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ZUM INHALT

Das neue China: wichtigster Partner und härtester Wettbewerber

China-Kenner Frank Sieren schildert aus erster Hand, was China so erfolgreich macht. Und warum Europa, ja selbst Deutschland, dabei ist, den Anschluss zu verlieren, wirtschaftlich wie politisch. Das Reich der Mitte ist ehrgeizig, schnell, innovativ, gut organisiert und lässt sich von uns nichts mehr vorschreiben. Inzwischen stellt es sogar unsere Werte infrage, die wir für universell halten. Erstmals seit Jahrhunderten wird ein asiatisches Land wieder Weltmacht. Auf allen Kontinenten investieren Chinesen in Bodenschätze, Infrastruktur und Schlüsselindustrien – auch bei uns kaufen sie sich ein. Frank Sieren zeigt, wie China uns direkt herausfordert und was die neue Supermacht für uns bedeutet: sowohl Chance als auch Gefahr.

ZUM AUTOR

Frank Sieren ist einer der führenden China-Experten Deutschlands. Der Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer lebt seit 1994 in Peking – länger als jeder andere westliche Wirtschaftsjournalist. Er hat den Aufstieg der neuen Weltmacht hautnah miterlebt. Lange schrieb Sieren für die Wirtschaftswoche und die Zeit, heute ist er der China-Experte des Handelsblatts. Sieren hat bereits mehrere China-Bestseller veröffentlicht.

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FRANK SIEREN

ZUKUNFT?

CHINA!

Wie die neue Supermacht unser Leben,

unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert

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Copyright © 2018 Penguin Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Heike Gronemeier, München

Karten: Peter Palm, Berlin

Covergestaltung: Bürosüd

nach einem Entwurf von Büro Jorge Schmidt, München

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-23453-9
V003


www.penguin-verlag.de

Für Leo und Tim,

die ihre Namen schon lesen können,

das Buch jedoch noch nicht.

INHALT

VORWORT

KAPITEL 1

CHINA, RUSSLAND UND EUROPA: NERVIGE NACHBARN

Wie Peking Europa schleichend aushöhlt und wir Putin in die Arme der Chinesen treiben.

KAPITEL 2

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND ANDERE ZUKUNFTSTECHNOLOGIEN: DRAMATISCHE DIGITALISIERUNG

Wie China neue Tech-Weltmacht wird und damit auch unsere Standards setzt.

KAPITEL 3

DAS NEUE AUTO: AUTONOME ANDERSDENKENDE

Wie China die Autoindustrie revolutioniert und dabei die mächtigen deutschen Hersteller in Schwierigkeiten bringt.

KAPITEL 4

CHINAS REFORMER: RADIKALE RUNDERNEUERUNG

Wie Präsident Xi die Zivilgesellschaft drangsaliert und China erfolgreich reformiert.

KAPITEL 5

ERFINDERGEIST: INTUITIVE INNOVATION

Wie Chinesen aus Not wieder erfinderisch werden und es Deutschland kalt erwischt.

KAPITEL 6

DIE NEUE SEIDENSTRASSE: GESCHICKTER GÜRTEL

Wie Peking das größte Infrastrukturprojekt der Welt durchzieht und Europa seine Rolle dabei nicht finden will.

KAPITEL 7

ASIENS KRISE & CHINAS NACHBARN: SPEZIELLER SPIELRAUM

Wie Peking Asiens Krisenherde nutzt und sich Chinas Nachbarn einverleibt.

KAPITEL 8

CHINA UND DIE USA: HALTLOSE HANDELSVERTRETER

Wie China die USA immer besser ausspielt und Deutschland damit in eine Zwickmühle bringt.

KAPITEL 9

AFRIKA: ALTERNATIVLOSER AUFBRUCH

Wie wir den letzten großen Wachstumsmarkt verschlafen und Peking sich einen Kontinent zum Partner macht.

AUSBLICK: DAS JAHRHUNDERT DER GLOBALEN GLEICHHEIT

DANK

VORWORT

»Wir haben jetzt die Stärke, unseren rechtmäßigen Platz in der Welt einzunehmen.«

Xi Jinping, Chinas Staats- und Parteichef

»Wir müssen nun selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.«

Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin

„Ich will meine Soldaten aus Asien zurückholen.“

Donald Trump, US-Präsident

Als ich im August 1994 in Peking eintraf, kam ich in ein Land, das bereits von der Öffnungspolitik des Reformers Deng Xiaoping geprägt war. Dennoch war es unvorstellbar, in welch atemberaubender Geschwindigkeit sich China entwickeln würde. Hätte ich vor 15 oder 20 Jahren aufgeschrieben, wie China im Jahr 2018 aussehen wird – man hätte mich für einen Spinner gehalten, der jede Bodenhaftung verloren hat. Kaum jemand im Westen hat die erfolgreiche Entwicklung Chinas so vorhergesehen, wie sie sich vollzogen hat. Zu lange schien China ein Koloss auf tönernen Füßen. Doch nun strotzt das Land nur so vor Kraft. 2017 konnte es Produkte im Wert von 420 Milliarden US-Dollar mehr verkaufen, als es importieren musste.

Die Palette der Produkte reicht von Jeans über Smartphones bis hin zu Flugzeugen. China ist längst nicht mehr nur die Werkbank der Welt. Inzwischen haben sie auch die weltbesten Hochgeschwindigkeitszüge, und die meisten Elektroautos und E-Busse weltweit fahren auf den Straßen des Landes. China ist gemeinsam mit den USA führend bei der Zukunftstechnologie der künstlichen Intelligenz (KI), die unsere gewohnte Welt auf den Kopf stellen wird. Im Onlinehandel und beim Bezahlen per Smartphone sind die Chinesen bereits Weltspitze. Und bei den Start-ups liegen die Investitionen schon höher als in den USA. Das teuerste »Einhorn« der Welt, so nennt man Start-ups mit einem Wert von über einer Milliarde US-Dollar, kommt aus China: Es widmet sich der Gesichtserkennung, noch so ein Bereich, in dem China inzwischen weltweit führend ist.

Gleichzeitig investiert China erstmals in seiner 3500-jährigen Geschichte auf allen Kontinenten: Es geht um Schlüsselindustrien, Bodenschätze und Infrastruktur. Peking baut Eisenbahnlinien, Staudämme und Kraftwerke inzwischen in einer Qualität, die selbst die strenge Weltbank überzeugt, in der nach wie vor der Westen das Sagen hat. Das alles überstrahlende Projekt ist die weltumspannende Neue Seidenstraße, die bis nach Deutschland, Panama oder Senegal reicht. Es ist das größte Infrastrukturprojekt der Welt seit dem Bau der Großen Mauer, mit dem im 7. Jahrhundert vor Christus begonnen wurde.

Immer mehr Länder schlagen sich auf die Seite der Chinesen, weil die großzügig bei ihnen investieren, aber auch, weil diese Länder so werden wollen wie China: selbstbestimmt und unabhängig. China ist ein Land, das sich vom Westen nichts vorschreiben lässt, seinen eigenen Weg geht, in seiner eigenen Geschwindigkeit, mit seinem eigenen politischen System. Ein Land, das nun die Welt neu austarieren möchte und, wenn das mit den bestehenden globalen Institutionen nicht möglich ist, inzwischen machtvoll genug ist, neue zu schaffen. Wie die Asiatische Infrastruktur-Investmentbank (AIIB), das Gegengewicht zur US-amerikanisch dominierten Weltbank. So bildet China neue Allianzen mit anderen aufstrebenden Ländern, die hoffen, sich im internationalen Konzert der Mächtigen endlich Gehör verschaffen zu können. Dazu gehört auch, dass sie frei entscheiden können, in welcher Währung sie ihren Handel abwickeln. Der Yuan ist inzwischen Weltreservewährung, neben dem US-Dollar und dem Euro. Aus den guten alten Zeiten sind auch noch das britische Pfund und der japanische Yen dabei.

Bemerkenswert an Chinas Aufstieg ist auch die Tatsache, dass das Land keine Auslandsschulden hat. Und: Peking verfügt über ein Sparbuch mit den größten Devisenreserven der Welt. Das Riesenreich ist, an der Kaufkraft gemessen, schon seit einigen Jahren die größte Volkswirtschaft der Welt. Das BIP ist, nominal gemessen, noch kleiner, aber in der folgenden Grafik sieht man, was für ein Potenzial in China steckt:

Während Peking also selbst penibel darauf achtet, sich finanziell nicht in Abhängigkeiten zu begeben, ist es gleichzeitig der größte Gläubiger der Amerikaner. Im Handelsstreit mit den USA ist das ein nicht zu unterschätzendes Instrument.

Mittlerweile setzt China auch nicht mehr nur auf Wachstum um jeden Preis, sondern ist zum größten Umweltschützer der Erde aufgestiegen. Die größten Wasserkraftwerke und die meisten Windmühlen der Welt stehen in China. 2017 hat China fast zehnmal so viele Gigawatt an Solarzellen installiert wie ganz Europa zusammen. Außerdem setzt China Maßstäbe in der Industrie 4.0 – mit voll automatisierten, selbst lernenden Fabriken. Technologieunternehmen wie Alibaba, Tencent und China Mobile geben die Richtung vor und gehören inzwischen zu den weltgrößten Aktiengesellschaften.

Und selbst was die Soft Power angeht, holt China auf. Den teetrinkenden Meister Wu gibt es schon als Lego-Figur. Die Art Basel Hongkong ist inzwischen wichtiger als ihr Pendant in Miami. Und der ehemalige Louvre-Direktor Henri Loyrette räumte kürzlich ein: »In Wahrheit ist der Louvre kein universelles Museum.« Es sei ein Museum des Westens. Doch nun ändern sich die Zeiten. Das 2500 Jahre alte, aus China stammende Go-Spiel macht dem Schachspiel Konkurrenz. Die größten Filmstudios der Welt stehen mittlerweile in China. Die meisten Kinos weltweit gehören einem Chinesen, darunter sogar sehr viele amerikanische. Auch eines der großen Hollywood-Studios ist bereits in chinesischer Hand. Schon heute lässt sich kein Hollywood-Film mehr ohne die Einnahmen aus chinesischen Kinos kalkulieren. Ein Topschauspieler wie Matt Damon spielt heute in einer chinesisch-amerikanischen Hollywood-Produktion einen Söldner, der demütig bei klugen chinesischen Kämpfern in die Lehre geht.

Selbst was die Armutsbekämpfung betrifft, stellt China den Westen in den Schatten. Kein großes Land in der Weltgeschichte hat seine Menschen so schnell aus der Armut befreit wie China. Das muss man erst einmal hinkriegen. Und es hat sich zuvor aus einer Krise herausgewunden, an der die meisten anderen Länder zerbrochen wären. Noch im 18. Jahrhundert hatte China einen Anteil von 30 Prozent an der Weltwirtschaft, zur Zeit der Kulturrevolution unter Mao waren es nur mehr zwei Prozent. Nun sind es wieder 15 Prozent. China ist wieder da, hat aber noch viel Spielraum nach oben: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen liegt erst bei knapp 9 000 US-Dollar. In den USA sind es über 60 000. Nichts spricht dagegen, dass China eines Tages dieses Niveau erreichen wird. Und wenig spricht dagegen, dass das chinesische BIP in Zukunft doppelt so hoch sein wird wie das amerikanische. Das verfügbare Haushaltseinkommen wächst jedes Jahr im Schnitt um rund sechs Prozent. Und das wird noch eine ganze Weile anhalten.

Dieses Wachstum und die vielen neuen Chancen, die sich vor allem durch die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und die E-Mobilität ergeben, macht es für einen Großteil der Bevölkerung vergleichsweis leicht, über die Einschränkung persönlicher Freiheiten, die Menschenrechtslage und die fehlende demokratische Mitbestimmung hinwegzusehen. Die Mehrheit der Chinesen steht hinter dem autoritären System, mag es uns auch suspekt erscheinen. Und dieses System gewinnt gerade in den Entwicklungsländern der Welt immer mehr Anhänger. In vielen Regionen Asiens oder Afrikas erscheinen den Menschen Stabilität und Prosperität zunächst wichtiger als umfassende Mitbestimmung und eine vielfältige Zivilgesellschaft. Die großen Vorzüge der Demokratie, wie wir sie sehen, erschließen sich ihnen nicht. Zumal ein Blick nach Europa zeigt, wie gelähmt die Demokratien dort sind und wie stark die politischen Ränder werden, sprich: wie instabil dieses als so sicher geltende System geworden ist. Und der Blick nach Amerika zeigt, dass Wahlen die seltsamsten Rüpel an die Macht spülen können – weil die Menschen unzufrieden sind und auf einfache Lösungen in komplizierten Zeiten setzen, auch wenn es die de facto nicht geben kann.

Weil wir im Westen zunehmend mit uns selbst beschäftigt sind, entsteht ein Vakuum, in das China nur allzu gerne vorstößt. Engagiert und entschlossen erschließen die Chinesen neue Märkte, investieren in Infrastrukturprojekte und Bodenschätze und machen so nicht nur geopolitisch und wirtschaftlich Nägel mit Köpfen, sondern verschieben systematisch das alte, das gewohnte Machtgefüge. Vorbei die Zeiten, in denen der Westen die Maßstäbe setzte und den Rest zur Folklore erklärte.

Zukunft? China!

Natürlich hat China auch Probleme, und zwar nicht zu knapp. Das Rechtssystem ist intransparent, agiert teils politisch kontrolliert. Noch immer sitzen Menschen im Gefängnis, die nicht einmal ihren Anwalt sehen dürfen. Es werden Urteile verkündet, die schon vor dem Prozess feststanden. Menschen werden wegen ihrer politischen Meinung abgehört, verfolgt oder gleich eingesperrt. Die Medien können nicht schreiben und senden, was sie wollen. In jedem Unternehmen, auch in westlichen, müssen Parteizellen installiert werden. Schon seit Jahren kündigt Peking die Öffnung seiner Märkte an, öffnet sich aber tatsächlich nur im Schneckentempo. In manchen Bereichen hat der Protektionismus sogar zugenommen. Ganze Industriebereiche sind vor ausländischer Konkurrenz geschützt. In anderen werden westliche Unternehmen zu Technologietransfers gezwungen, damit sie überhaupt auf dem chinesischen Markt vertreten sein dürfen. Piraterie und Patentverletzungen gibt es immer noch.

Dazu kommen Korruption und Skandale wie jüngst im Juli 2018. Hunderttausende Säuglinge erhielten wirkungslose, möglicherweise sogar schädliche Schutzimpfungen. Das Pharmaunternehmen räumte ein, aus Profitgier gehandelt zu haben. Der eigentliche Skandal war jedoch, dass die Aufsichtsbehörde die Panscherei zwar entdeckt, aber die Öffentlichkeit erst fast ein Jahr später darüber informiert hat. China müsse sich dieses »Gift endlich von den Knochen kratzen«, forderte selbst Präsident Xi. Doch das ist leichter gesagt als getan. Manche Parteikader sehen in der Öffnung des Landes das Grundübel: Die Verlockungen des Kapitalismus – selbst jenes Kapitalismus nach chinesischer Prägung – würden hier ihr hässliches Gesicht zeigen.

Auch an anderen Fronten gibt es Schwierigkeiten: Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander, da ist China keine Ausnahme. Das Wasser im Land ist knapp und sehr verschmutzt, die Regierung muss um jeden Liter kämpfen. Das ist teuer und aufwendig. Das 1,4-Milliarden-Volk muss ernährt werden, die Urbanisierung mit Augenmaß betrieben und der Energie- und Ressourcenverbrauch gesenkt werden. Peking ist sich all dieser Herausforderungen bewusst. Und geht sie mit einer Entschlossenheit und Konsequenz an, wie das nur in einem so autoritär ausgerichteten System möglich ist.

Mit ähnlicher Entschlossenheit und teils auch erschreckender Arroganz agiert es etwa beim Kräftemessen im Südchinesischen Meer oder im Umgang mit den Nachbarn. Selbst die Regierungen, die unter Chinas Zumutungen leiden, bewundern gleichzeitig die Stärke Pekings. Denn es geht ein Riss durch die Welt, was die Einschätzungen der Stärken und Schwächen Chinas betrifft. Während im Westen, aber auch bei den asiatischen Rivalen Indien und Japan die Schwächen eher überbewertet werden (das kann nicht gut gehen, der Ressourcenraubbau, die Menschenrechte, was ist mit dem Demokratisierungsprozess, der wirklichen Marktöffnung …), spielen in der übrigen Welt die Stärken eine viel größere Rolle (wir wollen dabei sein, China ist unser Vorbild). Sind die einen womöglich lebensklug und weitsichtig, die anderen naiv und kurzsichtig? Auch das soll dieses Buch herausfinden.

Offensichtlich ist bereits: Der Westen spielt eine immer geringere Rolle in der Welt. Die Regierenden in Peking, aber auch die Führung der Länder, mit denen China zusammenarbeitet, sind uns längst keine Rechenschaft mehr schuldig. Sie müssen sich nicht einmal mit uns absprechen. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen, wie die Welt in Zukunft aussehen soll. Im Westen liest man denn auch, die Weltordnung sei durch den Aufstieg Chinas aus den Fugen geraten. Die Weltordnung, in der wir den Ton angaben. Von Chinesen höre ich hingegen, endlich komme alles in Ordnung. Die Welt werde neu ausbalanciert, gerechter werden. Ähnliches hört man in Afrika oder Zentralasien.

Tatsächlich geht China nicht nur immer selbstbewusster seinen eigenen Weg, sondern bestimmt zunehmend die globalen Spielregeln. Beim Schreiben dieses Buches ist mir noch klarer geworden, dass der direkte Einfluss Chinas auf unser Leben schon viel größer ist, als ich gedacht habe. China ist einerseits eine Chance für die Welt, sich zu erneuern. Aber es ist auch eine Gefahr für uns, wenn wir die Herausforderung nicht annehmen. Wenn wir glauben, wir müssten uns nicht verändern, sondern immer nur die anderen.

Um es schon mal vorwegzunehmen: Dass China zur Weltmacht aufsteigt, können wir nicht ändern. Selbst wie China aufsteigt, können wir kaum beeinflussen. Aber wir können uns darauf einstellen und eine geschickte Strategie wählen, mit der wir in der Lage sind, unsere Interessen zu vertreten. Das ist nicht einfach. Angenehm schon gar nicht, denn wir haben stets geglaubt, wir könnten auf Dauer als Minderheit, die der Westen nun einmal ist, die Spielregeln der Welt bestimmen. So demokratisch wir in unserem Land sind, so sehr neigen wir dazu, bei den internationalen Beziehungen uns undemokratisch zu verhalten. Wettbewerb ist unverzichtbar, haben wir den Chinesen lange gepredigt. Nun treten sie in Wettbewerb mit uns. Und nun passt uns das nicht mehr. Ebenso lange haben wir von China eine Öffnung gefordert, politisch, aber vor allem wirtschaftlich. Wir wollten diesen riesigen Markt für uns erschließen und reagieren nun verstimmt, wenn die Chinesen mit ihren Produkten den unseren fluten und uns auf den Emerging Markets in vielen Bereichen längst abgehängt haben.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen, bei denen der Westen mit zweierlei Maß misst. Und damit vor allem eines sichtbar macht: die Angst vor dem Machtverlust. Wir haben ein massives Problem damit, dass die Richtung zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren von einer nichtwestlichen Macht vorgegeben wird. Das zu akzeptieren oder sich ein Konzept zum Gegensteuern zu überlegen, ist eine große Herausforderung. Niemand kann in die Zukunft schauen. Aber nach allem, was sich schon jetzt abzeichnet, wird kein anderes Land der Welt in den kommenden Jahrzehnten unsere Zukunft – die Zukunft Deutschlands und Europas – mehr bestimmen als China.

Und, ja: China wird auch global den Einfluss der gesamten westlichen Hemisphäre zurückdrängen. Das bedeutet, wir müssen Kompromisse machen, ein Stück Macht abgeben. Es bedeutet auch, dass wir uns mehr anstrengen und geschickter vorgehen müssen, wenn es darum geht, unsere Vorstellungen global zu verankern. Und das wollen wir doch, oder? Unsere Werte sind uns wichtig. Sie sollen Bestand haben in der globalen Ordnung.

China hat sich jedoch in vielen Bereichen längst von seiner einstigen Abhängigkeit vom Westen befreit. Unser erhobener Zeigefinger verliert an Überzeugungskraft. Unser Know-how können wir kaum noch an Bedingungen knüpfen. Denn wir brauchen den chinesischen Markt dringender als die Chinesen unser Know-how. Trotz mancher Schwächen hat Peking bisher den Aufstieg alles in allem klug gemanagt und stellt nun Schritt für Schritt die nächsten Weichen auf dem Weg zum Big Player auf der Weltbühne.

Dass China nicht kollabieren würde, davon war ich immer überzeugt. Die Fakten sprachen dagegen. Das Bauchgefühl auch. Was die Geschwindigkeit und den Erfolg des Aufstiegs betrifft, war ich in meiner Einschätzung allerdings viel zu vorsichtig. Warum war das so? Wahrscheinlich hat mich das, was ich in der Schule zu Zeiten des Kalten Krieges über den Kommunismus gelernt habe und was sich nach dem Fall der Mauer zu bestätigen schien, mehr geprägt, als mir im Nachhinein bewusst ist. Denn eine Botschaft wurde in der Schule gebetsmühlenartig wiederholt: Der Kommunismus ist dem Kapitalismus weit unterlegen, und Diktaturen haben kurze Beine. Auf Dauer lassen die Menschen sich das nicht gefallen. Das stimmt ja auch alles. Es hat mit China jedoch nur bedingt zu tun.

Meinen Blick zusätzlich getrübt haben spezifisch chinesische Klischees, die sich, wie wir inzwischen wissen, als falsch erwiesen haben: Mehr als kopieren können die nicht; sie können gehorchen, aber nichts entwickeln; eine gleichförmige Masse, wenn auch eine sehr große, ohne kreative Köpfe; zu mehr als zur Fabrik der Welt reicht es nicht. Doch es war dann eben nicht alles zentral gesteuert. Peking ist es tatsächlich gelungen, den Ehrgeiz und die Eigeninitiative vor allem der jungen Menschen zu wecken. In dieser Hinsicht war die Regierung offensichtlich überzeugend. Denn dass die Menschen neugierig und kreativ sind, schnell, erstaunlich gut organisiert und bereit, hart zu arbeiten, gelingt nur, wenn sie der Politik vertrauen, dass es sich lohnt, sich zu engagieren. Dass Peking dies gelingen könnte, habe ich lange nicht geglaubt.

Es sind also eher unsere eigenen ideologischen Prägungen, die unseren Blick trüben und tief sitzende Vorurteile hervorbringen. Auch deshalb können wir kaum fassen, dass das lange Unvorstellbare heute längst Alltag ist. Und auch deshalb tun wir uns immer noch so schwer, darauf angemessen zu reagieren.

Die chinesischen Kommunisten haben sich in den letzten Jahren weitgehend nicht nur als machtvoll, sondern auch als friedliebend, weitsichtig und pragmatisch erwiesen. Fast widerstrebt es mir, einen solchen Satz aufzuschreiben. Alles, was ich gelernt habe, wehrt sich dagegen. Richtig ist der Satz trotzdem. Sie haben das Land mit seinem riesigen Marktpotenzial geöffnet – mit Einschränkungen zwar –, sie haben Wachstum und steigenden Wohlstand für die Bevölkerung gebracht, und darüber sollten wir uns erst einmal freuen. Für die Menschen dort und für uns. Deutschland profitiert als Exportnation wie kaum ein anderes Land davon. Knapp 40 Prozent der Gewinne der deutschen Autoindustrie werden in China erwirtschaftet. Dafür sage ich: Danke, China!

Dennoch bin ich noch immer davon überzeugt, dass unser politisches wie auch unser gesellschaftliches Wertesystem viele Vorteile und Stärken hat, die wir über Jahrhunderte hinweg entwickelt und verfeinert haben. Und ich möchte nicht, dass sie im Zuge des chinesischen Aufstiegs unter die Räder kommen. Unsere individuelle Freiheit, die Vielfalt der Zivilgesellschaft mit ihren Bürgerinitiativen und ihrer Mitbestimmung sowie unser Rechts- und Sozialsystem, zumindest in seiner ursprünglichen Idee. Ja, die Mitbestimmung ist umständlich, langatmig und kann unglaublich nerven, aber daran kann man arbeiten. Dazu kommen die Religionsfreiheit, die Pressefreiheit, der Umweltschutz und der Datenschutz, der zumindest versucht, unsere Privatsphäre zu bewahren. Stärken, die wir noch längst nicht zu Ende entwickelt haben. Und sie brauchen tägliche Pflege. Diese Werte sollten ein integraler Bestandteil der neuen Weltordnung sein. Doch leider passiert das nicht von selbst. Wir brauchen Macht, um sie durchzusetzen. Schaffen wir das noch?

Wir erleben nicht nur im Kern von Europa, sondern auch an dessen Rändern eine Erosion der Demokratie, die unter anderem befeuert wird durch einen Nationalismus, der inzwischen leider zum festen Bestandteil der europäischen Politik gehört. Wir erleben mit Donald Trump an der Spitze der USA die systematische Zersetzung jener gewachsenen Strukturen und Institutionen, auf denen der Westen jahrzehntelang fußte. Viel zu langsam erkennen wir, dass wir es uns vielleicht ein wenig zu bequem gemacht haben.

Wie sonst konnte es passieren, dass allein im südchinesischen Shenzhen bereits 16 000 Elektrobusse fahren, während wir in Deutschland, dem Land der Energiewende, nicht in einer einzigen Stadt eine nennenswerte E-Bus-Flotte hinbekommen? Um mal ein vergleichsweise simples Beispiel zu nennen. Wie sonst konnte es passieren, dass wir bei der E-Governance selbst in Europa ganz weit hinten rangieren? Vom flächendeckenden Breitbandausbau gar nicht zu reden. Warum unsere Politiker in Berlin und Brüssel nur noch »auf Sicht fahren« und keine langfristigen Strategien mehr entwickeln? Wie wettbewerbsfähig unsere Gesellschaftsordnung tatsächlich noch ist, auch darum wird es in diesem Buch gehen.

Lauscht man manchen Chinakritikern, fühlt man sich an das Lied des 68er-Politaktivisten Franz Josef Degenhardt erinnert: »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder. Geh doch in die Oberstadt, mach’s wie deine Brüder.« Dass diese Schmuddelkinder die globale Oberschicht von morgen sein werden – und zum Teil schon sind –, können wir uns kaum vorstellen. Und wir wollen es auch nicht. Eigentlich ist es ja nicht nur eine kaufmännische Tugend, den Wettbewerber eher zu überschätzen als zu unterschätzen. Diese Tugend haben wir verlernt, und China hat seine Chance genutzt. Inzwischen sind die Chinesen so selbstbewusst und stark wie noch nie. Sie sind von ihrem Weg überzeugt. Man kann sogar sagen, dass das in gewissem Maß für ganz Asien gilt.

60 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Asien. Wir hingegen, die Deutschen, die Europäer, ja der Westen insgesamt, bringen es nur auf 15 Prozent der Weltbevölkerung (davon leben in der EU rund sieben Prozent), Tendenz fallend. Die Chinesen allein wiegen mit gut 18 Prozent Anteil an der Weltbevölkerung den gesamten Westen mehr als auf.

Wie bereits erwähnt, haben wir als Minderheit lange die Spielregeln der Welt bestimmt. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, das galt für uns. Für Asiaten, Südamerikaner und Afrikaner hatten wir lange Zeit nur einen Knüppel, eine Peitsche oder gar eine Gewehrkugel übrig. Wir kamen in ihre Länder, um sie auszubeuten. Wir haben ihre Arbeitskraft ausgenutzt und ihnen ihre Bodenschätze geraubt. Die brutale Kolonialzeit hinterließ vielerorts Länder, die politisch und wirtschaftlich taumelten und über die Entwicklungshilfe am oft nur spärlich rinnenden Tropf des Westens hingen.

Glückliche historische Umstände gaben dem Westen die Möglichkeit, auch China zu unterdrücken. Die Chinesen begingen im 18. Jahrhundert einen großen Fehler, der uns heute eine Warnung sein sollte. Sie hielten sich für den Nabel der Welt. Als die Briten höflich anfragten, ob China nicht gewillt sei, seinen Handelsbilanzüberschuss mit England abzubauen, schlugen sie ihnen die Tür vor der Nase zu und schotteten sich ab. Dass die Europäer dank der industriellen Revolution inzwischen viel fortschrittlicher waren als China, hatten die Chinesen in ihrem Hochmut übersehen. Sie dachten tatsächlich, sie spielten außer Konkurrenz. Die brüskierten Briten kamen im Jahr 1839 mit Kanonenbooten zurück und kolonisierten die wichtigsten chinesischen Häfen. Die Franzosen, die Portugiesen und Amerikaner, ja, sogar die Deutschen folgten ihnen. Eine große Demütigung für China.

Es sollte 110 Jahre dauern, bis es dem Kommunistenführer Mao Zedong gelang, die Kolonialmächte Anfang der 1950er-Jahre wieder vom chinesischen Festland zu vertreiben. Der endgültige Rückzug ist allerdings erst gut 20 Jahre her: Die Briten gaben 1997 Hongkong zurück, Portugal 1999 Macau. Bis heute richten die Amerikaner vom Nachbarstaat Südkorea aus Waffen auf China. Und noch immer glaubt der Westen, die Kernkompetenz zu besitzen, Menschen in anderen Ländern zu sagen, wie sie leben sollen. Unser vermeintlich überlegenes System soll Wohlstand, Freiheit und Demokratie bringen, notfalls mit militärischem Nachdruck. Wir Deutschen tun uns mit Letzterem historisch bedingt etwas schwerer, sehen uns aber moralisch in umso größerer Verpflichtung, die Werte der westlichen Welt zu hüten. Die Begründung dafür scheint naheliegend: Weil wir unter Hitler moralisch versagt haben, sind wir nun doppelt wachsam und beschützen auch die, die gar nicht beschützt werden wollen. Das ist aus unserer Sicht ein hohes Gut, nicht umsonst wurde Kanzlerin Merkel von den westlichen Medien zur letzten Hüterin der freien Welt geadelt. In anderen Ländern stößt diese Einmischung jedoch durchaus auf Skepsis. »Wieso ausgerechnet bei uns?«, lautet die Gegenfrage. Die Menschen wollen selbst entscheiden, was sie für richtig und was für falsch halten. Auch das ist eine Vorstellung von Freiheit. Einer Freiheit, der wir uns noch allzu gerne in den Weg stellen, wenn sie uns nicht nützt.

Nur ein Beispiel: »Warum ist Chinas Umwelt so verschmutzt?«, müssen sich Chinesen von Westlern immer wieder anhören. Inzwischen antworten sie selbstbewusst: »Weil wir Chinesen uns nicht zu schade waren, als Fabrik der Welt die Drecksarbeit für den Westen zu machen.« Wir wollten doch so wenig wie möglich für unsere Jeans bezahlen. Dass Farbstoffe und Chemikalien ungeklärt in chinesische Flüsse geleitet werden, wen von uns kümmerte das? Das war ja weit weg. Die Chinesen haben den schmutzigen Job dennoch übernommen, weil es für sie die einzige Möglichkeit war, zu Wohlstand zu kommen. Deshalb haben sie zugelassen, dass wir »unsere« Umweltverschmutzung sozusagen auslagern.

Dass wir nun mit dem Finger auf China zeigen und die Umweltschäden kritisieren, werden sich die Chinesen nun nicht mehr gefallen lassen. Gut möglich, dass die Regierung eines Tages eine Umweltsteuer erheben wird. Den ersten Schritt in diese Richtung hat Peking schon gemacht: Seit Januar 2018 kauft China keinen ausländischen Müll mehr auf, um ihn zu recyceln. Die Müllkippe der Welt ist nun geschlossen. Die Versuche der EU-Kommission, eine mehrjährige Übergangsfrist auszuhandeln, wurden von Peking abgeschmettert. Nun haben wir ein großes Problem. Knapp 90 Prozent des europäischen Plastikmülls ging nach China. So sieht sie auch aus, die neue globale Gerechtigkeit.

Die Chinesen haben längst eigene Vorstellungen entwickelt, wie globale Interaktion in Zukunft aussehen könnte. Zu wissen, was Peking will, ist hilfreicher denn je, wenn es darum geht, ein Wörtchen mitzureden. Bis heute gehen viele im Westen davon aus, sie könnten Schiedsrichter und Spieler zugleich sein. Nun stellen sie erstaunt und auch ein wenig verärgert fest, dass die anderen Spieler darauf keine Lust mehr haben. Auch darum geht es in diesem Buch.

In Kapitel 1 sehe ich mir an, wie Peking unzufriedene EU-Länder für sich gewinnt und damit Europa aushöhlt. Schon heute ist Brüssel nicht mehr in der Lage, China gegenüber mit vereinter Stimme zu sprechen. Und während wir mit immer strengeren Sanktionen die Russen nicht wirklich schwächen können, treiben wir sie gleichzeitig immer weiter in die Arme der Chinesen. In Peking ist man amüsiert über so viel europäische Kurzsichtigkeit.

In Kapitel 2 werden wir sehen, mit welcher Geschwindigkeit China immer innovativer wird. Die künstliche Intelligenz ist dabei der größte Schwerpunkt. Die vierte industrielle Revolution, bei der sich die Chinesen anschicken, den Westen abzuhängen, wird die Welt dramatisch verändern. Und wer da vorne mitspielt, wird maßgeblich die Spielregeln der neuen technologischen Weltordnung mitbestimmen. Auch in Deutschland.

In Kapitel 3 beschreibe ich, wie sich diese neue technologische Weltordnung auf uns, das Land der Autokonzerne, und die deutschen »Hidden Champions« auswirkt. Mit der Entwicklung des Elektroautos übernehmen die Chinesen nun erstmals in einer deutschen Schlüsseltechnologie die Führung. Nun steht die deutsche Autoindustrie vor der größten Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik. Weil China es so will, bleibt in Deutschland nichts, wie es war.

In Kapitel 4 analysiere ich, wie Chinas Präsident Xi Jinping als Schlüsselfigur gleichzeitig Chinas Wirtschaft öffnet und die Zivilgesellschaft drangsaliert, die Korruption mit aller Härte bekämpft und seine Machtfülle ausbaut, den Umweltschutz vorantreibt und die Überwachung der Massen perfektioniert. Ob uns das passt oder nicht: Xi prägt nicht nur die Zukunft Chinas. Während wir ihn analysieren und kritisieren, verändert er auch Deutschland.

In Kapitel 5 erkläre ich, wie China ganz grundsätzlich von der Werkbank der Welt zur Erfinderwerkstatt werden konnte. Die Zeiten des Kopierens klingen aus, die Fortschritte bei Kreativität und Innovationen, bei Forschung und Entwicklung sind enorm. Damit greifen die Chinesen den Kern des deutschen Wirtschaftswunders an. China ist wieder auf dem Weg zu der Innovationsweltmacht, die es vor Jahrhunderten schon einmal war. Ein mächtiger neuer Wettbewerber macht dem deutschen Mittelstand das Leben schwer.

In Kapitel 6 reise ich entlang der Neuen Seidenstraße. Peking will mit diesem Projekt mit Europa, dem restlichen Asien und mit Afrika enger zusammenrücken und natürlich systematisch neue Wachstumsmärkte erschließen – auf Kosten der USA. Doch Brüssel ergreift die ausgestreckte Hand nicht.

In Kapitel 7 geht es um den Nordkoreakonflikt und Chinas Provokationen im Südchinesischen Meer. Mehr noch als Syrien und die Ukraine ist Nordkorea einer der größten Krisenherde der Welt, auch wenn sich dort die Lage überraschenderweise vielleicht doch noch entspannt. Ohne China geht dort nichts mehr. Das gilt auch für die umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer. Nirgendwo zeigt Peking seine neue Macht unverhohlener als dort. Doch obwohl Chinas Nachbarn unter Druck geraten, rufen sie uns nicht zur Hilfe, sondern haben ihre eigenen Vorstellungen, wie sie im Schatten Chinas bestehen können.

In Kapitel 8 geht es darum, wie China als aufsteigende Weltmacht die noch amtierende Weltmacht USA immer geschickter ausspielt. Es ist der große geostrategische Machtkampf des beginnenden 21. Jahrhunderts. Wurden früher Kriege geführt, um die Kämpfe auszutragen, werden die Konflikte heute im Bereich der Wirtschaft ausgefochten: mit Handels- und Patentkriegen, Firmenübernahmen, Währungsrivalitäten und dem Bieterkampf um Bodenschätze. Erstaunlich ist, dass die Chinesen längst einen guten Plan und alle Zeit der Welt haben, während der Westen hektisch und planlos agiert.

In Kapitel 9 geht es um nichts Geringeres als den letzten großen Wachstumsmarkt der Welt: Afrika, dessen wirtschaftlicher Aufschwung maßgeblich von China befeuert wird. Während wir noch ans Brunnenbauen denken und nach dem Gießkannenprinzip Entwicklungshilfe verteilen, sieht China einen Kontinent auf dem Sprung ins 21. Jahrhundert. Klar ist schon jetzt: Für Europa wird es eng ohne Afrika.

Eines musste ich in den Jahren in China lernen – und mir ist erst langsam klar geworden, wie wenig selbstverständlich das im Westen ist: Jedes Land blickt aus einer anderen Perspektive auf die Welt. Jeder Blickwinkel hat seine Berechtigung. Von Peking aus gesehen ist es offensichtlich: China und der Westen haben viel weniger fraglose Gemeinsamkeiten, als wir im Westen glauben.

Frank Sieren, September 2018