Legal Love – An deiner Seite
Melissa Carter ist frischgebackene Anwältin und erhält direkt einen spannenden Fall. Sie soll den attraktiven Sportler Patrick Finnley vertreten, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Der Haken: Er ist der beste Freund ihres Chefs, und Mel darf auf keinen Fall einen Fehler machen. Aber das stellt sich als ganz schön schwierig heraus – denn Patrick tut alles, um Mel Steine in den Weg zu legen. Doch Mel gibt nicht auf und schafft es schließlich, die Mauer, die er um sich herum aufgebaut hat zum Einsturz zu bringen.
J.T. Sheridan ist das Pseudonym der Autorin Jessica Bernett. Sie wurde 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Umgeben von Büchern und Geschichten entdeckte sie schon früh ihre Begeisterung für das Schreiben. Der Liebe wegen wechselte sie die Rheinseite und lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Mainz. Sheridan hat eine Schwäche für Schokolade, Whisky und die britischen Inseln, die sie besonders in ihren Büchern auslebt.
Legal Love – Mit dir allein
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Sofie Raff
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © QQ7/shutterstock, © G-Stock Studio/shutterstock, © Roman Samborskyi/shutterstock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-8749-0
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für Mariza
- sisters by heart -
Die Braut, die vor mir stand, verschlug mir die Sprache.
»Und … geht es?«, fragte sie unsicher.
»Ob es geht?«, entfuhr es mir. »Nora! Du siehst wunderschön aus!«
Erleichtert atmete sie aus, als hätte sie die ganze Zeit die Luft angehalten.
Ihre schlanke Figur kam in dem Empirekleid besonders gut zur Geltung. Mit ihren wilden braunen Locken, dem zarten Teint und den großen Augen sah sie aus, als sei sie einer Jane-Austen-Verfilmung entsprungen.
Die Schneiderin kam mit zwei Gläsern Sekt zu uns in den hinteren Bereich ihres kleinen Geschäftes. »Also sind Sie zufrieden mit den Änderungen?«
Meine beste Freundin strahlte glücklich. »Mehr als zufrieden.«
Nun atmete auch die ältere Dame erleichtert aus, und ich musste kichern.
»Schenken Sie sich doch auch ein Glas ein«, bat Nora. »Stoßen Sie mit uns an. Ein solcher Moment muss gewürdigt werden.«
»Für gewöhnlich trinke ich nicht bei der Arbeit«, wich die Dame verlegen aus.
»Aber Sie haben doch gleich Feierabend«, widersprach Nora und die Schneiderin stimmte lächelnd zu.
Ich nippte nur an meinem Glas, denn ich musste noch fahren. Heute Abend würde ich wohl noch genug zu trinken bekommen. Es war Noras vorletzte Nacht als Single, und das musste entsprechend gewürdigt werden.
»Mel«, Nora schnappte schon wieder aufgeregt nach Luft. Ich hoffte, sie würde zumindest während ihrer Hochzeit das Atmen nicht vergessen, sonst würde David plötzlich eine bewusstlose Braut in den Armen halten. »Ich habe noch eine Überraschung für dich.«
»Für mich?« Verwirrt runzelte ich die Stirn.
Nora nickte der Schneiderin zu. »Sie können jetzt das holen, worüber wir vorhin gesprochen haben.«
Die ältere Dame quiekte vergnügt und verschwand in ihren Verkaufsräumen.
»Was hast du ausgeheckt?«, fragte ich skeptisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Also, es geht um dein Kleid … für die Hochzeit.«
»Das in einem Kleidersack im Auto auf mich wartet.« Wir waren direkt mit einem Mietwagen vom Flughafen in Newquay nach Penzance gefahren, ohne Zwischenstopp in dem wundervollen Anwesen, das Nora und ihrem Verlobten David gehörte.
Vermutlich wäre es naheliegender gewesen, sich ein Brautkleid in einer der zahlreichen Boutiquen Londons zu kaufen. Aber Nora hatte sich bei einem Spaziergang durch das zauberhafte Penzance in dieses hinreißende Kleid im Schaufenster des kleinen Geschäfts verliebt. Ab da gab es für sie nur dieses Kleid und kein anderes.
Nun wollte ich aber doch wissen, was mit meinem Kleid nicht stimmte. Nora hatte sich gewünscht, dass ihre Trauzeugin und ihre Brautjungfern weinrote Kleider tragen sollten. Mein Kleid hatte doch diese Farbe, oder etwa nicht?
»Das Kleid, das du in London gekauft hast, ist wirklich schön«, erklärte meine beste Freundin. »Und es steht dir sehr gut. Aber …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Tante Nelly hatte dieses andere Kleid in ihrem Schrank. Ein Kleid aus ihrer Jugend, und es sieht einfach so wunderbar aus! Ich glaube, es würde dir ganz hervorragend stehen.«
Ich fand das Kleid aus London echt okay. Na gut, es war nichts Besonderes. Aber ich mochte shoppen nicht so gerne, und daher war ich froh gewesen, ein Kleid zu finden, das erstens die richtige Farbe hatte und zweitens passte, was mit meiner weiblichen Figur schon hin und wieder zum Problem werden konnte. Entweder saß es an meinen Brüsten richtig oder am Hintern. Beides gleichzeitig sah dann oft wie ein Kartoffelsack aus. Das Kleid aus London war sackähnlich, aber mit dem eleganten schmalen Gürtel, den ich dazu tragen wollte, sah es doch ganz gut aus.
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist«, meinte ich halbherzig. Doch als die Inhaberin des bezaubernden kleinen Ladens mit einem Arm voll weinrotem Stoff zurückkam, wurde ich doch neugierig.
Sie hob das Kleid hoch, damit ich den Schnitt erkennen konnte. Es bestand aus einem fließenden Stoff, so viel sah ich.
»Schlüpfen Sie doch mal hinein«, schlug sie vor. »Sie wissen ja, wo die Umkleide ist.«
»Oh, bitte, probiere es an«, bettelte Nora.
»Na gut«, gab ich nach. Es würde bestimmt ganz furchtbar an mir aussehen.
In der Umkleide schlüpfte ich aus meiner bequemen Jeans, meinen Sneakers und meinem weiten schwarzen Pulli, der übrigens das Lieblingsstück meines ganzen Kleiderschranks war. Meine Unterwäsche war mehr bequem als schick, was auch nicht sonderlich wichtig war, denn momentan bekam mich so ohnehin keiner zu Gesicht.
Der Stoff des Kleides fühlte sich edel in meinen Händen an. War das etwa Seide? Vorsichtig schlüpfte ich hinein und war überrascht, wie angenehm der Stoff auf meiner Haut lag. Das Kleid war im Rücken mit zahlreichen Knöpfen zu schließen, allein bekam ich es also nicht zu. Verlegen trat ich aus der Kammer.
»Ähm, könnte mir jemand mit den Knöpfen behilflich sein?«
Die Inhaberin der Boutique eilte herbei. »Aber selbstverständlich!« Sie hantierte in meinem Rücken herum, zupfte hier eine Ecke zurecht, dort etwas an den Knien in die Länge, bis sie zufrieden lächelte. »Möchten Sie sich ansehen?«
»Na klar, sonst kann ich das Ausmaß der Katastrophe ja nicht einschätzen.«
Sie führte mich mit einem vielsagenden Blick zu dem großen Spiegel, in dem man sich von allen Seiten bewundern konnte.
Nun war es an mir, die Luft anzuhalten. War ich das etwa? Diese elegante Lady in dem weinroten Kleid, das aussah, als sei es einem Film aus den Dreißigern entsprungen?
Der Stoff umspielte meine Knie, wurde nach oben hin etwas enger und betonte meine Taille, bevor er unter meinem Busen in einen schmeichelhaften Ausschnitt überging. Die Ärmel waren nur leicht als Rüschen angesetzt, nicht so übertrieben, wie es in den Achtzigern Mode gewesen war. Verlegen strich ich mir über mein schwarzes Haar, das ich schon seit Jahren als kinnlangen Bob trug. Selbst zu meiner Frisur passte dieser Traum von einem Kleid. Und die weinrote Farbe betonte das Grün meiner Augen.
»Mel!«, rief Nora begeistert aus, als sie aus der zweiten Kabine kam. Das Hochzeitskleid hatte sie gegen ihre Jeans und ihr T-Shirt gewechselt. »Du siehst aus wie ein Filmstar!«
Die Schneiderin stimmte zu. »Sie könnten sich die Haare in Wellen legen. Dazu braucht es nur einen Lockenstab und etwas Haarspray.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. »Warten Sie, da fällt mir noch etwas ein.« Rasch verschwand sie erneut in ihrem Verkaufsraum.
Nora ging um mich herum. »Dass Tante Nelly ein solches Prachtstück im Schrank hatte!«
Verlegen sah ich an mir herunter. »Aber … das kann doch unmöglich aus ihrer Jugend sein. So alt ist sie nicht.«
Nora runzelte die Stirn. »Vielleicht ist es auch noch von ihrer Mutter. Aber Mel, bitte sag, dass du dieses Kleid tragen wirst! Es sieht so perfekt an dir aus!«
Nervös nestelte ich an dem Ausschnitt herum. »Ist das nicht zu gewagt?« Tatsächlich betonte es meine Rundungen mehr, als sie zu verbergen.
Sie schüttelte den Kopf. »Das bist du, Mel. Gewagt, frech, wunderschön.«
Ich hob die Schultern und grinste schief. »Sieht schon sehr gut aus.«
Sie schlang mir die Arme um den Hals. »Das wird der beste Tag unseres Lebens, anders kann es gar nicht sein!«
Die Verkäuferin kam zurück und brachte ein glitzerndes Etwas mit. Es erwies sich als schmaler Haarreif mit einem kunstvoll verzierten Aufsatz. Sie setzte ihn mir vorsichtig ins Haar und nickte zufrieden. »An dem Kleid muss man nicht viel ändern. Vielleicht unter der Brust etwas zusammennehmen.« Sie fasste den Ausschnitt entsprechend zusammen, sodass meine Oberweite noch mehr betont wurde. »Reizend, einfach reizend. Ich stecke das hier gerade zurecht, nähe es entsprechend um, und dann können Sie das Kleid gleich mitnehmen.«
»Wenn du es denn möchtest«, hakte meine Freundin vorsichtig nach.
»Ob ich möchte?« Ich lachte begeistert. »Das Kleid ist der Hammer! Natürlich will ich!«
Während die Schneiderin mit den Änderungen an meinem Kleid beschäftigt war, nippte Nora an ihrem Sekt, und ich checkte in meinem Handy unsere To-do-Liste.
»Kleid – check. Ungeplantes Kleid für die Trauzeugin – check.« Das Display leuchtete auf und zeigte mir eine Nachricht von David, dem Bräutigam … der nebenbei auch mein Boss war. Aber strenggenommen war auch Nora mein Boss, denn sie war Mitinhaberin der Kanzlei, in der wir seit über einem Jahr arbeiteten. Ich öffnete die Nachricht, um herauszufinden, ob es um die Hochzeit oder die Kanzlei ging, und schnaubte entrüstet.
»Was ist?«, wollte Nora wissen.
»Dein Bald-Ehemann hat mir gerade geschrieben, dass er es nicht rechtzeitig zum Flughafen in Newquay schafft. Er hatte noch eine Besprechung in London mit Steven und Jeremy.« Steven und Jeremy waren die anderen Partner der Kanzlei, die vor drei Tagen aus Australien angereist waren. Ich seufzte. »Er fragt, ob wir es einrichten könnten, seinen Trauzeugen vom Flughafen abzuholen.«
Nora verzog das Gesicht. »Bringt es nicht Pech, wenn die Trauzeugin den Trauzeugen vor der Hochzeit sieht?«
»Das waren Braut und Bräutigam«, erinnerte ich sie.
Sie zwinkerte mir zu. »Wir können wohl kaum Nein sagen.«
»Er könnte sich auch einfach ein Taxi nehmen«, schlug ich vor.
»Nein, Newquay liegt ja schließlich auf dem Weg.«
Ich hob die Schultern. »War nur ein Vorschlag. Ich weiß, dass du den Kerl nicht leiden kannst.«
Sie seufzte. »Aber er ist immer noch Davids bester Freund. Wie lange dauert die Fahrt vom Flughafen zum Anwesen?«
»Nur eine halbe Stunde«, erwiderte ich.
Sie kippte den Rest von ihrem Sekt hinunter. »Die dreißig Minuten mit Patrick Finnley in einem Auto werden wir wohl überleben.«
Die Schneiderin kam gerade mit dem fertigen Kleid zurück. Begeistert lächelte sie Nora an. »Haben Sie gerade Patrick Finnley gesagt? Wie … der Tennisspieler?«
Nora nickte. »Ja, er ist der Trauzeuge meines Ehemannes.«
»Ooooh, mein Enkel ist so ein riesiger Fan! Er spielt ebenfalls Tennis und möchte einmal ein genauso toller Profi werden wie Pat Finnley!«
»Hey, wir können Ihnen ein Autogramm besorgen«, schlug ich vor.
Nora warf mir einen entrüsteten Blick zu.
»Als kleiner Dank, dass Sie so kurzfristig noch Änderungen angenommen haben.«
Die Dame winkte ab, doch an dem Glanz in ihren Augen konnte ich erkennen, dass es ihr viel bedeuten würde. Also notierte ich mir den Namen ihres Enkels in meinem Handy und versprach, ihr das Autogramm zukommen zu lassen.
Während wir den Laden mit unseren Kleidern verließen, warf mir Nora einen amüsierten Blick zu. »Eigentlich ist es gar nicht so verkehrt, dass du Pat bereits vor der Hochzeit kennenlernst. Immerhin seid ihr beide Trauzeugen, und so könnt ihr euch schon einmal beschnuppern. Vielleicht könnt ihr euren Tanz üben?«
»Siehst du«, erwiderte ich zufrieden und öffnete den Kofferraum des Mietwagens, damit wir unsere Kleider hineinlegen konnten. »Alles fügt sich zum Guten.«
Nora hatte mir erzählt, was in ihrer Jugend vorgefallen war. Patrick Finnley hatte sich damals ihr gegenüber nicht gerade nett verhalten. Sie fand, er war arrogant und selbstgefällig. Aber ich konnte mit solchen Typen umgehen. Ich war immerhin in einem Brennpunktviertel in Manchester aufgewachsen, und nun war ich Anwältin in einer aufstrebenden internationalen Kanzlei. Na ja, fast. Die Wahlmodule an der Uni fehlten mir noch. Danach würde ich endlich Anwältin sein, und ich hatte lange dafür gearbeitet und gekämpft. Meine Mum war so stolz auf mich! Und ich selbst war es auch, wenn ich ehrlich war. Ein eingebildeter Typ, der mit dem Silberlöffel im Mund geboren worden war, konnte mir also gar nichts anhaben.
Ich hatte Patrick Finnley mal im Fernsehen gesehen, bei irgendeinem Tennismatch. So richtig konnte ich mich aber nicht an sein Aussehen erinnern. Tennis war nicht gerade meine Sportart. Nun gut, eigentlich war keine Sportart meine Sportart, es sei denn, man konnte dabei in gemütlichen Klamotten auf der Couch herumlümmeln.
Wegen der Frühlingsferien war es recht voll an dem kleinen Flughafen von Newquay, und ich hatte Mühe, einen Parkplatz zu finden.
»Er ist bestimmt schon gelandet«, vermutete Nora, als wir im letzten Eck doch noch einen fanden.
Wir beeilten uns, in die Ankunftshalle zu kommen, und ich hielt Ausschau nach einem Typen, der mir entfernt bekannt vorkam.
Nora stieß mich an. »Dort vorne steht er.«
Ich folgte ihrem Blick und zuckte zusammen. Verdammt.
In all ihren Erzählungen von Pat und dessen miesem Charakter hatte Nora vergessen zu erwähnen, dass der Typ absolut heiß aussah! Etwas verloren stand er inmitten der Halle, eine Reisetasche zu seinen Füßen. Seine durchtrainierte Figur wurde von den Jeans und dem perfekt sitzenden weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt noch betont. Er war sonnengebräunt, und sein Bizeps kam äußerst vorteilhaft zur Geltung, als er sein Handy aus der Gesäßtasche holte, um auf das Display zu sehen. Sein Kinn war von einem Dreitagebart bedeckt, seine Nase und die hohen Wangenknochen wurden halb von einer Sonnenbrille verdeckt. Sein hellbraunes Haar stand etwas wirr vom Kopf ab, was ihn aber noch interessanter wirken ließ.
»Pat«, rief Nora und lief winkend auf ihn zu.
Mist, ich hatte weiche Knie bekommen und konnte mich nur mit Mühe vom Fleck bewegen. Fehlte nur noch, dass ich zu sabbern begann.
Pat schob die Sonnenbrille nach unten, um Nora mit gerunzelter Stirn anzusehen, dann breitete sich ein erkennendes Grinsen auf seinem hübschen Gesicht aus.
Wenn das nicht der bestaussehende Mann war, der mir je in meinem ganzen Leben begegnet war! Ungewohnt schüchtern trat ich an Noras Seite. Sie streckte ihm die Hand entgegen, doch er ignorierte sie und schloss sie stattdessen in eine feste Umarmung.
»Wow, wie lange ist das her?«, lachte er und schob sie von sich. Sein australischer Akzent kam deutlich zum Vorschein. »Nora, du siehst toll aus!«
Sie rückte etwas von ihm ab und räusperte sich. »Ähm, ja, du auch.« Dann fiel ihr Blick auf mich, und sie zog mich am Ärmel an ihre Seite. »Das ist Mel, meine beste Freundin und Trauzeugin.«
Sein Lächeln war der Hammer. Ich konnte nur auf seine Lippen starren.
Nora musste mich anstupsen, damit ich meine Stimme wiederfand.
»Hi«, krächzte ich. »Nett, dich kennenzulernen.« Puh, ich konnte also doch noch reden.
Hatte mich sein Lächeln schon aus der Bahn geworfen, so brachten mich seine haselnussbraunen Augen zum Dahinschmelzen. Er musterte mich von oben bis unten, von meinem Scheitel über mein Gesicht und meinen Hals, bis über die Brüste und meinen Bauch zu meinen Beinen. Auf einmal wünschte ich, ich hätte etwas Schickeres getragen als den alten Schlabberpulli und die ausgefranste Jeans mit den Löchern.
Schließlich hob er den Blick und grinste. »Ebenfalls nett, dich kennenzulernen. Ich bin Pat.« Er hielt mir seine Hand hin, und es dauerte einen Moment, bis ich kapierte, dass ich diese wohl ergreifen sollte. Sein Händedruck war angenehm warm und fest. Er hielt meine Hand einen Moment länger fest, und ich drohte erneut, in seinen Augen zu versinken. Die braunen Pupillen wiesen einen grünen Rand auf. Faszinierend.
Unser Moment wurde unterbrochen, als ein kreischender Ausruf in der Nähe zu hören war.
»Patrick Finnley!«
Er zuckte kaum merklich zusammen, ich spürte es allein in meiner Hand, die er nun losließ. Er lächelte entschuldigend und wandte sich den drei jungen Damen zu, die verzückt hinter ihm standen.
Ich schätzte die drei auf höchstens sechzehn. Sie bewunderten ihn mit leuchtenden Augen, und Pat gab geduldig Autogramme.
So war das also, wenn man berühmt war.
Apropos Autogramm. Kaum war er mit den dreien fertig, stammelte ich: »Könnte ich auch ein Autogramm bekommen? Für eine Bekannte. Oder besser gesagt, für ihren Enkel.«
Er sah mich skeptisch an, nickte dann aber. »Klar, hast du was zum Schreiben?«
Ich schüttelte den Kopf, meine Wangen glühten. Ich war auch nicht besser als die Teenies.
Pat kramte aus seiner Reisetasche ein Foto und einen Stift heraus. »Auf welchen Namen?«
Unbeholfen nahm ich mein Handy und suchte nach der Notiz. »Pete.«
»P-E-T-E?«
Ich nickte und warf Nora einen Blick zu, die kaum ein Lachen unterdrücken konnte. Sie presste die Hand vor den Mund und wandte sich rasch ab.
Er drückte mir das Autogramm in die Hand, und ich verstaute es in meiner Gesäßtasche.
»Noch irgendwelche Wünsche? Ein Selfie vielleicht?«, meinte er amüsiert, und in seinen Augen blitzte es auf.
Mein Kopf leuchtete bestimmt wie eine Laterne. »Äh, nein. Sorry. Ich hatte ihr nur versprochen …«
»Das Auto steht übrigens etwas weiter weg«, sprang Nora ein, um die peinliche Situation zu beenden. »Lasst uns losgehen, bevor wir hier festwachsen.«
Pat setzte seine Sonnenbrille wieder auf, schulterte seine Reisetasche und grinste Nora an. »Dann mal los.«
Er lief neben Nora, und ich blieb etwas zurück, um nicht in eine weitere peinliche Situation gebracht zu werden. War es nicht ausgesprochen anständig von mir, dass ich dem Enkel einer netten alten Frau ein Autogramm besorgte? Warum kam ich mir nur so dämlich vor?
Der Vorteil dabei, dass ich hinter den beiden herging, war, dass ich einen hervorragenden Blick auf Pats Hinterteil hatte. Okay, ich hatte dem Tennissport eindeutig zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Waren die alle so … ansprechend anzusehen? Ich räusperte mich und schalt mich selbst, endlich zur Vernunft zu kommen. Immerhin war ich Juristin. Wo war mein Pokerface, wenn ich es am meisten brauchte?
Pat, der offensichtlich mein Räuspern gehört hatte, drehte sich zu mir um. »Alles klar bei dir?«
Ich hob rasch den Blick. »Jap, alles klar!«
Oh, es hörte sich so verdammt falsch an!
Er lachte leise, was mir einen wohligen Schauer über den Rücken jagte, und drehte sich wieder um.
Die beiden sprachen über den langen Flug, den Pat hinter sich hatte, denn er war aus Melbourne angereist. Er würde jedoch die nächsten Wochen in Europa verbringen und sich auf die French Open in Paris vorbereiten. Außerdem konnte er kaum glauben, dass sie sich im letzten Jahr kein einziges Mal gesehen hatten, immerhin war Nora mit David schon seit über einem Jahr zusammen. Aber Pat war eine Zeit lang verletzt gewesen und hatte danach alle Hände voll zu tun gehabt, wieder in Form zu kommen. Selbst Dave hatte er in der Zeit nur selten gesehen.
»Aber jetzt, da ich sehe, wie hübsch du geworden bist, wundert es mich nicht, dass David dich nicht mehr gehen lässt.«
»Danke«, antwortete Nora zögernd, offensichtlich unschlüssig, was sie von dem Kompliment halten sollte.
»Ernsthaft. Er war ja schon in unserer Jugend in dich verknallt.«
Nora kicherte. »Ich weiß.«
Plötzlich drehte sich Pat wieder um, und ich wäre beinahe aufgelaufen. Gerade so konnte ich stehenbleiben und sah verwirrt zu ihm auf. Er war zwar nicht so groß wie David, aber immer noch einen Kopf größer als ich.
»Und was machst du beruflich?«
»Ich bin … werde … Anwältin.«
Er musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ernsthaft?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging einen Schritt zurück. »Ernsthaft. Nächsten Monat habe ich meine letzte Prüfung.«
»Okay, dann lege ich mich wohl besser nicht mit dir an«, lachte er und zwinkerte mir zu.
»Besser ist das«, erwiderte ich. Mir wurde ein wenig flau. Flirtete er mit mir oder wollte er mich ärgern? Ich kannte ihn eindeutig zu kurz, um das einschätzen zu können.
Andererseits war mein erster Eindruck von ihm Tausend Mal besser, als ich erwartet hatte. Er war nicht nur verdammt attraktiv, sondern auch irgendwie … charmant.
Er wandte sich nun wieder Nora zu, und wir gingen weiter. Endlich kamen wir bei unserem Kleinwagen an, den Pat kritisch betrachtete. Immerhin befand sich bereits unser eigenes Gepäck sowie unsere Kleider im Kofferraum, da passte nicht mal mehr eine Stecknadel hinein.
»Leg deine Reisetasche doch auf die Rückbank«, schlug Nora vor und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. »Allerdings passt du dann nicht mehr rein. Aber ich kann mich nach hinten setzen. Mel fährt.«
»Fahren kann sie auch noch?«, witzelte Pat.
»Ich bin sechsundzwanzig!«, entfuhr es mir, was ihn erneut zum Lachen brachte.
»Schon gut, ich wollte dich nur necken, kleine Anwältin.«
Genervt ging ich auf die Fahrerseite, öffnete die Tür und legte den Sitz um, damit Nora hinten einsteigen konnte.
Sie hob die Brauen, als wollte sie fragen: »Hab ich es dir nicht gesagt?«
Hoffentlich würde ich die nächsten dreißig Minuten überstehen.
Eigentlich hatte er nichts Schlimmes zu mir gesagt. Er schaffte es aber auf irgendeine magische Weise, mich so unsicher zu machen, als wäre ich wieder ein unerfahrener Teenie. Das Gefühl mochte ich nicht. Ganz und gar nicht.
Während der Autofahrt konzentrierte ich mich auf den Verkehr und die Straßen, die immer schmaler wurden, je weiter wir uns vom Flughafen entfernten.
Das Anwesen, das David und Nora geerbt hatten, lag an der Küste in der Nähe eines kleinen, verschlafenen Dorfes. Die Trauung würde in der Dorfkirche vollzogen werden, die anschließende Feier würde im Garten des Anwesens stattfinden.
Die meisten Gäste waren in den umliegenden Bed & Breakfasts und Hotels untergebracht. Der Bräutigam selbst würde mit seinem Trauzeugen und seiner Familie in einem B&B im Dorf übernachten.
Nora war auf der Fahrt eingeschlafen, und Pat beschäftigte sich mit seinem Handy. Er nahm einen Anruf entgegen und führte eine ziemlich aufgeregte Konversation mit seinem Gesprächspartner, bis er mit einem Fluch auflegte.
»Schlechte Nachrichten?«, vermutete ich.
»Allerdings«, schnaufte er.
Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Wow, sein Profil war einfach perfekt. Rasch konzentrierte ich mich wieder auf die Straße.
»Ich bekomme keine Wildcard für die French Open.«
»Oh«, sagte ich ein wenig ratlos.
»Du kennst dich mit Tennis nicht so aus, hm?«
»Nein, leider nicht.«
»Das bedeutet, dass ich mich durch die ganze verdammte Quali durchkämpfen muss.« Wütend donnerte er mit der Faust auf die Ablage. »Fuck!«
»Das schaffst du bestimmt«, versuchte ich ihm Mut zuzusprechen und merkte selbst, wie lahm es klang.
»Jaja, schon gut«, brummte Pat mürrisch. Seine lockere Stimmung von vorhin war wie weggeblasen. »Fahr einfach diese winzige Suppenschüssel zum B&B, damit ich endlich schlafen kann.«
Den Rest der Fahrt sagte ich nichts mehr, und Pat schwieg ebenfalls. »Danke«, murmelte er nur, als ich ihn an dem Pub rausließ, in dem er übernachten würde. Mit einem Wums knallte er die Autotür zu.
Erschreckt wachte Nora auf. »Was … Hab ich was verpasst?«, murmelte sie verschlafen.
»Alles okay«, murmelte ich.
Allerdings war gar nichts okay. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil mich ein attraktiver Typ in ein unsicheres Mädchen verwandelt hatte. Nein, so war ich eigentlich nicht. Klar reagierte ich auf gutaussehende Männer. Ich war jung, ungebunden und hatte Augen im Kopf. Für gewöhnlich blieb ich dabei aber im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten.
Patrick Finnley war gefährlich für mich. Es wäre besser, in Zukunft Abstand von ihm zu halten.
Nur, wie sollte ich das tun, wenn wir in zwei Tagen schon nebeneinander an einer Hochzeitstafel sitzen und zu einem romantischen Song tanzen sollen?
Im Haupthaus des Anwesens, das auf einer Anhöhe über dem Strand lag, waren nicht nur die Braut und meine Wenigkeit, sondern auch ihre Mutter und ihre Schwester nebst Familie untergebracht.
Der Garten war bereits mit einem riesigen Pavillon ausgestattet, der mit zahlreichen kleinen Lichtern beleuchtet wurde.
Nora hatte so gut wie alles selbst organisiert. Sie hatte jedoch Hilfe bekommen von der guten Seele des Anwesens, Tante Nelly, die schon seit Jahrzehnten im Dienst der Familie stand. Ihre Enkeltochter Rose ging ihr ebenfalls zur Hand und erwies sich als besonders geschickt im Koordinieren der zahlreichen Dienstleister, die am Tag vor der Hochzeit sämtliche Dekorationen anbrachten und den Aufbau der Tische und Stühle vornahmen. Rose würde außerdem am Tag der Trauung die Aufsicht des Caterers und der Bedienungen übernehmen und sollte die Anlaufstelle für die Wünsche und Fragen der Gäste sein. Tante Nelly nämlich war ein Ehrengast bei der Trauung, und David und Nora hatten sich gewünscht, sie auch in der Kirche dabei zu haben.
Meine Hauptaufgabe bestand darin, die Nerven der Braut zu beruhigen, ihr Wasser zu reichen, damit sie genug trank, und darauf zu achten, dass sie einfach perfekt aussah. Aber das tat sie ohnehin.
Am Morgen der Trauung kam eine Stylistin, die Noras wundervolle Locken zu einer lockeren Frisur hochsteckte. Gehalten wurde das Kunstwerk von einer Haarspange, die mit seidenen Gänseblümchen verziert war.
Ich holte mein Kleid aus dem Kleidersack und war erneut begeistert. Ich musste unbedingt daran denken, Tante Nelly dafür zu danken. Die Stylistin legte meine Haare in Wellen, sodass der Bob sanft mein Gesicht umrahmte. Mit dem Haarreif wurde der Look perfekt. Sie schlug mir außerdem vor, einen dunkleren Lippenstift aufzutragen, der im Ton zum Kleid passte. Ich hatte schon die Befürchtung, ich würde damit aussehen wie ein Zombie, aber tatsächlich passte die Farbe gut zu meinem hellen Teint. Da die Lippen so stark betont waren, benutzte sie für meine Augen nur einen schwarzen Eyeliner, der das Grün meiner Augen hervorhob.
Auch Noras jüngere Schwester Terry trug ein weinrotes Kleid, das zwar sehr schlicht wirkte, an ihrer perfekten Figur aber wunderschön zur Geltung kam. Die Frauen in Noras Familie hatten unverschämt gute Gene abbekommen, das musste ich neidlos zugeben. Die Dritte im Bunde war Meghan Ramsay, eine alte Freundin von David, die einst unsere Mandantin gewesen war. Mittlerweile waren auch Nora und ich gut mit ihr befreundet.
Terrys kleine Tochter trug ein Prinzessinnenkleidchen aus weinroter Spitze und einen kleinen Korb mit cremefarbenen Rosenblüten.
Es klopfte, und Rose trat zur Tür hinein, um uns zu sagen, dass die Limousine vorgefahren sei, die uns zur Kirche bringen sollte. »Bist du bereit?«, fragte ich meine beste Freundin. Sie nickte, und wir gingen hinunter zu dem eleganten Auto, das mühelos Platz für uns alle bot.
Nora atmete tief durch und hob eine Hand, damit ich ihr Zittern erkennen konnte. »Passiert das gerade wirklich?«, fragte sie. »Heirate ich heute wirklich David Padget?«
»So sicher wie das Amen der Kirche, in die wir jetzt fahren«, bestätigte ich amüsiert. So nervös hatte ich sie wirklich selten gesehen.
Dabei hatte sie keinen Grund dazu. Die Trauung in der kleinen Dorfkirche, die voll mit Angehörigen und Freunden war, verlief reibungslos. Die Liebe, die das Brautpaar füreinander empfand, war so sichtbar, als hätte jemand eine rosa Wolke um sie gemalt. Sie hatten nur Augen füreinander.
Als die Eheversprechen gegeben wurden, hörte man das ein oder andere Schniefen unter den Gästen.
Alles war perfekt. Alles, außer dem angespannten Gesicht des Trauzeugen. Pats Gesichtsausdruck hätte besser zu einer Beerdigung gepasst, und ich fragte mich, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war.
Das dunkle Blau des Anzugs passte nicht ganz zu seinen Augen, aber er sah immer noch fabelhaft darin aus. Als ich ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, lächelte er müde und schaute dann weg.
Zu Fuß gelangte die Hochzeitsgesellschaft aus dem Dorf zum Anwesen. Dort wurden wir mit Häppchen und Champagner begrüßt.
Das gemeinsame Essen fand an der langen Tafel statt, die im Garten unter dem Pavillon aufgebaut war. Vom Büfett konnte jeder Gast auswählen, was er am liebsten mochte.
Ich war gerade dabei zu entscheiden, ob ich lieber Mousse au Chocolat oder Crème brûlée wollte, da vernahm ich einen australischen Akzent neben mir.
»Du solltest die Erdbeer-Crêpes versuchen, sie sind köstlich.« Tatsächlich stand Pat ziemlich nah bei mir, sodass ich etwas zurückwich. Lässig schwenkte er ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in der Hand und hatte den Kragen bereits etwas gelockert.
»Ist das Whisky?«, fragte ich.
Er hob amüsiert die Brauen und beugte sich in meine Richtung. »Ja, was dagegen?«
Stirnrunzelnd musterte ich ihn. Wie viel hatte er bereits getrunken?
»Keine Sorge, ich werde dir beim Tanzen schon nicht auf die Füße treten.« Er setzte das Glas an und kippte den letzten Rest in einem Zug. Seufzend stellte er das Glas ab.
»Sicher? Du siehst ziemlich neben der Spur aus«, bemerkte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sein Blick huschte kurz zu meinem Ausschnitt und dann sofort wieder zurück in mein Gesicht. Ich konnte nicht verhindern, dass mir das Blut in die Wangen stieg.
»Verzeihung, aber mir steckt ein ausschweifender Junggesellenabschied in den Knochen.«
Tatsächlich hatte der Bräutigam erst vorgestern seine Party gefeiert, da er unmöglich auf seinen Trauzeugen hatte verzichten können. Noras Junggesellinnenabschied hatten wir bereits vor einer Woche absolviert mit chinesischem Essen, einem Streifzug durch sämtliche Karaoke-Bars Londons und einer Menge Alkohol, über die ich lieber nicht genauer nachdenken wollte.
»Die anderen Jungs sehen frischer aus«, gab ich zu bedenken.
Er hob eine Braue und fuhr sich durch das hellbraune Haar, das diesmal etwas frisierter aussah als bei unserer ersten Begegnung. »Die anderen haben auch keinen Jetlag.«
Tatsächlich erkannte ich bei genauerem Hinsehen die Schatten unter seinen braunen Augen. Nun bekam ich doch ein wenig Mitleid. »Vielleicht kannst du dich irgendwo kurz hinlegen. Das Sofa im Wohnzimmer ist sehr gemütlich.«
»Nein, danke. Ich komme klar.« Er sah mich forschend an und wechselte das Thema. »Hübsches Kleid übrigens.«
Ich wich seinem Blick aus und widmete mich lieber wieder der Nachspeisenwahl. Seltsam, ich war doch sonst nicht so schüchtern.
Plötzlich seufzte er, und ich meinte, eine gewisse Angespanntheit darin zu erkennen. Nervte ich ihn etwa? Vorsichtig sah ich auf und musste erkennen, dass seine Aufmerksamkeit nicht mehr mir galt. Er sah mit zusammengekniffenen Lippen zu jemandem hinter mir. Rasch drehte ich mich um.
Meghan Ramsay kam auf uns zu. Ihr perfekter Körper machte dem seidigen Kleid alle Ehre, das sich an jede ihrer Rundungen schmiegte. Ihr langes Haar war kunstvoll zu einem lockeren Dutt gebunden. Mit einem leichten Stich in der Magengegend fiel mir ein, dass Meghan Patrick Finnleys Exfrau war.
»Na, ihr beiden? Welchen Nachtisch könnt ihr empfehlen?« Ihre Worte klangen locker, doch ihr Blick lag angespannt auf ihrem Exmann.
»Darfst du überhaupt Zucker zu dir nehmen? Oder Kohlehydrate?«, gab Pat zurück.
»Meine Modelzeit liegt hinter mir«, erwiderte sie scharf. Das stimmte, sie führte schon seit langer Zeit ein erfolgreiches Pharmaunternehmen. Mit dem Modeln hatte sie lediglich ihr Studium finanziert.
Die beiden funkelten sich an, als seien sie zwei Revolverhelden zur Mittagszeit. Himmel, da war ich wohl fehl am Platz.
»Entschuldigt mich«, murmelte ich und wollte mich ohne Dessert aus dem Staub machen, doch Pat fasste nach meiner Hand und hielt mich zurück.
»Nein, bleib«, bat er knapp. »Wir haben noch etwas zu besprechen.«
Meghan stemmte eine Hand in ihre wohlgeformte Hüfte. »Mel, lass dich bloß nicht von ihm einschüchtern.«
»Hatte ich nicht vor«, entgegnete ich stirnrunzelnd und befreite meine Hand aus Patricks Griff, um die Arme vor der Brust zu verschränken. Irgendwie hätte ich mich in diesem Moment lieber in Luft aufgelöst, als zwischen den beiden zu stehen.
»Es geht um den Tanz«, erklärte Pat nun mit zusammengebissenen Zähnen. »Tanz?«, wiederholte ich begriffsstutzig. »Oh, unser Tanz.« Das Wort »unser« hörte sich merkwürdig an. Es war ein Tanz, den wir beide gemeinsam tanzen sollten, aber es gab kein »uns«.
Meghan schaute irritiert und wandte sich ab. »Na dann.« Sie schnappte sich ein Glas Champagner vom nächstbesten Tablett und rauschte ab.
»Was war das denn jetzt?«, murmelte ich. Meghan konnte aufbrausend sein, aber die paar Worte, die sie hier mit Pat gewechselt hatte, ließen mich Rückschlüsse darauf ziehen, wie ihre Ehe wohl ausgesehen hatte.
»Danke«, flüsterte Pat neben meinem Ohr.
»Für was?«, fragte ich verwirrt.
»Du hast mich vor ihr gerettet.« Er grinste schief und bot mir galant seinen Arm an.
Zögerlich hakte ich mich bei ihm ein. Die Lust auf Nachtisch war mir vergangen.
Gemeinsam spazierten wir zu einem ruhigeren Plätzchen im Garten.
Die Sonne schien wunderbar warm, und ich hob das Gesicht, um die warmen Strahlen zu genießen. Als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich, dass Pat mich prüfend ansah.
Überlegte er, ob er lieber das Weite suchen sollte, statt mit mir zu tanzen? Sicher entsprach ich nicht gerade seinem üblichen Geschmack an Topmodels. Aber wir sollten schließlich auch nicht heiraten, sondern nur tanzen. Leider hatten wir gestern keine Gelegenheit gefunden, den Tanz zu üben. »Hat Dave dir gesagt, zu welchem Song wir tanzen?«, hakte ich vorsichtig nach.
»Was?«, er fuhr sich durchs Haar und zerstörte damit seine Frisur.
»Der Tanz«, wiederholte ich. »Trauzeuge und Trauzeugin.«
Er war mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen. »Ähm ja, so ein uralter Song.«
»Dream A Little Dream Of Me«, erinnerte ich ihn. »In der Version von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald.«
Er nickte müde und fuhr sich über den Nacken. »Hab es mir im Flugzeug angehört. So ein jazziges Stück.«
Ich stand auf und reichte ihm die Hand. »Na komm, lass uns ein wenig üben.«
»Jetzt?« Er sah mich erstaunt an.
»Klar, warum nicht?«
»Weil ich echt verdammt fertig bin.«
»Das merkt man. Aber … vielleicht tut dir etwas weniger Whisky und etwas mehr Bewegung an der frischen Luft gut.« Keine Ahnung, warum ich so provokant zu ihm war. Aber das war immerhin die Hochzeit unserer besten Freunde, und da konnte man sich doch wohl mal ein wenig zusammenreißen.
Seine Wangenknochen spannten sich an, als er meine Hand ansah. »Weißt du was, geh doch einfach zurück zu deinen Anwaltsfreunden und lass mich hier einen Moment allein.«
Zack, das saß. Ich zog meine Hand zurück und verschränkte die Arme unter der Brust. »Wenn du diese Hochzeit versaust, wird dir Dave das niemals verzeihen.«
Er schüttelte den Kopf und zerrte erneut an seinem Haar. »Wow, du kannst echt nerven. Kannst du einfach gehen? Jetzt. Bitte.«
Ein fetter Kloß saß plötzlich in meinem Hals. Was stimmte mit dem Typen nicht? Ich machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn allein auf der Bank hocken. Okay, er wollte sich von mir nicht helfen lassen. Schön. Sollte er doch in seinem Tief, oder was auch immer das war, hängen bleiben.
Jetzt war ich diejenige, die einen Drink benötigte. Ich schnappte mir ein Sektglas und suchte mir einen Platz am Rand der Hochzeitsgesellschaft, von wo aus ich alles sehen konnte, aber selbst etwas abseits stand, damit ich mit niemandem reden musste. Ich nippte an meinem Sekt und versuchte, meine Gedanken zu beruhigen. Das Problem war, dass ich Patrick Finnley echt anziehend fand. Das beruhte aber wohl nicht auf Gegenseitigkeit. Okay, damit kam ich klar. Ich war immerhin eine erwachsene Frau, die es nicht nötig hatte, einem Kerl hinterherzulaufen. Aber ich hätte mir wenigstens gewünscht, dass wir uns gut verstanden, Nora und David zuliebe. Diese Bekanntschaft hatte eine Schräglage eingenommen, die sehr unangenehm war, und ich hatte keine Ahnung, ob sich das wieder richten ließ.
Wenigstens hatte die Stimmung der Hochzeitsgesellschaft bisher nicht darunter gelitten. Es war ja auch kaum der Rede wert. Ich würde mich von Pat fernhalten und gut war es.
David kam mit seinem eigenen Sektglas auf mich zu geschlendert. Der große, dunkelhaarige Australier hatte ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, das meinen Unmut sofort besänftigte.
»Hey, Mel. Alles gut bei dir?«
»Alles prima«, antwortete ich mit einem ehrlich gemeinten Lächeln.
Er stellte sich neben mich und beobachtete die fröhlichen Menschen. Nora unterhielt sich gerade mit ihrer Schwester und ihrer Mutter. Selbst Helena Collins zeigte sich heute von ihrer sonnigen Seite, die man sonst eher selten zu Gesicht bekam.
»Weißt du, wo Pat steckt?«, erkundigte sich David wie nebenbei.
Ich verzog unwillkürlich das Gesicht. »Jap, weiß ich. Irgendwo da hinten bei den Elfen und Kobolden. Und wenn ich Glück habe, wird er von ihnen entführt.«
David hob amüsiert eine Augenbraue. »So schlimm?«
»Tut mir leid.« Ich trank einen großen Schluck Sekt. »Pat und ich hatten wohl keinen besonders guten Start. Er ist so … mürrisch.«
Noras Mann gab einen belustigten Laut von sich. »Nimm es ihm nicht übel. Er steckt in einer echt schwierigen Phase. Eigentlich sollte er sich gerade auf die Sandplatzsaison vorbereiten. Nach seiner Verletzung steht er kurz vor dem Comeback, und davon hängt ziemlich viel ab.«
»Hmhm«, pflichtete ich ihm bei, weil ich dazu nicht viel sagen konnte.
»Er ist nur unseretwegen hier«, erklärte Dave weiter. »Weil er mein bester Freund ist und sich unsere Hochzeit nicht entgehen lassen wollte. Er kann aufbrausend sein, aber auch ziemlich cool und witzig.«
Ich lächelte zu ihm auf und prostete ihm zu. »Sonst wäre er wohl kaum dein bester Freund.«
»Richtig«, prostete Dave zurück.
Steven und Jerry, die sich gerade mit Meghan unterhielten, winkten David zu sich, und er nickte in ihre Richtung. »Na dann mache ich mal weiter meine Runde. Wenn Pat zickt, wende dich an Steve. Er wird ihm die Leviten lesen.«
»Gut zu wissen«, lachte ich und ließ den Bräutigam ziehen.
Nein, ich würde hier ganz bestimmt keine Szene machen. Das war Pat nicht wert. Wir kannten uns ja kaum, und vermutlich war es auch besser, die Bekanntschaft gar nicht erst zu vertiefen.
Die Sonne ging allmählich unter, und die ganze Hochzeitsgesellschaft wurde in traumhaft orangefarbenes Licht getaucht.
Nora und David schnitten die Hochzeitstorte an, ein dreistöckiges Gebilde mit heller Creme und weinroten Marzipanrosen. Die Feier wurde ausgelassener, und David zog das Jackett aus und lockerte seine Krawatte.
Je dunkler es wurde, desto heller leuchteten die vielen kleinen Lämpchen, die im Garten und ganz besonders über der langen Tafel und um die Tanzfläche angebracht waren. Die Romantik des Tages wich dem Zauber der Nacht.
Während die ganze Zeit über dezente Musik im Hintergrund gelaufen war, wurde nun der alte Plattenspieler von Davids Großvater am Rand der Tanzfläche aufgestellt.
Auch ich hatte William Padget gekannt, einen liebenswürdigen und geistreichen Menschen, dem nicht nur Nora ihre Karriere als Anwältin verdankte. Ohne sein Vertrauen hätte ich wohl niemals Fuß fassen können in der Londoner Anwaltswelt. Auch wenn sein Tod nun schon anderthalb Jahre her war, fehlte er mir. Besonders bei Gelegenheiten wie diesen. Es hätte ihn sehr glücklich gemacht, seinen Enkelsohn David und seinen Schützling Nora hier gemeinsam in Liebe vereint zu sehen.
Wieder war da ein Kloß in meinem Hals, als sich die Gesellschaft um die Tanzfläche versammelte und das Brautpaar in die Mitte trat. Glücklich strahlten sich die beiden an.
Der Plattenspieler knackste. Die ersten Töne von »Unchained Melody« erklangen. Nora und David tanzten ihre ersten Schritte als Ehepaar. Wie verzaubert wirkte nun alles um uns herum. Es gab nur diese beiden, die zueinander gefunden hatten und uns Teil ihrer Liebe werden ließen.
Für sie schien es nur einander zu geben. Zunächst tanzten sie eng aneinandergeschmiegt, bis David Noras Hand nahm und sie einmal drehte. Glücklich lachte sie auf.
Unauffällig ließ ich meinen Blick über die Menge gleiten. Ich wusste nicht, wie vielen der Gäste es bewusst war, dass das ihr Song war. Bei diesem Lied hatten Nora und David zueinandergefunden.
Tante Nelly hatte erneut ein Taschentuch an ihre Augen gepresst und wurde von ihrer Enkeltochter Rose gestützt. Selbst Steven und Jeremy hielten die Klappe und sahen ihrem Freund ehrfürchtig zu.
Pat war nirgendwo zu sehen.
Ganz toll. Er hatte bereits die Hochzeitstorte verpasst. Jetzt war er nicht einmal beim ersten Tanz des Brautpaares dabei.
Mein Herz rutschte noch tiefer, als mir noch etwas anderes bewusst wurde. Ach du Schande. Der nächste Tanz gehörte den Trauzeugen. Tapfer schluckte ich den Kloß in meiner Kehle runter. Prima, den würde ich wohl nun allein tanzen. Ich presste fest die Lippen aufeinander und sagte mir, dass es nicht meine Schuld war. Pat war der Idiot, nicht ich. Mir würde schon etwas einfallen, wie ich die Situation retten konnte. Mir fiel immer etwas ein.
Steve. Ja, genau. Ich würde Steve um diesen Tanz bitten. Er war fast genauso lange mit David befreundet wie Pat. Er häü