Ilse Wellershoff-Schuur
Resilienz
Innere Balance
durch Nebenübungen
und das neue Beichtsakrament
Für den Säulenheiligen
Am Anfang
Die Nebenübungen
Das erneuerte Beichtsakrament
1. Brief – Gedanken zum neuen Alltag
Von der Bedeutung des Übens
2. Brief
Erste Übung: Gedankenkontrolle
3. Brief
Zweite Übung: Willenskontrolle
4. Brief
Dritte Übung: Gefühlsgelassenheit
5. Brief
Vierte Übung: Positivität
6. Brief
Fünfte Übung: Vorurteilslosigkeit
7. Brief
Sechste Übung: Innere Harmonie
8. Brief
Soziale Auswirkungen der Übungen
9. Brief
Soziale Wirkungen des Beichtsakraments
10. Brief
Tagesrückschau und Beichtgespräch
11. Brief
Kommunion und Erkenntnis
12. Brief
Gesundheit durch Entwicklung
Anhang
Häufige Fragen an die Briefschreiberin
Fragen für ein Übungsjournal
Verwendete und weiterführende Literatur
Über die Autorin
»Bittet, und es wird euch gegeben;
suchet, und ihr werdet finden;
klopfet an, und es wird euch aufgetan.
Denn jeder, der bittet, empfängt;
und wer sucht, der findet;
und wer anklopft, dem wird aufgetan.«
Matthäus 7,7-8
»Gedankenkontrolle. Sie besteht darin, dass man wenigstens für kurze Zeiten des Tages nicht alles Mögliche durch die Seele irrelichtelieren lässt, sondern einmal Ruhe in seinem Gedankenlaufe eintreten lässt. Man denkt an einen bestimmten Begriff, stellt diesen Begriff in den Mittelpunkt des Gedankenlebens und reiht hierauf selbst alle Gedanken logisch aneinander, dass sie sich an diesen Begriff anlehnen. Und wenn das auch nur eine Minute geschieht, so ist es schon von großer Bedeutung für den Rhythmus des physischen und des Ätherleibes.«
Rudolf Steiner, Vor dem Tore der Theosophie.
Vortrag in Stuttgart, 2. September 1906
»Zweitens: Initiative des Handelns. Diese fehlt manchem Menschen fast ganz, denn von früh auf wird er gewöhnlich in einen Beruf gedrängt, der nun den größten Teil seines Handelns absorbiert. Unsere meisten Handlungen sind von außen bestimmt. Daher soll der, welcher die Einweihung sucht, es sich dringlich angelegen sein lassen, zu einer bestimmten Tageszeit regelmäßig eine Handlung zu verrichten, die aus inneren, eigenen Antrieben heraus kommt, mag dies im Grunde auch etwas Unbedeutendes sein.«
Rudolf Steiner, Das christliche Mysterium.
Basel 19. September 1906
»Dann muss sich der Mensch in Beziehung auf Lust und Leid beherrschen. Im gewöhnlichen Leben ist er der Sklaverei der Gefühle unterworfen. Er lacht, wenn ihm etwas besonders Lächerliches geboten wird, er weint bei irgendeinem traurigen Anlass. Der Schüler aber muss sich in der Hand haben, er muss sich nicht beherrschen lassen, sondern seinerseits Lust und Leid beherrschen. Viele meinen, sie würden auf diese Weise stumpf werden, aber das Umgekehrte ist der Fall. Wir überwinden auf diese Weise Lust und Leid, das heißt, dasjenige, was egoistische Lust und egoistischer Schmerz ist. Wir müssen den Weg finden, um gleichsam hineinzukriechen in andere Wesen, um mit ihnen zu fühlen. Es soll sich keiner von dieser Übung abhalten lassen aus Besorgnis, stumpf zu werden; er wird feiner empfinden.«
Rudolf Steiner, Natur- und Geistwesen –
ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt.
Wien, 7. November 1907
»Weiter muss sich der Mensch die größte Unbefangenheit erwerben. Durch nichts wird er mehr abgenutzt, als wenn er an das Negative der Dinge herantritt; das bedeutet eine Disharmonie und zugleich eine Erschöpfung des Menschen. Dafür ist jene persische Legende maßgebend, die uns berichtet, wie der Christus Jesus und seine Jünger einst an einer Straße einen verwesenden toten Hund sahen. Die Jünger baten den Meister, sich doch nicht mit dem Hund abzugeben, das Tier sei doch zu hässlich. Christus aber besah sich den Hund und sagte: Was für schöne Zähne hat doch das Tier. Er suchte hier das Schöne in der hässlichen Sache. Alle Bejahung belebt, alle Verneinung erschöpft und tötet. Nicht nur, weil eine sittliche Kraft dazugehört, sich der positiven Seite einer Sache zuzuwenden, sondern weil eine jede Bejahung belebt und Kräfte der Seele frei und sicher macht.
In einem solchen Zeitalter wie heute herrscht auch die Nervosität. Nervosität und Kritiksucht gehören zusammen. Die vorgeschriebenen Tugenden sind dazu da, um höhere Kräfte für den Menschen freizubekommen.«
Rudolf Steiner, Die Welträtsel
und die Anthroposophie. Berlin 19. April 1906
»Die fünfte Eigenschaft ist die volle Unbefangenheit gegenüber allem Neuen, das uns entgegentritt. Die meisten Menschen beurteilen das Neue, das ihnen entgegentritt, nach dem Alten, was ihnen schon bekannt ist. Wenn jemand kommt, um ihnen etwas zu sagen, so erwidern sie gleich: Darüber bin ich anderer Meinung. – Wir dürfen aber einer Meinung, die uns zukommt, nicht gleich unsere Meinung gegenüberstellen, wir müssen vielmehr auf dem Ausguck stehen, um herauszufinden, wo wir etwas Neues lernen können. Und lernen können wir selbst von einem kleinen Kinde. Selbst wenn einer der weiseste Mensch wäre, so muss er geneigt sein, mit seinem Urteil zurückzuhalten und andern zuzuhören. Dieses Zuhörenkönnen müssen wir entwickeln, denn es befähigt uns, den Dingen die größtmögliche Unbefangenheit entgegenzubringen. Im Okkultismus nennt man dies ›Glaube‹, und das ist die Kraft, die Eindrücke, die das Neue auf uns macht, nicht durch das, was wir demselben entgegenhalten, abzuschwächen.«
Rudolf Steiner, Die Welträtsel und die
Anthroposophie. Berlin, 7. Dezember 1905
»Im sechsten Monat soll man dann versuchen, systematisch in einer regelmäßigen Abwechslung alle fünf Übungen immer wieder und wieder vorzunehmen. Es bildet sich daher allmählich ein schönes Gleichgewicht der Seele heraus. Man wird namentlich bemerken, dass etwa vorhandene Unzufriedenheiten mit Erscheinung und Wesen der Welt vollständig verschwinden. Eine allen Erlebnissen versöhnliche Stimmung bemächtigt sich der Seele, die keineswegs Gleichgültigkeit ist, sondern im Gegenteil erst befähigt, tatsächlich bessernd und fortschrittlich in der Welt zu arbeiten. Ein ruhiges Verständnis von Dingen eröffnet sich, die früher der Seele völlig verschlossen waren.«
Rudolf Steiner, Anweisungen
für eine esoterische Schulung, S. 20f.
»Je mehr der Mensch auf seinen eigensinnigen Meinungen pocht und sich nur für diese interessiert, desto mehr entfernt er sich in diesem Augenblicke der Weltentwicklung von dem Christus.
Je mehr der Mensch soziales Interesse entwickelt für des anderen Menschen Meinungen, auch wenn er sie für Irrtümer hält, je mehr der Mensch seine eigenen Gedanken beleuchtet durch die Meinungen der anderen, je mehr er hinstellt neben seine eigenen Gedanken, die er vielleicht für Wahrheit hält, jene, welche andere entwickeln, die er für Irrtümer hält, aber sich dennoch dafür interessiert, desto mehr erfühlt er im Innersten seiner Seele ein Christus-Wort, das heute im Sinne der neuen Christus-Sprache gedeutet werden muss.
Der Christus hat gesagt: ›Was ihr einem der geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan.‹
Christus hört nicht auf, immer wieder und wieder sich den Menschen zu offenbaren, bis ans Ende der Erdentage. Und so spricht er heute zu denjenigen, die ihn hören wollen: Was einer der geringsten eurer Brüder denkt, das habt ihr so anzusehen, dass ich in ihm denke, und dass ich mit euch fühle, indem ihr des anderen Gedanken an euren Gedanken abmesset, soziales Interesse habt für dasjenige, was in der anderen Seele vorgeht. Was ihr findet als Meinung, als Lebensanschauung in einem der geringsten eurer Brüder, darin sucht ihr mich selbst.«
Rudolf Steiner, Der innere Aspekt
des sozialen Rätsels. Zürich 11. Februar 1919
»Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: ›Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einzigartiger Gott, und du wirst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft.‹ Das andere ist dies: ›Du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‹ Es ist kein anderes Gebot größer als diese.«
Markus 12,29-31
»Zuletzt die Rückschau. Schaue nicht zurück auf wichtige Dinge, sondern im Gegenteil auf unwichtige, und zwar vom Ende zum Anfang hin. Die Erinnerung ist die Brücke, auf der wir zu der unsichtbaren Chronik geführt werden. Straßen, Felder, Blumen, Steine und so weiter haben wir so in der Rückschau, dass wir sie entweder in das Gedächtnis zurückrufen oder dass wir auf sie richtig mit den Augen zurückschauen. Dies geschieht in der vorherigen Zeitordnung. Aber es gibt auch eine andere Art der Rückschau: als ob die Zeitabläufe im Raume wären. Das sogenannte Gedächtnis geht verloren, aber etwas Höheres wird gewonnen. Rückwärts, weil in den höheren Welten alles vom Ende zum Anfang läuft, und so ist der Schüler vorzubereiten. Die Rückschau soll ohne Reue geschehen, weil Reue Egoismus ist.«
Rudolf Steiner, Aus den Inhalten
der esoterischen Stunden. 20. / 27. Juni 1907, S. 241
»Niemals ist das Hereindrängen geistiger Kraft, also das sich Anbieten geistiger Hilfestellung, für den Menschen so gewaltig gewesen wie in dieser Zeit. Aber ohne diese Erkenntnisschritte zu machen, wird man diese Kraft, die hineindrängen will, nicht aufnehmen können und in irdische Verhältnisse hineinbringen können. Denn diesmal geht es nicht mehr so, dass ein Gott dem Menschen hilft, wie das durch dieses Mysterium von Golgatha war, sondern diesmal muss diese Auferstehung durch den Menschen selbst vollzogen werden. [ … ] Also von diesem Standpunkt aus ist es [ … ] interessant, sich den Spruch ›Gott ist tot‹ vorzuhalten. Er ist tot insofern, als er nie mehr von selbst kommt und den Menschen [ … ] unter die Arme greift. Das tut er nicht. Sondern das ist ja längst im Menschen drin. Der Mensch muss sich gewissermaßen selber mit seinem Gott aufraffen. Er muss gewisse Bewegungen vollziehen, um sich in Kontakt zu bringen mit sich selbst. [ … ] Dieses Wesen ist ja frei geworden durch die Entwicklung [ … ], durch die Inkarnation des Christuswesens in die physischen Verhältnisse der Erde. Also ein reales Mysterium, ein kosmisches Ereignis hat sich da vollzogen, kein nur historisches. Da hat sich ein Kraftfluss von absoluter Realität vollzogen. Und nun vollzieht sich mit dem Menschen eine Metamorphose, mit der er sehr große Mühe hat. Ganz große Mühe.«
Joseph Beuys, zitiert in: Friedhelm Mennekes:
Beuys zu Christus, Gespräch am 30.3.84, S. 28f.
»Stimme des Rufers in der Wüsteneinsamkeit:
Bahnt dem Herrn seinen Weg,
Ebnet in der Steppe einen Pfad für unsere Gott!
Alles Tal soll sich heben,
aller Berg und Hügel sich erniedrigen,
das Höckrige werde eben,
die Grate zum Gesenk!
Offenbaren will sich seine Herrlichkeit,
alles Lebendig-Beseelte vereint wird es sehen.
Ja, gesprochen hat sein Mund.
Stimme des Sprechenden: Rufe!
Er antwortet – was soll ich rufen?
Alles Lebendig-Beseelte ist wie Gras,
all seine Schönheit der Feldblume gleich.
Verdorren wird das Gras, verwelken die Blume,
da sein Geist es angeweht hat.
Gewiss – Gras ist das Volk,
verdorrt ist das Gras, verwelkt ist die Blume,
aber für alle Weltenzeiten besteht das Wort des Ewigen
Gottes.«
Jesaja 40,3-811
Liebe Freunde,
in der Passionszeit, als die sogenannte »Corona-Zeit« begann, kam die Idee auf, in diesen Briefen einen Übungsweg zu schildern. Dabei ging es vor allem um eine gesunde Krisenbewältigung: Wie gehen wir mit Situationen um, in denen alles plötzlich ganz anders ist, in denen wir weitgehend auf uns selbst gestellt sind und in denen wir scheinbar machtlos Not erleben – bei anderen oder bei uns selbst? Zurückgeworfen auf unsere inneren Ressourcen wird plötzlich wichtig, worüber wir vor der Krise lässig hinweggehen konnten:
Wie stehen wir zu unserem Menschsein?
Sehen wir es als nicht zu hinterfragendes Kontinuum an, von dem wir zwar wissen, dass es nicht unvergänglich ist, aber das wir doch möglichst lange und möglichst unverändert erhalten wollen?
Oder ist unser Menschsein eine sich ständig weiter verwandelnde Aufgabe, ein Auftrag, den es auch durch eigene Aktivität – und sei sie selbstgewählter Verzicht – zu verwirklichen gilt?
Die Quintessenz dieser Fragestellung soll in diesem letzten Brief, im Zugehen auf Johanni, noch einmal beschrieben werden. Die »quinta essentia« ist das Wesentliche, das Wesen der Dinge jenseits der Erdenwirklichkeit. Da gibt es die sinnlich wahrnehmbaren Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer mit ihren vier Qualitäten fest, flüssig, gasförmig und warm. Aber damit lässt sich das Wesentliche nicht beschreiben, das ist unsichtbar für unsere Sinne. »Man sieht nur mit dem Herzen gut«,12 wie schon Antoine de St. Exupéry sagte. Und unsere Herzen, unsere Seelenzustände, die unsichtbaren (Un-)Gleichgewichte in uns, entscheiden mit über unseren Gesundheitszustand, unsere Widerstandsfähigkeit, unsere Fähigkeit, Krankheit einigermaßen gesund – oder sogar gesünder als vorher – zu überstehen.
Vieles ist in der Zwischenzeit geschehen. Es wurde trotz allem Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, aber die dafür gefundenen sakramentalen Formen auf Erden mussten zurücktreten und in verschiedener Weise anders belebt werden, weil sie dem Infektionsschutz, so wie unsere staatlichen Gemeinschaften ihn vorsahen, vorübergehend nicht genügen konnten. Gewohntes wurde so immer wieder neu erfunden, manchmal unter Schmerzen, oft aber auch mit einer Freude am schöpferischen Umgang mit dem, was sakramentales Leben ausmacht.