Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Jacob Joussen und
Prof. Dr. Gregor Thüsing
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2013
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau
www.lambertus.de
Umschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, Bollschweil
ISBN 978-3-7841-2491-9
ebook ISBN 978-3-7841-3451-2
Meinen Eltern
Die Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind bis März 2013 berücksichtigt. Die mündliche Prüfung fand am 26. September 2013 statt.
Bedanken möchte ich mich vor allem bei Herrn Prof. Dr. Jacob Joussen für die Betreuung dieser Arbeit und seine umfassende Unterstützung sowie die Aufnahme in seine Schriftenreihe. Darüber hinaus gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Stefan Huster für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens.
Zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Erzbischöflichen Ordinariat München, vor allem dem Ordinariatsrat Martin Floß, Frau Sonja Büttner und Frau Carola Bielmeier, die mich alle drei mit Gesprächen und der Bereitstellung von Unterlagen tatkräftig bei der Erstellung der Arbeit unterstützt haben. Bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn Dr. Martin Fuhrmann, Leiter der Geschäftsstelle des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs, der mir ebenfalls die Einsichtnahme in diverse Unterlagen ermöglicht hat.
Meiner Freundin Dr. Gesche Goldhammer danke ich für ihren juristischen Beistand in zahlreichen Telefonaten. Von Herzen möchte ich besonders meinem Mann, Patrick Loewe, danken, der mir immer zur Seite steht und mir bei allem so geduldig geholfen hat.
Mein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, Christine und Jürgen Müller, denen ich die Arbeit widme. Sie haben mich bei all meinen Vorhaben, insbesondere während meines gesamten Studiums und der Promotionszeit, stets uneingeschränkt und aufopferungsvoll unterstützt und mit vielen persönlichen Gesprächen und Ratschlägen in meinem Tun bestärkt. Ohne sie wäre die Arbeit nicht möglich gewesen. Euer Rückhalt ist für mich immer von ganz besonderer Bedeutung.
München, im Dezember 2013
Kathrin Loewe
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Teil IVerhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht
KAPITEL IVERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN SELBST-BESTIMMUNGSRECHTS ZUM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN ARBEITSSCHUTZRECHT
A.Kirchliches Selbstbestimmungsrecht
I.Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel
II.Inhalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
1.„Ordnen und Verwalten“
2.„Eigene Angelegenheiten“
a.Allgemeines
b.Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht als „eigene Angelegenheit“
III.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
1.Ansatz von Johannes Heckel
2.Bereichslehre und „Jedermann-Formel“
3.Wechselwirkungs- und Abwägungslehre
B.Staatliches Arbeitsschutzrecht
I.Arbeitsschutzrecht
1.Geschichtliche Entwicklung und Gegenstand des Arbeitsschutzrechts
2.Rechtliche Gliederung des Arbeitsschutzrechts
a.Verfassungsrechtliche Grundlagen
b.Dualer Aufbau
c.Ergänzende betriebliche Ebene
II.SGB IX als Arbeitsschutzrecht
1.Entstehung des SGB IX
2.Verfassungsrechtliche Verankerung
a.Sozialstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG
b.Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG
C.Öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
I.Geltung des staatlichen Arbeitsrechts im kirchlichen Bereich
1.Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung
2.Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.06.1985
3.Kirchliche Dienstgemeinschaft und Offenhalten eines eigenen Weges
II.Kein Verfassungsrang des Arbeitsschutzrechts
III.Bindung an öffentlich-rechtliche Arbeitsschutz-Vorschriften
1.Staatliche Regelungen als Grenzen der Privatautonomie
2.Bindung im kirchlichen Bereich
IV.Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen im Rahmen der Durchführung von Arbeitsschutz-Vorschriften
1.Staatliche Mitbestimmungsregelungen im Allgemeinen
a.Diskrepanz der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber
b.Staatliche Regelung der betrieblichen Mitbestimmung aufgrund staatlicher Wertentscheidung
2.Mitbestimmungsrechtliche Regelungen in staatlichen Arbeitsschutz-Vorschriften
3.Veranschaulichung des Verhältnisses mitbestimmungsrechtlicher staatlicher Regelungen zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht anhand des BetrVG
a.Geschichtliche Entwicklung
b.Freistellung der Religionsgemeinschaften von der Anwendbarkeit des BetrVG nach § 118 Abs. 2 BetrVG
c.Gerechtfertigte Ungleichbehandlung im kirchlichen Bereich
d.Eigenständige Regelung der Kirche
e.Fazit
V.Fazit
KAPITEL II VERHÄLTNIS DES KIRCHLICHEN SELBSTBESTIMMUNGSRECHTS ZUM SGB IX
A.Geltung des SGB IX im kirchlichen Bereich
B.Anwendbarkeit mitbestimmungsrechtlicher Regelungen des SGB IX im kirchlichen Bereich
I.Eigenständiges kirchliches Mitbestimmungsrecht
1.Frühere Ansicht: Kirchliches Mitbestimmungsrecht aufgrund vom Staat verliehener Autonomie
2.Kirchliches Mitbestimmungsrecht beruht auf Selbstbestimmungsrecht
II.Freistellung von der Anwendbarkeit der mitbestimmungsrechtlichen SGB IX-Vorschriften
1.Keine abschließende Aufzählung in § 93 SGB IX
2.Beruhen auf dem Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG
3.Urteil des Arbeitsgerichts München vom 07.07.2009
4.Berücksichtigung des § 1 Abs. 4 ArbSchG
a.Keine direkte funktionale Vergleichbarkeit der Regelungen
b.Kein rechtswidriger Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch § 1 Abs. 4 ArbSchG
c.Regelung des staatlichen Gesetzgebers aufgrund Gemeinschaftsrecht
d.Fazit
5.Fazit
III.Reichweite der Freistellung von der Anwendbarkeit des BetrVG
1.Parallele zur Freistellungsvorschrift des § 118 Abs. 2 BetrVG
2.Problem bei fehlenden Regelungen in der Rahmen-MAVO
a.Vollständige Freistellung
b.Partielle Freistellung
3.Anwendbarkeit der Vorschriften zur Schwerbehindertenvertretung im SGB IX
4.Fazit
IV.Fazit
Teil IIDie Behandlung Schwer-behinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche
KAPITEL IARBEITGEBERPFLICHTEN NACH DEM SGB IX IM KIRCHLICHEN BEREICH
A.Pflichten der Arbeitgeber nach dem SGB IX im Zusammenhang mit der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
I.Rechtliche Ausgangslage für die Kirche
II.Pflichten nach §§ 80 und 81 Abs. 1 SGB IX
1.Verzeichnis- und Prüfpflicht des Arbeitgebers nach dem SGB IX
2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich
III.Benachteiligungsverbot bei der Einstellung nach § 81 Abs. 2 SGB IX
1.Regelungen im SGB IX und AGG
2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich
IV.Beschäftigungspflicht nach § 71 ff. SGB IX
1.Regelung des SGB IX
2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich
V.Fazit
B.Besonderer Kündigungsschutz nach dem SGB IX
I.Allgemeiner Kündigungsschutz im kirchlichen Bereich
1.Kirchlicher Maßstab für die Beurteilung eines Kündigungsgrundes
a.BVerfG vom 04.06.1985
b.Katholische Grundordnung
2.Rechtsprechung des EGMR
3.Auswirkungen auf das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland
4.Neuere staatliche Rechtsprechung
II.Besonderer Kündigungsschutz des §§ 85ff. SGB IX im kirchlichen Bereich
1.Verfahren im staatlichen Recht
a.Ordentliche Kündigung
b.Außerordentliche Kündigung
c.Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz nach § 90 SGB IX
2.Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich
a.Zustimmungsvorbehalt des Integrationsamts
b.Stellungnahme der Interessenvertretungen
KAPITEL II KOLLEKTIVE INTERESSENVERTRETUNGEN IM ZUSAMMENHANG MIT DER BEHANDLUNG VON SCHWERBEHINDERTEN MITARBEITERN
A.Mitarbeitervertretung
I.Aufgaben
1.Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit
2.Grundsätze für die Behandlung der Mitarbeiter
3.Allgemeine Aufgaben und Aufgaben im Zusammenhang mit der Behandlung schwerbehinderter Menschen
a.§ 26 Abs. 3 Nr. 3 Rahmen-MAVO
b.§ 26 Abs. 3 Nr. 5 Rahmen-MAVO
c.§ 28a Abs. 1 Rahmen-MAVO
II.Rechte gegenüber dem Dienstgeber
1.Informationsrechte der Mitarbeitervertretung
2.Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung
a.Mitwirkungsrechte
b.Mitbestimmungsrechte
III.Dienstvereinbarungen
B.Schwerbehindertenvertretung
I.Anwendbarkeit der SGB IX-Vorschriften zur Schwerbehindertenvertretung
1.Entwicklungen der Rechtsprechung
2.Rahmen-MAVO Novellierung vom 22.11.2010
3.Fazit
II.Bildung der Schwerbehindertenvertretung
1.Schwerbehindertenvertretung als Betriebsverfassungsorgan
2.Pflicht zur Bildung
3.Wahl der Schwerbehindertenvertretung
4.Örtliche Zusammenfassung gem. § 94 Abs. 1 S. 4 SGB IX
5.Gemeinsame Schwerbehindertenvertretung
III.Persönliche Rechtsstellung der Schwerbehindertenvertretung
1.Ehrenamt
2.Verbot der Behinderung, Begünstigung oder Benachteiligung
a.Behinderungsverbot
b.Benachteiligungsverbot
c.Begünstigungsverbot
3.Kündigungsschutz
4.Versetzungsschutz
5.Freistellung und Befreiung
a.Freistellung wegen Amtsaufgaben
b.Freistellung wegen Schulungsveranstaltungen
6.Geheimhaltungspflicht
7.Fazit
IV.Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung
1.Aufgaben und Rechte gegenüber der Mitarbeitervertretung nach § 52 Rahmen-MAVO
a.Teilnahme- und Stimmrecht
b.Aussetzungsrecht
2.Aufgaben und Rechte gegenüber dem Dienstgeber
a.Unterrichtungspflicht des Dienstgebers und Aussetzungsrecht
b.Informationspflicht des Dienstgebers
c.Beteiligungsrechte nach § 28a Rahmen-MAVO
3.Sonstige Rechte gem. § 52 Abs. 3 und 4 Rahmen-MAVO
4.Fazit
KAPITEL III BETEILIGUNGSRECHTE DER KOLLEKTIVEN INTERESSENVERTRETUNGEN
A.Untersuchungsansatz
B.Beteiligung bei Einstellung und Versetzung
I.Unterrichtungsansprüche der Interessenvertretungen entsprechend § 80 Abs. 2 SGB IX
1.§ 27 Abs. 2, 6. Spiegelstrich Rahmen-MAVO
2.§ 34 Abs. 3 S. 2 Rahmen-MAVO
3.§ 52 Abs. 2 S. 1 Rahmen-MAVO
II.Beteiligungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 SGB IX und § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX
1.Schwerbehindertenvertretung
2.Mitarbeitervertretung
a.Unterrichtungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 4 SGB IX
b.Erörterungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 7 SGB IX
c.Anhörungsanspruch entsprechend § 81 Abs. 1 S. 6 SGB IX
III.Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung bei Einstellung
1.Allgemeines zur Regelung in der Rahmen-MAVO
2.§ 34 Abs. 2 Nr. 1 Rahmen-MAVO
IV.Zustimmungsverweigerungsrecht der Mitarbeitervertretung bei Versetzung
1.Rechtsansicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts
2.Beschluss des BAG vom 17.06.2008
V.Fazit
C.Beteiligung bei Kündigung
I.Beteiligung der Interessenvertretungen bei Kündigungen
1.Beteiligung der Mitarbeitervertretung
2.Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
II.Fazit
D.Beteiligung bei Integrationsvereinbarungen
I.Allgemeines zu Integrationsvereinbarungen nach dem SGB IX
1.Wesensmerkmale und Rechtsnatur
2.Abschlusszwang des Arbeitgebers
3.Regelungsinhalte
II.Integrationsvereinbarungen nach § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO
1.Eigenständige kirchliche Regelung
2.Voraussetzungen nach § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO
3.Vergleichbarkeit des § 28a Abs. 2 Rahmen-MAVO mit der staatlichen Regelung
4.Beispiele für Integrationsvereinbarungen in der Praxis
III.Fazit
E.Beteiligung bei der Prävention entsprechend § 84 Abs. 1 SGB IX
I.Allgemeines zur Prävention gem. § 84 Abs. 1 SGB IX
1.Ziel der Vorschrift
2.Auslöser des Verfahrens
3.Einleitung des Verfahrens
4.Beteiligung der Interessenvertretungen
5.Rechtsfolge bei Unterlassung
II.Prävention gem. § 28a Abs. 3 Rahmen-MAVO
1.Eigenständige kirchliche Regelung
2.Voraussetzungen nach § 28a Abs. 3 Rahmen-MAVO
3.Beispiel einer Dienstvereinbarung
III.Fazit
F.Beteiligung beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement
I.Allgemeines zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX
1.Entstehungsgeschichte nach staatlichem Recht
2.Wesensmerkmale und Rechtsfragen
a.Zielsetzung und Anforderungen
b.Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
c.Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers
d.Beteiligung der Interessenvertretungen
e.Rechtsfolgen bei unzureichendem oder fehlendem Betrieblichem Eingliederungsmanagement
II.Betriebliches Eingliederungsmanagement in der Rahmen-MAVO
1.Keine dem § 84 Abs. 2 SGB IX entsprechende Regelung
2.Anwendbarkeit auf Betriebe ohne bestehende Interessenvertretung bzw. ohne nach § 93 SGB IX bestehende Interessenvertretungen
3.Beteiligung der Interessenvertretungen nach allgemeineren Rahmen-MAVO-Vorschriften
a.§ 28a Abs. 3 und ggf. § 26 Abs. 3a Rahmen-MAVO
b.Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach § 26 Abs. 3 Nr. 3 und 7 Rahmen-MAVO
c.Beteiligung über Mitbestimmungsrecht entsprechend § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
d.Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 52 SGB IX
e.Fazit
f.Andere Ansicht: Von Rahmen-MAVO nicht umfasst
III.Beispiel zur Umsetzung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements im kirchlichen Bereich
IV.Fazit
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang:Dienstvereinbarung zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) im Zuständigkeitsbereich der Mitarbeitervertretung Erzbischöfliches Ordinariat München
Abs. |
Absatz/ Absätze |
AEUV |
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 |
AGG |
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz |
AiB |
Arbeitsrecht im Betrieb |
Alt. |
Alternative |
AöR |
Archiv des öffentlichen Rechts |
AP |
Arbeitsrechtliche Praxis |
ArbG |
Arbeitsgericht |
ArbRB |
Arbeitsrechtsberater |
ArbSchG |
Arbeitsschutzgesetz |
ArbSchR |
Arbeitsschutzrecht |
Art. |
Artikel |
AuR |
Arbeit und Recht |
BAG |
Bundesarbeitsgericht |
BAG-MAV |
Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen |
BayPVG |
Bayerisches Personalvertretungsgesetz |
BB |
Betriebsberater |
BEEG |
Bundeselterngeld und Elternzeitgesetz |
BEM-Team |
Betriebliches Eingliederungsmanagement-Team |
BetrVG |
Betriebsverfassungsgesetz |
BGB1. |
Bundesgesetzblatt |
BIH |
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen |
BIStSozArbR |
Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht |
BPersVG |
Bundespersonalvertretungsgesetz |
BT-Drs. |
Drucksachen des Deutschen Bundestages |
BVerfG |
Bundesverfassungsgericht |
bzw. |
beziehungsweise |
d.h. |
das heißt |
DB |
Der Betrieb |
DrittelbG |
Drittelbeteiligungsgesetz |
DVB1. |
Deutsches Verwaltungsblatt |
EGMR |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte |
EKD |
Evangelische Kirche in Deutschland |
EMRK |
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten |
EuGH |
Europäischer Gerichtshof |
EUV |
Vertrag über die Europäische Union in der Fassung durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 |
ff. |
folgende |
FS |
Festschrift |
GG |
Grundgesetz |
gem. |
gemäß |
ggf. |
gegebenenfalls |
GrO |
Grundordnung |
Hdb |
Handbuch |
HdBStKr |
Handbuch des Staatskirchenrechts |
ICF |
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit |
ICIDH |
Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen |
i.S.v. |
im Sinne von |
i.V.m. |
in Verbindung mit |
JuS |
Juristische Schulung |
KAGH |
Kirchlicher Arbeitsgerichtshof |
KAGO |
Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung |
KSchG |
Kündigungsschutzgesetz |
KuR |
Kirche und Recht |
LAG |
Landesarbeitsgericht |
MDR |
Monatsschrift für Deutsches Recht |
MitbestG |
Mitbestimmungsgesetz |
MuSchG |
Mutterschutzgesetz |
MVG.EKD |
Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland |
mwN. |
mit weiteren Nachweisen |
NJW |
Neue Juristische Wochenschrift |
NVwZ |
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht |
NZA |
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht |
NZS |
Neue Zeitschrift für Sozialrecht |
Nr. |
Nummer(n) |
PersVG |
Personalvertretungsgesetz |
PWK |
Kommission für Personalwesen |
Rahmen-MAVO |
Rahmenordnung für die Mitarbeitervertretungsordnung der katholischen Kirche |
RdA |
Recht der Arbeit |
Rn. |
Randnummer(n) |
SchwbG |
Schwerbehindertengesetz |
SGB |
Sozialgesetzbuch |
sog. |
sogenannt(e) |
SprAuG |
Sprecherausschußgesetz |
VDD |
Verband der Diözesen Deutschlands |
vgl. |
vergleiche |
VG |
Verwaltungsgericht |
VGH |
Verwaltungsgerichtshof |
WRV |
Weimarer Reichsverfassung |
ZESAR |
Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht |
ZevKR |
Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht |
ZfA |
Zeitschrift für Arbeitsrecht |
ZMV |
Zeitschrift für die Praxis der Mitarbeitervertretung in den Einrichtungen der katholischen und evangelischen Kirche |
ZSR |
Zeitschrift für Sozialreform |
ZTR |
Zeitschrift für Tarifrecht |
Am 31.12.2009 lebten in Deutschland insgesamt 7,1 Millionen schwerbehinderte Menschen.1 Als grundrechtlich garantierter Sozialstaat strebt Deutschland in seinem Handeln stets soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit an, um die Teilnahme aller an den gesellschaftlichen Entwicklungen zu gewährleisten. Schon aus dieser Staatszielbestimmung sowie aus dem in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verankerten Benachteiligungsverbot behinderter Menschen ergibt sich für den Staat die Aufgabe, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe Schwerbehinderter am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Schwerbehinderte Menschen unterliegen deshalb vor allem im Arbeitsleben, einem sehr wichtigen Baustein unseres gesellschaftlichen Lebens, einem speziellen Schutz. Dieser Schutz ist im 9. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) verankert und ist Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts. Darin sind beispielsweise spezielle Pflichten für die Arbeitgeber festgelegt, wie etwa die angemessene Beschäftigung und Förderung von schwerbehinderten Arbeitnehmern zur optimalen Weiterentwicklung ihrer Kenntnisse, gem.§ 81 Abs. 4 S.1 Nr. 1 SGB IX.2 Auch eine eigene Interessenvertretung, die Schwerbehindertenvertretung sowie verschiedene kollektive Mechanismen, die die innerbetriebliche Mitbestimmung betreffen, sind vorgesehen. Insgesamt haben schwerbehinderte Menschen somit in arbeitsrechtlicher Hinsicht eine gewisse „Sonderrolle“ inne.
Einer der größten Arbeitgeber Deutschlands ist die verfasste Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie. Bereits 2005 wurde die Zahl der in der Kirche und ihren Einrichtungen Beschäftigten auf insgesamt 1,83 Millionen geschätzt – Tendenz steigend.3 Aufgrund ihres verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts spielt auch die Kirche selbst in rechtlicher Hinsicht eine gewisse „Sonderrolle“.4 Dieses Recht findet seine Grundlage in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert ist und dadurch bis heute seine Gültigkeit behalten hat.
Danach kann die Kirche ihre „eigenen Angelegenheiten“ selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes regeln. Sie hat deshalb auch das Recht, eigene Regelungen in Bezug auf das Arbeitsrecht zu setzen.5 Man spricht dabei auch von einer arbeitsrechtlichen Regelungs-autonomie.6 Anhand dieser Besonderheiten wird die religiöse Intention der Kirche im Sinne ihres Selbstverständnisses sichergestellt.7
Im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich hat die Kirche auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV großteils eigene Regelungen geschaffen, wie etwa im Rahmen der innerbetrieblichen Mitbestimmung die Rahmen-MAVO. Das staatliche Betriebsverfassungsgesetz ist nach § 118 Abs. 2 BetrVG auf Religions-gemeinschaften nicht anwendbar.8 Hat sich die Kirche auf individualrechtlicher Ebene bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie bedient, so gelten auch für sie die Bestimmungen des weltlichen Arbeitsrechts. Allerdings sind diese für die Kirche im Lichte des Selbstbestimmungsrechts auszulegen. Den Kirchen ist also im Bereich des Arbeitsrechts ein eigener Weg zur Gestaltung des kirchlichen Dienstes und seiner arbeitsrechtlichen Ordnung in der von ihrem Selbstverständnis gebotenen Form offenzuhalten.9 Sie sind dabei aber an die Schranken des für alle geltenden Gesetzes i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV gebunden, die sich in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, dem Willkürverbot, den guten Sitten, dem „ordre public“ sowie eben den Arbeitsschutzgesetzen konkretisieren.10
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Kirche, als bedeutendem Arbeitgeber in Deutschland der Schutz und die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gewährleistet werden. Welche Regelungen sind anwendbar, vor allem im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich, wenn beide rechtlichen „Sonderrollen“ in der Arbeitswelt aufeinander treffen, also schwerbehinderte Menschen als Arbeitnehmer und die Kirche als Arbeitgeber? Kann es sein, dass hier eine Geltung des SGB IX als öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht in allen Bereichen des kirchlichen Arbeitsrechts – auch im kollektivarbeitsrechtlichen Bereich – erfolgen muss und aus Sicht der jeweiligen Interessenvertretungen sogar vorteilhaft wäre? Oder kann die Kirche hier eigene Regelungen setzen? Sind entsprechende kirchliche Bestimmungen – vor allem im kollektivrechtlichen Bereich – auch ausreichend vorhanden oder überwiegen diese die staatlichen Regelungen gar in ihrer Reichweite? Es gilt also in dieser Arbeit zu klären, ob das SGB IX als staatliches Arbeitsschutzrecht auch im kirchlichen Bereich umfassend Anwendung findet und somit insgesamt ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV ist, oder ob die Kirche von der Anwendbarkeit insbesondere hinsichtlich kollektivrechtlicher Regelungen freigestellt ist bzw. inwieweit das SGB IX Auswirkungen auf den kirchlichen Bereich hat. Im Zuge dessen ist darzulegen, ob der kirchliche Gesetzgeber eigene kollektivrechtliche Regelungen in Bezug auf die Behandlung Schwerbehinderter geschaffen hat und wenn ja, wie diese ausgestaltet sind und inwiefern sie dieselben Tatbestände wie staatliche Regelungen abdecken. Gegebenenfalls können an manchen Stellen Rechtslücken im kirchlichen Bereich festgestellt und infolgedessen Anregungen für weitere Regelungen gegeben werden.
Die Arbeit gliedert sich insgesamt in zwei Teile:
In Teil I wird das Verhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht als Teil des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes beleuchtet. Dazu wird zuerst die Geltung des öffentlichrechtlichen Arbeitsschutzrechts im kirchlichen Bereich und die Freistellung der Kirche von der Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) mit seinen mitbestimmungs-rechtlichen Regelungen analysiert. Anschließend wird die Anwendbarkeit des SGB IX als Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts im kirchlichen Bereich untersucht. Insbesondere wird geprüft, ob die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften des SGB IX im kirchlichen Bereich grundsätzlich Anwendung finden oder ob auch in Bezug auf diese Regelungen eine Freistellung anzunehmen ist - entsprechend der Freistellung im BetrVG.
In Teil II der Arbeit wird dann die konkrete Behandlung schwerbehinderter Menschen im kirchlichen Bereich dargestellt. Zunächst werden individualarbeitsrechtliche Vorschriften des SGB IX und ihre Besonderheiten im kirchlichen Bereich herausgestellt. Anschließend wird geprüft, welche kollektivrechtlichen Institutionen und Mechanismen in der Kirche auf Grundlage welcher Vorschriften vorgesehen sind und inwieweit die Rechtslage insgesamt derjenigen im staatlichen Bereich entspricht bzw. inwieweit eine Freistellung von der Anwendbarkeit bestimmter SGB IX-Vorschriften anzunehmen ist. Dazu werden die einzelnen Beteiligungsrechte der Interessenvertretungen im Hinblick auf die Behandlung Schwerbehinderter analysiert und damit ihre Umsetzung und Reichweite im kirchlichen Bereich veranschaulicht. Gegebenenfalls bestehende Rechtslücken im Vergleich zum staatlichen Recht werden identifiziert und es gilt, den Umgang mit solchen, möglicherweise bestehenden Lücken zu klären. Es ist ferner zu überlegen, ob und inwieweit Anregungen gegeben werden können, welche Regelungen im kirchlichen Bereich eingefügt werden sollten.
Insgesamt beschränkt sich die Arbeit auf die Erörterung der Thematik für die katholische Kirche.
1Vgl. Statistik des Statistischen Bundesamts im Statistischen Jahrbuch 2011, S. 235.
2Besgen, Schwerbehindertenrecht, Rn. 52.
3Frerk; Publik Sonderausgabe Arbeitsplatz Kirche, abgerufen unter http://gesundheitsoziales.bawue.verdi.de/tarifinfos/kirchen/data/2005-12_Sonderausg_publik.pdf, vom 16.12.2005, am 20.7.2009.
4Richardi: Arbeitsrecht in der Kirche, § 1 Rn. 16.
5BVerfG, NJW 1976, 2123.
6a. A. Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 172: dieser lehnt eine arbeitsrechtliche Regelungsautonomie der Kirche von Grund auf ab. Seiner Ansicht nach haben Religionsgemeinschaften keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Überlassung staatlichen Arbeitsrechts zur eigenen Regelung, sondern sie können Arbeitsrecht nur setzen, wenn ihnen der staatliche Gesetzgeber das aus eigenem Ermessen zur Regelung überlassen hat.
7Fischermeier, Festschrift für Richardi zum 70. Geburtstag, S. 877, 878.
8Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 27.
9Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 44.
10v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 182.
In diesem ersten Teil der Arbeit gilt es, das Verhältnis des kirchlichen Arbeitsrechts der katholischen Kirche zum staatlichen Schwerbehindertenarbeitsrecht des SGB IX und somit das Zusammentreffen beider „Sonderrollen“ im deutschen Recht zu untersuchen. Es ist also zu klären, ob die Normen des SGB IX insgesamt im kirchlichen Bereich grundsätzlich Anwendung finden oder ob hier kirchliche Besonderheiten zu beachten sind, die zu Abweichungen zum staatlichen Recht führen. Dazu wird zunächst in Kapitel I das Verhältnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zum öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz im Allgemeinen betrachtet und insbesondere das Verhältnis des kirchlichen Selbstverständnisses zum BetrVG mit seinen mitbestimmungsrechtlichen Regelungen veranschaulicht und geprüft. Denn auch das SGB IX ist Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts und beinhaltet mitbestimmungsrechtliche Normen, die die Interessenvertretungen eines Betriebes in die Durchführung der Schutznormen mit einbeziehen. Welche Besonderheiten bei der Anwendbarkeit der SGB IX-Regelungen im kirchlichen Bereich bestehen – insbesondere bei mitbestimmungsrechtlichen Regelungen – bzw. ob und warum der Kirche in diesem Bereich eigene Wege offenzuhalten sind, gilt es deshalb im Anschluss in Kapitel II zu klären. Dazu können aus der in Kapitel I enthaltenen Veranschaulichung des Verhältnisses mitbestimmungs-rechtlicher Regelungen des BetrVG zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Rückschlüsse auf die Anwendung mitbestimmungsrechtlicher SGB IX-Regelungen im kirchlichen Bereich gezogen werden.
Wenn die Kirchen als Arbeitgeber auftreten, müssen sie sich grundsätzlich auch an die Vorschriften des staatlichen Arbeitsrechts halten, solange sie sich bei der Begründung des jeweiligen Dienstverhältnisses der staatlichen Privatautonomie bedienen.11 Wie es zu dieser allgemeinen Geltung des staatlichen Arbeitsrechts kommt, bzw. ob und warum unter diesen Grundsatz auch die Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes fallen und diese somit auch im kirchlichen Bereich Anwendung finden, ist in diesem Kapitel zu klären. Dazu werden zunächst der historische Ursprung sowie die Grundlagen und Schranken des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften in Gliederungspunkt A dargestellt. Danach gilt es, die Entstehung und verfassungsrechtlichen Grundlagen des staatlichen Arbeitsschutzrechts im Allgemeinen sowie des SGB IX als Teil des sozialen Arbeitsschutzrechts vorzustellen. Unter Gliederungspunkt C wird dann das Verhältnis beider vorangestellten Bereiche zueinander untersucht, also des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzrechts zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Dabei wird ein besonderer Fokus auf mitbestimmungsrechtliche, staatliche Regelungen und ihre Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich gelegt, was anhand der Anwendbarkeit des BetrVG ausführlich behandelt wird.
Der Staat hat sein Verhältnis zu den Kirchen durch die Rezeption der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 GG bestimmt.12 Als Selbstbestimmungsrecht wird danach das Recht der Religionsgesellschaften bezeichnet, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten gem. Art. 137 Abs. 3 WRV. Träger dieses Selbstbestimmungsrechts sind alle Religionsgesellschaften ohne Rücksicht darauf, ob sie die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts genießen, privatrechtliche Vereine sind oder der Rechtsfähigkeit überhaupt entbehren.13 In der in Art. 137 Abs. 3 WRV verankerten Gewährleistung des Staates, die Kirche dürfe ihre eigenen Angelegenheiten selbständig regeln, steckt im Kern die Zusage des staatlichen Gesetzgebers, dass er die Regelungszuständigkeit der Gesetzgeber der Religionsgemeinschaften für diese Bereiche anerkennt. Diese Anerkennung der Eigenständigkeit bedeutet im Umkehrschluss die Einsicht, dass der staatliche Gesetzgeber selbst in diesem Zusammenhang auf die Regelung weltlicher Bereiche beschränkt ist.14 Religionsgemeinschaften sind deshalb Institutionen, die vom Staat unabhängig sind und „ihre Gewalt nicht von ihm herleiten“.15
Bezieht sich die Kirche in ihrer Eigenschaft als Religionsgemeinschaft auf Art. 137 Abs. 3 WRV, so unterfallen auch ihre rechtlich selbständigen Untergliederungen dem Selbstbestimmungsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst es insgesamt „alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, […] wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen.“16 Somit sind vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der evangelischen und katholischen Kirchen auch die Diakonie und die Caritas umfasst.
Im Folgenden soll die historische Entwicklung des heutigen, verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Kirchen veranschaulicht werden und auf seine Inhalte und Schranken eingegangen werden.
Wichtige Grundlage des heutigen Staatskirchenrechts ist die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz. Diese hatten zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung zu einer entscheidenden Wendung im Staat-Kirche-Verhältnis geführt.
Obwohl der Trennungsgedanke zwischen dem „Geistlichen“ und dem „Weltlichen“ schon immer zum Kernbestand christlichen Gedankenguts gehörte und das Christentum in Deutschland seit etwa der Spätantike dominierte17, herrschte in Deutschland jahrhundertelang eine enge Verbindung von Staat und Kirche. Die Existenz des Kirchenstaates und des Verwobenseins der Kirche in das politische Ordnungs- und Herrschaftssystem des Staates, wie zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, blieb in mal mehr und mal weniger ausgeprägter Form weitgehend erhalten.18 Erst im 19. Jahrhundert begann ein Prozess der zunehmenden Lockerung dieses Verhältnisses - „trotz mancher heftiger Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche nicht in der Tendenz feindschaftlicher Trennung, sondern wechselseitiger Zugewandtheit und Kooperation“.19 Eine in der Paulskirchenverfassung von 1849 in § 147 verankerte Kirchenautonomie, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, legte den Grundstein für das heute gültige staatskirchenrechtliche System, wurde aber zu damaliger Zeit nicht in Kraft gesetzt.20 Nach Ende des Kulturkampfes fand zumindest die Garantie der Gleichberechtigung der Konfessionen in der Bismarckschen Reichsverfassung von 1871 ihren Niederschlag. Mit dem Untergang der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg wurden grundsätzliche Neuerungen geschaffen. Die Weimarer Verfassung von 1919 verankerte in Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV die auch noch heute Geltung findenden Kirchenartikel und gab der Kirche damit vor allem Freiheit der Bewegung und des Wirkens. Smend beschreibt die Ordnung zwischen Staat und Kirche in der Weimarer Verfassung als eine Ordnung „der inneren Fremdheit, der Berührung nur noch an der beiderseitigen Peripherie, ohne Beteiligung des Wesenskerns des einen oder des anderen Partners“.21 Allerdings wird das durch die Weimarer Verfassung geschaffene Kirchensystem auch als hinkendes Trennungssystem bezeichnet22, weil es zwar einerseits die Trennung von Staat und Kirche und die Autonomie zur eigenen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes festsetzt, andererseits den Kirchen aber weiterhin den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gibt. Daran wird letztlich erkennbar, dass die entsprechenden Artikel der Weimarer Verfassung schon damals das Ergebnis eines Kompromisses der Regierungskoaltion waren.23
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die genannten Kirchenartikel dann durch Art. 140 GG in das neue Grundgesetz vom 23.05.194924 inkorporiert. Durch die Inkorporation in Art. 140 GG sind die Weimarer Kirchenartikel Bestandteil des Grundgesetzes geworden und bilden mit ihm ein organisches Ganzes.25 Auch wenn sich die kirchenpolitischen Verhältnisse in der Nachkriegszeit grundlegend von den Verhältnissen zu Zeiten der Weimarer Nationalversammlung unterschieden, besann man sich auf die in der Weimarer Verfassung grundsätzlich bewährten Regelungen zurück – dies war teilweise wiederum einem Kompromiss der Abgeordneten geschuldet.26 In der Zeit nach 1945 konzentriert sich die Kirche verstärkt auf ihre Eigenständigkeit. Zugleich beschränkt sich der Staat auf die Ordnung des "Weltlichen“ und entlässt damit die Kirchen prinzipiell aus seiner Aufsicht und erkennt die besondere Bedeutung der Kirchen für das Leben in Staat und Gesellschaft an. Das Verhältnis von Kirche und Staat soll nun als Partnerschaft charakterisiert werden.27
Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen erstreckt sich gem. Art. 137 Abs. 3 WRV auf das selbständige „Ordnen“ und „Verwalten“ der „eigenen Angelegenheiten“.
1.„Ordnen und Verwalten“
Mit der Gewährleistung einer selbständigen Ordnung ist dem Staat die Einflussnahme auf die kirchliche Rechtsetzung versagt und das Inkrafttreten kirchlicher Bestimmungen ist von keiner staatlichen Genehmigung abhängig, sofern durch sie lediglich eigene Angelegenheiten der Religionsgesellschaft geregelt werden sollen.28
Dieses Recht zur selbständigen Verwaltung ist weit auszulegen und umfasst die freie Betätigung der Organe der Religionsgemeinschaften zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben einschließlich des Verfahrensrechts und der Berechtigung zur eigenen Rechtsprechung. Mit einbezogen ist dabei insbesondere auch die freie Ämterbesetzung, die in Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV explizit erwähnt wird.29
2.„Eigene Angelegenheiten“
a.Allgemeines
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „eigenen Angelegenheiten“ in Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV war lange Zeit umstritten.
Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde die Ansicht vertreten, dass der Staat durch die Reichsverfassung selbst normiere, was eigene Angelegenheiten der Kirche seien bzw. die staatlichen Gerichte durch Auslegung der Reichsverfassung eine verbindliche Feststellung treffen könnten. Allerdings widerspricht diese Ansicht der in Art. 137 WRV garantierten Eigenständigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften und ist deshalb abzulehnen. Die Neutralität des Staates gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften wäre durch eine solche staatliche Normierung gerade nicht mehr gegeben, so dass das Grundgesetz in sich widersprüchlich ausgelegt würde.30
Nach anderer Lehrmeinung, der auch die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt ist31, wurde vertreten, dass die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts gerade nicht durch die Verfassung selbst normiert, sondern vorausgesetzt und in diesem vorausgesetzten Umfang gewährleistet werde. Eine Abgrenzung müsse nach objektiven Gesichtspunkten erfolgen. Als „eigene Angelegenheiten“ seien deshalb solche Angelegenheiten zu qualifizieren, die materiell, der Natur der Sache oder der Zweckbestimmung nach „eigene“ sind.32 Auch diese Auslegung des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ erschien jedoch sehr weit gesteckt und bedurfte der weiteren Konkretisierung, nämlich wie die Natur der Sache oder Zweckbestimmung festzulegen sei.
Mittlerweile vertritt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass maßgebend für die Qualifizierung einer Angelegenheit als „eigene“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV Auftrag und Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind.33 Es obliegt also den Religionsgemeinschaften darzulegen, dass eine Angelegenheit durch den kirchlichen Auftrag umschrieben ist und auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses rechtlich gestaltet werden sollte. Die Angelegenheiten müssen einen Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG aufweisen, da nur solche Angelegenheiten als eigene verstanden werden können, die in Verbindung zum religiösen Bekenntnis stehen und dazu dienen, die religiöse Überzeugung zu äußern. Grundsätzlich dulden staatliche Instanzen keinen Staat im Staate, denn in allen Bereichen der Gesellschaft gilt primär die staatliche Ordnung. Nur wenn Angelegenheiten betroffen sind, die als nichtstaatliche, religiöse Angelegenheiten zu qualifizieren sind und also ein Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 GG gegeben ist, ist die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften auch plausibel.34 Nur durch diesen, den kirchlichen Auftrag betonenden Ansatz wird die in Art. 4 und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV konstituierte religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates gewahrt.35 Insgesamt werden daher als eigene Angelegenheiten Lehre und Kultus, Kirchenverfassung und Organisation, Ausbildung der Geistlichen, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Kirchenmitgliedschaft, Vermögensverwaltung, und karitative Tätigkeit verstanden.36
b.Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht als „eigene Angelegenheit“
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