Schöne Lesestunden
wünscht herzlichst
Petra Durst-Benning
Das Buch
Württemberg im Jahr 1804: Die Graauws sind eine der angesehensten Familien der ganzen Gegend. In ihrer sich seit Generationen im Familienbesitz befindlichen Saline verdienen zahlreiche Menschen ihr Brot. Selbstverständlich bekommt der einzige Sohn Georg die Leitung des Salzabbaus übertragen, obwohl seine kluge, tatkräftige Schwester Dorothea sich weit mehr für das Geschäft interessiert. Ein Studienfreund begeistert Georg von der Idee, die Saline zu einem Heilbad umzubauen. Dorothea jedoch wehrt sich mit aller Macht dagegen. Als der Vater während einer längeren Reise des Bruders stirbt, reißt sie die Leitung des Familienunternehmens an sich. Denn ihr Traum ist der bergmännische Abbau von Salz. Aber dann geschieht ein schreckliches Unglück, das alles verändert … Die Salzbaronin ist eine eindrucksvolle Familiensaga um das »weiße Gold« und ein fesselnder Bericht aus einer Zeit, in der durch den Mut und Erfindungsreichtum einzelner die Grundlagen für unsere heutige Welt gelegt wurden.
Petra Durst-Benning hat extra für diese Ausgabe das Märchen vom Salz neu erzählt.
Die Autorin
Petra Durst-Benning, 1965 in Baden-Württemberg geboren, lebt als freie Autorin südlich von Stuttgart auf dem Land. Mit ihren historischen Romanen Die Zuckerbäckerin, Die Glasbläserin und Die Amerikanerin ist sie in die erste Reihe deutscher Bestsellerautorinnen aufgestiegen. Die Gesamtauflage ihrer Bücher liegt inzwischen bei zwei Millionen.
Von Petra Durst-Benning sind in unserem Hause außerdem erschienen:
Die Glasbläserin
Die Amerikanerin
Das gläserne Paradies
Antonias Wille
Die Liebe des Kartographen
Die Samenhändlerin
Die Silberdistel
Die Zuckerbäckerin
Das Blumenorakel
Die Zarentochter
Die russische Herzogin (HC-Ausgabe)
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Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Januar 2010
2. Auflage 2011
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004
© 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG
© 2000 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München
Titelabbildung: © Portrait of Catherine Lucy/Sir Godfrey Kneller/
Private Collection/Photo © Christie’s Images/
The Bridgeman Art Library
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
eBook-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
eBook ISBN 978-3-8437-0411-3
Liebe Leserinnen und Leser,
Natürlich stehen im Mittelpunkt meiner Geschichten vor allem spannende Menschen, das ist auch in diesem Buch nicht anders! Die Salzbaronin ist eine unglaublich starke Frau, die ihrer Zeit einen großen Schritt voraus ist, die ihren Weg geht, unbeirrt, die strauchelt, sich wieder aufrappelt und weiterläuft, koste es, was es wolle.
Darüber hinaus erzählt das Buch von schwäbischem Erfindergeist, von Leidenschaften und Visionen und davon, dass es immer nur wenige sind, die das Rad der Geschichte weiterdrehen.
Es geht aber auch um … Salz.
Als ich mit meinen Recherchen begann, erlag ich sehr rasch der Faszination von Salz. Ich wollte immer mehr erfahren über das machtvolle Salz, um das sich so viele Mythen und Märchen ranken.
Heute ist Salz für ein paar Cent in jedem Supermarkt zu haben – früher nannte man es jedoch ehrfuchtsvoll »das weiße Gold«.
Salz … In vergangenen Zeiten wurden ganze Wälder abgeholzt, um damit in den Salinen die Öfen zu befeuern, es wurden Kriege geführt, das weiße Gold brachte Reichtum und Städte zum Erblühen. Seit jeher hatten die Menschen eine starke, fast ehrfürchtige Beziehung zum Salz: Es ist lebensnotwendig und somit wertvoller als das teuerste Edelmetall oder das seltenste exotische Gewürz.
»Das Salz in der Suppe«, »Jemandem die Suppe versalzen«, – ums Salz ranken sich viele Sprichwörter, Mythen und so mancher Aberglaube. Bei einem umgestoßenen Salzfass zählte die Hausfrau früherer Zeiten angstvoll die verschütteten Körner: So viele Tränen würde sie weinen müssen. So viele Prügel würde die Magd beziehen. So viele magere Jahre würden der Familie ins Haus stehen.
»Ihr seid das Salz der Erde« steht in der Bibel, wenn jemand ein neues Heim bezieht, schenken die Gäste ihm Brot und Salz – ein schöner Brauch.
Schön finde ich auch das Märchen vom Salz! Dieses Märchen lässt sich bis ins Jahr 1135 zu Sir Geoffrey von Monmouth zurückverfolgen. Auch die Brüder Grimm haben eine Variante davon erzählt, Shakespeare hat das Motiv in seinem berühmten »König Lear« verwendet, darüber hinaus wird es in unzähligen Ländern in unterschiedlichsten Versionen weitergegeben.
Und hier folgt nun meine Version …
Das Märchen vom Salz
Es war einmal ein König, der drei Töchter hatte. Die erste war sehr hübsch und furchtbar eitel. Von früh bis spät drehte sich bei ihr alles nur um schöne Kleider, prunkvollen Schmuck und aufwendige Frisuren.
Mit all dem konnte ihre Schwester nicht viel anfangen, denn sie war ziemlich dick und nicht gerade besonders attraktiv. Sie war jedoch eine große Genießerin, ihre Leidenschaft waren Sahnetörtchen, Konfekt und edelste Liköre – davon konnte sie nicht genug bekommen!
Die jüngste der drei Schwestern war ein eher unscheinbares Wesen, das man nicht oft zu sehen bekam. Sie hielt sich meist in der Küche auf, um der Köchin oder dem Gesinde bei der Arbeit zu helfen. Natürlich wurde sie für diese Verrücktheit, die sich so gar nicht ziemte, von ihren Schwestern verspottet!
Eines Tages rief der König alle drei Töchter zu sich. Er war im Alter ein wenig sentimental geworden, von daher stellte er den drei jungen Frauen die Frage, wie lieb sie ihn hatten.
Die älteste Tochter schaute verdutzt drein, dann lachte sie auf.
»Vater, ich habe Sie so lieb wie die prachtvollsten Perlenketten, die herrlichsten Opalringe und Diamantcolliers obendrein!«
Der König, der um die Schmuckverliebtheit seiner Tochter wusste, nickte zufrieden.
Die zweitälteste Tochter hatte sich in der Zwischenzeit von einem bereitstehenden Teller ein Stück Konfekt gegriffen. Dieses schaute sie begierig an, dann sagte sie: »Liebster Vater, ich habe Sie mindestens so lieb wie die feinsten Schokoladen-Eclairs, die zartesten Trüffelpralinen und die süßesten Vanillekringel!«
Schon schob sie sich das Konfekt in den Mund.
»Und du?«, wandte sich der Vater an sein jüngstes Kind. »Wie lieb hast du mich?«
Das Mädchen schaute verlegen drein, anscheinend wollte ihr kein passender Vergleich einfallen. Die älteren Schwestern kicherten und der Vater schnaubte ungeduldig, als sie schließlieh anhob: »Allerliebster Vater – ich habe Sie so lieb wie das Salz!«
Das Entsetzen war groß: Die älteste Tochter verlor vor Aufregung ihre vornehme Blässe und lief im ganzen Gesicht rot an. Die mittlere Tochter verschluckte sich an ihrem Keks. Der Vater schüttelte fassungslos den Kopf.
»Wie kannst du undankbares Kind es wagen, mich mit etwas so wertlosem wie Salz zu vergleichen?«, brüllte er seine jüngste Tochter an, dann warf er sie in hohem Bogen aus dem Schloss. Den beiden andern schenkte er aber Schmuck und Schleckereien.
Das Gesinde war entsetzt, denn unter den Bediensteten war die jüngste Königstochter sehr beliebt. Die Köchin bot dem Mädchen ihre Küche als Unterschlupf an. Im Stillen nahm sie sich außerdem vor, ihrem Herrn eine Lektion zu erteilen, die er so schnell nicht mehr vergessen würde.
Schon am darauffolgenden Wochenende bot sich der Köchin eine Gelegenheit: Der König hatte zu einem großen Festbankett geladen, Herzöge, Barone und Adelsdamen folgten seiner Einladung und fanden sich erwartungsvoll an der Festtafel ein. Alle Gäste wussten, dass die Köchin des Königs eine Meisterin ihres Fachs war, von daher konnten sie es kaum erwarten, sich auf all die Köstlichkeiten zu stürzen.
Doch dann geschah etwas Unglaubliches: Die Gäste hatten die ersten Bissen gerade zu sich genommen, als sie angewiderte Grimassen zogen. Hier begann einer zu prusten, da spuckte ein anderer seine Speisen sogar wieder aus. Wie konnte es sein, dass herrlich aussehende Speisen so schrecklich schmeckten?
Bevor der König wusste, wie ihm geschah, verabschiedeten sich die ersten Gäste, nach kurzer Zeit saß er allein an seiner endlos langen Tafel.
Wutentbrannt stapfte er in die Küche, um seine Köchin zur Rede zu stellen.
»Ich habe nichts anderes getan, Hoheit«, antwortete die Frau, ohne ihren Blick zu senken. »als in allen Speisen das Salz wegzulassen, das Sie für wertlos halten.«
Und der König verstand: Ohne Salz war alles nichts wert. Kein König, kein Edelmann konnte ohne Salz sein.
Salz war heilig.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, meinen Lesern, Fans und Freunden, stets die richtige Prise Salz im Leben!
Ihre Petra Durst-Benning
Dieses Buch ist allen Frauen in meinem Leben gewidmet: meiner Mutter, Bettina und Inge, außerdem meinen Freundinnen und den Frauen, die mir tagtäglich mit soviel Sympathie und Begeisterung begegnen.
Vieles hat sich seit Dorothea von Graauws Zeit geändert – manches wird wohl immer beim alten bleiben. Wir gehen trotzdem unseren eigenen Weg!
»Wer wie ein Tölpel dem Leben hinterherrennt, kann nicht erwarten, daß das Leben in ihm selbst stattfindet.« Völlig unvermittelt fielen Rosa die Worte ihrer Mutter ein. Sie stand im Rahmen der Tür ihrer kleinen Hütte am Waldrand, und das erste, was sie an diesem Morgen hörte, waren die Stimmen der Salinenkinder, die jenseits der dichtgewachsenen Hecke spielten – ihr Schreien und Kreischen, wenn das Spiel, das sie gerade beschäftigte, zu wild zu werden drohte, vereinzelt ein Heulen, wenn einer sich im Eifer verletzte. Von den Eltern schaute niemand nach ihnen, die Erwachsenen hatten dafür keine Zeit. Zwischendurch sangen und tanzten die Kinder auch. Einfache Weisen, deren Texte jedoch von fröhlichem Inhalt sein mußten, denn immer wieder unterbrach glucksendes Lachen den Gesang.
Genauso unvermittelt wie die Worte ihrer Mutter war auf einmal auch die alte Sehnsucht wieder da. Dabeisein. Dazugehören. Nichts anderes hatte sie sich von Kindesbeinen an gewünscht. Wie in einem Spiegel sah sie das kleine Mädchen von früher vor sich, das so gern zu den anderen hinübergegangen wäre, sich in den Kreis eingereiht und mitgespielt hätte, was immer gerade gefragt war! Es hätte ihr nichts ausgemacht, die schönsten Kiesel, die knorrigsten Wurzeltierchen – die, welche am unheimlichsten aussahen, hatte sie am liebsten gehabt – herzugeben; auch hätte sie sich bereitwillig immer ans Ende einer Spielrunde eingereiht. Hauptsache, sie wäre dabeigewesen. Doch Harriet hatte nicht gewollt, daß sie – die Tochter einer Heilerin – mehr als das Nötigste mit den Kindern aus der Rehbacher Siedlung zu tun hatte. »Eine Heilerin braucht Ruhe«, hatte sie immer wieder gemurmelt. »Hätte ich Lärm gewollt, wäre ich nicht von Schwäbisch Hall hierher gezogen.« Und Rosa hatte sich mehr als einmal gefragt, wie ihr Leben wohl ausgesehen hätte, wäre sie tatsächlich in der dreißig Meilen entfernten Stadt aufgewachsen und nicht hier, am Rand der kleinen Salinensiedlung, die man nicht einmal als Dorf bezeichnen konnte.
Harriet war nun schon fünf Jahre tot – doch noch immer, wenn Rosa an ihre Mutter dachte, brodelte die alte Einsamkeit in ihr hoch wie eine aufgewärmte Suppe. Damals waren sie wenigstens zu zweit gewesen. Heute war sie die Kräuterfrau, zu der die Dorfbewohner kamen, wenn sie ein Zipperlein plagte. Heute mußte sie sich nicht mehr auf Zehenspitzen auf eine hölzerne Kiste stellen, um einen Blick über die Hecke zu erhaschen. Doch genau wie damals wehte ihr der Duft der erblühten Rosenhecke in die Nase – süß, verführerisch. Sehnsüchtig sog sie das Aroma der Blüten ein.
»Was hast du heute nur für seltsame Laune!« schalt sie sich. Daß Rosa mit sich selbst redete, war nichts Ungewöhnliches, zumindest nicht für sie. Manchmal jedoch, wenn sie es in Gegenwart anderer tat, merkte sie an deren hochgezogenen Brauen, daß die es wohl komisch fanden. Nun, das war ja wohl nicht das einzige, was die Rehbacher an ihr komisch fanden. Oft verbrachte sie halbe Tage im Wald, andere Male saß sie stundenlang in der Hecke, um dort mit den Vögeln zu sprechen, mit Käfern oder dem Fuchs, der – das hatte ihre Mutter sie gelehrt – wie die anderen Tiere ein Geistwesen war, welches ihr Geheimnisse zuraunte und Wissen verlieh. Sie wußte, daß die Salinenarbeiter sie Hagezusse, also Heckenweib nannten und sie deswegen verspotteten. Dennoch kamen sie zu ihr und vertrauten ihrem Kräuterwissen bei allen Leiden, die sie plagten. Aber darauf beschränkte sich auch der einzige Kontakt, der zwischen ihr und den Dorfbewohnern stattfand. Natürlich redeten sie mit ihr, doch sie waren zu verschieden, als daß sie mehr als ein paar unverbindliche Worte über das Wetter und die Arbeit in der Saline gewechselt hätten.
Mit Mühe zwang Rosa ihren Blick weg vom Dorf, wo sich nun Türen öffneten und Männer und Frauen aus den Hütten traten und in Richtung der fünf Sudhäuser gingen. Ohne daß Rosa hinschauen mußte, wußte sie, daß kurze Zeit später andere Rehbacher denselben Weg zurückkommen und ihre Türen erschöpft hinter sich schließen würden.
Schichtwechsel in der Saline. Die einen kamen, die anderen gingen, damit die fünf Öfen, auf denen Sole so lange gesiedet wurde, bis sich die Salzkristalle vom Wasser trennten, nur ja nicht stillstanden.
Mit einer Resolutheit, die sie an diesem Morgen beinahe selbst überraschte, drehte sich Rosa um und trat an ihre eigene Feuerstelle. Bald hatte sie ein kleines Feuer entfacht und begann, grobflockiges Fett zu schmelzen, indem sie es fortwährend glattrührte. Wie bei allem, was sie tat, waren ihre Bewegungen von konzentrierter Bestimmtheit erfüllt. Sie warf drei Handvoll gelbe Blüten in das Fett und sah zu, wie dieses sich augenblicklich orange färbte. Ihre Arme brannten, und sie mußte sich zwingen weiterzurühren. Normalerweise lenkte sie nichts, nicht die geringste Kleinigkeit, ab von dem, was sie gerade tat, doch heute flog ihr Blick immer wieder in Richtung Dorf. Gerade bog Götz Rauber, einer der fünf Sudhausvorsteher, zusammen mit seinen Leuten um eine Ecke. Während die andern nach acht Stunden Holzschleppen, Feuermachen, Solewassernachkippen und Salzabstreichen krumm und bucklig daherkamen, war Rauber die Müdigkeit zumindest nicht anzusehen. Fast leichtfüßig lief er, mit breiteren Schultern als jeder andere, und Beinen, so kräftig wie kleine Baumstämme. Er war ein guter Vorsteher, behandelte die Leute ordentlich. Kein Menschenschinder. Trotzdem wurde unter seiner Aufsicht mehr Salz gesiedet als in den anderen vier Sudhäusern. Es war nicht verwunderlich, daß die Leute, deren Lohn sich nach dem Salzertrag richtete, ihn wohl zu schätzen wußten.
Und dann sah Rosa sie den staubigen Weg zwischen den Hütten entlangkommen. Dorothea von Graauw, die Tochter des Landgrafen. Sie war auf den Tag genau so alt wie Rosa, doch ihr Leben hätte nicht verschiedener sein können. Als Rosa sah, wie selbstverständlich die Salinenleute stehenblieben, um ein paar Worte mit Dorothea zu wechseln, spürte sie plötzlich einen Kloß in ihrer Kehle. Manche Dinge änderten sich wirklich nie: Sie auf der einen, Dorothea auf der anderen Seite der Hecke. Einer mußte wohl einen Scherz gemacht haben, den Dorothea von Graauw so erheiternd fand, daß sie aus voller Kehle lachte. Die anderen stimmten ein. So fröhlich war von den Rehbachern mit ihr noch keiner gewesen, schoß es Rosa bitter durch den Kopf. Doch als sie beobachtete, wie Götz Rauber sich von der jungen Gräfin abwandte und, ohne das Gesicht zu verziehen, in Richtung seiner Hütte ging, fühlte sie sich augenblicklich besser. Wenigstens einen gab es, der vor lauter Ehrfurcht und Begeisterung für die Junge nicht in Ohnmacht fiel!
Was hatte Harriet über das Mädchen aus dem Herrenhaus zu sagen gehabt? »Gleich und gleich gesellt sich gern – die Regel darf nicht durchbrochen werden.« Und: »’s ist nicht gut, daß die Junge sich in der Saline aalt wie eine Forelle im Bach.«
Rosa klang noch heute ihre Sehnsucht von damals in ihren Ohren, als sie ihrer Mutter mit kleiner Stimme geantwortet hatte: »Wahrscheinlich hat die junge Gräfin zu Hause niemanden, der mit ihr spielt.«
»Dorothea ist nicht zum Spielen da!« Harriets Gesicht, verächtlich und abweisend, tauchte jetzt aus der Vergangenheit vor ihren Augen auf. »Das Kind ist besessen vom Salz«, hatte sie in einem Ton gesagt, den sie ansonsten nur benutzte, wenn sie von einem Todgeweihten redete. »Milena wird diesen Winter noch sterben« oder »Der alte Sepp wird die heutige Nacht nicht überleben« – den gleichen Ton, den Harriet für solche Nachrichten benutzte, kühl, ohne innere Regung, aber mit Bestimmtheit, den hatte sie damals verwendet. Obwohl Harriet ihre Tochter immer wieder mit ihren präzisen Vorhersagen verblüfft hatte – sei es nun das Wetter betreffend, oder Dinge, die die Leute aus der Siedlung betrafen –, hatte Rosa ihr gerade in diesem Fall nicht glauben wollen. »Mutter hat die Tochter des Grafen von Graauw vom Tag ihrer Geburt an nicht leiden können!« Rosa schüttelte den Kopf. Sie merkte gar nicht, daß sie laut sprach, so tief war sie in der Erinnerung an die alten Zeiten versunken.
Mehr als einmal hatte Harriet ihr die unselige Geschichte erzählt: Zur gleichen Zeit, am selben Tag, an dem Lili von Graauw versucht hatte, einen weiteren Sohn für den Grafen aus ihrem Körper hinauszupressen, hatte auch Rosas Mutter in den Wehen gelegen und deshalb der Gräfin nicht beistehen können. Doch während in der Hütte am Waldrand Rosa wie ein junges Kätzchen herausschlüpfte, war das große Herrenhaus von Todesschreien erfüllt gewesen: Noch während der Kopf des Säuglings sichtbar wurde, hatte Lili den letzten Atemzug getan. Nachdem die hilflose Köchin und das Kammermädchen das Kind vollends herausgezogen hatten und sahen, daß es ein Mädchen war, war es totenstill geworden: Wie sollten sie dem Grafen, der vor der Tür wartete, das und den Tod der Gräfin erklären?
Jeder hatte damals angenommen, daß der Graf seine Tochter ablehnen würde, ja, daß sie ihm nicht einmal unter die Augen kommen dürfte. Daß er den Rest seines Lebens vor Trauer und Gram vergehen würde. Doch alle hatten sich getäuscht: Frederick von Graauw verkürzte das Trauerjahr auf sechs Monate und heiratete Viola, die ältere Schwester seiner verstorbenen Gattin, die eiligst aus Stuttgart angereist war, um sich ihres verwitweten Schwagers und der beiden Waisen anzunehmen. Mit viel gutem Willen versuchte Viola von Graauw, den Kindern die Mutter zu ersetzen, doch bei Dorothea reichte guter Wille einfach nicht aus: Statt sich Feinstickereien und anderen weiblichen Fertigkeiten zu widmen, wie dies in Violas Sinne gewesen wäre, verbrachte Dorothea die meiste Zeit ihrer Kindheit in der Saline, die ihrer Familie gehörte. Und wenn der Graf zu seinem täglichen Rundgang durch die fünf Sudhäuser aufbrach, dann war nicht Georg, sein erstgeborener Sohn, sondern stets Dorothea an seiner Hand dabei. Seltsamerweise dachten sich die Leute nie etwas dabei, sie waren es einfach nicht anders gewöhnt. Trat Frederick von Graauw nach einem kurzen Kontrollgang den Heimweg an, um sich seiner geliebten Jagd oder anderen Dingen zu widmen, blieb seine Tochter oftmals allein zurück, um mit den Salzkindern zu spielen oder im warmen Solewasser zu planschen. Meist hielt sie sich jedoch in einem der Sudhäuser auf, wo ihre Anwesenheit von den Arbeitern nicht nur toleriert, sondern fast schon gern gesehen wurde. Aus der Art, in der die Leute von Dorothea sprachen, hatte Rosa schon als Kind herausgehört, wie stolz sie auf die Tatsache waren, daß die kleine Grafentochter sich nicht zu fein war, sich mit Solenachfüllern, Abziehern und Zwieseldirnen abzugeben. Als irgend jemand anfing, Dorothea scherzhaft »Die Salzbaronin« zu nennen, ahmten andere dies bald nach, und so hieß es »Schaut, hier kommt unsere Salzbaronin!« oder »Wie geht es unserem Fräulein Salzbaronin heute?«. Und die Leute winkten Dorothea von Graauw dabei zu.
Rosa kniff die Augen zusammen, um gegen das gleißende Sommerlicht etwas sehen zu können. Auch das hatte sich bis heute nicht geändert. Noch immer war es Dorothea, die tagtäglich in der Saline auftauchte – ihren Bruder dagegen hatte man seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Aber es hieß, daß Georg von Graauw nun mit seinem Studium fertig sei und daß seine Hochzeit mit einer feinen Dame bevorstünde. Georg von Graauw – Rosa konnte sich nicht mehr richtig an ihn erinnern, er war …
Ein ranziger Geruch stieg aus dem Kessel hoch und in Rosas Nase. Sie schaute nach unten und sah, wie sich auf dem Boden des Kessels ein dunkelbrauner Kreis bildete. Hastig rührte sie das siedende Fett um, doch vergeblich. Die Salbe war angebrannt, ihre Heilkräfte mit den grauen Schwaden, die aus dem Topf aufstiegen, verpufft. Verdammt! Rosa biß sich auf die Lippen. Nun konnte sie das gute Fett gerade noch dazu benutzen, rissig gewordene Hände einzusalben – für mehr taugte es nicht mehr. Das hatte sie nun davon, Dingen nachzusinnen, die sie nichts angingen!
Als Dorothea durch das Portal ins kühle Innere des Hauses trat, spürte sie, wie im selben Moment drei kleine Schweißtropfen hintereinander zwischen ihren Brüsten hinabrannen und unangenehm kitzelten. Zu gern hätte sie sich die juckende Haut gerieben, doch das hätte nur einen dunklen Fleck auf ihrem grünen Kleid hinterlassen. So winkelte sie wenigstens die Arme etwas ab und genoß den kühlen Luftzug, der jedesmal, wenn sie an einer weit geöffneten Zimmertür vorbeiging, ihren Leib umspielte. Einen heißeren Tag zum Heiraten hätte sich Georg nicht aussuchen können!
Das Kaminzimmer lag am Ende des Ganges auf der linken Seite. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum ihr Vater sie unter den Hunderten von Gästen hatte suchen lassen. Heute war Georgs Tag – der von Elisabeth natürlich auch –, und das war auch gut so. Was also wollte er da von ihr? Um die Saline würde es gerade heute doch sicher nicht gehen, oder?
Mit feuchter Hand fuhr sie sich über ihre hochgesteckten Haare, deren Nervenenden schmerzten, als würde Dorothea mit tausend Nadeln gepikst, und tastete ab, ob noch jede Locke an ihrem Platz war. Sie hätte auch vor einen der vielen Spiegel treten können, die abwechselnd mit den Portraits verblichener Grafen von Graauw den Gang zierten, doch dazu war Dorothea zu uneitel.
Ihr Vater war nicht allein.
»Da bist du ja endlich!« Mit weit ausgestreckten Armen kam er ihr entgegen, und sein Grinsen zog sich von einem Ohr zum andern.
Es mußte wohl um Rehbach gehen, beschloß Dorothea, als sie Fredericks Gegenüber erkannte. Alexander, der Baron von Hohenweihe, war nicht nur ihr Nachbar, sondern lieferte auch das Holz für die Rehbacher Siedehäuser. Sie nickte ihm kurz zu, wandte sich dann aber an ihren Vater. »Du hast mich rufen lassen?« Im gleichen Atemzug ärgerte sie sich über die fehlende Festigkeit in ihrer Stimme. Sie hörte sich ja fast an wie Georgs Angetraute, als diese ihr »Ja« dahingehaucht hatte. Wütend räusperte sie sich.
»Komm näher, liebes Kind! Alexander und ich freuen uns über deine Gesellschaft.« Frederick von Graauw winkte sie zu sich hin. »Ich hoffe, ich habe dich nicht beim Verspeisen eines Stückes der Hochzeitstorte gestört? Oder gehört meine Tochter neuerdings auch zu den Damen, deren Taillen so schlank sein sollen wie Hungerhaken?« Seine Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt.
Etwas ging hier vor sich, das spürte Dorothea. Diese Überschwenglichkeit, das zu laute Lachen hätten eher zu einem Kaffeekränzchen gepaßt – aber unter Jagdkumpanen? Leises Mißtrauen stieg in ihr hoch. Es war nicht so, daß ihr Vater sonst unfreundlich zu ihr wäre, ganz im Gegenteil: Dorothea genoß bei ihm eine Art Narrenfreiheit, die für sie längst zur Gewohnheit geworden war. Lediglich wenn Viola sich bei ihm über ihre Widerspenstigkeit beklagte und er auf ihr Drängen hin »ein ernstes Wörtchen« mit ihr redete, ahnte sie, wie groß die Freiheiten wirklich waren, die sie sich täglich herausnahm.
Unter Alexanders amüsiertem Blick wurde sie von ihrem Vater durch das Zimmer dirigiert. Der Druck seiner Hand auf ihren Arm ließ erst nach, als sie die Sessel, die kreisförmig vor dem Kamin plaziert waren, erreicht hatten. Dorothea zog die Augenbrauen in die Höhe. Ohne besondere Grazie ließ sie sich auf dem Sessel, der dem Fenster am nächsten stand, nieder – man war schließlich unter sich. »Was ist denn so wichtig, daß du mich bei dieser Hitze durch den ganzen Garten hast jagen lassen?« Dorotheas Stimme verriet nichts von ihrer inneren Anspannung, sondern klang eher gelangweilt.
Das Lächeln des Grafen verschwand. »Ma chère«, er holte tief Luft. Sein Blick wechselte zwischen ihr und Alexander hin und her.
Dorothea verzog den Mund. Sie haßte es, wenn ihr Vater französisch sprach! Dieses Getändel paßte so gar nicht zu ihm, er war doch ansonsten so … Ihre Gedanken wurden so jäh unterbrochen, daß sie zuerst gar nicht richtig aufnahm, was er sagte.
» … jedenfalls ist es an der Zeit, daß auch du endlich heiratest!«
Dorothea schaute sich um. Wohin? Violas liebevoll gepflanzten Blütenmeere aus Hortensien, Rosen und anderem Blumenzeugs wie auch die Wege waren zwischen den dichtgedrängten Menschenleibern kaum mehr auszumachen. Am liebsten hätte sie ihre Ellenbogen benutzt, um sich ihren Weg zu bahnen. Die schneeweißen Blumenrabatten, welche die einzelnen Gartenabteile voneinander trennten, wurden unter Spitzenpantoffeln und feinstem Gerbleder niedergetrampelt. Wie Hummeln flatterten die Gäste umher, um nur ja keinen Punkt im Programmheft von Georgs und Elisabeths Hochzeit zu verpassen. Nach der Hochzeitszeremonie am Vormittag, bei der sich der Pfarrer weiß Gott genug Zeit gelassen hatte, war nun Amüsement angesagt! Zurück blieben verschmierte Blütenleichen, deren austretender Saft gierig vom ausgedörrten Sommerboden aufgesaugt wurde. Wie mußte Violas Herz angesichts dieses Frevels bluten! Sonst hätte Dorothea für ihre Stiefmutter Mitleid empfunden, statt dessen ging sie heute wie betäubt durch die Menge. Die Mittagshitze kam ihr nach der Kühle des Hauses um so unerträglicher vor. Der Schweiß rann ihr in Bächen den Leib hinab, aber um nichts in der Welt hätte sie im Haus bleiben wollen!
Das Kinn fast auf die Brust gedrückt, den Blick tief aufs Programmheft gesenkt, damit sie ja keine Menschenseele zuviel grüßen mußte, schlängelte sich Dorothea quer durch den Garten zum Ufer des Flusses. Wenn ihr der Sinn gerade nach etwas nicht stand, dann war es das ewige Lächeln und Parlieren.
Trotzdem kam sie nur langsam voran, mußte alle paar Schritte stehenbleiben und Luft holen. Ihr war so schwindlig, daß sie Angst hatte, auf der Stelle umzufallen und sich vor allen Gästen zu blamieren. Immer wieder mußte sie Spucke hinunterschlucken, aber die aufsteigende Übelkeit verging nicht. Langsam hatte sie das Gefühl, als würde die Wut in ihr überkochen.
Endlich wurde es stiller, wurde das Stimmengemurmel der Gäste vom trägen Gezwitscher der Vogel verdrängt, die in den Baumkronen der riesigen Pappeln ausharrten. Hin und wieder trug ein schwacher Windhauch ein paar Takte Musik des herzöglichen Kammerorchesters, das im Rosenpavillon aufspielte, zu ihr herüber. Wie eine Marionette von unsichtbaren Fäden gezogen, ging Dorothea ein Stück den Kocher entlang, dessen sonst so tiefes Dunkelblau einem schlammigen Braun gewichen war. Wo normalerweise Strudel und Stromschnellen das Holztriften zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit machten, entblößten nun beide Seiten des Flußufers in Dutzenden von Schichten bröckeliges Erdreich. Dorothea konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen so niedrigen Wasserstand gesehen zu haben.
Je weiter sie ging, desto spärlicher wurden Violas Blumenbeete. Hier und da stand ein vereinzelter Rosenbusch in Blüte, oder klammerten sich ein paar dunkelviolette Hortensien an einen aus der Erde ragenden Findling, der den wachsamen Augen der Gärtner bisher entgangen war. Ansonsten beherrschten riesige Brombeerhecken, die jedem Rodungsversuch getrotzt hatten, das Bild. Die überreifen, tiefschwarzen Beeren waren bis in Kniehöhe abgefressen – ein Zeichen dafür, daß wilde Tiere dieses Stück Garten aufsuchten. Es roch nach getrockneten Algen und letztjährigem Laub. Hierher verirrte sich selten jemand, gleich dahinter begann das offene Land. Dorothea spürte, wie sich ihr zugeschnürter Hals ein wenig weitete.
An der Stelle, wo der Fluß einen Schlenker nach links machte und hinter einer Brombeerhecke verschwand, stand eine winzige Gartenbank. Das verwitterte Holz ihrer Rückenlehne war vor vielen Jahren von kundigen Händen auf kunstvolle Weise gedrechselt und geschnitzt worden, doch niemand hatte sich die Mühe gemacht, das gute Stück vor den Unbilden des Wetters zu schützen, und so war es dem Zerfall nahe. Schon beim Hinsetzen spürte Dorothea, wie sich die feinen Fasern ihres Kleides an dem rauhen Holz rieben, aber das war ihr gleich.
Eine Zeitlang schaffte sie es, jeden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie beobachtete einen Reiher, der innerhalb kürzester Zeit drei Fische aus dem träge dahinfließenden Kocher holte – zumindest für ihn schien der niedrige Wasserstand etwas Gutes zu haben!
»Es ist eine Schande, daß ein so hübsches Kind wie du nicht längst verheiratet ist.« Frederick von Graauws Worte wurden jetzt wie ein Echo von ihren Schädelwänden zurückgeworfen. »Viola hat vollkommen recht mit ihrem Vorwurf, ich hätte dich wie eine Wilde erwachsen werden lassen. Schau dich doch um: All deine Cousinen sind längst verheiratet, bald giltst du als alte Jungfer!« Ratlos hatte er den Kopf geschüttelt, so als habe er erwartet, daß sich die Frage von Dorotheas Zukunft mit der Zeit von selbst lösen würde.
Schon bei der Erinnerung wurden Dorotheas Wangen wieder heiß. »Aber Vater«, hatte sie geantwortet, »ich bin doch erst neunzehn Jahre alt!« Frederick von Graauws Behauptungen waren ebenso abwegig wie peinlich! Warum mußte er gerade heute dieses Thema anschneiden? Und dann noch vor ihrem Nachbarn? Sie kannte Alexander von Kindesbeinen an, gemeinsam waren sie durch die Hohenweihschen Wälder getobt, bis Viola dem einen Riegel vorgeschoben hatte. Eine Zeitlang war Alexander sogar mit ihnen zusammen unterrichtet worden. Jeden Tag hatte eine Kutsche ihn morgens zum Unterricht ins Haus der Graauws gebracht und nachmittags wieder abgeholt. Alexander war für sie wie ein zweiter Bruder – vielleicht lag es an dieser Vertrautheit, daß Dorothea die Worte ihres Vaters so peinlich waren.
Alexanders Miene war undurchsichtig gewesen, der Wortwechsel zwischen Vater und Tochter schien ihn weder zu amüsieren, noch schien er ihm unangenehm zu sein. Vergeblich hatte sie darauf gewartet, daß er ihr zu Hilfe kam. Und was ihre Cousinen anging: Wer wollte schon wie Klara ins ferne Rußland verheiratet werden? Oder wie Anna-Maria nach Bayern? Sie jedenfalls nicht! Während Dorothea über deren trauriges Schicksal als politische Pfänder nachsann, hatte Frederick begonnen, über sie zu reden, als sei sie eine hochdotierte Zuchtstute. »Für ein Weib bist du im besten Alter. Ich sag’ immer: Alt werden sie von selbst! Bei uns Jägern heißt es: ›Alte Gams und alter Has’ geben einen Teufelsfraß!‹« Er mußte über seinen eigenen Scherz lachen. »Und ansehnlich bist du. Und gesund. Für eine Frau vielleicht eine Spur zu schlau, jedenfalls meistens …«, hier war sein Blick augenzwinkernd zu Alexander gewandert. »Aber ich sag’ immer: Nichts ist schlimmer zu ertragen als ein dummes Weib.« Er hatte kurz auf Alexanders Zustimmung gewartet, doch der hatte weiterhin geschwiegen.
Und dann war Dorothea auf einmal alles klar gewesen. Wie durch ein Vergrößerungsglas hatte sie die Intention ihres Vaters erkennen können. Als ob dazu viel Schläue nötig gewesen wäre! Wie hatte sie nur so schwer von Begriff sein können …
Stocksteif hatte sie sich im Sessel aufgerichtet, ihre entspannte Haltung zusammen mit der Trägheit ihres Geistes aufgegeben. »Ich soll Alexander heiraten?« hatte sie sich entsetzt fragen hören, ohne Rücksicht auf den Betreffenden. »Ich kann doch jetzt nicht ans Heiraten denken! Gerade jetzt, wo Georg wieder zurück ist!«
Fredericks Miene hatte sich verfinstert. Irritiert hatte er von Dorothea zu Alexander und wieder zurück geblickt. »Aber genau das ist der richtige Zeitpunkt! Jetzt, wo Georg die Leitung der Saline übernehmen wird, habe ich endlich den Kopf frei, mich auch um dich zu kümmern. Das ist auch der Grund dafür, daß Alexander und ich so lange gewartet haben, dir die frohe Kunde mitzuteilen.«
»Um mich kümmern?« hatte Dorothea fassunglos gefragt. »Um mich braucht sich niemand zu kümmern. Aber Georg … der braucht mich! Ich bin es doch, die in den letzten Jahren die Bücher von Rehbach geführt hat. Ich habe …«
»Was redest du daher?« hatte der Vater sie barsch unterbrochen und angefügt: »Georg ist mein Sohn.« Als ob das alles erklären würde.
Ein eisiger Schauer war über ihren Rücken gekrochen. Eine Angst, wie sie noch keine gekannt hatte. »Du willst wirklich Georg allein die Saline leiten lassen? Das ist doch nicht dein Ernst! Studium hin oder her – er weiß doch noch nicht einmal, wo es die besten Siedepfannen gibt!« Eindringlich hatte sie ihn angeschaut und begonnen, die Finger ihrer rechten Hand abzuzählen: »Er kennt weder die Namen der Sudhausvorsteher, noch weiß er, wieviel Klafter Holz fürs Befeuern notwendig sind. Er weiß nicht, daß es nicht schaden kann, Johann Merkle beim Befeuern am Sonntag auf die Finger zu schauen. Oder daß man Helene Grasbinder und das Weib vom Lochmüller nicht in eine Nachtschicht einteilen darf, weil …« Sie winkte ab. »Er weiß …«
»Es reicht«, hatte Frederick sie ungewohnt eisig unterbrochen. »Daß du dich jahraus, jahrein eingemischt hast ins Tagesgeschäft, hätte ich schon längst unterbinden sollen! Und außerdem …« Er verstummte. Ob es der Ärger über sein eigenes Versäumnis Dorothea betreffend war oder der Ärger über den unerwarteten Gesprächsverlauf, der ihn den Faden hatte verlieren lassen, wußte man nicht. Jedenfalls hatte er sich zwingen müssen, tief durchzuatmen. »… außerdem kann Georg sich immer noch an mich wenden. Oder an Josef Gerber.«
Als ob ihr Vater und der Salzamtsmaier wußten, wie es in der Saline zuging!
Dorothea preßte die Lippen aufeinander. Die Erinnerung an die letzte Stunde bereitete ihr fast körperliche Schmerzen. Wie konnte sie ihren Vater davon überzeugen, daß er wirres Zeug daherredete? Wie eine lästige Mücke hatte diese Frage sie umkreist, während Frederick von Graauw weiter gedröhnt hatte. Darüber, wie entscheidend es für das Gelingen einer Ehe war, den geeigneten Partner zu finden, und daß dies in ihrem Fall Alexander sei. Und wie wichtig ihm Dorotheas Glück war. So sanftmütig er einerseits zu klingen versucht hatte, so bestimmt waren seine Worte gewesen. Von der Saline war keine Rede mehr gewesen.
Scheinheiliger Bastard! war es Dorothea durch den Kopf geschossen. Was hatte er seinem Gegenüber versprochen? Um welche Mitgift ging es, von der sie nichts ahnte?
Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals so hilflos gefühlt zu haben. Vielleicht hätte ihr der Gedanke an eine Heirat nicht gar so fremd sein dürfen, doch Tatsache war, daß sie bisher noch keinen einzigen Augenblick daran verschwendet hatte. Vielmehr hatte sie Pläne geschmiedet, wie sie nach Georgs Rückkehr mit ihm gemeinsam Verbesserungen herbeiführen konnte, die Frederick in vielen Jahren versäumt hatte. Und nun sollte das alles nicht mehr gelten? Bildete sich ihr Vater wirklich ein, sie wegjagen zu können wie einen räudigen Hund?
Schließlich hatte sich »ihr Zukünftiger« zum ersten Mal zu Wort gemeldet. »Verehrter Frederick, verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber …« Ein Grinsen huschte über sein Gesicht angesichts der hilflosen Miene seines Gegenübers.
Haßerfüllt hatte Dorothea von einem Mann zum andern geschaut. Verdammt, warum hatte ihr Vater sie in so eine Lage bringen müssen? Diesmal waren es Alexanders Worte, von denen sie die Hälfte nicht mitbekam. »… wollen wir Ihre verehrte Tochter nicht mit romantischen Platitüden langweilen. Dorothea ist dafür viel zu intelligent.«
Einen Augenblick lang war Hoffnung in ihr aufgekeimt. Hatte Alexander erkannt, daß eine Heirat zwischen ihnen nicht möglich war? Daß sie hierher gehörte?
»Warum sprechen wir nicht in der Art der Kaufleute miteinander?« hatte Alexander von Frederick wissen wollen, der daraufhin fast einen Hustenanfall bekommen hatte. Trotz ihrer Wut hatte Dorothea grinsen müssen. Und dann hatte Alexander zu rechnen begonnen.
Dorothea zog den Rock und Unterrock ihres Kleides hoch bis zu ihren Schenkeln und genoß die Sonne auf ihrer blassen Haut. Sie seufzte. Das Leben konnte so einfach sein, wenn man sie nur machen ließe! Oder wenn sie ein Mann wäre. Nein, das würde ihr nicht weiterhelfen. Dann wäre sie ja nur Georgs jüngerer Bruder, schoß es ihr im selben Moment durch den Kopf, und Haß legte sich wie eine stählerne Rüstung um sie. Sie setzte sich aufrecht hin.
»Doro! Was machst du hier in der hintersten Ecke? Und überhaupt, wie siehst du eigentlich aus? Was, wenn dich einer der Gäste so entblößt sehen sollte?« Der Vorwurf in Violas Stimme war laut und deutlich. Ihr Gesicht war gerötet, einige Haarsträhnen klebten an ihrer Stirn, und unter ihren Achseln hatte sich der silberne Satin ihres Kleides zu einem Dunkelgrau verwandelt.
Dafür, daß Viola den ganzen Vormittag mit einer extra aus Stuttgart angereisten Coiffeuse verbracht hatte, sah sie ordentlich mitgenommen aus! »Was willst du?« fragte Dorothea ungnädig und ohne eine Spur von Charme. Langsam schob sie ihre Röcke wieder nach unten.
Viola, an das ruppige Verhalten ihrer Stieftochter gewöhnt, ignorierte deren Tonfall. »Du könntest dich ruhig ein wenig um die Gäste kümmern. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, daß wir so hohen Besuch haben.« Sie deutete mit ihrem Kinn in Richtung Haus, in das sich Herzog Friedrich zu seiner Nachmittagsruhe zurückgezogen hatte.
»Was erwartest du von mir? Soll ich mich etwa zum Herzog ins Bett legen?« gab Dorothea herausfordernd zurück.
Viola zischte erschrocken wie eine Gans, die nicht gemerkt hatte, daß sich ihr jemand nähert.
»Als ob der Herzog sich auch nur einen Deut um dieses Landpomeranzenfest scherte! Wo es auf Gut Rehbach nicht einmal ein paar Pferde zu bestaunen gibt, die der Rede wert wären«, fuhr Dorothea genußvoll fort, bevor Viola einen Ton herausbrachte. »Wahrscheinlich ist er nur gekommen, um eigenhändig nachzuprüfen, ob Vater ihn auch ja nicht um seinen Salzzins betrügt!« Daß Elisabeths Mutter eine nahe Cousine des Herzogs war, beachtete sie nicht weiter. Wen interessierte das schon außer Viola? Die Gräfin und der Graf Löwenstein – Titel hin oder her – waren in Dorotheas Augen nicht mehr als peinlicher Familienzuwachs – das laute Lachen von Elisabeths Mutter, die dümmlichen Scherze ihres Vaters – armer Georg!
»Du und dein Schandmaul! Laß das nicht deinen Vater hören!«
»Vater!« gab Dorothea bitter zurück. »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen, ist es nicht so? Jetzt, wo Georg zurück ist, will er mich davonjagen.«
Viola schaute sie an. »So siehst du also alle Bemühungen, die Frederick in deinem Sinne unternimmt! Wie kannst du nur so undankbar sein.«
Dorothea schwieg. Von ihr würde ihre Stiefmutter kein weiteres Wort über das demütigende Gespräch erfahren!
Viola seufzte. Ihr Blick fiel auf ihren Ehering, den Frederick von Graauw ihr kurze Zeit nach dem Tod von Dorotheas Mutter übergestreift hatte. Ihre Schwester hatte elendig sterben müssen, damit ihr eigenes Glück möglich wurde. Sie war nur die zweite Wahl gewesen, Alexander von Hohenweihe hingegen zeigte echtes Interesse an ihrer Stieftochter. Auf einmal begann ihr unterdrückter Ärger wie Brennesseln auf der Haut zu kratzen. »Was willst du eigentlich? Alexander von Hohenweihe ist eine der besten Partien, die du machen kannst. Seine Wälder und die Saline Rehbach – kann es eine bessere Verbindung geben? Du solltest dich glücklich schätzen!«
Dorothea gähnte demonstrativ. Sie hatte keine Lust, nochmals sämtliche Argumente vorgekaut zu bekommen, die für eine Heirat zwischen ihr und Alexander sprachen – mochten sie auch noch so wahr sein! Doch lange hielt sie ihre aufgesetzte Nonchalance nicht durch. »Für das Wohl der Saline heiraten, das soll ich!« spie sie Viola entgegen. »Aber das Sagen hat Georg!« Wie sie ihren Bruder in dem Moment haßte!
Viola drehte sich auf dem Absatz um. Ihr Rücken war stocksteif, als sie noch einmal stehenblieb. »Es war ein Fehler, dich auch nur in die Nähe der Saline zu lassen. Ganz tief drinnen habe ich es immer gewußt. Aber Frederick …« Sie winkte verärgert ab. »Ob es dir paßt oder nicht: Du kannst nicht bis in alle Ewigkeit auf Gut Rehbach leben, jetzt, wo Georg und Elisabeth verheiratet sind. Statt dessen solltest du deinem Vater ruhig ein wenig dankbar dafür sein, daß er sich so für dich einsetzt!« Sie holte nochmals Luft, behielt dann aber für sich, daß sie selbst es gewesen war, die Frederick in nächtelangen Diskussionen davon überzeugen mußte, wie sinnvoll eine Verbindung der Graauws mit den Hohenweihes war. Von selbst wäre er wahrscheinlich in den nächsten hundert Jahren nicht darauf gekommen, seine einzige Tochter unter die Haube zu bringen! Zu ihrem Ärger über Dorothea gesellte sich ein weiterer über Frederick. Bevor er jedoch größer werden konnte, beschloß sie, sich den Tag nicht verderben zu lassen. Sie hob ihren Rocksaum an und ging langsam zurück zu den Feiernden. Dorotheas Nörgeleien konnten ihr heute gestohlen bleiben!
Pikiert schaute Dorothea ihr nach. So bissig kannte sie ihre Stiefmutter gar nicht! Die Feierlichkeiten setzten ihr anscheinend stärker zu, als sie jemals zugeben würde. Und das, wo sie doch immer danach lechzte, Gut Rehbach zum Austragungsort für große Feste zu machen!
Kaum war Dorothea wieder allein, setzte sie sich abermals nachlässiger hin. Nur mühselig hob sich ihre düstere Stimmung. Im Grunde genommen … Fredericks Gerede mußte man nicht zwingend für bare Münze nehmen. Heiraten, pah! Niemand konnte sie schließlich zum Jasagen zwingen, oder? Und vom Hof jagen wie eine diebische Elster ließ sie sich auch nicht! Natürlich würde sie heiraten müssen, das wußte sie. Irgendwann. Und Alexander wäre dann sicher nicht die schlechteste Wahl, vor allem nicht für die Saline. Aber das hieß doch nicht, daß unnötige Eile angesagt war, oder? Zuerst einmal gehörte sie hierher, nach Rehbach. Und sonst nirgendwohin! Hatte Georg erst eingesehen, wie unentbehrlich ihr Wissen für die Saline war, würde er der erste sein, der gegen ihr Fortgehen protestierte!
Sie stand auf und strich sich die Holzfasern vom Kleid. Ja, alles würde gut werden. Wenn sie darüber nachdachte … es war recht unhöflich von ihr gewesen, so einfach aus dem Zimmer zu stürmen und den beiden Männern jede Antwort schuldig zu bleiben. Gleich morgen würde sie ihrem Vater mitteilen, daß sie mit seiner Entscheidung einverstanden war. Und dann … dann würde sie sich Zeit lassen. Halt! Sie korrigierte sich. Sie würde die Zeit nutzen, das traf es besser. Genug zu tun gab es. Wenn es nach ihr ging, würde die Hochzeit frühestens in einem Jahr stattfinden. Oder in zweien oder dreien …
Als sie Richtung Haus zurücklief, waren ihre Schritte zielstrebig und sicher. Violas Ermahnungen die Hochzeit betreffend waren an ihr abgeperlt wie Wasser an den Schwimmflossen der Schwäne, die im Teich hinterm Herrenhaus residierten. Sie hatte nicht im geringsten vor, wieder zur Hochzeitsgesellschaft zurückzukehren. Sie würde jetzt das tun, was sie jeden Sonntag tat!
Wie ein Dieb schlich sich Dorothea zu einem Seitentor des Gartens hinaus. Sie eilte an den Stallungen vorbei und quer durch den Gemüsegarten in Richtung der fünf Sudhäuser. Einfach die lange, bequeme Birkenallee zu nehmen, die direkt auf den Solebrunnen zuführte, traute sie sich nicht – dort hätte sie jederzeit einem der Hochzeitsgäste über den Weg laufen können und wäre unangenehme Erklärungen schuldig geblieben.
Es war nicht so, daß Dorothea Festlichkeiten gegenüber grundsätzlich abgeneigt war. Aber daß dieses Fest an einem Sonntag stattfand, störte sie.
Sonntags begann die Siedewoche. Und Dorothea konnte sich an keinen Sonntag erinnern, an dem sie nicht in der Saline gewesen war, um beim Befüllen der gußeisernen Siedepfannen mit dem angereicherten Solewasser dabeizusein.
»Hörst du die Musik?« Ellen strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie machte ein paar Schritte nach vorn, den Klängen von Violinen entgegen. »Hörst du sie?« Auf Zehenspitzen stehend blickte sie in Richtung des Herrenhauses.
Rosa schaute zu der Salinenarbeiterin hinüber. Mehr als ein Seufzen der Saiten hörte sie nicht, und schon dafür mußte sie sich anstrengen. »Ja, ich höre etwas.«
Ellen hatte ihre Augen geschlossen, ihr Leib wiegte sich zu einer stillen Melodie.
Am liebsten hätte Rosa die Frau aus ihrer Träumerei geschüttelt. Zuerst hatte Ellen es so eilig gehabt, eine Medizin für ihr geschwollenes Handgelenk zu bekommen, und nun schien sie alle Zeit der Welt zu haben! Rosa konnte es kaum erwarten, wieder allein zu sein und weiterarbeiten zu können.
Aus der Sicht eines Vogels lag Gut Rehbach höchstens eine halbe Meile von der kleinen Hütte am Waldrand entfernt. Würde man über die mannshohe Hecke klettern, welche den äußersten Teil des gräflichen Gartens einfaßte, wäre es bis zum Herrenhaus nur ein kurzer Fußmarsch. Doch was Rosa betraf, hätte es auf dem Mond sein können! Vorsichtig pustete sie zwischen die Buchenscheite, die sie auf der runden Feuerstelle vor ihrer Hütte gestapelt hatte. Der Tag war so heiß, und die Luft drückte mit derartiger Macht vom Himmel herab, daß es fast unmöglich war, ein Feuer zu entfachen. Soeben war es endlich gelungen, und Ellen stahl ihr die Zeit! »Wenn du ausgeträumt hast, darf ich mir vielleicht einmal deine Hand anschauen«, sagte sie nicht übermäßig freundlich.
Am Tag zuvor war Sankt Veit gewesen, der Tag, an dem die Sonne am höchsten stand. Ein guter – oder der beste? – Zeitpunkt, um viele der Kräuter zu sammeln, die sie für ihre Salben, Tinkturen und Teemischungen im Laufe des Jahres brauchen würde. Jeder Winkel, jedes bißchen Platz in der Hütte war voll mit Büscheln vom Johanniskraut, der Niewelkblume und der Wolfsblume. Auch am Morgen war Rosa schon draußen gewesen und hatte gegraben: Ein Korb voller Kraut mitsamt seinen hellen Wurzeln stand vor ihr. Wenn sie daran dachte, was noch alles an Arbeit vor ihr lag … Heute hätte sie liebend gern auf Besuch aus der Saline verzichtet!
Ellen hatte sich inzwischen auf eine Bank gesetzt. Rosa warf ihr einen mißmutigen Blick zu und füllte das Schmalz in einen kupfernen Kessel um, der sich auf dem zögerlichen Feuer nur langsam erwärmte.
»Wie so eine Hochzeit wohl vonstatten geht?« fragte Ellen. »Wahrscheinlich haben die Weiber alle die feinsten Kleider an, und die Herren stolzieren herum wie eitle Pfauen.« Sie lachte. »Und die Mägde müssen springen und ein Faß Wein nach dem andern herbeiholen. Und als Lohn dafür müssen sie sich noch von den feinen Herren an die Brüste und Hinterteile greifen lassen! Brr!« Sie schüttelte sich übertrieben. »Dem Himmel sei Dank, daß wir uns den Buckel für so etwas nicht krumm machen müssen!«
Rosa trat ans Feuer. Aus einer Schüssel nahm sie je zwei Handvoll zerquetschte Kamillen- und Ringelblumenblüten und warf sie in die sämige Schmalzmasse. »Dafür mußt du dir den Buckel auf andere Art krumm machen! Außerdem, was kümmert’s dich, wie die feinen Herren und Damen feiern? Die Leut’ aus der Saline sind schließlich nicht eingeladen worden. Nicht einmal eine Stunde Arbeit haben sie euch anläßlich des freudigen Ereignisses erlassen.« Jeder, der in den letzten Tagen zu ihr in die Hütte gekommen war, hatte sich darüber beklagt.
Bitter verzog Ellen den Mund. »Da müßte schon der Himmel auf die Erde herabfallen, bevor die uns erlauben würden, die Siedewoche auch nur einen Tag später zu beginnen. Oder gar ausfallen zu lassen!« Sie schüttelte den Kopf. »Und wart’s ab. Jetzt, wo der Georg vom Studieren zurück ist, da wird bald ein ganz anderer Wind wehen, sagt mein Hermann. Um nicht zu sagen, ein eisiger Wind!« Ihre schwarzen Augen glänzten wie runde Kohlestückchen.
Rosa zog die Augenbrauen hoch. Was Hermann, der alte Nörgler, zu sagen hatte, mußte man nicht unbedingt für bare Münze nehmen. »Der junge Graf … eine Ewigkeit hab’ ich den schon nicht mehr gesehen. Früher, da sind er und sein Vater öfter hier vorbeigeritten.« Sie wies mit dem Kinn in Richtung Waldrand und lachte. »Jedesmal hat Georg seinen Gaul um die große, umgefallene Eiche herumgeritten, statt überzusetzen wie sein Vater. Was hat der sich darüber geärgert – bis hierher hab’ ich seine Beschimpfungen hören können!« Rosa schüttelte den Kopf. »Des Herrgotts bester Reiter ist er jedenfalls gewiß nicht! Und der soll jetzt die Leitung der Saline übernehmen?« Es versetzte ihr einen kleinen Stich, daß sie wieder einmal als letzte von dieser Veränderung erfahren hatte.
Ellen nickte.