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ISBN: 978-3-7504-7970-8

© 2020 Ebersberg, Thomas

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Printed in Germany

Umschlaggestaltung: Thomas Ebersberg

Inhalt

Unternehmen Weltbild

Die Kontrahenten und viele Fragen

Eine Vorbemerkung sei erlaubt. Die Gedankengänge dieses Buchs sind ein relativ elitäres Unternehmen. Warum? Es geht um Weltbilder, um ein reflektiertes Weltbild, das immer wieder kritisch überprüft und anhand der eigenen Erfahrungen verifiziert wird. Zwei konträre Weltbilder stehen zur Disposition, das jenseitsbezogene transzendentale und das diesseitige säkulare. Einem vielfältigen Spektrum von Gläubigen auf Seiten der Religion steht eine ständig wachsende Zahl säkular orientierter Menschen gegenüber.

Die Anhänger beider Fraktionen – sowohl die Religiösen als auch die Nichtreligiösen – dürften in der Mehrzahl unreflektiert ihrem Glauben bzw. Nichtglauben huldigen. Ein Bewusstsein, permanent durch Reflexion und Selbstreflexion »upgegradet«, dürfte nur einer Minderheit gegeben sein.

Ein solches Bewusstsein scheint eher ein zukunftsorientiertes Projekt der Evolution des Menschen auf dem Weg zum »Homo sapiens«, dem »wissenden«, »weisen« Menschen zu sein. Geduld ist also angesagt. Und es sollte nicht verwundern, wenn vorliegendes Projekt, der Vergleich der beiden Weltbilder, bei einem breiten Publikum auf Unverständnis oder Gleichgültigkeit stößt. Die meisten Zeitgenossen haben offensichtlich andere Probleme und man kann es ihnen nicht einmal verdenken.

Neben der kritischen, vergleichenden Analyse der Weltbilder muss auch die Frage erlaubt sein: Welche Rolle spielen dezidierte Weltbilder? Wurden und werden sie überhaupt geschichtswirksam? Hat z.B. das Christentum die Geschichte des »christlichen Abendlandes« tatsächlich geprägt? Und wie viel Gedankengut der Aufklärung bestimmt unsere »aufgeklärte« Moderne? Waren und sind womöglich ganz andere Kräfte am Werk? Sind die Weltbilder vielleicht nur die »Begleitmusik« zu jenem Spiel, das von den Eliten des Mythos und der Macht seit jeher gespielt wird?

Lassen wir die Beantwortung dieser Frage zunächst offen. Zwei konträre Weltbilder konkurrieren also um die Gunst der Gläubigen, das transzendentale und das säkulare. Ich werde versuchen, die Unterschiede und heimlichen Übereinstimmungen zwischen beiden Varianten aufzuzeigen. Es könnte ja sein, dass die beiden Gegenspieler hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Zukunftsperspektiven gar nicht so weit auseinander liegen.

Ob wir von Mythen, Religionen, Ideologien oder Narrativen sprechen – ich denke, wir können diese vermeintlichen oder tatsächlichen »anthropologischen Konstanten« unter dem schillernden Begriff »Utopie« subsumieren. Haben sie doch den gleichen Ursprung und die gleiche Funktion.

Inhaltlich dürfte dies das verbindende Element der klassischen Utopien sein: Sie alle leiden unter der Vorstellung, dass diese Welt so nicht sein dürfte, dass eine »andere«, »bessere«, womöglich »höhere« Welt möglich sei.

Wie entstehen Utopien? Was macht ihre Attraktivität aus und warum müssen sie unweigerlich scheitern? Liegt ihnen ein gemeinsames fragwürdiges Denkmuster zugrunde? Und was haben die Utopien mit der Evolution des Universums vom Urknall bis zum Homo sapiens gemein? Sind sie womöglich ein Element der Evolution, Grenzüberschreitungen in zuvor als unmöglich scheinende neue Dimensionen?

Um dem utopischen Denken, seinem Charme und Scheitern auf den Grund zu kommen, widmen wir uns den drei klassischen Fragen, die sich Homo sapiens seit Beginn seines sich entwickelnden Bewusstseins stellt: »Was ist die Welt, was ist der Mensch? Was darf ich erwarten? Was soll ich tun?« Welterklärung, Zukunftsversprechen und Moral – das ist die heilige Dreifaltigkeit jeder Utopie.

Formuliert aus der Sicht des säkularen Weltbilds lauten diese Fragen nicht mehr transzendental eingefärbt: »Was ist der letzte Urgrund der Welt, was ist die Bestimmung des Menschen und welchen göttlichen Geboten muss er Folge leisten?«, sondern etwas bescheidener: »Wie ist das Universum, die Natur, der Mensch beschaffen, konstruiert? Was können wir hier auf Erden in Zukunft erwarten und wie sieht, wenn wir auf das Konstrukt einer »Übernatur« verzichten, eine der Natur des Menschen angemessene Ethik aus?

Die Sinnfrage – großer Sinn, kleiner Sinn?

Beginnen wir mit der den Weltbildern oft zugrunde gelegten Sinnfrage: Macht diese Welt Sinn? Diese Frage scheint unausweichlich.

Warum dieses offenbar unausrottbare Bedürfnis des Menschen nach »Sinn«? Die Antwort ist einfach. Sinn ist eine Grundbedingung für alles Leben. Was bedeutet »Sinn«? Etwas macht Sinn, wenn zwei Dinge, z.B. Schlüssel und Schloss, zusammenpassen oder wenn, banal ausgedrückt, Angebot und Nachfrage übereinstimmen. Wir sprechen von »Sinnbezügen«. Leben macht Sinn, wenn das Angebot den Bedürfnissen entspricht.

Die Religionen konzentrieren sich auf die »letzten« Fragen nach dem Woher, Warum und Wohin? Wer ist der Verursacher, was ist der letzte Grund, was das Ziel und was der Sinn des Universums? In welches »Schloss«, wohinein passt dieser »Schlüssel« Wirklichkeit? Gibt es für das Universum einen Bezugspunkt jenseits dieser Wirklichkeit? Welchen »höheren« Sinn hat dieses ganze Geschehen?

Wenn wir nach der Vorstellung der Säkularen einen solchen letzten Bezugspunkt nicht finden, nicht finden können, dann müssen wir uns wohl mit den Sinnbezügen innerhalb der Wirklichkeit begnügen.

Bei der Sinnfrage scheiden sich die Geister. Dort der Glaube und die Hoffnung auf einen »höheren« Sinn, auf einen »jenseitigen« Sinngeber in einer »anderen« Welt – hier der trotzige, bisweilen mit der »Absurdität des Ganzen« kokettierende Verzicht auf jenen letzten und großen Sinn, gepaart mit der Hoffnung auf eine sinnvolle Existenz im Diesseits.

Nach christlicher Auffassung ergibt sich als entscheidender Sinn des menschlichen Lebens die Beziehungsgeschichte zwischen Schöpfergott und Geschöpf. Die letzte Ursache, der letzte Sinnbezug ist der als der »Absolute« definierte Gott. Der in sich ruhende Zeit- und Geschichtslose erschafft irgendwann eine Schöpfung, was offensichtlich den Ausbruch aus der Zeit- und Geschichtslosigkeit bedeutet.

Ketzerische Fragen drängen sich auf. Warum tut der Absolute das? Welchen Sinn ergibt das für ihn? Die Schöpfung als schönes und schreckliches Spektakel, als ästhetisches und ethisches Spiel mit Möglichkeiten – dient sie zur Unterhaltung für einen gelangweilten Gott, der mit seiner »absoluten«, eigentlich doch selbstgenügsamen ewigen Existenz nicht mehr klarkommt? Warum bedurfte er, der Absolute, eines Objekts, einer Schöpfung? Ist es auch für einen Gott »nicht gut, dass er alleine sei«? Ist er, der »Gott der Liebe«, womöglich ein Liebebedürftiger? Ohne Gegenüber wären die ihm zugeschriebenen Eigenschaften wie Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in der Tat sinnlos.

Verliert jedoch der Absolute, indem er sich in eine Beziehungsgeschichte mit seinem Geschöpf einlässt, nicht seine Absolutheit, seine Losgelöstheit von allem? Und bedeutet die »Menschwerdung Gottes«, die Verstrickung in Geschichte und die Selbsterniedrigung durch den Kreuzestod, nicht den Totalverlust der Absolutheit?

Die Vertreter der christlichen Religion stellen diese Fragen nicht, denn darauf gibt es an keiner Stelle der »Offenbarung« eine Antwort. Dem kritischen Denken verschließt sich vollends eine schlüssige Interpretation solch eklatanter Widersprüche.

Offenbarung oder Erfahrung?

Worauf gründen sich die kontroversen Weltbilder, worauf sollten sie sich gründen? Ich denke, ein existenziell überzeugendes Weltbild kann sich nur auf die Erfahrungen des Einzelnen mit der Wirklichkeit stützen. Der auf seine Sinne angelegte Mensch hat ein »Recht auf Erfahrung«. In der Kindheit ist er auf die unreflektierte Übernahme dessen, was ihm Eltern und Erzieher sagen, angewiesen. Mit zunehmendem Alter kommen seine eigenen Erfahrungen ins Spiel. Diese bestätigen seinen tradierten Glauben oder stellen ihn infrage – schwierig, wenn der geforderte Glaube neben den als »Mysterien« gedeuteten inneren Widersprüchen auch noch der Glaube an einen »ganz Anderen«, eben »nicht Erfahrbaren« sein soll.

Doch wie kann die von der christlichen Religion postulierte Beziehung zwischen dem Menschen und jenem »ganz anderen« Gott ohne sinnlich erfahrbare Kommunikation funktionieren? Beziehungen leben von der Kommunikation. Offensichtlich reicht die versprochene Ebenbildlichkeit zwischen Mensch und Gott nicht zu einer Beziehung »auf Augenhöhe« aus. Unter Theologen ist denn auch nur zu oft die Rede von einem »schweigenden Gott«.

Die monotheistischen Religionen lösen dieses grundlegende Problem mit dem Hinweis auf die »Offenbarungen« des jenseitigen Gottes an einige wenige auserwählte Personen der Geschichte. Dank historisch-kritischer Textinterpretation der heiligen Schriften schleicht sich jedoch unmerklich die Einsicht ein, dass diese Offenbarungen keine unmittelbaren Erfahrungen, sondern zeitbedingte Vorstellungen aus der Bildwelt der jeweiligen Zeit waren, von Menschen, die sich dazu berufen fühlten, ihrem Volk dessen Bestimmung zu erklären und ihm moralische Richtlinien für den Weg zum Heil zu geben. Waren die Offenbarungen das Werk phantasiebegabter, moralisch engagierter Dichterpropheten? War »Gotteswort« also doch nur »Menschenwort«?

Da Offenbarung heutzutage nicht mehr stattfindet, bleibt dem Gläubigen als Offenbarung nur die bescheidenere kleine Fassung, die gerne beschworene »religiöse Erfahrung«. Ich möchte auf die Interpretation dieser meist recht vage beschriebenen Erfahrungen emotionaler Erhebung oder Erschütterung nicht eingehen. Wer solche Erfahrungen nicht hat oder säkular deutet, gilt unter Gläubigen derzeit als »religiös unmusikalisch«. Er leidet gewissermaßen an einem bedauerlichen genetischen Mangel.

Merkwürdig nur, dass man solche angeblich existenziellen Erfahrungen mit der genetischen Ausstattung verbindet. Ist die »religiöse Musikalität« tatsächlich nur das Privileg weniger Auserwählter? Bei dieser Interpretation schimmert von Seiten der »Musikalischen« eine Mischung aus Mitleid und Arroganz durch.

Und für einen »gerechten« Gott spricht diese Art »genetischer Auserwählung« auch nicht gerade. Ein Gott, der die »Gnade des Glaubens« willkürlich nur wenigen Menschen schenkt?

Die transzendentale Weltdeutung verzichtet auf ein Denken, das sich auf die eigene Erfahrung stützt. Sie bezieht denn auch ihren Autoritätsanspruch ausschließlich aus den »göttlichen Offenbarungen«. Alle Versuche, die Welt mit all ihren Widersprüchen zu begreifen, ohne in eine Gegenwelt fliehen zu müssen, haben für den Gläubigen keine Geltung. Sein Denken, wenn es denn stattfindet, muss sich letztlich den geoffenbarten Wahrheiten unterordnen.1

Offenbarung oder Erfahrung, Glauben oder Denken – beruht die unterschiedliche Begründung der beiden konträren Weltbilder auf einem unvereinbaren Gegensatz? Oder ist sie nur Folge einer evolutionär bedingten Veränderung menschlichen Denkens, weg von einem kindlich träumerischen, irrationalen in Richtung eines nüchtern kritischen Weltverständnisses?

Trotz aller Gegensätze, beiden Weltbildern bleibt – ob mit oder ohne spekulative Frage nach dem Warum, dem »letzten« Urgrund, Sinn und Ziel des Universums – der Blick auf das Was nicht erspart. Was ist das für eine Welt, wie ist sie konstruiert, nach welchen Gesetzen funktioniert sie? Und was geschah und geschieht im Lauf der Evolution? Wohin bewegt sich diese Welt? Die Welt »anschauen«, das dürfte die Voraussetzung jeder »Weltanschauung« sein. Und ein »Weltbild« kommt nicht umhin, sich ein »Bild von der Welt« zu machen.

Zu diesem Buch

Der Autor, ehemals Mitglied des Jesuitenordens, setzt sich kritisch mit den konkurrierenden transzendentalen und säkularen Weltbildern auseinander. Bei ihrem Vergleich entdeckt er neben den Gegensätzen überraschende Parallelen, die auf einem gemeinsamen Denkmuster gründen.

Er stellt die Fragen: Wie entstehen Utopien, was macht ihren Charme aus, warum mussten die klassischen Utopien scheitern? Wie könnte eine Alternative aussehen?

Thomas Ebersberg, Jahrgang 1945, trat nach dem Abitur in den Jesuitenorden ein. Nach drei Jahren verließ er den Orden und studierte Pharmazie und Psychologie. 1987 veröffentlichte er die ironisch-polemische Zeitkritik »Zarte Stachel – Süße Ohrfeigen, Ein Kulturstrip ohne Scham und Traurigkeit«, 1990 »Abschied vom Absoluten, Wider die Einfalt des Denkens«, das Plädoyer für ein polares Weltbild, 2014 »Christentum adieu! Das leise Sterben eines Mythos«, die kritische Auseinandersetzung mit Inhalt, Geschichte und Auflösungserscheinungen des Christentums, und 2016 »Kritik des Manifests des evolutionären Humanismus «, in Form eines offenen Briefs an Michael Schmidt- Salomon.

Was ist die Welt, was ist der Mensch?

Die Struktur

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