Cover

Zum Buch

In seinem neuen Buch erzählt Hanns-Josef Ortheil von seinen Lebensthemen. Entlang zentraler Stichworte wie Wohnen, Reisen, Essen und Trinken, Film, Jahreszeiten oder Musik geht er den vielfältigen Facetten einer literarischen Lebenskunst auf den Grund, die so etwas wie die Basis für seine literarischen Werke bildet. In kurzen, erzählenden und essayistischen Texten werden diese Passionen nicht nur beschrieben, sondern auch nach ihrer Herkunft und vor allem danach befragt, was sich hinter ihnen verbirgt. Warum hasst Ortheil Frühstückbüffets, und warum hört er beim Schreiben ausschließlich Klaviermusik aus den Zeiten vor 1750? Wieso gefällt ihm eine so spröde TV-Sendung wie das »Alpenpanorama«, und warum wird er wohl nie nach Japan reisen, vielleicht aber einmal ein Buch über Japan schreiben?

»Was ich liebe – und was nicht« steht in der Tradition der klassischen Bekenntnisliteratur, der »Confessiones«. Es ist ein Buch, das auf besonders intensive Lebensmomente zurückblickt, aber auch Pläne, Wünsche und Träume für die Zukunft entwirft.

Zum Autor

HANNS-JOSEF ORTHEIL wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

HANNS-JOSEF ORTHEIL

Was ich liebe – und was nicht

LUCHTERHAND

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in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: buxdesign|München
unter Verwendung eines Motivs von Amy Weiss/Trevillion Images
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-641-12523-3
V002
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Entrée

Der französische Zeichendeuter und Schriftsteller Roland Barthes hat viele Bücher geschrieben. Über den Eiffelturm, die Mode, die Sprache der Liebe. Als er sechzig war, stellte er solche Themen aber einmal zurück und schrieb ein entspanntes Buch nur über sich selbst. Warum er gerne Zigarren raucht. Wie er sich hinter einem Vortragspult fühlt. Was er besonders liebt (Salat, Zimt, Käse, Rosen, Schreibfedern etc.) und was er überhaupt nicht mag (Geranien, das Telefonieren, das Cembalo etc.).

Es wurde ein übermütiges und auch heiteres Buch, in dem der Autor sich in vielen Facetten porträtiert. Mit bloßen Benennungen seiner Passionen begnügte er sich jedoch nicht. Vielmehr ging er ihnen detailliert nach: Wie waren sie entstanden (Ursprünge)? Woraus bestanden sie (Strukturen)? Und als welchen Typus oder Charakter ließen sie ihren Darsteller erscheinen (Zugehörigkeit zu einer Spezies)?

In Barthes’ Buch Über mich selbst habe ich seit seinem Erscheinen (1975) immer wieder gelesen. Und jedes Mal erlebte ich während der Lektüre, wie »anregend« es wirkte und dass es mich darüber nachdenken ließ, was ich selbst liebe und was eben nicht. Als befragte das Buch mich ganz direkt und redete auf mich ein: Gib doch zu …, lass mal hören …, denk mal drüber nach …!

Oft legte ich es schon nach wenigen Seiten Lektüre zur Seite und überließ mich meinen Ideen und Gedanken. Viele davon habe ich aufgeschrieben und mit den Jahren gesammelt. Jetzt sind die meisten in dieses Buch eingegangen. Insgeheim schielen sie danach, dass auch die Leserin oder der Leser sich selbst befragen. Damit das Ganze nicht nur mein eigenes Selbstporträt in kurzen Fragmenten bleibt, sondern zu einer Art Spiegel wird, in dem Leserin oder Leser sich selbst genauer erkennen.

Im Grunde handelt es sich bei einem solchen Vorhaben um ein traditionsreiches, schon seit der Antike bekanntes Projekt. Es geht dabei um so etwas wie Lebenskunst, das heißt um die Fragen, wie ich mein Leben einrichte und meine fortlaufenden Überlegungen dazu begründe. Einerseits schaut man dabei auf all die subjektiven Passionen, die sich in einem Leben mehr oder minder zufällig herausgebildet haben, schließlich aber bewusst angenommen und kultiviert wurden. Der Ursprung dieser Passionen liegt in der Kindheit und Jugend. Daher werde ich, um viele von ihren Ursprüngen her genauer zu erkennen, immer wieder in diese frühen Zeiträume zurückgehen müssen.

Andererseits schaut man aber auch darauf, welche Strukturen und Hintergründe die gelebten Passionen im Zusammenhang mit den Überlegungen, die sie stabilisieren und formen, im Laufe der Zeit ausgebildet haben. Solche Fragen betreffen Räume und Zeiten, Architekturen des Lebens und lebenslang ausgebildete Rituale.

In der griechischen und römischen Antike waren solche Fragen beliebte Themen im brieflichen oder mündlichen Dialog zwischen Philosophen und Schriftstellern. Von den meisten Autoren des frühen Christentums wurden sie übernommen und mit dem Blick auf die organisierenden Lebensformen des Christentums bis heute thematisiert.

Ein in diesem Zusammenhang besonders und von mir »über die Maßen« (wie Roland Barthes in hymnischen Momenten gerne sagt) geliebtes Buch ist das Kopfkissenbuch der japanischen Dichterin Sei Shōnagon, das sie als Hofdame am japanischen Kaiserhof um das Jahr 1000 n.Chr. geschrieben hat (Erstmals vollständig aus dem Japanischen übersetzt und neu herausgegeben von Michael Stein. Zürich 2015). Diese sehr privaten Bekenntnisse erzählen nicht nur vom Leben am Hof, sondern sind auch ein Kompendium verschiedener Kurzformen des Berichtens und Bekennens. So gibt es viele Listen, die bestimmte Attraktionen und Passionen sammeln und nebeneinanderstellen. Oder es gibt kurze Dialoge, in denen sich zwei Menschen (oft leise, geheim und flüsternd) über Dinge und Ereignisse austauschen, die nicht öffentlich werden sollen.

In der Formanlage dieses Buches habe ich mich (auch) an Sei Shōnagons Kopfkissenbuch orientiert. So gibt es lauter mehr oder minder kurze und in sich geschlossene Texte, die der Leser wie knappe Meditationen, Gedankengänge oder auch emotionale Ausbrüche lesen kann. Eingestreut habe ich kurze Gedichte, die ich in meiner Kindheit geschrieben und deren Gedichtformen ich bis heute beibehalten habe. (Über ihre Herkunft habe ich in meinem Roman Der Stift und das Papier ausführlicher erzählt.) Daneben gibt es Listen, Dialoge mit anderen Menschen, kurze Inhaltsangaben von Projekten, O-Töne aus meiner Umgebung und vieles andere mehr.

Im Ganzen ist auf diese Weise ein buntes Kaleidoskop (und keine durchlaufende Reflexionsprosa) entstanden. Die Mischform der vielen sehr unterschiedlichen Kurztexte soll etwas von der Lebendigkeit und Fülle der zugrundeliegenden »Lebensprosa« wiedergeben. So, als wäre alles noch keineswegs sicher, zur Ruhe gebracht und damit abgegolten, sondern als wäre vieles noch sehr in der Schwebe, unruhig und inspirierend.

Daher »bekennt« sich in diesem Buch ein Ich in vielen unterschiedlichen Rollen und Lebensaltern: Das Kind macht seine ersten Beobachtungen, der Pubertäre versucht, sich zu orientieren, und der Mann mittleren und höheren Alters gibt sich erfahren, verständig und an jeder Kleinigkeit interessiert, nicht ohne die Neugierde laufend anzufachen und anzustacheln, damit die alte, nicht versiegende Unruhe immer wieder Überraschendes und Unerkanntes hervorbringt.

Hanns-Josef Ortheil

Stuttgart, Köln, Wissen an der Sieg,

im Frühjahr 2016