalierte. Haa … mhm riecht es hier nach Zuckerwatte?

»Miss?«

Ich schüttelte mich. »Ja?« Ach so. »Ich bin über irgendwas gefahren und hab die Kontrolle verloren, aber es geht mir gut«, antwortete ich dem Kerl.

»Sicher?« Seine Stimme brummte tief, als er mich das fragte und auf mein Gesicht zeigte. »Das sieht eindeutig nach 'ner Beule aus.«

»Hoffentlich meinst du nicht mein Gesicht.« Verwirrt kniff ich die Augen zusammen. Das war jetzt nicht wirklich aus meinem Mund gekommen! Ich schnaubte über meinen uncoolen Auftritt. »Ja. Alles klar bei mir.« Haha. »Was man von meinem Auto nicht behaupten kann. Es springt nicht mehr an. Kennst du dich damit aus?«

Der Kerl schüttelte den Kopf, doch sein lila Irokesenschnitt bewegte sich keinen Millimeter. »Nope. Sorry. Meine Passion gilt einzig und allein den Zweirädern.« Er trat ein Stück zur Seite und gab den Blick auf eine dunkelblaue Maschine frei.

»Cary?«, fragte ich beim Blick auf die Harley.

Überrascht neigte er den Kopf. »Kennen wir uns, Kleines?«

Kleines? Kichernd kurbelte ich das Fenster wieder rauf, schnappte nach meiner Tasche und stieg aus. Entweder setzte mir der Schlag auf die Stirn zu oder das freigesetzte Adrenalin machte mich kirre, denn plötzlich war mir furchtbar albern zumute. »Ich steh auf Lila«, hörte ich mich weit entfernt sagen. So als spräche ich durch Watte. »Meine Lieblingsdeeeecke ist liiiilaaa.« Ich trat ein Stück auf Cary zu. »Lila ist kuschschschlig und, und, uuuund waarm. Hey. Hey! Hör auf dich zu drehen. Hör au–«

Und dann wurde alles schwarz.

Ashton

Was zur Hölle? Ruckartig stieg ich auf die Bremse und befand mich im nächsten Moment mitten auf dem Feld, direkt vor dem Auto. Megan! Panisch sah ich mich um, lauschte jedem Geräusch und streckte die Fühler nach irgendwelchen Emotionen aus. Nichts. Außer … Carys Maschine. Ein seltsames Gefühl beschlich mich. Was hatte dieser Punk mit Megan zu schaffen?

Ich umrundete den Wagen und spähte durchs Fenster, fand aber nicht den kleinsten Hinweis darauf, was passiert sein konnte. Missmutig lief ich zurück zu meinem Mustang und rieb mir über die Brust, die sich gnadenlos zusammendrückte. Auch wenn ich Meg bereits einige Wochen nicht mehr gesehen und wir nicht mehr als eine lockere Sexbeziehung geführt hatten, würde ich es nicht ertragen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Tatsächlich vermisste ich das freche Stück ziemlich, was mich absolut irritierte.

In meinen einhundertundzehn Jahren hatte es noch keine einzige Frau in meinem Leben gegeben, die mir nach ein bisschen Spaß gefehlt hatte. Und mehr als kurzweilige, genussvolle Episoden gab es bei mir nicht. Nie. Warum auch? Man musste sich nur mal das vielfältige Angebot der wunderbar betörenden weiblichen Spezies ansehen, um davor gefeit zu sein irgendetwas Ernstes zu wollen. Sich zu binden und damit vom Markt zu sein. Die Auswahl war einfach zu riesig.

Ich stieg in den Wagen, bretterte zum Anwesen und spurtete die Treppen zur Eingangstür hinauf. Megan war hier! Ihre Gefühle erkannte ich auch noch unter Millionen anderer Emotionen. Sie hatten einen besonderen Klang. Eine außergewöhnliche Farbe.

»Yo!«, rief ich und schmiss die Tür ins Schloss.

»Wohnzimmer!« Eliza? Fragend bog ich rechts ab und erstarrte. Auf der schwarzen Ledercouch lag Meg mit einem Kühlbeutel auf der Stirn, geschlossenen Augen und hochgelagerten Beinen. Sie sah so klein und wehrlos aus, besonders im Vergleich zu diesem Hulk, der da neben ihr parkte.

»Beweg deinen Arsch von der Couch, Punk!«, zischte ich und stand im nächsten Moment vor Cary, der unisono aufgesprungen war und sich dicht vor mir aufbaute.

Er zog die Augenbrauen hoch und grinste. »In Sorge, Jüngelchen?«

Ich hob die Hand, um ihn zu packen, als die warmen Finger von Eliza sich um meinen Oberarm legten und sie sich zwischen uns drängte. »Megan hat mich hergefahren. Auf dem Rückweg hatte sie einen Unfall.«

Mein Blick schweifte langsam zu Elizas Gesicht, die mich aufmerksam musterte. Wenn ich in ihre whiskyfarbenen Augen sah, hüllte mich das Gefühl von Geborgenheit ein, obwohl das Braun ihrer Augen nicht dem ihrer Mutter glich. »Hat Logan sie sich angesehen?«

»Der duscht.«

Ich löste mich aus ihrer Umklammerung und sprintete zur Treppe ins erste Stockwerk. »Logan. Logan!«, brüllte ich hinauf, was Blödsinn war, denn er konnte mich auch hören, wenn ich flüsterte.

Nichts rührte sich. »Ich brauch deine Hilfe«, drückte ich nun leise durch zusammengebissene Zähne hervor und bewegte mich rückwärtsgehend Richtung Wohnzimmer, als Logan auch schon vor mir stand, mit nichts als einem Badetuch um seine Lenden geschlungen. »Was ist passiert?«

Wortlos kehrte ich zum Sofa zurück und setzte mich auf dessen Rand. Mein Blick schweifte über Megans zartes Gesicht. Ihre sowieso schon helle Porzellanhaut strahlte noch weißer, was das Rot ihrer geschwungenen, feinen Lippen extrem in den Vordergrund rückte. Ich strich ihr eine verirrte Locke hinter die Ohren, deren Form mich jedes Mal wieder an die von Feen erinnerte. Schmal, zart, nach oben spitz zulaufend.

Nervös rieb ich mir erneut über die Brust. Verdammt. Dieser Schmerz machte mich kirre. Wäre ich ein Sauerstoffatmer, läge ich jetzt panisch auf dem Boden, weil dieser ätzende Druck mit Sicherheit einem Menschen komplett die Luft abschnürte.

»Sie sagte, sie wäre über irgendetwas drübergefahren und hätte die Kontrolle über den Wagen verloren. Bevor sie umgekippt ist, hat sie gelallt«, beantwortete Cary die Frage.

Logan kniete sich neben mich. Durch seinen Job als Kranken- und Altenpfleger in einem Heim für Nachtschwärmer war er in medizinischer Hinsicht bestens ausgebildet. Er nahm den Kühlbeutel von Megans Stirn und eine gerötete, leicht erhabene Stelle kam zum Vorschein.

Megs Augenlider flatterten, ehe sie sich träge hoben. Das helle Grün ihrer Iris schimmerte matt, geradeso als läge ein Filter darauf. »Ich hab das Lenkrad geküsst«, sagte sie mit rauer Stimme und ihre Pupillen bewegten sich hektisch von links nach rechts, bis sie bei Logan stehenblieben. »Sind alle Engel nackt?«

Was faselt sie da nur? »Hat sie eine Gehirnerschütterung?«

Logan hob die Hand und fuhr mit dem Zeigefinger vor Megans Gesicht langsam von rechts nach links und wieder zurück. Er betastete vorsichtig ihren Kopf, bevor er ihr die ausgestreckte Hand vors Gesicht hielt und fragte: »Wie viele Finger siehst du?«

»Fünf.«

»Was für einen Monat haben wir?«

»September.«

»Wo wohnst du?«

»In Lavon.«

»Weißt du noch, was du zuletzt gemacht hast?«

»Ich hab Eliza zu Morgan gefahren. Auf dem Rückweg habe ich die Kontrolle über meinen Wagen verloren und bin beim Bremsen gegen das Lenkrad gedonnert. Dann roch plötzlich alles nach Zuckerwatte.«

In Sekundenschnelle war ich aufgesprungen und hatte Cary am Kragen gepackt. »Du Arschloch!«

»Eifersüchtig? Ich hatte keine Ahnung, dass sie dein Mädchen ist«, brummte er belustigt.

»Sie ist nicht mein Mädchen.«

Cary nickte. »Nimm deine Finger von mir, Jüngelchen.«

»Kennst du diesen Kerl?«, fragte Logan hinter mir.

»Diesen Brüllaffen?«, ächzte Megan. Ich gab Cary frei und drehte mich zu Meg, die mittlerweile aufrecht saß und mich mit funkelnden Augen anstarrte. Das Trübe war verschwunden. »Nein.«

Lachend stand Logan auf. »Es geht ihr ausgezeichnet. Der Aufprall war nicht so wild. Ich schätze, der Schock über den Unfall und die Zuckerwatte-Invasion haben den Black-out verursacht.«

»Danke.« Erleichterung durchflutete mich und der Druck in meiner Brust flaute ab. Ich klopfte Logan auf die Schulter und verließ das Zimmer, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Brüllaffe? Die gesamte Situation stieg mir über den Kopf und ich brauchte eine Auszeit, bevor ich in meinem Zustand noch etwas Unüberlegtes tat.

Megan

Ich spülte die Paracetamol mit Wasser hinunter und lehnte mit dem Kopf gegen den silbergebürsteten Side-by-Side-Kühlschrank der hochmodern eingerichteten Küche des Anwesens. Die Stelle an der Stirn pochte eigentlich gar nicht so stark, aber die Situation an sich verursachte Kopfschmerzen.

Ich erinnerte mich genau an mein Gebrabbel, bevor ich vor Cary in Ohnmacht gefallen war, und auch, dass ich Logan als nackten Engel betitelt hatte. Letzteres konnte man mir aber nicht verübeln, oder? Wenn das Erste, was man nach einem Crash mit dem Wagen zu sehen bekam, ein von Wasserperlen benetzter Oberkörper und feuchte, in Bronze schimmernde, lange Haare waren, wäre so mancher leicht verwirrt.

Was mir wirklich übel aufstieß, waren Ashs Worte. Sie ist nicht mein Mädchen. Ich atmete tief durch. Natürlich war ich nicht sein Mädchen. Das wusste ich selbst und das störte mich auch nicht. Die Art und Weise, wie er es rausgehauen hatte, ärgerte mich und in dem Moment hatte es sich angefühlt, als klatschte er mir zum zweiten Mal eine. Die erste Ohrfeige hatte er mir gegeben, als er sich ohne zu verabschieden nicht mehr meldete.

»Wie geht's dir?« Eliza neigte fragend den Kopf zur Seite.

»Ich erhol mich noch vom tosenden Applaus, den mein Auftritt in diesem Haus ausgelöst hat.«

Lachend zog sie mich in die Arme und drückte mich sanft. »Zum Glück ist dir nichts Schlimmeres zugestoßen.«

»Zumindest nicht körperlich.«

»Die Jungs sind cool. Mach dir keinen Kopf.« Eliza löste sich aus der Umarmung und schwang sich auf den Thekenhocker. »Ash war ganz schön in Sorge.«

Seufzend schüttelte ich den Kopf. Da waren wir uns nicht einig. Ich trank das Glas aus und stellte es in die Spüle. »Kommst du mit mir zum Auto? Ich will sehen, ob ich es wieder zum Starten bringe.«

»Ash schleppt ihn gerade ab«, ertönte es unvermittelt hinter mir. »Hey, Babe.«

Ich drehte mich um und beobachtete, wie Eliza in Morgans Arme glitt und sie sich küssten. Ein wunderbar verrücktes Bild, da Morgan einen dunkelblauen, maßgeschneiderten Anzug trug, während Eliza in türkisfarbenen Röhrenjeans, Chucks und einem Ich liebe Hawaii-Shirt einen absoluten Kontrast zu ihrer großen Liebe darstellte.

Mein Herz hüpfte fröhlich umher. Meine beste Freundin so glücklich zu sehen, freute mich jedes Mal aufs Neue, besonders weil Morgan ein ausgesprochen hilfsbereiter, rücksichtsvoller Mann war. Was man von anderen Kerlen in diesem Haushalt nicht behaupten konnte.

»Megan«, sagte Morgan, trat auf mich zu, küsste mir die Wangen und nahm mich in den Arm. »Geht's dir gut?«

»Klar. Ich bin ja hart im Nehmen.«

Er lachte. »Stimmt.«

Nickend drückte ich ihm kurz den Oberarm, ehe Eliza sich zu uns gesellte und sich an ihn schmiegte.

»Danke, dass du Eliza hergefahren hast. Bei mir ist geschäftlich momentan die Hölle los.«

Ich winkte ab. »Kein Thema. Jederzeit! Vorausgesetzt mein Wagen lässt mich nicht im Stich. Ich brauch ihn noch ein paar Jahre.«

»Vergiss es. Mit dieser Schüssel fährst du nirgends mehr hin.«

Ich schwang auf die Seite und sah an Morgans breiter Schulter vorbei zur Tür, durch die Ash hereingestiefelt kam. Er trug Jeans, Sneakers und ein graues T-Shirt. Mit den zerzausten Haaren vermittelte er den Eindruck, als wäre er eben erst aus dem Bett gesprungen und hätte sich rasch etwas übergeworfen. Ich versuchte den Schlag meines Herzens zu ignorieren, der plötzlich einen Tick hochpushte. »Was ist kaputt?« Hoffentlich nichts, was man nicht wieder reparieren konnte.

»Frag mich lieber, was nicht kaputt ist.«

Ich umrundete Morgan, stellte mich vor Ash und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. »Rück schon raus mit der Sprache.«

»Nichts«, raunte er und kniff die Augen zusammen. »Nichts an dieser verdammten Karre ist weder verkehrstauglich noch sicher.«

Ich wich ein Stück zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Gibt es einen Grund für deinen ätzenden Unterton?«

»Allerdings.« Mit einem Schritt schloss er die Kluft wieder und beugte sich zu mir herab. Der Duft von Sommer kroch in meine Nase. Würde in mir nicht erneut die Wut über sein unmögliches Verhalten mir gegenüber schwelen, wäre ich jetzt restlos benebelt.

»Ich hab dir bereits mehr als einmal gesagt, dass du diese Schrottkarre endlich gegen ein neues Auto austauschen sollst«, fuhr er fort und knurrte fast.

Ich ließ die Arme fallen und starrte Ash eine Weile an. Seine silbernen Augen funkelten wild und mir war, als hätte ich ihn nie wirklich gekannt. Was womöglich auch stimmte. So eklig hatte er sich mir gegenüber noch nie benommen.

Im Gegenteil. Die paar Wochen, die wir zusammen verbracht hatten, waren von Spaß, Lebensfreude, Sarkasmus und liebgemeinten Frotzeleien geprägt gewesen. Seine positive Ausstrahlung war eines der ersten Dinge, die ich so anziehend an ihm gefunden hatte. Und ja. Er war auch ein Bad Ass. Aber es gab zwei Arten Mann mit diesem Charakterzug. Und diesen, den er mir soeben vor den Latz knallte, gefiel mir nicht und den musste ich mir verdammt noch mal nicht bieten lassen.

»Warst du eigentlich schon immer so ein Arschloch?«, flüsterte ich und drängte mich an ihm vorbei, raus aus der Küche. Keine Sekunde länger hielt ich es mit ihm in einem Raum aus, sonst würde ich ihm an die Gurgel springen. Oder Schlimmeres.

Ich durchquerte die Diele und verließ das Haus. Mein Wagen stand etwas abseits neben Ashs Mustang. So im direkten Vergleich spackte mein alter Camaro jämmerlich ab. Trotzdem war es mein Auto. Mein erstes eigenes, das ich mir von meinem Geld gekauft und seither gehegt und gepflegt hatte. Ich hetzte die Treppe runter, setzte mich in meinen Achtziger-Jahre Chevi und starrte über die gepflegte Gartenanlage, die sich vor mir erstreckte. Eine schillernde Farbexplosion, die unter dem strahlenden Mond besonders schön zur Geltung kam. Rhododendronbüsche in Pink und Rosa. Hortensien in Blau und Weiß. Und der wild wachsende Lavendel, der die Rasenfläche um den verschlungenen Steinweg zum See in ein lila Meer aus Blütenblättern verzauberte. Das alles sah so idyllisch aus – und irgendwie weiblich.

Es klopfte an die Scheibe. Ohne hinüberzusehen rief ich: »Verschwinde.«

Die Tür schwang auf und das Auto wackelte leicht, als sich jemand auf den Beifahrersitz quetschte. Genervt blickte ich zur Seite, direkt in ein gewinnendes Lächeln.

»Was schaust du dir da an, Kleines?« Auf Carys Wange erschienen Grübchen und sein verschmitzter Gesichtsausdruck machte es mir schwer weiter stinkig zu sein.

»Sorry. Ich dachte, du wärst der Brüllaffe.«

Cary hüstelte verschlagen. »Ärgert er dich? Dann ärgere ich ihn auch ein bisschen.«

Auflachend lehnte ich mich gegen die Kopfstütze. »Danke, aber das bekomm ich schon gebacken.« Ich schnaufte tief. »Was für ein beschissener Abend. Ich möchte einfach nur nach Hause, mir die Decke über den Kopf ziehen und die Welt ausblenden.«

»Soll ich dich heimbringen?«

»Mit deiner Harley?«

»Hm«, brummte er. »Ich fahr nichts anderes.«

»Auch nicht im Winter?« Überrascht riss ich die Augen auf, aber Cary lachte nur leise in sich hinein. »Also? Was ist?«

»Ich wohne aber nicht um die Ecke, Cary.«

»Ich weiß.«

Langsam nickte ich. Hierbleiben kam nicht infrage. Klar konnte ich mir Klamotten von Eliza ausleihen und morgen nach einer Werkstatt für mein Auto suchen, aber unter einem Dach mit diesem Idioten hielt ich es nicht aus. Und wie sollte ich sonst vom Anwesen wegkommen? Morgan riss ich jetzt ganz sicher nicht aus Megans Armen. »Okay«, beschloss ich deshalb. »Hauen wir ab.«

Ashton

»Wie lange magst du da noch stehen?«

Ohne mich zu bewegen, murmelte ich: »Ich hab keine Ahnung.«

Morgan stellte sich an meine Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Weile verharrten wir schweigend an der Einfahrt unseres Anwesens und starrten den unbefestigten Weg hinunter. Seit Megan mit Cary auf seiner Maschine davongerast war, fühlte ich mich nicht in der Lage irgendetwas anderes zu tun, als dümmlich in der Gegend herumzustehen und mir den Kopf zu zermartern, wie unsere erste Begegnung nach Wochen des Stillstands so danebengehen konnte?

Zwischen uns hatte es bisher nie irgendwelche schlechten Spannungen gegeben. Nicht einen Moment der Missgunst, des Enerviertseins oder anderes Negatives. Meg war die erste Frau, die erste Affäre in meinem Leben gewesen, bei der ich mich immer rundum wohlgefühlt hatte. Ein Umstand, der dazu beitrug, dass sie mir fehlte. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht kannte ich sie einfach auch nicht richtig. Jedes Lebewesen trug zwei Seelen in sich. Megan bildete da mit Sicherheit keine Ausnahme.

»Cary bringt sie sicher nach Hause.«

»Willst du mich verarschen, Alter?« Genervt stapfte ich davon. »Dieser Penner bekommt was von mir zu hören, wenn er wieder da ist.«

»Dieser Penner fährt jetzt vier Stunden durch die Gegend, wegen der Frau, die du von hier vertrieben hast.«

»Was nicht passiert wäre, wenn dieses sture Stück sich endlich einen sicheren Wagen zugelegt hätte!«

»Gibst du jetzt tatsächlich Megan die Schuld für deine schlechte Laune?« Morgan trabte neben mir die Stufen zum Haus hinauf und öffnete die Tür.

»Eliza wartet auf dich«, antwortete ich, drängte mich an ihm vorbei und schlug den Weg zum Kraftraum ein. Seine Vorhaltungen konnte er sich sonst wohin schieben. Ja, ich hatte überreagiert. Das war aber noch lange kein Grund, dass sich dieser Punk in meine Angelegenheiten einmischte.

Noch bevor ich den Umkleideraum betrat, klingelte mein Handy.

»Fuck«, stöhnte ich und nahm widerwillig das Gespräch an. »Constance.«

»Ashton James. Der Erstgeborene.«

»Kannst du einmal nicht so theatralisch sein, kleine Schwester?«

»Wenn ich dich öfter zu Gesicht bekäme, klänge das durchaus nach einer Option, über die ich mir Gedanken machen könnte. Da dem nicht so ist, wirst du dich mit meiner Theatralik arrangieren müssen.«

In mich reinlächelnd lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Wand. Meine Schwester war in wenigen lichten Momenten eine lockere und lustige Vampirin und ich liebte sie auf eine verquere Art und Weise. Die andere Zeit jedoch war sie aber die Tochter unserer Eltern, die den Ausschlag gaben, warum unser Kontakt ziemlich spärlich ausfiel.

»Okay. Ich hab den Wink verstanden. Rufst du deswegen an?«

»Nein. Ich wollte dich vorwarnen, dass du Post bekommst.«

»Ah«, antwortete ich. »Der alte Herr sendet seine Boten aus. Was will er?«

»Das kann ich dir leider nicht sagen. Seit diesem Bindungszauber-Fail fanden viele Gespräche statt. Alles sehr geheim und hinter verschlossenen Türen. Vater ist ausgesprochen griesgrämig und Mutter steht total neben sich. Die Unruhen haben ihnen zugesetzt.«

Verdammt! Die hatte ich total verdrängt. Eine Einladung konnte demnach nichts Gutes bedeuten.

»Wann?«

»Der Brief soll in den nächsten Tagen raus.«

»Danke, Schwesterherz.«

»Wir sehen uns, großer Bruder.«

Eher nicht. Aber das behielt ich für mich. Ich drückte auf Beenden und klatschte das Handy ein paar Mal in die Hand. Seitdem die wahre Ursache des Bindungszaubers bekannt geworden war und die Nachtschwärmer sich nun frei entscheiden konnten, an wen sie ihr Herz zukünftig verschenkten, fanden immer wieder Aufstände statt. Eine nicht unbeachtliche Menge an Schwärmern fühlte sich aufs Äußerste hintergangen und forderte Wiedergutmachung.

Die ehemaligen Mitglieder des Nash-Rats und ihre Familien waren aus Sicherheitsgründen mittlerweile gezwungen unterzutauchen. Nur Morgan kannte deren Aufenthaltsort, da er die undankbare Aufgabe zugeschustert bekommen hatte einen neuen Rat auf die Beine zu stellen. Eigentlich mit Hilfe der alten Ratsmitglieder, was aber zum größten Teil sowieso für den Arsch war, denn nicht jedes war freiwillig zurückgetreten.

Ich zog mich um, schaltete die Anlage ein und stellte mich zuerst aufs Laufband, bevor ich an die Geräte ging. Vielleicht half mir die körperliche Anstrengung den Druck abzubauen, der sich da zum dritten Mal an diesem Abend in meiner Brust angesammelt hatte.

Megan

»Danke.«

»Ich hab zu danken. Ein Bier ist das Mindeste, was ich tun kann, obwohl es mir lieber gewesen wäre, du hättest dich für den Kaffee entschieden.« Kritisch beäugte ich Cary, der sich die Flasche an den Mund führte, wobei ihm ein süffisantes Lächeln über die Lippen glitt. »Mach dir keine Sorgen, Kleines. Ein Bier steck ich easy weg. Außerdem bin ich ein Nachtmensch.«

Ich setzte mich auf die Fensterbank gegenüber der Couch, auf der er saß, und zog die Knie an. Vor zehn Minuten waren wir in Lavon aufgeschlagen. Es war bereits nach Mitternacht und mich plagte das schlechte Gewissen, weil er um diese Uhrzeit wegen mir noch so lange nach Hause fahren musste. »Eliza hat mir erzählt, du besitzt einen Nachtclub?«

»Hm. Das Violet Pixie. Für gewöhnlich arbeite ich um diese Zeit. Vor sechs in der Früh komme ich da meistens nicht raus.«

»Hast du dann überhaupt noch was vom Tag? Oder von deinem Leben?«

Cary lächelte wieder, lehnte sich zurück und legte ein Bein auf dem anderen Knie ab. »Die Nacht ist mein Tag, Kleines. Und das schon verdammt lange Zeit. Man gewöhnt sich an alles.«

Ich trank einen Schluck von meinem Bier und sah Cary über den Rand des Flaschenhalses an. Er dürfte so groß wie Ash sein, aber sein Körper war muskulöser. Das schwarze Shirt spannte sich über die klar definierten Konturen von Brust und Bauch und die schwarze Lederhose lag eng an seinen Beinen an. Mit den riesigen, schwarzen Plugs im Ohr, den Tattoos im Nacken und auf den Armen, überhaupt mit seinem Auftreten, strahlte er eine absolute Punkerpose aus. Äußerlich genau mein Typ! Aber so was von.

Cary lachte leise in sich hinein und ich fühlte mich ertappt. Als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. Hab ich nicht. Oder? Innerlich stöhnend schloss ich kurz die Augen. Was für ein Abend.

»Erzähl mal. Was ist das zwischen dir und dem Brüllaffen?«

»Es ist nicht. Es war.« Ich schlug die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Spaß. Nicht mehr und nicht weniger. Bis er sich eines Tages einfach nicht mehr gemeldet hat.«

»Hm. Das ist neu. Für gewöhnlich sagt Ash den Frauen eindeutig, wann Schluss ist. Er ist ein Arsch, aber so ein Arsch dann doch nicht.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Sollte mich das jetzt wirklich aufbauen?«

Carys Augen blitzten auf, als er laut lachte. »Nein. Wahrscheinlich nicht. Ich wollte dir damit nur sagen, dass er sich heute Abend ehrlich Sorgen um dich gemacht hat.«

Abwinkend trank ich einen weiteren Schluck. In mir brodelte es noch zu heftig, als dass ich diesem Idioten sein Verhalten bereits verzeihen konnte. Aber eine Sache interessierte mich dann doch. »Wieso ist er auf dich losgegangen? Immerhin hast du mir geholfen.«

Eine Weile sagte Cary nichts und starrte mich nur an. Der violette Ton seiner Iris verdunkelte sich so stark, dass sie fast purpurfarben aussahen. Verrückt! War das die de luxe Ausführung der Kontaktlinsen? Als er den Mund endlich öffnete, erwartete ich eine mega Enthüllung zu hören. Stattdessen meinte er salopp: »Eifersucht.«

»Pff. Blödsinn«, erwiderte ich. »Er hat sich knapp drei Monate nicht bei mir gemeldet, Cary. Sag mir nicht, er hat in der Zeit brav zuhause gesessen und ist vor Sehnsucht eingegangen. Mit Sicherheit hat er das gemacht, was er immer tut.« Partys, saufen, Weiber abschleppen.

»Du kennst ihn gut.« Cary nickte knapp und in meinem Herzen zwickte es. Mir war klar, dass Ash nichts anbrennen ließ, und als er sich nicht mehr gemeldet hatte, war die Sache zwischen uns erledigt gewesen. Trotzdem gab es da diesen kleinen Funken in meinem Herzen, der bereits mein ganzes Leben dort wohnte und wartete. Beharrlich darauf hoffte, irgendwann entzünden zu dürfen, um mein Herz in Flammen zu setzen, anstatt immer nur vor sich hinzuzüngeln. Ash war der erste Kerl nach Kjell, der ebenfalls knapp davor gewesen war das Feuer zu entzünden.

»Aber«, setzte Cary fort, »ich kenn ihn besser. Also, Kleines. Wann ist dein nächstes freies Wochenende?«

»Äh. Was?« Irritiert strich ich meine Locken hinter die Ohren.

»Du arbeitest im Hotel, oder? Schichtarbeit?«

Ich nickte.

»Ich möchte dich in meinen Club einladen. Was ein Wochenende auf dem Anwesen einschließt. Immerhin ergibt es keinen Sinn nachts die weite Strecke nach Hause zu fahren.«

»Ah. Okay. Tatsächlich hab ich ab morgen, ähm heute, ein paar Tage Urlaub.«

»Perfekt.«

»Fast. Ich komm gern in deinen Club, aber bei euch übernachten werde ich sicher nicht.«

Cary leerte die Flasche in einem Zug und stellte sie auf den runden Glastisch vor seinen Füßen. »Falls du dir Sorgen um dein Wohlergehen machst: Wir sind alle Gentleman. Mehr oder weniger. Aber einer Frau gegenüber immer.«

»Das bereitet mir keine Sorgen.«

»Ich weiß.« Cary zwinkerte mir zu und erhob sich. »Ich bring dein Auto in die Werkstatt und meld mich dann.«

Ich sprang auf und begleitete ihn zur Tür. »Danke, Cary. Ich steh in deiner Schuld.«

»Vorsicht«, sagte er und Grübchen zauberten sich in seine Wangen. »Schreib keine Schuldscheine für den großen, bösen Buben aus.«

Grinsend öffnete ich die Tür. »Keine Angst. Mit dem werd ich schon fertig.«

Wir verabschiedeten uns und ich ging zurück in meine kleine Zwei-Zimmer Wohnung. Dort holte ich mein Handy aus der Tasche und informierte Eliza, dass ich sicher angekommen war. Danach zog ich mich um, putzte mir die Zähne und legte mich ins Bett.

Aber egal wie sehr ich mich bemühte … an Schlaf war nicht zu denken. Beharrlich kreisten meine Gedanken um den Abend. Um Ash. Um unsere gemeinsame Zeit. Tage des Glücks, auch wenn es sich dabei streng genommen um Nächte gehandelt hatte. Und der Tatsache, die ich mir in den vergangenen Wochen nicht hatte eingestehen wollen: Er fehlte mir.

Zwei

Megan

Der schrille Ton meiner Türklingel riss mich aus dem Schlaf. Blinzelnd stolperte ich aus dem Bett. Alles lag komplett im Dunkeln, weil ich sonst kein Auge zubekam. Auf dem Weg zur Sprechanlage warf ich einen verschwommenen Blick zur Digitaluhr am Radio. Kurz nach neun in der Früh. Ich drückte auf den kleinen, runden Knopf. »Ja?«

»Miss Dance?«, erklang eine männliche Stimme blechern.

»Wer will das wissen?«

»Gordon Thomsen. Ich habe eine Nachricht von Mister Gardner.«

Überrascht riss ich die Augen auf. »Einen Moment, bitte. Ich komme herunter.«

»Vielen Dank, Miss Dance. Ich warte.«

Ich sprintete zurück ins Schlafzimmer, zog mir eine Jeans über, steckte das Schlafshirt locker vorne rein und tapste barfuß die drei Stockwerke in die Eingangshalle des Zehn-Parteien-Hauses. Vor der gläsernen Tür mit dem goldenen Rahmen stand ein Mann in einem grauen Anzug. Zaghaft öffnete ich und die mir entgegenströmende kühle Luft, verpasste mir eine Gänsehaut.

»Miss Dance?«

Nickend ergriff ich die angebotene Hand von Mister Thomsen. »Die bin ich. Hallo.«

»Guten Morgen. Ich komme vom Autohaus, um Ihnen Ihren Wagen zu bringen. Zusammen mit dieser Nachricht von Mister Gardner.«

Ein Mann in einem edlen Markenanzug brachte mir mein Auto? So schnell? Verdutzt nahm ich den Umschlag entgegen und trat suchend raus auf die Vordertreppe. Mein Blick schweifte die Straße entlang, direkt über die Fahrzeuge meiner Nachbarn, die an ihren üblichen Plätzen am Bordstein parkten. »Wo ist er?«, fragte ich, weil ich meinen alten Chevi nirgends entdecken konnte.

»Direkt vor Ihnen.« Mister Thomsen deutete mit dem Zeigefinger auf ein nigelnagelneues, blaues, metallic-glänzendes Camaro Cabrio mit offenem Verdeck.

»Das ist nicht meiner.« Kopfschüttelnd verschränkte ich die Arme unter der Brust. »Ich fahre einen Camaro, aber der ist Baujahr achtzig. Fenster zum Runterkurbeln, keine Klimaanlage und mit mehr verrosteten Stellen als brauchbarem Lack.«

Mister Thomsen lächelte verhalten. »Lesen Sie die Karte.«

Seufzend riss ich den dunkelblauen Umschlag auf und zog die Karte hervor.

Es tut mir leid.
Ash

Ich betrachtete die in Dunkelblau geschriebenen Letter kurz und sah mir dann den Wagen erneut an. Was für ein Traum. Selbst von hier aus konnte ich erkennen, über was für eine unglaubliche Ausstattung der Camaro verfügte. Angefangen bei den schwarzen, lederbezogenen Sitzen, bis hin zur großartigen Soundanlage oder dem wuchtigen Boardcomputer. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele PS dieses Schmuckstück unter seiner Haube beherbergte … Na gut. Ich wollte es doch wissen.

»Vielen Dank, Mister Thomsen, für Ihre Mühe. Bitte nehmen Sie den Wagen wieder mit. Und richten Sie Mister Gardner aus, dass ich gerne mein Auto zurückhätte.«

Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Sehr gerne, Miss Dance. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

»Das wünsche ich Ihnen auch«, erwiderte ich und sprintete zurück in meine Wohnung.

Während ich mir einen Kaffee zubereitete, zog deutlich Verärgerung durch meinen Bauch. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Einen Fremden zu mir zu schicken, anstatt selbst vorbeizukommen und sich zu entschuldigen? Nein. Nicht mit mir!

Außerdem war mir klar, dass dieses Geschenk nicht nur als Entschuldigung für sein Benehmen den Tag zuvor diente. Bereits seit unserer ersten gemeinsamen Fahrt in meinem Auto versuchte Ash mich dazu zu bringen einen neuen Wagen zu kaufen. Du fährst den Tod auf vier Rädern, Dancing Meg. Keine Ahnung, wie oft ich mir diesen Satz von ihm hatte anhören müssen. Aber davon abgesehen, dass ich meine alte Rostlaube liebte, war ich finanziell nicht in der Lage mir einfach so ein anderes Auto zu kaufen. Als Mädchen für alles verdiente man nicht die Welt, auch wenn das Hotel, in dem ich arbeitete – das Oceans –, das angesehenste und traditionsbewussteste in gehobener Klasse in Amerika war. Die Miete meiner kleinen Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung verschlang das meiste von meinem Gehalt. Das war eben der Preis, den man zahlte, wenn man direkt in der Innenstadt und in einer guten Lage von Lavon wohnte. Viel Geld für Extravaganzen blieb da nun mal nicht übrig.

Ich holte mir aus dem Schrank meine Lieblingskaffeetasse – Vögel, die über dem Meer dem Sonnenuntergang entgegenflogen – welche ich einst von Eliza geschenkt bekommen hatte, goss mir Kaffee ein, fuhr die Rollläden der Wohnung hoch und setzte mich dann auf die Fensterbank.

Ashs Abbild blitzte vor meinem inneren Auge auf. Sein stets süffisantes Lächeln. Die silbergrauen Augen. Der Schwung seiner Brauen, die der Form einer perfekten Meereswelle glichen. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Ich nippte an der schwarzen Köstlichkeit und zog die Beine an. Irgendetwas umgab ihn. Schon von Anfang umkreiste Ash eine gewisse Aura. Wie ein Leuchten, dessen Strahlen seine Fühler nach mir ausstreckte, mich berührte und sanft einhüllte. Diese besondere Emotion hatte ich bisher erst ein einziges Mal bei einem anderen Menschen verspürt. Einmal. Für einen kurzen Augenblick. Für einen Moment, der mir das Herz brach …

Mein Atem stockte. Mit klammem Griff packte ich Elizas Oberarm. »Nein.«

»Was?«

»Da! Auf der anderen Straßenseite«, flüsterte ich und blieb auf der Stelle stehen. Eliza folgte meinem Blick. Vor dem Kino, zwischen den verdammten Filmplakaten von Die Bestimmung und Spring: Love is a Monster stand er. Der Kerl, der seit einem Jahr mein Freund war. Meine bessere Hälfte. Vielleicht die Liebe meines Lebens und knutschte mit einer anderen herum. Wild. Hemmungslos. Die Hände am Arsch dieser Blondine mit Beinen, die bis zum Mond gingen.

»Scheiße. Ich wollte einen verfluchten Film sehen und nicht selbst die verfluchte Hauptdarstellerin sein«, sagte ich wenig geistesgegenwärtig und meine Füße bewegten sich selbstständig über die Straße. Ohne auf den Verkehr zu achten lief ich zu ihm hinüber, das Hupen eines Autos ignorierend.

Als ich bei den beiden ankam, hob Kjell den Kopf und starrte mich unvermittelt an. Ein Leuchten umgab ihn. So eine Art Aura. Hell und strahlend. Das war's also gewesen. Nickend und ohne den Blickkontakt abzubrechen entfernte ich mich von ihm. Rückwärts die Straße hinunter, bis Eliza mich zwang mich umzudrehen …

Seufzend bettete ich mein Gesicht auf die Knie. Zwei Jahre waren seither vergangen und ich spürte immer noch einen kleinen, fiesen Stich in meinem Herzen, wenn ich daran dachte. Wenn ich an ihn dachte. An die Zeit, die wir miteinander verbracht und die so abrupt geendet hatte. Seit diesem Tag hatte ich Kjell nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und mich mit gebrochenem Herzen zurückgelassen.

Ashton

Ich warf die Tür der Mikrowelle zu und schaltete den Timer auf eine Minute ein. Vielleicht konnte ich mit einer zweiten Portion Blut in den Schlaf finden, der sich seit Megans Flucht nicht einstellen wollte.

»Deine Gefühle halten mich vom Arbeiten ab«, ertönte es plötzlich von der Tür.

»Sorry. Dachte, es schlafen alle.«

»Megan hat dein Geschenk also nicht angenommen?« Morgan kam in die Küche geschlendert und setzte sich auf den Barhocker vor der schwarzen Marmortheke.

»Nope«, entgegnete ich mit leicht verärgertem Unterton, griff mir den Becher aus der Mikro und warf mich neben meinen Seelenbruder. »Los. Lass es raus.«

Morgan schüttelte den Kopf. »Ich hab's dir heute Nacht schon gesagt. Ich muss mich nicht wiederholen.«

Ich nahm einen kräftigen Schluck vom warmen Blut und genoss die Stärkung, die sich unaufhaltsam bemerkbar machte. »Sie braucht einen Wagen. Und zwar ein richtiges Teil. Je früher, desto besser.«