Paul Heyse

Barbarossa

Paul Heyse

Barbarossa

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-13-6

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Barbarossa

(1869)

Nur einen Tag hat­te ich dro­ben in den Ber­gen blei­ben wol­len, und aus dem einen Tag wur­den zwei Wo­chen, die mir in dem hoch­ge­le­ge­nen, ver­fal­le­nen Nest auf der Gren­ze des Al­ba­ner- und Sa­bi­ner­ge­birgs – den Na­men darf ich nicht nen­nen – ra­scher ver­gin­gen, als oft im bun­ten Ge­tüm­mel großer Städ­te. Was ich ei­gent­lich den lie­ben lan­gen Tag an­fing, wüss­te ich kaum zu sa­gen. In Rom hat­te mich ein Heiß­hun­ger nach Ein­sam­keit über­fal­len; den konn­te ich hier stil­len, nach Her­zens­lust. Es war im ers­ten Früh­ling, das Laub der Kas­ta­ni­en glänz­te in der üp­pigs­ten Fri­sche, die Schluch­ten wa­ren voll Vo­gel­ge­sang und Quel­len­rau­schen, und da erst kürz­lich eine große Räu­ber­ban­de, die die­se Wild­nis un­si­cher ge­macht, zum Teil auf­ge­ho­ben, zum Teil in die Abruz­zen ge­jagt wor­den war, konn­te ein ein­sa­mer Wan­de­rer die ver­lo­rens­ten Klip­pen­we­ge sor­gen­frei er­klet­tern und sich un­ge­stört den tief­sin­nigs­ten Be­trach­tun­gen hin­ge­ben.

Mit den deut­schen Ma­lern, die in an­sehn­li­cher Zahl die bei­den elen­den Her­ber­gen des Städt­chens be­völ­ker­ten, hat­te ich je­den Ver­kehr von vorn­her­ein ver­mie­den, und das Be­dürf­nis, dann und wann sei­ne ei­ge­ne Stim­me zu hö­ren, das auch den Ein­sied­ler treibt, mit sei­nen Haus­tie­ren zu plau­dern, be­frie­dig­te ich zur Ge­nü­ge im ei­ge­nen Hau­se. Ich wohn­te näm­lich bei dem Apo­the­ker des Or­tes, der mit mei­nem sehr man­gel­haf­ten Ita­lie­nisch die größ­te Nach­sicht hat­te. Er ent­schä­dig­te sich frei­lich für sei­nen Auf­wand an Ge­duld, in­dem er die mei­ni­ge häu­fig miss­brauch­te; denn bald nach­dem die ers­te Fremd­heit über­wun­den war, schüt­te­te er ein rei­ches Füll­horn ei­ge­ner Ver­se über mich aus und ge­stand mir, dass er trotz sei­ner Fün­fund­fünf­zig noch im­mer die­se Kin­der­krank­heit nicht ganz los­wer­den kön­ne. Was wollt Ihr? sag­te er. Wenn ich Abends so ans Fens­ter tre­te, und der Mond kommt über die Fel­sen her­auf, und die Leucht­kä­fer flie­gen über mein Gärt­chen – eine Bes­tie müss­te ich sein, wenn ich nicht zu dich­ten an­fin­ge! – Er war auch sonst durch­aus kei­ne Bes­tie, der gute Si­gnor An­ge­lo, den sei­ne Freun­de we­gen ei­ner na­tür­li­chen Ton­sur, ei­nes Kran­zes schwar­zer Här­chen, der auf dem spie­gelblan­ken Kahl­kopf ste­hen ge­blie­ben war, scherz­wei­se Fra An­ge­li­co nann­ten. Aus sei­nem Ge­burts­ort war er frei­lich nur zwei­mal in sei­nem Le­ben hin­aus­ge­kom­men, bei­de Mal nur bis Rom. Aber Rom ist die Welt, pfleg­te er zu sa­gen. Wer Rom ge­se­hen hat, hat Al­les ge­se­hen. Und so sprach er denn auch über Al­les, teils nach der sehr bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Kennt­nis, die er ei­ni­gen zu­fäl­lig er­wi­sch­ten Bü­chern ver­dank­te, teils mit der Kühn­heit ei­ner un­ge­zü­gel­ten Dich­ter­fan­ta­sie. Von den Ho­no­ra­tio­ren, die sich nach echt ita­lie­ni­schem Brauch ge­gen Abend in sei­ner Apo­the­ke zu ver­sam­meln pfleg­ten – der Pfar­rer, der Schul­meis­ter, der Chir­urg, der Steuer­ein­neh­mer und ei­ni­ge amt­lo­se Be­ne­stan­ti, de­nen man die rei­che Oli­ven- und Wei­nern­te des letz­ten Jah­res am Ge­sicht an­sah – von all die­sen Bie­der­män­nern wi­der­sprach Nie­mand dem Fra An­ge­li­co, zu­mal wenn er, ehe er eine län­ge­re Rede hielt, sei­ne große sil­ber­ne Bril­le am Rock­är­mel putz­te und dann an­fing: Ecco, si­gno­ri miei, die Sa­che ver­hält sich so! – Bei al­le­dem war er die bes­te, harm­lo­ses­te See­le von der Welt und der lie­bens­wür­digs­te Haus­wirt, den man nur wün­schen konn­te, wenn man kei­ne Wün­sche hat­te, die über ein har­tes Bett und zwei wa­ckel­bei­ni­ge Rohr­stüh­le hin­aus­gin­gen. Mich lieb­te er, ob­wohl – oder viel­leicht weil er kei­ne Ah­nung hat­te, dass er einen Bru­der in Apoll be­her­berg­te. Ich war so klug, für ihn nichts wei­ter als ein dank­ba­res Pub­li­kum zu sein und erst beim vier­und­zwan­zigs­ten So­nett ihm sanft die Hand auf den Arm zu le­gen und zu sa­gen: Bra­vo, Sor An­ge­lo! Aber ich fürch­te, es wird des Gu­ten zu viel. Eure Poe­sie, wisst Ihr, ist stark und steigt zu Kopf. Mor­gen füllt Ihr mir ein neu­es Fias­ko aus Eu­rer Hip­po­kre­ne. – Worauf er je­des Mal mit der gut­mü­tigs­ten Mie­ne sein Heft zu­mach­te und sag­te: Was hül­fe es auch, wenn ich Euch ein Jahr lang Nacht für Nacht in Schlaf läse? Ich wür­de doch nicht fer­tig. Hier steckt noch ein Perù! – Und da­bei schlug er sich ge­gen die blan­ke Stirn, seufz­te, bot mir eine Pri­se an und wünsch­te mir gute Nacht.

Die meis­ten die­ser Ge­dich­te wa­ren na­tür­lich ver­lieb­ter Art, und wenn der klei­ne Mann sie mit fun­keln­den Au­gen und dem gan­zen Pa­thos sei­ner Lands­leu­te re­zi­tier­te, ver­gaß man leicht sei­ne fünf­und­fünf­zig Jah­re. Den­noch leb­te er als Jung­ge­sel­le mit ei­ner al­ten Magd und ei­nem Bur­schen, der ihm bei sei­nen Sal­ben und Tränk­chen an die Hand ging, und es muss­te auf­fal­len, dass er, bei sei­ner Nei­gung zu al­lem Schö­nen und sei­ner Wohl­ha­ben­heit, we­der, wie ich hör­te, je­mals ver­hei­ra­tet ge­we­sen war, noch jetzt, in der Nach­blü­te sei­ner Herbst­ta­ge, ge­neigt schi­en, das Ver­säum­te nach­zu­ho­len. Als ich ihn ei­nes Abends, da wir bei ei­nem gu­ten Land­wein rau­chend bei­sam­mensa­ßen, scherz­haft um die Ur­sa­che be­frag­te, wes­halb er es mit sei­nem mön­chi­schen Spitz­na­men so ernst neh­me, und ob kei­nes der schö­nen Mäd­chen, die täg­lich an sei­nem La­den vor­bei­gin­gen, sein Herz zu rüh­ren ver­mö­ge, sah er plötz­lich mit ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Aus­druck vor sich hin und sag­te: Schö­ne Mäd­chen? Nun ja; sie mö­gen nicht so übel sein. Und auch der Ehe­stand mag bes­ser sein, als sein Ruf. Aber ich bin zu alt für eine Jun­ge, und für eine Alte noch zu jung, will sa­gen, zu sehr Poet. Je äl­ter der Vo­gel ist, de­sto un­ger­ner lässt er sich rup­fen. Und dann seht, Freund­chen, ich hab’ ein­mal Eine mäch­tig gern ge­habt, die mich nicht ge­mocht hat, Eine, sag’ ich Euch, wie kei­ne wie­der kommt. Nun bin ich denn auch zu stolz, oder wie soll ich’s nen­nen, so bloß vor­lieb zu neh­men, wenn mich eine Ge­rin­ge­re möch­te, von de­nen eben zwölf ein Dut­zend ma­chen. Lie­ber träu­me ich mir so in Ver­sen ein Glück zu­sam­men und fan­ta­sie­re mir eine voll­kom­me­ne Schön­heit vor aus hun­dert man­gel­haf­ten, wie der grie­chi­sche Ma­ler – Apol­li­nes hieß er ja wohl? – der zu sei­ner Ve­nus von die­ser Nach­ba­rin die Au­gen, von je­ner die Nase und so fort sich über­all das Bes­te stück­wei­se zu­sam­men­such­te. Die aber, die das Al­les ver­ei­nig­te und so schön war, dass Ihr’s gar nicht glaubt, wenn ich’s Euch sage, die hat ihre Schön­heit schwer be­zah­len müs­sen, und We­ni­ge wis­sen die Ge­schich­te so ge­nau, wie ich, ob­wohl je­der von den äl­te­ren Leu­ten hier im Ort, den Ihr nach der Er­mi­nia fra­gen mögt, mir be­zeu­gen wird, dass sie ein Wun­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­