Iris Seidenstricker

Der kleine
Taschencoach

Zufriedener arbeiten, glücklicher leben

Nie ist das menschliche Gemüt heiterer gestimmt,
als wenn es seine richtige Arbeit gefunden hat.

Wilhelm Humboldt

Von Beruf und Berufung

Stellen Sie sich vor: Sie haben eine Arbeit, die Sie mit Freude und Sinn erfüllt und die Ihnen genug Zeit lässt für das, was Ihnen beruflich und privat am Herzen liegt. »Zu schön, um wahr zu sein«, seufzen wahrscheinlich gerade die meisten von Ihnen – denn die Realität sieht häufig ganz anders aus. Viele Menschen gehen lustlos zur Arbeit oder empfinden sie gar als Belastung. Berufs- und Privatleben zu vereinbaren wird zunehmend schwieriger und der permanente Druck, im Job unter verschärften Bedingungen immer mehr erreichen zu müssen, raubt die letzten Kraftreserven. Man funktioniert zwar noch, doch an die Stelle von Leistungsbereitschaft, Motivation und Lebensfreude sind Gereiztheit, Energielosigkeit und Niedergeschlagenheit getreten. Nun hat unser Beruf zwar keineswegs die Verpflichtung uns rundum froh und heiter zu stimmen, aber er darf uns auch nicht auslaugen oder gar krank machen.

Wenn Sie mit Ihrer Arbeit unzufrieden sind, dann sind Sie nicht allein. Studien zur Arbeitszufriedenheit deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sprechen eine deutliche Sprache: Rund 80 Prozent fühlen sich in ihrem Job nicht (mehr) wohl und bewegen sich zwischen innerer Kündigung und Dienst nach Vorschrift. Zahlen, die nachdenklich stimmen, denn als Berufstätige verbringen wir immerhin gut 75 Prozent der Zeit, in der wir nicht schlafen, mit unserer Arbeit und allem, was damit zusammenhängt. Das klingt nach einem Leben, das fast nur aus Arbeit besteht. Stimmt. Und doch ist das keine schreckliche Vorstellung, solange wir uns dabei auch ein Stück weit selbst verwirklichen können und als Ausgleich für unsere eingesetzte Lebenszeit und Leistung Wertschätzung erfahren, die uns zufrieden und glücklich macht. Ist dies der Fall – wunderbar. Sehen wir dagegen keinen Sinn (mehr) in der Tätigkeit, die wir ausüben (übrigens das größte Risiko, an einem Burnout zu erkranken!), büßen wir auf Dauer Lebensfreude ein und setzen damit sogar unsere Gesundheit aufs Spiel. Chronische Frustration am Arbeitsplatz macht krank. Wir müssen, um wieder zufriedener zu werden, dauerhaft etwas verändern.

Zufriedenheit hängt immer mit Einverständnis zusammen – einverstanden sein mit dem, was das eigene Leben ausmacht. Genau das ist Berufung im weiteren Sinn. Berufung bedeutet, seinen Platz im Leben zu finden bzw. gefunden zu haben. Jenen Ort, an dem man sich richtig, willkommen und gebraucht fühlt, »wo sich meine Begabungen, Wünsche und Sehnsüchte mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen«, wie Aristoteles ihn beschrieb.

Wo ist für Sie dieser Ort? Sind Sie schon bei ihm angekommen? Suchen Sie ihn noch?

Bevor Sie sich auf den Weg machen, sollten Sie Ihren Wünschen, individuellen Fähigkeiten, Begabungen und Leidenschaften nachspüren. Unterwegs werden Sie dann manche erstaunliche Entdeckung machen. Zum Beispiel die, dass Sie gar nicht so weit von Ihrem Ziel entfernt sind, wie Sie womöglich glauben. Vielleicht muss es ja gar nicht der große berufliche Neustart sein. Vielleicht lassen sich auch im vertrauten Arbeitsumfeld wesentliche Verbesserungen und Veränderungen schaffen. Vielleicht verändern Sie gar nicht den Job selbst, sondern Ihre Einstellung zu ihm. Vielleicht gibt es außerhalb Ihres Berufs eine Tätigkeit, die Sie so mit Sinn erfüllt, dass Sie mit der Kraft, die Sie daraus schöpfen, auch wieder gern in Ihrem Job arbeiten.

Wohin auch immer Ihr persönlicher Entwicklungsprozess Sie führt – durch den bewussten Umgang mit Ihren Wünschen und Hoffnungen legen Sie die Grundlage für mehr Freude, Wohlbefinden und Zufriedenheit in Ihrem Leben. Aber was noch viel wichtiger ist: Sie schenken sich das Staunen über sich selbst – jenen kostbaren Augenblick, in dem Sie sich ganz neu kennenlernen können.

Arbeitsfrust und Arbeitslust

Tue, was du willst. Oder lerne lieben, was du tust.

unbekannt

Der Abend in den Bergen

Eine Managerin, die in einer tiefen beruflichen Krise steckte, besuchte ein Outdoor-Seminar zum Thema Persönlichkeitsentwicklung. Drei Tage lang streifte sie mit den anderen Teilnehmern durch den Wald, pflückte Beeren und fing Fische. Beim abendlichen Lagerfeuer erzählten die anderen von ihren Lebenswegen und Lebensentscheidungen. Die Managerin hörte zu und schwieg. Am zweiten Abend, als sie mehr Vertrauen zu der Gruppe gefasst hatte, erzählte auch sie von sich: »Mein Job frisst mich auf. Seit Jahren schaffe ich es nicht, eine Beziehung aufzubauen oder körperlich etwas für mich zu tun. Lange habe ich mich mit meiner Arbeit sehr gut gefühlt, sie war so etwas wie die Liebe meines Lebens. Aber allmählich verschwand dieses gute Gefühl und mittlerweile ist mein Leben ohne Freude. Ich muss mich zu allem überwinden, es gibt nichts, worauf ich noch Lust habe.« Ratlos zuckte sie die Achseln. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Schließlich bin ich erfolgreich in meinem Job, er ist sicher und gut bezahlt.«

Der Seminarleiter zupfte leise auf seiner Gitarre und stimmte ein Lied an. Die anderen Teilnehmer sangen oder brummten mit. Da sie sich in den Bergen in einem kleinen Tal befanden, hallte der Gesang wider und ergab ein wunderschönes Echo. Plötzlich legte der Seminarleiter die Gitarre zur Seite und begann laut und ärgerlich über den schlechten Gesang zu schimpfen. Auch das kam als Echo zurück und die Gruppe sah sich erschrocken und irritiert an.

»Entscheidend bei allem, was wir tun, ist wie wir es tun«, sagte der Seminarleiter zur Managerin gewandt. »Jede Tätigkeit gibt uns wie ein Echo die Energie zurück, die wir in sie investiert haben. Wenn uns eine Aufgabe zur Last geworden ist und wir uns nur noch widerwillig mit ihr befassen, dann wird uns auch unsere Arbeit keine guten Energien mehr senden. Vielleicht ist es dann tatsächlich Zeit für etwas anderes. Wenn du unzufrieden bist, hast du die Wahl zwischen drei Möglichkeiten. Du kannst

  1. alles so lassen, wie es ist, und es akzeptieren.
  2. in der Situation bleiben, aber prüfen, was du verändern kannst.
  3. einen Neuanfang in einem anderen Job wagen, der dir vielleicht weniger Gehalt bietet, aber dafür mehr Lebensfreude und Lebensqualität.«

Damit die Menschen bei ihrer Arbeit glücklicher sind, bedarf es dieser drei Dinge: Sie müssen fit für die Arbeit sein; sie dürfen nicht zu viel arbeiten; sie müssen ein Erfolgsgefühl daraus ziehen können.

John Ruskin

Gut zu wissen:
Was wir bei unserer Arbeit brauchen

Ob wir als Führungskraft, Teamassistentin oder im Außendienst tätig sind – als Menschen haben wir bezüglich unserer Arbeit alle die gleichen Bedürfnisse. Wir möchten nicht einfach eine Arbeit »verrichten« – wir möchten etwas leisten, Erfolg haben und Wertschätzung erfahren. Wir möchten einen Sinn erkennen in dem, was wir tun. Und wir brauchen Sicherheit. Wird auch nur eines dieser Bedürfnisse verletzt, laufen wir langfristig Gefahr, demotiviert oder sogar krank zu werden.

Wertschätzung erleben wir in Form von Anerkennung für eine Leistung und durch den höflichen und respektvollen Umgang mit uns. Wertschätzung schenken wir uns selbst, wenn wir das angenehme Gefühl, ein Ziel erreicht und einen Erfolg eingefahren zu haben, genießen.

Sinn empfinden wir, wenn wir uns als Teil eines Ganzen verstehen, z. B. weil wir mit unserer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Oder wenn wir eine Aufgabe haben, mit der wir uns identifizieren und die wir für sinnvoll und wichtig halten. Das gilt auch für ein Ehrenamt. Der Sinn kann aber auch darin bestehen, dass wir mittels der Arbeit unseren Lebensunterhalt verdienen und uns Dinge kaufen können, die wir gerne haben möchten, oder dass wir die Möglichkeiten erkennen, die die Arbeit für unsere persönliche Weiterentwicklung bietet.

Sicherheit bedeutet, sich bei der Arbeit wohlzufühlen und ein gutes Verhältnis zu seinen Vorgesetzten und Kollegen zu haben. Sicherheit zeigt sich ganz wörtlich genommen auch darin, einen Arbeitsplatz zu haben, an dem sich gefahrlos arbeiten lässt. Und in dem Gefühl, der eigenen Arbeit gewachsen zu sein und sie bewältigen zu können.

Ob man den Beruf nur ausübt, um Geld zu verdienen, oder ob die Arbeit Freude bereitet, weil man sie sinnvoll findet, entscheidet, ob man Sklave oder König ist.

Max Lüscher

Impuls: Meine Arbeit und ich

Sie fragen sich, ob Sie beruflich das Richtige machen? Sie wünschen sich eine Veränderung? Dann nehmen Sie sich eine Stunde Zeit und analysieren Sie mit Hilfe der folgenden Fragen, welches Verhältnis Sie zu Ihrer Arbeit haben.

Lassen Sie die Antworten eine Zeit lang auf sich wirken und lesen Sie dann bei »Gut zu wissen: Wann akzeptieren? Wann verändern?« (Seite 39) weiter.

Meiner Ansicht nach bin ich reich wie ein Krösus – nicht an Geld, aber reich, weil ich in meiner Arbeit etwas gefunden habe, dem ich mich mit Herz und Seele widmen kann und das mich inspiriert und meinem Leben einen Sinn gibt.

Vincent van Gogh

Drei Antworten

Ein Journalist recherchierte Berufe, die in der Gesellschaft wenig Ansehen genießen. Ihn interessierte, welche Einstellung die Menschen haben, die täglich eine solche Arbeit machen müssen. Auf seiner Liste standen u. a. die Städtische Müllabfuhr und Reinigungsfirmen. Er beschloss, zunächst die Müllwerker zu befragen, und wartete am Dienstag auf den großen Wagen, der durch sein Viertel fuhr. »Entschuldigen Sie, wenn Sie beschreiben müssten, was Sie hier tun, was würden Sie dann sagen?«, fragte er den ersten der drei Männer, die gerade die Tonnen aus den Hauseingängen zum Müllwagen zogen. »Den Dreck anderer wegräumen«, war die schlechtgelaunte Antwort. Der zweite Mann antwortete auf seine Frage: »Na was wohl? Geld verdienen.« Der dritte Mann aber, der gerade einen leeren Müllcontainer zurück in den Hauseingang schob, rief heiter: »Ich sorge dafür, dass die Menschen sich dort, wo sie wohnen, wohlfühlen.«

Geld kann etwas anfachen, aber es kann nicht alleine und auch nicht für sehr lange brennen.

Igor Strawinsky

Gut zu wissen:
Was wirklich motiviert

Was ist es, was uns Menschen antreibt? Was motiviert uns dazu, jeden Morgen aufzustehen, zur Arbeit zu gehen, dort Höchstleistungen zu vollbringen und nicht selten Ärger und unangenehme Situationen durchzustehen? Umfragen belegen immer wieder: Geld allein – sofern ausreichend davon vorhanden ist, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen – führt nicht zu mehr Motivation und Zufriedenheit. Viel wichtiger sind für die meisten Menschen Dinge, die sich nicht in barer Münze auszahlen lassen. Dazu zählen ein kollegiales, wertschätzendes Arbeitsumfeld und insbesondere eine erfüllende Arbeit. Auch ein guter, fördernder und mit Lob nicht geizender Vorgesetzter sowie genügend Eigenverantwortung innerhalb des Aufgabenbereichs sind entscheidende Kriterien.

Wenn Menschen eine Vision haben und gleichzeitig erkennen, was Schritt für Schritt konkret zu ihrer Verwirklichung getan werden kann, schöpfen sie Mut und ihre Angst weicht der Begeisterung.

Erich Fromm

Impuls: Wie kann ich mich (neu) motivieren?

Um motiviert zu sein, müssen wir einen Sinn in dem erkennen, was wir tun. Ihn zu finden ist aber nicht immer einfach. Vor allem dann nicht, wenn wir mit existentiellen Herausforderungen wie z. B. dem Verlust des Arbeitsplatzes konfrontiert werden oder wurden. Man kann in einer solchen Situation resigniert die Flügel hängen lassen – man kann aber auch nach einer Zeit der Wut, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung oder auch Trauer die neue Lebenssituation als Chance betrachten. Vielleicht findet man jetzt einen Arbeitsplatz, der den eigenen Fähigkeiten viel besser entspricht? Oder an dem man sich wohler fühlt? Sinn ist immer eine Frage der Perspektive: Was ist das Gute an der jetzigen Situation? Welche Möglichkeiten stecken darin? Wozu könnte diese Erfahrung dienen?

Um dies beantworten zu können, müssen wir unsere Wünsche und Fähigkeiten, unsere Sehnsüchte und Werte kennen. Mit Hilfe der folgenden Fragen kommen Sie ihnen auf die Spur:

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Albert Einstein

So will ich arbeiten und leben

Die Arbeit wird einen großen Teil eures Lebens ausmachen, aber ihr werdet nur dann wirklich Großes leisten, wenn ihr liebt, was ihr tut. Also sucht, bis ihr diese Arbeit findet! Lasst nie nach!

Steve Jobs