Ralph Ardnassak

Embedded Journalist

Dritter Band

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

Impressum neobooks

I

 

Der Mensch ist ein tapferes Tier…

Die Scheußlichkeiten, übermenschlichen

Qualen, untermenschlichen Todesarten

des Krieges sind ihm kein Einwand

gegen das Opfer seiner eigenen Exi-

stenz…

 

(Arnold Zweig)

 

 

 

 

Hochwohlgeborener,

das, was Tod genannt wird,

tritt nun ein.

Du erfährst jetzt

den Glanz des erhellenden Lichts

der reinen Wahrheit.

 

(Das Bardo Thödröl, auch Tibetisches Totenbuch)

 

Am hohen Himmel von Klein Ehringen zogen die Wolken vorüber wie die Träume der Menschen am Zenit ihres Lebens.

Man ist bestrebt, aufzustehen, um nach ihnen zu greifen, nach den Wolken wie den Träumen. Und meist wird man feststellen, dass beide unerreichbar bleiben und man nur Gefahr läuft, dabei auf die Nase zu fallen.

So bleibt man lieber sitzen, um die Wolken ziehen zu lassen und sie wehmütig dabei zu betrachten. Ebenso, wie man die meisten seiner Träume ziehen lassen muss, um sie von ferne mit Wehmut anzuschauen.

Sagen Sie, woher kommt eigentlich der Name Ava? Das ist doch ein typisch amerikanischer Name. Er erinnert mich an Ava Gardner.“

Es ist ein afghanischer Mädchenname. Mein Vater gab ihn mir, bevor er starb. Meinen richtigen Namen kannte niemand.“

Er hat also noch eine Weile gelebt?“

Ja, er war schwer verwundet. Man hatte mich auf seine Beine gesetzt. Und er konnte mir dieses Amulett umhängen, das ihm meine Mutter mit nach Afghanistan gegeben hatte. Jenes Amulett, das sie in Jerusalem auf jenen roten Stein in der Grabeskirche gelegt hatte. Jenen Stein, von dem es hieß, der tote Leib Christi habe darauf gelegen, während Maria ihn nach der Kreuzesabnahme salbte.

Mein Vater hat das Amulett bis zu seiner Verwundung getragen. Dann hat er es mir umgehängt, damit es mich beschützt und damit meine Mutter mich hier in Deutschland daran erkennen sollte. Ich trage es noch heute. Schauen Sie, hier!“

Sie öffnete ihre Bluse am Hals und zeigte ihm eine kleine und flache Schnecke aus rotem Stein, die sie an einem dicken ledernen Band um den Hals trug.

Was bedeutet Ava?“, wollte Rainer Matthes jetzt wissen.

Es ist ein alter persischer Frauenname. Er ist im Iran und in Tadschikistan und in den anderen persischsprachigen Gebieten weit verbreitet. Mein Vater sagte damals zu den Sanitätern, das Kind soll Ava heißen, während ich auf seinen Oberschenkeln saß und spielte. Dann hing er mir dieses Amulett um.“

Und kurz darauf starb er an seinen Verwundungen?“

Ja!“

Und sie wurden dann nach Deutschland gebracht und von ihrer heutigen Mutter adoptiert, weil er es so wollte?“

Ja, so war es in etwa!“

Warum aber hat er sie ausgerechnet Ava genannt?“

Ich weiß es nicht und das ist rein spekulativ, aber vielleicht haben ihn meine dunklen Haare und meine dunklen Augen an Ava Gardner erinnert? Vielleicht war es auch der geläufigste afghanische Mädchenname, den er kannte? Viele Mädchen sollen in der Gegend, in der er damals mit seiner Einheit unterwegs war, Ava geheißen haben.“

War es damals einfach für Sie, aus Afghanistan auszureisen und in Deutschland adoptiert zu werden?“

Nein, ich war damals zunächst eine Waise und wurde in einem Heim untergebracht. Nachdem meine Mutter aber vom Tod meines Vaters und den Umständen dieses Todes und von mir erfahren hatte, ließ sie mich suchen. Und so kam ich schließlich nach Deutschland und konnte von meiner Familie adoptiert werden. So, wie mein Vater es vor seinem Tode verfügt hatte.“

Haben Sie irgendwelche Erinnerungen an diese Zeit?“

Nein, gar nicht! Meine frühesten Erinnerungen stammen bereits aus meiner Zeit hier in Deutschland! Ich entsinne mich daran, wie ich mit meiner Schwester spielte und immer weinte, wenn sie in die Schule musste und ich mit Mutter allein zu Hause blieb. Ich glaube, ich litt sehr unter Verlustängsten.“

Ok, bleiben wir aber bei Ihrem Vater! Er war lange arbeitslos und bislang stets im Vertrieb oder in kaufmännischen Positionen tätig gewesen. Wie kam er an die Pressearbeit? Wie wurde er Journalist?“

Er hatte Germanistik studiert und schon während seiner Studentenzeit Artikel für ein kleines Anzeigenblatt geschrieben, für eine lächerlich geringe Bezahlung. Er hat es nicht des Geldes wegen getan, sondern weil es ihm Spaß bereitet hat und weil seine Artikel bei den Lesern gut angekommen sind. Immer penibel genau recherchiert, von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet und stets auch wenig sozialkritisch.

Während seiner Arbeitslosigkeit hat er sich natürlich bei allen möglichen regionalen Blättern beworben und auch Arbeitsproben eingeschickt. Aber niemand wollte ihn. Keine Beziehungen! Beziehungen waren alles, was zählte! Immer wieder wurde er von anderen Mitbewerbern ausgestochen und rechts überholt, die über die besseren Beziehungen verfügten und jünger waren. Seine gute Schreibe hat ihm letztendlich nicht genützt! Es hat ihn unsäglich verbittert, dass es Leute gab, die miese Artikel schrieben und die dennoch genommen wurden.

Er bekam dann kein Geld vom Arbeitsamt mehr. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich selbständig zu machen. Er bewarb sich als freiberuflicher Journalist bei verschiedenen Online-Medien, aber auch bei Printmedien. Da musste man sehr flexibel sein, den es ging nicht nur um bestimmte redaktionelle zum Thema Innen- oder Außenpolitik. Das ging querbeet, wie meine Mutter mir erzählte. Artikel über Energie- und Arbeitsmarktpolitik, Artikel über Finanzen, Anlagetipps, Analysen zum Thema Goldpreis, Außenpolitisches und natürlich immer wieder Werbetexte, Pressemitteilungen über die Neueröffnung von irgendwelchen Firmen in München, Augsburg und sonstwo, Nachrichten und so weiter.

Die Bezahlung war natürlich jämmerlich, 3 bis 4 Pfennige pro Wort. Brutto versteht sich, also vor Steuern und meist hat er 15 Stunden und länger pro Tag am PC gesessen und getextet.

Aber er wurde gebraucht und hat ein wenig verdient, was zumindest reichte, um seine Krankenversicherung zu bezahlen und meine große Schwester ein wenig zu unterstützen, die damals nach Berlin gegangen war, um Betriebswirtschaft zu studieren. Er hat dann sogar vom Journalistenverband den Presseausweis bekommen und konnte nun auch außer Haus professionell recherchieren.

Genutzt hat ihm das alles wieder nichts. Es ging acht oder neun Monate gut, dann gingen viele Auftraggeber quasi über Nacht pleite. Werbetexte waren auf einmal nicht mehr gefragt. Der Markt scheinbar übersättigt. Oder die Unternehmen waren auf die Idee gekommen, ihre Texte durch Studenten oder Praktikanten einfach selber schreiben zu lassen, um die paar Pfennige für die externen Texter auch noch einzusparen.

Als sein Hauptauftraggeber, irgendeine Agentur aus dem Süddeutschen plötzlich über Nacht von ihren freiberuflichen Autoren verlangt hat, eine bestimmte Software für einige tausend Mark bei der Agentur zu kaufen, um auf diese Weise angeblich die Qualität der abgelieferten Texte sicherzustellen, hat sich mein Vater natürlich geweigert. Es war schließlich vollkommen offensichtlich, dass es sich hierbei nur um Abzocke der Autoren handelte. Natürlich hat er von dem Punkt an überhaupt gar keine Aufträge mehr erhalten, wie alle anderen Autoren auch, die die Software nicht gekauft haben!

Da ist dann eine Welt für ihn zusammen gebrochen und er hatte wohl richtig Existenzangst!

Als Arbeitnehmer im Angestelltenverhältnis keine Chance und als Freiberufler waren ihm nun auch sämtliche Standbeine, die er sich mühsam aufgebaut hatte, weggeschlagen!

Was sollte er noch tun? Da gab es nicht mehr viel zu tun! Einstellen wollte ihn niemand und seine Texte und Artikel wollte auch keiner haben, sondern lediglich sein Geld!

Mutter sagte, sie hatte damals richtig Angst um ihn. Es hätte sie nicht verwundert, wenn er damals Schluss gemacht hätte! Gerade er, ein zeitlebens nur auf Erfolg getrimmter Mensch!

Er sagte oft zu meiner Mutter, er käme sich vor wie ein Jude im Dritten Reich! Er käme sich vor wie jemand mit Berufsverbot! Und es half ihm ja auch niemand! Alle waren nur damit beschäftigt, mit dem eigenen Arsch möglichst schnell an die Wand zu kommen und die eigenen paar Scherflein ins Trockene zu bekommen.

Er war wirtschaftlich durch die Gesellschaft praktisch zum Tode verurteilt worden, wie er sich auszudrücken pflegte!

Da gab es kein Drumherumgerede! Es war nun einmal so! Und wie seine Rente dann einmal ausfallen würde, das konnte er sich ja gleich an seinen zehn Fingern abzählen!

Es war gar kein Wunder, dass ein auf diese Weise von der Gesellschaft kalt gestellter Mensch seines Bildungsniveaus irgendwann verzweifeln oder sogar radikal werden würde!

Er las sehr viel üäöäüäüä