Dies sind die Vergessenen Schriften.

Sie erzählen von den bekannten und unbekannten Helden meines Volkes.

Von den größten Geschichtenwebern, den herausragendsten Künstlern.

Aber auch von den schrecklichsten Feinden und den innigsten Freunden.

Legenden, Geschichten, Märchen, Gedichte, Lieder

– sie wurden von mir gesammelt, dem Untergang entrissen und bewahrt, damit sie nicht gänzlich verloren gehen.

Wir Albae mögen unsterblich sein, und doch können wir vergessen werden.

Du, der diese Werke liest, schließe sie in dein Herz und halte sie. Halte sie sicher, trage sie weiter.

Verkünde sie und lasse sie erklingen.

DAS ist wahre Unsterblichkeit!

Die Vergessenen Schriften,

gesammelt und aufgezeichnet von

Carmondai

dem Meister in Bildnis und Wort

Es gibt kein Leben,

ohne den Tod,

es gibt keine Sonne,

ohne den Mond.

Es gibt keine Nacht,

ohne die Sterne,

es gibt kein Nah,

ohne die Ferne.

Es gibt keine Wahrheit,

ohne die Lüge,

und falls doch,

heißt dies nur

dass ich

betrüge.

Das Meisterstück

Es gab im alten Dsôn einst eine geheime Organisation aus den Jungen unseres Volkes, die sich Tyvoi nannte.

Sie war mit ein Grund, weswegen die Unauslöschlichen eine Garde auf die Straßen schickte, bei Sonne und bei Mond, obwohl es keine Feinde im Albaereich zu fürchten gab.

Ich erfuhr nur sehr wenig über die Tyvoi, die sich bei ihren Treffen maskiert einfanden und niemals ihre wahren Züge preisgaben. So vermochte niemand einen oder eine andere zu verraten.

Es mag tausende Geschichten über sie zu erzählen geben, aber nur diese eine Anekdote erreichte mich, ohne dass ich weiß, wann sie sich zutrug …

Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albaereich Dsôn Faïmon, Dsôn, Sommer

Cothóra eilte die enge, tiefnächtliche Gasse entlang, ihr dunkelgrau, schwarz und dunkelblau gemusterter Umhang wehte leicht hinter ihr her. Vor dem Hintergrund der meisten Gebäude in der Hauptstadt verschmolz sie aufgrund des Mantels mit den Mauern, ohne dass sie auf die albische Kunst der Schatten zurückgreifen musste. Es erleichterte vieles, wenn man nicht ständig Dunkelheit um sich aufrechterhalten musste.

Ich siege. Oh, Samusin, ich werde sie alle verblüffen! Die junge Albin kicherte, während sie die schwarze Maske aus Samt anlegte, welche um die Augen, über der Stirn und an den Wangen hinab bis zum Kinn lag. Als Erkennungszeichen trug sie einen Smaragd oberhalb des rechten Auges auf der Außenseite der Larve. Er gab ihr auch ihren Namen innerhalb der Tyvoi: Maràkata, die alte Bezeichnung für Smaragd.

Cothóra blieb stehen, als sie ein leises Geräusch hörte. Die Garde. Jetzt schon?

Weil sie es nicht mehr zurück zum Ausgang des Sträßchens schaffen würde, ehe die Soldaten in die Gasse traten, sprang sie nach rechts, anderthalb Schritte in die Höhe gegen die Wand, nutzte eine Fuge zum Abdrücken, katapultierte sich nach links und weiter an der Mauer empor, stieß sich erneut ab und erreichte mit einem beherzten Sprung die untere Dachkante.

Cothóras behandschuhte Finger schlossen sich um die Abwasserrinne, und mit einer schwungvollen Pendelbewegung gelangte sie auf die Schindeln. Hier bin ich in Sicherheit.

Gleichzeitig marschierte die Garde in die Gasse: fünf Krieger unter Führung eines Gardanten; die Bewaffnung bestand aus Kurzstöcken, Unterarmschilden und Dolchen. Diese kleine Einheit kam überwiegend in den engen Straßen der Stadt zum Einsatz.

Cothóra sah ihnen grinsend dabei zu, wie sie ahnungslos unter ihren dunkelbraunen Augen vorbeiliefen. Dabei suchen sie uns bestimmt.

Die Tyvoi existierten nicht in den Gedanken der herkömmlichen Albae. Und das musste auch so bleiben.

Die Unauslöschlichen wussten von den dreisten, jungen Dieben und Diebinnen; auch mancher Gardant kannte sie, nachdem er einen oder eine von ihnen durch Dsôn gejagt hatte.

Wurde ein Tyvoi gefasst und als solcher erkannt, galt er als besonders aufmüpfiger und gefährlicher Dieb.

Er kam mit einer zunächst harmlosen Strafarbeit davon, was das Fegen von öffentlichen Plätzen, das Ausmisten von Gardeställen oder die Arbeit auf einer Inselfestung zur Folge hatte.

Jedoch erwartete ihn Züchtigung an jedem Moment der Unendlichkeit, solange er seine Strafarbeit verrichtete.

Cothóra hatte von Tyvoi gehört, denen die Haut in Streifen sowie das rohe Fleisch vom Rücken hing. Selbst nach Teilen ihrer Unendlichkeit litten sie Schmerzen wegen der Prügel in ihrer Jugend.

Die Albin war sich der Gefahr bewusst, in der sie schwebte, solange sie der Organisation angehörte, in der die Aufsässigen zusammenfanden und im steten Wettstreit zueinander standen. Es ging nicht um das Erlangen von Reichtum, sondern einzig um Einfallsreichtum, Wagnis und Dreistigkeit.

Doch sie konnte nicht anders. Es kribbelte in Cothóra, auf die Jagd zu gehen und mit ihrer Ausbeute jeden anderen Tyvoi auszustechen, um die Trophäe zu erlangen. In diesem Zehnt würde es ihr gelingen, sie spürte es.

Einer der Gardisten stieß einen Pfiff aus und blieb stehen, die Einheit kam zum Halten.

Er bückte sich und hob etwas auf, das er zwischen den weißen Knochenperlchen gefunden hatten. Der Gardant eilte zu ihm und bekam den handtellergroßen Gegenstand überreicht, der im Schimmern der Gestirne rötlich aufleuchtete.

Das ist mein Medaillon. Cothóra überlief ein kalter Schauder. In den Händen der Garde wäre ihre Beute nutzlos und sie dem Spott der Tyvoi ausgeliefert.

Der Gardant drehte und wendete das Schmuckstück aus Gold mit Runen aus Rubinsplittern, das noch vorhin in einer Panzertruhe mit acht Schlössern im Tempel von Samusin aufbewahrt worden war. Die Verblüffung stand dem Befehlshaber ins Antlitz geschrieben.

Dabei lief es bislang so gut. Cothóra seufzte. Sie war keine Kämpferin und nicht auf eine Auseinandersetzung mit den Kriegern vorbereitet. Ihr blieb einzig die Überraschung und ihre Wendigkeit. Samusin scheint mich besonders auf die Probe stellen zu wollen.

Cothóra richtete sich auf, pirschte auf dem Dach entlang, bis sie sich genau über der Garde befand, und kniete sich hin. Ich werde die Trophäe zurückbekommen.

Mit diesem Gedanken glitt sie in die Tiefe, die Füße voran, auf die Schultern des Gardanten zielend.

Der Alb unter ihren Sohlen wurde gestaucht, sodass er mit einem leisen Schrei zusammenbrach und das Medaillon fallen ließ; leise raschelnd sank es in die Perlen, aus denen es geborgen worden war.

Die Wachen brauchten keinen halben Herzschlag, um sich von ihrer Überraschung zu erholen – als hätten sie das Auftauchen einer Tyvoi erwartet.

Sie zückten die Kurzstöcke und drangen auf die Albin ein, wobei die Gasse nur zwei Angreifer gleichzeitig nebeneinander erlaubte, ohne dass sie sich gegenseitig bei ihren Hieben trafen und verletzten.

Cothóra trug keine Waffen mit sich, was ein wichtiger Punkt im Kodex der Vereinigung war. Das Messer diente ihr als Werkzeug und nicht, um damit Albae zu töten.

Den heranschießenden Stock fing sie mit einem Mantelwirbeln ab, das Holz wickelte sich in eine Falte und saß fest; dem zweiten wich sie aus und versetzte dem Angreifer aus Verzweiflung einen Schlag mit dem Handballen gegen die Stirn.

Sein Helm fing viel von der Wucht ab, doch es reichte aus, um den überrumpelten Soldaten auf die Knochenperlchen zu schicken.

Cothóra trat dem ersten Gardisten gegen die Rüstung und trieb ihn rückwärts gegen die verbliebenen drei, sodass ihr die Zeit blieb, das Medaillon aus den weißen Kügelchen zu wühlen. Da ist es! Erleichtert schnappte sie nach der Scheibe. Wie konnte ich es nur verlieren?

Die Gardisten griffen erneut an.

Wieder nutzte Cothóra ihre schnell geschwungenen Mantelschöße zur Abwehr der Stöcke, dann trieb sie einen Ellbogen mit Härte gegen das Kinn des Vorderen, drehte sich unter der Attacke seines Nebenmannes weg und rammte ihm das Knie in den Schritt.

Dafür bekam Cothóra einen Kurzstock gegen die linke Schulter, die sogleich wie Feuer brannte und sich taub anfühlte. Das abgerundete Ende bohrte sich schmerzhaft in die Magengrube, was neue Pein hervorrief.

Sie sackte leise ächzend in die Knie, womit sie dem nachfolgenden Schlag gegen ihren Kopf durch Zufall entkam.

Nur weg! Mit einer geistesgegenwärtigen Rolle vorwärts entging sie den zugreifenden Fingern eines Gardisten, warf sich nach links und hörte das Zischen einer weiteren Stockattacke.

Cothóra sprang auf die Beine, hetzte taumelnd die Gasse entlang und bog nach rechts ab, während sie hinter sich die Alarm-Pfiffe der Wache hörte, die nach Verstärkung rief. Sie wussten, dass sie die ungepanzerte, schnellere Tyvoi nicht mehr einholen würden.

Die Albin hatte das Gefühl, an der Schulter von einer Klinge getroffen zu sein, doch es quoll kein Blut hervor. Die Nerven spielten ihr einen Streich; ihre rechte Hand umklammerte das Medaillon, weil die linke sich als Auswirkung des Hiebs kaum bewegen ließ.

Das Ziehen im Magen, wo das Stockende sie getroffen hatte, wurde übermächtig. Gurgelnd schoss ihr das Essen die Kehle hinauf.

Cothóra hielt mitten im Laufen inne und übergab sich, stützte sich an der Mauer ab und rang mit dem Schwindel. Und doch musste sie grinsen, spuckte aus und rückte die Maske zurecht. Ich habe meine Beute wieder. Das war es wert.

Sie rannte weiter und tauchte tiefer in den Bereich von Dsôn, in dem die Gassen noch enger und verwinkelter waren.

Cothóra wusste, dass sie die Versammlung erreichen würde. Kein Gardist bekam eine geschickte Tyvoi wie sie in diesem Wirrwarr zu fassen.

Cothóra erreichte die Stelle mit dem geheimen Durchgang unter der Blutbrücke.

Sie sah sich hastig um, dann zog sie den Schlüssel, der in die zweite Fuge von unten geschoben werden musste, wo sich das Schloss verbarg.

Mit ein wenig Stochern gelang es ihr, den Mechanismus zu entsperren und sie drückte den Durchgang auf, hinter dem ein langer Gang wartete, in dem Öllampen an den Wänden brannten.

Cothóra huschte hinein, die Mauer schloss von selbst hinter ihr.

Um den Korridor unbeschadet passieren zu können, durfte sie beim Gehen nur auf bestimmte Bodenplatten treten, sonst wurden Fallen ausgelöst.

Bislang hatte es die junge Tyvoi stets geschafft, nicht Opfer des Abwehrmechanismus zu werden, aber sie hatte gehört, dass sich Fallgruben öffneten, Wasser hereinflutete oder man an Schlingen in die Höhe gezogen wurde.

Das wäre mir zu viel Spott. Cothóra gelangte an das Ende des Ganges und zog den Schlüssel erneut, um dieses Mal das Schloss in der zweiten Fuge von oben zu entriegeln, dann trat sie in die Versammlungshalle.

Mit einem Blick erfasste sie, dass sie als Letzte eintraf.

Die mehr als dreißig Tyvoi, die es in Dsôn gab, standen und saßen in dem runden Raum, der mit einem Durchmesser von zwanzig Schritte und seiner Kuppelform an einen Tempel erinnerte. Die maskierten Albae unterhielten sich, es wurde gelacht und gescherzt.

Einige sahen auf und wandten sich um, nickten oder prosteten ihr mit den Bechern zu. Keine Maske sah aus wie die andere, dazu kamen die besonderen Merkmale wie Edelsteine, Muster oder Markierungen. Niemand kannte die wahren Namen dahinter.

Auf aufwendige Kleidung verzichteten die Tyvoi; man trug schlichte Gewänder, die bequem und praktisch waren. Die Diebe versammelten sich nicht, um mit kostbaren Stoffen anzugeben.

Gepolsterte Stühle, Sessel und Bänke luden zum Verweilen ein. Im großen Kamin brannte ein Feuer, um die Kühle zu vertreiben, die trotz des Sommers herrschte. Im Mittelpunkt des Kuppelraumes stand eine große Tafel, an der sämtliche Tyvoi zum Beratschlagen und Feiern Platz fanden.

Cothóra erwiderte den Gruß, anschließend hob sie den Kopf und lächelte in das warme Licht, das sie von allen Seiten umschmeichelte.

In den mit poliertem Blattgold verkleideten Wänden befanden sich rundum kleine Nischen, in die Tafeln mit den Namen der Besten eingelassen waren. Der gewaltige Leuchter, in dem zehn Ölfackeln steckten, schwebte in der Mitte etwa sieben Schritte über dem Boden, die Feuer brannten rauchlos und verbreiteten den schwachen Geruch von Kräutern.

Cothóras Blick wanderte hinüber zur diamantverzierten Trophäe in Form einer Maske, die dem oder der Tyvoi gebührte, die den wertvollsten Fang mit in die Versammlungshalle brachte. Oh, ja. Leuchte und glitzere. Bald darf ich dich für mich beanspruchen.

Zwei laute Schläge erklangen, die mit einem metallischen Klirren einhergingen.

Cothóra sah hinüber zu Nâgal, dem Alb mit dem Zeremonienstab, der aus Schwarzholz gemacht war und bis an die Schulter reichte; Intarsien aus weißem Gebein und eine silberne Spitze verliehen ihm etwas sehr Edles, ein Ring aus schwarzen Onyxen bildete den oberen Abschluss.

Die Gespräche verstummten abrupt.

»Da nun Maràkata ebenfalls zu uns gestoßen ist«, rief der älteste Alb im Saal deutlich, »kann die Bewertung der Beutestücke beginnen. Tretet vor«, die Spitze deutete auf die lange Tafel, »und zeigt, was ihr genommen habt. Berichtet, wem ihr es nahmt und wie sich das Ganze zutrug. Ich werde bewerten, welches das Wertvollste ist.« Nâgal begab sich an den langen Tisch und setzte sich.

Diamàs, eine Albin mit kurzen, grauen Haaren und einer in dunkelrot gehaltenen Maske mit schwarzem Emblem, machte den Anfang und zog eine vergoldete Speerspitze aus dem Beutel.

Cothóra zog die Augenbrauen hoch, was natürlich keiner sehen konnte, und doch war sie sich sehr sicher, dass andere Tyvoi ihr Gefühl der Überraschung teilten. Ist das … die Speerspitze des Tion-Standbildes?

Der Platz, an dem sich die elf Schritte hohe Statue des finsteren Gottes erhob, war bei Tag und Nacht belebt, hierher kamen die unbekannten Dichter, die ihre schönen Worte und Verse unentgeltlich an die Einwohner vortrugen, weil sie hofften, von der Masse entdeckt zu werden. Es gab sogar Künstler, die ihre Gedichte nur bei Dunkelheit rezitierten, weil sie die größte Wirkung entfalteten. Wie gelang ihr das? Es ist unmöglich, nicht von der Garde bemerkt zu werden.

Diamàs legte die Speerspitze vor Nâgal ab, dann stieg sie auf einen Sessel, damit sie besser gesehen und gehört wurde. »So vernehmt meine Geschichte, geschätzte Tyvoi!«, sprach sie und konnte ihre Siegessicherheit in der Stimme kaum verbergen.

Cothóra hörte der Albin kaum zu. Das Medaillon hatte sie aus dem stark besuchten Samusin-Tempel entwendet, und es war ihr sehr leicht gefallen. Sie hatte eine Pause zwischen den Gebeten abgewartet, in der die Gläubigen zum Essen und Trinken das Gebäude verließen. Das Tor, aus dem Wächter zu Sicherung kamen, hatte sie zuvor sorgfältig verkeilt. Für die Truhe mit den acht Schlössern hatte sie nicht lange gebraucht.

Das darf ich so nicht erzählen. Sie legte sich eine neue Geschichte zurecht, wie sie an das Medaillon gekommen war, und schmückte das Ganze gedanklich aus, um mehr Eindruck zu machen. Bei aller Meisterlichkeit der Kunst des Stehlens, war die Darbietung der Geschichte vor der Versammlung ein wichtiger Bestandteil. Nâgal würde genau hinhören und am Ende vielleicht nachfragen. Eine gute Lüge durfte keine Schwächen offenbaren.

»… gelang es mir, Tions Speerspitze zu stehlen«, schloss Diamàs und sprang auf den Steinboden zurück.

Applaus brandete auf, der recht ordentlich ausfiel, aber nicht überschwänglich. Die Tyvoi nahmen es ihr übel, dass sie sich bereits als Trägerin der Trophäe präsentierte.

Als nächstes ging Moìgok zur Tafel und nahm beinahe verschämt eine schwarze Haarnadel aus Tionium hervor, an der Diamantsplitter glitzerten. »Dies bringe ich«, hob er an und berichtete stehend und stockend mehr an Nâgal denn zur Versammlung gewandt, wie er einer bekannten Sängerin ihren Glücksbringer entwendet hatte. Moìgok war mit seiner Erzählung viel zu schnell am Ende, um Eindruck zu machen, so bekam er mitleidigen Höflichkeitsbeifall.

Zwei Tyvoi zogen sich ganz zurück und verzichteten darauf, ihre Beute zu weisen. Sie wussten, dass es gegen Diamàs nicht ausreichte, und bevor sie sich wie Moìgok blamierten, ließen sie es ganz sein.

Cothóras Hände wurden kalt und schweißnass. Ihre Aufregung stieg.

Sie spürte den Blick des ältesten Albs auf sich, was eine Aufforderung war, an den Tisch zu treten. Die Schmerzen im Magen und an der linken Schulter brannten nach wie vor.

»Maràkata, was brachtest du uns?«, wandte sich Nâgal an sie und zeigte mit der Silberspitze des Stabes auf sie. »Nur nicht schüchtern.«

Cothóra räusperte sich und legte das Schmuckstück neben Tions Speerspitze, was ein Raunen auslöste. Somit traten zwei Götter in Wettstreit miteinander. Gott des Windes und des Ausgleichs, leite meine Zunge und meine Worte recht.

»Geschätzte Tyvoi«, rief sie und sprang ebenfalls auf den Sessel, wie es Diamàs getan hatte. »Ich bringe euch das Medaillon von Samusin, das er in der Schlacht von Ushónai dem Scheusal Tros’hkál entriss, das als Tions bester Krieger galt«, rief sie und reckte sich. »Vernehmt die Geschichte, wie es mir gelang, die Heerscharen von Gläubigen zu übertölpeln, die Priester zu täuschen und die Wächter abzuschütteln, die mir auf den Fersen waren.« Sie zog ihr Gewand an der Schulter nach unten und wies auf den dunkelblauen Fleck. »Um ein Haar hätte ich meine Unendlichkeit verloren.«

Nun richteten sich alle Augenpaare auf sie. Die Feindseligkeit, die Diamàs verströmte, lag regelrecht als ätzender Duft in der Hallenluft.

Cothóra redete und redete, dachte sich immer neue Wendungen aus, bis sie nicht mehr weiter wusste. Sie hatte kein Gefühl, wie lange sie sprach, doch es erschien ihr endlos. Als sie auf den Boden zurücksprang, klatschten die Tyvoi begeistert und ein bisschen mehr als bei Diamàs.

Nâgal nickte ihr zu und schrieb mit seiner Feder auf das Blatt vor sich. »Der nächste möge vortreten.«

Cothóra zog sich von der Tafel zurück, Acátor reichte ihr einen Becher mit Wein, den sie gierig hinabstürzte und den er mit einem leisen Lachen auffüllte.

»Du könntest die Trophäe erringen«, raunte er ihr zu und berührte sie an der unverletzten Schulter. »Eine Meisterin der Lüge und des Stehlens.«

Sie lächelte ihm dankbar zu und freute sich über seinen Zuspruch. Schweiß rann ihr den Rücken hinab. Das war anstrengender gewesen als die Flucht vor der Garde.

Ôpailos trat nach vorne und ging bereits theatralisch wie ein Mime. Sein wiegender Schritt, das Biegen des Oberkörpers nach rechts und links sorgte für leise Belustigung. Dann riss er vor der Tafel die rechte Hand ruckartig in die Höhe und hielt etwas zwischen Daumen und Zeigefinger, das er mit großer Geste vor Nâgal auf dem Tisch ablegte.

Cothóra konnte nicht erkennen, was das sein sollte. Entweder es ist unsichtbar oder meine Augen sind unsagbar schlecht. Da aber auch der Älteste ein verdutztes Gesicht machte, schien sie nicht die Einzige zu sein, die sich wunderte.

Das Raunen wurde lauter.

»Verehrte Tyvoi«, rief er, sprang auf den Sessel und von dort auf die Tafel. »Ich präsentierte euch: ein Haar von Nagsar Inàste!« Nun riefen alle durcheinander. Nur das laute Klopfen mit dem Zeremonienstab konnte die Ruhe in die Halle zurückzwingen.

»Glaube mir, Ôpailos«, sagte Nâgal, »ich bin sehr neugierig auf deine Geschichte.«

»Oh, das darfst du. Es ist ein Diebesstück der besten Sorte, mit allem, was es braucht, um legendär zu sein.« Der Alb breitete die Arme aus und drehte sich aufmerksamkeitsheischend um die eigene Achse. »Ihr werdet mir danach die Trophäe aufzwingen. Ich verwette darauf sogar meine Unendlichkeit.« Dann begann Ôpailos mit glühendem Eifer zu berichten: von der Beobachtung des Beinturms, von seinem Eindringen, von den unzähligen Fallen, von den blinden Wächtern, die ihn hetzten, von der Schönheit Nagsar Inàstes, die er in einem Spiegel sehen durfte, von der Einrichtung ihres Schlafgemachs, von seiner Flucht und seinem Sturz am Turm hinab und der Jagd quer durch Dsôn.

Cothóra hing an seinen Lippen. Das ist ein wahrer Meistererzähler, dachte sie kurz und tauchte sofort wieder in die Geschichte ein, die Ôpailos zum Besten gab.

Niemand sprach, alle lauschten und tranken, stießen sich gegenseitig an, wenn es sich doch zu ungeheuerlich anhörte. Aber keiner unterbrach den Tyvoi, der sich mehr und mehr steigerte, um zum Abschluss seiner Schilderung zu kommen.

»So eilte ich zu euch. Lebendig. An einem Stück.« Ôpailos lachte und stampfte mit dem Fuß auf den Tisch, sodass Speer und Medaillon klirrend hopsten. Seine Miene nahm einen schelmischen Ausdruck an, während er seine Kumpanen betrachtete. »Und soeben gelang es mir, den größten, den besten, den einmaligsten Diebstahl zu begehen. Vor euer aller Augen«, setzte er hinzu. »Denn nach nichts anderem trachtete ich.« Wieder drehte er sich um sich selbst. »Ich bestahl euch! Jeden Einzelnen und jede Einzelne.«

Mich auch? Sofort tastete Cothóra an sich herum. »Bei mir versagtest du«, rief sie sofort. »Mir fehlt nichts.«

»Mir auch nicht«, stimmte Acátor ein; nach und nach gesellten sich die zweifelnden Stimmen der anderen hinzu.

Nâgal blickte zu dem Tyvoi hinauf. »Ich verstehe, dass du uns zum Narren halten wolltest, aber noch sehe ich nicht, worauf es hinausläuft.«

»Nun, da ich euch nicht das Haar von Nagsar Inàste bringen konnte …«, setzte er an und wurde unverzüglich von Diamàs wütend unterbrochen.

»Damit bist du nicht nur aus dem Wettstreit um die Trophäe«, rief sie, »sondern wirst auch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.« Sie starrte zu Nâgal. »Sag es ihm! Auch wenn die Geschichten von der Erbeutung ausgeschmückt werden dürfen, ein Tyvoi muss stets seine Eroberung vorweisen.« Diamàs reckte das Kinn.

Schade. Aber sie ist im Recht. Cothóra bedauerte die Wende. Doch was meinte er damit, als er davon sprach, dass er uns bestahl?

Dass Ôpailos schallend lachte, verwunderte die Albae. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass ihm die Mitgliedschaft entzogen wurde. »Oh, ich behauptete niemals, dass ich das Haar hatte.«

»Doch«, keifte Diamàs und eilte auf ihn zu. »Steig vom Tisch herab, damit ich …«

Der Alb ging lässig in die Hocke und sah die Aufgebrachte erheitert an. »Ich sagte ich präsentierte euch, und das war ganz bewusst die Möglichkeitsform. Anschließend unterhielt ich euch mit meiner Fassung, wie der Diebstahl wohl verlaufen wäre, hätte ich ihn tatsächlich begangen.« Er legte einen Finger gegen das Kinn und tippte dagegen. »Und damit bestahl ich dich, Cothóra und Acátor sowie alle Tyvoi in dieser Halle.« Er wandte sich an Nâgal. »Sogar dich.« Er zwinkerte. »Außerdem kann ich gar nicht ausschließen, dass es kein Haar der Unauslöschlichen ist. Ich fand es in der Nähe des Turms. Mag sein, dass Samusin es mir sandte.«

Wieder wurde es laut in der Halle. Die Tyvoi rätselten über den merkwürdigen Auftritt.

Cothóra tastete sich erneut ab. Nein, es fehlt nichts, befand sie – und stutzte. Ihr Götter! Aber natürlich. Sie prustete und klatschte langsam Beifall, wurde immer schneller und lachte laut, sodass sich alle zu ihr umwandten.

»Mir scheint, bei einer hatte er Glück«, kommentierte Diamàs schneidend. »Er entwand Maràkatas Verstand.«

Cothóra beruhigte sich allmählich und stellte den Applaus ein, während Ôpailos und auch Nâgal neugierig zu ihr blickten. »Ich fand die Lösung«, verkündete sie und zeigte auf den Tyvoi. »Ich sah mich heimlich bereits mit der Trophäe nach Hause gehen, doch nun kann ich nicht anders als zu fordern: Lasst sie ihm.« Sie senkte den Arm, danach andeutungsweise ihr Haupt. »Ôpailos stahl uns allen: Zeit.«

Der Tyvoi grinste sie an. »Du bist eine gute Tyvoi, Cothóra, und dazu noch klug. Genau das tat ich, und ich muss gestehen, dass ich niemals zuvor aufgeregter war als vor diesem Diebeszug. Denn wie kann man die Meister des Stehlens hintergehen, ohne dass sie es bemerken?« Er erhob sich und verneigte sich in alle Richtungen, dann sprang er vom Tisch und landete genau vor Diamàs, die ihn fassungslos anstierte. »Es war mir ein großes Vergnügen.«

Die schweigenden Tyvoi betrachteten Ôpailos, als sei er ein hässliches Scheusal, das wie aus dem Nichts in Dsôn aufgetaucht war und ihnen gerade erklärt hatte, dass man verwandt sei.

Der metallische Schlag, der unvermutet erklang, ließ Cothóra vor Schreck zusammenzucken, weitere folgten: Nâgal stieß den Stab rhythmisch auf die Steinplatten, steigerte von Mal zu Mal die Geschwindigkeit.

Nach und nach fielen die Albae mit Applaus ein, dann flogen erste Hochrufe zur Hallendecke hinauf.

So ein gerissener Kerl. Cothóra klatschte sich die Finger wund. Ich gönne ihm den Titel von ganzem Herzen.

Und als Nâgal die Maske aus der Nische nahm und sie feierlich an Ôpailos überreichte, der sie nun mit glücklichem, aber weniger hochmütigem Lächeln in Empfang nahm, konnte sogar Diamàs nicht anders, als Beifall zu spenden.

Cothóra atmete die Enttäuschung, dass sie leer ausgegangen war, mit einem Seufzen aus. Acátor schenkte ihr wieder Wein nach. »Ich denke«, sagte sie und prostete über die Köpfe der Tyvoi hinweg dem Sieger zu, »ich werde das nächste Mal bei Ôpailos einsteigen. Oder noch besser«, sie sah Acátor an, und ihre Augen verengten sich, »ich stehle ihm die Trophäe. Dann kann ich sie gleich behalten.«

Acátor nickte. »Da wirst du dich mit Diamàs vor seinem Haus treffen und darum prügeln müssen, als Erste hinein zu dürfen«, schätzte er.

Cothóra lachte und genoss den Wein. Es war keine einfache Sache, eine Tyvoi zu sein. Doch es ist die beste.

… ob es die Überlebenden nach dem Untergang des Sternenreichs bis nach Dsôn Balsur schafften, ob ihr Kodex nach dem Stern der Prüfung erhalten geblieben war, ob einige Tyvoi in Dsôn Sòmran überlebten und mit den Drillingen nach Tark Draan einfielen – ich weiß es nicht.

Doch nach allem, was ich vage hörte, würde es mich nicht wundern.

Schreite,

wenn du die Zeit genießt.

Laufe,

wenn du erwartet wirst …

Renne,

wenn dein Geliebter ruft.

Verharre,

wenn der Angriff naht.

Sei des Gegners Tod,

sei deren Endlichkeit.

So mag es sein,

dass du danach

über das Schlachtfeld

schreitest.

Die Klinge Tadellos

Einst erschuf ein Schmied ein Schwert von solcher Güte, dass es niemand führen durfte, denn nicht einmal der beste Krieger oder die beste Kriegerin seiner Zeit sei würdig genug, so befand sein Schöpfer. Auch vor den Unauslöschlichen hielt er die Waffe verborgen, und er nannte die Klinge Tadellos.

Der Schmied versteckte das Schwert hinter einer doppelten Wand in seiner Werkstatt und schwor, dass er die Klinge demjenigen als Geschenk überreichte, der die größte Heldentat des Albaereichs vollbringen werde.

So vergingen die Teile der Unendlichkeit.

Der Schmied wartete auf einen Helden oder eine Heldin, dem er sein Werk vermachen könnte.

Doch so groß die Anzahl der Heldinnen und Helden war, die das Volk der Albae hervorbrachte, niemand erschien ihm gut genug.

Verbittert nahm er die Klinge Tadellos aus ihrem Versteck und sagte: »Alles Warten war vergebens. Ich werde dich dem Nächsten schenken, der durch die Tür meiner Schmiede tritt.«

Und als sich die Sonne neigte, geschah es, dass schnelle Schritte herbeieilten und der Eingang geöffnet wurde. Auf der Schwelle stand eine Albin, jung, nicht einmal halb erwachsen, die ihm ein altes Hufeisen brachte. Sie sagte: »Schau, was ich fand. Ich dachte, dass du es vielleicht einschmelzen und zu etwas anderem formen möchtest.«

Der Schmied nahm das Eisen und bedankte sich. Als die Albin sich zum Gehen wandte, sagte er: »Warte. Ich will es dir wiedergeben, wenn du mir versprichst, dass du es ehrst.«

Als das Mädchen nickte, stellte er sich so, dass sie nicht sehen konnte, was er auf dem Amboss schmiedete, und tat, als formte er aus dem Hufeisen etwas Neues.

Heimlich jedoch nahm er das Schwert hervor und wandte sich zu der kleinen Albin um. »Sieh, was ich aus deinem Hufeisen machte«, sprach er lächelnd. »Nimm das Schwert und halte es in Ehren, wie du es mir versprachst.«

Die kleine Albin strahlte und trug die Waffe von nun an immer bei sich.

Jedem, der sie fragte, woraus diese wunderschöne Stück geschmiedet sei, antwortete sie: aus einem Hufeisen.

Als die Albin älter wurde, schlug sie den Weg einer Sängerin ein, und doch trug sie die Klinge Tadellos stets bei sich. Ganz gleich, wo sie auftrat, die Waffe begleitete sie. Man bewunderte ihre Stimme, ihre Kleider und die einmalige Waffe.

Doch sie wurde nicht einmal gezogen, um den Tod zu bringen.

Da ließ ihr Gefährte, der ein großer Krieger war, die Hülle im Geheimen nachbauen und tauschte die Klinge Tadellos gegen eine Fälschung aus, denn er wollte das herrliche Schwert auf dem Schlachtfeld sehen.

Aber die Klinge Tadellos kannte nur eine Herrin.

Kaum ritt der Gefährte damit ins Feld und schwang sie gegen eine Unzahl Óarcos, ging jeder seiner Hiebe fehl.

So sehr sich der Krieger mühte, die Schneide wich den Feinden aus und surrte an ihnen vorbei. So wurde der Alb bald von der Übermacht niedergestreckt und lag erschlagen zwischen den Scheusalen.

Auf diese Weise gelangte die Klinge Tadellos in die Hände einer üblen Bestie, die sich damit brüstete, sie erlangt zu haben.

Und weil sie sich sicher wähnte, unzählige Gegner damit zu zerteilen, rannte sie damit brüllend und höhnend in die Schlacht.

Aber die Klinge Tadellos kannte nur eine Herrin.

Bald lag der Óarco von Gnomen erschlagen in seinen eigenen Gedärmen im Dreck. So geriet das Schwert in die Hände eines Gnoms, der jedoch mit seinen kleinen, listigen Äuglein genau gesehen hatte, dass die Schneide absichtlich ihr Ziel verfehlte.

Damit es ihm nicht ebenso ergehe wie dem Óarco, verkaufte der Gnom die Klinge Tadellos an einen Barbarenhändler, der ihm dafür einen guten Preis machte.

Der Händler wiederum verkaufte sie an einen Fürsten, der Fürst an einen König, und der König schenkte sie seinem besten Krieger.

Der Barbar zog alsbald mit einem Heer in den Kampf gegen die Albae und beteiligte sich an einem Hinterhalt, der den Nachschub der edlen Krieger unterbrechen sollte.

Doch sie irrten sich in ihrer Wegstrecke und gerieten an einen kleinen Tross, der nichts von Bedeutung mit sich führte – außer einer Sängerin, die sich auf dem Weg zu den Truppen befand, um ihnen mit ihren Liedern und ihrer Stimme Beistand für die Schlachten zu geben.

Die Handvoll Albae wurde gefangen genommen und sollte hingerichtet werden.

Als nun der Barbar die Klinge Tadellos zog, um den ersten Alb zu enthaupten, erhob sich die Sängerin, welche ihre Waffe sogleich erkannt hatte.

»Wenn es dir gelingt, mich mit diesem Schwert zu verletzen, folge ich dir bis ans Ende deiner Tage und bin dir zu Willen«, sprach sie mit wunderschöner Stimme. »Gelingt es dir nicht, musst du mich und meine Leute freilassen.«

Der Barbar und seine Soldaten lachten die Albin aus, und er hob das Schwert, um ihr den Schädel vom Rumpf zu trennen.

Aber die Klinge Tadellos kannte nur eine Herrin.

Die Schneide verfehlte die Albin und fuhr stattdessen einem der Barbaren durch den Leib.

Der Soldat holte erneut aus, und wieder und wieder, und drosch schließlich wie von Sinnen auf die Albin ein, doch jedes Mal erstach und durchbohrte die Klinge Tadellos einen seiner Leute, bis nur noch er selbst übrig war.

Da warf der Barbar das Schwert auf den Boden und riss seinen Dolch aus dem Gürtel. »Diese Waffe ist von einem bösen Geist besessen. Nun bekommt ihr meinen treuen Stahl zu schmecken!«

Sogleich hob die Albin die Klinge Tadellos auf und stieß sie dem Barbaren durchs Herz, sodass er tot niederfiel, wo er gerade gestanden hatte.

Und obwohl sie das Kriegerhandwerk niemals erlernte, zog sie in die Schlacht und wütete sie unter den Feinden, als habe sie nichts anderes in ihrer bisherigen Unendlichkeit getan.

Als die Albae das sahen, baten sie die Sängerin, sie fortan mit der Klinge Tadellos anzuführen.

So kam es, dass aus einer Sängerin die größte Heldin wurde, welche das Reich der Albae jemals gesehen hatte, und wie es sich der Schmied immer für seine Waffe gewünscht hatte.

Und niemals verweigerte die Klinge Tadellos ihrer Herrin den Dienst.

Die Inagsàri

Die wenigsten Albae wissen von den Inagsàri.

So sehe ich es als meine Pflicht und Ehre, einen Einblick in die wichtige Aufgabe von Drâcoràs, Ishînaia, Hëironî und Tólanôri zu geben, die abseits von beinahe sämtlichen Augen und Ohren von den drei Veteraninnen und dem Veteranen verrichtet wurde.

Dies ist ihre Geschichte …

Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albaereich Dsôn Faïmon, Strahlarm Shiimīl, 4370. Teil der Unendlichkeit (5189. Sonnenzyklus), Sommer

Drâcoràs stieg von seinem Nachtmahr, keine hundert Schritte von dem Gehöft entfernt, das ihm genannt worden war. Hinter ihm saßen seine Begleiterinnen, Ishînaia, Hëironî und Tólanôri, ebenfalls von ihren Rappen ab und betrachteten gemeinsam mit ihm die Ansammlung von Gebäuden, die sich inmitten der wogenden Haferfelder erhob.

Die Albinnen und er waren Veteranen, versiert im Kampf und schwerlich zu erschüttern. Genau diese Eigenschaften benötigten sie für ihre Aufgabe.

Äußerlich waren sie durch nichts von gewöhnlichen Bewohnern zu unterscheiden. Unter ihren leichten, knochenweißen Mänteln waren die schwarzen Lederrüstungen und die Kurzschwerter lediglich zu erahnen. Keiner der Vier trug militärische Insignien, man konnte sie allenfalls für die Leibwache einer hohen Persönlichkeit des Reiches halten.

Die abendliche, warme Luft war erfüllt vom Geruch nach Staub, nach reifendem Getreide, an dem sich der Nachttau bildete, und Rauch, der aus den Kaminen des Hofs stieg. Der Duft von schmorendem Fleisch und Gemüse gesellte sich hinzu; anscheinend wurde das Essen für die Sklaven und die Albae vorbereitet.

Der sanfte Wind aus dem Süden spielte mit den gelben Rispen, bog die Halme und erschuf Muster in den Feldern.

Drâcoràs gefiel der Anblick. Samusin scheint Gefallen daran zu finden, sich unaufhörlich verändernde Bilder zu malen. So rasch, wie sie entstehen, so vergehen sie. Er fasste die langen, schwarzen Haare zusammen und band sie zu einem Knäuel am Hinterkopf. Mit einer Nadel, die er aus seinem Gürtel zog, fixierte er den Schopf.

Das war das Zeichen für seine drei Begleiterinnen, die Mäntel abzulegen. Jetzt erst kamen die zahlreichen Wurfdolche und -sterne zum Vorschein, die sie an Brust- und Rückengurten trugen. Die Albinnen legten ihre schlichten, blutroten Masken an, auf deren Stirn die weiße Segensrune der Unauslöschlichen prangte.

Drâcoràs tat es ihnen gleich und löste den weißen Umhang von seinen Schultern, um ihn am Sattel festzubinden, dann trabte er auf die kleinste der Scheunen zu.

Das Getreide um sie herum raschelte, die reifen Körner an den Rispen rieben aneinander; dann schlug der Wind um und wechselte auf Norden, als wüsste er, was den Bewohnern des Gehöfts bevorstand.

Das letzte Mal, als sie fündig geworden waren, hatte es geregnet. Sie mussten mitten in Dsôn, im Schwarzen Herzen, zuschlagen und dabei darauf achten, dass niemand erfuhr, was geschah.

Kein Laut durfte erklingen, kein Schrei ertönen und unter allen Umständen durfte niemals bekannt werden, was der Grund für den tödlichen Besuch der Inagsàri war, so lautete die Maßgabe.

Die Abgeschiedenheit ist von enormem Vorteil für uns. Drâcoràs zog seine Kurzschwerter, deren eine Seite gerade geschliffen, die andere fein gewellt und gezackt war. Die Parierstangen bogen sich ungewöhnlich weit nach oben und verliefen eine Handbreit parallel zur Klinge. Damit war es möglich, gegnerische Waffen abzufangen und einzuklemmen. Es ist lange her, dass wir keine Rücksicht auf die Umgebung nehmen mussten.

Er erreichte das Tor und blieb stehen.

Ishînaia erklomm lautlos das Dach, Hëironî umrundete das Gebäude, Tólanôri begab sich an die Seite, wo sich ein einfaches Holzfenster befand.

Nachdem zehn Herzschläge vergangen waren, öffnete Drâcoràs den Eingang mit einem kräftigen Tritt und schritt gemächlich ins Innere, die Kurzschwerter am langen Arm schräg vor sich haltend.

Der Anblick, der sich ihm bot, brachte den Alb unter seiner Maske zum Lächeln. Wir sind richtig!

Zwei überraschte Albinnen saßen in der Mitte der kerzenbeleuchteten Scheune, beide trugen einfache Unterkleider, die von Blut getränkt waren, und hielten Dolche in den Händen.

Vor ihnen lag ein Alb mit aufgeschlitzter Kehle und herausgeschnittenem Herzen sowie verschmiertes Werkzeug, das sie benötigt hatten, um seinen Brustkorb zu öffnen. In einer Wanne mit glühenden Kohlen verbrannte das Herz rauchend, der Qualm wirbelte und schien eine Fratze zu formen.

Abseits der Albinnen befand sich ein nackter Säugling auf einer Decke, der zum Rauch starrte, aber nicht schrie; der Anblick des sich bewegenden Dunstes schien ihn abzulenken. Die Runen, die ihm mit dem Blut des Toten auf den Leib gemalt worden waren, ließen keinen Zweifel daran, dass sie ihn ebenfalls umbringen wollten.

Ich hatte mit mehr Ungetreuen gerechnet. Drâcoràs blickte sich lange um, doch er entdeckte niemanden sonst, der sich am Ritual beteiligte. »Ihr beiden«, sprach er währenddessen, »habt euch der Abkehr schuldig gemacht. Die Beweise sind eindeutig.«

»Endlich! Oh, wie ich mich freue, dich zu sehen! Ich sage mich von den Infamen los!«, rief die Blonde der Albinnen sofort und erhob sich. Flehend reckte sie die blutverschmierten Arme, ohne jedoch den Dolch fallen zu lassen. »Schau! Ich wurde gezwungen! Sonst hätten sie mich geopfert.«

»Lügnerin!«, hielt die Braunhaarige dagegen und sprang auf die Füße. Sie warf ihre Waffe vorsichtig auf die Erde. »Sie ist die Priesterin! Sie wob einen Zauber und …«

Drâcoràs richtete das rechte Schwert auf die beiden, und sie verstummten. »Wir sind die Inagsàri.« Erst dann drehte er den Kopf, der Blick seiner dunkelblauen Augen traf sie. »Die Unauslöschlichen haben das Gebot erlassen, dass den Infamen nicht mehr zu huldigen ist und den alten Riten abgeschworen werden muss.« Die Waffenspitze zeigte nun auf die Leiche. »Die Unauslöschlichen dulden nicht länger Götter, die kostbares Albaeblut verlangen.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Wie konntet ihr nur? Dazu noch einen Säugling! Welche Gunst vermag ein Infamer zu gewähren, dass es diese Taten rechtfertigt?«

Die Brauhaarige deutete erneut anklagend auf die andere Albin. »Sie tut es, damit die Felder mehr Ertrag bringen, behauptet sie.«

Hëironî betrat in der Zwischenzeit die Scheune lautlos von der anderen Seite, Tólanôri kletterte leise durch das Fenster. Die beiden Veteraninnen hielten sich im Schatten und warteten auf das Zeichen ihres Anführers. Ishînaia fehlte noch.

Die Blonde gab das Verstellen auf. »Ich gebe Ríodh’ogîs, was er verlangt. Dafür wächst so viel Korn an den Rispen, dass ich damit halb Dsôn ernähren kann«, giftete sie. »Ich gebe zwei läppische Leben an einen Infamen, und dafür verhindere ich eine Hungersnot und den Tod von Tausenden! Was ist daran schlecht?«

»Kam dir in den Sinn, dass deine Äcker von Samusin gesegnet sind? Er wacht über uns. Er und unsere Schöpferin Inàste wissen, was sie den Unauslöschlichen raten müssen, damit unser Volk nicht zugrunde geht«, hielt Drâcoràs mit Abscheu vor so viel Verblendung dagegen. »Wem gehört das Kind?«

»Sie hat es ihrer Tochter abgenommen«, haspelte die Braunhaarige. »Das arme Mädchen freute sich so über ihren Nachwuchs, und nun soll …«

Mit einer schnellen Bewegung versetzte die Blonde ihr einen Dolchstich mitten in die Brust. »Nimm dieses Leben, Ríodh’ogîs!«, rief sie voller Inbrunst. Der Rauch verwirbelte schneller, die Fratze erschien deutlich. Zischend brannten die kleinen Flämmchen um das schmurgelnde Herz. »Es sei dein!«

Die Braunhaarige taumelte keuchend zur Seite und stürzte neben den Säugling.

»Nimm ihre Unendlichkeit und …«

Drâcoràs machte einen raschen Schritt nach vorne und rammte ihr das Schwert mitten durch den Mund, sodass weitere Worte von der Klinge erstickt wurden. »Deine Unendlichkeit ist vertan. Dein Tod heißt Drâcoràs, und ich nehme dir das Leben anstelle der Unauslöschlichen. Von dir wird nichts bleiben, nicht einmal dein Name.« Die Spitze trat im Nacken aus, Blut rann über die Lippen und die Haut im Genick, dumpf aufkeuchend brach die Albin zusammen.

Dass die Einfältigen nie aussterben. Drâcoràs kippte das Kohlebecken mit dem Fuß um, sodass das Herz aus dem heiß lodernden Feuer herauskullerte und kokelnd auf den Gang rollte. Die Fratze im Rauch löste sich indes auf, als hätte es sie niemals gegeben. Einem Infamen vertrauen. Närrin.

Der Alb durchsuchte die Ungetreuen, die er so oder so umgebracht hätte. Die Unauslöschlichen verbaten jede Gnade, jedes Mitleid. Der Glaube an die Infamen sollte mitsamt ihren Trägern ausgerottet werden.

Drâcoràs sah es nur als eine Frage der Zeit an, wann die bloße Erwähnung der alten Götternamen unter Strafe stand. Bis dahin musste jeder Hinweis auf sie und ihre vermeintliche Existenz verschwunden sein.

Da ist es ja. In einer Tasche der Blonden fand er einen kleinen Beutel, aus dem er einen bemalten Zahn und ein Gebeinstückchen schüttelte. Artefakte und Relikte. Stets der gleiche Huldigungszinnober der Ungetreuen. Er schob die Reste zwischen die glühenden Kohlen und verfolgte, wie das Knöchelchen verbrannte und der Zahn leise klickend zersprang. Dass die Flammen sich dabei für die Dauer weniger Herzschläge verfärbten, schob er auf das Material.

»Setzt die Felder in Brand«, befahl er ruhig. »Es mag sein, dass Ríodh’ogîs wirklich seine Macht im Spiel hatte. Es wird nicht im Sinn der Unauslöschlichen sein, wenn das Korn, das ein Infamer gedeihen ließ, als Mehl nach Dsôn und in die Mägen der Unbefleckten gelangt.« Wer weiß, was es mit ihrem Verstand anrichtet.

Drâcoràs ging zum stummen Säugling und wickelte ihn in die Decke, hob ihn auf und verließ die Scheune, um nach Ishînaia zu sehen.

Noch bevor er zum Tor hinaustrat, roch er das Metallische, das bei ihrer Ankunft nicht in der Luft gehangen hatte. Dann sah er die vermisste Albin, die mit gezogenen Schwertern auf dem Hof stand, umringt von den Leichen zwei Dutzender Albae, die in den Händen Sensen, Dreschflegel und Sicheln hielten; hier und da brannten fallen gelassene Fackeln.

Ishînaia reinigte ihre Klingen an der Kleidung eines Erstochenen und blickte zu ihrem Anführer. »Sie kamen schlagartig angerannt«, berichtete sie und öffnete die Kleidung des Toten bis zum Nabel. Eine eingeritzte Rune wurde in der Haut sichtbar. »Ich fand sie bei allen.«

Drâcoràs nickte und dachte an den Rechtfertigungsversuch der Braunhaarigen. Es bedeutete keinen Unterschied, ob sie zu den Infamen gezwungen worden waren oder nicht. Sie wären so oder so in die Endlichkeit gegangen. »Bringt sie in die Scheune und zündet sie an.« Er sah auf den Säugling auf seinen Armen.

»Was ist mit ihm?« Ishînaia erhob sich, die roten Spritzer auf ihrer Maske wurden nun erst erkennbar; im Licht der Nachtgestirne wirkten sie beinahe schwarz.

»Ein Opfer für den Infamen. Das Kind ist unschuldig und darf leben.« Drâcoràs begab sich auf den Weg zu den Nachtmahren und hob im Vorbeigehen eine der Fackeln auf. »Ich suche eine Familie für den Knaben.«

Während er durch die wiegenden Rispenhalme schritt, hielt er das brennende Ende mal nach rechts, mal nach links und schuf das erste der Feuer. Als sich die Inagsàri auf den Rappen vom Gehöft entfernten, schlugen die Lohen viele Schritte hoch in den Nachthimmel. Spreu flog auf, Funken stoben empor, und die Gebäude mit dem Leichen der Ungetreuen vergingen in dem Inferno.

Am Horizont zogen sich dunkle Wolken zusammen, die der Westwind herantrieb. Die Luft roch bereits nach Regen. Aber es ging nicht darum, das vom Infamen verseuchte Getreide zu retten. Es war nicht die Macht von Ríodh’ogîs, welche das Unwetter heraufbeschwor.

Samusin ist wachsam. Drâcoràs wusste, dass der Gott des Ausgleichs verhindern würde, dass aus den Flammen ein Flächenbrand in Shiimāl erwuchs. Wir sind seine Diener, dachte er und hielt den Jungen an sich gedrückt, der weder schrie noch andere Laute von sich gab, die auf Unwohlsein schließen ließen. Er spürt, dass er bei mir in Sicherheit ist.

Die Nachtmahre donnerten schnaubend durch die Felder. Die Blitze um ihre Fesseln hinterließen vier feurige Linien in dem zundertrockenen Hafer, von denen aus sich der Brand verteilte und sein Vernichtungswerk vor dem tiefschwarzen Himmel fortsetzte.

Polternd brachen die Häuser und Stallungen zusammen. Die Relikte vergingen zusammen mit denen, die an die Infamen geglaubt hatten.

Drâcoràs wusste, dass es nicht das letzte Mal gewesen war, dass er sein Schwert ziehen musste. Doch selten war es für die Inagsàri so einfach gewesen.

Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albaereich Dsôn Faïmon, Strahlarm Ocizûr, 4370. Teil der Unendlichkeit (5189. Sonnenzyklus), Spätsommer

»Eine milde Mehlsuppe vorweg, danach die langsam geschmorten Büffelbäckchen, dazu etwas dunkles Brot. Und den Rotwein mit einem Schuss süßem Gewürzsud und etwas gestoßenem Eis versehen.« Drâcoràs nickte der Bedienung zu, die sich kurz verneigte und rasch den Raum verließ, in dem der Alb alleine saß.

Die Rüstung hatte er abgelegt, die Wurfdolche und -sterne lagen verborgen in Falten seines weiten Gewands. Nur auf ein offen erkennbares Schwert konnte und wollte er nicht verzichten. Die Handwerker durften ruhig wissen, dass er keiner von ihnen war.

Er traf sich mit seinen drei Veteraninnen in der Nebenstube des Wirtshauses Schwarzstein zum Mahl, um ungestört von anderen Gästen zusammenzukommen und eine Unterredung zu führen.

Die vier Inagsàri hatten sich während der letzten Momente der Unendlichkeit überall im Albaereich verteilt, um Erkundigungen über weitere Ungetreuen zu sammeln. Zum vereinbarten Zeitpunkt wollten sie nach Ocitrêion zurückkehren und sich austauschen.

Die kleine Handwerkerstadt lag günstig. Von ihr gelangte man schnell in die übrigen Strahlarme, saß jedoch nicht auf dem Präsentierteller wie in Dsôn, wo alles und jeder genau beäugt wurde. Auf Ocitrêions Straßen war viel los, das Kommen und Gehen bedeutete ebenso wenig Ungewöhnliches wie Besprechungen in Nebenzimmern. Verhandlungen wurden ständig geführt.

Was sie wohl herausfanden? Neben Drâcoràs lag ein in Leder eingeschlagener Stapel mit Blättern, auf denen er sein neues Wissen, Skizzen der Funde sowie die abgeschlossenen Fälle notiert hatte.

Er schlug die Blattsammlung auf, überflog die Namen der Orte und Städte, in denen er tätig gewesen war, las die Zahl der aufgespürten und vernichteten Ungetreuen sowie die Menge und Art der vernichteten Relikte. Gute Ausbeute.

Ein Schatten fiel auf ihn, und als er aufsah, stand Hëironî neben dem Tisch, ebenfalls mit einem schmalen Bündel Blätter ausgestattet, die sie unter dem rechten Arm trug. »Du hast hoffentlich keine Suppe für mich bestellt?«, begrüßte sie ihn neckend und umarmte ihn kurz.

»Ich weiß, dass du sie nicht magst, und die doppelte Menge liegt mir nicht«, erwiderte er lachend.

Die Albin mit den halblangen, roten Haaren setzte sich und wirkte im weiten, dunkelgrauen Kleid mit den eingewobenen schwarzen Streifen nicht einmal im Ansatz so bedrohlich und tödlich, wie sie es im Kampf war. »Wie war die Jagd?«

»Erfolgreich«, antwortete er und wartete, bis die Bedienung ihre Bestellung aufgenommen hatte. »Sechsundvierzig Ungetreue und acht Relikte der Infamen.«

»Achtundzwanzig Ungetreue, vier Relikte«, fügte Hëironî hinzu.

»Sechsundsechzig Ungetreue, elf Relikte«, hörten sie eine leise Stimme von der Tür, in welcher der Triumph für das bislang beste Ergebnis zu hören war. Tólanôri kam herein, in eine eng anliegende Rüstung gekleidet und ihre beiden Kurzschwerter auf dem Rücken tragend. Der Staub der Straße haftete noch daran, sie musste eben erst eingetroffen sein. »Verzeiht, dass ich so erscheine und die armen Handwerker verwirre, aber ich wollte keinen Splitter unseres Wiedersehen versäumen.« Sie umarmte Drâcoràs und Hëironî, dann setzte sie sich und ließ sich einen großen Pokal mit kaltem Gewürzwein bringen. Sie zog das Kopftuch ab, und die langen, braunen Haare fielen ihr bis auf die Schultern. »Mir scheint, ich war die Erfolgreichste.«

Drâcoràs lachte. Die Ausbeute wird immer besser. Er verspürte keinen Neid, da jeder ausgelöschte Ungetreue einen Sieg bedeutete. Einen Sieg für die Inagsàri. »Noch ist es zu früh, dir zu gratulieren.«

»Ich verweise auf den Spürsinn und die Ausdauer von Ishînaia«, fügte Hëironî genießerisch hinzu. »Es wird schwer sein, deine Ausbeute zu übertrumpfen, doch es könnte ihr gelingen.«

Die Mahlzeiten von Drâcoràs und Hëironî wurden gereicht, Tólanôri bestellte das gleiche, um dem Wirt die Arbeit zu erleichtern.

Da Ishînaia auf sich warten ließ, tauschten sie ihre Erkenntnisse aus und mussten feststellen, dass sie nach ihren letzten Streifzügen keine weiteren Hinweise mehr auf Ungetreue in Dsôn Faïmon gefunden hatten.

»Sollten wir es geschafft haben?« Drâcoràs vermied es, sich deswegen schon gut zu fühlen. Solange Ishînaia nicht zu ihnen stieß und ihren Bericht ablieferte, wäre es zu früh für eine solch grandiose Erfolgsmeldung an die Unauslöschlichen.