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Die erste Erziehung ist die wichtigste, und diese erste Erziehung ist unbestreitbar Sache der Frauen: wenn der Schöpfer der Natur gewollt hätte, dass es Sache der Männer sei, so hätte er ihnen Milch zum Nähren der Kinder gegeben. Wendet euch also vorzugsweise an die Frauen in euren Abhandlungen über Erziehung, denn abgesehen davon, dass sie die Erziehung unmittelbarer überwachen können als die Männer und ihr Einfluss darauf immer größer wird, ist ihr Erfolg für sie auch viel wichtiger, da die meisten aller Witwen ihren Kindern nahezu ausgeliefert sind und dann heftig zu spüren bekommen, ob sie ihre Kinder schlecht oder gut erzogen haben. Die Gesetze, immer so sehr mit den Gütern des Lebens und so wenig mit den Menschen beschäftigt, da sie in ihren Zielen den Frieden und nicht die Tugend verfolgen, gestehen den Müttern zu wenig Autorität zu. Sie befinden sich dennoch in einer viel sichereren Lage als die Väter, und ihre Aufgaben sind viel mühevoller. Ihre Sorgfalt ist für ein gut geregeltes Familienleben viel wichtiger, und im Allgemeinen sind sie es, die am meisten an den Kindern hängen. Es gibt Fälle, wo ein Sohn, dem es irgendwie an Respekt vor dem Vater fehlt, zu entschuldigen ist. Wenn aber ein Kind, gleichgültig um was es geht, so entmenscht ist, seiner Mutter den Respekt zu verweigern, der, die es in ihrem Schoß getragen hat, die es mit ihrer Milch genährt hat, die sich in jahrelanger Selbstentäußerung nur um es allein gekümmert hat, so müsste man dieses Kind schleunigst strangulieren wie ein Ungeheuer, das nicht würdig ist, das Licht der Welt zu erblicken. Es wird immer gesagt, dass Mütter ihre Kinder verwöhnen. Damit tun sie sicher unrecht, doch vielleicht weniger als ihr, die ihr sie herabwürdigt. Die Mutter will, dass ihr Kind glücklich ist, und zwar sofort. Hierin hat sie recht: täuscht sie sich über die Mittel, muss man sie aufklären. Ehrgeiz, Geiz, Tyrannei, die missverstandene Vorsorge der Väter, ihre Nachlässigkeit und ihre harte Empfindungslosigkeit sind hundertmal verhängnisvoller für die Kinder als die blinde Zärtlichkeit der Mütter. Es bleibt nur noch der Sinn dessen zu erklären, was ich Mutter nenne, und das wird in der Folge geschehen.
Man hat mich versichert, dass M. Formey meinte, ich wolle hier von meiner Mutter sprechen, und dass er das auch in irgendeinem Buch ausgesprochen habe. Entweder macht man sich damit auf grausame Weise über M. Formey lustig oder über mich.
Äußerlich ihnen ähnlich ohne die Gabe der Sprache und des Denkens, das sie zum Ausdruck bringt, wäre er nicht in der Lage, ihnen sein Hilfsbedürfnis verständlich zu machen, und nichts an ihm würde es ihnen kundtun.
M. Formey versichert, dass man das so genau nicht sage. Mir scheint es jedoch sehr genau in diesem Vers gesagt, dem ich entgegentreten möchte:
La nature, crois-moi, n’est rien que l’habitude.
M. Formey, der seine Mitmenschen nicht übermütig machen will, bietet uns bescheidenerweise das Maß seines Hirns als Maß allen menschlichen Verständnisses.
Daher sind die Kriege einer Republik grausamer als die einer Monarchie. Aber wenn die Kriege der Könige auch gemäßigt sind, ist doch ihr Friede schrecklich. Es ist besser, ihr Feind als ihr Untertan zu sein.
An mehreren Schulen, besonders an der Universität in Paris, gibt es Professoren, die ich sehr liebe und achte, und die ich für sehr geeignet hielte, die Jugend zu bilden, wenn sie nicht gezwungen wären, dem herrschenden Brauch zu folgen. Ich möchte einen von ihnen dazu anregen, den Reformplan, den er abgefasst hat, zu publizieren. Man wird dann vielleicht endlich geneigt sein, das Übel zu heilen, wenn man gesehen hat, dass es ein Mittel dagegen gibt.
Das Bündnis zwischen Frauen und Ärzten schien mir immer schon eine der köstlichsten Seltsamkeiten in Paris. Die Ärzte erwerben ihren Ruf durch die Frauen, und die Frauen erreichen ihren Willen durch die Ärzte. Man kann sich daher unschwer vorstellen, welche Art von Geschicklichkeit ein Pariser Arzt haben muss, um berühmt zu werden.
Wenn man bei Plutarch liest, dass Cato der Zensor, der Rom so ruhmreich regierte, seinen Sohn von der Wiege an selbst und so sorgfältig erzog, dass er alles im Stich ließ, um dabei zu sein, wenn seine Amme, und das heißt hier seine Mutter, ihn herausnahm und wusch; wenn man bei Sueton liest, dass Augustus, der Herr der Welt, die er selbst erobert hatte und regierte, selbst seinen Enkelkindern das Schreiben, das Schwimmen und die Grundbegriffe der Wissenschaft beibrachte und dass er sie ständig um sich hatte, kann man wohl nicht umhin, über die guten Leute von damals zu lachen, die sich mit solchen Albernheiten abgaben, und die ganz bestimmt zu borniert für die großen Geschäfte unsrer großen Männer von heute waren.
Hier ein Beispiel aus englischen Zeitungen, das ich mir nicht versagen kann zu bringen; so viele Überlegungen, die sich auf mein Thema beziehen, bietet es dar.
»Ein Bürger namens Patrice Oneil, geboren 1647, hat sich soeben im Jahre 1760 zum siebenten Mal verheiratet. Er diente im 17. Jahr der Regierung Karls II. bei den Dragonern und bei verschiedenen Truppenteilen, bis er 1740 seinen Abschied erhielt. Er machte alle Feldzüge des Königs William und des Herzogs von Marlborough mit. Dieser Mann hat niemals etwas anderes als gewöhnliches Bier getrunken, er hat immer vegetarisch gelebt und nur Fleisch gegessen, wenn er seiner Familie hier und da ein Essen gab. Soweit ihn seine Pflichten nicht davon abhielten, hielt er es immer damit, bei Sonnenaufgang aufzustehen und sich nach Sonnenuntergang zu Bett zu legen. Er steht jetzt in seinem einhundertunddreizehnten Lebensjahr, hört noch gut, ist gesund und geht ohne Stock. Er bleibt trotz seines hohen Alters nicht einen Augenblick müßig, und jeden Sonntag geht er in Begleitung seiner Kinder, Enkel und Urenkel zur Kirche.«
Die Frauen essen Brot, Gemüse und Milchspeisen. Die Weibchen der Hunde und Katzen ebenfalls, sogar die Wölfinnen fressen Gras, das gibt pflanzliche Säfte für ihre Milch. Es bliebe nun noch die Milch der Gattungen zu untersuchen, die sich ausschließlich von Fleisch ernähren, wenn es welche gibt – woran ich zweifle.
Obgleich die Säfte, die uns nähren, flüssig sind, müssen sie aus festen Nährstoffen ausgepresst sein. Ein Arbeiter, der nur von Brühe lebte, würde rasch dahinsiechen. Milch würde ihn besser bei Kräften halten, weil sie gerinnt.
Wer die Vor- und Nachteile der pythagoreischen Lebensweise gerne ausführlicher diskutieren möchte, dem stehen die Abhandlungen der Doktoren Cocchi und seines Gegners Bianchi zur Verfügung, die über dieses wichtige Thema geschrieben haben.
In den Städten werden die Kinder vor lauter Einsperren und Einwickeln erstickt. Ihre Erzieher wissen noch nicht, dass die frische Luft, weit entfernt, ihnen zu schaden, sie stärkt und die warme sie schwächt, Fieber hervorruft und sie tötet.
Ich sage eine Wiege, um in Ermanglung eines andern das übliche Wort zu gebrauchen, da ich im Übrigen überzeugt bin, dass es niemals nötig ist, ein Kind zu wiegen, und dass dieser Brauch ihnen oft verhängnisvoll sein kann.
»Die alten Peruaner ließen den Armen der Kinder in einer sehr lockeren Wickel völlige Bewegungsfreiheit. Wenn sie sie herausnahmen, setzten sie sie ganz frei bis zur Hälfte des Körpers in ein mit Tüchern ausgeschlagenes Erdloch. Auf diese Weise hatten sie die Arme frei und konnten Kopf und Körper drehen und wenden, wie sie wollten, ohne hinzufallen und sich zu verletzen. Sobald sie anfingen zu laufen, zeigte man ihnen die Mutterbrust aus einiger Entfernung, so wie einen Köder, der sie zum Gehen anregen sollte. Die Kinder Afrikas müssen manchmal auf viel anstrengendere Weise trinken: sie umklammern eine Hüfte der Mutter mit Knien und Füßen so fest, dass sie sich ohne die Hilfe der mütterlichen Arme so halten können. Sie halten sich mit ihren Händen an der Mutterbrust fest und saugen ununterbrochen, ohne sich stören zu lassen und herunterzufallen, trotz der mannigfachen Bewegungen der Mutter, die währenddessen ihrer gewöhnlichen Arbeit nachgeht.
Diese Kinder fangen schon mit zwei Monaten an zu laufen, oder vielmehr auf Händen und Knien zu rutschen. Durch dieses Training sind sie später in der Lage, in dieser Haltung fast ebenso schnell vorwärtszukommen, als gingen sie auf ihren Füßen« (Hist. nat., tome IV, in-12, p. 192).
Diesen Beispielen hätte de Buffon noch die englischen anfügen können, wo die törichte und barbarische Praxis der Wickel sich von Tag zu Tag verliert. Siehe auch La Loubère, Voyage du Siam, Sieur Le Beau, Voyage du Canada usw. Wenn ich diesen Punkt durch Tatsachen zu belegen hätte, könnte ich zwanzig Seiten mit Zitationen füllen.
Der Geruchsinn ist von allen anderen Sinnen der, der sich bei Kindern am spätesten entwickelt. Es scheint, dass sie bis zum Alter von zwei oder drei Jahren weder gute noch üble Gerüche bemerken. In dieser Hinsicht besitzen sie die gleiche Indifferenz oder Unempfindlichkeit, die man bei verschiedenen Tieren feststellen kann.
Es gibt da Ausnahmen. Viele Kinder, die sich zunächst am schlechtesten verständlich machen konnten, machen später mit ihrem Geplapper einen ohrenbetäubenden Lärm. Aber wenn ich alle diese Kleinigkeiten gründlich ausführen sollte, käme ich nie zu einem Ende. Jeder vernünftige Leser muss sehen, dass Exzesse und Versagen, beide aus dem gleichen Irrtum entstanden, auch beide durch meine Methode ausgeglichen werden. Ich betrachte die folgenden beiden Grundsätze: immer genug und niemals zu viel als untrennbar. Steht der erste einmal fest, geht der zweite notwendigerweise daraus hervor.
Es gibt nichts Lächerlicheres und Unbeholfeneres als den Gang von Leuten, die als kleine Kinder zu lange am Gängelband geführt wurden: auch so eine von den Beobachtungen, die gerade wegen ihrer Alltäglichkeit richtig sind – und das nicht nur in einer Hinsicht.
Es ist klar, dass ich hier von Menschen spreche, die nachdenken, und nicht von allen Menschen.
Dieser kleine Junge, den ihr da seht, sagte Themistokles zu seinen Freunden, ist der Herr über Griechenland; denn er beherrscht seine Mutter, seine Mutter beherrscht mich, ich beherrsche die Athener und die Athener beherrschen die Griechen. Oh! was für kleine Staatenlenker man oft in den größten Reichen finden würde, wenn man stufenweise zurückginge vom Fürsten bis zur ersten Hand, die insgeheim den Hebel hält.
In meinen Grundsätzen des Staatsrechts wird dargestellt, dass keinerlei Einzelwille in das gesellschaftliche System eingeordnet werden kann.
Man muss einsehen, dass das Vergnügen manchmal ein Bedürfnis ist, ebenso wie die Strafe oft eine Notwendigkeit. Es gibt also nur einen einzigen Wunsch bei Kindern, dem man nie nachgeben soll: ihnen gehorchen. Daraus folgt, dass man vor allem das Motiv ihrer Bitten zu beachten hat. Gesteht ihnen, soweit möglich, alles zu, was ihnen wirklich Vergnügen machen kann, aber lehnt immer das ab, was sie nur aus Launenhaftigkeit oder aus Autoritätsbedürfnis wollen.
Es ist sicher, dass das Kind jeden Willen, der sich dem seinen widersetzt, als unbegründete Laune empfinden wird. So wird es auch das, was sich seinen eigenen Launen widersetzt, als unbegründet empfinden.
Man darf nie dulden, dass ein Kind Erwachsene wie seine Untergebenen, selbst nicht wie seinesgleichen behandelt. Sollte es wagen, jemanden allen Ernstes zu schlagen, und wenn es sein Diener wäre oder sein Henker, sorgt dafür, dass es die Schläge mit Zinsen wiederbekommt, und zwar so, dass ihm die Lust vergeht, noch einmal anzufangen. Ich habe gesehen, wie dumme Kinderfrauen die Widerspenstigkeit eines Kindes herausforderten, es zum Schlagen reizten und sich selbst schlagen ließen, um über ihre kraftlosen Schläge zu lachen, ohne zu bedenken, dass jeder Schlag für den kleinen Wüterich gleich einem Mord war und dass jemand, der als Kind schlagen will, als Erwachsener töten möchte.
Deswegen wollen die meisten Kinder wiederhaben, was sie verschenkt haben, und weinen, wenn man es ihnen nicht gibt. Das kommt nicht mehr vor, wenn sie den Begriff des Schenkens richtig erkannt haben. Nur sind sie dann im Schenken etwas zurückhaltender.
Wenn übrigens diese Pflicht, seine Versprechungen zu halten, nicht durch das Gewicht des Nutzens im Geiste des Kindes bestärkt würde, würde das innere Gefühl, das sich zu regen beginnt, sie ihm als Gesetz des Gewissens, als eingeborenen Grundsatz auferlegen, der zu seiner Entwicklung nur die Erkenntnisse abwartet, bei denen er sich anwenden lässt. Dieser erste Zug wurde nicht von Menschenhand gezogen, sondern vom Urheber aller Gerechtigkeit in unser Herz gegraben. Hebt das ursprüngliche Gesetz des Übereinkommens und die Verpflichtung auf, die es uns auferlegt, und alles ist illusorisch und nichtig in der menschlichen Gesellschaft. Wer sein Versprechen nur im Hinblick auf den daraus zu gewinnenden Profit hält, ist kaum mehr gebunden als habe er überhaupt nichts versprochen, oder um es zu verletzen, kann er es höchstens so machen wie die Spielwütigen, die ihre Vorteile nur darum nicht gleich alle nützen, weil sie auf noch größere warten. Dieses Prinzip ist von äußerster Wichtigkeit und verdient, untersucht zu werden, denn hier beginnt der Mensch mit sich selbst in Widerspruch zu geraten.
So wie der einer bösen Tat angeklagte Schuldige sich verteidigt, indem er sich als ehrlichen Menschen bezeichnet. Er begeht also eine Lüge der Tat und eine des Rechts.
Nichts ist unbesonnener als solch eine Frage, besonders wenn das Kind im Unrecht ist, denn wenn es glaubt, dass ihr wisst, was es getan hat, merkt es, dass ihr ihm eine Falle stellt, und diese Falschheit wird es unfehlbar gegen euch einnehmen. Wenn es es nicht glaubt, wird es sich sagen: Warum soll ich meinen Fehler eingestehen? Und damit ist die erste Versuchung zur Lüge zum Resultat eurer unklugen Frage geworden.
Es ist klar, dass ich seine Probleme nicht löse, wenn es ihm gefällt, sondern dann, wenn ich es für richtig halte, sonst hieße das, mich seinem Willen vollkommen zu unterwerfen und mich in das gefährlichste Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, in das ein Erzieher zu seinem Zögling geraten kann.
Das Gebot, anderen niemals zu schaden, umfasst auch das, sich so viel wie möglich von der menschlichen Gesellschaft zurückzuhalten, denn in der Gesellschaft macht notwendigerweise das Glück des einen das Unglück des andern aus. Dieses Verhältnis liegt im Wesen der Sache, und nichts könnte es ändern. Aus diesem Prinzip mag man folgern, wer der Bessere ist: der gesellschaftliche oder der einsame Mensch. Ein berühmter Autor sagt, nur der Böse sei einsam; ich behaupte, dass nur der Gute einsam ist. Ist diese Behauptung auch weniger sentenziös, so ist sie doch wahrer und besser begründet als die andere. Wäre ein Böser einsam, was könnte er Böses tun? Nur in der Gesellschaft kann er seine Ränke spinnen, um den andern zu schaden. Will man dieses Argument umkehren gegen den anständigen Menschen, so lese man, was ich in dem Abschnitt, zu dem diese Anmerkung gehört, gesagt habe.
Hundertmal beim Schreiben ist mir der Gedanke gekommen, dass es unmöglich ist, in einem großangelegten Werk denselben Worten immer denselben Sinn zu geben. Es gibt keine Sprache, die reich genug wäre, so viele Ausdrücke und Satzformen zu liefern, wie die Nuanciertheit unserer Gedanken es verlangt. Die Methode, alle Termini zu definieren und unentwegt die Definition an die Stelle des Definierten zu setzen, ist schön, aber undurchführbar, denn wie soll man dabei den circulus vitiosus vermeiden? Definitionen wären gut und schön, wenn man keine Worte brauchte, um sie zu geben. Trotzdem bin ich überzeugt, dass man, selbst bei der Armut unserer Sprache, klar sein kann, freilich nicht dadurch, dass man denselben Worten stets dieselbe Bedeutung gibt, sondern indem man so verfährt, dass sooft man ein Wort braucht, der Sinn, den man ihm beilegt, jeweils hinreichend durch die Ideen des Kontextes bestimmt ist, und der Abschnitt, in dem dieses Wort vorkommt, ihm sozusagen als Definition dient. Mal sage ich, die Kinder seien unfähig zu denken, und bald lasse ich sie mit subtiler Feinheit denken. Ich glaube nicht, dass ich mir damit in den Ideen widerspreche, kann aber nicht leugnen, dass ich es oft in meinen Ausdrücken tue.
Die meisten Gelehrten sind Gelehrte nach Kinderart. Die umfassende Gelehrsamkeit kommt weniger aus einer Fülle von Gedanken, als aus einer Fülle visueller Vorstellungen. Daten, Eigennamen, Orte, alle isolierten oder nicht mit begrifflichen Inhalten verbundenen Gegenstände behält man einzig und allein durch das visuelle Gedächtnis und selten erinnert man sich an eines dieser Dinge, ohne gleichzeitig recto oder verso der Seite, wo man darüber gelesen hat, oder die Gestalt, unter der man ihr zum ersten Mal begegnet ist, vor Augen zu haben. So ungefähr war es um die Wissenschaft der letzten Jahrhunderte bestellt. Heute ist es ganz anders: man studiert nicht mehr, man beobachtet nicht mehr – man träumt und setzt uns tiefernst die Träumereien einiger unruhiger Nächte als Philosophie vor. Man wird mir sagen, dass auch ich träume – das gebe ich zu, aber ich tue, wovor die anderen sich schön hüten: ich gebe meine Träumereien auch als solche aus und überlasse es dem Leser, herauszufinden, ob sie für wache Menschen etwas zu bedeuten haben.
Es ist die zweite und nicht die erste, wie M. Formey sehr richtig bemerkt.
In einem solchen Fall kann man ohne weiteres die Wahrheit von einem Kind verlangen, denn es weiß, dass es sie nun nicht verschleiern kann und, wenn es zu lügen wagte, sofort überführt werden würde.
Als ob die Bauernkinder nur ganz trockenen Boden suchten, um sich hinzusetzen – oder zu legen, und als ob man nie gehört hätte, dass die Feuchtigkeit des Bodens nicht einem von ihnen schadet! Wenn man die Ärzte darüber hört, könnte man glauben, dass die Wilden alle vom Rheumatismus gelähmt sind.
Dieser Schreck äußert sich besonders stark bei großen Sonnenfinsternissen.
Dafür hier noch eine andere Ursache von einem Philosophen richtig erklärt, dessen Werk ich oft zitiere und von dessen Weitblick ich noch öfter profitiere:
»Wenn wir uns durch besondere Umstände keine richtige Vorstellung von einem Abstand machen können und Gegenstände nur nach der Größe des Winkels oder vielmehr nach dem Bild, das sie in unsrem Auge darstellen, beurteilen können, müssen wir uns notwendigerweise über den Umfang dieser Gegenstände täuschen. Jeder hat es schon auf Nachtreisen erlebt, dass man ein nahestehendes Gebüsch für einen großen Baum hält, der weit weg steht, oder umgekehrt. Ebenso täuscht man sich notwendigerweise über die Gegenstände, deren Form man nicht kennt und über deren Abstand von uns wir deshalb keine Vorstellung haben können. In diesem Fall müsste eine ein paar Zentimeter vor unsren Augen vorbeisausende Fliege uns wie ein Vogel erscheinen, der in weiter Entfernung daherflöge. Ein mitten in der Landschaft dastehendes Pferd, das in seiner Haltung beispielsweise einem Schaf ähnelte, würde uns nur wie ein großes Schaf erscheinen, solange wir nicht wüssten, dass es ein Pferd ist; sobald wir es aber wissen, erscheint es uns auch sofort in der Größe eines Pferdes, und wir revidieren augenblicklich unser erstes Urteil.
Immer, wenn man sich bei Nacht an einem unbekannten Ort befindet, wo man wegen der Dunkelheit weder Entfernungen abschätzen noch die Form von Gegenständen erkennen kann, riskiert man, in Irrtümer zu verfallen, was das Urteil anlangt, das man über die vorhandenen Gegenstände abgibt. Daher kommen der Schauder und das unbestimmte Angstgefühl, das die nächtliche Dunkelheit fast allen Menschen einflößt; darauf gründet sich die Erscheinung von Gespenstern und riesenhaften, schrecklichen Gestalten, die so viele Leute gesehen zu haben behaupten. Gemeinhin gibt man ihnen zur Antwort, dass ihre Phantasie diese Gestalten hervorgebracht habe, indessen können sie sie tatsächlich mit ihren Augen gesehen haben, und es ist sehr gut möglich, dass sie wirklich das gesehen haben, wovon sie sprechen; wenn man nämlich einen Gegenstand nur nach dem Winkel, den er in unsrem Auge bildet, beurteilen kann, so muss notwendigerweise dieser unbekannte Gegenstand an Größe und Umfang in dem Maße zunehmen, als er uns näher kommt; erschiene er dem, der ihn sieht und der weder erkennen kann, was er sieht, noch den Abstand abschätzen, in dem er sich befindet, erschiene er, sage ich, zunächst nur einige Fuß hoch, als er sich in einem Abstand von zwanzig oder dreißig Schritt von ihm befand, so muss er ihm mehrere Klafter hoch erscheinen, wenn er mehr als einige Schritte weit entfernt ist. Das muss ihn tatsächlich verwundern und erschrecken, bis er dann soweit kommt, den Gegenstand zu berühren oder ihn zu erkennen, denn im gleichen Augenblick, da er erkennt, um was es sich handelt, verkleinert sich dieser Gegenstand, der ihm so riesenhaft erschien, sofort und hat für ihn nur noch seine wirkliche Größe. Läuft man aber weg und wagt man nicht, sich ihm zu nähern, so ist es sicher, dass man keine andere Vorstellung von diesem Gegenstand besitzt als die des Bildes, das er im Auge erzeugte, und also tatsächlich eine in Größe und Form riesenhafte und fürchterliche Gestalt gesehen hat. Der Glaube an Gespenster ist so natürlich begründet, und diese Phänomene haben nicht einzig und allein mit der Einbildungskraft zu tun, wie die Naturwissenschaftler glauben« (Hist. nat., t. VI, p. 22. in-12).
Ich habe im Text zu zeigen versucht, wie dieser Glaube tatsächlich zum Teil von der Einbildungskraft abhängt; was nun die in diesem Zitat gegebene Erklärung anbetrifft, so wird daran deutlich, wie sehr die Gewohnheit, durch die Nacht zu gehen, uns hilft, die täuschenden Erscheinungen zu durchschauen, in denen sich durch die Ähnlichkeit der Gestalt und die Verschiedenheit des Abstandes die Gegenstände in der Dunkelheit unseren Augen darbieten. Denn da, selbst bei genügender Helligkeit, die uns die Umrisse der Gegenstände erkennen lässt, bei größerem Abstand eine größere Luftschicht zwischen dem Gegenstand und unsrem Auge liegt, müssen seine Umrisse für uns weniger klar erkennbar sein; dies genügt, um uns durch lange Gewöhnung vor dem Irrtum zu bewahren, den M. de Buffon hier erklärt. Welche der beiden Erklärungen man auch vorziehen möge, meine Methode wird sich immer als wirksam erweisen, wie die Erfahrung durchaus bestätigt.
Um sie zur Aufmerksamkeit zu erziehen, sprecht ihnen ausschließlich von Dingen, für deren Verständnis sie ein lebhaftes und aktuelles Interesse haben; vermeidet besonders alle Längen, sagt nie ein überflüssiges Wort, redet aber auch immer klar und unzweideutig.
Berühmter Pariser Tanzlehrer, der, in richtiger Erkenntnis seines Publikums, aus Berechnung den Extravaganten spielte und seiner Kunst eine Wichtigkeit beilegte, über die man sich scheinbar lustig machte, für die man aber im Grunde höchsten Respekt empfand. In einer nicht weniger albernen Kunst kann man noch heute einen Künstler der Komödie sehen, der sich genauso wichtigtut und verrückt gibt und damit keinen geringeren Erfolg hat. In Frankreich ist das immer eine sichere Methode. Mit wirklicher, natürlicher Begabung, ohne Scharlatanerie kann man hier sein Glück nicht machen. Bescheidenheit ist hier die Tugend der Dummen.
Ein ländlicher Spaziergang, wie man gleich sehen wird. Die öffentlichen Spazierwege in den Städten sind für die Kinder beiderlei Geschlechts verhängnisvoll. Dort haben Eitelkeit und der Wunsch, betrachtet zu werden, ihren Ursprung; im Luxembourg, in den Tuilerien und besonders im Palais-Royal gewöhnt sich die hübsche Pariser Jugend dies impertinente und alberne Auftreten an, das sie so lächerlich macht und wodurch sie sich dem Hohn und dem Abscheu ganz Europas aussetzt.
Ein kleiner Junge von sieben Jahren hat seit jener Zeit noch erstaunlichere Wunder vollbracht.
Siehe die Arkadia des Pausanias und auch die weiter unten übertragene Stelle aus Plutarch.
Schon vor vielen Jahrhunderten hat sich dieser Brauch bei den Mallorcanern verloren; er stammt aus den Zeiten der Berühmtheit ihrer Schleuderer.
Ich weiß, dass sich die Engländer gern ihrer Menschlichkeit und des gutartigen Naturells ihrer Nation rühmen, die sie ein good natured people nennen. Sie mögen das in die Welt hinausschreien, so viel sie wollen – niemand außer ihnen wird es wiederholen.
Die Banianen, die sich noch strenger des Fleischessens enthalten als die Gauren, sind fast ebenso gutartig wie sie. Da ihre Moralbegriffe aber weniger rein und ihre Bräuche weniger durchdacht sind, sind sie weniger achtenswerte Menschen.
Einer der englischen Übersetzer dieses Buchs hat hier ein Missverständnis meinerseits hervorgehoben, und von beiden Seiten wurde es dann bereinigt. Metzger sowohl wie Chirurgen dürfen als Zeugen auftreten, aber die Metzger sind nicht als Geschworene oder Gleichberechtigte in der Beurteilung von Verbrechen zugelassen, was bei den Chirurgen der Fall ist.
Die antiken Historiker sind voll von Ideen, aus denen Nutzen gezogen werden könnte, selbst wenn die Tatsachen, durch die sie sie belegen, falsch wären; aus der Historie kann man aber doch nichts von Bedeutung lernen, die Kritik der Gelehrsamkeit verschlingt alles. Als ob es so wichtig wäre, ob eine Tatsache authentisch ist, wenn man etwas Nützliches daraus lernen kann. Verständige Menschen müssen die Historie wie ein Gewebe aus Fabeln betrachten, deren Moral dem menschlichen Herzen ganz und gar angemessen ist.
Natia. Ich brauche dieses Wort in seiner italienischen Bedeutung, weil ich kein französisches Synonym finde. Es macht nichts aus, wenn ich mich irre, Hauptsache, man versteht, was ich meine.
Der Reiz der Gewohnheit rührt aus der dem Menschen angeborenen Trägheit, die immer größer wird, je mehr man sich ihr überlässt: was man schon einmal gemacht hat, fällt einem das nächste Mal leichter, ein schon vorgezeichneter Weg ist leichter zu begehen. So kann man beobachten, dass alte und träge Menschen sehr von der Gewohnheit beherrscht werden, während ihre Macht über die Jugend und über lebhafte Menschen sehr gering ist. Diese Macht ist nur etwas für schwache Seelen und schwächt sie von Tag zu Tag mehr. Die einzige Kindern nützliche Gewohnheit ist die, sich mühelos der Notwendigkeit der Dinge zu unterwerfen, und die einzige Erwachsenen nützliche ist die, sich mühelos der Vernunft zu unterwerfen. Jegliche andere Gewohnheit ist vom Übel.
Ich konnte nicht umhin, zu lachen, als ich eine scharfsinnige Kritik von M. Formey zu dieser kleinen Geschichte las: »Dieser Taschenspieler«, sagt er, »der sich als Rivale eines Kindes hervortut und dessen Erzieher eine ernsthafte Predigt hält, ist eine Gestalt aus der Welt der Emiles.« Dem geistvollen M. Formey ist nicht der Gedanke gekommen, dass diese kleine Szene vorbereitet war und dass der Gaukler über die Rolle, die er zu spielen hatte, informiert worden war. Das habe ich tatsächlich vergessen zu erwähnen. Wie oft habe ich dagegen aber erklärt, dass ich nicht für die Leute schreibe, denen man alles erklären muss!
Hätte ich voraussetzen sollen, dass es irgendeinen so stupiden Leser gibt, der nicht gemerkt hätte, dass es sich bei diesen Vorhaltungen um eine vom Erzieher Wort für Wort diktierte Rede handelt, die seine Ansichten dartun sollte? Hätte man mich selbst für so dumm halten dürfen, eine solche Sprache einem Gaukler als ihm natürlich in den Mund zu legen? Bis jetzt glaube ich, zumindest von meinem mittelmäßigen Talent Zeugnis abgelegt zu haben, die Personen ihren Geistesgaben entsprechend reden zu lassen. Man lese noch das Ende des folgenden Abschnitts. Genügt das Gesagte nicht für jeden anderen als M. Formey?
Diese Demütigung, dieses Missgeschick habe also ich bereitet und nicht der Zauberkünstler. Da sich M. Formey zu meinen Lebzeiten meines Buchs bemächtigen und es ohne weiteres drucken lassen und nur anstelle meines Namens den seinen setzen wollte, musste er sich wenigstens die Mühe machen – ich sage nicht, es zu schreiben – aber es zu lesen.
Ich habe oft bemerkt, dass man bei den gelehrten Anweisungen, die man Kindern gibt, weniger Wert darauf legt, dass sie zuhören als die anwesenden Erwachsenen. Ich bin vollkommen sicher, dass richtig ist, was ich da sage, denn ich habe an mir selbst diese Beobachtung gemacht.
Ein paar vorbereitende Geräte helfen immer, die Aufmerksamkeit eines Kindes zu erregen, bevor man mit dem Beweis beginnt, den man aufstellen will.
Obgleich nicht alle Weine, die man im Einzelhandel bei den Pariser Weinhändlern kauft, mit Bleiglätte versetzt sind, sind sie selten ohne Bleigehalt, weil die Ladentische dieser Händler mit diesem Metall verziert sind und der Wein, der beim Einfüllen aus dem Trichter überfließt, beim Auslaufen und Eintrocknen auf diesem Blei immer etwas von diesem Metall auflöst. Es ist befremdlich, dass eine so offensichtliche und so gefährliche Unbedachtsamkeit von der Polizei geduldet wird. Freilich sind die wohlhabenden Leute, die wohl schwerlich solchen Wein trinken, auch einer Vergiftung durch ihn kaum ausgesetzt.
Die Pflanzensäure ist sehr schwach. Handelte es sich um eine weniger verdünnte mineralische Säure, so würde sich die Verbindung nicht ohne Gärung vollziehen.
Die Zeit verliert ihr Maß für uns, wenn unsre Leidenschaften sie nach ihren Wünschen regeln wollen. Die Uhr des Weisen ist die Ausgeglichenheit des Gemüts und der Friede der Seele: für ihn ist immer die richtige Stunde und er erkennt sie auch immer.
Die Neigung zum Landleben, die ich bei meinem Schüler voraussetze, ist die natürliche Frucht seiner Erziehung. Da er außerdem nichts von dieser albernen und aufgetakelten Manier hat, die den Frauen so sehr gefällt, wird er von ihnen auch nicht so verwöhnt wie andere Kinder. Infolgedessen fühlt er sich bei ihnen auch weniger wohl und wird in ihrer Gesellschaft, deren Charme er noch nicht zu empfinden vermag, auch weniger verdorben. Ich habe mich wohl gehütet, ihm beizubringen, den Frauen die Hand zu küssen, ihnen fade Komplimente zu machen, ja nicht einmal die besondere Achtung zu bezeugen, auf die sie vor Männern ein Recht haben. Ich habe es mir zum unverletzbaren Gesetz gemacht, nichts von ihm zu verlangen, dessen Begründung er nicht begreift; und für ein Kind gibt es keinen guten Grund dafür, das eine Geschlecht anders zu behandeln als das andere.
Ich halte es für unmöglich, dass die großen europäischen Monarchien noch eine lange Lebensdauer haben: sie alle haben geglänzt, und jeder glänzende Staat ist auf dem Abstieg. Ich habe noch bestimmtere Gründe für diese Behauptung; aber es ist nicht ratsam, sie auszusprechen, und jeder kennt sie nur zu gut.
Aber Sie sind es doch, wird man mir sagen. Ich bin es, ich gebe es zu – zu meinem Unglück. Und meine Irrtümer, für die ich genug gebüßt habe, denke ich, sind für andere kein Grund, die gleichen zu begehen. Ich schreibe nicht, um meine Fehler zu entschuldigen, sondern um meine Leser daran zu hindern, sie nachzuahmen.
Der Abbé de Saint Pierre.
Bei den Alten gab es keine Schneider: die Männerkleidung wurde zu Hause von den Frauen angefertigt.
Ich habe jetzt durch ein genaueres Experiment das Gegenteil herausgefunden. Die Lichtbrechung reagiert kreisförmig, und das Stockende, das im Wasser steckt, scheint dicker, wenn man es vom andern Ende her ansieht; aber das ändert nichts an der Überzeugungskraft der Überlegung, und ihre Schlussfolgerung ist dadurch nicht weniger richtig.
»In den Städten«, sagt M. de Buffon, »und in wohlhabenden Kreisen erreichen die Kinder, an üppige und kräftige Nahrung gewöhnt, dieses Stadium früher; auf dem Land und unter der ärmlichen Bevölkerung verzögert sich das, weil die Kinder schlecht und unzureichend ernährt sind; sie brauchen zwei oder drei Jahre länger« (Hist. nat., t. IV, p. 238, in-12). Die Beobachtung ist richtig, aber nicht die Erklärung, da in dem Land, wo der Bauer sich sehr gut nährt und viel isst, wie im Wallis und selbst in gewissen Berggegenden Italiens, z. B. in Friaul, das Pubertätsalter beider Geschlechter ebenso spät einsetzt wie in den Städten, wo man aus Eitelkeit äußerst sparsam im Essen ist und wo die meisten nach dem Sprichwort: Sammet am Kragen und Kleie im Magen leben. Man staunt, wenn man in jenen Berggegenden großen, starken Burschen begegnet, die noch eine helle Stimme und ein bartloses Kinn haben, und kräftigen Mädchen – im Übrigen sehr gut entwickelt –, die noch keinerlei periodische Anzeichen ihres Geschlechts kennen. Dieser Unterschied scheint mir einzig daher zu kommen, dass bei der Einfachheit ihrer Sitten ihre Einbildungskraft, die länger ungestört und ruhig bleibt, ihr Blut später in Wallung versetzt und ihre Säfte weniger vorzeitig schießen lässt.
Das scheint sich jetzt ein wenig zu ändern: die Stände scheinen fester zu werden, und so werden die Menschen auch härter.
Die Zuneigung kann die Erwiderung entbehren, die Freundschaft nie. Sie ist ein Austausch, ein Vertrag wie jeder andere, aber der heiligste von allen. Das Wort Freund kennt kein Korrelativ als sich selbst. Jeder Mensch, der nicht der Freund seines Freundes ist, ist mit aller Gewissheit ein Schuft, denn nur durch Erwiderung oder durch geheuchelte Erwiderung der Freundschaft kann man sie gewinnen.
Selbst das Gebot, die anderen so zu behandeln, wie wir von ihnen behandelt sein wollen, hat als wahre Grundlage nur das Gewissen und das Gefühl; denn wo wäre der sachliche Grund dafür, dass ich, obwohl ich selbst bin, handle, als wäre ich ein andrer, zumal da ich zuinnerst überzeugt bin, mich nie im gleichen Fall zu befinden? und wer steht mir dafür ein, dass ich durch getreue Befolgung dieser Maxime erreiche, dass man sie auch mir gegenüber befolgt? Der Böse zieht seinen Vorteil aus der Redlichkeit des Gerechten und seiner eigenen Ungerechtigkeit; es ist ihm sehr angenehm, dass außer ihm jedermann gerecht ist. Was man auch dazu sagen möge – dieses Übereinkommen ist nicht sehr vorteilhaft für rechtlich denkende Menschen. Wenn aber die Kraft einer expansiven Seele mich eins werden lässt mit meinem Mitmenschen und ich mich sozusagen in ihm fühle, dann will ich nicht, dass er leidet, weil ich nicht leiden will; ich interessiere mich aus Liebe zu mir selbst für ihn, und der Grund für dieses Gebot liegt in der Natur selbst, die mir das Verlangen nach eigenem Wohlsein eingibt, wo auch immer ich mich existieren fühle. Daraus schließe ich, dass es nicht richtig ist, dass die Gebote des Naturgesetzes sich allein auf die Vernunft gründen; sie haben eine festere und sicherere Basis. Die aus der Selbstliebe kommende Menschenliebe ist das Prinzip der menschlichen Gerechtigkeit. Die Summe der ganzen Moral ist im Evangelium durch die des Gesetzes gegeben.
Der allgemeine Geist der Gesetze aller Länder zielt darauf ab, immer den Starken dem Schwachen gegenüber zu begünstigen, und den, der hat, gegenüber dem, der nichts hat: dieser Übelstand ist unvermeidlich und ausnahmslos.
Siehe Davila, Guicciardini, Strada, Solis, Machiavelli und manchmal de Thou selbst. Vertot ist fast der Einzige, der malen konnte, ohne Porträts zu liefern.
Ein einziger unsrer Historiker, der Tacitus in den großen Zügen nachahmte, hat es gewagt, Sueton nachzuahmen und manchmal Commines in seinen kleinen Zügen abzuschreiben. Und eben dies, was den Wert seines Buches erhöht, hat ihm unter uns nur Kritik eingetragen.
Immer ist es das Vorurteil, das in unseren Herzen die Heftigkeit der Leidenschaften schürt. Wer nur sieht, was ist, und nur wertet, was er erkennt, erregt sich nicht in Leidenschaft. Die Irrtümer unsrer Erkenntnisse erzeugen die Heftigkeit all unserer Begierden. (Anmerkung in Rousseaus Manuskript.)
Ich glaube, Gesundheit und gute Konstitution selbstverständlich zu den durch seine Erziehung erlangten Vorteilen zählen zu können oder vielmehr zu den Gaben der Natur, die seine Erziehung ihm erhalten hat.
Im Übrigen wird unser Zögling kaum auf diesen Trick hereinfallen, er, der so viel Vergnügungen hat, der sich nie in seinem Leben gelangweilt hat und kaum weiß, wozu das Geld da ist. Die beiden Triebkräfte, mit denen man Kinder zu lenken pflegt, Eigennutz und Eitelkeit, dienen den Kurtisanen und Gaunern dazu, sich ihrer in Zukunft zu bemächtigen. Seht ihr, wie ihre Gier durch Preise, durch Belohnungen erregt wird, seht ihr, wie sie mit zehn Jahren bei einer öffentlichen Veranstaltung im Kollegium Beifall klatschten, so werdet ihr auch sehen, wie sie mit zwanzig Jahren ihre Geldbörse im Spielsaal und ihre Gesundheit in üblen Häusern verlieren. Man kann jede Wette darauf eingehen, dass der Primus seiner Klasse einmal der größte Spieler und Wüstling sein wird. Nun können diese Mittel, hat man sie nicht in der Kindheit gebraucht, nicht in der Jugend derart missbraucht werden. Aber man bedenke, dass es immer meine Maxime ist, den schlimmsten Fall anzunehmen. Zuerst geht es mir darum, dem Laster zuvorzukommen, dann setze ich es voraus, damit ich ihm abhelfen kann.
Ich habe mich geirrt – ich habe einen entdeckt: M. Formey.
Hier muss wiederum auf den Verweis vom M. Formey hingewiesen werden. Es muss heißen: erst »Die Ameise«, dann »Der Rabe« usw.
Wie aber wird er sich verhalten, wenn jemand Streit mit ihm anfangen will? Ich antworte, dass er nie Streit haben wird, weil er es nie so weit kommen lassen wird. Ja, aber, wird man fortfahren, wer ist sicher vor einem Schlag ins Gesicht oder einer Beschimpfung eines Rohlings, eines Betrunkenen oder eines wackeren Schurken, der zunächst die Ehre eines Mannes angreift, um dann das Vergnügen zu haben, ihn zu töten? Das ist etwas anderes; Ehre und Leben des Bürgers dürfen doch einem Rohling, einem Betrunkenen oder einem Schurken nicht ausgeliefert sein – vor so etwas ist man ebenso wenig sicher wie vor einem Dachziegel, der herunterfällt. Aus hingenommenem Schlag und erduldeter Beschimpfung entstehen Rechtsfolgen, die keine Weisheit verhindern kann und für die kein Gerichtshof den Beleidigten rächen kann. Die Unzulänglichkeit der Gesetze gibt ihm daher seine Unabhängigkeit zurück; dann ist er allein Obrigkeit und Richter zwischen sich und dem Angreifer, er allein ist Interpret und Vollstrecker des Naturgesetzes; er schuldet sich Gerechtigkeit und ist der einzige, der sie sich verschaffen kann, und es gibt keine Regierung auf Erden, die so unsinnig wäre, ihn in einem solchen Fall dafür zu bestrafen. Ich will damit nicht sagen, dass er sich schlagen soll – das ist ein extremer Fall; ich sage, dass er sich Gerechtigkeit schuldet und dass er der einzige ist, der sie sich verschaffen kann. Wäre ich Souverän, ich garantiere dafür, in meinen Ländern gäbe es auch ohne so viel nutzlose Edikte gegen das Duell niemals Ohrfeigen und Beleidigungen, und zwar durch ein sehr einfaches Mittel, mit dem die Gerichtshöfe nichts zu tun hätten. Wie dem auch sei, Emile kennt in einem solchen Fall die Genugtuung, die er sich selber schuldet, und das Exempel, das er zur Sicherheit ehrbarer Leute zu statuieren hat. Auch der aufrechteste Mann hat es nicht in der Gewalt, zu verhindern, dass man ihn beleidigt, aber es steht in seiner Macht zu verhindern, dass man sich lange damit brüstet, ihn beleidigt zu haben.
Plutarch, Über die Liebe, Übersetzung von Amyot. So begann ursprünglich die Tragödie Menalippe, aber das Geschrei des athenischen Volkes zwang Euripides, diesen Anfang zu ändern.
Über den Naturzustand des menschlichen Geistes und die Langsamkeit seiner Weiterentwicklung siehe den ersten Teil des Discours sur l’inégalité.
Die Berichte des M. de la Condamine sprechen uns von einem Volk, das nur bis drei zählen konnte. Da sie aber Hände hatten, hatten die Menschen, aus denen dieses Volk sich zusammensetzte, häufig das Vorhandensein ihrer Finger festgestellt, ohne bis fünf zählen zu können.
Diese Ruhe ist, wenn man so will, nur relativ; da wir aber ein Mehr oder ein Weniger an der Bewegung feststellen, erfassen wir ganz eindeutig eins dieser beiden Extreme, die Ruhe, und wir erfassen es so gut, dass wir sogar geneigt sind, die Ruhe, die nur etwas Relatives ist, als etwas Absolutes zu betrachten. So ist es also nicht richtig, dass die Bewegung der Materie wesentlich sei, wenn sie als ruhend begriffen werden kann.
Die Chemiker betrachten das Phlogiston oder das Element des Feuers als etwas Verstreutes, Unbewegliches, das in den Mischungen, deren Teil es ist, stagniert, bis von außen kommende Ursachen es freimachen, vereinigen, in Bewegung setzen und in Feuer verwandeln.
Ich habe mir alle Mühe gegeben, mir ein lebendiges Molekül vorzustellen, aber es will mir nicht gelingen. Die Idee einer Materie, die ohne Sinne empfindet, erscheint mir unverständlich und widersprüchlich. Um diese Idee annehmen oder verwerfen zu können, müsste man sie zunächst verstehen, und ich gestehe, dass ich mich nicht in diesem glücklichen Fall befinde.
Wenn man nicht den Beweis dafür hätte, würde man es für möglich halten, die menschliche Torheit könne so weit gehen? Amatus Lusitanus versicherte, eingeschlossen in einem Glas ein daumengroßes Männchen gesehen zu haben, das Julius Camillus, gleich einem anderen Prometheus, durch alchimistische Kunst erzeugt habe. In de Natura rerum lehrt Paracelsus, wie man diese Männchen erzeugen kann und behauptet, dass die Pygmäen, Faune, Satyrn und Nymphen auf chemischem Wege gezeugt wurden. Um die Möglichkeit solcher Dinge zu begründen, braucht man von nun an in der Tat nur noch zu behaupten, die organische Materie widerstehe der Glut des Feuers und ihre Moleküle könnten in einem Reverberier-Ofen am Leben bleiben.
Mir scheint, dass, weit entfernt, zu behaupten, dass Felsen denken, die moderne Philosophie im Gegenteil entdeckt hat, dass die Menschen nicht denken. Sie erkennt in der Natur nur noch empfindungsfähige Wesen an, und der einzige Unterschied, den sie zwischen einem Menschen und einem Stein sieht, ist der, dass der Mensch ein empfindungsfähiges Wesen ist, das Empfindungen hat, und der Stein ein empfindungsfähiges Wesen, das keine hat. Wenn es aber richtig ist, dass alle Materie fühlt, wo soll ich die sensitive Einheit oder das individuelle Ich suchen? in jedem Molekül der Materie oder in zusammengesetzten Körpern? Soll ich diese Einheit auch dem Flüssigen und dem Festen, dem Gemischten und den Elementen zusprechen? Man behauptet, in der Natur gebe es nur Einzelwesen! Aber wer sind diese Einzelwesen? Ist dieser Stein ein Einzelwesen oder aus Einzelwesen zusammengesetzt? Ist er ein einziges empfindungsfähiges Wesen, oder enthält er deren ebenso viele wie Sandkörner? Wenn jedes elementare Atom ein empfindungsfähiges Wesen ist, als was soll ich dann diese innerste Verbindung auffassen, durch die der eine sich so im anderen fühlt, dass beider Ich in eins verschmilzt? Die Anziehungskraft mag ein Naturgesetz sein, dessen Geheimnis wir nicht kennen, aber zumindest erfassen wir, dass die Anziehungskraft, die entsprechend der Masse wirkt, nicht mit Ausdehnung und Teilbarkeit unvereinbar ist. Könnt ihr euch das Gleiche beim Gefühl vorstellen? Die Sinnesorgane sind ausgedehnt, aber das empfindungsfähige Wesen ist eins und unteilbar; es läßt sich nicht teilen, es ist entweder ganz oder nicht; das empfindungsfähige Wesen ist also kein Körper. Ich weiß nicht, wie unsre Materialisten darüber denken, aber mir scheint, dass die gleichen Schwierigkeiten, derentwegen sie das Denken verwarfen, sie auch das Fühlen verwerfen lassen müssten, und da sie den ersten Schritt getan haben, sehe ich nicht ein, warum sie nicht auch den zweiten tun sollten – was wäre daran schwieriger? Da sie sicher sind, dass sie nicht denken, wie wagen sie zu versichern, dass sie fühlen?
Wenn die Alten den höchsten Gott optimus maximus nannten, so taten sie damit etwas sehr Richtiges; hätten sie jedoch maximus optimus gesagt, wäre es noch richtiger gewesen, da seine Güte aus seiner Macht kommt; er ist gut, weil er groß ist.
Nicht für uns, nicht für uns, o Herr, zu deines eigenen Namens Ehre, o Gott, lass uns auferstehen (Psalm 115).
Die moderne Philosophie, die nur gelten läßt, was sie erklärt, hütet sich, diese dunkle Kraft, Instinkt